Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag
Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben
13.02.2009
Niedriger hängen!
Neue Erkenntnisse?
„Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.“
Neulich lobte Thomas Steinfeld ein (zumindest auf deutsch) neues Buch von Guy Deutscher über den grünen Klee: "Guy Deutscher erfindet die Sprachwissenschaft neu" (so der Titel der Rezension in der SZ vom 3.2.2009). Zugleich lobte er den deutschen Romanisten Jürgen Trabant, den allerdings kein anderer als Deutscher im September 2008 in die wohlverdiente Pfanne gehauen hatte – in derselben Süddeutschen Zeitung. Deutscher ist Semitist und hat eine wichtige Untersuchung über das Akkadische veröffentlicht, ein Buch, das wegen seiner Bedeutung für die Grammatikalisierungsforschung (besonders Entstehung der Hypotaxe) oft zitiert wird.
Deutschers neues Buch heißt "The unfolding of language" und ist 2005 in London und zugleich in den USA erschienen. Es ist ein allgemeinverständliches, auch wissenschaftlich gut fundiertes Werk, das man als Einführung in die Sprachwissenschaft jedermann empfehlen kann. Aber es enthält nichts Neues, von einer Neuerfindung der Sprachwissenschaft kann keine Rede sein. Nehmen Sie nur folgendes:
Deutscher meint, erst in den letzten Jahrzehnten sei man den Ursachen des Sprachwandels auf die Spur gekommen (61): economy, expressiveness, analogy. Das ist aber doch der eiserne Bestand der Junggrammatiker! Deutscher kennt und zitiert Pauls "Prinzipien der Sprachgeschichte". Da steht doch alles drin.
Heute lese ich in derselben Zeitung angeblich neue Erkenntnisse über die Bedeutung der Gesten und insbesondere des Zeigens beim Spracherwerb usw. Auch Susan Goldin-Meadow wird erwähnt. Nun, das ist alles seit Jahrzehnten bekannt, auch Goldin-Meadows Veröffentlichungen zum Thema haben sich seit zwanzig Jahren nur in winzigen Details verändert.
Aber manche schaffen es regelmäßig in die Medien. So auch das Leipziger MPI für vergleichende Anthropologie, dessen Veröffentlichungen ich seit langem aufmerksam verfolge, ohne irgend etwas aufregend Neues zu erkennen. Michael Tomasello schreibt gut lesbare Bücher und solide Aufsätze (wenn auch ziemlich wiederholungsreich), leider alles in traditionell mentalistischer Begrifflichkeit, was bei vergleichender Primatenforschung nachteilig wirkt. Die Öffentlichkeitsarbeit funktioniert noch besser als die Forschung.
Ganz schlimm treiben es aber die "Neurolinguisten", die uns ständig ihre bunten Bildchen – Artefakte der "bildgebenden Verfahren" – an die Wand projizieren und mit weitgehend unverstandenen sprachlichen Erscheinungen korrelieren. Skinner sprach nüchtern von "neural prestige". Na, und dann Manfred Spitzer mit seinen guten Ratschlägen, die er angeblich aus der "Hirnforschung" ableitet! Niedriger hängen geht aber auch nicht, dann bleiben die Mittel aus.
Diesen Beitrag drucken.
Kommentare zu »Niedriger hängen!« |
Kommentar schreiben | älteste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben |
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2024 um 04.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54334
|
„Zielgerichtet“ würde in meiner naturalistischen Sicht bedeuten: „von der Wirkung auf andere gesteuert“.
Natürlich lassen sich Ihre Fragen nicht beantworten, aber plausibel zu spekulieren ist auch nicht ohne Wert. Woher stammt also das lautliche (und vermutlich gestische) Material, aus dem dann Sprache wurde? Nicht zu übersehen sind die Kontaktlaute. „Zuruf“ ist ja bereits intentional – wo kommt das her? Nach Robin Dunbar wirken Kontaktlaute als „social grooming“, wo körperlicher Kontakt nicht mehr gegeben ist. So beruhigen noch heute Mütter auf der ganzen Welt ihre Säuglinge.
Mit einer Art Singsang beruhigt man sich auch selbst. Musik ist aber auch Rhythmus, also vielleicht vom Tanz abgeleitet.
Welche Verhaltensweisen waren konditionierbar, welche wurden es erst noch durch neue Nervenbahnen? Gerade bei Primaten, Hunden, Katzen sind ja die Naturlaute praktisch überhaupt nicht durch Lernen veränderbar, sie tanzen auch nicht, und Papageien und Spötter sind zu weit entfernt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.12.2024 um 12.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54328
|
zu #52854:
"es ist keineswegs ausgemacht, daß Musik und Sprache überhaupt an Tierlaute anknüpfen"
Ich stelle es mir so vor, daß die Vorfahren der Menschen irgendwann begannen, ihre Zurufe zielgerichteter zu geben. So könnten, auch im Zusammenhang mit Gesten, die ersten "hu-hu" (= Hau ab, laß mich in Ruhe!) oder "he-he" (= Kuck mal, komm her!) entstanden und bald weiter differenziert worden sein. Sind das nun schon Wörter oder noch Tierlaute? Etwas anderes als Tierlaute gab es ja vorher nicht. Woran sollen Musik und Sprache also sonst anknüpfen?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2024 um 12.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54322
|
Die Dorfuhr schlägt. Ich habe nicht darauf geachtet, aber irgendwie weiß ich, daß noch drei Schläge bis zur vollen Stunde folgen werden. Neun – zehn – elf! Meistens stimmt es. Aber selbst wenn es nicht genau stimmt, sollten die Neuropsychologen es erklären, bevor sie frisch-fröhlich behaupten, wir könnten jetzt „dem Gehirn beim Denken zusehen“. „Sensorisches Register“ usw. sind ja nur Namen für das Problem, keine Lösungen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.12.2024 um 09.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54303
|
„Es konnte empirisch gesichert werden, daß BER, KÖN, LEG und DRIN für Sprecher tatsächlich relevante Merkmale von Aufforderungssituationen sind, die die Selektion von Aufforderungsvarianten wesentlich mitbestimmen.“ (Theo Herrmann in Ders./Joachim Grabowski, Hg.: Enzyklopädie der Psychologie: Sprache 1 – Sprachproduktion. Göttingen u. a. 2003
Die Abkürzungen BER, KÖN, LEG und DRIN sollen nicht Platz sparen, sondern suggerieren, die Psychologie habe das Niveau der Formalisierung oder Mathematisierung erreicht. Davon kann keine Rede sein. Die Auflösung als „Bereitschaft, Können, Legitimation, Dringlichkeit“ zeigt, daß die Verfasser sprachverführt von „Merkmalen“ sprechen, wo in Wirklichkeit Zusammenfassungen ganzer Geschichten vorliegen. Sie können nur in Alltagsprache erzählt werden. „Legitimation“ eines Handelnden z. B. ist kein naturalistisch definierbarer Begriff und bezeichnet kein Merkmal, sondern so etwas wie Anerkennung durch andere; das gleiche gilt für die anderen Größen.
(Gegen diese Pseudowissenschaft hatte Hermann selbst schon 1982 polemisiert, aber ohne Folgen für die eigene Arbeit. Ich habe darüber berichtet.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2024 um 04.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54274
|
Das Gehirn steuert die Kontraktion von Muskelfasern. Deren Aktivitäten werden durch Lernen und Üben in großem Umfang koordiniert und zu motorischen Gesamtleistungen integriert. „Sprechen“, „Entscheiden“, „Gedächtnis“, „Zocken“, „Empathie“, „Spiritualität“, „Schönheitssinn“, „Werkzeugherstellung“ usw. sind gesellschaftliche Deutungen solcher Bewegungen auf einer sehr hohen Komplexitätsstufe. Die Kluft zwischen dieser Stufe und der Aktivität der „grauen Zellen“ ist enorm und kann nicht einfach übersprungen werden. Damit erledigen sich 99 % des Neurobabbles.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2024 um 04.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54273
|
Ich werde zufällig daran erinnert, daß es im Kleinstädtchen meiner Kindheit eine „Kniegasse“ gibt. Daran habe ich bestimmt 66 Jahre nicht mehr gedacht, aber plötzlich glaube ich sie genau vor mir zu sehen. Davon kann natürlich keine Rede sein, ich könnte in Wirklichkeit keine Einzelheit nennen, außer wo sie beginnt und endet und welche Richtung die knieartige Biegung hat. Zweierlei wäre zu erklären: Wieso ich mich erinnern kann und wie die Illusion entsteht. Anschließend will ich gern glauben, daß wir heute „dem Gehirn beim Denken zusehen können“. Solange wir davon weit entfernt sind, ist alles bloß Neurobabble.
Nach Manfred Spitzer wäre die Kniegasse, wenn ich gern hindurchgegangen bin, im Hippocampus gespeichert, andernfalls in der Amygdala. Ich wünschte, Manfred Spitzer wäre nirgendwo gespeichert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.11.2024 um 07.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54248
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54157
Fernyhoughs einfühlsam-poetisierende, ungemein weitschweifige Darstellung macht es unmöglich, die Entwicklung seiner Tochter genauer zu verfolgen. Der im deutschen Titel angekündigte Spiegeltest läßt ebenfalls nicht erkennen, was das Kind wirklich tut. Außerdem fehlen durchweg genaue Angaben über das jeweilige Alter des Kindes. Das Buch ist leider ziemlich überflüssig.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.11.2024 um 12.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54214
|
Trump ist ein Chaot, das stimmt!
Aber allein mit chaotischem Gehabe und Aberglauben wird man wohl nicht mehrfacher Milliardär und zum zweiten Mal US-Präsident. Da muß doch noch irgendetwas anderes dahinter stecken!
Mir ist einer, der, egal wie, meinetwegen mit Zaubersprüchen, Kriege beendet, allemal lieber als einer, der aus "hochmoralischen" Gründen Kriege anzettelt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2024 um 05.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54210
|
Ein „Wörterbuch des Aberglaubens“, das sein Schwergewicht auf deutschen Autoren und Schriften der frühen Neuzeit hat und die christliche Religion ausklammert, ist heute nicht besonders interessant. Ich habe in meinem Okkultismus-Aufsatz solche Beschränkungen zurückgewiesen. Heute wäre zum Beispiel die Entwicklung in der Medizin relevant, die schon immer ein Tummelplatz für „alternative Wahrheiten“ war.
„Er ist vehementer Impfgegner und glaubt, das [!] WLAN Krebs verursacht: Robert F. Kennedy soll der neue Gesundheitsminister der USA werden. Das kündigte der designierte US-Präsident Trump an.“ (tagesschau.de 14.11.24)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.11.2024 um 17.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54208
|
Was ist Aberglaube? Im theologischen Sinn ist es ein falscher Glaube im Gegensatz zur Rechtgläubigkeit (Orthodoxie). Die Wissenschaft kann sich eine solche Bewertung nicht zu eigen machen. Für sie ist Aberglaube das Beharren auf Ansichten und Praktiken, die dem jeweils erreichten Wissensstand widersprechen. Dabei kommt es darauf an, wann und wo man lebt. Als man noch wenig über Gestalt und Geschichte der Erde wußte, war der Glaube an die Erde als Scheibe und ein Alter von 6000 Jahren kein Aberglaube. Heute ist es einer, ebenso alle anderen frühen Stadien der Wissenschaft. Für die Religionswissenschaft, die Ethnologie usw. ist zwischen Glaube und Aberglaube kein Unterschied. Ein „Wörterbuch des Aberglaubens“, das die Religion ausklammert, kann es nur für Rechtgläubige geben.
„Aberglaube ist nicht als Ausdruck einer, evolutionistisch betrachtet, Vorstufe des Logischen, sondern als Ausdruck einer habituellen Geistigkeit zu begreifen, als andere Weise, nicht als unentwickelte Stufe des Logischen.“ (Harmening: Wörterbuch des Aberglaubens:12)
„Auch die Verknüpfung nach dem Schema von Gold und Gelbsucht, Rot und Feuer, Springen und Wachsen, Fließen und Vergehen gründet in einer apriorischen Synthesis, allerdings einer nichtkantischen.“ (13)
Was mag das bedeuten? Vielleicht daß die Beziehung von Gold und Gelbsucht von vornherein angenommen wird? Daß der Beziehungswahn von aller Erfahrung unabhängig ist? Wer würde den Aberglauben für eine Vorstufe der Logik halten? Er ist beinahe deren Gegenteil. Die „besondere Geistigkeit“ wird mehrmals erwähnt, aber der Leser wird nicht schlau daraus.
Um so seltsamer der ständig erhobene Anspruch, heute sei man weiter in der Erforschung als das 19. und frühe 20. Jahrhundert. Die großen Werke jener Zeit werden herablassend als "immer noch unentbehrliche" Stoffsammlungen gewürdigt. – Ich höre die Mühle klappern, sehe aber das Mehl nicht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2024 um 04.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54187
|
Ein Menschenaffe kann eine Säge handhaben, aber sägt er auch wirklich? Ich habe argumentiert, daß er nur simuliert und ein antrainiertes Kunststück wie jedes andere vorführt. Das Sägen hat in seinem Leben keinen funktionalen Ort. Kann er einen Nagel ins Holz treiben? An sich ist es ihm gleichgültig, ob der Kopf des Nagels am Ende auf gleicher Ebene wie das Holz liegt. Aber wenn die Belohnung erst dann erfolgt, wird er vielleicht rein formal imstande sein, einen Nagel einzuschlagen. Er wird aber nie von selbst darauf kommen, das Nageln als Verbindung zweier Werkstücke in sein Leben einzubauen. Wenn die Schimpansen gegen Abend ihre rohen Schlafnester bauen, nutzen sie keine Fertigkeiten, die man ihnen tagsüber beigebracht hat. So auch das Binden einer „Hängematte“ aus Bettlaken und natürlich alles, was ich unter „Sprachversuche mit Tieren“ angeführt habe.
Die Richtigkeit dieser Deutung drängt sich auf, wenn man Videos anschaut, auf denen die Tiere nur allzu deutlich ihr Desinteresse am Ergebnis ihrer Kunststückchen zeigen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2024 um 05.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54183
|
Im Wörterbuch des Aberglaubens von Dieter Harmening (Reclam) wird unter „Parapsychologie“ kritiklos der Anspruch Hans Benders und seiner (nicht erwähnten) Nachfolger wiedergegeben, daß es dem Freiburger Institut um wissenschaftlich ernstzunehmende Forschung und praktisch hilfreiche Psychohygiene gehe. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_von_Lucadou. Danach kann sich jeder selbst ein Urteil bilden.
In den Medien herrscht die gleiche "Ausgewogenheit", die in Wirklichkeit auf die Anerkennung von Hexerei und Aberglauben hinausläuft. Anything goes.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.11.2024 um 17.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54171
|
Gewiß hört der Fötus im Mutterleib auch Sprachlaute und Musik von außen und erkennt sie nach der Geburt bis zu einem gewissen Grad wieder, so daß sich manche Eltern darüber Gedanken machen, was sie ihrem Kind bieten sollten (Mozart war mal in). Diesbezügliche Darstellungen dürften oft übertrieben sein. Am lautesten sind aber der Herzschlag und die Verdauungsgeräusche der Mutter. Deren Folgen für das Leben werden aber kaum diskutiert, sie sind wohl zu banal.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.11.2024 um 08.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54163
|
„Neuronen, die am Satzbau mitwirken“ (Valentin Braitenberg: Das Bild der Welt im Kopf: Eine Naturgeschichte des Geistes. Stuttgart 2009:182) – das ist ziemlich sinnlos. Auch Elektronen wirken am Satzbau mit. Neuronen und Neutronen haben auch am Bau der Akropolis mitgewirkt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.11.2024 um 04.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54161
|
Wie ist es, ein Mensch zu sein? Es fühlt sich anders an, ein Bier zu trinken als Beethovens Neunte zu hören. Wie erwirbt der Mensch sowohl ein privates als auch ein öffentliches Selbst? – Nach allen Maßstäben der Verständlichkeitsforschung sind solche Sätze maximal verständlich. Zugleich sind sie vollkommen unverständlich und unheilbar sinnlos. Das ist das ganze Problem (mein Problem) mit der Philosophie.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.10.2024 um 15.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54157
|
Ein Psychologe möchte wissen, „wie es ist“, ein Säugling zu sein (Charles Fernyhough: Das Kind im Spiegel. Wie Bewusstsein entsteht – die ersten drei Lebensjahre. München 2010) Er beobachtet seine Tochter: „Wie fühlte es sich an, Athena zu sein?“ (S. 16). Aber weiß er denn, wie es ist, ein 40jähriger zu sein? Diese an Nagel angelehnte Redeweise hat keinen rechten Sinn. Wie ist es, ein alter Mann zu sein? Ich würde allenfalls antworten: Es ist mal so, mal so... (Thomas Nagel wird nicht erwähnt, so selbstverständlich sind diese Fledermaus-Fragen in der Literatur inzwischen.) Solche Fragen haben keinen greifbaren Sinn. Ebenso: „Wie erwirbt der Mensch sowohl ein privates als auch ein öffentliches Selbst?“ (S. 15) So kann man doch keine Wissenschaft betreiben.
Fernyhough bemerkt nicht, wie er die folk psychology, über die er selbst nicht hinauskommt, in das Kind hineinredet. Die Fragen, die er dem Kind stellt, sind erwachsenenpsychologisch: „erinnerst du dich“ usw. Wie versteht die Dreijährige so etwas überhaupt? Warum beobachtet er nicht, wie sich frühere Erfahrungen auf das Verhalten des Kindes auswirken? Wie versteht das Kind Vergangenheit und überhaupt die Ordnung der Zeiten? Ich bin selbst gerade viel mit einer knapp Dreijährigen zusammen und erlebe, wie schwierig es ist, ihr mit der herkömmlichen Erwachsenenpsychologie zu kommen. Dagegen kann ich sehr gut beobachten, wie ihr Umgang mit der Sprache sich entwickelt, immer im Gleichschritt mit den anderen Fertigkeiten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2024 um 07.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54091
|
Wiener Psychologen haben in einer großen Metastudie herausgefunden, daß die Menschen keineswegs immer narzißtischer werden, wie man seit Jean Twenge angenommen hatte. Sebastian Herrmann berichtet im Kasten auf der ersten Seite der SZ (19.10.24). Bei so vagen Begriffen kann man alles und sein Gegenteil beweisen. Herrmann umschreibt Nazißmus als „Selbstbesoffenheit“, was das Niveau dieser Wissenschaft recht gut kennzeichnet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.10.2024 um 04.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54070
|
Bei den Wetten zum balinesischen Hahnenkampf geht es um „one’s pride, one’s poise, one’s dispassion, one’s masculinity“. So Clifford Geertz in seinem berühmten Aufsatz. Diese Texte lesen sich höchst plausibel, sie machen etwas verständlich, indem sie es in unsere alltagspsychologischen oder besser bildungssprachlichen Begriffe fassen. Aber ist das Wissenschaft? Ein Behaviorist würde es verneinen. Wenn er selber historisch gewachsenes und daher sehr komplexes Verhalten noch nicht hinreichend erklären kann, dann ist das eben so und ein Grund für weitere Forschung. Die einfühlende Beobachtung (wie man es früher nannte; „dichte Beschreibung“, „thick description“ ist dasselbe, auch wenn das heftig bestritten wird) begnügt sich mit Plausibilität, dem Feind der Wahrheit (Russell).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.10.2024 um 08.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54049
|
„Children in Japan are delayed relative to Western children in passing explicit mind reading tasks. When asked to explain why an actor searched in the wrong place for his chocolate, Japanese children talked about the physical situation (where the chocolate was) or social rules (he promised to do so) rather than mental states {Naito, 2006 #3221}. In contrast, Japanese children did not show a delay on a non-verbal version of the task where they pointed to indicate what the actor would do (Moriguchi et al., 2010).“ (Chris Frith, Internetdiskussion in Science 345 8.2.15)
Wahrscheinlich war die Frage in der (aus dem Englischen übersetzten) Mindreading-Begrifflichkeit der vergleichbaren amerikanischen Studien abgefaßt, mit der die Japaner sich schwer taten, weil sie das Spiel von Verstellung, Irrtum und Täuschung anders konzipieren. Daß sie dieses Spiel in der Praxis ebenso gut beherrschen wie amerikanische Kinder, zeigte sich erwartungsgemäß bei sprachfreien Beobachtungen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.10.2024 um 07.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54048
|
„Warum hat man in den Hunderten Analysen zu den Wahlerfolgen der AfD kein einziges Mal das Wort ,Amygdala‛ gelesen?“ (SZ 10.10.24 zu einem Buch von Eva Illouz)
So weit ist es mit dem Neurowahn schon gekommen! Dafür sind Spitzer und Genossen verantwortlich.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.10.2024 um 07.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#54021
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50874
Sebastian Seung und Mitarbeitern ist es gelungen, alle 139.255 Zellen und 54,5 Millionen Verbindungen eines Fruchfliegengehirns zu kartieren („Konnektom“)
(Hat jedes Fruchtfliegengehirn die gleiche Anzahl?)
Hinzu kommt aber vermutlich noch ein Mehrfaches an Kombinationen, die gemeinsam das Verhalten steuern.
Es wird erwähnt, daß bisher nur die 300 Zellen eines Fadenwurms erfaßt waren, gemeint ist wohl der schon erwähnte C. elegans, und die gleichen Probleme, die laut Bericht von Rainer Mausfeld einer funktionalen Analyse im Weg stehen, treten hier millionenfach vermehrt auf.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.09.2024 um 06.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53985
|
Wer ein Speichermodell des Gedächtnisses vertritt, sollte sich zu der Frage äußern, ob ein Klavierkonzert im Gehirn des Pianisten anders gespeichert ist als im Gehirn des Dirigenten; abgesehen davon, daß es auch Doppelbegabungen gibt wie Leonard Bernstein oder Daniel Barenboim – speichern sie doppelt? Das wäre doch mal was für „bildgebende Verfahren“ der Hirnforschung...
Wenn schon das professionelle Taxifahren meßbare Vergrößerungen gewisser Hirnteile bewirkt – um wieviel mehr würde das lebenslange Klaviertraining zur Verdrängung anderer Teile in der Hirnkapsel führen? Eine mäßige Verblödung ist noch das Geringste, was man annehmen muß. Den Virtuosen merkt man das allerdings nicht an.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2024 um 05.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53902
|
Sprache diente ursprünglich der Warnung, dem Trost, dem Kontakt, bevor die Möglichkeiten entdeckt wurden, die im Satz stecken:
Aussagen kann der Partner nach wahr und falsch beurteilen, Aufforderungen befolgen oder nicht, Fragen beantworten oder nicht. Diese Erfindung der Prosa (wie man es nennen könnte) kann sehr lange gedauert haben.
Eine besondere und wahrscheinlich alte Funktion der Aussage ist die Erzählung, als Bericht (Tatsachen) und als Mythos (Fiktion).
Diese Herleitung scheint mir evolutionsbiologisch und kulturgeschichtlich plausibler als eine durch Mutation schlagartig einsetzende Syntax, wie von Chomsky für möglich gehalten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2024 um 05.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53901
|
Die SZ will auf ihrer Wissens-Seite erklären, warum die Menschen so wenig fürs Klima tun. Sie befragt u. a. zwei Psychologen, die sich dann über relative Anteile verschiedener Länder am CO2-Ausstoß äußern und noch manches vortragen, was nicht im entferntesten mit Psychologie zu tun hat. Daß Journalisten überhaupt darauf kommen, zu jedem beliebigen Gegenstand zuerst Psychologen zu fragen (die immer zur Hand sind, weil es so viele davon gibt), ist für unsere Zeit ungemein bezeichnend. Die Doppelseite enthält denn auch nur Gemeinplätze.
Psychologisch zu erklären wäre außer dem sonderbaren Verhalten der Journalisten auch, warum die befragten Psychologen sich darauf einlassen, anders gesagt: warum sie die Klappe nicht halten können.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.09.2024 um 13.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53881
|
Ich halte "freien Willen" auch für einen Pleonasmus, darum habe ich es hinter Wollen in Klammern gesetzt und mit "sog." versehen. Ich habe das Wörtchen "frei" ergänzt, um mich gerade von der alltäglichen Redeweise des Willens/Wollens abzugrenzen und die philosophische Bedeutung hervorzuheben. M. E. bedeutet Willen in diesem Sinne, daß der Mensch in der Lage ist, vermittels seines Geistes, Bewußtseins, Denkens die materielle Welt frei zu steuern. Das reale Geschehen läuft nicht wie ein Film vor unseren Augen ab, dem wir nur hilflos zuschauen und ansonsten gespannt sein können, was uns "widerfährt" und was uns unser Gehirn als unsern Willen vorgaukelt.
Soweit ich Sie verstehe, lehnen Sie diese Theorie ab. Sie sagen, einen Willen in diesem Sinne gibt es nicht, es kann ihn nicht geben, weil der Geist (das Denken) nicht in der Lage ist, auf Materie zu wirken, bzw. weil es letztlich gar keinen Geist (Denken) gibt.
Sie "rekonstruieren" statt dessen den Willen. Damit beziehen Sie sich aber nicht auf den philosophischen Begriff, sondern Sie schaffen einen völlig neuen Gegenstand. Willen definieren Sie als eine Art von kommunikativem Verhalten. Es hat gar nichts mehr mit der Frage zu tun, ob der Mensch frei entscheiden kann, was er tut. Es geht bei diesem Willensbegriff nur darum, wie er etwas tut, ob und wie er es anderen Menschen ankündigt.
Im Traum fehlt natürlich dieser Dialog, deshalb ist das Wollen im Traum völlig gegenstandslos, die Frage nach diesem Wollen ergibt keinen Sinn. Die Frage ist ähnlich sinnlos, als wenn ich im Bäckerladen zu einem Kind sage: Du darfst dir von allen Kuchen, die du hier siehst, null beliebige Stücke aussuchen. Da gibt es nichts auszusuchen, ebenso wie es im Traum keinen Dialogpartner gibt.
Dementsprechend folgern Sie in #53875 ja die Unmöglichkeit des Wollens im Traum auch nicht aus dem fehlenden Dialog, sondern Sie beziehen sich darauf, daß wir den Trauminhalt (angeblich) nicht steuern können. Sie meinen, Träume widerfahren uns, wir sehen sie im Prinzip wie einen Film, hätten keinen Einfluß darauf. Ich bezweifle das in dieser Allgemeinheit, möchte darauf aber jetzt nicht weiter eingehen. Aber Ihre Argumentation bzgl. des Wollens im Traum erinnert dann jedenfalls weniger an das von Ihnen definierte Wollen als Verhalten, sondern eher an den philosophischen Willensbegriff, wie ich ihn oben beschrieben habe, und den Sie doch eigentlich sowieso ablehnen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.09.2024 um 04.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53879
|
Das haben Sie in der Tat falsch verstanden. Ich bestreite den Willen nicht, sondern rekonstruiere ihn (bzw. die ganze Redeweise) aus dem Handlungsdialog, wie unter "Intentionalität und Sprache" dargelegt. Die Rolle der dialogfähigen Person entfällt im Organismus, der die Träume hervorbringt. Freud bestreitet das, indem er im Konstrukt des "psychischen Apparates" personhafte Instanzen unterbringt, das Unbewußte, das Vorbewußte, das Ich, das Überich – ein Homunkulismus sehr traditioneller Art.
Den "freien Willen" halte ich für einen Pleonasmus; wobei solche Redeweisen natürlich im Alltag ihren guten Sinn behalten.
Daß wir im Traum nicht wollen, habe ich auch nicht gesagt. Wir erleben das sehr wohl, dürfen es aber nicht einfach in die Theorie des Traums übernehmen.
Mein Eintrag war nicht sehr elaboriert, das gebe ich zu. Ich wollte bloß andeuten, wie man dem sophistischen Trugschluß entkommt: "Wir" veranstalten unsere Träume, folglich müssen "wir" alles wollen, was darin vorkommt.
Der offensichtlichste Fehler der "Traumdeutung" ist aber die Lehre von der Traumarbeit, worauf Freud besonders stolz war und was die ganze Symboldeutung der gebildeten Welt in Gang gebracht hat. Was wir uns im Wachzustand ohne weiteres erlauben, meistens sexuelle Wunschvorstellungen, sollen wir uns im unkontrollierten Schlafzustand verbieten und kunstvoll verkleiden? Da lachen ja die Hühner.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.09.2024 um 23.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53876
|
Sie sagen: Der Traum widerfährt uns wie eine Wahrnehmung bzw. wie eine Blähung. Es gibt im Traum kein Wollen.
Darüber könnte man vielleicht streiten, aber doch sowieso nicht auf der Basis eines Naturalismus, der sogar das Wollen (den sog. freien Willen) im Wachzustand bestreitet. Oder verstehe ich das falsch? Wie sollte man denn im Traum etwas wollen können, wenn man es schon im Wachsein nicht kann?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2024 um 18.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53875
|
Auch wenn wir uns im Traum mehr oder weniger als Personen erleben, die etwas wollen (und oft nicht können – ein typischer Trauminhalt; so berichten wir es jedenfalls nach dem Aufwachen), sind wir nicht als Personen, d. h. gesellschaftliche Wesen, denen man ein Wollen zuschreiben kann, die Urheber des Traums. Dieser widerfährt uns vielmehr wie eine Wahrnehmung, die wir ja auch nicht (als Personen) veranstalten und wollen können oder auch nicht. Wenn es eine Instanz in uns gibt, die den Traum steuert, dann ist sie nicht die Person, die Wünsche haben und sich erfüllen kann. Damit entfällt das von der Psychoanalyse krampfhaft durchgezogene Bestreben, jeden Traum als Wunscherfüllung zu deuten. Das muß man ja dann auch von unangnehmenen Träumen durch kunstvolle Interpretation behaupten, und das war noch nie überzeugend. Wenn uns unsere Träume widerfahren (wie Blähungen), erledigt sich dieses Problem.
Die Detailliertheit mancher Träume, die Erinnerung an einen Hyperkonkretismus, dürfte von der gleichen illusionären Art sein wie das trügerische „Ich sehe es genau vor mir“ bei Wachvorstellungen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2024 um 06.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53825
|
Forschende haben herausgefunden, daß Möwen und Möwinnen – pardon, nein, das war jetzt zuviel – also daß Möwen besser gedeihen, wenn sie schon im Ei mehr Gespräche ihrer Eltern gehört haben. Dann schreien sie als Jungvögel lauter und kriegen mehr Futter. Im Radio wird daraus die Mahnung an werdende Eltern abgeleitet, viel miteinander zu reden.
Ein Schönheitsfehler besteht darin, daß den Eiern Möwengeschrei vom Band vorgespielt und nicht geprüft wurde, ob anderer Lärm ähnlich wirkt. Auch war die Zahl der teilnehmden Eier sehr klein. Außerdem liegt die Trennung von Vögeln und Säugetieren eine halbe Milliarde Jahre zurück, so daß der pädagogische Ertrag der Möwenforschung geringer ist als vermutet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.08.2024 um 05.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53808
|
Seehunde können Laute hervorbringen, die man mit einigem Wohlwollen als Nachahmung menschlicher Rede bezeichnen könnte. Daß dies für die Entstehung der Sprache bedeutsam sein könnte, ist wieder einmal eine unberechtigte Hoffnung. Der stammesgeschichtliche Abstand ist mindestens zehnmal so groß wie der zu unseren nächsten Verwandten.
Die Robben haben ihre eigene Sprache. Drüben auf der Sandbank (Kachelotplate) liegen jeden Morgen zwei Hundertschaften von Kegelrobben und liefern sich einen schaurig-schönen Wechselgesang. Da gibt es noch viel zu erforschen, auch wenn es nicht so sensationell scheint wie die albernen Berichte (sogar unter "Forschung aktuell").
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.08.2024 um 14.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53779
|
Zu "Tischler" usw.: Reine "Füllbuchstaben", also Füllaute, gibt es nicht oft. Das epenthetische t in "wesentlich" usw. haben wir schon besprochen. Es ist ein Übergangs- oder Gleitlaut, der sich in bestimmten Umgebungen rein mechanisch einstellt.
-ler ist eine Suffixerweiterung, das eigentliche Suffix ist natürlich -er. Ausgangspunkt sind Substantive mit organischem l wie Sattel>Satt(e)ler.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.08.2024 um 14.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53778
|
Forschende aus Hawaii haben festgestellt, daß Buckelwale Werkzeuge herstellen, nämlich Vorhänge aus Luftblasen, mit denen sie den Krill zusammentreiben (was schon lange bekannt ist). Aber solche „Vorhänge“ oder „Netze“ sind, wenn man die Metaphorik auflöst, viel weniger Werkzeuge als Spinnennetze, Fangtrichter, Biberdämme usw. (vgl. Dawkins über den „extended phenotype“), die wenigstens überdauern und mehrmals verwendbar sind. Eher vergleichbar wären Sepiawolken, die man aber nicht Werkzeuge nennt. Es ist also wieder mal nur Sensationsmache, wenn die Wale nun in den „elitären Club der cleveren Werkzeugbauer“ aufgenommen werden sollen.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.08.2024 um 14.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53777
|
Auch Wörter wie
Tischler, Salmler, Obstler, FDJ-ler, SPD-ler, Westler, Ostler
sind wohl kaum von Verben abgeleitet, und die Endung hat keine abwertende Bedeutung.
Ist das l i. a. doch nur Füllbuchstabe wegen der Aussprache?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.08.2024 um 10.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53774
|
Im Gegensatz zu vielen Verben auf -(e)ln (z. B. sammeln, basteln, kitzeln, stapeln, ...) hätte ich bei einigen Bildungen keinen Zusammenhang mit solchen Verben vermutet.
Dazu gehören z. B. Wissenschaftler, Künstler, Sportler, Gebirgler, Hinterwäldler, Nachzügler, Muttersprachler, Zuchthäusler, Freiberufler, Mittelständler, Kriegsgewinnler, Heimatkundler. ...
Ist das ein Irrtum, gehören alle diese Wörter auch irgendwie zur ersten Gruppe?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.08.2024 um 05.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53772
|
Bei den Verben auf -(e)ln kann sich das Deutsche Wörterbuch oft nicht entscheiden zwischen iterativ/frequentativ und diminutiv. Ich neige dazu, das Diminutive und Hypokoristische für das Ursprüngliche zu halten. Sehen Sie sich die Einträge zu köcheln, streicheln, spötteln, liebeln, dichteln usw. an! DWDS zu schmuggeln: „als Iterativbildung zu der unter schmiegen und Grasmücke (s. d.) behandelten Wortgruppe. Als Ausgangsbedeutung ist ‘sich schleichend, sich geduckt bewegen’ anzunehmen“. Die Bedeutungsbeschreibung widerspricht der These, denn wo ist da das Iterative? (Diesen Einwand habe ich schon früher gegen viele Wörterbucheinträge und Wortbildungshandbücher vorgebracht.)
„Wissenschaftler“ war geringschätzig gemeint, hat diese Komponente aber ganz verloren und im Standarddeutschen „Wissenschafter“ vollständig abgelöst. Sprachpflegerische Versuche (Jean Paul, Eduard Engel) hatten keinen Erfolg.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.08.2024 um 21.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53770
|
Interessant! Ob es an den Bergen liegt?
Es gibt ja diese Abwertung bei Gewinner/Gewinnler. Vielleicht sind die manchmal als Hinterwäldler titulierten Muttersprachler auf das vermeintlich herabsetzende l besonders empfindlich?
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 22.08.2024 um 20.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53769
|
Die Autorin ist Schweizerin. Wissenschafter ist eine in der Schweiz und teilweise auch in Österreich gängige Nebenform von Wissenschaftler.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.08.2024 um 19.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53768
|
Ja, da stimme ich in allem zu, auch was das Gendern betrifft. Abgesehen vom Inhaltlichen fällt mir noch auf, daß ausschließlich von "Wissenschaftern" (8mal) die Rede ist, nie von Wissenschaftlern.
