Walter Lachenmann
Sägen am eigenen Ast
Verleger verteidigen die Rechtschreibreform
Die Nachricht, der Spiegel und die Springer-Presse würden zur »klassischen« Rechtschreibung zurückkehren, hat einen wahren Orkan ausgelöst, wo noch Tage zuvor viele Redaktionen meinten, die Diskussion dieses Themas süffisant als »Sommertheater« abtun zu können, unter ihnen die des Börsenblatts für den Deutschen Buchhandel. Die Diskussion hat etwas Gespenstisches. Höchst skurrile Schreibweisen, über die sich noch vor wenigen Jahren jeder gebildete Deutsche kaputtgelacht hätte, werden von ansonsten verständigen Kollegen wie kulturelle Errungenschaften von höchstem Wert verteidigt. Wobei sich doch alle Beteiligten über das Grundsätzliche einig sind:
Die neue Rechtschreibung ist nicht nur überflüssig wie ein Kropf, sondern sie hat ein nie dagewesenes Schreibchaos herbeigeführt und erfüllt in keiner Weise ihren Zweck. Sie ist weder erlern- noch praktizierbar. Das beweisen die tägliche Zeitungslektüre ebenso wie die auf neue Rechtschreibung umgestellten Bücher.
Manchen mag dies gleichgültig oder willkommen sein, aber niemand bestreitet heute noch ernsthaft diese Tatsache. Auch diejenigen, die jetzt die Abschaffung der neuen Rechtschreibung verhindern wollen, finden schon lange kein gutes Wort mehr für sie. Ulrich Störiko-Blume, der Verleger des Verlages Beltz & Gelberg, seufzte im Börsenblatt vom 12. Februar 2004: »Aber sie ist da, sie ist aufwändig und lästig.« Auch die Kollegen vom VdS Bildungsmedien, dem Verband der Schulbuchverleger, verteidigen die neue Rechtschreibung keineswegs etwaiger Qualitäten oder Vorteile wegen. Es geht ihnen um die Kosten, die sie bei einer Abschaffung befürchten. Und nun, anders als bei Einführung der Reformschreibung, wo die Problematik doch viel drastischer war als jetzt, scheint es ihnen überdies auch um die Schulkinder zu gehen, die verwirrt werden könnten. Dabei ginge es bei einer Abschaffung der Reform doch nur darum, deren gewiß noch wenig differenzierten Rechtschreibkenntnisse von der bedauerlicherweise erlernten mißlungenen neuen Orthographie nachzubessern und der weit überwiegenden Schreibwirklichkeit anzupassen. So, wie es in der Schule gelernt wird, schreibt keine Zeitung, kein Autor, kein Privat- oder Geschäftsmann. Der weit überwiegende Bestand an gedruckten Texten in öffentlichen und privaten Bibliotheken ist in nicht reformierter Orthographie, die meisten Schriftsteller weigern sich, diese in ihren Büchern anzuwenden. Unsere wegen ihrer beeindruckenden Fertigkeiten mit den neuen Medien so vielgepriesenen »Kids« werden in ihrem Computeralltag doch ständig mit Updates konfrontiert. Auch in anderen Lebensbereichen werden sie Gelerntes immer wieder revidieren müssen.
Jeder verantwortlich Handelnde würde in ähnlichen Fällen sich von einer Technologie, einer Software, einem Unternehmenskonzept, auf das man sich im guten Glauben eingelassen hat, das seinen Zweck aber nicht erfüllt, wieder trennen, auch unter Hinnahme der damit verbundenen Kosten und Verluste. Und, um weitere Verluste zu vermeiden, sich auf das besinnen, das sich bewährt hat, anstatt an von Grund auf verfehlten Konzeptionen herumzulaborieren. Dies verlangen Professionalität und unternehmerische Intelligenz.
Wenn aber ausgerechnet Verleger sich jetzt gegen die Abschaffung der Reform nur noch wegen der damit erwarteten Kosten wehren, ist dies alarmierend: Sie erlauben sich eine hochgefährliche Entwertung unserer kulturellen Substanz, indem sie ihrer auf rechnerische Betrachtungen verengten Perspektive wegen das Expertenwissen und die ernsten Sorgen derjenigen in den Wind schlagen, von denen unser literarisches und wissenschaftliches Kulturleben abhängig ist: den Schriftstellern und Sprachwissenschaftlern. Sie leisten sich den Luxus, die Kritiker, von den namhaftesten deutschen Autoren bis hin zu den versammelten deutschen Akademien als quasi-religiöse Hitzköpfe zu diskreditieren, und sie merken offenbar nicht, daß dieser Vorwurf knallhart auf sie selbst zurückfällt. Wie sollen in deutscher Sprache hochwertige Literatur, auch in Schul- und Kinderbüchern, und wissenschaftliche Arbeiten entstehen können, wenn die Autoren bescheinigen, daß dies mit dieser staatlich verordneten Orthographie nur eingeschränkt möglich ist? Wissen es die Verleger und Meinungsmacher besser als Günter Grass, Sten Nadolny, Adolf Muschg, Hans Magnus Enzensberger oder Peter Handke und die vielen anderen Schriftsteller, die bei uns sonst mittels riesiger Werbeetats ihrer ungewöhnlichen sprachlichen Leistungen wegen gerühmt werden, und die sich nicht aus emotionaler Abneigung, sondern mit guten Begründungen weigern, in neuer Rechtschreibung zu schreiben?
Die Diskussionen der letzten Wochen haben gezeigt, daß der sogenannten neuen Rechtschreibung keine Zukunft beschert sein kann, sie ist nicht lebensfähig. Dies sollten diejenigen, die bei den in der Regel sehr konkret argumentierenden Reformkritikern immerzu »Pragmatik« und »Realitätssinn« angemahnt haben, realistischerweise erkennen, wenn schon die eigene Urteilskraft in der Sache oder die kulturelle Verantwortung für unsere Sprache nicht für die bessere Erkenntnis ausreichen.
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