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26.02.2006
Jürgen Kaube
Orthographie nach Zehetmair
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat seine Reformreform beendet. Es war alles umsonst. Das Ergebnis ist „gräulich“.
Berlin. Er wäscht seine Hände in Ohnmacht. Was ist Orthographie? Man kann Hans Zehetmair einen äußerst achselzuckenden Menschen nennen. Jede seiner Äußerungen zur Rechtschreibreform teilt nämlich mit, er sei es jedenfalls nicht gewesen. Hans Zehetmair (CSU) ist Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es dieses Rates gar nicht bedurft. Denn wenn es nach dem ehemaligen bayerischen Kultusminister gegangen wäre, dann würde die Politik gar nicht "glauben, sie könne oder müsse die Sprachpflege und die Schreibfähigkeit der Menschen reglementieren". So Zehetmair kürzlich im "Rheinischen Merkur". Aber es geht ja nicht nach ihm, und dennoch hat sich Zehetmair zum Vorsitzenden einer Institution bestellen lassen, die nachbessern sollte, was die Reglementierer in der ersten Runde der Rechtschreibreform verpfuscht haben.
Auch damals, als mit dem Reformieren begonnen wurde, ging es nicht nach Zehetmair. Als er 1986 Minister wurde, sei alles schon im Gange gewesen. Man habe mitgemacht, obwohl man eigentlich nicht mochte. Vom Tisch haben wollte man die Rechtschreibreform, das Kapitel abschließen. Er habe sich "mittreiben lassen", und dafür fühle er sich jetzt schuldig. Was Zehetmair aber nicht hindert, diejenigen, die sich nicht haben mittreiben lassen – beispielsweise einige "Gazetten", die an der "alten Schreibe" festhalten, wie er formuliert –, zu bezichtigen, sie verwirrten die Bevölkerung. Verwirrung durch jene Beharrlichkeit, die nicht gehabt zu haben Zehetmair sich selber schuldig fühlt? Es ist dieselbe Bevölkerung, von der er andererseits sagt, die Rechtschreibreform habe sich "zu stark von ihrem Sprachgebrauch" entfernt. Man muß sich Hans Zehetmair als einen um Folgerichtigkeit unbekümmerten Menschen vorstellen.
Darum wohl macht es ihm auch nichts, daß es jetzt erneut nicht nach ihm geht. Am kommenden Montag wird Zehetmair den deutschen Kultusministern eine Liste überreichen mit Vorschlägen zur richtigen Wortschreibung in Streit- und Zweifelsfällen, die durch die gegenwärtig geltende Fassung der deutschen Orthographie von 2004 aufgeworfen wurden. Diese Wörterliste wird die Kultusministerkonferenz (KMK) am 3. März womöglich für deutsche Schulen verpflichtend machen. Erstellt haben wird die Liste aber nicht der Rechtschreibe-Rat, sondern seine Geschäftsführerin in Zusammenarbeit mit zwei Wörterbuchverlagen. Zehetmair glaubt, daß sie es so machen werden, "daß man damit leben kann". Für sich selbst dürfte er damit recht behalten, denn Zehetmair ist jemand, der bewiesen hat, in sprachlicher Hinsicht mit fast allem leben zu können, außer damit, daß "Philosophie" mit "f" geschrieben wird und der "Heilige Vater" klein.
Die Absurditäten des Vorgangs, an dem er sich beteiligt, ohne etwas dafür können zu wollen, lassen sich inzwischen nicht mehr an einer Hand abzählen. Es handelt sich um die seit 1996 fünfte als endgültig bezeichnete Regelung der deutschen Orthographie. Eine "Kommission" aus zwölf Schriftrichtern, denen eine stalinistische Zärtlichkeit beim Umgang mit widerborstigen Schreibweisen, überzähligen Kommata und unbotmäßigen Worten nicht abzusprechen war, wurde durch jenen "Rat" aus 36 Nachbesserern ersetzt, in dem sich nur ein einziger Verteidiger der herkömmlichen Orthographie befand, dafür aber sieben von jenen zwölf Sprachregulierern, die das Problem geschaffen hatten. Daneben vor allem wirtschaftliche Interessenvertreter und Bildungslobbyisten sowie einzelne Wissenschaftler, die uns auch nicht werden erklären können, wem gedient ist, wenn "hier zu Lande" geschrieben werden kann.