Vor allem unter Erzgebirglern ist ja auch die Meinung stark verbreitet, es könne nur Erzgebirger heißen. Anscheinend haben manche eine Abneigung gegen die Endung -ler. Hören wir womöglich demnächst auch von Sportern?
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 22.08.2024 um 13.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53767
|
https://www.nzz.ch/meinung/unsere-psyche-wird-immer-kraenker-doch-die-hirnforschung-hat-kaum-antworten-weil-sie-in-alten-mustern-erstarrt-ist-ld.1844621
Ich bringe den Link hier, weil der Artikel thematisch zu diesem Strang paßt. Er ist aber auch unter dem Aspekt des Genderns interessant, daher habe ich ihn auch unter »Jede und jeder« eingestellt (s. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1040#53766).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.08.2024 um 06.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53765
|
Weder die deutsche noch die englischen Wikipedia erwähnen in ihren Beiträgen über Willem Levelt, den wohl einflußreichsten, vielfach preisgekrönten Psycholinguisten Europas, die Kritik an seinem Modell. Bennett und Hacker haben ihn in die Pfanne gehauen, und damit sollte eigentlich gleich die ganze Psycholinguistik erledigt sein. Ignorieren hilft auch hier, und so blüht und gedeiht sie ganz prima, und jeder ist froh, daß er etwas in der Hand zu haben glaubt. „Each speech act begins with the conception of some intention. Where intentions come from is not a concern of this book.“ Gütiger Himmel! Das soll der Stand der Forschung sein? Die MPG verbreitet es, also wird es wohl stimmen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.08.2024 um 15.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53754
|
Noch mal zum Trittbrett an Autos: Im Vorbeiradeln habe ich mal drauf geachtet und eigentlich nur an einem BMW-SUV ein Trittbrett gesehen. Gibt es noch andere Autotypen mit Brett? Abgesehen von Lastwagen usw. natürlich.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.08.2024 um 14.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53725
|
Noch einmal:
„Eine Untersuchung niederländischer Forscher zeigt, dass Menschen geistig anspruchsvolle Aktivitäten als unangenehm empfinden.“ (Welt 15.8.24)
Aber ist nicht im Begriff der „Anstrengung“ schon enthalten, daß es sich um etwas Unangenehmes handelt? Physiologisch ist Anstrengung nicht definiert. Auch das Anschauen eines Films kann viele Kalorien verbrauchen und doch höchst lustvoll sein, so daß niemand von einer Anstrengung sprechen würde.
Demnach wäre es analytisch wahr, daß Anstrengung unangenehm ist und gemieden wird, wenn nicht eine Belohnung winkt. Genau das haben die Forscher nun herausgefunden, aber es stand schon vorher fest, weil es in den Begriffen bereits enthalten war.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.08.2024 um 05.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53722
|
Man kann heute kompletten Unsinn drucken lassen, ohne seinem Ruf als Wissenschaftler zu schaden: „Wie man seit geraumer Zeit weiß, leistet das Broca-Zentrum jedoch die Integration von Einheiten, die auf der Zeitachse nacheinander ankommen, in größere Einheiten, also die Operation des Chomsky’schen MERGE, die oft mit MOVE, also mit Transformationsprozessen, verbunden ist.“
Laien schreiben es, Laien lesen es und sind beeindruckt. Wird schon alles seine Richtigkeit haben.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2024 um 06.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53676
|
Forschende haben Teilnehmende befragt, wie anstrengend sie das Nachdenken finden. Hirnforscher stellen fest, daß dabei der Stirnlappen ermüdet. Aber die Nachdenkenden nehmen das in Kauf, weil sie sich etwas davon versprechen. (SZ Wissen 7.8.24; alle Partizipien im Original, ebenso das banale Ergebnis)
Daß „Asiatinnen und Asiaten eher bereit waren, sich zu quälen“, beruht ebenfalls auf den Selbstaussagen, also auch auf den kulturspezifischen Konventionen, wie man über das Thema redet. Wirkliche Verhaltensanalysen (Europäer und „Asiaten“ beim Problemlösen) sind viel aufwendiger und werden daher unterlassen – auch ein Beispiel für die Einsparung von Hirnschmalz.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.08.2024 um 08.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53655
|
(Beim letzten Eitrag ist mir die bibliographische Angabe durcheinandergeraten. Richtig ist Karin Herrmann, Hg. Neuroästhetik usw.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.08.2024 um 06.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53654
|
„Aristoteles konnte offenbar die logische Struktur unseres Denkens gültig analysieren, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, auf welchen biologischen Grundlagen unser Denken beruht.“ (Benedikt Schick in Thomas Macho et al., Hg.: Was ist schön? Kassel 2011:64)
Aristoteles hat nicht die Struktur unseres Denkens analysiert, sondern die Struktur des Argumentierens. Dazu braucht man natürlich keine neurologischen Kenntnisse.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.07.2024 um 12.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53630
|
Das wäre aber wohl auch keine Magnetstimulation, sondern mittels Elektroden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2024 um 11.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53629
|
Na ja, man kann auch Sonden einführen und die Zellen in direktem Kontakt stimulieren.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.07.2024 um 11.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53628
|
Das Wort "transkraniell" kannte ich noch nicht. Aber die medizinischen Fachausdrücke sind auch manchmal seltsam. Wäre es nicht logisch zu sagen, was stimuliert wird, anstatt wo man dazu durch muß?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2024 um 10.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53626
|
Schwimmen fördert die Hirnleistung (Meldung 30.7.24)
Wie Taxifahren. Und Häkeln. Und Kochen.
Hat man eigentlich die intellektuellen Leistungen von Schwimmern schon vergleichend untersucht? Durchblutung ist ja nicht alles.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2024 um 03.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53625
|
„Die transkranielle Magnetstimulation ist ein wertvolles Werkzeug in der neurowissenschaftlichen Forschung: Sie erlaubt, mit Magnetfeldern gezielt verschiedene Hirnareale von außen zu beeinflussen, was etwa bei der Therapie von neurologischen Erkrankungen oder Depression eingesetzt wird. Zudem kann mit der Technik auch die Funktion bestimmter Hirnregionen untersucht werden – was nun Psychologen um Keise Izuma von der University of York und seine Kollegen dazu nutzten, den Ort im Gehirn näher einzugrenzen, in dem Ideologien und religiöse Glaubensvorstellungen verarbeitet werden. Dort, im hinteren medialen Frontalkortex (pMFC), lassen sich per Magnetfeld Glaube oder Rassismus dann auch einfach kurzzeitig ausschalten, meinen die Forscher nach ihren Experimenten.“ (spektrum.de 14.10.15)
Ich will auf den übrigen Unsinn nicht eingehen, sondern nur auf dieses vage „verarbeiten“ hinweisen. Glaube, Musik, Rassismus, Sprache, Substantive – alles soll irgendwo „verarbeitet“ werden, aber niemand sagt, was das überhaupt bedeutet. „Rassismus“ zum Beispiel ist eine negative Bewertung, die den verschiedensten Verhaltensweisen gilt, und kann keinen Ort im Gehirn haben.
Im Grunde weiß niemand, was die Stimulation eigentlich bewirkt. Es ist von vornherein ausgeschlossen, daß nur Glaubenssätze usw. betroffen sind. Es ist ein Schuß ins Dunkle, vergleichbar der Krampftherapie, Lobotomie usw. Man nimmt die Ungewißheit in Kauf, wenn bestimmte Symptome (Depression, Epilepsie...) dabei behoben oder gemildert werden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.07.2024 um 04.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53618
|
Wie es der Zufall will: Auf der Wissensseite der SZ (27.7.24) wird die experimentelle Archäologie einer Tübinger Forschungsgruppe referiert: Es gelingt Probanden („Tübingerinnen und Tübingern“) ohne weiteres, scharfe Klingen von Steinen abzuschlagen. Sogar Affen schaffen das manchmal. Übersehen wird, daß heutige Menschen, die gewissermaßen „von oben“ – aus einer technischen Zivilisation heraus – an die Aufgabe herangehen, sich in einer ganz anderen Lage befinden als die Urmenschen. Formal mag das Verhalten gleich sein, funktional ist es dennoch grundverschieden. Das läßt sich auch auf die ebenfalls erwähnten Affen übertragen: Werkzeugherstellung „bedeutet“ bei ihnen etwas ganz anderes als beim Menschen. Es geht bei kulturellen Traditionen nicht nur um manuelle Geschicklichkeit. Nur wenn man den konservativen Charakter der Gesellschaft einbezieht („das macht man so!“), kann man verstehen, daß es z. B. 100.000 Jahre dauert, bis sich an gewissen Steinwerkzeugen eine wesentliche Verbesserung zeigt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.07.2024 um 05.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53611
|
Es gibt eine breite Literatur, die aus Artefakten den „Geist“ der früheren Menschen zu rekonstruieren versucht und manchmal auch eine neurologische Ergänzung versucht: Was muß im „präfrontalen Cortex“ geschehen sein, damit jene Menschen Faustkeile herstellen konnen usw. Auch der Ursprung der Sprache wird damit in Verbindung gebracht. Solche Spekulationen halten sich im folkpsychologischen oder rational-psychologischen (scholastischen) Rahmen, weit entfernt von Biologie und Verhaltensanalyse im empirischen Sinn. Die neurosophische Verzierung hat erst recht keine wissenschaftliche Grundlage. Man kann es weder beweisen noch widerlegen, es sind Just-so-stories...
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.07.2024 um 06.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53598
|
Ob Taxifahrer oder Gläubige – die Neurosophen übersehen regelmäßig einen bekannten Zusammenhang. Ich hatte schon zitiert:
„Wer an Gott glaubt, verwendet mehr Hirnzellen für Mitgefühl als für analytisches Denken. Das Gehirn von Atheisten arbeitet genau andersherum. Dadurch sind sie intelligenter, aber auch kaltherziger. Diese Eigenschaften definieren auch Psychopathen.“ (focus.de 25.3.16)
Soweit dies überhaupt Sinn hat, könnte es das Gegenteil beweisen. Je schwerer ein Verhalten fällt, desto mehr Hirnzellen beansprucht es. Routinebildung besteht gerade darin, den Anteil der beteiligten Hirnregionen zu reduzieren.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.07.2024 um 04.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53596
|
"Man kann sehr viel tun für seine Kinder, um sie gesund aufwachsen zu lassen, um die Synapsen im Gehirn quasi schon frühzeitig zu verknüpfen, damit Lernen stattfinden kann", sagt Schulleiter Andreas Passauer, Schulleiter in Wangen im Allgäu (Kreis Ravensburg).“ (SWR aktuell 24.7.24)
Ich will dieses Alltagsgerede samt bezeichnendem „quasi“ nicht auf die Goldwaage legen, aber es ist doch bezeichnend und geht in die eigentliche Neurosophie („brain porn“) über, mit der uns auch die Fachleute einzureden versuchen, sie hätten etwas erkannt.
Früher sprach man von den Seelen der Kinder.
Die Neurologie weiß viel über die Reizleitung und die Nervenzellen, und sie weiß viel über den Aufbau des Gehirns, aber dazwischen liegt das weite Feld der Verknüpfungen oder „Schaltungen“, und das ist selbst bei sehr einfachen Lebewesen noch nicht entschlüsselt. Man weiß daher nicht, wie Gesichter erkannt werden, geschweige denn, wie Sprache „verarbeitet“ wird. Bildgebende Verfahren zeigen nur, welche Teile des Gehirns dafür intakt sein müssen. Das ist sehr wenig, verglichen mit der Aufgabe. Aber bekannte Vertreter der nichtexistierenden Neurolinguistik behaupten, wir wüßten nun, wie Sprache verarbeitet wird (Angela Friederici habe ich schon zitiert).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2024 um 17.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53581
|
Max-Planck-Forschende haben kürzlich durch Genanalysen herausgefunden, daß Beethoven nicht besonders musikalisch war. Da 42 Prozent (nicht mehr und nicht weniger!) der Musikalität angeboren sind, hatte er besonders viel auszugleichen, wahrscheinlich durch Bienenfleiß. Vielleicht hat er sich aber auch nur besonders gut auf Marketing verstanden und seine Musik erfolgreich verkauft, obwohl sie nicht viel taugte. Oder wir hören seine späten Werke aus Mitleid, weil er taub war.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2024 um 04.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53574
|
„Various cell types have been discovered, mostly in the hippocampal formation and related structures: place, grid, head-direction, border, landmark, object cells, etc. These cells enable the animal to build a cognitive map of the environment that holds information about “places in the organism’s environment, their spatial relations, and the existence of specific objects in specific places”. We take the spatial navigation system to be a well-motivated model for the LoT: despite being restricted to space, navigation possesses basic solutions needed for a neurobiological implementation of the LoT.
Most foundationally, the spatial navigation system features a ‘lexicon’ or ‘inventory’ of different spatial predicates encoded by single neurons: distinct cell types such as border, object, or landmark cells essentially implement a specific spatial predicate, BOUNDARY(X), SMALL-OBJECT(X) or LANDMARK(X).“ (Nina Kazanina/David Poeppel: „The neural ingredients for a language of thought are available“. Trends in cognitive sciences 27/2023:996-1007)
Die Anführungszeichen verschieben alles in ein Reich des „Als-ob“. Der Organismus lernt, welche Bewegungen möglich sind und welche nicht. O’Keefe und andere haben die Zellen identifiziert, die bei dieser Steuerung eine Rolle spielen. Die Deutung als „kognitive Karten“ ist willkürlich:
„To use a map as a map, there has to be a map – and there are none in the brain; one has to be able to read the map – but brains lack eyes and cannot read.“ (Maxwell R. Bennett/Peter M. S. Hacker: History of cognitive neuroscience. Chichester 2013:257)
Ebenso die Unterlegung der Befunde mit logiksprachlich formulierten Aussagen. Der Übergang von spezifischen Zellen zu „Prädikaten“ ist willkürlich und baut in das Nervensystem schon die „Sprache“ ein, um deren Rechtfertigung es geht. Die Sprache Geistes wird mit einer unterstellten Sprache der Nervenzellen begründet. Im Gehirn gibt es aus begrifflichen Gründen keine Aussagen über etwas. Aussagen gehören zu einer Sprache, und Sprache ist etwas Gesellschaftliches und historisch-kulturell Gewachsenes.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.07.2024 um 07.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53508
|
Australische Forschende haben festgestellt, daß die Deckenhöhe das Prüfungsergebnis beeinflußt (umgekehrt proportional nämlich). Das könnte natürlich auch damit zusammenhängen, daß die Menschen down under bekanntlich kopfüber am Planeten kleben und in hohen Räumen mehr Angst haben, herunterzufallen. Mal im Ernst: Es ist noch nie vorgekommen, daß eine für erforschenswert gehaltene Korrelation nicht auch wirklich festgestellt wurde. Anders gesagt, jeder vermutete Zusammenhang existiert tatsächlich. Das haben Popper und die anderen Wissenschaftstheoretiker nicht berücksichtigt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.07.2024 um 05.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53507
|
Anekdotisch berichtete Kunsttücke von Tieren sind kein geeigneter Anknüpfungspunkt für „Intelligenzprüfungen“ (Köhler) und für eine Entwicklung, die zum Menschen führt.
Affen mögen gelegentlich und nach langem ziellosen Umgang Kisten aufeinanderstapeln, um an eine Banane zu gelangen. Aber das ist kein systematisch zur Verfügung stehendes Mittel. Sie zentrieren die Kisten auch nicht, vielleicht weil sie keine Gelegenheit haben, den Erfolg des Zentrierens zu erfahren.
Das entscheidende Ereignis im Verhalten des Affen ist nicht die plötzliche Einsicht, die der wohlwollende Beobachter ihm unterstellt, sondern der jahrelange Lernvorgang in der Vorgeschichte, der nicht dokumentiert ist. Paul von Schiller hat das bereits erkannt.
Köhlers Beobachtung wird immer noch zitiert, scheint kaum Replikationen und noch weniger Folgeuntersuchungen gezeitigt zu haben. Die Sprachversuche mit Affen hatten das gleiche Schicksal: außer einer Flut von Überinterpretationen keine tiefere Einsicht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2024 um 04.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53498
|
„The spoken language comprehension ability of the bonobo chimpanzee Kanzi has been shown to match that of a 2½ year-old human child (Savage-Rumbaugh et al., 1993). For instance, Kanzi manifests complete understanding of hundreds of spoken sentences, including structures such as ‘Give the dog and the cereal to Rose’, ‘Take the sparklers to the tea-room’, and ‘Make the (toy) orangutan bite Liz’.“ (Talbot J. Taylor: „The origin of language: why it never happened“. Language sciences 19/1997:67-77, S. 75)
Die allzu wohlwollende Deutung der äffischen Leistungen steht dem Kult um Irene Pepperbergs Papageien Alex nicht nach; die Unterschätzung und grundsätzliche Fehldeutung von kindlicher Sprachbeherrschung kommt hinzu. Das entwertet den ganzen Aufsatz, obwohl dessen Grundidee, daß es nämlich den Sprachursprung im üblichen Sinn nicht gegeben hat, durchaus berechtigt ist. Es ist eben falsch, bei der Rekonstruktion eines Tier-Mensch-Kontinuums von zirzensischen Dressurleistungen auszugehen, hier also dem Vorführen formal ähnlicher, aber artfremder Kunststücke (Pseudokommunikation). Diese Primatologen wissen nicht, was sie tun; inzwischen ist es mit Recht still geworden, weder von Papageien noch von Affen haben wir interessante Mitteilungen bekommen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2024 um 04.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53471
|
Homo sapiens is able to conceptualize mental representations as agents/agens.“ (Miriam N. Haidle: „Building a bridge—an archeologist’s perspective on the evolution of causal cognition“. Frontiers in psychology 2014, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4268908/)
Die „geistigen Repräsentationen“ (auch „Begriffe“ genannt) gibt es nur als Konstrukte der Psychologie, nicht als wirkliche Gegenstände, auf die sich die Tätigkeit des untersuchten Menschen richten könnte. Daß Ideen etwas bewirken, ist folk psychology und kein wissenschaftliches Datum. Haidle stellt eigentlich nur fest, daß der Homo sapiens auch so etwas wie kognitive Archäologie entwickeln kann, wofür sie selbst ein unbestreitbares Beispiel ist.
Der Unfug ist nicht sofort erkennbar, weil sich ein fachsprachlicher Schleier davorschiebt. Was "conceptualize" usw. eigentlich bedeuten, dürfte keiner so recht wissen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2024 um 04.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53465
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53443
Haidle rekonstruiert das Verhalten als Abfolge von Teilhandlungen, die quasi-rational geplant sind, „Problemlösungen“, und sie stellt es als eine Art Verlaufsdiagramme oder Schalttafeln dar, die sie „Kognigramme“ nennt. Aber da intentionale Begriffe darin eingetragen sind, ist das Ganze nicht neuronal interpretierbar und auch nicht auf einem Computer implementierbar. In der Natur gibt es keine „Bedürfnisse“ und keine „Probleme“.
Gekrönt wird das Ganze durch die Ansetzung eines geistigen Handelns mit „notional concepts“, die als Gegenstände („objects“, teilweise in den stets fatalen Anführungszeichen) aufgefaßt werden. Dazu gehören schließlich auch solche hochabstrakten Themen wie „Gerechtigkeit“, „Reinkarnation“ (und überrschenderweise auch „Teufel“, obwohl der Teufel von den Gäubigen in jeder Hinsicht wie eine konkrete Person behandelt wird; für Haidle scheint er jedoch die Besonderheit der Abstrakta zu teilen, daß er nicht wahrnehmbar ist oder vielleicht nicht existiert außer eben als Einbildung. Man denkt an die „Meme“).
Nicht erwogen wird die Möglichkeit, daß die Problemlösung dem Problem vorhergeht. Eine Fertigkeit kann erworben und weitergegeben werden, weil sie sich bewährt hat. Das zu lösende Problem ist niemals aufgetreten und in Angriff genommen worden. So kann ein bestimmtes Verhalten ebenso wie eine bestimmte Schnabelform eher als eine andere zu effizienter Ernährung führen; sie verdrängt die anderen auf dem Weg der Selektion. Strukturell gleichartig können kulturelle Erscheinungen das Fortbestehen der Gruppe begünstigen und sich eben darum durchsetzen, ohne daß die Individuen je eine Einsicht in den Zusammenhang haben müßten.
Anpassung als Problemlösung zu erklären heißt Verhalten als Handlung erklären, also das Gegenteil von Naturalismus. Natur als Schöpfung (Kreationismus), Verhalten als Handlung (Mentalismus) – die strukturelle Gleichheit ist offensichtlich. Soll das der Stand der Forschung sein? Evolution (Darwin) und Konditionierung (Skinner) dagegen.
Haidle bringt das Verhalten eines Schafs, das Gras frißt, in ein Kognigramm: Das Problem und seine Lösung in Handlungsschritten. Gleichartig, aber komplexer dann der Werkzeuggebrauch bei Tieren. Am Anfang steht die Wahrnehmung des Problems (Hunger). Dann folgt die Wahl der Mittel. Das Schaf neigt seinen Hals, dann rupft es Gras usw. Der kognitive Überbau, also die Modellierung des Verhaltens als Handlungsfolge, bringt keinen Erkenntniszuwachs. Die eigentliche Ursache des Verhaltens liegt weit in der Vergangenheit: Anpassung der Art an die Umwelt. Tiere haben sich immer so verhalten müssen, daß die Nahrung möglichst effizient in ihren Verdauungstrakt gelangt. Minderleistung führte zum Aussterben der Linie. Das Schaf löst kein Problem, wenn es weidet. „Es kann gar nicht anders“, könnte man sagen; es ist nicht denkbar, daß ein Schaf bei der Lösung seines Problems (der Beseitigung des Hungers) versagt. Das „Problem“ gibt es nur im Auge des Betrachters.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.07.2024 um 20.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53464
|
„Eine Studie zum Verhalten der Fans von Hertha BSC und des Hamburger Amateurclubs HFC Falke ergab, dass durch das gemeinsame Schauen eines Fußballspiels ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit entsteht. Zuschauer weisen nahezu synchrone Verhaltensweisen auf, was sich beispielsweise im gemeinsamen Jubeln zeigt. Dieses Verhalten schafft eine Form der gegenseitigen Bestätigung. Emotionen beim Fußball sind somit ein Treiber für soziale Prozesse und fördern das Gemeinschaftsgefühl.“ (tagesschau.de)
Hätten Sie das gedacht?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.07.2024 um 11.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53463
|
Reiter sprechen gern von „Hilfen“ statt „Befehlen“, die sie dem Pferd geben. Das Tier scheint keinen größeren Wunsch zu haben, als seinen Freund durch die Gegend zu tragen. Auch wird es eher eingeritten als zugeritten.
|
Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 03.07.2024 um 10.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53462
|
Daß Tiere trächtig werden, gerät in Vergessenheit.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.07.2024 um 08.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53461
|
Alan Grafen und andere haben mit mathematischen Berechnungen, die fast niemand nachvollzieht, nachgewiesen, daß das Zahavische „Handicap-Prinzip“ logisch in Ordnung ist – was natürlich nicht heißt, daß es in der Natur auch verwirklicht wird. Zugrunde liegt stets die Annahme, daß es in der Natur um möglichst geringen Aufwand geht. Nun lesen wir aber:
„In der Fortpflanzungsbiologie der Löwen fällt die ungewöhnlich hohe Zahl von Paarungen auf, die zur Befruchtung der Weibchen notwendig sind: meist wird eine Löwin erst nach mehr als 1000 Paarungen schwanger.“
Wie verträgt sich das? Hat diese schlagende Ineffizienz eine höheren Sinn, der den Aufwand rechtfertigt? Will der Löwenpascha zu verstehen geben: „Seht her, ich bin so stark, daß ich mir 1000 Geschlechtsakte leisten kann!“? Imposanter wäre doch "Jeder Schuß ein Treffer!"
(Weil ich gerade bei den Feliden bin, hier noch ein hübsches Video zur Tragestarre – von der auch ein Derivat als Nackenbiß bei der Kopulation mancher Arten übrig geblieben ist: https://www.youtube.com/watch?v=Y1UGA8fTuRU.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2024 um 05.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53455
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47025
Die Hirnvorgänge sind so grob umrissen und in ihrer Funktion unbestimmt, daß man solche Zuordnungen wertlos nennen muß. Die Kluft zu etwas so Spezifischem wie „Versteckspiel“ (das außerdem nur schwer definiert werden kann und in den referierten Forschungen auch bloß anthropomorph-metaphorisch umschrieben ist) ist einfach zu groß.
Kommen Menschen spontan aufs Versteckspiel, oder lernen sie es – und unter welcher Verstärkung, und welche Rolle spielt es in ihrem Leben? Davon hängt ab, wie man das andressierte Verhalten der Ratten einschätzt. Die Ratten spielen von sich aus nie Verstecken. Topographische Gleichheit beweist nichts. Guck-guck-Spiel ist beim Menschen selbstverstärkend, es braucht keine externe Belohnung. Ob es universal verbreitet ist, weiß ich nicht, jedenfalls hat es beim Menschen, als Teil des erweiterten Brutpflegeverhaltens, eine Funktion. Bei Tieren kommt es spontan nicht vor. Daß man einigen von ihnen ein formal ähnliches Verhalten beibringen kann, besagt gar nichts, eben weil die Funktion fehlt. Das ist wie mit den radfahrenden Bären: ein Kunststück, aber keine zusätzliche Art der Fortbewegung.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.06.2024 um 11.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53452
|
Die metaphorische Rede von Bildern, Repräsentationen u. ä. ist natürlich geeignet, die wahren Ursachen und Hintergründe zu verschleiern und auszusparen.
Andererseits enden die "Bilder" usw. irgendwo, und wenn wir bei Vorstellungen, Ideen, der subjektiven Welt, Geist, Bewußtsein, Gedanken, ... angelangt sind, dann sind das schon keine Metaphern mehr, sondern dann muß man sagen, was man meint. Und genau um diesen heißen Brei wird m. E. zuviel drum herum geredet.
Das hängt wohl mit der fehlenden "Anschlußfähigkeit" zusammen, aber vielleicht ist diese nur noch nicht richtig erkannt. Man kann m. E. nicht einfach alles Mentale zu Konstrukten erklären.
Die subjektive Welt, das Bewußtsein, existiert nicht als selbständige, eigene Welt, aber sie ist immerhin da. Sie ist abhängig. Die objektive (=materielle) Welt hat bestimmte Eigenschaften der Subjektivität.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.06.2024 um 05.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53451
|
"Ideen in meiner subjektiven Welt" – genau! So reden wir, aber was liegt wirklich vor, wenn wir die Metaphern aufzulösen versuchen? Mit der bloßen Wiederholung der gesellschaftlich eingeübten "folkpsychologischen" Redeweise kann ich mich nicht abfinden.
Natürlich nimmt keiner an, die "inneren Bilder" seien wirkliche Bilder wie auf dem Papier, aber eine Auflösung der Metapher in eigentliche Rede wird auch nicht für möglich gehalten. Das kann aber nicht das letzte Wort sein.
Die Rede von der inneren Welt, Subjektivität usw. FUNKTIONIERT, das bezweifelt niemand. Aber sie ist wissenschaftlich nicht "anschlußfähig", wie man heute sagt.
"Nicht wirklich, nur im Geist" usw. – das versteht jeder, auch wenn die Ansetzung einer zweiten, inneren Welt "nicht wörtlich" verstanden wird. Das sind alles Explananda, nicht Explanantia.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.06.2024 um 19.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53450
|
Es ist halt genau die Frage, ob diese "Bilder im Kopf" wirklich wörtlich gemeint und zu vertehen sind. Ich kann mir manche Dinge auch sehr gut vorstellen, z. B. "sehe" ich die Gesichter meiner Großeltern, die schon 50 Jahre tot sind, noch sehr gut vor meinem "inneren Auge", wenn ich mich etwas konzentriere, aber das sind natürlich keine richtigen Bilder, sondern Vorstellungen. Ich weiß, wie sie aussahen, ich erinnere mich an ihre Gesichtszüge, in Gedanken "erscheinen" sie mir regelrecht, aber genauso selbstverständlich haben diese Vorstellungen nichts mit realen Bildern zu tun. Wie sollte das auch überhaupt gehen? Es kann ja gar nicht sein. Darum lese und verstehe ich solche Berichte wie diesen von einem Forschungsinstitut auch nie wörtlich, sondern sage mir, da wird halt von Bildern im Sinne von Vorstellungen gesprochen.
Andererseits kann ich aber auch nicht sagen, diese Vorstellungen seien nichts anderes als Alltagspsychologie ohne wahren Inhalt, Konstrukte, die nicht existieren. Denn ich habe sie ja, d. h. ich denke sie, ich weiß, daß diese Vorstellungen in meinem Kopf vorhanden sind, ich erzeuge sie. Sie existieren zweifellos NICHT in der realen, objektiven Welt, aber sie existieren DOCH als Ideen in meiner subjektiven Welt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.06.2024 um 16.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53449
|
Man muß es wohl beachten, wenn es vom führenden deutschen Forschungsinstitut kommt:
„Erinnern Sie sich an Ihren letzten Sommerurlaub oder die Geburt Ihres Kindes: Was geschieht, wenn Sie Ihre Augen schließen und daran denken? Sehen Sie vielleicht die Sonne über dem Meer oder hören Sie das Rauschen der Wellen? Spüren Sie den kleinen Körper, der in Ihren Armen liegt?
Die Fähigkeit, solche Erlebnisse zu reaktivieren, beruht auf sensorischen Repräsentationen, die von den meisten Personen willentlich erzeugt werden können – selbst dann, wenn kein externer Stimulus vorhanden ist. Die Stärke solcher Repräsentationen variiert zwischen Personen, sodass einige Menschen von sehr lebhaften Bildern im Kopf berichten, während andere Personen angeben, keinerlei sensorisches Vorstellungsvermögen zu besitzen. Dieses Phänomen bezeichnet man als Aphantasie.“
(Aphantasia Research Project (Bonn))
Woher kommen die „sensorischen Repräsentationen“, und was bedeutet der Ausdruck überhaupt? Die hier wörtlich verstandenen „Bilder im Kopf“ scheinen damit zusammenzuhängen, oder sind sie das gleiche? Bilder, Vorstellungsvermögen usw. sind Ausdrücke aus der Alltagspsychologie.
Wenn jemand sagt, er spüre noch den Körper des neugeborenen Kindes in seinen Armen – welchen Sinn hat diese Auskunft, wenn es sich doch so wenig um eine Wahrnehmung handelt wie beim „Sehen“ und „Hören“ des Meeres? Man kann die Erklärung nicht einfach in geheimnisvollen „Repräsentationen“ suchen, ohne den introspektiven Bericht selbst auf seine Natur zu untersuchen.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.06.2024 um 12.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53448
|
Manche Berichte von der sogenannten Imagery- und Aphantasieforschung sind für mich so absurd, daß ich mich Frage, ob man so etwas überhaupt beachten soll. Es klingt ja beinahe, als gäbe es eine Jury, die darüber entscheidet, ob die vorgestellten Bilder der Probanden bestimmte Kriterien erfüllen und wer sich die besten Bilder vorstellt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.06.2024 um 10.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53447
|
Die methodische Sackgasse der Imagery-Forschung läßt sich auch an der Aphantasie-Forschung erkennen. Die erstmals um 1880 von Galton beschrieben Unfähigkeit, sich innere Bilder vorzustellen, wird erst neuerdings stärker beachtet, nicht zuletzt wegen ihrer Nähe zum autistischen Spektrum.
„Picture in your mind: an apple, sitting on a chair. What do you see? If you answered, ‘Nothing,’ you may have aphantasia.“ (https://reframingautism.org.au/understanding-aphantasia-autism/#)
Die Aufforderung an den Probanden setzt schon die Beherrschung des Sprachspiels voraus, zu dem manche nicht (oder nicht im üblichen Umfang) fähig und bereit sind. Der Text fährt fort:
„Aphantasia is a cognitive phenomenon characterised by the inability or difficulty to voluntarily generate visual mental imagery.“
Der Psychologe ist also selbst völlig auf die Alltagspsychologie verpflichtet, die er untersuchen sollte. Es wird nie versucht, das vermeintliche Phänomen objektiv (in Verhaltensbegriffen) zu beschreiben und zu erklären. Wie wir normalerweise die Verständigungstechnik der transgressiven Modellierung eines „Inneren“ erwerben und dann mehr oder weniger perfekt beherrschen, wäre vorab zu untersuchen und nicht in naiver Weise als selbstverständlich vorauszusetzen und mitzuspielen. Die Annahme, daß der Aphantast keine Bilder im Kopf habe, setzt voraus, der Normale habe welche. Aus naturalistischer Sicht geht es nicht darum, ob jemand Bilder im Kopf habe, sondern darum, ob er die Verständigungstechnik der folk psychology beherrscht und warum gegebenenfalls nicht. Die erwähnte Nähe zum Autismus, die sich auch in einem statistischen Zusammenhang niederschlägt, könnte einen Hinweis enthalten: Der Aphantast könnte ähnlich wie der Autist das übliche transgressive Reden über eine mentale Innenwelt nicht hinlänglich beherrschen. Die Abneigung des Autisten gegen Metaphern scheint etwas ähnliches zu sein wie die bekundete, aber nicht wörtlich zu nehmende Unfähigkeit, sich etwas vorzustellen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2024 um 05.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53445
|
„Mithilfe von abgespeicherten Erinnerungen, generieren sie [Frontal-, Parietal-, Temporal- und Okzipitallappen] Bilder in unseren Köpfen. So deutlich, dass wir sie mühelos beschreiben könnten. Warum können das manche Menschen nicht?“ (ZEIT 10.11.15)
Obwohl die Redeweise durch Aufzählung aller vier Lappen der Großhirnrinde einen neurologischen Eindruck macht, ist der weitere Zusammenhang physiologisch nicht ratifizierbare folk psychology. Es gibt im Kopf keine Bilder, und deren vermeintliche Beschreibung muß auch etwas anderes sein.
Kann ich mir meine verstorbenen Eltern vorstellen? Natürlich – aber auch wieder nicht. Die Illusion ist die gleiche wie bei „Ich sehe es genau vor mir“. Der Eindruck der Vertrautheit widerspricht der tatsächlich nachweisbaren Unzulänglichkeit. Von „müheloser Beschreibung“ kann keine Rede sein.
Ähnlich beim Berichten über Träume, aus denen man gerade aufgewacht ist: der Eindruck der Hyperkonkretheit im Gegensatz zur Dürftigkeit der Beschreibung, die wir dann liefern, und oft hat man ein Gefühl für diese Diskrepanz, für die Unzulänglichkeit der Sprache.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2024 um 05.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53444
|
Die Berichte der Aphantasieforscher unterscheiden sich begrifflich kaum von populären Darstellungen in Zeitungen:
„Die meisten Menschen können etwa eine Rose vor ihrem geistigen Auge visualisieren, einige so klar und lebendig wie in einem wirklichen Garten.“ (SZ 26.6.24)
Der gelehrte Ausdruck „visualisieren“ verdeckt etwas die Nähe zur naiven Psychologie der Alltagssprache. Vom bekanntesten „Patienten“ Adam Zemans (der den Begriff „Aphantasie“ prägte) heißt es, plötzlich seien alle Bilder aus seinem Kopf verschwunden gewesen. Das ist kein definierbarer Befund, da es außer den vagen Selbstauskünften des Mannes nichts Greifbares gibt. Im Kopf gibt es keine Bilder, kein inneres Theater oder Kino usw.
Die Behauptung über die klare und lebendige Vorstellung einer Rose ist falsch. Die Probanden können keineswegs sagen, was sie bei wirklicher Wahrnehmung ohne weiteres sagen könnten. Ihr Eindruck, etwas sehr konkret zu erleben, entsteht unabhängig von der wirklichen Ausarbeitung ihrer sogenannten inneren Bilder.
Auch wenn die Aphantasie-Forscher ausdrücklich den metaphorischen Charakter ihrer Beschreibung des Ausgangsphänomens anerkennen, bleiben sie dabei, es für eine objektive Tatsache zu halten. Aber wenn man nicht annähernd sagen kann, was das Kopfkino usw. eigentlich ist, kann man auch sein angebliches Fehlen nicht näher untersuchen. Es bleibt bei den Aussagen der Probanden, und die sind schwer zu interpretieren. Man wird selbst unsicher, wenn man sich fragt, ob man wirklich im Geist Bilder oder Filme sieht, erst recht, wenn man auf die Illusion aufmerksam gemacht worden ist: Man kann z. B. viel weniger Einzelheiten nennen, als man zunächst glaubte, als man etwas „genau vor sich sah“. Es muß eine gewisse Ähnlichkeit oder Analogie zwischen Wahrnehmung und Vorstellung geben, sonst wäre man nicht auf die metaphorische (transgressive) Redeweise gekommen. Es scheint sogar objektive Reaktionen des Körpers (des übrigen Körpers?) darauf zu geben: Puls, Schweiß, Erektion... Das gleicht der Reaktion auf einen von außen herangetragenen Reiz. Daß die vorgestellte Sonne eine Zusammenziehung der Pupille bewirkt genau (oder annähernd) wie die gesehene, wäre als Pawlowsche Konditionierung zu erklären und kein Beweis für das Kopfkino. (Vorgestellte Speisen lösen Speichelfluß aus.) Andererseits kann die Rede von inneren Bildern usw. immer nur bestätigt werden, denn dazu wurde sie ja erfunden. „Vorstellung“ gehört zum Gesamtkomplex des transgressiven Modells „Geist“ und damit zur Verständigung im Alltag, einer kulturell ausgebauten Festung (Erlebnisperspektive, „Qualia“, Phänomenologie...).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.06.2024 um 15.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53443
|
Es gibt eine „kognitive Archäologie“, die auch als „Neuroarchäologie“ betrieben wird. Man untersucht Artefakte aus alter Zeit, besonders von Frühmenschen, um etwas über ihren „Geist“ herauszufinden. Dazu ein Beispiel von einer sehr produktiven Tübinger Autorin:
„The process of transforming a small tree into a hunting gear with the help of different tools depends on causal understanding–that is the development of a functional theory about physical properties of raw materials and tools and the mechanisms that change the status of the target. Besides applying different agents/agens in a chain of effects in order to receive a dietary income, the human being had to control the impulses, inhibit spontaneous reactions, learn individually as well as in social and historical contexts, and plan the activities to gain a delayed profit. The manufacture and use of tools are determined by several cognitive aspects, including different levels of causal reasoning, and are commonly reproduced culturally. As such elements of behavior, tools are well suited to build the bridge to reach into the blackbox of past human cognition. (Miriam N. Haidle: „Building a bridge—an archeologist’s perspective on the evolution of causal cognition“. Front Psychol. 2014, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4268908/)
Man unterlegt den Fertigkeiten eine „Theorie“, auf der sie beruhen sollen. Die nächstliegende Frage ist: Wie kann man das Aufstellen und Anwenden einer Theorie erklären, was doch auch ein Verhalten ist und zwar um so schwerer zu erklären, als es nicht beobachtbar ist.
Haidle gibt eine „logische“ Analyse des Verhaltens als Problemlösen (die auch in Form von Verlaufsdiagrammen dargeboten wird) und projiziert diese Konstruktion in den Geist oder das Gehirn der Untersuchungsobjekte. Verhalten wird als Handlung simuliert: Welche Überlegungen müßte ein Organismus anstellen, wenn sein Verhalten geplant wäre?
Sehen wir uns Haidles Analyse des Werkzeuggebrauchs an. Sie bezeichnet das Werkzeug, das Menschen und Tiere benutzen, als „agens“ bzw. „agent“:
„The subject operates the tool as causal agens with the implicit intention that it causes an effect. Although it is the subject that initiates and controls the action of the tool, it is the tool and its specific qualities that produce a change in form, position, or condition of the target; therefore, and in this context, the tool is regarded as an agent with active potential.“
Das sind Wortspiele, die den Vorgang verdunkeln.
„A chimpanzee opens a nut with a hammerstone: the animal handles an agens that she selected from the environment and that possesses qualities making it more capable than herself to solve her problem.“
Was heißt hier „than herself“? (Versuchstiere sind natürlich weiblich.) Als seine bloßen Hände? Der Stein wird gehandhabt, und das ist die Geschicklichkeit des Benutzers, nicht die Fähigkeit des Steins. Mit einem Agens müßte das Tier und ebenso der Mensch kommunizieren, damit er tut, was von ihm gewünscht wird. Werkzeuge sind per definitionem Gegenstände, die man handhabt, keine Personen, mit denen man gesellschaftlichen Verkehr hat, und daher keine Agenten. „to operate an agent“ ist ein Selbstwiderspruch, weil die Agentivität gerade die Selbsttätigkeit hervorhebt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.06.2024 um 05.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53433
|
„sich mit jdm. identifizieren“ – in der Alltagssprache und in der bilderreichen Psychoanalyse hat man mit solchen Ausdrücken keine Schwierigkeiten, aber eine Verhaltensanalyse kann damit nichts anfangen. Mit bildgebenden Verfahren wird man sicher Hirnregionen entdecken, die dafür zuständig sind, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Ich muß gerade daran denken, weil die Fußballfans sich bekanntlich mit ihren Idolen oder zur Zeit eher mit ihren Nationalmannschaften „identifizieren“. Was geschieht wirklich? (Das gleiche bei „Perspektivübernahme“, „Hineinverstzen“ usw.) Es ist noch ein weiter Weg zur wissenschaftlichen Psychologie. Er führt nicht über den Ausbau der Wald-und-Wiesen-Psychologie (folk psychology).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.06.2024 um 04.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53391
|
Schon mal zitiert:
„Ein Erwachsener kennt im Schnitt rund 40.000 Wörter. Diese sind in unserem Gedächtnis, in einem individuellen, mentalen Lexikon hinterlegt und miteinander verknüpft. Bildlich kann man sich das auch wie eine Bibliothek im Gehirn vorstellen.“
Ich will diesen Unsinn nicht umfassend kommentieren, sondern nur auf einen Punkt hinweisen. Große Teile des „Wortschatzes“ kennen wir zwar, aber nicht genau. Soll man sich die „hinterlegten“ Wörter als verschwommene Einträge vorstellen? Wie weit trägt die Metapher vom Lexikon und der Bibliothek, und was wäre denn die nicht-bildliche Auffassung? Es gibt kein Lexikon im Gehirn, aber man kann es lokalisieren. Das ist der beklagenswerte Stand der Forschung. (Die Meldung kam vom Max Planck Institut.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.06.2024 um 15.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53381
|
Jede Mode bringt gleich ihre Kultgemeinde hervor.
Es gibt eine "International Imagery Association" mit der Zeitschrift "Journal of Mental Imagery". Ähnlich missionarisch die "American Association for the Study of Mental Imagery" mit der Zeitschrift "Imagination, Cognition and Personality" usw.
Und es gibt nicht nur die schönen Bilder im Geist, sondern auch Bilder des Geistes:
Michael I. Posner/Marcus E. Raichle: Bilder des Geistes: Hirnforscher auf den Spuren des Denkens. Heidelberg 1996
Darin geht es um Hirnscans, die bekanntlich das Gehirn abbilden und nicht den Geist. Das ganze Buch zeigt die begriffliche Verwirrung in krasser Weise. Aber schöne Bilder, auch zur mentalen Rotation, die für bare Münze genommen wird. Erster Satz: „Wie erzeugt das menschliche Gehirn mentales Erleben?“
Gar nicht, die Frage ist sinnlos.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.06.2024 um 14.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53380
|
Das eine ist die Vorstellung (Idee, Gedanke, Bild, Information) von einem sich drehenden Gegenstand, das andere ist die Frage, ob dabei tatsächlich irgendetwas Bildhaftes vorhanden ist und ob sich irgendetwas dreht.
Während ich die Vorstellung, das ideelle Bild, des Gegenstandes und der Drehung durchaus für möglich und gegeben halte, wäre irgendein reales, gegenständliches Bild oder eine Drehung irgendwelcher Materie im Gehirn natürlich völliger Unsinn. Es dreht sich nichts und es fließen auch keine Elektronen o. ä. im Kreis oder auf irgendeiner geschlossenen Bahn durchs Hirn, aber die Vorstellung der Drehung ist sehr wohl da.
Bei der Rede von bildlicher bzw. propositionaler Speicherung geht es letztlich um den Versuch, eine Art Ordnung oder Struktur in die Gedankenwelt sowie die Wissens- bzw. Informationsspeicherung im Gehirn zu bringen. Das ist m. E. alles rein spekulativ. Es ist natürlich auch obsolet, wenn man Theorien zum Bewußtsein sowie zur Information und Speicherung im Gehirn sowieso ablehnt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.06.2024 um 07.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53379
|
Forscher haben festgestellt, daß Redner bei höheren Temperaturen kürzere Sätze bilden. (Pressemeldung 17.6.24) Das ist nichts Neues. In heißen Gegenden sagen sie „tumba ba umf“ und solche Sachen, und dann wundern sie sich, daß sie im kühlen Deutschland damit nicht weit kommen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.06.2024 um 05.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53375
|
Gegen Redensarten habe ich natürlich nichts einzuwenden. Hier geht es aber um Kernbestandteile einer weltweiten Theoriebildung, der sog. "Imagery"-Debatte. Dazu gehört ein Teil, den man als "bildliche vs. propositionale Speicherung" kennzeichnet. Ihre harmlose Deutung ist darauf nicht anwendbar.
Meine Zitate und Kommentare dazu sind hier weit verstreut. Ich füge noch etwas aus der Neurologie hinzu:
„Die Versuchspersonen mussten ein geistiges Bild oder eine Repräsentation eines dreidimensionalen Objekts erstellen und dieses dann vor ihrem ‚geistigen Auge‘ drehen, um festzustellen, ob es mit einem anderen Objekt übereinstimmt. (Richard Thompson: Das Gehirn. Heidelberg u. a. 2001:472)
Es fehlt jeder Hinweis, daß es sich hier nur um ein "Als-ob" handelt. Man muß es wörtlich nehmen, auch wenn es keinen Sinn hat.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.06.2024 um 20.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53374
|
Was "Repräsentationen" u. ä. betrifft, bin ich der gleichen Meinung, da wird oft zu dick aufgetragen, das ist irreführend. Aber den einfachen Ausdruck "Bild" würde ich nicht zu hoch bewerten.
Wenn der Bundeskanzler in ein Hochwassergebiet fährt, dann heißt es, er will sich ein Bild von der Lage machen. Was ist damit gemeint? Nicht, daß er mit Staffelei und Pinsel oder mit Fotoapparat anreist, sondern er will mit eigenen Augen sehen, Daten sammeln, mit Betroffenen sprechen, er will sich ganz authentisch informieren. Dann hat er ein gutes inneres "Bild", d. h. er weiß Bescheid.
Genauso verstehe ich die Rede vom "Bild von der Welt", das wir uns mit Hilfe der Sinnesorgane "konstruieren". Hinter der Metapher vom Bild im Gehirn steht m. E. einfach Information (Wissen, Daten) zu einem bestimmten Thema.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2024 um 10.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53373
|
Metaphern müssen irgendwann eingelöst werden, sonst sind sie irreführend und wertlos. Die Theorie der inneren Bilder oder Repräsentationen wird aber stets mit großem Pomp eingeführt und niemals von ihrem angeblich metaphorischen Charakter befreit.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.06.2024 um 08.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53372
|
Andere sagen, mit Hilfe der Sinnesorgane entdecken und erkennen wir die Welt. Ich denke, man darf das mit dem "Bild" hier nicht zu wörtlich nehmen, so ist es ja auch nicht gemeint, sondern als Metapher.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2024 um 04.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53371
|
Beim Geigenspielen sollen „Bogenführung und Fingerbewegungen die innere Repräsentation eines Musikstücks präzise umsetzen“. (Spektrum: Gehirn und Bewußtsein. Heidelberg u. a. 1994:66) Weder die Repräsentation noch die Umsetzung lassen sich neurologisch interpretieren, geschweige denn der Zusatz „präzise“. Manche Musiker spielen fehlerfrei, aber wir wissen nicht, wie es zugeht. Ebenso leer:
„Aus den Signalen, die von den Sinnesorganen kommen, konstruiert unser Gehirn ein Bild von der Welt, bis hin zu einem ganzen Weltbild.“ (Gerhard Vollmer in: Ernst Peter Fischer/Klaus Weigandt, Hg.: Evolution. Geschichte und Zukunft des Lebens. Frankfurt 2003:277)
Neurosophischer Unsinn, sehr weit verbreitet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2024 um 05.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53368
|
„Jedoch muß auch die Minderheit hemmender Neuronen im Cortex ihren Sinn haben. Und in der Tat, wenn Lernen durch Zusammenschalten von Neuronen geschieht, so ist schwer vorstellbar, wie Begriffe erlernt werden können, die negative Bestandteile haben (eine Glatze ist ein Kopf ohne Haar, ein Kneifer ist eine Brille ohne Bügel)...“ (Valentin Braitenberg/Almut Schüz in Spektrum: Gehirn und Kognition. Heidelberg u. a. 1992:192)
Die Beispiele sind für eine neurologische Betrachtung viel „zu hoch“. Was sind „Begriffe“? Auch ist die Logik der Argumentation nicht klar: Sollten die Verfasser meinen, daß das Merkmal „ohne Haar“ durch hemmende Neuronen erfaßt wird, nachdem die erregenden zu „Kopf“ geführt haben? Muß bei der Suche nach einem Kneifer das Merkmal „Bügel“ durch hemmende (warum nicht durch erregende?) Nerven unterdrückt werden.
Die Unterscheidung von erregenden und hemmenden Nerven bzw. Synapsen hat nichts mit der Unterscheidung von Agonisten und Antagonisten unter den Muskeln zu tun und dies wiederum nichts mit dem Unterschied von bejahenden und verneinenden Ausdrücken im Sprachverhalten. Eine Negation auszudrücken ist ein „positives“, durch Nervenerregung zustande gekommenes Sprachverhalten wie jedes andere und nicht etwa ein durch Unterdrückung zustande gekommenes Nichtverhalten.
Bruno Preilowski hebt hervor, daß die Alles-oder-Nichts-Signale der einzelnen Zellen oder gar Synapsen sich nicht als grundlegende Verhaltenselemente eignen („Funktionelle Anatomie des Nervensystems“. In: Hans J. Markowitsch, Hg.: Grundlagen der Neuropsychologie. Göttingen u. a. 1996:103-180) S. 110).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2024 um 19.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53335
|
Aufgrund von Experimenten kommt Meltzoff zu der Schlußfolgerung, daß schon Kinder nicht immer die bloße Form eines beobachteten Verhaltens nachahmen, sondern die Intention dahinter verstehen, also über eine Art Psychologie oder theory of mind des Modells verfügen.
„The raw fact that infants can make sense of a person’s failed attempt indicates that they have begun to distinguish surface behavior (what people actually do) from another deeper level. They now imitate what the adult meant to do versus what he actually did do. This differentiation is fundamental to our theory of mind and underwrites some of our most cherished human traits. Such a distinction is necessary for fluid linguistic communication, which requires distinguishing what was said from what was intended (Bruner, 1999; Grice, 1969). It is the basis for our judgments of morality, responsibility, and culpability, which require distinguishing intentions from actual outcomes.“ (Andrew N. Meltzoff in Ders./Wolfgang Prinz, Hg.: The imitative mind: development, evolution and brain bases. Cambridge 2012:33)
Meltzoff berücksichtigt nicht, daß die Kinder darum nicht zu sehr überimitieren, weil sie anderweitig schon die funktionalen Zusammenhänge gelernt haben. Sie beherrschen die Fertigkeit, etwas zu öffnen, zu verpacken, aufzuräumen usw. Sie folgen dabei der gleichen Sachlogik wie der Erwachsene, der ihnen etwas vormacht, und lassen Irrelevantes weg. Schon höhere Tiere sind imstande, Versehen und Versagen zu „übersehen“. (S. "Überimitation")
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2024 um 04.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53324
|
In der eher erbaulichen als wissenschaftlichen Literatur wird darauf bestanden, daß die "Schönheit" der Schmetterlinge oder des Pfauenrades weit über das biologisch Notwendige hinausgehe. Hediger steht Adolf Portmann nahe, spottet über Urknall-Theorie und Evolution und hält sich lieber an den Anfang des Johannes-Evangeliums. Auch findet er (wie der ausdrücklich erwähnte Konrad Lorenz, mit dem er aber nicht immer übereinstimmt) die Schichtenlehre Nicolais Hartmanns plausibel.
Die durchaus interessanten Beobachtungen werden durch solche missionarischen Züge leider stark beeinträchtigt. Dawkins, dessen seinerzeit erschienenes erstes Buch Hediger bekämpfen zu müssen meint, schreibt wesentlich sachlicher.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2024 um 04.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53322
|
Der langjährige Zoodirektor Heini Hediger nimmt bei Tieren „Vorformen des menschlichen Bewußtseins“ an, nämlich ein „Wissen
- vom eigenen Körper (Dimension, auch seine Anhänge),
- vom eigenen Schatten,
- vom individuellen Eigennamen,
- vom eigenen Duft,
- von der eigenen sozialen Stellung,
- vom eigenen Spiegelbild,
- von der Übereinstimmung der eigenen Erscheinung mit der Umgebung (mimetische Ähnlichkeit),
- vom eigenen Heim (im Sinne der Körperumhüllung)“ (Tiere verstehen. München 1980:52f.)
Ob man der Verhaltensbeobachtung ein Bewußtsein oder Wissen hinzufügt oder nicht, ändert in der Sache nichts. Es ist keine Tatsachenfrage, wie Hediger und viele andere annehmen, sondern eine philosophische, sprachkritische. Über den Honiganzeiger z. B. sagt er abschließend: „Man kann sich schwerlich vorstellen, daß der Vogel sich seines Vorgehens in keiner Weise bewußt ist.“ (50) Das ist menschlich nachvollziehbar, aber es ist nicht Zoologie; auch hängt die artgerechte Tierhaltung, um die sich Hediger verdient gemacht hat, nicht davon ab, wie weit wir die Tiere vermenschlichen.
Was die Eigennamen betrifft, so versteht Hediger darunter die individuellen Merkmale, an denen Tiere einander erkennen: visuell, olfaktorisch, akustisch usw.; er vergleicht sie mit unseren Fingerabdrücken.
Das hat offenbar mit Namen (also Wörtern einer Sprache) nichts zu tun. Schon daß wir einander nicht am Namen erkennen, hebt die Analogie auf. Die Sprachversuche mit Washoe beurteilt Hediger nach eigener Beobachtung wohlwollend-kritisch, schließt aber das Kluge-Hans-Phänomen nicht aus, wie er denn durchweg vor einer Unterschätzung der von uns auch unbewußt gegebenen, von den Tieren aber wahrgenommenen Zeichen warnt (33). Dies ist sehr berechtigt, wie die neuere Forschung immer wieder bestätigt. Es war übrigens einer der Gründe für die Versuchsanordnungen der von Hediger so kritisch gesehenen Behavioristen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.06.2024 um 08.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53313
|
Amerikanische Psychologen haben festgestellt, daß Studierende in einer kryptischen Buchstabenfolge eher ein Bildegesetz erkennen, wenn sie zuvor Kafkas „Ein Landarzt“ gelesen haben (Juni 2024). Das Experiment wird wahrscheinlich nie repliziert werden, und so dürfte das Ergebnis einige Zeit in der Literatur weitergegeben werden, als Beitrag zum Kafka-Jahr. Ich brauche die naheliegenden Fragen hier nicht zu stellen, wir heften das Ganze ab, wo es hingehört.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.06.2024 um 08.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53312
|
In einem seinerzeit weit verbreiteten Lehrbuch heißt es:
„Die etwa durch X-bar Schema, Kasustheorie oder Theta-Kriterium spezifizierten Eigenschaften müssen nicht gelernt werden, sondern sind Teil der genetisch determinierten mentalen Ausstattung des Kindes und schränken somit die Zahl und Art der Hypothesen ein, die ein Kind angesichts einer bestimmten Datenlage aufstellen wird.“ (Gisbert Fanselow/Sascha W. Felix: Sprachtheorie. Grundlagen und Zielsetzungen. Bd. 2, Tübingen 1987:91)
Die Verfasser scheinen sich mit der Genetik auf das Gebiet der Biologie zu begeben, aber das Mentale, also der Geist, ist kein biologischer Begriff und ist nicht Gegenstand der Evolutionslehre. Wie könnte er mit Genetik in Verbindung gebracht werden?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2024 um 04.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53299
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45762
Der gleiche methodische Fehler findet sich in vielen Standardtexten zur Imagery-Debatte. Stephen Kosslyns Versuchspersonen wurden „instructed to ‘see’ the named object“; andere Autoren „asked the subject to form an image“ usw. (nach dem Bericht von Ned Block in William Lycan, Hg.: Mind and cognition. Cambridge, Mass. 1990:581). Die Ergebnisse werden als Beweis der mentalen Bilder gewertet, die man in die Aufgabe hineingesteckt hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.05.2024 um 05.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53274
|
Zur Experimentellen Archäologie (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44664):
Es gibt sogar internationale Treffen, bei denen die experimentellen Archäologen wetteifern, wer die schönsten Faustkeile, Klingen und Äxte herstellen kann. Das hat sicher seinen Wert, aber man darf nicht verkennen, daß unsere Vorfahren bei topographisch gleichem Verhalten (dem Steinschlagen mit anderen Steinen oder Hirschgeweihen usw.) etwas völlig anderes taten. Während wir gleichsam „von oben“, aus einer technisch unendlich fortgeschritteneren Welt, in die Welt der Primitiven zurückkehren, sahen jene sich an der vordersten Front des technischen Fortschritts. Es sei auch daran erinnert, daß z. B. mit dem Entzünden des Feuers die Deutung verbunden sein kann, das Feuer bzw. der Feuergott wohne im Holz und werde hervorgequirlt. Beim Löschen geht das Feuer ins Wasser ein und ist folglich in ihm enthalten. (Zu weiteren Beziehungen s. Hermann Oldenberg: Die Religion des Veda. 2. Aufl. Stuttgart, Berlin 1917.) Handwerkliche Fertigkeiten können also für verschiedene Menschen verschiedene Bedeutung haben, auch wenn sie einander formal gleichen.
Wir wissen nicht, was sich die frühen Handwerker beim Steinschlagen dachten und wie sie ihr kostbares Können an ihre Kinder weitergaben. Die vedischen Texte sind viel jünger und zeigen trotzdem schon, wie verschieden das scheinbar Gleiche sein kann.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.05.2024 um 04.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53265
|
Aus Wunderberichten wissen wir, wie suggestibel der Mensch ist und wie wenig Beweiskraft anekdotische (einmalige) Beobachtungen haben. Von dieser Art sind viele angebliche Beobachtungen an Tieren, besonders in freier Wildbahn. In Pressemeldungen werden daraus Sensationen. Regelmäßig läuft es darauf hinaus, daß Tiere intelligenter (oder „uns ähnlicher“) sind als gedacht. Die Psychologen machen gern mit, sind oft sogar treibende Kraft.
Der zweite Fehler ist der „Planimeter-Trugschluß“: Wenn Wüstenameisen ihren Weg finden, müssen sie eine Art Integralrechnung angewandt haben usw. Oder näherliegend: Unsere Kinder müssen grammatische Regeln anwenden, um grammatisch korrekt zu sprechen.<
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2024 um 04.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53241
|
Die Welt ist voll "einklassiger" Zeichen, so die gesamte Kommunikation zwischen Lebewesen (nicht aber die DNS, bemerkenswerterweise), und auch wir Menschen geben und empfangen solche Zeichen, z. B. in der Mimik.
Niemand weiß, wie es zur "doppelten Gliederung" gekommen ist, und ich sehe keinen Sinn darin, immer weiter über den Ursprung der Sprache zu spekulieren. Aber man kann sich vorstellen, daß Laute mit einer gewissen musikalischen Kontur und einem gewissen Rhythmus das Ausgangsmaterial waren. Oder vielleicht war es die Gliederung in Zeiggeste und Lautgebung?
Skinner erklärt, warum er "verbal behavior" statt "language" sagt – eben um die Probleme zu vermeiden, die Sie artikulieren. Lächeln oder Schreien sind in diesem Sinne Sprachverhalten. Man könnte auch "Kommunikation" sagen oder "Zeichenverkehr". Das Wesentliche ist die empfangsseitige Semantisierung, nicht die Zweigliedrigkeit (Kombinatorik).
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.05.2024 um 19.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53240
|
Wenn eine Sprache weder Sätze noch Wörter kennt, was bleibt dann eigentlich noch übrig? Irgendwelche Signallaute oder Schreie kann man wohl noch nicht Sprache nennen.
Die Sprache muß ja einmal mit einem Einwortsatz (oder einem Satzwort) begonnen haben, wie sonst? Der Ausdruck "Ein-Wort-Sprache" erscheint mir daher für eine frühe Sprachform recht logisch. Ist denn eine Differenzierung in Sätze und Wörter sinnvoll, solange beide sich noch gar nicht unterscheiden?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.05.2024 um 17.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53239
|
Weil Satz und Wort korrelative Begriffe sind: Wörter sind austauschbare, verschiebbare Bestandteile, in die ein Satz zerlegt werden kann – das ist die "erste Gliederung" (die Zerlegung der Wörter in Phoneme ist die zweite). – Alles stark vereinfacht natürlich.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.05.2024 um 13.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53238
|
Warum kann eine Sprache, die noch keine Sätze kennt, auch noch keine Wörter haben?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.05.2024 um 09.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53237
|
„The earliest language of our ancestors would presumably have resembled that of children in many respects, and Jackendoff and Wittenberg (2014: 68-72) sketch out a plausible model for the early stages of language, which like that of children would have begun as a one-word ‘grammar’.“ (Christopher Hallpike: Ship of fools. Kouvala 1998:132) Das ist eine verbreitete Ansicht, aber sie kann allenfalls ein Körnchen Wahrscheinlichkeit beanspruchen. Sie stimmt auch nicht zur Rolle von Gebärden, Musik usw. bei der Sprachentstehung, wie Hallpike sie ebenfalls bedeutsam findet. Kinder befinden sich in einer ganz anderen Lage als Frühmenschen. Sie sind auf dem Weg zu einer voll ausgebauten Sprache, von der sie sich die auffälligsten und nützlichsten Teile nach und nach aneignen. Eine frühe Form der Sprache, die noch keine Sätze, also keine „erste Gliederung“ kennt, hat auch noch keine Wörter und ist mit „Ein-Wort-Sprache“ unzutreffend gekennzeichnet. Ob der „pragmatische“ Modus der Kindersprache, also der „holistische“ Gebrauch der bereits übernommenen, perzeptuell hervorgehobenen Teile, mit dem oberflächlich ähnlichen von hypothetischen Frühmenschen vergleichbar ist, steht dahin. Mit den holistischen Signalen, die Tiere befolgen, ist er sicher nicht vergleichbar. Man darf natürlich nie vergessen, daß die angenommene ungegliederte Ursprache nur eine moderne Phantasievorstellung ist und keinerlei Grundlage in den ethnographischen Daten hat.
Von der Ein-Wort-Sprache soll es zur Zwei-Wort-Sprache gehen und damit zur Kombinatorik, die dann auch Rekursion möglich macht, deren Bedeutung Hallpike nicht bezweifelt.
Hallpike nimmt an, daß eine komplexer werdende Gesellschaft eine komplexer werdende Sprache braucht und entwickelt. Komplexität gilt, wie in einem großen Teil der Literatur üblich, als Qualitätsmerkmal und Zeichen des Fortschritts. Aber wenn die fortschreitende Zivilisation auf Arbeitsteilung beruht, ist der „Ausbau“ der Sprache in Sonder- und Fachsprachen zu erwarten, und das nicht das gleiche wie zunehmende sprachliche Komplexität.
Zum Schluß hebt Hallpike die Bedeutung der Schriftlichkeit hervor, die viel komplexere Strukturen ermöglichte als die mündliche Rede.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.05.2024 um 20.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53221
|
Keine anatomische oder physiologische Untersuchung kann so etwas wie Verlegenheit oder Scham feststellen. Es sind entgegen der sprachlich nahegelegten phänomenologischen Auffassung keine Zustände, sondern gesellschaftliche Deutungen typischer Episoden oder Geschichten.
Mit bildgebenden Verfahren könnte man zweifellos den Zustand der Scham hirnphysiologisch sichtbar machen, obwohl es ihn aus begrifflichen Gründen nicht geben kann. Für alles, was man eingibt, läßt sich ein Ort im Gehirn finden. Das ist das stärkste Argument gegen die Verfahren. (Man denke an die lächerliche Hirnkarte mit 10.000 Worteinträgen.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.05.2024 um 06.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53210
|
In der Psychologie zeigt sich immer wieder, daß die statistische Auswertung von Versuchen mit einer großen Zahl von Probanden trotz allem mathematischen Aufwand nicht unbedingt zu sinnvollen Ergebnissen führt. Wenn etwa herauskommt, daß 67 % aller Fische einer bestimmten Art über „Selbstbewußtsein“ verfügen (weil sie den Spiegeltest bestehen), ist das der gleiche Unsinn, den man schon vor jeder Untersuchung hätte behaupten können. (Übrigens hat Gallup selbst, der Erfinder des Spiegeltests, die Deutung der Versuche mit Putzerfischen kritisiert.) Skinner hat oft dargelegt, warum er lieber eine einzige Taube gründlich untersucht als die Ergebnisse von vielen Tauben zu mitteln. Beides hat seinen Wert, aber der begriffliche Rahmen muß stimmen. Der Grundfehler des Mentalismus wird durch exakte Statistik nicht behoben, sondern eher verschlimmert. Berechnungen, denen nicht jeder folgen kann, haben etwas Einschüchterndes, ähnlich den synthetischen bunten Bildern von Hirnscans.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.05.2024 um 05.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53203
|
Als Beispiel einer solchen begrifflichen Analyse, die naiverweise mit einer Zerlegung in reale Ereignisse verwechselt wird, s. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50493
Das ist krasser Unsinn, genannt "kognitive Psychologie".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.05.2024 um 05.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53202
|
Auf der anderen Seite nimmt man ja an, daß die Entstehung von Selbstbewußtsein die größte Revolution in der Stammesgeschichte des Menschen war und durchaus keine unwesentliche Zutat ohne Verhaltensrelevanz. Und nun soll es auf einmal keinen Unterschied machen, ob ein Affe den Spiegeltest besteht oder nicht?
Zu Skinners Nachweis: Dagegen ist eingewandt worden, gleiches Verhalten lasse nicht auf gleiche „kognitive Prozesse“ schließen (Donald A. Riley/Michael F. Brown/Sonja I. Yoerg: „Understanding animal cognition“. In Terry J. Knapp/Lynne C. Robertson, Hg.: Approaches to cognition: contrasts and controversies. Hillsdale, London 1986:111-136, S. 125f.) – eine petitio principii, denn sie behauptet einfach noch einmal, was der Behaviorist bestreitet.
Der Sammelband ist übrigens sehr nützlich. Zur Verwechslung von logischen bzw. informationstheoretischen Analysen eines Problems (wie Andersons "box and arrows"-Modell) mit psychologischen Erklärungen Roger Schnaitter: „A coordination of differences: behaviorism, mentalism, and the foundations of psychology“. Außerdem von Skinner selbst der späte Aufsatz: "Why I am not a cognitive psychologist".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.05.2024 um 15.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53199
|
Man fragt, ob Tiere ein Selbstbewußtsein haben, und setzt dabei stillschweigend voraus, daß wir Menschen eins haben und daß wir wissen, was damit gemeint ist. Der Spiegeltest soll entscheiden. Es geht im Standardfall darum, ob ein Lebewesen einen Farbfleck, den man unbemerkt an seinem Körper angebracht hat und den es nur im Spiegel sehen kann, zu berühren oder zu entfernen versucht. Es müßte sich im Spiegel also selbst erkennen. Welche Tiere den Test bestehen, ist stark umstritten: Schimpansen, Orangs, Elefanten, Delphine werden genannt, aber auch Elstern, sogar einige Fische, Ameisen... Bei Gorillas und Gibbons wird es bestritten, aber hier gehen die Meinungen sehr auseinander. Berichte sind oft anekdotisch, Versuche schwer replizierbar.
Zu den Einwänden zählt (neben der Undefinierbarkeit von Begriffen wie „Selbstbewußtsein“ usw.):
Alle höheren Tiere, die im Spiegel überhaupt etwas erkennen (anders als Ameisen usw.), hören irgendwann auf, ihr Spiegelbild mit einem Verhalten zu traktieren, das sie gegenüber Artgenossen zeigen. Der Grund könnte ein: Das Spiegelbild reagiert in systematischer Weise anders als ein Artgenosse, nämlich identisch und nicht komplementär. Dies wird gelernt und führt zu einer Neutralisierung des vermeintlich „anderen“. (Leicht beobachtbar bei Hunden vor dem Spiegel; Hunde sollen andererseits beim Spiegeltest versagen.)
Nicht alle Tiere haben die gleiche Tendenz, „Flecken“ von ihrem Körper zu entfernen oder auch nur als etwas Bemerkenswertes wahrzunehmen. Nicht einmal alle kleinen Kinder interessieren sich dafür.
Zwischen den Individuen einer Art gibt es große Unterschiede (bei Schimpansen besteht nur jeder zweite den Test). Soll man annehmen, daß einige über ein Ich-Bewußtsein verfügen und andere nicht, bei sonst gleichem Verhalten?
Auch zwischen den Arten von Affen z. B. müßte es doch größere Verhaltensunterschiede geben, wenn einige Selbstbewußtsein haben und andere nicht. (Oder die Zuschreibung von Selbstbewußtsein ist eine unwesentliche Klausel.)
Oft heißt es, die Versuchstiere hätten „vermutlich“ noch nie zuvor einen Spiegel gesehen. Aber gerade bei Zootieren ist es sehr unwahrscheinlich, daß sie noch nie mit spiegelnden Oberflächen Bekanntschaft gemacht haben.
Skinner und Mitarbeiter konnten zeigen, daß Tauben, die den Test normalerweise nicht bestehen, durch Konditionierung unter kontrollierten Bedingungen dennoch dazu befähigt werden können. Dieser Befund ist interessant, weil er den Bick auf die gewöhnlich vernachlässigte Lerngeschichte lenkt: Es müßte ausgeschlossen werden, daß die Versuchstiere schon Erfahrungen mit Manipulationen am eigenen Körper unter visueller Steuerung durch spiegelnde Flächen haben. Tauben haben wohl zu wenig Gelegenheit zu solchem Lernen, und das führt zum Nichtbestehen des Spiegeltests unter Standardbedingungen.