Erinnert sich noch jemand an die Jahre vor 1996? Es war jene Zeit, als man hierzulande und auch zur See unfaßbarerweise damit leben mußte, daß es "radfahren" hieß, aber "Auto fahren", was nun wirklich empörend war. Es war die Zeit, als das "ß" die Deutschzensuren ganzer Schülergenerationen gefährdete, einfach nur durch seine zufällige, überflüssige und eigentlich durch einen gesetzgeberischen Federstrich leicht zu beseitigende Existenz! Die Zeit auch, als die Bezeichnung "Spagetti mit Tunfisch" auf der Speisekarte noch Anlaß zu völlig entbehrlichen, weil arroganten Witzen über die Deutschkenntnisse des Kochs bot. Es war mithin jene schreckliche Epoche, in der die Deutschen amtlich dazu gezwungen wurden, auf eine Weise zu schreiben, die weder logisch noch linguistisch einwandfrei war, dafür aber voller Bildungshürden. Jeder, der diese Zeit erlebt hat, weiß, wie unerträglich es damals in Deutschland empfunden wurde, zu schreiben und zu lesen. (Für Sprachreformer: Hier endet der ironische Abschnitt.)
Und heute? Daß die Fähigkeiten der Schüler zur richtigen Schreibung mit der Reform zugenommen haben, behaupten nur noch ihre blindesten Anhänger. Die Zahl der Zweifelsfälle hat zugenommen. "Rad fahren", "Auto fahren", aber "seiltanzen", "umherfahren", aber "spazieren fahren" – die Kinder werden es kaum als Zugewinn an Transparenz empfinden. Auch daß sie demnächst wieder "maßhalten" schreiben dürfen, dabei aber die große Errungenschaft von 1995, "Maß halten", ebenfalls gültig bleibt, wohingegen "maßregeln" Pflicht ist, wird ihre Lehrer in Erklärungsnotstand bringen. Doch derlei Fortschritte für greulich zu halten ist ihnen versagt, es gibt nur noch gräuliche. Zu ihnen gehört, daß viele Schüler inzwischen schreiben, "heut zu Tage ist hervor getreten", weil, anders als versprochen, eben nicht einmal eine Vereinfachung der Orthographie, geschweige denn eine verständige Fassung von ihr herausgekommen ist.
Mit einem Wort: Es war alles umsonst. Zehetmair und die Seinen haben unter Tatbeihilfe der KMK, die beispielsweise die Laut-Buchstaben-Zuordnung (nunmehr: Kenntnisstand, aber Missstand, Gämse, aber Bremse) ganz der Überarbeitung entzog, auf beispiellose Weise unprofessionell gearbeitet. Im Zeichen der Beschwichtigung wurde gegen jedes denkbare Kriterium – von linguistischer Plausibilität über die Wortherkunft bis zu den Bedürfnissen des Unterrichts – verstoßen. Als im Januar 25 Institutionen der Sprachpflege die Vorlage des Rats beurteilen sollten, hat nur die Hälfte zugestimmt – und das, obwohl viele von ihnen selbst im Rat vertreten waren. Zehetmair erklärte zu diesem von der KMK erdachten Verfahren der Maximierung von Selbstlob, es habe die Arbeit nicht erleichtert. Will vermutlich sagen: Wenn es nach ihm gegangen wäre …
Was aber wäre, wenn es einmal nach ihm ginge? Dem "Rheinischen Merkur" hat Zehetmair anvertraut, er wäre für "eine gewisse Subjektivierung" der Rechtschreibung. Nur dürften Schriftsteller eben nicht "provokativ" darauf bestehen, "daß" und "leid tun" zu schreiben, also "bewußt anders" als es – ergänze: seit kurzem überall dort, wo staatlicher Durchgriff beabsichtigt ist – "gängig" sei. Wenn es nach Zehetmair ginge, heißt das, regierten die Redensarten, je nach Frage mal das eine, mal das andere behauptend, unbekümmert um Klarheit und um Folgen. Insofern könnte man dann aber auch sagen: Es droht, daß es ab dem 3. März tatsächlich nach Zehetmair geht.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26. 2. 2006, S. 4