(Ich hatte hier schon viel zum Spiegeltest eingetragen, komme aber noch einmal darauf zurück, weil er zeigt, daß Verstehen IMMER "Fremdverstehen" ist. Wenn ich mich im Spiegel selbst sehe, gibt es nichts zu verstehen. Es ist eben mein eigenes Verhalten, und das sagt mir nichts – wie es dem Hund nichts sagt, wenn der vermeintlich "andere" sich identisch und nicht komlplementär verhält.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.05.2024 um 07.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53194
|
Die Fähigkeit zu Takt, Rhythmus, Tanz, Musik scheint den Menschen auszuzeichnen und kann gar nicht hoch genug geschätzt werden, auch im Hinblick auf Sprache. Ansätze bei TIeren haben vermutlich nichts damit zu tun.
In unserem Körper scheint es ja viele Taktgeber und "Uhren" zu geben, und daß manche auf eine nicht ganz durchsichtige Weise durch äußere Reize beeinflußt werden, ist wohl sicher. Wenn zeichenhafte Vermittlung im Spiel ist, wird der Zusammenhang natürlich unübersichtlich. Also etwa "Herzklopfen" bei bestimmten Erzählungen usw., oder umgekehrt Tiefenentspannung durch Suggestion (Hypnose, Joga, Autogenes Training...) Das grenzt an ein Wunder, bis man die Konditionierungsgeschichte heranzieht.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.05.2024 um 22.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53193
|
Ja, ich hätte hier gar nichts Psychisches erwähnen brauchen, ich wollte nur auf den Unterschied in der Energieübertragung hinaus. Beim Doppelpendel schiebt eins das andere regelrecht an, aber das Ticken der Uhr oder die Musik reichen energetisch nicht, den Blutkreislauf anzupassen, bzw. selbst wenn es bei hoher Lautstärke reichen würde, wird es nicht so genutzt. Es findet im Körper ein komplett eigener Prozeß statt, der sich evtl. nur an dem Signal ausrichtet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.05.2024 um 19.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53192
|
Natürlich habe ich mehr an eine Analogie gedacht, aber bei der Entgegensetzung von physisch und psychisch kann ich Ihnen nicht folgen.
Die Uhr und mein Herz sind nicht mechanisch verbunden, sondern über das Ohr, und im Hirn geht es dann physiologisch weiter. Alles physisch, was denn sonst?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.05.2024 um 16.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53191
|
Sie sprechen offenbar von einem Doppelpendel, bei dem zwei nahezu gleiche einfache Pendel an zwei verschiedenen Stellen eines gemeinsamen festen Rahmens aufgehängt sind. (Daneben gibt es noch das Doppelpendel, bei dem das zweite Pendel am Ende des ersten Pendels aufgehängt ist.)
Bei diesem Pendel erfolgt die Energieübertragung rein physikalisch durch die mechanischen Schwingungen im (relativ) festen Rahmen.
Bei der Wirkung von Musik oder gar eines nur unbewußt wahrgenommenen Tickens kann man eine mechanische bzw. physikalische Energieübertragung auf den menschlichen Körper, die dann z. B. den Puls abbremst, wohl ausschließen. Hier können m. E. nur psychische Vorgänge eine Rolle spielen. So kann evtl. ein Mensch sich beruhigen und dadurch sich mit eigener Energie der Puls verlangsamen. Evtl. ist so auch eine Synchronisation denkbar.
Meiner Ansicht nach dürften das völlig voneinander verschiedene Vorgänge sein, auf der einen Seite eine rein physikalische Kopplung, auf der andern Seite der Weg über die Psyche.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.05.2024 um 06.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53189
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#38381
Ob das Ticken einer Uhr einen Einfluß auf unseren Körper hat, wie ein Schrittmacher? Ich denke auch an die raffinierte Abstimmung von Rockmusik auf die Pulsfrequenz. Gerade wenn man sich an das Ticken so gewöhnt hat, daß man es nicht mehr bewußt wahrnimmt, könnte es einen synchronisierenden Effekt haben.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.05.2024 um 07.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53180
|
Ob die Laute, deren Erzeugung man Elefanten beibringt, dem koreanischen oder englischen Lautketten ähneln, ist völlig gleichgültig. Es sind Kunststücke, die mit Sprache nichts zu tun haben. Ihre Deutbarkeit als Sprache liegt ganz im Beobachter, und es ist nur ein publikumswirksamer Trick, ihnen solche Laute beizubringen, die ein Muttersprachler mit viel Wohlwollen als menschensprachlich deuten kann.
Die Behauptung der Zoologin Angela Stöger, die Elefanten hätten „geruchliche“ oder „gedankliche Abbilder ihrer Welt“, stammt zwar aus einem Interview der SZ (4.5.24), entspricht aber der kognitivistischen Metaphorik der heutigen Tierpsychologie, ebenso die These, „soziale Information“ sei „im Langzeitgedächtnis abgespeichert“. Elefanten erkennen einander oder bestimmte Menschen auch noch nach Jahrzehnten, das ist bekannt, und mehr ist mit der technizistischen Formulierung nicht gesagt. Den "Speicher" wird man nie finden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2024 um 14.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53167
|
Der Bericht über eine Neunjährige aus Indien, die man als Schachwunderkind bezeichnen kann, bringt mich wieder auf die alte Frage: Es kann ja keine spezifische Anlage für Schach (oder Klavierspiel usw.) geben; das hätte evolutionsbiologisch keinen Sinn. Also muß es sich um eine allgemeinere Voraussetzung handeln, die sich unter bestimmten kulturellen Umständen eben im Schach manifestiert. Hätte das Mädchen nicht, wie die Legende will, in der Garage eine Schachfigur gefunden, wäre ihr Talent vielleicht (wie bei einem „Raffael ohne Hände“) ihr selbst und allen andern für immer verborgen geblieben. Jener Ramanujan wurde entdeckt, aber wie viele Millionen begabter Mathematiker bleiben unentdeckt? Und andererseits: Könnte die Sprache eine kulturspezifische Entfaltung einer allgemeineren (aber humanspezifischen) Verlagung sein? Wie spezifisch ist Musik? Wenn ich mich recht erinnere, hat Bach selbst in seiner Familie 57 musizierende und daher doch wohl auch musikalische Vorfahren gefunden. Aber es mußte auch Musikinstrumente und musikalische Jobs geben, sei es auch nur als „Stadtpfeifer“.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.04.2024 um 05.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53133
|
Um den Altmühlsee vor Blaualgen zu schützen, ohne den Verursachern der Überdüngung wehzutun, will der Landkreis viel Geld in den Hokuspokus der "Wasserbelebung" durch ein österreichisches Esoterik-Unternehmen stecken. Auch anderswo wird Steuergeld in okkulte Praktiken geleitet. Man sollte dagegen klagen.
Leider wird der moderne Mensch in dem Glauben erzogen, daß es "mehr Dinge zwischen Himmel und Erde" gibt usw., und das sind die Folgen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2024 um 18.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53121
|
„I will assume, following the ‘cognitive revolution’ of the past half century, that we want to study not sets of sounds, or words, or sentences, or texts in themselves, but rather the knowledge or cognitive capacity that underlies our production and understanding these things.“ (Stephen R. Anderson in Maggie Tallerman/Kathleen R. Gibson, Hg.: The Oxford Handbook of Language Evolution. Oxford 2012:362)
Es ist fast gleichgültig, wer das geschrieben hat, man findet es tausendfach in der kognitivistischen Literatur des genannten Zeitraums. Die Forschung wird von den beobachtbaren Tatsachen in ein nicht beobachtbares, aus den Tatsachen erschlossenes Niemandsland verlegt, das dann wiederum die Tatsachen erklären soll.
Die kognitivistische Hilfskonstruktion wäre nicht zu verwerfen, wenn sie nicht in alltagspsychologischen, intentionalistischen Begriffen wie „Wissen“ oder „Fähigkeiten“ abgefaßt wäre oder, anders gesagt, wenn sie nicht versuchte, Verhalten als Handlung zu erklären statt umgekehrt.
Was die kognitive Revolution (immerhin ein großes Wort!) betrifft, so müßte allmählich erkennbar werden, welche großen Fortschritte sie gebracht hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2024 um 18.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53120
|
Zur Erläuterung der Gedächtnisleistung benutzte ein Hirnforscher folgende Analogie: In einer kleinen Bibliothek läßt sich ein bestimmtes Buch schneller finden als in einer großen. Das leuchtet auf den ersten Blick ein, auf den zweiten nicht mehr. Erstens sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß das Buch überhaupt vorhanden ist, mit dem Umfang des Bestands. Zweitens sind kleine Bibliotheken, etwa in Privathäusern, normalerweise nicht katalogisiert. Darum kann es lange dauern, bis man ein bestimmtes Buch unter 2.000 Bänden gefunden – oder sich vergewissert hat, daß es nicht vorhanden ist. Dagegen ist es für die Angestellten einer Universitätsbibliothek ein Leichtes, unter 2 Mill. Bänden das Gesuchte aufzufinden; sollte es entgegen den Katalogangaben nicht am Platz stehen, wird es als vermißt eingetragen, aber von dieser seltenen Ausnahme können wir hier absehen.
Auf den Wortschatz übertragen: Der Wortschatz ist in verschiedenen Richtungen geordnet: es gibt Synonyme, Antonyme (auch neutralisierbare Oppositionen), Hyponyme, Reimwörter, Kollokationen usw., aber all diese Ordnungen machen sich erst in umfangreichen Wortschätzen bemerkbar; im Kernwortschatz sind sie nicht zu finden. Die Realität dieser Subysteme zeigt sich bei der Textbildung, so wie umgekehrt die Textbildungsroutinen die Ordnungen immer wieder bestäigen und stärken. Für die Grammatik gilt das gleiche.
Dies könnte das Vokabel-Paradox auflösen, weil es erklärt, warum die Suche in einem großen Wortschatz keineswegs länger dauert als in einem kleinen und die Rede nicht um so stockender verläuft, je umfangreicher die Sprachkenntnis wird.
Die falsche Analogie wird vom Speichermodell nahegelegt, das dadurch noch zweifelhafter wird.
(Die Hilflosigkeit der Forschung zeigt sich schon in der Ankündigung des Podcasts gestern im BR: „Vergessen – Eine elementare Strategie des Gehirns. Vergessen gehört zu den essentiellen Abläufen in unserem Gehirn. Es ist also kein Aussetzer vom Gedächtnis sondern ein aktiver Prozess.“ (Was ist ein „aktiver Prozeß“? Geboten wird dann Alltagspsychologie, keine Hirnforschung. „Aussetzer vom Gedächtnis“ ist möglicherweise „Leichte Sprache“, die den Genitiv verbannt.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 01.04.2024 um 05.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53030
|
"Wir sehen die Ergebnisse ihres Wirkens ..."
Worauf bezieht sich "ihres"?
Auf "Geordnetheiten", "Sprachregeln".
"... an den Regularitäten, Regelmäßigkeiten und Geordnetheiten sprachlicher Äußerungen"
Das ist genau dasselbe. Also, was die Autoren sagen, ist, kurz zusammengefaßt und sehr erhellend:
Wir sehen die Ergebnisse des Wirkens der Sprachregeln an den Sprachregeln.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.04.2024 um 04.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#53027
|
„Jeder, der spricht, schreibt, hört, liest, benutzt die Sprache nicht willkürlich, sondern hält sich an Geordnetheiten, die man Regeln nennen kann. Er tut dies wahrscheinlich intuitiv, d. h. unbewußt. Diese Regeln des Sprachgebrauchs nennen wir Sprachregeln, weil sie Teil des Sprachverhaltens sind. Sie sind in der Psyche jedes einzelnen Menschen zu suchen, man spricht auch von internalisierten (verinnerlichten) Regeln. Wir können jedoch nicht wissen, wie sie wirklich aussehen und wie sie funktionieren. Wir sehen die Ergebnisse ihres Wirkens an den Regularitäten, Regelmäßigkeiten und Geordnetheiten sprachlicher Äußerungen.“ (Karl D. Bünting/Henning Bergenholtz: Einführung in die Syntax. Frankfurt 1979:17)
Die Verfasser geben ausdrücklich zu, daß sie sich nichts unter den postulierten „Geordnetheiten“ in der Seele vorstellen können, und errichten außerdem ein Ignorabimus, das jeden Erkenntnisfortschritt für dieses Gebiet ausschließt. (Wenn die Regeln verinnerlicht sind, müssen sie zuvor äußerlich, also wohl ausdrücklich formuliert gewesen sein. Und was bedeutet die dreifache Umschreibung „Regularitäten, Regelmäßigkeiten und Geordnetheiten“?)
Diesen Unsinn findet man tausendfach in der psychologischen und linguistischen Literatur. Er ist im Kern nicht neu, sondern der uralte Homunkulismus. Ihn loszuwerden ist der Behaviorismus angetreten, aber es ist eine Heidenarbeit.
|
Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 18.03.2024 um 00.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52964
|
Was ist Kultur? Die Antwort ist doch recht einfach, nämlich alles, was von Menschen gemacht oder (i.d.R. vorsätzlich) beeinflußt wurde. Das Gegenteil nennt man Natur.
Naturlandschaften überläßt der Mensch sich selbst, Kulturlandschaften sind vom Menschen geformt, Kulturpflanzen sind Züchtungen oder genetisch veränderte Gewächse, im Gegensatz zu Natur- bzw. Wildpflanzen usw.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2024 um 08.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52955
|
Was ist Kultur? Definitionen sind eine Frage der Zweckmäßigkeit. Ich halte es nicht für zweckmäßig, alle Gewohnheiten und Fertigkeiten, die ein Organismus zu seinen Lebzeiten erwirbt oder entwickelt, als „Kultur“ zusammenzufassen. Daniel Haun vom MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, auf den sich Tina Baier beruft, scheint die Grenze da zu ziehen, wo Tiere von selbst auf etwas kommen oder nur in Gemeinschaft mit anderen, die es schon können. Ich würde das als soziales Lernen bezeichnen (so ja auch Haun selbst), unabhängig von der weiteren Frage, ob Nachahmung oder gar Lehren (Vormachen und Shaping) im Spiel ist. Es scheint mir auch üblicher zu sein, erst bei generationenübergreifender Traditionsbildung von Kultur zu sprechen. „Akkumulativ“ wäre Kultur dann durch Definition.
Die Experimente, mit denen Hauns Arbeitsgruppe das Gerechtigkeitsempfinden von Kindern in Namibia kulturvergleichend untersuchte, sind von vornherein im Sinne unseres europäisch-deutschen Begriffs- und Wertesystem angelegt; „Gerechtigkeit“ wird verschieden verwirklicht, aber der Begriff selbst gilt offensichtlich als universal anwendbar. Das ist aber sehr bedenklich. Ergiebiger wäre es wohl, ohne solche von außen herangetragenen Begriffe zu untersuchen, wie die Menschen in fernen Gesellschaften leben, Beute verteilen usw. Die gleichen Einschränkungen gelten für andere Versuche, etwa zum Lernen von Älteren: wie läuft das im natürlichen Habitat ab? Feldforschung erfordert aber ganz andere und zeitaufwendigere Verfahren als die scheinbar objektivere, aber „ökologisch unangemessene“ Experimentaluntersuchung.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2024 um 07.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52954
|
Laut Bericht in der SZ (Tina Baier) können Schimpansen Wissen weitergeben und kulturelle Traditionen akkumulieren, tun es aber nicht; auch die Hummeln werden wieder erwähnt, die ebenso die „Voraussetzungen“ oder „Vorbedingungen“ erfüllen (auch wenn sie diesmal nicht Fußball spielen wie in früheren Berichten, vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50675). Usw.
Es ist die alljährliche Neuauflage der berüchtigten englischen Blaumeisen. Ich bleibe bei Tomasellos und anderer Forscher Feststellung: Tiere lehren nicht. Statt sich um die Gründe zu kümmern, versucht man (sogar im gleichen Hause) immer wieder herauszufinden, ob sie nicht doch lehren.
Wie Baier berichtet, sprechen einige Forscher bereits von Kultur, wenn sich in einer Gruppe ein ähnliches Verhalten ausbreitet, z. B. wenn sich einige Mitglieder einer Affenpopulation Grashalme ins Ohr stecken und damit herumlaufen. Ob sie es von anderen gelernt haben – wie hier angenommen wird – oder nur durch eine Art „stimulus enhancement“ - wie Tomasello und andere früher vermutet haben – zu paralleleler Erfindung angeregt worden sind, ist nicht klar. Es geht darum, ob die nachgewiesene „Übernahme“ als Nachahmung erklärt werden kann und muß. Die Traditionsbildung, das Akkumulieren über Generationen, wird als der nächste Schritt angesehen. Man könnte aber sagen, daß Kultur erst damit beginnt, nicht mit der Ausbreitung einer „Mode“ innerhalb einer Gruppe von Zeitgenossen.
Das monumentale Fragezeichen wird nicht gewürdigt: Warum sollten Schimpansen oder japanische Makaken ausgerechnet zu unseren Lebzeiten anfangen, Traditionen zu bilden, 6 bzw. 20 Millionen Jahre nach der Trennung unserer Stammbäume? Schimpansen haben die Voraussetzungen fürs Feuermachen und -unterhalten – warum tun sie es nicht und werden es niemals tun? Sie lernen sehr langsam Nüsseknacken und Zurechtbeißen von Zweigen zum Termitenangeln (lehren es aber nicht!), und das war’s.
|
Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 10.03.2024 um 13.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52935
|
Geradezu zynisch ist Bezeichnung „soziale Netzwerke“ für Portale wie Facebook, Twitter etc. Der Anklang der Gemeinnützigkeit vernebelt den ausbeuterischen Charakter ebenso wie die sozialschädlichen Nebenwirkungen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2024 um 04.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52932
|
Statt „Sprache“ sagt man „Sprachsystem“. Diese Erweiterung wird auch sonst fast automatisch angehängt: „Im mentalen Lexikon gibt es jeweils ein eigenes Speichersystem für die Wortformen und die Wortbedeutungen.“ (Volker Harm: Einführung in die Lexikologie. Darmstadt 2015:111) Ist schon der Speicher rätselhaft, so erst recht das Speichersystem. Statt „Gesellschaft“ sagt man „soziales System“ usw. Es klingt gelehrt, auch wenn man nichts weiß. Der Systemcharakter eines Komplexes wäre ja erst herauszufinden. Der Weise meidet solche Imponiervokabeln.
(Daß ich den zitierten Satz für strikt sinnlos halte, habe ich anderswo dargelegt.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.03.2024 um 07.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52926
|
Im Kasten auf der ersten Seite der SZ berichtet Sebastian Herrmann über neue Forschungen aus München: „Wer positives Feedback erhält, ist kaum dazu bereit, sein Selbstbild der Realität anzupassen.“ Statt sich auf das zu beschränken, was wirklich geschah (Selbsteinschätzungen unter Laborbedingungen usw.), greift man zu äußerst abstrakten und schlecht definierten Begriffen. Nichts könnte die Überflüssigkeit des psychologischen Geredes besser illustrieren. Nur die Publikationslisten werden länger.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2024 um 05.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52918
|
Wissenschaftler haben festgestellt, daß „eine milde Niedergeschlagenheit die Wahrscheinlichkeit reduziert, sich egoistisch zu verhalten“. Den Probanden wurden traurige Geschichten vorgelegt, anschließend ihre Neigung zum Lügen oder ihre Beurteilung fiktiver unmoralischer Handlungen gemessen. (Sebastian Herrmann berichtet in der SZ vom 7.3.24, Original im „Journal of Business Ethics“ – so etwas gibt es!) – Schlußfolgerung: „Es scheint also doch manchmal für etwas gut zu sein, sich ein wenig mies zu fühlen.“ – Wieder fällt auf, wie wenig so etwas zu den übrigen Beiträgen auf der Wissenschaftsseite paßt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.03.2024 um 16.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52917
|
"Modisch" bezieht sich auch darauf, daß man bis vor einigen Jahren ohne Ausdrücke wie "Information", "kognitiv" u.a. ausgekommen und seither in der Sache (Vogelzug usw.) keinen Schritt weitergekommen ist, jedenfalls nicht in signifikanter Weise im Zusammenhang mit solchen neuen Begriffen.
Ich weiß sehr wohl und habe es selbst oft gesagt, daß es erstens einen alltagssprachlichen Begriff "Information" gibt und zweitens eine Informationswissenschaft. Beides hat seine Berechtigung, aber anderswo ist es nur Wortemacherei. Information in den Jahresringen der Bäume oder den Köpfen der Störche? Was soll das bringen? Die "Botschaft" der Bäume hat man immer nur als hübsche Metapher verstanden, und dabei sollte es bleiben.
Heute morgen habe ich mir eine frisch gefällte Kiefer angesehen und festgestellt, daß sie knapp 60 Jahre alt sein muß. Das teile ich hier mit, und es ist eine Information. Die Jahresringe sind keine.
Und wie gesagt: Wonach soll der Ornithologe suchen?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.03.2024 um 16.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52916
|
Es war mir schon klar, daß Sie auch in diesem Fall diese "modische" Art von Information nicht akzeptieren würden. Letztlich sammeln die Störche aus naturalistischer Sicht gar nichts, sondern passen ihr Verhalten im Laufe der Zeit immer besser der natürlichen Umgebung an.
Ich wollte nur darauf hinweisen, daß es Information nicht nur in der mathematischen und alltagssprachlichen Variante als Nachricht/Botschaft gibt, sondern daß sie auch in allgemeinerem Sinne vorkommt. Das ist m. E. keine Mode, sondern durchaus ein vielfach anerkannter, etablierter Begriff, auf den sich so manche naturwissenschaftlichen Theorien stützen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.03.2024 um 04.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52909
|
Da sehe auch ich keinen Unterschied, es wäre derselbe Unsinn. Allerdings ist es in der Meldung nicht so formuliert. Die Störche sammeln ja nicht die Landschaften, sondern "Wissen" darüber. Das wird Information genannt, wie es heute Mode ist.
Ich stoße gerade noch auf diese Stelle (zur satzförmigen Speicherung):
„Stephen Kosslyn in particular has developed theories finding room for a variety of sentential codes together with a pictorial mode of representation.“ (Kim Sterelny in William G. Lycan, Hg.: Mind and cognition. A reader. Cambridge, Mass./Oxford 1990:608)
(Der eigentliche Matador der propositionalen Repräsentation ist Pylyshyn, der sich ständig mit Kosslyn auseinandersetzte, aber das kann man gut aus dem Sammelband entnehmen, der für mich naturgemäß ein hartes Brot ist. Als "repräsentative" Auswahl aber sehr nützlich.)
|
Kommentar von Manfred Riemer , verfaßt am 06.03.2024 um 21.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52908
|
zu #52812:
Ältere Störche schneller am Ziel
Die Informationen, die Störche bei ihren Flügen sammeln, seien eine wichtige Währung für die Tiere, erläutert das Forschungsteam um Martin Wikelski, Direktor der Abteilung für Tierwanderungen des Max-Planck-Instituts.
(Mannheimer Morgen, 6.3.2024, S. 4)
Information wird offenbar auch alltagssprachlich nicht nur für Botschaften und Nachrichten verwendet. Hier meint es die Beschaffenheit der Landschaft, Berge, Täler, Gewässer, Wälder, ... Was ist grundsätzlich anders als z. B. beim Abstand zweier Bäume oder bei den Baumringen (Homunkulus, 1548#52881)?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2024 um 06.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52854
|
Weil ältere Funde als die Knochenflöten fehlen, müsse man sich nach Ursprüngen der Musik bei Tieren umsehen, heißt es („Wie der Mensch die Musik entdeckte“. SWR2 Wissen 30.12.20). Aber zwischen den maximal 60.000 Jahren der archäologischen Überlieferung und den 6 Mill. Jahren des letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse, ganz zu schweigen von Gibbons und anderen „singenden“ Tieren, klafft eine unermeßlich große Lücke, und es ist keineswegs ausgemacht, daß Musik und Sprache überhaupt an Tierlaute anknüpfen. Anatomische Entsprechungen reichen für solche Zusammenhänge nicht aus. Man denke an Zeichnungen und andere Zeugnisse bildender Kunst, die auch mit den gleichen geschickten Händen hergestellt werden, über die auch Affen verfügen – womit aber nicht viel gesagt ist.
Aufrechter Gang, Fleischnahrung, Gehirnwachstum und andere anthropologische Faktoren werden zu einer der beliebten Erzählungen verwoben: „Unsere Vorfahren lebten in größeren Gruppen, um sich zum Beispiel vor Raubtieren zu schützen. Das Gruppenleben erfordert eine stärkere soziale Kommunikation. Sie müssen ihren Gefühlen Ausdruck verleihen, sie müssen verstehen, was der andere meint, wenn er bestimmte Äußerungen von sich gibt, sie können Freundschaften und Allianzen schmieden und sie können Informationen über die Jagd austauschen.“ (Steven Mithen in der genannten Sendung) – Alles sehr plausibel, aber rekonstruierte Bedürfnisse erklären nicht die wirkliche Entwicklung.
Wenn es um den Ursprung von Sprache und Musik geht, kommen die Archäologen, Psychologen, Kulturanthropologen unvermeidlich auf das Gehirn zu sprechen: Broca, Wernicke, Brodman-Areale... Man braucht dann nicht weiterzulesen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2024 um 16.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52836
|
Das archäologische Material bietet genug, um eine Verhaltensanalyse früherer Menschen zu versuchen. Aber fast überall ist gleich von deren „mentalen“ oder „kognitiven“ Fähigkeiten die Rede. Damit vergibt man eine Möglichkeit, wie man es in der Psychologie jahrhundertelang getan hat. Skinner bedauert anhand vieler Beispiele, daß aus früheren Schilderungen nicht hervorgeht, wie die Menschen sich wirklich verhalten haben – es verschwimmt in mentalistischen Paraphrasen, Metaphern und Deutungen. Man sieht nicht die ephemere Natur des gerade üblichen kognitivistischen Modells – also der modernen Version antiker Seelenvorstellungen, einer verkappten Homunkuluspsychologie. Manche sprechen weiterhin vom „Geist“ („mind“) oder verkleiden dieses mysteriöse Wesen mit anderen Worten.
„Homunkulus“ bedeutet in der Psychologiekritik ein konstruiertes (also nicht hypothetisches, eventuell nachweisbares) Wesen mit personhaften Zügen: Dialogfähigkeit vor allem, aus der sich die Intentionalität, Entscheidungsfähigkeit usw., also insgesamt: Handlungsfähigkeit, ergibt. „Geist“ ist im großen und ganzen dasselbe. Homunkuluspsychologie ist Geistmetaphysik. Man erklärt das Verhalten des Organismus durch das Handeln einer darin wohnenden Person, statt umgekehrt das Handeln der Person als Verhalten des Organismus zu erklären, wie es hier unter „Naturalisierung der Intentionalität“ versucht worden ist.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2024 um 05.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52832
|
Muß alles, was einen Mann attraktiv macht, einen versteckten Nutzen haben, den die Frau verfolgt, ohne es zu wissen?
Der vieldiskutierte problematische (und eigentlich neue) Teil von Zahavis Theorie wird bei Mithen und anderen weggelassen: die Berechnung von Kosten und Glaubwürdigkeit. Anders gesagt: Läßt sich das an Pfauenschleppen entwickelte Prinzip auf den Menschen übertragen? Treiben die Männer mit ihrem Tanz einen zusätzlichen Aufwand, der sich lohnen muß? Würden sie am liebsten in der Ecke sitzen und zuschauen? Würden sie auch tanzen, wenn keine Frauen zuschauen?
Das Balzverhalten schreiben wir den Männern zu, die um Frauen werben, aber warum machen sich Frauen schön, wenn es nicht Werbung um Männer ist? Pfauenhennen sind unscheinbare Eierlegmaschinen, aber Frauen sind keine unscheinbaren Gebärmaschinen (außer in ganz bestimmten Gesellschaften).
Bei Papuas singen die Frauen selbsterfundene Toten- oder Klagelieder. Werden sie dadurch für Männer attraktiver, verbürgen sie tüchtigen Nachwuchs? Das schiene mir weit hergeholt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2024 um 04.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52831
|
Zum Thema Tanz und zur "Musilanguage"-Theorie:
Nach meiner Beobachtung können Kinder im zweiten Lebenjahr viel früher mit den Armen und Händen den Takt einer Musik schlagen als ihre Beine im Tanz entsprechend bewegen. Das bleibt im wesentlichen auch beim Erwachsenen so. Ob es stammesgeschichtlich etwas zu bedeuten hat (wenn es stimmt)?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2024 um 17.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52827
|
„...the interpretation of behavioral and cognitive development... brain, mind, and behavior...“
So schreiben sie fast alle und machen es sich leicht mit dem „koordinativen Dualismus“. Man hat nichts versäumt – und alles verdorben.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2024 um 14.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52825
|
„There is empirical evidence that, when responding to alarm calls, primates not only attend to the peripheral acoustic features of calls but also maintain specific mental representations associated with these calls.“ (Klaus Zuberbühler in Maggie Tallerman/Kathleen R. Gibson, Hg.: The Oxford Handbook of Language Evolution. Oxford 2012:74)
Das ist begrifflich nicht möglich. „Mentale Repräsentationen“ (traditionell: „Vorstellungen“) sind keine empirischen Daten, sondern gehören zu einer bestimmten Interpretation. Der Beobachter entscheidet sich dafür, die Daten (die „empirical evidence“) mit Hilfe solcher mentalistischen Modelle zu deuten. In einer reinen Verhaltensanalyse haben „Vorstellungen“ – wie das „Mentale“ überhaupt – keinen Platz. Was es heißt, sie seien mit den Rufen „assoziiert“, ist ebenso unklar.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2024 um 08.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52824
|
Noch ein Beispiel für die bequeme Anwendung dess Handicap-Prinzips:
"In many societies today dancing is used as a form of display for attracting mate," Mithen points ut. "Dancing is a means to show off one’s physical fitness and co-ordination, qualities that would have been useful for survival in prehistoric hunter-gatherer societies."
(https://www.livescience.com/619-survival-dance-humans-waltzed-ice-age.html)
Wenn man nicht weiter weiß, kann man immer sagen: Das zeigt Fitness an und wirkt daher sexuell attraktiv.
(Der Archäologe Steven Mithen gehört zu den bekanntesten Forschern auf dem Gebiet der Anthropologie von Musik und Sprache, mit starker Neigung zu neurologischer Spekulation. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#30915)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2024 um 07.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52821
|
„Singen“ können zwar über 5000 Tierarten, sie sind aber evolutionär zu weit vom Menschen entfernt, als daß man daran anknüpfen könnte. Praktisch nicht konditionierbar und auch deshalb wohl kein Vorläufer unseres Gesangs (und der Sprache).
Singen und Sprechen setzen die gleiche Steuerung der Stimmorgane voraus und dürften gleichzeitig entstanden sein. Kleine Kinder entdecken gewissermaßen, daß sie diese Organe unter Kontrolle haben und die Töne modulieren können. Die Beteiligung der Zunge gibt es nur beim Menschen. Nicht alle Kinder babbeln nach kanonischem Muster (bababa, mamama), aber irgendeinen Singsang zeigen alle nicht-taubstummen Kinder und üben sich ein, bevor sie das erste erkennbare Wort erworben haben.
Warum ist die Steuerbarkeit (Willkürmotorik) der Stimmorgane überhaupt entstanden? Konkurrierende Theorien setzen entweder das Singen oder das Sprechen an den Anfang. Aber vielleicht war beides lange Zeit gar nicht zu unterscheiden. Mit Tönen (und Rhythmen) kann man das Verhalten in Gemeinschaft sowohl koordinieren als auch beeinflussen.
Die Frühmenschen hatten vielleicht ein ganz anderes Verhältnis zu ihrer Stimme als wir. War es mit einer Art Geisterbeschwörung verbunden? Noch viel später wurde die Stimme (sanskrit vâk, nicht zu unterscheiden von Sprache) als göttlich/Göttin verehrt (vgl. Rigveda 10, 125). Jeder erlebt die magische Kraft der Stimme an sich selbst. Das Kind kann die Mutter herbeirufen, was ja durchaus ein Wunder ist, aber auch sich selbst über das Alleinsein hinweghelfen. Früh bildet sich die Erfahrung, daß neben dem Hantieren auch das Beschwören eine Macht ist.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.02.2024 um 20.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52820
|
Ihr "weder ... noch" unterstellt, daß der Informationsbegriff damit erschöpft sei.
Ein alltags- bzw. umgangssprachlicher Begriff scheidet wohl für eine wissenschaftliche Betrachtung sowieso aus, und auch die Zusammenfassung als "Botschaft" zeigt entsprechend eine sehr eingeengte Verwendung und Sichtweise in der Alltagssprache.
Aber auch der mathematische Begriff (s. Informationstheorie) sagt nichts über das Wesen von Information in der Realität aus. Es handelt sich um Mathematik, um Logik, die zwar auf naturwissenschaftliche Theorien angewandt werden kann, aber eben erst nach einer entsprechenden naturwissenschaftlichen Einordnung und Modellierung.
Was also ist Information?
Auch die Naturwissenschaften haben eine Theorie zur Information. Ich hatte in #50904 den Artikel https://www.welt.de/print-welt/article332009/Information-ist-neben-Materie-und-Energie-die-oft-vergessene-dritte-Saeule-der-Physik.html schon angeführt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2024 um 16.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52819
|
Wenn es zutrifft, daß die linke Gesichtshälfte negative Gefühle stärker ausdrückt (Ernst Pöppel), kann es daran liegen, daß wir sie auf die „schlechte“ Seite hinüberspielen, und nicht an der Lateralisierung des Gehirns. Das Ganze ist aber sowieso wackelig.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2024 um 15.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52816
|
Zwei führende Primatenforscher schreiben:
„Even in their natural behaviour, non-human primates and other animals certainly seem capable of thinking in propositions, but this ability does not motivate them to speak in sentences.“ (Robert M. Seyfarth/Dorothy L. Cheney in Maggie Tallerman/Kathleen R. Gibson, Hg.: The Oxford Handbook of Language Evolution. Oxford 2012:69f.)
In einer anderen Veröffentlichung der beiden Autoren steht an einer sonst wortgleichen Stelle „simple sentences“ statt „propositions“ – womit klar ist, daß Propositionen nichts anderes sind als Sätze. Den Affen wird also zugeschrieben, innerlich zu sprechen und nach außen zu schweigen. Damit ist der Kern der mentalistischen Psychologie bloßgelegt (Homunkulus-Psychologie).
S. a. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#35099
(Der Zusatz „certainly“ sollte stutzig machen. Er verdeckt oft das Abenteuerliche der Spekulation.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2024 um 08.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52815
|
Was man aus dem Handicap-Prinzip machen kann, zeigt folgendes Zitat aus „Bild der Wissenschaft“ (16.12.07):
Aber warum betreibt das Gehirn den enormen Aufwand, Musik zu verarbeiten und zu verstehen? Geoffrey Miller meint: Obwohl das Singen beim frühen Homo sapiens keine offensichtliche Funktion gehabt habe, sei es ein Indikator für den Vermehrungserfolg, die „ reproduktive Fitness", wie der amerikanische Evolutionsbiologe in seinem Buch „The mating mind" schreibt.
Wenn einer unserer männlichen Vorfahren eine kleine Melodie trällerte, habe er signalisiert: Schaut her, ich bin so fit und gesund, dass ich den täglichen Überlebenskampf mit Leichtigkeit meistere und mir diesen „sinnlosen Luxus" locker leisten kann. Diente Gesang also als Indikator für starke Gene – und damit als Anreiz für die Paarung? „Durchaus möglich", meint Christian Lehmann. „Mit einem Liedchen ließen sich nicht nur überschüssige Kräfte demonstrieren, sondern auch die kognitive und kreative Leistungsfähigkeit."
(Das modische Ornament „kognitiv“ darf nicht fehlen in diesem plattestmöglichen Beitrag.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2024 um 06.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52814
|
Klang, Stimme – das muß unseren Vorfahren wie ein Wesen vorgekommen sein, das wunderbarerweise aus dem angeblasenen Rohr oder dem schwirrenden Holz hervorkommt. Das Feuer wird aus Hölzern herausgequirlt und geht manchmal ins Wasser ein (beim Löschen). Darum ist das Feuer im Wasser – jedenfalls laut brahmanischen Texten um den Opferkult, die uns zunächst wegen ihrer scheinbaren Phantasterei vor den Kopf stoßen. "Alles ist voll von Göttern" (Thales, Mathematiker und Philosoph des Wassers).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2024 um 05.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52813
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47146
Das vermeintliche Ein-Wort-Stadium ist auch keine relativ autonome „Altersmundart“, d. h. ein Sprachsystem, das man untersuchen könnte wie einen Dialekt, sondern ein Fragment der Erwachsenensprache, in der man mit dem Kind verkehrt. Die sprachliche Interaktion ist die volle menschliche, auch wenn das Kind sie noch nicht ganz beherrscht, sondern sich nur einige ("saliente") Höhepunkte herauspickt. Es genügt nicht, die MLU („mean length of utterance“, Anzahl der Wörter oder Morpheme) zu messen (die eben im Ein-Wort-Stadium noch gar keine Wörter oder Morpheme nach den Kategorien der Erwachsenensprache sind).
Die Eigensprache des Kindes ändert sich von Tag zu Tag, durch Annäherung an die Vollsprache der Erwachsenen. Diese Situation hat nichts mit dem Entstehen einer Sprache zu tun und ist nicht deren Frühstadium. Darum sind auch Vergleiche mit der den Affen angeblich beigebrachten Gebärdensprache sinnlos (auch abgesehen von deren verfehlter Deutung als Sprache).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2024 um 04.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52812
|
Sie machen sehr klar, daß und warum wir einander in dieser Frage seit Jahren nicht verstehen und auch nie verstehen werden. Ich hatte Sieb und Bachbett im Sinne einer Reductio ad absurdum eingeführt, aber Sie sehen darin gar nichts Absurdes. Das Sieb ist immerhin noch ein absichtsvoll hergestelltes Artefakt, daher das Bachbett als Alternative. Zwei Bäume stehen nebeneinander. Ich schätze ab, ob ich dazwischen durchgehen kann oder nicht. Welchen Sinn hätte es, ihren Abstand als „Information“ zu bezeichnen? Ich greife zu meinem Becher mit dem geliebten Morgenkaffee und sehe, daß er leer ist. Die Leere ist eine Information oder wie? Ihr Begriff von „Information“ (Korngröße usw.) ist weder der mathematische noch der alltagsprachliche („Botschaft“).
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.02.2024 um 20.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52811
|
Wenn ich Ihr Siebbeispiel richtig verstehe, wollen Sie damit sagen, daß im Sieb nichts gespeichert ist, das überhaupt gelesen werden könnte, was mir aber nicht recht einleuchtet, denn die Maschenweite bzw. maximal durchgängige Korngröße ist doch die im Sieb fest gespeicherte und bei seiner Benutzung wesentliche Information.
Ich wollte damit hingegen nur auf die Frage "wer liest" antworten. Die als Maschenweite gespeicherte (fest verdrahtete) Information wird bei der Nutzung ja sehr wohl verwendet, aber es wird kein zusätzlicher Leser benötigt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2024 um 14.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52809
|
Schön, daß sie Sie sich meinem Sieb-Beispiel anschließen! (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#37240 – zur Widerlegung des Speichermodells...) Mit der "Information" kommen wir nicht weiter, das hat sich schon gezeigt, und es scheint mit Ihrem Begriff der "Materie" zusammenzuhängen. Ich verwende den Begriff nicht, weil ich nicht weiß, wogegen er abgesetzt wird. (Womit natürlich nichts gegen die Informationstheorie gesagt ist, nur gegen deren ontologische Deutung.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.02.2024 um 13.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52808
|
Wer sucht oder liest? Niemand außer dem ganzen Organismus.
Nehmen wir z.B. ein Rüttelsieb mit verschieden großen Löchern. Zuerst fällt durch die kleinsten Löcher automatisch der feinste Sand, danach fällt der mittlere Splitt durch die größeren Löcher und am Ende bleiben die großen Steine übrig. Das Ergebnis ist gut sortiertes Material. Kein kleines Siebmännlein mußte den verschieden großen Körnchen und Steinen die richtigen Löcher zeigen. Die Sortierung ist einzig der Struktur und dem Aufbau der ganzen Anlage zu verdanken. Im Prinzip genauso sehe ich das Funktionieren von Lebewesen. Die Struktur des Gehirns steuert das Verhalten. Es braucht dazu keinen zusätzlichen Leser.
Ich denke ebenfalls, daß Speichern etwas hinzufügt. Aber warum muß das Hinzugefügte unbedingt eine Masse haben? Indem man etwas ordnet, erzeugt und speichert man wiedererkennbare Information. In der EDV wird dieser Speicherbegriff für eine spezielle Art von Information (digital) ständig und schon immer verwendet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2024 um 08.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52807
|
Affen musizieren nicht. Die Musik der Frühmenschen dürfte in Singen (ohne Worte und vielleicht lange vor der Entwicklung einer Wortsprache) und Trommeln bestanden haben. Damit sind Melodie und Rhythmus gegeben; Kinderberuhigung und kollektive rhythmische Bewegung (Tanz) könnten – vielleicht verteilt auf Frauen und Männer – eine Rolle gespielt haben. Die Anfertigung von so raffinierten Instrumenten wie Flöten ist unermeßlich weit von allem entfernt, was die heutigen Menschenaffen tun. Bedenkt man, daß Faustkeile eine halbe Million Jahre ohne große Veränderungen hergestellt wurden, kann man sich denken, wie lange die Entwicklung anderer Gegenstände gedauert haben könnte.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2024 um 06.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52805
|
Eine Sprache, die viel gesprochen wird – und warum sollten unsere Vorfahren sowie die Neandertaler nicht von morgens bis abends gesprochen haben? – muß notwendigerweise „komplex“ werden, und zwar durch die gegenläufigen Tendenzen der Systematisierung (Analogie) und der Idiomatisierung.
Ich brauche das nicht weiter auszuführen, es liegt ja auf der Hand.
Jedenfalls müssen die Sprachen der Frühmenschen und der Neandertaler eine unvordenklich lange Geschichte hinter sich haben, vielleicht eine Million Jahre? Wenn ich das Foto der Fußspuren von Laetoli ansehe (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1570#39920), stelle ich mir gern vor, daß diese "vormenschlichen" Leute miteinander gesprochen haben. Natürlich hatten sie keine papierne Fachsprache, sondern sprachen vielleicht wie die heutigen Papua (was nicht geringschätzig gemeint ist) über alltägliche Dinge und über Geister.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2024 um 06.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52804
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#38320
Die Bohrungen vorgeschichtlicher Knochenflöten (Geißenklösterle und die noch ältere der Neandertaler von Divje babe) sind handwerklich fortgeschritten und werfen die Frage auf, wie man überhaupt darauf gekommen ist. Jedes Kind weiß, daß man durch Anblasen eines Rohrs einen Ton erzeugen kann, der unseren Vorfahren unheimlich genug vorgekommen sein muß (wie auch der schwirrende Ton geschwungener Hölzer usw.). Aber bis zu einer Block- oder Querflöte mit Bohrlöchern ist es noch ein weiter Weg.
Daß die Neandertaler sprechen konnten, ist meiner Ansicht nach selbstverständlich. Ich habe auch nie an die These vom gutturalen Gestammel geglaubt. Wahrscheinlich haben sie von morgens bis abends geplaudert, gelästert und gelacht, und ihre Sprache war nicht weniger „komplex“ als irgendeine heutige. („Komplexität“ gilt den meisten Linguisten ja als Qualitätsmerkmal.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2024 um 06.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52803
|
Ob Suchen oder Auslesen – wer sucht denn oder liest aus?
Vor dem Lernen kann der Organismus es nicht, und nachher kann er es. Wissen wir mehr, wenn wir von Speicherung (statt Veränderung) sprechen?
Sie neigen ja dazu, zwischen Veränderung und Speicherung keinen Unterschied zu sehen, während ich meine, daß "Speicher" etwas hinzufügt. Daher mein uraltes Beispiel vom Bachbett, das das Wasser sich selbst gräbt. Die Veränderung der Landschaft würde ich nicht Speicherung nennen, sondern Spur oder so ähnlich. Mit dem Speicherbegriff ist begrifflich die Suche (Abrufen, Auslesen) verbunden, mit der Spur nicht. Anders gesagt: "Speicher", ob Kornspeicher (spicarium) oder Festplatte, ist eine technische Angelegenheit und damit etwas "Intentionales", und das möchte ich fernhalten.
Abgesehen von diesen Überlegungen könnte man einwenden, daß bei unserer völligen Unkenntnis der physiologischen Tatsachen eigentlich gar nichts gesagt ist, wenn man das Gehirn als Ort eines Speichers bezeichnet. Die führenden Autoren kommen auch nie über ein "irgendwie" (somehow) hinaus. Na ja, möchte man sagen, irgendwie wird Gott wohl die Welt erschaffen haben... Ich habe micht hundertmal darüber gewundert und einiges hier auch zitiert (zum bilateralen Zeichen, zur Aktualgenese, Levelt usw.).
Hypothesen über den Inhalt der Blackbox sind natürlich erlaubt, aber sie sollten einen realistischen Kern haben. Und sie sollten begrifflich möglich sein, was in diesem Fall nicht zutrifft: Im Gehirn gibt es keine Karten, keine Bilder, keine Begriffe und Propositionen, keine Intentionen... Das ist keine Tatsachenfrage, und kein Neurologe kann sie entscheiden. Es sind begriffliche Monstrositäten, und je eher man sich davon bereit, desto besser für die Wissenschaft.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.02.2024 um 22.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52802
|
Na ja, das Gehirn arbeitet ("sucht") meist unwillkürlich, darum bemerken wir eine Suche seltener. Bei rein motorischen Fertigkeiten wie Fahrradfahren oder Jonglieren spüren wir erst recht keine Suche nach den richtigen Bewegungsdaten.
Ich würde es nicht Festplatte nennen, das klingt zu sehr nach digitaler Speicherung. Warum nicht einfach "Auslesen von Daten aus einem neurophysiologisch realisierten inneren Speicher"? Man benötigt dazu gar keine Metapher.
Jede Metapher würde etwas Konkretes hineininterpretieren, das heute überhaupt noch niemand weiß. An den platonschen Bildern von Wachstafel und Taubenschlag gefällt mir, daß sie sozusagen die beiden Gegensätze veranschaulichen, zwischen denen das Gehirn positioniert ist. Heute würde man vielleicht sagen, das Gehirn speichert beides, teils kontinuierliches und teils diskretes Wissen.
Das Skinner-Zitat "Bei den Techniken des Erinnerns geht es nicht darum, das Gedächtnis wie ein Lagerhaus zu durchsuchen, sondern um eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von Reaktionen.“ entspricht völlig meiner Meinung, bis auf den etwas geringschätzigen Lagerhaus-Vergleich. Es geht nicht um die Suche, obwohl sie natürlich als Mittel zum Zweck stattfindet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2024 um 17.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52801
|
Der Versuch, sich an etwas zu erinnern, kommt mir „phänomenal“ nicht wie eine Suche vor, und wir haben ja schon öfter auf die Diskussion bei Platon hingewiesen: Gedächtnis als Wachstafel, als Taubenschlag... Ich erinnere mich... Ich baue mir Eselsbrücken, damit es „aufsteigt“ usw., aber was „ich tue“, ist nicht das, was in mir geschieht. Mein Tun muß auch erklärt werden, Handlung durch Prozeß, nicht umgekehrt.
„Auslesen von Daten“ von einer irgendwie neurophysiologisch realisierten inneren „Festplatte“ – das ist ein neues Bild, eine Metapher, und steht ziemlich fremdartig in der Begriffsgeschichte. Aber man kann es ja mal als Modell benutzen, solange man es nicht mit der Wirklichkeit verwechselt: Wachstafel, Taubenschlag, Lagerhaus, Festplatte... warum nicht?
Ich spreche ja nicht gern von „Speicherung“, weil dieser Begriff nahelegt, man habe etwas erkannt, obwohl das gar nicht stimmt. Es geht um Verhaltensänderung und ihre Ursachen und dann auch um ihr physiologisches Substrat.
Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1616#38164
und dazu der Faden http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1626
(Im Deutschen werden Erinnerung und Gedächtnis oft austauschbar gebraucht, im Englischen wird eher zwischen memory und recall unterschieden, s. letzteres bei Wikipedia.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.02.2024 um 15.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52800
|
Ich dachte, ich hätte "erinnern" nicht neu definiert, sondern nur die natürlich gleichbleibende Bedeutung mit weniger psychologie-verdächtigen Worten neu umschrieben.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2024 um 15.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52798
|
Nanu, lieber Herr Riemer, sind Sie jetzt ein Computer? Natürlich können Sie die Wörter unserer Sprache nach Belieben neu definieren, aber dann reden wir vielleicht nicht mehr über dasselbe?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.02.2024 um 14.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52797
|
Den Neurologen meines Vertrauens fragen – der Witz ist sehr gut, am Ende meiner persönlichen Vertrauensskala kommen hinter den Neurologen nur noch die Psychologen. (Damit meine ich aber nicht diese Wissenschaften an sich, sondern nur deren ärztliche Vertreter.)
Ich verstehe, was Sie mit dem Kategorienfehler meinen, aber was ist "Erinnern", ist es wirklich ein psychologischer Begriff? Er mag ursprünglich so entstanden sein, aber was heute damit im kognitivistischen Sinne ausgedrückt werden soll, ist m. E. etwas anderes. Meiner Ansicht nach ist "Erinnern" zunächst das Auslesen und Nutzen von Daten, also von Information, die im "Innern", in den materiellen Strukturen des Gehirns, physisch vorhanden (Sie sagen auch "gebahnt") ist. Es sind teils angeborene, teils durch Lernen, Erfahrung entstandene Strukturen. Diese Information ist also im Prinzip für den Neurologen sichtbar! Wo ist da der Kategorienfehler?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2024 um 06.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52795
|
„Man will eben gar nicht wissen, daß das Schnitzel auf dem Teller intelligenter war als der eigene Zweijährige zu Hause.“ So wird eine Verhaltensbiologin zitiert – in einem Artikel, der sich mit der Intelligenz und den Gefühlen von Tieren beschäftigt. (SZ 17.2.24) Sinnloser Vergleich. Was die Gefühle betrifft, so geht es dann nur noch um Oxytocin und Cortisol im Speichel von Nutztieren. Alles andere – Geselligkeit, individuelle gegenseitige Erkennung von Tieren usw. – ist längst bekannt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.02.2024 um 04.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52791
|
Im Gehirn gibt es keine Erinnerungen. Fragen Sie den Neurologen Ihres Vertrauens! Und mein Vergleich war natürlich nicht als Widerlegung gemeint. Comparaison n’est pas raison.
Ich könnte gerade in diesem Fall noch einmal an den Grundsatz erinnern (!), alltagspsychologische Begriffe nicht in Begriffen zu definieren, die ihren Schöpfern fern lagen. Als die Mystiker "Erinnerung" prägten, konnten sie nichts vom Gehirn wissen. Aus heutiger Sicht steuert das Gehirn gelerntes Verhalten, für dessen Beschreibung unsere Vorfahren eine ganze Reihe von psychologischen Ausdrücken fanden, u. a. die "transgressive" Metaphorik einer inneren Welt. Es wäre ein Kategorienfehler, dies in neurologische Begriffe zu übersetzen und damit zu übernehmen, statt es in Verhaltensbegriffen und einer Begriffsgeschichte zu erklären. Das "Innere" ist ein Als-ob, praktisch nützlich, aber theoretisch nicht zu gebrauchen.
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 17.02.2024 um 01.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52790
|
Zu kognitivistischen Theorien habe ich mich nicht geäußert, und ich bestehe auch nicht auf irgend etwas, sondern ich habe nur versucht darzulegen, wie ich Herrn Icklers Bild verstanden habe.
Ich habe seit meiner Schulzeit nichts gegen die Vorstellung, daß das Gehirn an so ziemlich allem beteiligt ist, was wir tun oder lassen, denn so haben wir es gelernt. Und wenn ich in einer bestimmten Situation bin, in der ich schon mal war, oder wenn ich Angst vor etwas habe oder glücklich bin oder mich an etwas erinnere, mag es auch sein, daß sich die Aktivität bestimmter Bereiche meines Gehirns verändert. Aber was folgt daraus? Vielleicht bekomme ich einen Schweißausbruch, wenn mir irgend etwas Angst macht, mein Blutdruck steigt, wenn ich in einer Prüfungssituation bin, und vermutlich ist das Gehirn an der Steuerung der entsprechenden Vorgänge im Körper beteiligt, aber vielleicht wird ja das Erkennen einer bedrohlichen Situation ganz woanders oder ganz wieanders produziert, als wir meinen. Wieso muß sich dort, wo sich im Gehirn etwas tut, etwas abgespeichert sein? Was ist, wenn nicht einzelne frühere bedrohliche Ereignisse, die schon damals Angst erzeugt haben, irgendwo im Hirn »gespeichert« sind und dann beim Eintreten einer neuen Gefahrensituation »betrachtet« und ausgewertet werden, sondern wenn das Gehirn in einer noch nicht verstandenen Weise die Fähigkeit zum Erkennen von Gefahrensituationen erlangt hat? Ich drücke es bewußt vage aus, weil ich mich nicht festlegen will und auch nicht genug über dieses Thema weiß, um mich überhaupt festlegen zu können.
Was mich bei genauerem Hinsehen an dem Gedanken stört, alle Erinnerungen, Empfindungen usw. einem bestimmten Ort im Gehirn zuzuordnen, ist wohl die frühe Festlegung auf diese »statische« Vorstellung, die eine weitere Vertiefung der Erkenntnisse über die Zusammenhänge meines Erachtens eher erschwert als erleichtert. Ich habe, ohne eine Alternative anbieten zu können, den Eindruck, daß der Speicheransatz in eine Sackgasse führt, aus der man so schnell nicht herauskommt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.02.2024 um 22.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52789
|
In der Auseinandersetzung mit kognitivistischen Theorien wird ja oft polemisch, wovon es auch auf diesen Seiten Beispiele gibt, davon gesprochen, daß das Gehirn z. B. kein Lexikon, keine Hochglanzfotos und keine Sammlung von Geruchsproben enthält.
Im gleichen Sinne findet man im Gehirn natürlich auch keine Reise, da haben Sie, lieber Herr Metz, ganz recht, das wäre ein Kategorienfehler, sondern es muß darin (nach kognitivistischer Auffassung) statt dessen Erinnerungen an eigene oder Informationen über andere Reisen geben, das ist kein Kategorienfehler!
Deshalb kann m. E. auch Prof. Icklers Bild vom Auto, in dem man zwar Motorteile, aber keine Reise findet, nur bedeuten, daß mit dem Finden natürlich nicht die Reise selbst, sondern Reisedaten und Informationen über Reiseerlebnisse gemeint waren.
Und in diesem Sinne kann man dann die Reise auch im Auto finden, es ist nur eine Frage der technischen Ausstattung. In diesem Sinne handelt es sich eben nicht um einen Kategorienfehler.
Wenn Sie dennoch auf dem Kategorienfehler bestehen, d. h. Sie meinen nicht die Reisedaten, sondern daß der Automechaniker die Reise selbst im Auto nicht finden kann, dann müssen wir diese Metapher natürlich auch entsprechend rückübersetzen. Dann sagen Sie, das Gehirn speichere ebenfalls keine Reise und keine Hochglanzfotos und keine Geruchsproben. Was natürlich richtig ist, aber so naiv sind auch ernstzunehmende Kognitivisten nicht, das behaupten sie doch überhaupt nicht!
Das heißt, ich kann die Methapher von Automechaniker und Reise nicht als Widerlegung kognitivistischer Anschauungen billigen.
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 16.02.2024 um 17.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52787
|
Der Automechaniker kann beim Zerlegen des Autos den Tank und die Zündkerze, ja sogar das Navigationsgerät, den Fotospeicher und eine Mappe mit Tankquittingen finden. Aber wenn er mir die drei letztgenannten Gegenstände vor die Nase hielte und mir stolz mitteilte, er habe gerade eine Urlaubsreise gefunden, würde ich mir ernsthaft Sorgen um ihn machen. Das Beispiel sollte doch gerade veranschaulichen, daß man Begriffe und Kategorien nicht durcheinanderwerfen darf. Eine Zündkerze kann man anfassen, eine Reise nicht. Und »finden« im Sinne des Vorfindens anfaßbarer Objekte ist etwas anderes als das Zusammentragen von (wenn auch handfesten) Daten über einen Vorgang, einen Zustand, ein Erlebnis. Das Foto von einem Glück ausstrahlenden Menschen bleibt ein Foto, es ist nicht das Glück selbst.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.02.2024 um 16.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52785
|
Das ist etwas anderes. Man schwelgt ja auch nicht in den Erinnerungen anderer, sondern nur in den eigenen. Also befriedigen die Reiselust auch nur eigene Tankquittungen.
Eine Reise irgendwo zu "finden" heißt nicht, sie zu wiederholen, sondern ihre Eckdaten und Art der Erlebnisse zu kennen.
|
Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 16.02.2024 um 14.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52783
|
Die bequemste Form zu reisen wäre dann wohl, andere loszuschicken und sich anschließend ihre Tankquittungen anzusehen.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.02.2024 um 10.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52782
|
Der Automechaniker findet die Urlaubsreise nicht? Die Evolution der Autos schreitet schnell voran. Heutige Autos haben bereits Navigationsgeräte, in die man jede Zwischenstation der Reise eingeben und später im System wieder abrufen kann. Während meiner letzten Reise habe ich alle Tankrechnungen im Handschuhfach gesammelt, auch alle Hotel- und Restaurantrechnungen waren im Gepäck im Fahrzeug vorhanden. Fotos von der Reise befanden sich auf einem Speicherchip im Fahrzeug. Hätte ich kurz vor der Rückkehr einen Unfall erlitten, Kriminaltechniker hätten die gesamte Urlaubsreise aus den im Fahrzeug gefundenen Daten und Belegen rekonstruieren können.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2024 um 07.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52780
|
Nur noch einmal ganz kurz: Es geht nicht um "existent" vs. "nur ein Konstrukt". Es geht um ein semiotisches Problem, um Bezeichnungsweisen und um Kategorienverwechslung.
Der Automechaniker findet beim Zerlegen des Fahrzeugs den Tank, die Zündkerze usw., aber nicht die Urlaubsreise und die Dienstfahrt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.02.2024 um 22.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52778
|
Angst (eine Emotion) kann man körperlich spüren, sie kann so unerträglich sein wie Schmerz (eine sehr intensive Sinneswahrnehmung). Damit ergibt sich eine Parallelität von Emotionen und Wahrnehmungen. Man kann beide nicht einfach als Konstrukte abtun, was für Gedanken bzw. das reine Denken vielleicht nicht so unmittelbar einsichtig ist. Ein Schmerzpatient wird kaum damit zufrieden sein, daß sein Schmerz nur ein Kontrukt sei. Solange er ihn spürt, weiß er, daß er bei Bewußtsein ist, daß der Schmerz tatsächlich da ist, daß er "existiert". Auch wenn ein anderer den Schmerz nicht beobachten kann, auch wenn er materiell nicht existiert.
Descartes hätte vielleicht noch überzeugender "Ich fühle, also bin ich" sagen sollen, wobei ich aber glaube, daß er das sowieso mitgemeint hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2024 um 17.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52777
|
Wirtschaftswissenschaftler kritisieren mit Recht die beliebte Rede vom „größten Erfolg mit geringstem Aufwand“. Mathematisch sinnvoll kann es nur heißen: „größter Erfolg mit bestimmtem Aufwand“ oder „geringster Aufwand für einen bestimmten Erfolg“. Schwieriger wird es, wenn die Zeitdimension hinzukommt: Langfristiger Erfolg kann einen Aufwand erfordern, der kurzfristig als Verschwendung erscheint. Darauf beruht Zahavis Handicap-Prinzip. Die Schleppe des Pfaus vernindert seine kurzfristige Überlebenschance, erhöht aber über die sexuelle Selektion die Fortpflanzungschance. Ob die Schleppe tatsächlich höhere Fitneß (die sich vererben müßte) signalisiert oder nicht, ist eine andere Frage (die nach der „Ehrlichkeit“ von Signalen). Bei Wikipedia steht es schon als Tatsache:
„Das prächtige Gefieder des Hahns mit den auffälligen Deckfedern wird in der Verhaltensbiologie als visuelles Ornament bezeichnet und ist quasi ein Indikator für seine genetische Fitness. Zwar ist die lange Schleppe im Allgemeinen eher hinderlich und bewirkt eine Verminderung des Flugvermögens, nach dem sogenannten Handicap-Prinzip ist aber gerade dieser Umstand für die Weibchen bei der Paarung ein Indiz für gesunden, lebensfähigen Nachwuchs.“ (Wikipedia „Blauer Pfau“)
Die Diskussion über Zahavi dreht sich weitgehend und den Zusammenhang von „Kosten“ und „Ehrlichkeit“ von Signalen. Bestritten wird er von Kritikern wie Dustin J. Penn und Szabolcs Számadó („The Handicap Principle: how an erroneous hypothesis became a scientific principle“. Biol. Rev. 95/2020:267–290, auch im Netz – nicht ganz leicht zu lesen, aber wichtig!).
Auch Merkmale, die nicht Fitneß, sondern Zugehörigkeit zur gleichen Art und zum anderen Geschlecht signalisieren, erfordern einen gewissen Aufwand. Ebenso Zeichen der Kopulationsbereitschaft, einschl. Balzverhalten. Auf Kultur übertragen: Es kostet etwas, das Saatgetreide nicht vorzeitig aufzuessen, die besten Früchte für die Weiterzucht zu verwenden, Bäume zu pflanzen, die erst der nächsten Generation zugute kommen – Psychologie der Nachhaltigkeit und „Tragik der Allmende“.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2024 um 05.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52771
|
Plausibel ist das sehr – darum werden ja solche populären Bücher viel gekauft (ich kenne Ledoux auch). Sieht man genauer hin, löst sich der Eindruck auf. Wie ist denn Angst definiert? Wieso ist sie ein Gefühl? Und dann auch wieder ein Verhalten? Und auch ein physiologisch definierter Körperzustand? Am schlimmsten: „zuständig“ sagt gar nichts, man ist wieder bei der guten alten Phrenologie angelangt. Daß bestimmte Hirnverletzungen bestimmte Ausfälle verursachen, ist unbestritten, aber es ist gerade die erklärungsbedürftige Ausgangstatsache.
Übrigens ganz interessant: Nachdem Ekmans Theorie der Gefühle in allen Lehrbüchern referiert worden war, ist der Mann inzwischen als Scharlatan entlarvt und das ganze Gebäude zusammengebrochen. Das wäre nicht möglich, wenn der Gegenstand selbst nicht so ein luftiges Gebilde wäre.
Ich zitiere wieder einmal, was F. A. Lange vor 160 Jahren schrieb:
„Wenn mir jemand zeigt, daß eine leichte Verletzung irgendeines Hirnteils bewirkt, daß eine sonst gesunde Katze das Mausen läßt, so will ich glauben, daß man auf dem richtigen Wege psychischer Entdeckungen ist. Ich werde aber auch dann nicht annehmen, daß damit der Punkt getroffen ist, in welchem die Vorstellungen der Mäusejagd ihren ausschließlichen Sitz haben. Wenn eine Uhr die Stunden falsch schlägt, weil ein Rädchen verletzt ist, so folgt daraus noch nicht, daß das Rädchen die Stunden schlug.“ (Geschichte des Materialismus. Bd. 2. Frankfurt 1974:797f.; zuerst 1866)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.02.2024 um 00.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52770
|
Joseph Ledoux beschreibt in "Das Netz der Gefühle - Wie Emotionen entstehen" (DTV 2001) verschiedene Vorgehensweisen bei der Untersuchung von Emotionen. Wissenschaftler sind natürlich dabei auf Berichte von Versuchspersonen und Patienten angewiesen, man kann sie wie Gedanken ja nicht direkt untersuchen. Aber es gibt doch Möglichkeiten, diese Berichte zu objektivieren, indem man parallel dazu Körperfunktionen mißt. So weist er z. B. nach, welche Gehirnregionen für das Gefühl von Angst zuständig sind. Auch bei Tieren sind solche Versuche möglich, indem das typische Angstverhalten beobachtet und Körperfunktionen gemessen werden. Patienten bzw. Tiere mit bestimmten Gehirnverletzungen verspüren keine Angst. So lassen sich einige Emotionen immerhin recht gut bestimmten Gehirnregionen, z. B. dem limbischen System, zuordnen. Für mich klingt das sehr plausibel.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2024 um 15.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52769
|
Im limbischen System sollen Emotionen „verarbeitet“ werden. Diese Aussage hat nur Sinn, wenn „Emotion“ in die gleichen physiologischen Begriffe gefaßt wird wie „limbisches System“. Geht es um Hormone? Dann soll man es sagen. "Emotionen" gibt es in Romanen und Filmen, nicht im limbischen System.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2024 um 14.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52768
|
„Der Hippokampus, tief an der Innenseite der Schläfenlappen, wird heute als Organisator von Gedächtnisinhalten aufgefasst. Dabei scheint der Hippokampus sowohl für das deklarative Faktengedächtnis als auch für das episodische Gedächtnis festzulegen, welcher Inhalt in welcher Weise und an welchen Orten gespeichert wird. Der eigentliche Ort des Gedächtnisses ist dann die Großhirnrinde. Man könnte die Funktion des Hippokampus also im übertragenen Sinn mit dem Inhaltsverzeichnis eines riesigen Lehrbuchs vergleichen.“ (Eckart Altenmüller: „Hirnphysiologische Grundlagen des Übens“. In Ulrich Mahlert, Hg.: Handbuch Üben. Wiesbaden, Leipzig 2006, S. 50)
Das ist sehr irreführend. Das Gehirn steuert Verhalten und nichts anderes. Ein dahinter stehendes „Lehrbuch“, wie metaphorisch auch immer, erklärt nichts, selbst wenn man es gefunden hätte (was auch immer es sein mag). Denn Bücher und Verzeichnisse steuern kein Verhalten. Es müßte weiter nach jemandem gesucht werden, der sich von einem Lehrbuch zum Verhalten anleiten läßt.
Metaphern setzen voraus, daß man weiß, worum es sich in Wirklichkeit handelt. Das ist hier nicht der Fall, man weiß gar nichts, sondern tut nur so.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2024 um 13.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52767
|
Mein letzter Eintrag sollte natürlich Herrn Riemer antworten. Zu Herrn Metz: Sie haben ganz recht, und ich würde "Entscheidung" auf jene (möglichen) Dialogsituationen einschränken, die ich unter "Intentionalität und Sprache" besprochen habe. Anderswo habe ich auch die 25.000 Entscheidungen, die der Bienenforscher Menzel bei seinen Tierchen beobachtet haben will, in Frage gestellt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2024 um 13.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52766
|
Man könnte das in Dennetts Begriffen erklären (The intentional stance): Solange man über die Funktion redet, ist es egal, aber wenn man die Ingenieursebene betritt, ist es nicht egal.
Oder mit einem persönlichen Beispiel: Vor einem Vierteljahrhundert blieb mir die Sprache weg, weil als Spätfolge eines Sturzes linksseitig ein subdurales Hämatom sich ausgedehnt hatte. Wonach sollte der Chirurg suchen? Nicht nach der Sprache, sondern nach dem Blutgerinnsel. Das hat er denn auch getan.
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 14.02.2024 um 12.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52765
|
Ich frage mich eher, was dadurch klar wird. Was ist gewonnen, wenn man die Auslöser für alle möglichen Verhaltensweisen irgendwo im menschlichen Körper lokalisiert, sei es in der Fußsohle, im Bauchnabel oder im Gehirn? Ist damit irgend etwas erklärt? Neulich las ich, wir träfen jeden Tag zwanzigtausend Entscheidungen. Da habe ich mich gefragt, ob ich jetzt beeindruckt sein soll. Wie kommt man bloß auf eine solche Zahl? Habe ich beim Tippen des Wortes »Zahl« soeben vier »Entscheidungen« getroffen? Wenn ich beim Aufstehen aus dem Bett zuerst den linken, dann den rechten Fuß auf den Boden setze, sind das dann schon wieder zwei Entscheidungen? Ist es womöglich nur eine, die sich in zwei Handlungen manifestiert? Oder ist es am Ende gar keine, weil dieses Verhalten völlig automatisiert ist, so daß nicht sinnvoll von einer »Entscheidung« gesprochen werden kann? Solange man sich nicht einmal auf die Bedeutung solcher Allerweltswörter einigen kann, wird man es kaum schaffen, die Gründe für menschliches Verhalten zu erklären.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.02.2024 um 11.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52764
|
Ich rede ja nicht vom ganzen Kognitivismus. Die Aussage muß schon klar sein. Aber wenn jemand sagt, das Gehirn befolgt eine Regel, ist es m. E. das gleiche wie der Satz, der Mensch befolgt eine Regel. Ein mereologischer Trugschluß liegt ja nur dann vor, wenn keine eineindeutige Beziehung zwischen dem Speziellen und dem Allgemeinen in der fraglichen Sache besteht. Was wird eigentlich unklar, wenn wir eine Eigenschaft des ganzen Menschen dem Organ zuschreiben, das im wesentlichen funktionell dafür zuständig ist?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2024 um 05.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52759
|
Wenn der ganze Kognitivismus nur eine Metapher oder ein großes "Als-ob" wäre, brauchte man nicht darüber zu diskutieren, er würde sich in eine Stilfigur auflösen. Dann wäre auch die Rede von der Angeborenheit der Sprache (Nativismus) nur eine rhetorische Figur, und auch die Kreationisten könnten sagen, ihre Schöpfungslehre sei nur eine Metapher für Evolution usw.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.02.2024 um 21.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52758
|
Reagiert das Gehirn nicht durchaus regelmäßig, wenn der Mensch vermittels seines Gehirns Regeln befolgt? Eine Faustregel meint ja keine genau passende Reaktion, sondern z. B. erstmal eine, die das Überleben wahrscheinlicher macht, wie ich es vorhin beschrieben habe. Dazu gehören wohl meist unwillkürliche Handlungen. Die willkürlichen betreffen komplexere Regeln. Ob man nun sagt, der Mensch befolgt Regeln, oder das Gehirn tut es, wo liegt der Unterschied? Natürlich ist das letztere eine Metapher, aber was macht das? Es gibt m. E. keine Gefahr für ein Mißverständnis. Das Gehirn ist eben das lenkende Organ, ohne das Menschen und Tiere gar keine Regeln befolgen könnten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2024 um 10.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52755
|
Aus den gleichen Berichten:
Ein erfahrener Hund springt nicht hinter dem Stock her, der ins Wasser geworfen wurde, sondern läuft erst am Ufer entlang, bis er den optimalen Ort zum Hineinspringen erreicht hat. Es sieht so aus, als beherrsche er die Differentialrechnung. Davon kann natürlich keine Rede sein, es ist nur wieder der Planimeter-Trugschluß. (Der Schützenfisch macht etwas ähnliches mit einem halben Dutzend Nervenzellen.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2024 um 04.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52754
|
Durch die Zeitungen gehen Forschungen, die bei Clownfischen mathematische Fähigkeiten nachgewiesen haben sollen. Die Fische reagieren am stärksten auf Attrappen, die mit den drei senkrechten Streifen der Artgenossen ausgestattet sind, sollen also diese Streifen „gezählt“ haben (Bild der Wissenschaft 1.2.24).