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 27.02.2006 um 17.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3082
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Was Sie schon immer über den Rechtschreibrat wissen wollten
Der Tagesspiegel war dabei: Die Experten haben sich durchgerungen, genau hingeguckt und alles gut begründet. - Man sieht die Schwergeprüften, sich das Letzte Abverlangenden nun sehr deutlich vor sich und könnte beinahe ein wenig Mitleid empfinden. Und das alles für Gotteslohn, nur aus Verantwortung gegenüber der Sprache. Dieses Opfer ist fast zu groß, als daß die Auftraggeber es einfach so annehmen könnten. Man sollte den Leuten je nach ihrem persönlichem Verdienst, welches auch durchaus im Stillschweigen bestanden haben könnte, ein Erfolgsprämie ausschütten. Oder mindestens einen schönen Orden umhängen:"Verdienter Aktivist der KMK".
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Kommentar von Der Tagesspiegel, 27. 2. 2006, verfaßt am 27.02.2006 um 15.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3081
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Es sollte jetzt gut sein
Es ist ein überzeugender Kompromiss, den der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung heute der Kultusministerkonferenz übergibt. Die große Linie stimmt: Umstrittene Neuschöpfungen wie Leid tun, mit denen Gegner der Reform nicht leben konnten, werden beseitigt. Oder es wird – etwa im Fall von kennen lernen – den Schreibern wieder freigestellt zusammenzuschreiben, was zusammengehört. Unter der Ägide von Hans Zehetmair haben sich die Experten dazu durchgerungen, bei der Rechtschreibung wieder dem Sprachgebrauch zu folgen. Man hat genau hingeguckt und gut begründet, ob und warum etwas obligatorisch groß- oder klein-, getrennt- oder zusammengeschrieben werden muss. Genauer, als es die um Vereinfachung bemühten Reformer getan haben. Anhänger der neuen Rechtschreibung – Lehrer oder Schreiber, die im Alltag gut damit zurechtgekommen sind – hätten sich gewünscht, dass der Rechtschreibfrieden früher einkehrt. Das wäre auch im Sinne der Schüler gewesen, die seit 1996 nach den neuen Regeln schreiben. Aber in einigen Fällen hat es eben in den zehn Jahren seit der Einführung der Reform keine Ruhe gegeben, weil sie zu vielen gegen den Strich gehen. Und diese Regeln sind jetzt korrigiert worden. Damit sollte es vorerst gut sein. Der Springer-Verlag begrüßt die Empfehlungen des Rats. Schon daran ist zu erkennen, dass es sich um einen auch für harte Kritiker akzeptablen Kompromiss handelt. -ry
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Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 27.02.2006 um 12.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3077
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[Zum Zehetmair-Interview]
Der große Versöhner spricht mit Großvaterstimme. Wer sich mit der Materie nicht auskennt, könnte meinen, daß nun alles wie früher wäre und alles wieder gut.
Was für ein Theater!
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 27.02.2006 um 10.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3074
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Man soll ja, schon gar als Laie, stets vorsichtig mit medizinisch-psychologischen Erklärungsmustern sein. Trotzdem empfiehlt sich zum Verständnis der Vorgänge um die Durchsetzung der Reform z. B.
P. Watzlawick, Bausteine ideologischer "Wirklichkeiten", hier besonders das Kapitel 5: Häresie und Paranoia
(in P. Watzlawick [Hrsg.]), Die erfundene Wirklichkeit, München, 1985)
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Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 27.02.2006 um 09.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3071
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Den hervorragende Papier von Frau Pfeiffer-Stolz sende ich umgehend an die Braunschweiger Zeitung, dazu ein eigenes Anschreiben dieses Inhalts:
Zum Kurzbericht über „Rechtschreibrat“ vom 25.2.06
Der Kurzbericht zu Icklers Austritt aus dem "Rechtschreibrat" ist leider zu knapp und zu einseitig geraten. Weder kommen Icklers Motive wirklich heraus, noch wird die Unhaltbarkeit von Zehetmaiers Aussagen deutlich gemacht, noch wird erwähnt, daß z.B. die FAZ von ihrer Haltung nicht abweicht. Deshalb erlaube ich mir, eine knappe Stellungnahme von Frau Karin Pfeiffer-Stolz beizulegen und auf Icklers Beitrag in der FAZ vom 25.2. hinzuweisen.
Jedoch bin ich sicher, daß auch Sie mit der Reform alles andere als glücklich sind. Eine derartige Zumutung könnte die Politik doch auf keinem anderen Felde durchbringen: eine große Mehrheit
ist dagegen, die Sache hat keine Vorteile, aber große Nachteile und unübersehbare Folgewirkungen - und doch wird sie eisern durchgeknüppelt. Oder sehen Sie einen Vorteil? Die s-Regel? Die ist 1. nicht neu (im 19. Jh. Ausprobiert und wieder aufgegeben) und 2. nicht logisch (man schreibt nicht "dass isst Misst" und auch nicht "wass kosstet dass?", obwohl das lauter kurze Vokale sind). Schüler machen jetzt damit nachweislich mehr Fehler - was aber die Kultusminister ignorieren, ohne selber eine entsprechende Untersuchung anzustellen. Allein dieses muß man sich mal klarmachen, man faßt es nicht. Auch die negative Wirkung im Ausland wird nicht thematisiert. Wer ein neues Produkt auf den
Markt bringt, muß ansonsten zuerst dessen Unbedenklichkeit nachweisen oder für Schäden geradestehen. Und hier? Und was machen in dieser Situation unsere kritischen Journalisten? Es ist zum Verzweifeln: sie lassen das der Politik einfach so durchgehen. Wie lange noch? Zivilcourage kostet hier ausnahmsweise weder Kopf noch Kragen!
WENN Sie diesen Brief drucken, dann bitte ohne Änderungen der Schreibweise, sonst verzichte ich drauf. Jeder muß einfach das Recht haben, so zu schreiben, wie es 100 Jahre richtig war und auch heute noch weithin praktiziert wird. Nur den Schülern wurde dieses Recht genommen, allen anderen
nicht, und niemand sollte ein selbstverständliches Recht so freiwillig und gedankenlos hergeben, wie das anscheinend von der Politik erwartet wird. Die beschriebenen Machenschaften sind eine Schande für unsere Demokratie und völlig inakzeptabel.
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Kommentar von mz-web.de, 27. 2. 2006, verfaßt am 27.02.2006 um 09.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3070
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„Von «Recht haben» und «recht haben»
Rechtschreibrat übergibt am Montag seine Empfehlung an Kultusministerkonferenz
Berlin/dpa. Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird am Montag in Berlin den Kultusministern seine Änderungsvorschläge für die umstrittene Rechtschreibreform übergeben. Dazu gehören korrigierte Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Groß- und Kleinschreibung, der Zeichensetzung und der Silbentrennung.