Solche Muster lassen sich ohne Zählen erkennen, und die Deutung ist auch aus anderen Gründen nicht nachzuvollziehen. Zählen (= Abzählen) ist das Abbilden auf eine Folge von Zahlen, die in der Regel auswendig gelernt ist. „Zählen ist eine sprachliche Fertigkeit, die der Mensch vermutlich erst im Lauf seiner biosozialen Phylogenese (Stammesentwicklung) erworben hat.“ (Wikipedia Zählen)
Wie weiter bemerkt wird, setzt das Zählen eine gewisse Abstraktion voraus. Einfach gesagt, würde man Äpfel und Birnen nicht gemeinsam zählen, wenn man sie nicht (sprachlich oder nicht) zu Obst zusammengefaßt hätte. Zangen und Schraubendreher lassen sich nur als Werkzeuge zusammen zählen; Vater und Schwester nur als Verwandte usw. Darauf kommt der einfache Mensch nicht ohne weiteres, die Dinge scheinen ihm ganz verschieden zu sein.
(Man könnte sich auch das Abtragen auf einem Zählstab vorstellen, dessen Herstellung allerdings auch erklärt werden müßte.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2024 um 04.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52753
|
Es geht nicht um die Rolle des Gehirns, an der wohl niemand zweifelt, sondern um die Anwendbarkeit von Begriffen wie "Regel" auf Gehirnvorgänge, im weiteren Sinn um die Anwendbarkeit psychologischer Prädikate auf das Gehirn. Schon Metaphern wie "erfassen", "bewerten" sollte man sich nicht erlauben, wenn es ernst wird mit der Physiologie.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.02.2024 um 20.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52750
|
Statt Faustregel könnte man auch Abkürzung, Reflex, Schreck sagen. Ein lauter Knall oder ähnlich "erschreckende" Ereignisse lassen uns unter Umgehung genauer analysierender Gehirnregionen zunächst augenblicklich zusammenzucken, erschrecken, d.h. die Muskeln werden angespannt, Blutdruck, Herzfrequenz schnellen nach oben, der ganze Körper reagiert und bereitet sich auf Abwehr oder Flucht vor. In Gefahrensituationen ist Schnelligkeit überlebenswichtig, es gilt, sofort zu reagieren, wenn auch nur nach einer Faustregel. Erst dann werden andere Hirnregionen aktiviert, das Gehirn erfaßt die Situation genauer, gibt evtl. Entwarnung. Ein Irrtum über eine in Wirklichkeit nicht bestehende Gefahr schadet viel weniger, als eine zu späte Reaktion im Falle einer wirklichen Gefahr.
Diese Abläufe müssen ja irgendwie gesteuert werden. Kann es denn den geringsten Zweifel geben, daß das alles nicht im Gehirn passiert? Natürlich kann man diese Vorgänge, sowohl reflexhafte als auch wohlüberlegte, auch Verhalten nennen. Das ändert m. E. nichts daran, daß die Steuerung dieses Verhaltens im Gehirn erfolgt. Das Verhalten wird doch sofort gestört, wenn bestimmte Gehirnteile beschädigt sind.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.02.2024 um 17.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52749
|
„Unser Gehirn setzt erlernte und tief verankerte Faustregeln ein, um Entscheidungen zu beschleunigen.“ (Aus der Zeitung)
= Wir setzen Faustregeln ein.
= Wir verhalten uns so, als ob wir Faustregeln einsetzten.
Da wir als Personen von diesen Regeln nichts wissen, sagen wir einfach, daß sie tief im Gehirn sitzen. Wer könnte das widerlegen? Irgendwo müssen sie doch sitzen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.02.2024 um 04.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52741
|
„Die Sprachkompetenz ist dann vollständig beschrieben, wenn alle Regeln zusammengestellt sind, die von den Sprechern einer Sprache bei der Erzeugung beliebiger Äußerungen angewendet werden.“ (Klaus H. Köhring/Richard Beilharz: Begriffswörterbuch Fremdsprachendidaktik und -methodik. München 1973:133)
So reden sie fast alle. Dagegen Skinner:
A crucial issue concerned rules. As two psycholinguists [Bellugi und Brown] put it, a child composes a noun phrase like ‘A coat’ by following the rule: ‘Select first one word from the small class of modifiers and select, second, a word from the large class of nouns.’ This was called a ‘generative rule,’ used by children whose ‘average utterance is approximately two morphemes long.’ I could not believe that a child ever spoke in that manner. So far as I was concerned, the utterance was ‘generated’ by the contingencies maintained by the verbal community. They could be described in a rule, but the rule was not in the contingencies. In arguing that rules of grammar are innate, Chomsky pointed to certain universal features in all languages. But take a baby boy from Peking to New York and he will grow up speaking English rather than Chinese. True, there will be common features — universals — but they will be due, not to inborn rules of grammar, but to the fact that both languages serve the same functions. In all languages people ask questions, state facts, describe objects, give orders, and so on, and ‘use grammar’ in doing so. (B. F. Skinner: A matter of consequences. New York 1983:154)
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 10.02.2024 um 13.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52738
|
Scholz nickt, beugt sich über die Sessellehne zum Präsidenten vor. Eine Körperhaltung, die Zugewandtheit ausdrückt. Vielleicht ist sie aber auch damit zu erklären, dass der Präsident sehr leise spricht.
(spiegel.de, 10.2.24)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2024 um 08.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52705
|
Australische Forscher haben herausgefunden, warum Antialkoholiker in einer feucht-fröhlichen Runde als Spaßbremse wirken, ebenso Vegetarier unter Normalos: sie werden als stummer Vorwurf empfunden (SZ auf der ersten Seite). Na Prost! Gibt es irgend jemanden auf dem Erdenrund, der das nicht schon immer gewußt hat? Verbrecherbanden legen Wert darauf, daß ausnahmlos jedes Mitglied Dreck am Stecken bzw. Blut an den Händen hat. Der „soziale Zusammenhalt“ hat sich auch unter Kindern schon immer in der Parole ausgedrückt: „Keiner schließt sich aus!“ Unsere bayerischen Leitkultur-Politiker folgen dem gleichen atavistischen Trieb: Schweinefleisch auf den Tisch, Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer, Kruzifix ins Klassenzimmer, verdammt noch mal!
In manchen Gesellschaften schämen sich Beschnittene, in anderen Unbeschnittene, und zeigen sich darum nicht gern nackt. Dafür gibt es autobiographische Zeugnisse, die ich aber nicht gesammelt haben. Es versteht sich eigentlich auch von selbst.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2024 um 07.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52677
|
„Language as mind sharing device. Mental and linguistic concepts in a general ontology of everyday life“
Wie kommt ein Autor, der vorher (sehr weit von Sprachwissenschaft entfernt, wenn man darunter eine empirische Wissenschaft vesteht) über „Montague-Grammatik“ (also Logik) geschrieben hat, dazu, jetzt in Psychologie zu machen? Das „Mentale“ ist eben das folkpsychologische Konstrukt, über das jeder mitreden kann, der die deutsche Sprache beherrscht. Dazu braucht man weder Psychologie noch Neurologie zu studieren. Aber warum sollten andere es lesen? Es kann doch nichts dabei herauskommen. („Ontologie“ ist für diese Autoren auch etwas anderes als in der traditionellen Philosophie. Das habe ich erst als Beisitzer in Prüfungen von Informatikern und Computerlinguisten gelernt.)
In einer Untersuchung des Sprachverhaltens muß auch das logische und mathematische Verhalten vorkommen. Wie funktioniert es, wie wird es erworben und weitergegeben? Für die „theoretische Linguistik“ ist es umgekehrt: Sie geht von der Logik aus und versucht die Sprache darauf abzubilden, also die Gesamtsprache auf eine ihrer Spezialisierungen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2024 um 04.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52673
|
Unter verschiedenen Namen werden Stromsparkästchen angeboten, die natürlich reiner Nepp sind. Aber es macht immerhin Spaß, die kritische Analyse zu lesen, z. B. diese: https://www.heise.de/tests/Warum-das-Stromsparkaestchen-Voltbox-nutzloser-Nepp-ist-6266294.html
Ich frage mich allerdings ebenso wie andere, warum die Werbung nicht verboten wird. Muß der betrogene Käufer einzeln klagen, und würde das überhaupt helfen?
Man fühlt sich an die schwachen Anforderungen bei Arzneimitteln und die extrem laxe Kontrolle bei homöopathischen Pillen erinnert. Wer sich eine Eintrittskarte kauft, um Zauberkunststücke zu sehen, weiß genau, was ihn erwartet. Aber die viele Pseudotechnik (magnetische Wasserenthärtung usw.), mit der heute gutes Geld verdient wird, ist schlichter Betrug und sollte verboten werden. Der Staat vernachlässigt hier seine Schutzpflicht, weil der normale Bürger den Trickbetrug nicht durchschauen kann.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2024 um 07.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52654
|
Psychologen haben herausgefunden, daß Geschwister der seelischen Gesundheit schaden können (SZ 24.1.24). Das erinnert sehr an die unsterbliche Einsicht, daß das Leben immer tödlich endet. Die Konsequenz kann nur sein, auf Geschwister zu verzichten. Das führt mit Sicherheit zur biologischen Lösung des Problems: Keine seelischen Leiden mehr (mangels Masse).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.01.2024 um 08.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52582
|
In der strukturalen Phonologie hatte Jakobson zunächst durchaus mehr als zweigliedrige Oppositionen gelten, kam dann aber durch Hinzufügen weiterer Merkmale zu durchweg binären Oppositionen. Lévi-Strauss projizierte sie in die Mythen der Völker und hielt sie, weil das immer und überall zu funktionieren schien, für universale Strukturen des Geistes. „Jakobson erkannte die binaristische Grundstruktur der Sprache, die in allen sprachlichen Operationen wirkt.“ (Wikipedia „Strukturalismus“) Das trifft nicht zu, er hat diese Grundstruktur postuliert und wie die anderen Strukturalisten über den Gegenstand gelegt.
Urform sind die Platonschen Dichotomien, die unreflektiert das Diairesis-Verfahren ausmachen.
Jede Opposition mit beliebig vielen Gliedern läßt sich in lauter zweigliedrige umwandeln. Das ist eine rein logische Angelegenheit und sagt nichts über den Gegenstand. Ein Biologe hat scherzhaft gesagt, in erster Näherung seien alle Tiere Insekten. Den Rest kann man wieder zweiteilen usw.
In neuerer Zeit hat der Binarismus eine starke Stütze durch die digitale Technik erfahren, die mit dem Dualsystem arbeitet und daher als Basis nur zwei Werte (0, 1) kennt. Das hat aber nichts mit den Gegenständen selbst zu tun.
Bei Lévi-Strauss hat man bemerkt, daß seine Merkmale (Natur vs. Kultur, das Rohe vs. das Gekochte) von außen über die Phänomene gestülpt sind und daher europäische Konventionen widerspiegeln und fortsetzen, statt aus dem Material selbst gewonnen zu sein (vielleicht durch eine Faktorenanalyse?).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.01.2024 um 06.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52581
|
Sprachproduktion ohne "Speicher" und ohne "Wahl":
Die logische oder strukturalistische Analyse läuft darauf hinaus, daß an jeder Stelle der Rede eine Auswahl aus dem gesamten Raum der Möglichkeiten gewählt wird. Nach einem maskulinen Artikel wären demnach sämtliche maskulinen Substantive darauf hin zu durchsuchen, welches der Ausdrucksabsicht (Levelts „Intuition“ am Anfang der Aktualgenese) entspricht. (Woher weiß der Erzeugungsapparat oder gar der Sprecher als Person, wann das der Fall ist?) Das gilt aber auch schon auf der phonematischen Ebene: Welcher Laut kann auf ein /d/ folgen? Es erübrigt sich, dieses allgemein verbreitete Modell von Speicher und Wahl, dessen paradoxe Folgen schon Platon dargestellt hat, näher auszuführen.
Eine naturalistische Alternative sähe etwa so aus: Die Wahrnehmung, der Kontext oder irgendeine andere Konstellation erhöht die Wahrscheinlichkeit der sprachlichen Reaktion Regenwurm. Während diese Artikulation sich vorbereitet, wird eben dadurch die Wahrscheinlichkeit der Reaktion der erhöht. Solche Artikelwörter setzen sich im Deutschen aufgrund vieltausendfacher Übung immer zuerst durch, obwohl sie in der Regel unbetont sind. Das folgende Substantiv wird nicht „zwischengespeichert“, sondern steht einfach in der Schlange des „competitive queuing“ weiter an, bis es sich durchsetzt. Auch wenn (wie bei allen Modellen der Redeerzeugung) die physiologischen Einzelheiten unbekannt sind, ist hier nicht „almost a miracle“ (Pinker) zu erklären. Vorausgesetzt wird lediglich eine weitgehende Parallelverarbeitung, wie von den „konnektivistischen“ Netzwerkmodellen mit Recht angenommen und auch aus neurophysiologischer Sicht nicht zu bezweifeln.
Die sinntragenden und daher betonten Wörter bilden das Gerüst des Satzes, die formalen Mittel werden nachträglich hinzufügt. Manche sehen es umgekehrt: Die Vollwörter werden in den grammatischen Rahmen der Formwörter eingefügt. Das ist unrealistisch – nicht nur wegen der paradoxen Folgen, sondern auch wegen der fehlerkundlichen Einsicht, daß unter Beeinträchtigung durch Krankheit, Müdigkeit, Drogen usw. das semantische Gerüst erhalten bleibt, während das grammatische Beiwerk ausfällt (Telegrammstil, pragmatischer Modus).
Der Primat der sinntragenden „Brückenköpfe“ im Strom der Rede wird im Grund auch vom hier verworfenen Modell anerkannt, aber in jenem ausdrücklich als mysteriös bezeichneten Anfangsstadium namens „Intention“ versteckt. Levelt weigert sich ausdrücklich, diese Black box zu öffnen, das macht alles weitere wertlos.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2024 um 16.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52535
|
David Premack wollte beweisen, daß die Schimpansin Sarah zu metasprachlichen Aussagen fähig war:
„Wir legten das Wort ‚Apfel‘ [ein Plastikdreieck] vor Sarah hin und in geringem Abstand davon einen wirklichen Apfel, und sie mußte das Plastikplättchen, das ‚Name von‘ bedeutet, dazwischen legen. Beim nächsten Versuch gaben wir ihr das Wort ‚Banane‘, eine wirkliche Banane und ‚Name von‘.“
So soll die Schimpansin mitgeteilt haben, daß "Apfel", aber nicht "Banane" der Name des Apfels ist. (In Ilse Schwidetzky, Hg.: Über die Evolution der Sprache. Frankfurt 1973:102f.)
Wie man sieht, lernt das Tier das Aneinanderlegen von Objekten. Alles andere steckt der Versuchsleiter hinein. Wenn er einem Plastikteil die metasprachliche Bedeutung „Name von“ zuschreibt, ist es kein Wunder, daß der Affe sich metasprachlich äußert. Sein Verhalten ist in Wirklichkeit weder sprachlich noch metasprachlich.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2024 um 04.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52528
|
Übrigens bin ich immer skeptisch, wenn ein Projekt sich selbst als „innovativ“ empfiehlt. Das ist wie der selbsterklärte „Paradigmenwechsel“. Beides sind Urteile, die dem außenstehenden Betrachter zustehen, nachdem die Mühle nicht nur geklappert, sondern auch Mehl ausgeworfen hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2024 um 04.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52527
|
Dieser Zweig im „Elitenetzwerk Bayern“ müßte mich als Sprachwissenschaftler – der Beschreibung nach – eigentlich interessieren:
https://www.elitenetzwerk.bayern.de/start/foerderangebote/elitestudiengaenge/uebersicht-elitestudiengaenge/ethik-der-textkulturen
Es gibt unendlich viele von solchen ff. Eliteangeboten.
|
Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 04.01.2024 um 02.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52526
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52508
Das Max-Planck-Institut für Geschichte wurde 2006, angeblich aus Sparzwängen, geschlossen, obwohl dort bedeutende wissenschaftliche Forschungsprojekte betrieben wurden. Die Festangestellten wurden auf die Universitäten, weitgehend ohne Rücksicht auf das Profil der jeweiligen Institute, verteilt, und wie es den befristet Angestellten ergangen ist, will ich mir lieber nicht ausmalen.
Der Sparzwangvorwand wurde allerdings sehr schnell widerlegt, indem auf den Ruinen ein neues Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften ins Leben gerufen wurde. Letztere ist wichtig, und zwar nicht weniger als die seriöse Geschichtswissenschaft.
Die Tatsache aber, daß es ein MPI für so etwas Esoterisches wie "empirische Ästhetik" gibt, während die Geschichtswissenschaft ausgeschlossen wurde, zeigt aber m. E., daß es nicht um Sparmaßnahmen ging, sondern um Ideologie und den Kampf um die Fördertöpfe.
Das ist alles in allem entmutigend und eher widerlich.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.01.2024 um 08.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52523
|
In mehreren Medien werden "Handabdrücke" aus steinzeitlichen Höhlen diskutiert, an denen Finger fehlen. Eine rituelle Bedeutung der Amputation wird für wahrscheinlich gehalten. Manche zweifeln allerdings daran und erwägen, daß die scheinbar verstümmelten Finger in Wirklichkeit nur gekrümmt waren und das Ganze womöglich Fingerzahlen abbildet.
Dafür würde etwas sprechen, was nirgendwo erwähnt wird: es handelt sich durchweg um Sprühbilder, vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48424 Bei Abdrücken wären solche Abbildungen auch schwer möglich gewesen.
Damit will ich aber der Verstümmelungsthese nicht widersprechen. Allerdings hat man an Knochen keine Spuren davon gefunden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.01.2024 um 07.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52508
|
Warum Tanzen glücklich macht, erforscht die „Neurowissenschaftlerin und Psychologin“ Julia F. Christensen vom MPI für empirische Ästhetik: „Durch Bewegung beeinflussen wir nicht nur unsere Muskeln, sondern auch die neuronalen Windungen in unserem Gehirn.“ (SZ 30.12.23)
Der Stuß wirkt silvestermäßig beschwipst, aber ausführliche frühere Äußerungen sind auch nicht erhellender.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.12.2023 um 05.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52448
|
Das Faszinierende an den Ortszellen, Dreiecksschaltungen usw. ist ja gerade, daß sie völlig anders funktionieren als wir mit unseren Landkarten, Kompassen, Schrittzählern, Uhren usw. Ähnlich steht es mit der Wahrnehmung und erst recht mit dem Denken – was immer es im Kopf sein mag, es hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem Verlauf einer Diskussion. Und wenn wir rechnen, rechnet nicht das Gehirn, das unser Rechenverhalten steuert.
Der Computer ist kein gutes Modell für die Arbeitsweise des Gehirns, gerade weil er die Arbeitsweise von Personen simuliert. Er ist ein soziomorphes Modell: Logik ist eine Art sozialer Disziplinierung. Daher die Irrtümer der „Kognitionswissenschaft“.
Für Sprachwissenschaftler relevant: Die „Erzeugung“ von Sätzen nach dem Modell des Computerlinguisten Chomsky hat überhaupt nichts mit der Entstehung der Rede im Kopf zu tun. Das war anfangs auch ganz klar, ist aber dann durch eine übergriffige „Kognitionswissenschaft“ verwischt worden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.12.2023 um 05.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52447
|
In einem Podcast des SWR über Hirnforschung, leider auch noch mit störender Sphärenmusik lückenlos unterlegt, wird wieder von mentalen oder kognitiven Karten gesprochen, die unsere Orientierung im Raum, aber auch „logisches Denken“ ermöglichen sollen. Es fehlt jede begriffliche Reflexion: Wer liest die Karten? Wie kommt man von der Karte zur Verhaltenssteuerung? Usw. Die nobelgepreisten Ortszellen werden erwähnt, aber nicht weiterverfolgt. Zwischendurch kommt immer wieder eine Psychotrainerin zu Wort, die ihre Kunden mit Karte und Kompaß durch die Landschaft ziehen läßt. Ich schalte ab, weil ich diese neurosophischen Spekulationen samt undurchschauter Metaphorik nicht mehr ertrage.
Übrigens halte ich es für falsch, von „logischem Denken“ sprechen. Logik gehört zum Argumentieren, nicht zum Denken.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2023 um 05.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52406
|
Amerikanische Psychologen haben herausgefunden, daß Gastgeber auf die Absage eines Eingeladenen milder reagieren als erwartet. Darum solle man ruhig mal absagen, allerdings mit Fingerspitzengefühl. Sebastian Herrmann berichtet auf der ersten Seite der SZ (15.12.23). Warum ist eigentlich das Horoskop in solchen Zeitungen gestrichen worden? Es war doch auch ganz unterhaltsam.
Glaubt man der Psychologie einen Dienst zu erweisen, wenn man so etwas verbreitet? Verstärkt es nicht eher den Eindruck, daß die ganze Disziplin wegfallen sollte?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2023 um 14.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52383
|
Das ist wahr, und ich habe ja selbst immer wieder gesagt, daß eine "ideale Sprache" ohne Synonymie nicht erlernbar wäre, weil mangels Paraphrasenmöglichkeit auch keine Worterklärung möglich wäre. In dem zitierten Satz geht es allerdings nicht um Begriffserklärung, sondern ausdrücklich um die Zurückführung eines Sachverhalts auf einen anderen.
Skinner hat oft gesagt, daß man eine Tatsache nicht durch ein Konstrukt erklären kann, das man erst aus dieser Tatsache abgeleitet hat. Wenn einer einen Fehlschluß zieht, dann ist das zwar ein Fall seiner Fehlbarkeit, wird aber nicht durch dieses "erklärt" usw.
Fehlt noch, daß man eine Fähigkeit auf die "Kompetenz" zurückführt. (Tausendfach geschehen.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.12.2023 um 11.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52382
|
Wenn es reine Wortwiederholungen sind, oder anderweitig zu offensichtliche Tautologien, wird man sie nicht verwenden.
Wird ansonsten das gleiche nur mit anderen Worten gesagt, könnte es zumindest den Sinn haben, es eben noch einmal anders zu erklären. Vielleicht sind solche Tautologien dann auch nicht ganz sinnlos.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2023 um 09.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52380
|
„Der Psychologe Daniel Goleman führt unfreiwilliges Außenseitertum bei Kindern hauptsächlich auf mangelnde emotionale und soziale Kompetenz zurück.“ (usw., Wikipedia Außenseiter)
Man weiß wie so oft nicht, ob es sich hier nicht um bloße Tautologien handelt wie bei Molières "virtus dormitiva". Schwache Kontakte kommen von der Kontaktschwäche.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2023 um 07.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52331
|
Ich habe nicht auf die Schläge der Turmuhr geachtet, während ich über den verschneiten Feldweg wandere, aber ich weiß: Der nächste Schlag wird der elfte und letzte sein. Und so ist es auch.
Neurologen aller Länder, vereinigt euch und erklärt dieses bekannte Phänomen auf neurologischer Ebene! Über „Neurolinguistik“ reden wir später.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2023 um 05.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52311
|
Zur "Neurotheologie":
Sabine Müller zieht es vor, von Religiositätsneurobiologie statt Neurotheologie zu sprechen. (Dominik Groß/Sabine Müller: Sind die Gedanken frei? – Die Neurowissenschaften in Geschichte und Gegenwart. Berlin 2007; Sabine Müller/Henrik Walter: „Religiöse Gehirne – Neurotheologie und die neurowissenschaftliche Erforschung religiöser Erfahrungen“. Nervenheilkunde 29/2010:684-689)
Von ihrem nichttheologischen Standpunkt aus verurteilt Müller die sogenannten Fundamentalisten nicht als entartet, sondern sieht in ihnen die eigentlich Religiösen, denen es wirklich ernst ist.
Die Aussagekraft der bildgebenden Verfahren wird weit überschätzt. Rüdiger Vaas schreibt: „Neurowissenschaftler haben entdeckt, was in den Köpfen religiöser und abergläubischer Menschen vor sich geht.“ (Bild der Wissenschaft 16.2.10) Davon kann keine Rede sein.
Es gibt aber Einwände, die über die technische Seite hinausgehen: Die neurotheologische Literatur krankt einerseits an einem missionarischen Anspruch, der durch die dürftigen und vieldeutigen neurologischen Befunde nicht begründet werden kann: „If neurotheology is ultimately successful in its goals, its integrative approach has the potential to revolutionize our understanding of the universe and our place within it.“ (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3968360/) Auch einer der Hauptvertreter, Andrew Newberg, geht vorschnell zu Anwendungsmöglichkeiten wie „Neuroleadership“ über.
Andererseits fällt immer wieder auf, wie schlecht die theologischen oder religionswissenschaftlichen Begriffe (Glaube, Spiritualität, Religiosität, Transzendenz usw.) definiert sind. Was man traditionell als Religion bezeichnet, ist so vielgestaltig, daß es auch Zweifel daran gibt, ob es sich überhaupt um ein definierbares Phänomen handelt. Man denke an so unterschiedliche Praktiken wie Meditation, Orakelwesen, Menschenopfer... Schon deshalb sind die behaupteten Korrelationen zwischen Hirnbefunden und Manifestationen religiösen Verhaltens nicht plausibel; die Versuche sind großenteils nicht einmal reproduzierbar.
Das hindert nicht die Ableitung publikumswirksamer Thesen: „Wer an Gott glaubt, verwendet mehr Hirnzellen für Mitgefühl als für analytisches Denken. Das Gehirn von Atheisten arbeitet genau andersherum. Dadurch sind sie intelligenter, aber auch kaltherziger. Diese Eigenschaften definieren auch Psychopathen.“ (focus.de 25.3.16)
Die nicht gerade seltenen Ungläubigen sind auch ein Problem für jene Forscher, die – oft selbst nicht gläubig – der Religiosität einen evolutionären Nutzen zuschreiben (vgl. Rüdiger Vaas/Michael Blume: Gott, Gene und Gehirn. Stuttgart 2009).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.11.2023 um 05.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52296
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45757
und
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1240#49337
Noch in Melanie S. Richs Buch „Jews in Psychology and the Psychology of Judaism“ (Piscataway 2009) wird neben Freud, Wertheimer und Maslow auch Chomsky behandelt, obwohl er doch gar kein Psychologe ist.
Daß Sprache Kommunikation und nichts anderes sei, ist eine banale Vorstellung, die Chomsky aber geradezu lächerlich findet. Die meisten Autoren übergehen diese Kuriosität mit Stillschweigen, aber vielleicht enthält sie den Schlüssel zu einer Jahrhundertkontroverse.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.11.2023 um 03.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52278
|
Skinner hat selbst miterlebt, wie die Statistik im Psychologiestudium immer größeren Raum einnahm. Das hat sich bis heute eher noch verstärkt. Nur die empirische Sozialforschung, die sie ja damit überschneidet, kann da mithalten. Skinner hatte zeitweise den Forderungen der Kollegen (soweit man davon sprechen kann, denn eigentlich hat er sich nicht als Psychologen gesehen) nachgegeben und in einer aufwendigen Anlage 24 Tauben gleichzeitig vollautomatisch konditioniert und dann die 24 Lernkurven ausgewertet, aber bald kehrte er zu seinen vier Tauben zurück und dann oft zu einer einzigen, aber gründlich untersuchten. Er kritisierte das Verschwenden von "vast quantities of impeccable mathematics on vast quantities of peccable data" und zeigte, was beim Mitteln über viele Ergebnisse verlorengeht. Man könnte das gleiche über die heutigen bildgebenden Verfahren sagen: Zum Beispiel findet man durch Überlagern vieler Bilder, daß es im Gehirn ein Zentrum für xy gibt. Das kann ein Artefakt der Methode sein. In Wirklichkeit zeigt das Bild nur die durchschnittliche, aber vielleicht in keinem einzigen Probanden realisierte Präferenz für eine bestimmte Region. Die breit gestreute Verteilung ist völlig eliminiert zugunsten eines Zentrums, das es gar nicht gibt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2023 um 06.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52259
|
Karl von Frisch war ein Beehiviorist.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2023 um 06.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52258
|
Forscher haben herausgefunden, daß auch Staaten altern und sterben. Nach etwa 200 Jahren werden sie gebrechlich. Über 600 historische Gemeinwesen wurden untersucht, teilweise mit archäologischen Methoden. Die Fülle von methodischen Problemen, auch Definitionsschwierigkeiten, ist berücksichtigt. (Bericht in der SZ vom 23.11.23)
Mir fehlt der Hinweis auf das Alter solcher Thesen. Die Analogie zwischen Staatswesen und Menschenleben ist ja seit der Antike beliebt und hat mit Spengler noch kein Ende gefunden.
Kein Gemeinwesen dauert ewig, das ist wahr. Man wird also irgendwann seinen „Tod“ feststellen. Dann erscheint die Zeit davor als „Alterung“. Die Marxisten glaubten das Ende im voraus zu kennen und nannten ihre eigene Zeit „spät“ („spätkapitalistisch“, haha!). China war bekanntlich schon lange tot oder zumindest völlig vergreist und abgeschrieben. Diese jugendfrische Behauptung war aber vielleicht selbst senil? Wer kann das sagen, es ist auch einfach langweilig.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2023 um 05.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52220
|
Wie gesagt, man kann einem Schimpansen beibringen, einen Schraubendreher zu benutzen. Schon diese Beschreibung ist aber irreführend. Die "Topographie" seines Verhaltens mag der einer Benutzung des Schraubendrehers gleichen, trotzdem "benutzt" er ihn nicht. Das wäre der Fall, wenn die Affen das bereits erwähnte Sägen und Schrauben etwa zur Herstellung verbesserter Schlafnester nutzen würden. (Die Bereitstellung der Werkzeuge, die sie nicht selbst herstellen können, sei ihnen zugestanden.) Davon sind die Tiere weit entfernt, es würde den Zoologen geradezu schockieren. Darum kann man nicht eigentlich sagen, daß Schimpansen gelernt haben, Schraubendreher zu benutzen – es handelt sich nur um eine Simulation. Genau so verhält es sich mit den Sprachversuchen. Kein Tier versteht Wörter, weil es Wörter nur als Teil der Sprache gibt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.11.2023 um 18.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52200
|
Wir sind so weit auseinander wie seit je.
Ich wiederhole mich, will aber dies noch einmal sagen:
Wenn alles, was Forscher über einen Gegenstand herausfinden (wie man ja sagt), schon in diesem Gegenstand enthalten wäre, also wohl die „Information“, dann wäre kein Unterschied zwischen dem Weltall und einem Lehrbuch der Astronomie. Das führt zu nichts. Information im semantischen Sinn hat mit Kommunikation, also Zeichenverhalten zu tun. (Es geht also nicht um natürlich vs. künstlich.)
Dennett hat seine bessere Einsicht verdorben, indem er den Jahresringen in Bäumen Information zuschrieb, Bohrkernen aus Gletschern aber nicht. Sie sind offenbar genau gleichwertig als Material für eine Klimageschichte (die dann wirklich die Information enthält).
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.11.2023 um 17.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52199
|
Eigentlich meine ich keine von diesen sehr speziellen Sichtweisen, die beide wohl das umfassen, was Sie mit "absichtlich" bzw. "kein Naturphänomen", also künstlich, bezeichnen. Nur das erkennen Sie als Information im fachlichen Sinne an.
Ich hatte Information auch schon als äußere Form, Muster bezeichnet. Für mich ist sie im allgemeinsten Sinne das, was für Sie gerade keine ist, wie z. B. die "Bahnung" im Gehirn als Grundlage des Lernens, Wissens und Verhaltens, Jahresringe am Baum, Linien im Lichtspektrum, die Masse eines Steins, die Reihenfolge zweier Ereignisse. Mein Verständnis von Information ähnelt dem umgangssprachlichen. Ob Information natürlich oder künstlich ist, kann m. E. keine Rolle spielen.
Ich finde, es sollte eine allgemeine, umfassende Definition für alle Anwendungszwecke geben, und das kann wohl nur eine philosophisch-naturwissenschaftliche sein. Ich stelle es mir ungefähr so vor:
Information ist alles, woraus sich eine wahre Aussage über die Wirklichkeit oder eine zweckdienliche Handlung in der Wirklichkeit ableiten läßt, anders gesagt, alles, was korrekt interpretierbar oder zweckmäßig nutzbar ist. Dabei ist es egal, ob es zu irgendeinem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich korrekt interpretiert oder zweckmäßig genutzt wird.
(Wahrscheinlichkeitsaussagen sind wahr, insofern sie mit der angegebenen Wahrscheinlichkeit zutreffen.)
Information ist immer an einen materiellen Gegenstand gebunden, was man auch "gespeichert" nennt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.11.2023 um 15.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52198
|
Sprechen Sie von Information als Nachricht (Botschaft) oder von Information im mathematischen (statistischen) Sinn? Wir waren doch schon mal so weit, das zu unterscheiden. (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1570#51865)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.11.2023 um 12.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52197
|
Seltsam, daß ausgerechnet der Naturalismus eine der Grundeigenschaften von Natur und Materie, die allgegenwärtige Information, bestreitet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2023 um 19.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52190
|
Schallplatten werden absichtlich hergestellt und existieren nur zu dem Zweck, daß man die Musik daraus wiedergewinnen kann. Sie sind kein Naturphänomen wie ein Bachbett.
In diesem Sinne sind Speicher auch etwas anderes und mehr als Anhäufungen oder Spuren – das ist es ja, was ich die ganze Zeit sagen wollte.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.11.2023 um 17.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52189
|
Wie, nicht von selbst? Das Wasser fließt auch nicht von selbst, sondern folgt der Schwerkraft. Beim Schneiden des Plattenrohlings folgt der Stichel genau den Schwingungen der Musik. Kein prinzipieller Unterschied.
Wird die Platte wieder abgespielt, kommt genau die gleiche Musik von derselben Stelle der Bahn wie beim ersten Mal.
"Jemand speichert und jemand sucht und findet", das ist genau, was ich auch sage, und was im Gehirn passiert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2023 um 14.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52188
|
Die Musik bahnt sich nicht von selbst ihre Spur auf der Vinylplatte (wobei die moderneren Speichermedien nicht wesentlich verschieden sind), und die nächste Musik folgt nicht den Bahnen der ersten. Jemand speichert und jemand sucht und findet, das gehört zusammen. Sonst wäre jede Ansammlung ein Speicher, z. B. der Sandhaufen oder die Pfütze.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.11.2023 um 14.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52187
|
Meiner Ansicht nach heißt speichern, etwas an einen bestimmten Ort zu bringen, dort zu sammeln und über eine gewisse Zeit hinweg zu erhalten. Die Hauptsache am Speichern ist das Erhalten. Selbstverständlich muß es dann auch wiederauffindbar und nutzbar sein, sonst wäre es ja im Grunde nicht erhalten.
Die Art und Weise, wie das Wiederauffinden erfolgt, ist aber zunächst einmal zweitrangig, sie gehört nicht direkt zum Speichern. Das Wiederauffinden muß nur möglich sein.
Derjenige, der im Speichermedium Gehirn sucht, muß keine zweite Person sein, sondern die erste (speichernde) Person tut es selbst. Sie braucht ja auch niemand anderen, der ihren Mageninhalt umschaufelt, die Leber reguliert und ab und zu ein paar Tropfen Gallensaft zulaufen läßt. Diese Vorgänge erfolgen unbemerkt (unbewußt).
Das Bild vom Bachbett als Speicher wird bei den alten Vinylschallplatten besonders deutlich. Darauf wurden z. B. Musikstücke gespeichert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2023 um 05.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52184
|
Amerikanische Forschende haben festgestellt, daß es sich positiv auswirken kann, wenn man gute Nachrichten eine Weile für sich behält.