Die Empfehlungen waren von dem von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Expertengremium erstellt worden. Die Kultusminister werden voraussichtlich bei ihrem Treffen am kommenden Freitag in Berlin über die Übernahme der Reform-Änderungen entscheiden.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnte unterdessen die Kultusminister vor einer «voreiligen Korrektur der Rechtschreibreform». Die vom Rat vorgeschlagenen Änderungen stellten keine so wirklich bedeutsamen Verbesserungen dar, «dass sie eine nochmalige kostspielige Korrektur der Lehr- und Lernmittel und der Wörterbücher rechtfertigten», erklärte die GEW-Vize-Vorsitzende Marianne Demmer. Deshalb sollte die KMK den Korrektur-Vorschlägen nur dann folgen, «wenn zuvor von Seiten der maßgeblichen Printmedien auch verbindlich erklärt wird, dass dann der vollständige Regelstand einschließlich der geänderten 's-Schreibung' auch übernommen wird», sagte Demmer.
Nur wenn durch eine Übernahme der Empfehlungen tatsächlich die Einheitlichkeit der Rechtschreibung garantiert sei, lasse sich der notwendige Aufwand für die neuerliche Reform rechtfertigen. Sollten aber «einflussreiche Medien bei ihrem Sonderweg bleiben», rate die GEW der KMK ab, den Empfehlungen zu folgen, sagte die GEW-Vize-Vorsitzende. Bei Lehrern und Schülern führe «das ewige Hin und Her nur noch zu Kopfschütteln». Demmer: «Es gibt wirklich wichtigere Probleme in der Schule.»
Auch der saarländische Bildungsminister Jürgen Schreier (CDU) forderte die deutschen Tageszeitungen auf, die neue Rechtschreibung zu übernehmen. «Die Zeitungen haben durch ihre ausführliche Berichterstattung über die Schreibreform auch großen Anteil an den Veränderungen zum Guten. Nun müssen sie aber Verantwortung übernehmen und den Empfehlungen des Rechtschreibrats zur neuen Rechtschreibung folgen», sagte Schreier der «Saarbrücker Zeitung». Blätter, die an der alten Schreibweise festhalten, kritisierte er. «Das kann so nicht bleiben.»
Der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, begrüßte, dass bereits einige Medien eine Übernahme der Empfehlungen in Aussicht gestellt haben. Nach dem Magazin «Der Spiegel» hatte dies am Freitag auch der Springer-Verlag getan. «Es ist Bewegung entstanden», sagte der frühere bayerische Kultusminister. Als erfreulich bezeichnete es Zehetmair zudem, dass der Schriftstellerverband PEN auch nach dem Ausscheiden seines Vertreters aus dem Rechtschreibrat, des prominenten Reformkritikers Theodor Ickler, weiter in dem Gremium mitarbeiten will.
Es sei richtig gewesen, trotz aller unterschiedlichen Auffassungen auf die Reformkritiker zuzugehen, sagte Zehetmair. Die Akademie für Sprache und Dichtung, die einst zu den schärfsten Ablehnern der Reform gehört habe, sei nach den Diskussionen und der gemeinsamen Arbeit im Rechtschreibrat «ein Garant für die überarbeitete Reform».
Der Rechtschreibrat war im Herbst 2004 von den Kultusministern nach den turbulenten Auseinandersetzungen um die neuen Schreibweisen eingesetzt worden. Die aus Sicht der Kultusminister unstrittigen neuen Regeln für die Laut-Buchstaben-Zuordnung (Doppel s statt ß), für das Zusammentreffen dreier Konsonanten (Schifffahrt) und die neue Fremdwörterschreibung waren außer in Bayern und Nordrhein-Westfalen bereits zum 1. August 2005 an den Schulen verbindlich geworden. Ziel der Kultusminister ist es, mit Beginn des neuen Schuljahres im Sommer 2006 wieder zu einer bundeseinheitlichen Rechtschreibung an den Schulen zu kommen.
Das Expertengremien hatte vor allem die besonders strittigen Teile der Reform überarbeitet. Entgegen seinem ursprünglichen Auftrag hatte er sich jüngst als unabhängiges Gremium auch mit der Groß- und Kleinschreibung befasst und unter anderem vorgeschlagen, Begriffe wie «Bankrott gehen» künftig wieder klein und zusammen, also «bankrottgehen» zu schreiben oder bei «Recht haben» auch die Schreibweise «recht haben» zuzulassen.“
(Mitteldeutsche Zeitung online, 27. 2. 2006)
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Kommentar von Gabriele Ahrens, verfaßt am 27.02.2006 um 09.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3069
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Im Deutschlandfunk wurde gestern ein Interview mit Herrn Zehetmair gesendet. Man kann sich den Beitrag anhören.
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 27.02.2006 um 07.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3068
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Ich neige dazu, in der "Affäre Rechtschreibreform" durchaus etwas Existenzielles zu sehen. Wie oft in der Geschichte nahmen Veränderungen ihren Ausgang in Kleinigkeiten, die mit einer schier unglaublichen Hartnäckigkeit den großen Betrieb stören können. Die Weltgeschichte lehrt, wie Geschehnisse am Rande eine zentrale Bedeutung gewinnen können. Ich glaube, unsere Politiker unterschätzen die Ernüchterung im Volk. Die von kratzbaum geschilderte Erkenntnis hat sich auch bei vielen anderen eingestellt, mit denen ich über das Thema gesprochen habe. Man verliert Stück für Stück den Respekt vor den Vertretern des Staates und seinen Dienern und wird sich deshalb auch nicht mehr aktiv für diese einsetzen wollen. Der zentrale politische Erkenntniswert aus der sogenannten Rechtschreibreform kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Protest und Unruhen können sich nicht legen, weil es die Sache selbst nicht erlaubt: die Sprache ist es, die sich querstellt.
Saturierte Machthaber werden faul und phantasielos; sie verschanzen sich hinter ihren Mauern der Macht, verrammeln lediglich die Haupteingänge und bedenken nicht, daß gewiefte "Plagegeister" Seiteneingänge und Fenster benutzen und notfalls auch durch Mauerritzen eindringen können.
Lieber kratzbaum: Resignation ist nicht angesagt: das Spiel hat eben erst begonnen!
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 27.02.2006 um 06.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3067
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Der Schweizer Schriftsteller Fritz Zorn zieht am Ende seines kurzen, total mißlungenen Lebens Bilanz. Er kommt zu dem Ergebnis, daß er, wenn schon nicht Glück oder Sinn, so doch wenigstens Klarheit erlangt habe. - Ein Glück war und ist die Rechtschreibreform gewiß nicht, und einen Sinn kann ein denkender Mensch auch nicht in ihr erkennen. Aber an Klarheit haben wir beträchtlich dazugewonnen. Wir konnten an einem, zwar nicht existentiell bedeutenden, Beispiel erkennen, wie in diesem Lande ungehemmt Machtpolitik betrieben wird. Es gab und gibt diese kostbarsten Augenblicke im Dasein eines Untertans, da die Machthaber die Maske fallen lassen und ihre häßliche Fratze zum Vorschein kommt. So, wenn eine Kultusministerin von der Staatsräson als leitendem Prinzip in einer verpfuschten Sache spricht. So, wenn ein ehemaliger Kultusminister die freien Schriftsteller davor warnt, "provokativ" anders zu schreiben, als staatlich verordnet. Da erscheint das ganze Versöhnungsgerede als das, was es immer war: ein Feigenblatt, das die nackte Machtgier weniger als notdürftig verhüllte. Es ist nicht das Versagen in der Sache, das so erschreckt. Nein, was wirklich nichts Gutes für die Zukunft unseres demokratischen Rechtsstaates erwarten läßt, das sind die totalitäre Denkweise, gepaart mit Allmachtsphantasien. Dem korrespondiert auf der anderen Seite eine Unterwerfungsbereitschaft, die man schon pathologisch nennen könnte, wenn sie nicht so gut ins Bild passen würde, das man sich von der sogenannten freien Presse schon immer zu Recht gemacht hat.