Australische Forschende haben festgestellt, daß Knabenchöre besser singen, wenn im Publikum Mädchen sitzen.
Die SZ, die darüber berichtet, ignoriert gleichzeitig eine elementare Einsicht der Lesbarkeitsforschung: Im Wirtschaftsteil experimentiert sie seit gestern mit Bildunterschriften, die in dünner weißer Schrift auf blauem Grund gedruckt und daher nur schwer zu entziffern sind. Todschick natürlich.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2023 um 04.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52182
|
Ich habe "Auskunft" auch nicht so gemeint, pardon!
Das Bachbett war nie mein Beispiel für Speicherung, sondern deren Reductio ad absurdum. Es wäre eher mit "Bahnung" in der Neuropsychologie zu vergleichen. Aber wir haben ja schon öfter festgestellt, daß Sie "Speicherung" in einem so weiten Sinn verstehen, daß auch die Bahnung darunter fällt. Meiner Ansicht nach bedeutet "Speicherung" etwas Spezielleres, sonst brauchte man den Begriff gar nicht. Insbesondere verlangt ein Speicher jemanden, der darin sucht wie in einer Ablage, letzten Endes den Homunkulus. Der Bach hat dieses Problem ("Retrieval") nicht. So haben wir schon vor längerer Zeit festgestellt, daß wir in der Tat aneinander vorbeireden.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.11.2023 um 01.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52178
|
Lieber Prof. Ickler, ich habe Ihnen doch hier keine Auskunft gegeben. Sie kannten meine Antwort auf diese zwei rhetorischen Fragen vorher.
Sie selbst haben mit dem Gebirgsbachbett schon vor längerem das anschaulichste Bild der Wissensspeicherung entworfen, das ich kenne, treffender als Platons Wachstafel und Taubenschlag. Trotzdem sagen Sie aus mir unverständlichen Gründen, es stehe nicht für Speicherung. Allein am Verhalten läßt sich nicht erklären, wie Gelerntes auf den nächsten Tag, selbst nur auf die nächste Sekunde hinübergerettet werden kann. Da braucht es dann eben doch etwas Festes, das Bachbett. Das ist genau der materielle Informationsspeicher, den ich meine.
Wie die Realität im Gehirn nach diesem Bild vom Bachbett genau aussieht, woraus "Bach" und "Bett" wirklich bestehen, ihr genaues Wesen, Funktionsweise usw., das erklären Sie doch auch nicht. Es wäre auch die Antwort, wie Speicherung funktioniert. Aber nur in bezug auf die Speicherung soll dieses Nichtwissen ein Verzichtsgrund sein.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.11.2023 um 20.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52177
|
Daß die Frage sich nicht stellt, ist eine Auskunft, mit der ich natürlich gut leben kann. Das gilt auch für die Frage nach dem Speicher, weil ich gar keinen Speicher annehmen muß. Wenn man nicht die leiseste Ahnung hat, wie Speicherung funktioniert, kann man gleich ganz darauf verzichten.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.11.2023 um 18.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52176
|
Wer nutzt mein Gehirn (samt Wissensspeicherung), meine Augen, mein Herz, meine Hände, meine Beine? Das kann wohl weder eine unlösbare noch überhaupt eine ernstgemeinte Frage sein, Welchen rhetorischen Zweck verfolgen Sie damit?
Woher weiß der Nutzer, wie er seinen Wissensspeicher nutzen soll?
Diese Frage ergibt keinen Sinn, denn er weiß es ja nicht. Sie ist ebenfalls nicht unlösbar, sondern stellt sich gar nicht. Die inneren Vorgänge im Gehirn laufen unbewußt ab, genau wie Herzschlag, Verdauung usw.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.11.2023 um 15.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52173
|
In seiner Autobiographie erzählt Skinner:
„At the annual meeting of the American Association for the Advancement of Science in December 1933, Professor Walter Miles gave several paper-and-pencil tests to those who were curious about their personalities. I took them, and a month or two later learned that I had better judgment than 95 percent of the others in the group, was more extroverted than 57 percent, and was more readily annoyed than 65 percent. I do not remember what I judged or called annoying. Other evidences of my personality, closer to daily life, were less reassuring.“
Das ist natürlich alles mit dem milden Spott erzählt, der nach so vielen Jahren erfolgreicher behavioristischer Arbeit berechtigt war.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.11.2023 um 14.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52172
|
Wer nutzt den Speicher, und woher weiß er, wie er ihn nutzen soll? Das ist nicht "noch ungelöst", sondern unlösbar.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.11.2023 um 07.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52169
|
Platon hatte schon erkannt, daß das Wissen sowohl diskrete Fakten als auch schwer trennbare kontinuierliche Spektren aufweist. Ob und wie man diese in ein einheitliches Wissensspeichermodell (Vielleicht Wachstauben? Oder eine Art Welle-Teilchen-Modell der Psychologie?) zusammenführen kann, war damals schon so unbekannt wie heute noch. Aber sind das nun gleich grundsätzliche begriffliche Schwierigkeiten der Wissensspeicherung? Sie sind halt immer noch ungelöst.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.11.2023 um 04.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52165
|
Man weiß es nicht nur faktisch nicht, sondern kommt auch über die begrifflichen Schwierigkeiten nicht hinweg (sofern man sie überhaupt erkennt; Platon über Wachstafel und Taubenschlag als Gedächtnismodelle). Dann ist es aber sinnvoller, sich für eine weniger gewagte Sicht auszusprechen und die Verhaltensänderung nicht vorschnell auf das doch sehr spezifische Speichermodell festzulegen. Ich habe das ja schon oft zu erklären versucht. Das Bächlein speichert nicht die Bahn, die es geflossen ist; das wäre eine nutzlose Zutat des Beobachters. Entia praeter necessitatem non sunt multiplicanda.
(Ebenso "Materie vs. Bewußtsein" samt deren Interaktion und anderes aus Teufels Küche. Das braucht man nicht.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.11.2023 um 18.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52164
|
Das Wie wäre natürlich sehr interessant, aber was wollen wir machen, wir wissen es nicht. Zumindest noch nicht. Wir wissen auch nicht, ob wir es jemals wissen werden. Vertreter des Speichermodells müssen es auch nicht wissen, denn das Nichtwissen über das Wie widerlegt nicht das Daß.
Zum Was läßt sich immerhin klar sagen, daß logischerweise im Gehirn keine stofflichen Gegenstände gespeichert werden, sondern Information. Philosophisch gesagt, nicht materieller Inhalt, sondern materiegebundene Form.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.11.2023 um 16.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52163
|
Aber wie wird denn nun gespeichert? Das sagen die Vertreter von Speichermodellen auch nicht. Das haben wir ja schon diskutiert (auch die Frage des Abrufs usw.: wer nutzt den Speicher und wie?).
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.11.2023 um 15.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52162
|
Natürlich, auch Bennett und Hacker belegen mit vielen Zitaten. (Die Seitenzahlen beziehen sich auf meinen vorigen Eintrag.)
S. 211 belegen sie mit LeDoux, "Das Netz der Gefühle". B./H. zitieren daraus: "Es handelt sich um Dinge, die ich gelernt und in meinem Gehirn gespeichert habe." Als Dinge habe LeDoux beispielsweise den Geruch eines Bananenpuddings angeführt. B./H. unterstellen ihm nun, er meine eine Speicherung des Geruchs im Gehirn, so wie man Geruch in Flaschen speichert. Davon hat LeDoux aber nichts geschrieben. Das ist also kein Beleg, sondern tatsächlich eine wortklauberische Unterstellung.
S. 239 wird belegt mit einem Zitat von Edelman/Tononi, die sagen, Gedanken werden im menschlichen Kopf gedacht. Dem schließen B./H. ihren Einspruch an, Gedanken würden nicht im Gehirn, sondern z. B. auf der Straße gedacht. Der Beleg belegt also nicht ihre Entgegnung, sondern diese ist ihre eigene Behauptung, und zweitens, was für eine Wortklauberei! Das ist so, als wenn mein Sohn mich anruft und sagt, er fahre gerade im Auto, und ich antworte, Unsinn, du fährst nicht im Auto, sondern auf der Autobahn.
Sicher gehöre auch ich zu den "ehrgeizigen Laien", aber auch ein Laie hat immer recht, wenn er sagt, der Kaiser ist nackt, oder 2 + 2 ist nicht 5.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.11.2023 um 05.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52151
|
Ich glaube, Ihre Enttäuschung beruht auf einer falschen Erwartung. Das Buch bietet nicht die im Titel genannten "Grundlagen", sondern kritisiert sie. Überhaupt ist Philosophie nach Hacker Begriffsklärung und -kritik. Die Autoren "unterstellen" auch anderen nicht irgendwelche Meinungen, sondern belegen sie mit vielen Zitaten, genau wie ich es hier unermüdlich mache. Die Kritisierten verwenden tatsächlich eine naive, widersprüchliche und von Grund auf verfehlte Begrifflichkeit, die ich meinerseits mit stärkerem Gewicht auf der linguistischen Seite aufzudecken versuche.
Es gibt natürlich eine stetig fortschreitende Neurologie, von der die Öffentlichkeit nichts erfährt und für die sie sich etwa soviel interessiert wie für die Immunologie. Aber viele Neurowissenschaftler, aber auch ehrgeizige Laien können es nicht lassen, an das wenige Wissen alle möglichen Spekulationen zu knüpfen. Ich nenne es "Neurosophie" (neuro-babble usw.).
Ein Hauptpunkt ist meiner Ansicht nach die Ansetzung einer "Sprache des Geistes", also letzten Endes die Homunkulus-Psychologie. Die Kluft zwischen einer solchen philosophischen Psychologie und den eigentlichen Erkenntnissen über Reizleitung, Stoffwechsel usw. ist unendlich groß, wird aber von den Neurosophien ignoriert. B/H decken das auf. Die Primitivität liegt im Fehler, den sie kritisieren, nicht bei ihnen selbst.
Bennett sichert die naturwissenschaftliche Korrektheit, die eigentliche Sprach- oder Begriffskritik stammt von Hacker, dem wohl gründlichsten Wittgenstein-Kommentator.
Wenn man von traditionellen philosophischen Schulen herkommt, z. B. aus dem Neomarxismus, kann man in der Wittgensteinschen Sprachkritik wohl nur etwas Triviales sehen, worauf man keinen einzigen Tag verwenden möchte. Adorno konnte damit überhaupt nichts anfangen, hat weder das Problem noch die Lösung verstanden, so daß es hier eine Verständigungslücke gab wie zwischen Aliens von verschiedenen Planeten. Größere Gemeinsamkeit in den Grundlagen, aber ebenso scharfe Gegensätze in den Folgerungen gibt es zwischen der analytischen Philosophie und den Phänomenologen. Besonders in Österreich fand hier die Auseinandersetzung zwischen den "Positivisten" und der Schule Brentano/Husserl/Meinong ausdrücklich statt.
Ich bin immer wieder auf den Grundwiderspruch gestoßen und reite ja auch hier ständig darauf herum: Was den "Phänomenologen" (im weitesten Sinn) evident gegeben zu sein scheint, halten die Analytiker für eine sprachverführte Erfindung ("illustrierte Grammatik", nach Ickler fehlgedeutete "Geschäftsordnung der Sprache"). Ein Brückenschlag ist nicht möglich, schon weil kein Argument, sondern ein Appell zugrunde liegt. Ich will die Belege für die "letzte Gewißheit" nicht noch einmal wiederholen, die ich unter "Intentionalität und Sprache" und anderswo gebracht habe.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.11.2023 um 18.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52150
|
Es ist für meine Argumentation egal, ob es Reflexe gibt oder nicht. Sie haben sie zu Recht als Beispiel dafür angeführt, daß körperliche Reaktionen auf Reize auch ohne Schmerz (also unbewußt) möglich sind. Aber der Normalfall bleiben nun einmal Schmerzen (starke und schwache, incl. aller Sinneswahrnehmungen). Reflexe sind ein unwichtiger Sonderfall. Es gibt nur bewußte Schmerzen und Sinneswahrnehmungen, unbewußt wären es ja keine. Jeder kennt Schmerzen, niemand wird sie ehrlicherweise leugnen.
Schmerz und Sinneswahrnehmungen sind beinahe schon identisch mit Bewußtsein. Es kommt noch die Fähigkeit hinzu, Gefühle zu entwickeln, Schlüsse zu ziehen und gezielt zu reagieren. Das wäre so etwa meine Definition von Bewußtsein, die auch für Tiere paßt. (Die klassische spielt für mich im Moment keine Rolle.)
Und nun frage ich, warum gibt es den Schmerz bzw. Sinneswahrnehmungen überhaupt, wenn sie nach Ihrer Meinung doch wirkungslos sind? Müßte es nicht ein geradezu unglaublicher Zufall sein, daß die Evolution wirkungslose Schmerzen, eine wirkungslose Bewußtheit, nicht nur ständig beibehalten, sondern seit der Entstehung des Lebens auch immer weiter ausgebaut und verfeinert hat, bis hin zu den empfindlichsten Sinneswahrnehmungen und zum Menschen mit all seinen geistigen Fähigkeiten? Einen solchen Wahnsinnszufall kann es einfach nicht geben. Also müssen Schmerzen, mithin das Bewußtsein, eine Wirkung auf den Körper haben, und nur diese Wirkung treibt die Evolution an!
Von Bennett und Hacker habe ich nur den dicken Wälzer "Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften" (WBG Darmstadt, 2010) gelesen, aber das Buch hat mich enttäuscht, und ich werde mir wohl überlegen, noch eines von denselben Autoren anzufangen. Ich kann hier unmöglich alles auflisten, was ich darin widersprüchlich und unsinnig bis lächerlich fand. Nur wenige Beispiele:
S. 136 ff:
Die ständigen Wortklaubereien und Trivialitäten, die sich durch das ganze Buch ziehen, nerven: "Ich" sei weder mein Körper noch mein Geist, der Mensch bzw. die Person sei nicht dasselbe wie das Gehirn, nicht das Gehirn denkt, sondern der Mensch, der Geist sei nicht das Wesen, das sei alles "irreführend" (wohl das häufigste Wort des Buches, vor allem, wenn etwas der Auffassung der Autoren widerspricht).
S. 168:
"[...] unsere Wahrnehmungen spielen sich gar nicht in unseren Köpfen ab. [...] Die Fragen ´Wo hast du Beethovens Neunte zuletzt gehört?´ oder ´Wo hast du Jack gesehen?´ können mit ´Im Sheldonian Theatre´ (wenn man Jack beim Konzert gesehen hat) beantwortet werden, nicht mit ´Zehn Zentimeter hinter meinem linken Auge´."
Solchen Unsinn mag ich gar nicht kommentieren.
S. 203:
"Man kann logischerweise nur das in Erinnerung behalten und sich nur daran erinnern [to remember], was man zuvor erfahren hat oder von dem man zuvor Kenntnis hatte. Dabei muss es sich jedoch nicht um etwas handeln, das in der Vergangenheit angesiedelt ist. Denn neben vergangenen oder zurückliegenden Tatsachen lernt und behält man auch Tatsachen in Erinnerung und erinnert sich daran, die die Gegenwart betreffen (wo man seine Schlüssel hat z. B.), sich auf die Zukunft beziehen (wann der nächste Zug fährt z. B.) sowie allgemeine Tatsachen, die zu jeder Zeit Bestand haben (Naturgesetze z. B.), und mathematische oder logische Wahrheiten, die zeitlos sind."
Eine absolute Trivialität. Als ob der Zeitbezug einer Aussage, von der man Kenntnis bekommen hat, eine Rolle dabei spielt, ob man sich an diese Aussage erinnern kann.
S. 211:
"Man kann Gerüche in Flaschen speichern, Wortbedeutungen in Lexika niederschreiben und Spielregeln in Dokumenten festhalten, die dann gespeichert werden können - im Gehirn aber kann man weder Gerüche noch Wortbedeutungen noch Regeln speichern!"
Sehr witziger Gedanke, im Gehirn verschiedene Bläschen mit Veilchenduft, Ziegenstallgeruch usw. zu haben, an denen dann wohl ein Homunkulus ab und zu schnuppert und mit dem gerade in der Nase befindlichen Geruch vergleicht. Natürlich werden im Gehirn keine Gerüche gespeichert. Es ist einfach albern, seinen Fachkollegen solche Theorien zu unterstellen. Wenn jemand die Meinung vertritt, daß etwas gespeichert wird, dann keine Geruchsproben, sondern die Empfindungen, die die jeweiligen Gerüche ausgelöst haben.
S. 232:
"Das Verhältnis zwischen glauben und denken"
Die Gegensätze sind nicht glauben und denken, sondern glauben und wissen.
"Man kann laut oder leise denken, aber nicht glauben"
Nein, man kann laut oder leise sprechen, aber nicht denken.
S. 239:
"Gedanken [werden] nicht im Gehirn gedacht, sondern im Studium, in der Bibliothek oder wenn man die Straße hinunterläuft. Das Denkereignis (eine Person hat einen bestimmten Gedanken) hat seinen Ort dort, wo sich die Person befindet, wenn ihr dieser Gedanke durch den Kopf geht."
S. 468:
"Können nichtmenschliche Tiere denken?
[...] Nichtmenschlichen Tieren kann rudimentäres Denken zuerkannt werden [...]"
Usw., es gibt noch viele amüsante Stellen. Als Lehrbuch finde ich es ungeeignet, egal, welche philosophische Position man einnimmt. Außerdem sollten Grundlagenbücher m. E. allgemeine Grundlagen vermitteln, und keine bestimmte Theorierichtung bevorzugen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.11.2023 um 04.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52141
|
Zur Ergänzung vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1540#46341
Dazu die durchschlagende Kritik von Bennett und Hacker in „History of cognitive neuroscience“. Chichester 2013.
Dennett ist besser informiert als Searle, aber im Diskussionsband von Bennett, Hacker, Dennett und Searle reden die beiden "Parteien" trotzdem aneinander vorbei (genau wie wir...) (Neurowissenschaft und Philosophie: Gehirn, Geist und Sprache. Frankfurt 2021).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.11.2023 um 04.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52140
|
Soweit ich weiß, wird in der Biologie nur noch sehr begrenzt von Reflexen gesprochen, als Universalschlüssel zur Psychologie ist der Begriff praktisch verschwunden. Skinner hat mit Arbeiten zum Reflex angefangen, den Begriff dann aber völlig aufgegeben. (Im zweiten Band der Autobiographie schildert er seinen Wandel. Übrigens kam der betagte Pawlow mal zu einem Vortrag nach Harvard – und trug auf deutsch vor! Alle Psychologen mußten damals Deutsch lernen.)
Der evolutionäre Sinn der Sinne besteht zweifellos in der Orientierung zwecks Überleben (Ernährung, Fortpflanzung, Gefahrenerkennung). Wenn Zeichen hinzukommen, also die Gruppe/Gesellschaft zugezogen wird, stellt sich die Frage, welchen Sinn das hat. Es geht also um den Sinn der Sprache. Über Sprache kann man reden, über Bewußtsein nicht.
Wie könnte man eigentlich Bewußtsein definieren, ich meine klassisch nach Gattung und Art?
(Und warum sind Wörter wie "Bewußtsein" so spät aufgekommen, wo doch Bewußtsein angeblich eine ganz elementare Erfahrung ist? Die griechischen Meisterdenker kannten es nicht, und wir können mit ihren Begriffen von Seele usw. nichts anfangen. Das ist doch seltsam.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.11.2023 um 18.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52139
|
Na gut, den Nutzen der Sinnesorgane könnte man noch mit Reflexen erklären, aber den Nutzen von bewußten Sinneswahrnehmungen schon nicht mehr.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.11.2023 um 18.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52138
|
Ich finde, das vernebelt etwas das eigentliche Problem. Zum einen gibt es starke und schwache Schmerzen, manche so schwach, daß man sie eher Berührungen oder Empfindungen nennen kann, so funktionieren ja letztlich alle Sinnesorgane.
Zum andern ist manchmal das Bewußtsein im Schlaf, suggestiv, medikamentös oder durch Umgehung des Gehirns (Reflexe) ausgeschaltet. Dann gibt es eben in diesen Fällen keinen Schmerz.
Meine Frage ist nicht, warum es manchmal keinen Schmerz gibt, sondern warum es i. a. überhaupt Schmerz und Sinnesorgane gibt, wo dieser bzw. diese doch angeblich völlig wirkungslos ist/sind.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2023 um 15.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52137
|
Wieso denn? Es gibt auch Reaktionen ohne Schmerzverhalten, z. B. den Kniesehnenreflex.
"Schmerz" ist zwar das meistdiskutierte Beispiel (schon bei Wittgenstein), aber nicht leicht zu verstehen. Unter gewissen Bedingungen hat man schon bekundet: "Der Schmerz wird noch empfunden, tut aber nicht mehr weh." Bekanntlich läßt sich Schmerz psychologisch stark beeinflussen bis hin zu Operationen ohne Narkose. Andererseits kann eine kleine Irritation z. B. am Zahn sich riesig auswachsen und einen fast rasend machen. Man denkt auch an Kinder: Eins fällt hin, steht auf und spielt weiter, das andere plärrt unter gleichen Umständen eine halbe Stunde lang. Das ist alles noch wenig verstanden, gerade unter evolutionärem Aspekt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.11.2023 um 13.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52136
|
Meine Hand müßte also nach Ihrer Auffassung auch zurückzucken, ohne daß ich irgendetwas spüre, ja sogar ohne daß ich die brennende Kerze überhaupt sehe.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.11.2023 um 13.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52135
|
Das ist mir klar, aber es beantwortet (wie auch die Superspartaner) meine Frage nach dem Vorteil durch den Schmerz nicht:
Warum bedarf es erst des Schmerzes (der bewußten Empfindung), um meine Hand vor der heißen Kerzenflamme zurückzucken zu lassen?
Der Schmerz (das Bewußtsein) hat doch, wie Sie hier selbst noch einmal betonen, gar keine Wirkung, also keinen Sinn.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2023 um 12.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52134
|
Natürlich bestreiten wir Naturalisten, daß Schmerz auf den Körper zurückwirkt. D. h. wir halten das nicht für eine sinnvolle Redeweise.
Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630 (Superspartaner)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.11.2023 um 12.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52133
|
Welchen evolutionären Vorteil bieten eigentlich die Sinnesorgane?
Er scheint auf der Hand zu liegen, aber man muß bedenken, ob eine bewußte sinnliche Wahrnehmung wie z. B. Schmerz auf den Körper (also Bewußtsein auf Materie) überhaupt zurückwirken kann.
(Ich reduziere mich lieber auf Schmerz statt Bewußtsein, um die böhmischen und thüringischen Dörfer zu umgehen.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2023 um 08.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52132
|
Ein bißchen Hintergrund dazu (aus meinen Aufzeichnungen):
Wir neigen verständlicherweise dazu, die Pseudo-Denotate unserer heute geltenden psychologischen Redeweise für die Sache selbst zu halten und die Benennungsleistungen anderer, auch vergangener Kulturen daran zu messen. So kommt es zu anachronistischen Urteilen:
„Die Antike und das Mittelalter, die keinen eigenen Namen für das Gefühl hatten, bezeichneten sowohl Gemütszustände (Lust und Unlust) als auch Gemütsbewegungen (Liebe, Haß, Freude, Furcht usw.) griechisch mit πάθος und lateinisch mit ‚passio‘ (...)“ (Hist. Wb. d. Philosophie s. v. Gefühl, Sp. 82)
Man sieht hier den naiven Gebrauch einer jetzt weithin akzeptierten Modellierung des Psychischen, als Maßstab einer früheren, vermeintlich weniger sachgerechten. Das Gefühl selbst scheint als Objekt zu existieren, nur wurde es in Antike und Mittelalter nicht richtig abgegrenzt und benannt. Vgl. auch:
„Bei Homer finden wir ein reiches Vokabular der Bewußtseinzustände. Aber wir sehen auch, daß das Vokabular Erfahrungskategorien durcheinanderbringt, deren Unterschiedenheit wir für selbstverständlich halten (beispielsweise werden Wahrnehmungsakte mit Erkenntnisakten vermengt und Gefühl mit Erkenntnis). Man kann in der homerischen Sprache nicht über das Denken denken.“ (Paul Henle, Hg.: Sprache, Denken, Kultur. Frankfurt 1969:69)
Ulrich v. Wilamowitz spricht von der Naivität der homerischen Sprache, „die noch gar kein Denken kennt, sondern nur ein ‚zu sich selbst Sagen‘“ (in ders. u. a.: Die griechische und lateinische Literatur und Sprache. Leipzig, Berlin 1924:19). Im heutigen Alltag sehen wir das kaum anders. Der strenge cartesianische Dualismus ist uns fremd, wir sehen kein theoretisches Problem darin, wie der Geist auf den Körper wirkt (falls diese Abstraktionsebene überhaupt beschritten wird). Denken als stummes Vorsichhinsprechen zu verstehen ist in vielen Bereichen plausibel.
Viel ist darüber geschrieben worden, ob Homers Helden einen Willen haben und welche Rolle die intervenierenden Götter spielen. Führen sie die Helden wie Marionetten? Dagegen ist daran zu erinnern, daß die Ilias, wie schon das erste Wort (Zorn) klarstellt, nicht von den Göttern handelt, sondern vom Menschen und seinen Leidenschaften. Der Dichter hat, wie er selbst wohl am besten wußte, nicht die Beratungen der Götter protokolliert, sondern den wichtigen menschlichen Entscheidungen eine größere Bedeutung verliehen; davon abgesehen sind sie aber auch für heutige Leser nachvollziehbar. Auch wir wissen im Grunde nicht, wie unsere Entschlüsse über uns kommen, und manchmal verstehen wir später nicht mehr, was uns dazu gebracht hat. Die homerischen Helden führen es auf göttlichen Anstoß zurück, z. B. durch eine Traumerscheinung, und das ist abgesehen von der mythologischen Einkleidung nicht weit von einer modernen Verhaltensanalyse entfernt.
Der Homer-Übersetzer Raoul Schrott erwähnt „die für Homer typische unbeholfene Ausdrucksweise subjektive Denkprozesse betreffend“ und verdeutlicht das angeblich Gemeinte durch teilweise recht drastische moderne Formulierungen. Paul Dräger1 und andere Rezensenten haben die naheliegende philologische Kritik formuliert: Schrott übersieht, daß es den Inhalt unabhängig vom volkspsychologischen Modell gar nicht gibt und daß die Übersetzung nicht ein Modell durch ein anderes ersetzen kann, ohne zugleich die ganze Dichtung durch eine neue zu verdrängen. Man ersetzt ja auch nicht die Pferde in alten Texten durch Autos.
Daß die Alltagspsychologie, an der auch Homer und sein Publikum teilhatten, damals konsistenter, systematischer gewesen sein sollte als heute, ist allerdings unwahrscheinlich. Spätere Philologen, die unsere heutige Kultur zu rekonstruieren versuchen, werden auf unverträgliche Kausalitäten durch unseren autonomen Willen einerseits, den Willen Gottes andererseits stoßen. Es ist nicht abzusehen, was sie daraus machen werden. Die wenigsten Menschen problematisieren ihre eigene psychologische Begrifflichkeit; zu selbstverständlich erscheint sie ihnen.
Max Scheler schreibt:
„Ich bin sogar der Meinung, daß die gesamte indische Kultur die spezifisch griechische und abendländische Kategorie des ‚Geistes‘ nicht besaß.“ (Die Stellung des Menschen im Kosmos. München 1949:61)2
Damit wird er recht haben, und dennoch verkennt die ganze Betrachtungsweise das eigentliche Problem. Scheler sieht im „Geist“ das Wesensmerkmal, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Daß dies nur eine Redeweise ist, die als solche von einer anderen Kultur nicht geteilt werden muß und dort höchstwahrscheinlich keine direkte Entsprechung hat, erwägt er nicht. Er ist selbst in der griechisch-abendländischen Begrifflichkeit verwurzelt und sieht in ihrem Fehlen anderswo einen wirklichen Mangel statt einer schlichten Andersartigkeit. Die indische Kultur ist eben nicht die griechische. (Die Zusammenfassung „griechisch-abendländisch“ ist ein Klischee, das ein in der westlichen Welt gepflegtes Selbstverständnis stärkt; manche fügen noch „christlich“ oder „jüdisch-christlich“ hinzu. Natürlich kann auch von „der“ abendländischen Kategorie des Geistes keine Rede sein.)
Ähnlich, aber mit mehr Fortschrittspathos:
„Was ‚Denken‘ im strengen Sinne heißt, wußte kein lebender Mensch vor den Griechen. Wer nicht irgendwie durch ihre Schule ging, weiß heute noch nicht, was theoretisches Denken eigentlich besagt. Er spricht davon wie die Kuh vom Tanzen.“ (Erich Rothacker: Die Schichten der Persönlichkeit. 5. Aufl. Bonn 1952:129)
„Den kategorialen Unterschied zwischen ‚Akten‘, d. h. intentionalen Erlebnissen (wie Erblicken, Urteilen und Erkennen) und intentionalen Zuständen (wie Hassen, Glauben und Wissen) berücksichtigt Husserl in den LU [Logischen Untersuchungen] noch nicht (...), und Bolzano tut es leider genauso wenig.“ (Wolfgang Künne: „‚Denken ist immer Etwas Denken.‘ Bolzano und (der frühe) Husserl über Intentionalität“. In: Konrad Cramer/Christian Beyer Hg.: Edmund Husserl 1859–2009. Berlin, Boston 2011:77-99, S. 79)
Mit diesem Glauben an die Überlegenheit der eigenen Modellierungen vergleichbar und oft auch sachlich damit verbunden war eine theologisch geprägte Religionswissenschaft, die fremde Religionen grundsätzlich auf der Folie der eigenen (selbstverständlich einer „Hochreligion“) untersuchte und beurteilte.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2023 um 05.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52129
|
Bewußtsein, das auf Materie wirkt – das sind für mich böhmische Dörfer, also keine zu lösenden Rätsel, sondern unverständliche Wortzusammenstellungen. Ich kennen sie natürlich, fast die gesamte metaphysische Literatur bis hin zu den "Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie" war ja voll davon.
Auf den mathematischen Analogien will ich nicht herumreiten, über "mathematische Existenz" streiten ja die Philosophen immer noch.
Wie ich übrigens sehe, wird zwischen dem Mittelpunkt und dem Schwerpunkt Deutschlands teils unterschieden, teils nicht. Er soll jedenfalls bei Bischofsroda liegen. Touristen werden Bischofsroda finden, aber nicht den Mittelpunkt Deutschlands. Aber ob dieser kleine Unterschied etwas bedeutet, lasse ich auf sich beruhen.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.11.2023 um 12.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52128
|
Es gibt ja nicht "die" Existenz, worauf ich auch schon mehrfach hingewiesen habe, sondern man muß bestimmte Arten der Existenz, die sich auf verschiedene Kategorien von Gegenständen beziehen, unterscheiden. Die Existenz materieller Objekte (Planet Erde, der Baum vor meinem Haus, ich, ...) ist und meint etwas ganz anderes als die "Existenz" nichtmaterieller, formgebundener Objekte (Nordpol, Äquator, Erddrehung, ...) oder die ""Existenz"" nichtmaterieller, rein logischer Objekte (Zahlen, ...).
"Existiert" die Erddrehung? Das liefe wohl auf die Frage hinaus, dreht sie sich oder dreht sie sich nicht?
Schwerpunkt, Äquator usw. sind keine Hilfskonstrukte, sondern reale Orte im Raum, Bestandteile der Form materieller Körper, sie "existieren".
Gedanken sind bewußtwerdende Ereignisse (eigentlich eine Folge von Ereignissen) im Gehirn. Ereignisse sind die Ergebnisse zeitlicher Veränderungen (Bewegung) der materiellen Form. "Ich denke" oder "ich denke nicht" sind für mich genauso sinnvoll wie die Frage der Erddrehung. Wie die Erddrehung "existiert", so "existieren" auch Gedanken. Sie sind real und ebensowenig nur sprachliche Hilfskonstrukte wie Pole, Schwerpunkte usw.
Wie bestimmte reale Ereignisse (z. B. auch Schmerzen, Wahrnehmungen) es schaffen, bewußt, d.h. zu Gedanken, zu werden, und wie schließlich das Bewußtsein auf die Materie zurückwirkt, indem es z. B. den Körper sich vor weiteren Schmerzen schützen läßt, das ist die große ungelöste Frage. Aber wir können doch nicht leugnen, daß diese Prozesse, Ereignisse im Gehirn überhaupt stattfinden, daß Gedanken (einschließlich Schmerzen) "existieren"!
Die Anführungszeichen werden halt üblicherweise weggelassen, was allerdings gerade im philosophischen Bereich zu ständigen Mißverständnissen führt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2023 um 06.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52126
|
Von Gedanken kann man weder sagen, daß sie existieren, noch daß sie nicht existieren. Wenn wir die Abstraktbildung beiseite lassen, würde es ja auf „Ich denke“ und „Ich denke nicht“ hinauslaufen, beides nicht gerade sinnvoll. Solche Begriffe dienen der Lösung lokaler Verständigungsprobleme. Ein hinkender Vergleich: Gibt es den Äquator, den Schwerpunkt einer Figur usw.? Der Unterschied ist allerdings, daß das Hilfskonstrukt Schwerpunkt oder Äquator durch Meßverfahren operational definiert werden kann, während die Existenz von Gedanken oder Gewissen usw. sich nur auf den unendlich komplexen Sprachgebrauch berufen kann. Über das Gewissen z. B. sind daher ganze Regale voll Bücher geschrieben worden, über den Schwerpunkt einer Figur kann man sich mit ein paar Zeilen begnügen. Jemand sagt etwa, daß er aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigere. Das kann man dann einordnen, bezweifeln usw., aber man kann nicht bezweifeln, daß es das Gewissen gibt. Genau darum kann man aber auch nicht sagen, daß es existiert. Die Existenzfrage stellt sich hier nicht. Es ist eine Hilfskonstruktion für eine Reihe von gesellschaftlich anerkannten Argumentationen; andere werden ausgeschlossen. Zum Beispiel wird das Gewissen als letzte Instanz eingeführt, was den Verzicht auf logische Deduktion einschließt usw.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2023 um 04.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52122
|
Der wissenschaftliche Standpunkt untersucht das Verhalten der Tiere (den Menschen eingeschlossen). "Gedanken" kommen dabei nicht vor, dieser Ausdruck stammt nun einmal aus der in Jahrhunderten gewachsenen folkpsychologischen Tradition und Verständigungstechnik. Welchen heutigen "Wissensstand" könnte es da geben?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.11.2023 um 20.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52121
|
Natürlich glaube ich Ihnen die Begriffsgeschichte des Gedankens und auch die Entwicklung der Logik.
Aber hat diese Geschichte viel mit dem heutigen Wissensstand zum Gedankenproblem zu tun?
Die Ansichten über "Gedanken" unterscheiden sich sehr. Nicht, daß sie sich unbedingt widersprechen, aber jeder stellt halt etwas anderes in den Vordergrund, je nachdem, ob er Lyriker oder Logiker, Psychologe, Physiologe oder Philosoph ist.
Unsere Sicht hier ist ja die wissenschaftliche, und davon wiederum vor allem die der o. g. drei P, die sich halt auch im Laufe der Jahrhunderte sehr verändert hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2023 um 12.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52120
|
Psychologen aus Hongkong haben festgestellt, daß große Diversität unter dem Krankenhauspersonal auch zu Konflikten führen kann. Wo aber eine „gute Konfliktkultur“ herrscht, ist es nicht so schlimm. (Sebastian Herrmann berichtet in der SZ vom 8.11.23)
Leider scheint es noch kein Programm zu geben, das den Bildschirm schamrot anlaufen läßt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2023 um 05.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52119
|
Den Begriff des "Gedankens" (wie das Verb "denken", von dem die Abstraktion "Gedanke" abgeleitet ist) haben die Menschen in aller Welt gebildet, ohne etwas vom Gehirn zu wissen. Er gehört zu einer völlig anderen Redeweise als die Physiologie.