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Kommentar von dpa, 27. 2. 2006, verfaßt am 27.02.2006 um 06.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3066
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Rechtschreibrat übergibt Empfehlung an Kultusminister
Berlin (dpa) - Der Rat für deutsche Rechtschreibung übergibt heute den Kultusministern seine Änderungsvorschläge für die umstrittene Rechtschreibreform. Dazu gehören korrigierte Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Groß- und Kleinschreibung, der Zeichensetzung und der Silbentrennung. Das Expertengremium war von der Kultusministerkonferenz eingesetzt worden. Die Kultusminister werden voraussichtlich bei ihrem Treffen am Freitag in Berlin über die Übernahme der Änderungen entscheiden.
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Kommentar von Berliner Morgenpost, 27. 2. 2006, verfaßt am 27.02.2006 um 02.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3064
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»Rechtschreibung: GEW gegen zu schnelle Korrektur
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die Kultusminister vor einer "voreiligen Korrektur der Rechtschreibreform" gewarnt. Die jetzt vom Rat für deutsche Rechtschreibung vorgeschlagenen Änderungen zu Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung stellten keine so wirklich bedeutsamen Verbesserungen dar, "daß sie eine nochmalige kostspielige Korrektur der Lehr- und Lernmittel und der Wörterbücher rechtfertigten", erklärte die GEW-Vize-Vorsitzende Marianne Demmer. Vor diesem Hintergrund sollten deshalb die Kultusminister den Korrektur-Vorschlägen des Rates nur dann folgen, "wenn zuvor von Seiten der maßgeblichen Printmedien auch verbindlich erklärt wird, daß dann der vollständige Regelstand auch übernommen wird", sagte Demmer. Denn der für die Umsetzung der neuerlichen Reform notwendige Aufwand lasse sich "nur dann rechtfertigen, wenn anschließend die Einheitlichkeit der Rechtschreibung auch tatsächlich wieder hergestellt wird". Sollten aber "einflußreiche Medien bei ihrem Sonderweg bleiben oder eine neuerliche Umstellung verweigern", rate die GEW der Kultusministerkonferenz davon ab, den Empfehlungen des Rates zu folgen, sagte Demmer.
Der saarländische Bildungsminister Jürgen Schreier (CDU) hat indes die Tageszeitungen aufgefordert, die neue Rechtschreibung zu übernehmen. "Die Zeitungen haben durch ihre Berichterstattung auch großen Anteil an den Veränderungen zum Guten. Nun müssen sie aber Verantwortung übernehmen und den Empfehlungen des Rechtschreibrats zur neuen Rechtschreibung folgen." dpa«
(Berliner Morgenpost, 27. Februar 2006)
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Kommentar von Bild, 27. 2. 2006, verfaßt am 27.02.2006 um 00.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=415#3062
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Rechtschreibung
Ab Freitag neue Regeln
Hamburg – Der mehr als zehn Jahre dauernde Streit um die Rechtschreibung soll endlich beigelegt werden.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung übergibt heute die Liste seiner Empfehlungen an die Kultusministerkonferenz, die am Freitag die Änderungen beschließen will (gelten vom nächsten Schuljahr an).
Die schlimmsten „Verbesserungen“ sind gestrichen, aber einfacher wird’s leider nicht.
So heißt es künftig:
„Rad fahren“ und „Auto fahren“ – aber „seiltanzen“. „Spazieren fahren“ wird getrennt geschrieben;
„jemandem Angst machen“ – aber „mir wird angst“;
die „Gelbe Karte“ wird großgeschrieben, der „heilige Krieg“ aber klein; der „Heilige Vater“ bleibt groß;
„pleitegehen“ und „bankrottgehen“ werden wieder klein- und jetzt zusammengeschrieben;
„jenseits von Gut und Böse“ wird wieder großgeschrieben. (kl)
Hugo Müller-Vogg: Die Wochenvorschau
27. 2. bis 4. 3.
Am Aschermittwoch ist Berlin eine politikerfreie Zone
Freitag. Die Kultusministerkonferenz beendet ihre zweitägige Tagung in der Hauptstadt. Beschlossen werden weitere Reparaturen an der überflüssigsten aller Reformen – der „Schlechtschreib“-Reform.
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