Philosophen haben die Lehre vom Denken zur Logik ausgebaut. Sie nimmt von Aristoteles bis Frege an keiner Stelle Bezug auf das Gehirn. Das würde sogar als schwerer Mißgriff angesehen.
Darauf können wir uns einigen, oder?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.11.2023 um 21.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52117
|
Ja, ich wollte mit "keinen Zugang" die Privatheit der Gedanken, Empfindungen usw. nur noch einmal auf andere Weise ausdrücken.
Ein Gedanke ist kein Gegenstand?
Mir ist nicht ganz klar, was Sie damit sagen wollen. Wahrscheinlich, daß Gedanken nicht materiell und daher nur Redewendungen (Konstrukte) sind? Aber Gedanken sind bzw. beruhen auf realen Ereignissen im Gehirn, sie sind an Materie gebunden, real, keine bloßen Konstrukte.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2023 um 15.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52115
|
Der Freiburger Parapsychologe Eberhard Bauer verteidigt die Parapsychologie gegen einen „dogmatischen Skeptizismus, der in allen Psi-Effekten nur Selbsttäuschungen, statistische bzw. experimentelle Artefakte oder Betrug und Manipulation seitens Experimentator und/oder Versuchsperson sieht“. (Gerald L. Eberlein: Kleines Lexikon der Parawissenschaften. München:Beck 1995:132; mit Walter von Lucadou als Mitverfasser auch hier: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/parapsychologie/11197)
Natürlich kann man nicht beweisen, daß es Psi-Phänomene nicht gibt, weil man die Nichtexistenz von etwas überhaupt nicht beweisen kann. Folglich ist die Ablehnung jeglichen Aberglaubens „dogmatischer Skeptizismus“ und ein Zeichen von Engstírnigkeit. Die Rhetorik der Parawissenschaftler hält noch andere Standardformulierungen bereit, die meist darauf hinauslaufen, daß die „akademische“ oder „Schulwissenschaft“ auch nur ein Glaube wie jeder andere sei (Feyerabend). Es hat keinen Sinn, sich mit solchen Argumenten auseinanderzusetzen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2023 um 12.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52114
|
Da kann ich nicht widersprechen, aber das Wort "Zugang" bringt mich ins Grübeln. Bedeutet es etwas anderes, als daß eben meine Gedanken meine sind und nicht deine?
Oft liest man ja auch, daß unsere Hirne (leider) nicht direkt verbunden sind, sondern die Gedanken durch Sprache vermittelt werden müssen. Ob das eine sinnvolle These ist? Wären unsere Hirne direkt verbunden, dann wären deine Gedanken auch meine – oder? Ich bin natürlich ganz anderer Meinung. Erstens sind "meine Gedanken" gar kein Gegenstand, und zweitens muß man untersuchen, welche Funktion die Rede von "meinen Gedanken" (= "was ich denke") in meinem Leben hat (und natürlich nicht in deinem Leben).
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.11.2023 um 11.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52113
|
Da es hier nicht um Ausweichen im Schwertkampf ging, läßt sich ein tödliches Duell hoffentlich vermeiden. Aber wenn Argumente töten könnten, dann wäre ich mir wohl bewußt, daß ich nun in Lebensgefahr schwebe.
Vielleicht kann ich meine Haut so retten:
"Autsch!" versteht man allgemein als gleichbedeutend zur Aussage "Es tut mir weh"/"Ich habe Schmerzen", die entweder wahr oder falsch ist. "Hatschi" ist dagegen keine Aussage (oder Sie müßten genau definieren, welche). Wenn Sie das strenger beurteilen und beides nicht als Aussage anerkennen, umso besser, dann gehört es auch sowieso nicht in diese Diskussion. Ich habe nicht damit angefangen.
"Innenwelt" ist eine Metapher, nun gut, bleiben wir daher beim "allein mir Zugänglichen".
(Außerdem war die Metapher m. E. hier nicht das Wesentliche. Sinnvolle Aussagen lassen sich auch mit Metaphern bilden, wenn klar ist, was damit gemeint ist.)
Es ging darum, ob jeder Mensch über ein ihm allein Zugängliches in seinen Gedanken und Empfindungen verfügt, und diese Frage sollte man klar mit ja oder nein beantworten können. Meine Kritik bezog sich darauf, daß Sie dies nicht tun.
Meine Schmerzen spüre nur ich, Ihre nur Sie. Wir haben beide keinen Zugang zu den Schmerzen oder den Gedanken des anderen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2023 um 05.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52109
|
Our ability to ascribe mental states to ourselves and others is known as “theory of mind,” “mentalizing,” “folk psychology,” or “mind reading.” It has been a major focus of philosophical investigation for centuries and of scientific enquiry for 35 years. Mind reading has been studied intensively because it is thought to play a pivotal role in human social interaction and communication. Mind reading allows us to predict, explain, mold, and manipulate each other’s behavior in ways that go well beyond the capabilities of other animals. Understanding mind reading is therefore crucial to understanding what it means to be human. (Cecilia M. Heyes/Chris D. Frith: „The cultural evolution of mind reading“. Science 344/2014)
Die Verfasser lassen sich durch die eigene Metapher dazu verführen, mind reading und print reading zu vergleichen, obwohl das Lesen von Schrift wie die Schrift selbst ein spätes und abgeleitetes Zeichenverhalten in bestimmten Kulturen ist. Hätten sie statt „mind reading“ einen der ausdrücklich als gleichbedeutend eingeführten Begriffe – “theory of mind,” “mentalizing,” “folk psychology“ – zugrunde gelegt, wären sie wohl kaum darauf gekommen, dieses Verhalten mit der Entzifferung von Schriftzeichen zu vergleichen. Der ständige Bezug auf die neuronalen Grundlagen beider Verhaltensweisen ist besonders irreführend, weil es hier an wirklicher Kenntnis fehlt. Verstärkte Durchblutung vergleichsweise riesiger Areale ist keine neuropsychologische Einsicht in die „Verarbeitung“ sehr spezifischer kulturgeprägter Begriffe.
Die Verfasser untersuchen nicht die Redeweise vom mind reading, sondern dieses selbst, an dessen Realität sie glauben:
Neuroimaging has shown that adults have cortical circuits specialized for mind reading. These circuits, which include the medial prefrontal cortex temporo-parietal junction, and precuneus, are more active when people are thinking about mental states than when they are performing similar tasks that do not involve thinking about mental states.
Wenn man annimmt, daß Probanden über mentale Zustände nachdenken, und sie ausdrücklich dazu auffordert, dann wird man neuronale Entsprechungen dazu finden, die hier wie auch sonst einfach durch verstärkte Aktivität (Durchblutung oder Ströme) in bestimmten Hirnregionen definiert sind. Neuroimaging findet immer, was man zuvor hineingesteckt hat.
Die Forscher schließen sich also der Folk psychology an, statt sie zu untersuchen.
Daß es zwischen den folkpsychologischen Redeweisen große interkulturelle Unterschiede gibt, weiß die Ethnopsychologie schon lange. Zitiert wird aber nur die gleichgesinnte kognivistische Forschung (Lillard usw.).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2023 um 04.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52107
|
Wenn Sie "Autsch!" als Aussage bezeichnen, strapazieren Sie den Begriff der Aussage über alles hinaus, was die Logik je dazu gesagt hat. Dann ist "Hatschi!" auch eine Aussage, und sie ist unwahr, wenn ich nur so tue, als ob ich niesen müßte. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1584#51872
Wohin soll das führen? Falsche Aussagen können auf Irrtum oder Täuschung beruhen, aber deshalb ist doch nicht jeder Irrtum, jede Täuschung eine falsche Aussage.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2023 um 04.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52106
|
Denk dir eine Zahl! – Das fassen wir meist in die Metapher einer Speicherung, einer Zwischenablage, aus der man das Abgelegte zum richtigen Zeitpunkt wieder hervorholt. In Wirklichkeit stellt die Aufforderung unter den konkurrierenden Verhaltensimpulsen eine neue Rangordnung her; sie verschiebt die Kräfteverhältnisse wie bei jedem Umwegverhalten. Denken ist Aufschub.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2023 um 04.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52105
|
Aber "Innenwelt" ist doch schon eine Metapher, die umfassendste von allen. Ich glaube, hier liegt der Grund unseres Problems.
(Ich weiche nie aus. Diese Vorhaltung müßte eigentlich zu einer Duellforderung führen. Kennen Sie das Hildebrandslied? Hadubrand wirft seinem Vater vor, er weiche dem Kampf aus. Daraufhin muß dieser ihn töten, obwohl er anders als der junge Mann sehr wohl weiß, daß es sein – einziger – Sohn ist.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.11.2023 um 00.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52104
|
Ich habe den Eindruck, Sie weichen aus. Natürlich sind Metaphern oder die Sprache an sich ebenso wie einzelne Wörter weder wahr noch falsch. Einen Wahrheitswert (einen von zwei!) haben nur sinnvolle Aussagen.
Die sinnvolle Aussage "Deine private Innenwelt ist für mich ebenso sicher gegeben wie meine" enthält keine Metapher, und sie ist entweder wahr oder falsch. Ich halte sie für wahr. Es könnte sie jemand anders für falsch halten, aber nicht für etwas Drittes.
Die Aussage "Autsch!" ist wahr, wenn mir etwas weh tut, sie ist falsch, wenn ich einen Schmerz nur vortäusche.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2023 um 19.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52103
|
Ja, natürlich. Die riesige Metaphorik der psychologischen oder besser "transgressiven" Sprache im früher darlegten Sinn kann ja nicht wahr oder falsch sein, ist aber auch nicht sinnlos, sondern hilft bei der Verhaltensabstimmung. Man drückt z. B. seine Befindlichkeit aus, so daß andere sich darauf einstellen können usw. Auch "autsch!" ist weder wahr noch falsch.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.11.2023 um 18.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52102
|
"Deine private Innenwelt ist für mich ebenso sicher gegeben wie meine."
Diesen Satz würde ich unterschreiben, ich halte ihn für wahr. Ich würde auch zugestehen, daß es Philosophen gibt, die ihn für falsch halten, und würde dies wie Sie für sinnlos halten.
Ich kann aber nichts damit anfangen, daß Sie den Satz nicht klar als einen Fakt (also wahr) bezeichnen, sondern als Verständigungstechnik. Es gibt also drei Arten von Aussagen: wahre Sätze, falsche Sätze und Verständigungstechniken?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2023 um 15.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52100
|
Nein, nicht Einbildung, das wäre wirklich verkehrt.
Wenn ich das Kind auffordere, etwas für sich zu behalten, gehört es zum Auftrag, daß ich es nicht erfahre. Das Kind lernt von mir und mit mir zusammen, was "Privatheit" oder "Subjektivität" in diesem Sinn ist. Das Ganze ist von vornherein eine gemeinschaftliche Veranstaltung. Man kann dann nicht mehr daran zweifeln, daß wir beide genau die gleiche Subjektivität teilen (um es mal so auszudrücken).
Es ist also sinnlos zu behaupten: Jeder weiß nur von sich, daß er eine private Innenwelt hat, und kann es bei anderen nur mit mehr oder weniger Unsicherheit erschließen. Deine private Innenwelt ist für mich ebenso sicher gegeben wie meine. Es gehört zur Verständigungstechnik des Alltags ("Geschäftsordnung der Sprache"). "Das Du ist älter als das Ich", sagt Nietzsche sogar und nach ihm wörtlich Spengler. Es gibt kein Problem "Gemeinschaftliche Sprache für private Phänomene". Das Private ist immer schon gemeinschaftlich. Dazu gehört, daß meine Erlebnisse selbstverständlich nicht deine Erlebnisse sind.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.11.2023 um 14.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52099
|
Aber "das angeblich allein mir Zugängliche" ist doch tatsächlich allein mir zugänglich. Wie kommen Sie darauf, "angeblich" zu sagen?
Die Zahl, die das Kind "im Sinn hat", "für sich behält", kann ich tatsächlich nicht sehen. Wieso ist das dann ein Konstrukt?
Sie geben vor, das Kind bilde sich aufgrund dieser Sprache etwas ein, von dem Sie jedoch wissen, daß es sich in Wirklichkeit anders verhält. Aber wir wissen doch alle, daß es sich nicht anders verhält! Das Kind lernt die Sprache für seine Privatheit, genauso wie es sagen lernt, die Kerzenflamme ist heiß. Es lernt Ausdrücke der Realität, keine Konstrukte.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2023 um 13.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52098
|
Sie lassen den gesunden Menschenverstand sprechen. Das philosophische Problem ist anders gebaut: Ich kann letzten Endes nur von mir selbst wissen, was Gedanken, Gefühle ("mentale Zustände") sind, von dir kann ich es annehmen, aber eigentlich nur per Analogie erschließen. Dagegen wendet sich mein Argument.
Das alte Paradox: Ich kann über das angeblich allein mir Zugängliche nur in einer Sprache sprechen, die ich von anderen gelernt habe. Ich habe demgegenüber gezeigt, wie es wirklich läuft: Man sagt zum Kind: Denk dir eine Zahl, aber nicht aussprechen, nur denken! ("Behalt sie für dich!") So lernt es das Konstrukt "etwas im Sinn haben". Dazu auch "Ich sehe was, was du nicht siehst" usw.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.11.2023 um 12.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52097
|
Ich verstehe Sie nicht: Privatheit sei ein gesellschaftliches Konstrukt bzw. gehöre zur Geschäftsordnung der Sprache? Was heißt das? Sind denn meine Empfindungen, meine Gedanken, meine Gefühle in Wirklichkeit nicht privat? Wer fühlt, empfindet, denkt meine Gefühle und Gedanken ebenfalls?
Ich kann wohl versuchen, das Verhalten eines anderen zu erklären, seine Gedanken und Gefühle zu erraten, das heißt, mit meinen eigenen zu vergleichen, aber sehen kann ich sie nicht. Das heißt, die Privatheit ist m. E. doch tatsächlich gegeben und nicht nur sprachlicher Hilfsausdruck oder Konstrukt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2023 um 04.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52095
|
Der vorige Eintrag korrigiert in gewisser Weise, was ich hier gesagt habe: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50857
Ich habe meine Meinung nicht geändert, nur die Ausdrucksweise war damals etwas nachlässig. Ich bleibe auch dabei, daß das Verständnis der Zeiggeste kein Gedankenlesen voraussetzt, weder mit noch ohne Anführungszeichen. Tomasello irrt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2023 um 04.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52094
|
Das Kind lernt sehr früh: Wir können sprechen, und wir können denken. (Der inklusive Plural ist entscheidend. Der Geist des anderen ist nicht erschlossen, sondern gleichursprünglich konstruiert.) Das gehört zur Geschäftsordnung der Sprache und kann darum nicht bestritten werden. Wir können einander täuschen, wir können ausdrücklich lügen oder einfach ein Pokergesicht aufsetzen usw. In dieses Spiel gehört auch die „Privatheit“ der „Innenwelt“ eines jeden, aus der die Philosophen dann ein großes Rätsel machen: Wie kann jeder in einer gemeinschaftlichen Sprache über etwas berichten, wozu nur er selbst Zugang hat (Wittgensteins „Käfer in der Schachtel“). Die Voraussetzung ist jedoch nicht richtig, weil sie die Tatsachen halbiert. Das angeblich radikal private Erlebnis ist mitsamt seiner Privatheit ein gemeinschaftliches Konstrukt. Zur Konstruktion gehört einerseits: „Ich kann nicht wissen, was du denkst.“ Andererseits: „Ich weiß, was du denkst.“ Das wird metaphorisch auch als „Gedankenlesen“ bezeichnet und neuerdings breit diskutiert. Es ist kein Hineinversetzen und keine Theorie des Geistes, sondern ein vorweg angepaßtes Verhalten des Adressaten. Was dieser tun wird, geht aus vielen Anzeichen hervor, nicht nur aus dem, was er sagt. Der Hund „weiß“ aufgrund mancher Reize, wann „Gassi gehen“ angesagt ist; er stellt sich schwanzwedelnd an die Tür. Verhaltensforscher sprechen von Intentionsverhalten, es ist aber einfach die erste Phase des Gesamtverhaltens. Es ist willkürlich und unnütz, sein Verhalten zusätzlich als „Wissen“ zu sistieren.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2023 um 04.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52093
|
Wie es einst der Freiburger Spökenkieker Hans Bender geschafft hat, sich jahrzehntelang in den Medien zu halten, so gelten seine Nachfolger als die Experten, die man immer zuerst befragt (statt z. B. die GWUP).
Vgl. Gerald L. Eberlein: Kleines Lexikon der Parawissenschaften. München: Beck 1995.
Immerhin ein angesehener Verlag. Der jetzt vom DLF befragte Herr aus Freiburg war auch schon dabei.
Zum I Ging ein völlig sinnloser Beitrag der Psychotherapeutin Emi Speidel. Im I Ging sei „die Weisheit von Jahrtausenden enthalten“.
So etwas liest man ja ständig, aber was heißt "Weisheit"? Entweder geht es um Lebensweisheiten wie von den "Sieben Weisen" der Antike ("Nichts im Übermaß!" usw.) – oder um Wissen, und davon kann ja nun keine Rede sein. Die Alten wußten so gut wie gar nichts von der Welt. Daß die 64 Trigramme des Schafgarbenorakels in der DNS wiederkehren, ist offenbar purer Unsinn.
Zuerst sollte man den Unsinn Unsinn nennen und dann fragen, wo er herkommt usw.
Gar nicht zu reden von der ideologischen Schlagseite: Nie wird die Theologie unter den Parawissenschaften mitbehandelt. Im genannten Bändchen gibt es immerhin ein Stichwort "Wunder". Okkultismuskritik ohne Religionskritik ist im Grunde uninteressant.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.11.2023 um 20.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52092
|
Wenn man schon das Programm auf deutschlandfunk.de liest:
"Gibt es Gespenster wirklich nicht? Die Naturwissenschaften betrachten sie mit Skepsis. Die Psychologie spricht von menschlicher Einbildung, doch unbestritten haben Gespenster derzeit Konjunktur, und ihr Wirken zeigt sich nicht nur in Horrorfilmen."
Manches über Gespenster ist also tatsächlich unbestritten. Sieh einer an!
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.11.2023 um 05.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#52090
|
In einer Wissenssendung des DLF wird der Glaube an Poltergeister zwar kritisch, aber doch noch zu wohlwollend behandelt – als sei es eine offene Frage, ob es Spuk in einem gewissen Sinn nicht doch gibt. Die Freiburger Parapsychologen im Gefolge Hans Benders kommen ausführlich zu Wort, ohne daß ihr Gerede klar als Spinnerei entlarvt würde. Der „Spuk von Rosenheim“ wird als unaufgeklärt behandelt usw. Das Schema ist: 90 Prozent der Spukerscheinungen sind Schwindel, aber 10 Prozent... Und: Seit Menschengedenken werden sehr ähnliche „Phänomene“ berichtet, das kann kein Zufall sein. Sehr ärgerlich, wie so manche journalistische Oberflächlichkeit, die sich als skeptische Äquidistanz ausgibt.
Allerdings werden hierzulande schon Kinder belehrt, daß es Wunder gibt. Was kann man da erwarten?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2023 um 05.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51979
|
Gedächtniszelle, Ortszelle usw. – das sind Funktionsbestimmungen. Nichts ist darüber gesagt, wie die Zellen das Verhalten steuern und welches eigentlich. Die Großneurosophen schreiben Bücher, in denen sie die Willensfreiheit leugnen oder verteidigen (es läuft aufs gleiche hinaus), aber sie können nicht erklären, warum ich am Morgen noch weiß, wo ich abends die Brille hingelegt habe, oder warum mir nach einigen Sekunden einfällt, zu welchem Gefäß der Schraubverschluß gehört, der auf dem Tisch liegt. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1432#39756
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2023 um 05.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51973
|
2023 ging durch die Medien, das von der EU mit mehr als 1 Mrd. Euro geförderte „Human Brain Project“, im wesentlichen die Computersimulation des gesamten Gehirns, sei gescheitert. An Warnungen vor überzogenen Erwartungen hatte es nicht gefehlt. Die 120 beteiligten Institutionen zogen sich auf die mehr oder weniger wertvollen Nebenergebnisse zurück, aber der Ansehensverlust der Hirnforschung wird fortdauern. Vgl. den Rückblick von Robert Epstein: https://aeon.co/essays/your-brain-does-not-process-information-and-it-is-not-a-computer.
(Der Eintrag "Human brain project" in der englischen Wikipedia ist viel informativer als der deutsche.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.10.2023 um 05.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51954
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49693
Trotzdem interviewt die SZ diesen "Kognitionswissenschaftler" zu Katastrophen, Empathie usw. (14.10.23) Man kann sich denken, was dabei herauskommt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.10.2023 um 07.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51935
|
Psychologen haben untersucht, wie der Bildhintergrund bei Videokonferenzen usw. wirkt. Weiße Wände, Pflanzen, virtuelle Landschaften – alles wurde den Probanden mit der Frage vorgelegt, wie vertrauenswürdig usw. sie das finden. Der methodische Fehler liegt auf der Hand: Wie der Hintergrund tatsächlich wirkt, ist natürlich nicht dasselbe wie die Aussage des Probanden darüber. Es ist nur viel schwerer nachzuweisen, und darum läßt man es sein. Das Ergebnis ist das übliche Psychobabble.
Erstaunlich ist nur, daß man diesen schülerhaften Fehler seit Jahrzehnten wiederholt und dem Zeitungsleser andreht, von den Fachkollegen ganz zu schweigen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2023 um 07.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51914
|
Metastudien zu 20.000 Studien mit „Millionen Hirnbildern“ sollen die Kernfunktionen der Hirnareale aufdecken. (Sarah Genon et al: „How to characterize the function of a brain region“. Trends in cognitive science 22/2018:350-364) Die große Menge kann aber den grundsätzlichen Mangel nicht beheben: Wenn die Funktionen nicht in Verhaltensbegriffen dargestellt sind, kann die Interpretation der Befunde nicht über eine neurosophische Spekulation hinausgelangen. Wer z. B. nach grammatischen Regeln sucht, wird sie finden – in 10.000 Studien ebenso wie in einer einzigen. So fand man auch heraus, daß das Gehirn „Gedanken“ in ein Alphabet von 42 elementaren Konzepten zerlegt, die jeweils in verschiedenen Regionen verarbeitet werden. Mit Hirnscans kann man daher auch „Gedanken lesen“. (Jing Wang et al.: „Predicting the brain activation pattern associated with the propositional content of a sentence: Modeling neural representations of events and states“. Human brain mapping 38/2017:4865–4881)
Hier werden wieder unverstandene Korrelationen als „Repräsentationen“ gedeutet. Phrenologie vom Feinsten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.10.2023 um 05.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51894
|
Münchner Psychologen haben herausgefunden, daß Nachahmung bei Kindern wahrscheinlich nicht angeboren ist, sondern von den Bezugspersonen gelernt wird. Das hat Skinner auch schon vermutet, als es noch üblich war, das Gegenteil anzunehmen. (B. F. Skinner: „The evolution of verbal behavior“. JEAB 1986:115-122) Er wird natürlich in den neuen Arbeiten nicht erwähnt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.09.2023 um 04.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51825
|
Daß Menschen „von Natur nicht frei“ seien, ist keine sinnvolle Behauptung. Der Begriff der Freiheit stammt nicht aus der Naturbeobachtung, sondern aus der dialogischen Verhaltenskoordination zwischen Personen. Ich habe es getan, weil ich es wollte – Das ist kein theoretischer Satz über Verursachung, sondern dient z. B. der Unterscheidung freiwilliger und erzwungener Handlungen. Es geht nicht um die Nichtdeterminiertheit von Ereignissen. Personen wissen recht gut, was sie mit freiem und unfreiem (erzwungenem) Handeln meinen. Dies noch genauer herausfinden zu wollen gliche der sprichwörtlichen Suche nach der „Wahrheit über Rotkäppchen“. Hierher gehört auch das bekannte Spätwerk von Francis Crick, das auf deutsch den durchaus angemessenen Titel trägt „Was die Seele wirklich ist“ und worin der große Wissenschaftler kurzweg erklärt: „Free Will is located in or near the anterior cingulate sulcus.“ (Francis Crick: The astonishing hypothesis. New York 1995:268) Das ist so absurd, daß es einem die Sprache verschlägt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.09.2023 um 14.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51785
|
Ich habe soviel Selbstrespekt, daß ich mich nur mit "Eure Heiligkeit" anrede.
Das ist übrigens jenseits von Scherz und Satire ein neues Prachtstück in der Sammlung von "Paradoxien" oder "Antinomien": Wer achtet wen im Falle von Selbstachtung, und wie weit kann man sie treiben? (Womit wir schon wieder bei Prechts Bestsellertitel wären...)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.09.2023 um 23.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51784
|
Ich soll mich selbst duzen, aber meine innere Stimme sagt Sie zu mir?
Dazu fällt mir auch nichts mehr ein, außer ein Buchtitel, der vor einigen Jahren die Spiegel-Bestsellerliste anführte:
Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?
(Ich habe das Buch nicht gelesen.)
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 23.09.2023 um 12.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51783
|
In Spiegel Online schlüpft Maren Keller in die Rolle meiner inneren Stimme und gibt mir Tips, wie ich verhindern kann, daß sie immer einen so negativen Einfluß auf mein Denken hat. Ich soll mich in Selbstgesprächen mit Du anreden, die Perspektive einer Fliege an der Wand einnehmen, die sieht, daß ich gar nicht so unfähig bin, wie ich denke, usw. usf. Darauf will ich nicht näher eingehen. Mich interessiert hier folgender Absatz:
Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich vermute, dass Sie erstaunlich wenig über mich wissen. Denn so geht es den meisten Menschen. Sie wissen beispielsweise vermutlich nicht, dass ich einer Messung zufolge mit einer Geschwindigkeit von bis zu 4000 Wörtern pro Minute zu Ihnen sprechen kann. Klingt viel? Ist es auch. Dieser gesamte Text zum Beispiel besteht inklusive der Tipps am Ende aus weniger als 1300 Wörtern, und Sie werden vermutlich zwischen fünf und sechs Minuten brauchen, um ihn zu lesen (falls Sie ihn bis zum Ende lesen).
Wie mißt man bitte die Zahl der »Wörter«, die meine innere Stimme angeblich im Gespräch mit mir äußert? Was soll überhaupt eine innere Stimme sein? Sind das die Gedanken, die sich bei mir in einer bestimmten Situation oder Stimmung von selber einstellen? Wie will man den Inhalt von Gedanken feststellen? Und wie mißt man ihre Geschwindigkeit? Wenn ich Angst habe, daß es morgen regnet, weil ich dann eine Wanderung machen möchte, schreibt dann eine/einer der in dem Artikel genannten »Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler« einen Text auf und zählt danach die Wörter? Etwa so: »Achtung, morgen könnte es regnen“« (5 Wörter). Oder so: »Wolfram, denk dran, es könnte morgen regnen, das wäre schlecht, denn du willst ja morgen wandern, und du möchtest dabei sicher nicht naß werden.« (24 Wörter). Ist das nicht alles hanebüchener Unsinn?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2023 um 02.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51764
|
Skinner hat ja mit einer Untersuchung des Reflexbegriffs begonnen. Welche Rolle der Reflex später noch spielt, kann man sehen, wenn man in "Verbal behavior" nach "Reflex" sucht. Im Schema der operanten Konditionierung kommt er nicht vor.
Die sowjetkommunistische Ideologie forderte, auch die Sprache mit Pawlowschem Reflex zu erklären. Das war zwar nur ein Lippenbekenntnis, findet sich aber in allen Lehrbüchern jener Zeit. Nirgendwo kommt es zu der unvergleichlichen Subtilität von Skinners Werk: multiple causation, autoclitics usw.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.09.2023 um 23.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51762
|
Bemerkenswert an diesem Satz ist ja zumindest, daß der Behaviorismus, auch speziell der Skinners, hier sozusagen als der neue Standard angesehen und anerkannt wird!
Daß er darüber hinaus völlig falsch verstanden und mißinterpretiert wird, ist eigentlich erst die zweite Aussage oder Schlußfolgerung daraus.
Auch ich finde die Existenz des Gedächtnisses (Wissens-[Informations-]speichers) ganz logisch. Und daß bedingte Reflexe eine der Spielarten des Gedächtnisses, wenn auch nicht das einzige "Modell" sind, was auch immer mit dem "Grundmodell" gemeint sein soll, leuchtet mir völlig ein, auch wenn das mit Behaviorismus wohl nicht ganz in Einklang zu bringen ist.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2023 um 05.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51761
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51619
Changeux schreibt auch:
„Seit Pawlow, dem Behaviorismus und Skinner gilt der ‚bedingte Reflex‘ als das beste, wenn nicht einzige Grundmodell des Gedächtnisses.“ (Jean-Pierre Changeux: Der neuronale Mensch. Reinbek 1984:176)
Wie ist es möglich, solchen Unsinn zu schreiben?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.09.2023 um 04.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51743
|
Ich hatte geschrieben: "Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde..." Nein, gibt es nicht! (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51500) Ich hatte sagen sollen: O ja, die gibt es. Lest z. B. die Bücher von Richard Dawkins, der immer wieder zu zeigen versucht, daß die Natur viel Wunderbareres bereithält als die abgeschmackten Tricks der Jahrmarktszauberer, Trickbetrüger, Spökenkieker und Theologen. Dawkins gibt sich (nicht nur in „The God delusion“, sondern auch in „Unweaving the rainbow“) viel Mühe mit der Statistik des vermeintlichen Wunders, macht sich aber keine Illusionen über die untilgbare Suggestibilität der Menschen. Paradebeispiel ist immer wieder „Fatima“.
Der gleiche Mechanismus, der uns die Wirklichkeit so vorgaukelt, wie sie wirklich ist (ich habe oft das Sehen als Musterbeispiel angeführt), erzeugt in einigen Fällen eben auch den Irrtum. Die normale Wahrnehmung ist eine Halluzination unter Anwesenheit der steuernden Gegenstände; es geht aber auch ohne sie, dann entsteht die Täuschung. Sie wird teils durch degenerative Vorgänge im Gehirn, teils durch Drogen, teils aber auch durch Massensuggestion und andere „psychogene“ Einwirkung gefördert.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.09.2023 um 22.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51736
|
Nicht allein in Schreiben, Lesen
Übt sich ein vernünftig Wesen;
Nicht allein in Rechnungssachen
Soll der Mensch sich Mühe machen,
Sondern die "exekutiven Frontalhirnfunktionen"
Gilt es stärker zu betonen.
(Busch/Hüther)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.09.2023 um 17.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51734
|
Star-Hirnforscher: „Die Schule, wie wir sie heute kennen, hat ausgedient.“ (FOCUS 13.9.23)
Natürlich geht es um Gerald Hüther.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2023 um 05.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51727
|
Die Pressestelle des Max-Planck-Instituts, an dem die „Neurolinguistin“ Angela Friederici arbeitete, bat sie 2016 um „einen Rat von Ihnen an die Politik zur aktuellen Flüchtlingsdebatte“ (https://www.mpg.de/10318278/interview_friederici_sprachforschung). Die Zusammenarbeit mit einem „der größten Linguisten aller Zeiten, Noam Chomsky“, sei ein „persönlicher Triumph“ für sie gewesen („Noam und ich, wir haben intensiv darüber diskutiert“). Das Interview gibt ein erstaunlich naives Bild von Neurolinguistik – mit „Assoziationen“ und ähnlichen Konstrukten, die rein funktional und weit von neurologischer Begrifflichkeit entfernt sind. Friederici scheint das hier und sonst nie zu bemerken. Das ist charakteristisch für die „Neurolinguistik“ im Banne von EEG und bildgebenden Verfahren wie fMRT, wo der Teufel in der Interpretation steckt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.09.2023 um 16.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51725
|
„Schon Säuglinge erkennen Grammatikregeln“ (SPIEGEL 23.3.11). Das klingt sensationeller als die Feststellung, daß Säuglinge akustische Muster wiedererkennen. Die Gruppe um die „Neurolinguistin“ Angela Friederici spielte 4 Monate alten deutschen Kindern die Muster può cantare und sta cantando vor, anschließend può cantando und sta cantare. Die Säuglinge bemerkten den Unterschied, was sich im EEG gezeigt haben soll. (https://www.mpg.de/1252971/italienisch_lernen) Es ist nicht bekannt, ob der Versuch auch mit nichtsprachlichen Mustern gemacht wurde. Von „Regellernen“ kann keine Rede sein, es geht um die ubiquitäre Mustererkennung. Entgegen Friederici ist es dazu nicht nötig, daß die häufig zusammen vorkommenden Elemente unmittelbar benachbart sind.
(Man könnte auch die falsche Konstruktion zuerst vorspielen. Dann würden sich die Säuglinge über die anschließend präsentierte richtige aufregen, oder?) So viele Fragen... Die Max-Planck-Gesellschaft verbreitet es seit vielen Jahren in einer Flut von Mitteilungen.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.09.2023 um 01.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51718
|
Ich sehe in Ihrer Terminologie zunächst keinen Widerspruch. Trotzdem fehlt mir etwas, wenn Sie sagen, der Begriff Wissen sei unnötig.
Es ist gerade so, als meinten Sie, der Begriff Energie sei unnötig, weil laut Einstein Materie und Energie das gleiche sind. Mit dem Wort Energie erfolgt aber schon eine wichtige Abgrenzung innerhalb der Materie. Ähnliches gilt für Information, die Form der Materie. Wissen ist nur ein anderes Wort für Information auf der biologischen und speziell menschlichen Ebene.
Sie nennen es nicht Wissen, auch nicht etwas neutraler Information, sondern eine körperliche Veränderung im Organismus, die bedingtes Verhalten in der Zukunft ermöglicht. Einverstanden. Aber solche Veränderungen sind prinzipiell sichtbar bzw. meßbar, und sie sind sinngemäß dasselbe wie gespeichertes Wissen oder gespeicherte Fähigkeiten. Eine solche körperliche Veränderung ist kein Konstrukt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2023 um 16.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51715
|
Noch dazu:
Ratten erkunden ihre Umgebung und kommen gegebenenfalls darauf zurück, wie man sagen könnte. Vielleicht aber auch nie. Die Verhaltensänderung ist „konditional“: WENN die Situation sich ergibt, finden sie sich zurecht.
Die Mitteilung „Das Telefon ist defekt“ ist konditional: WENN man mit dem Telefon konfrontiert ist, verhält man sich so wie gegenüber einem defekten Telefon. Dieser Aufschub der Reaktion wird als „Wissen“ modelliert. Man ist dann „informiert“.
Die Lektüre eines Romans hinterläßt vielleicht keine wahrnehmbare Verhaltensänderung. Aber WENN das Gespräch darauf kommt, kann der Leser mitreden usw.
„Wissen“ ist etymologisch = gesehen haben. Wer etwas gesehen hat, verhält sich UNTER UMSTÄNDEN (konditional) anders.
Dieser „Aufschub“ ist zwar nicht spezifisch menschlich, aber doch beim Menschen enorm ausgebaut (man denkt an Herders „Besonnenheit“).
Das „Wissen“ ist aus dieser Sicht nicht nötig. Der Begriff geht vollständig im konditionalen Konditionieren auf.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2023 um 15.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51714
|
Das ist in der Tat ein ernstes Problem für jede operationale Definition von Dispositionen. Um Veränderungen zu erfassen, die nicht sogleich (möglicherweise nie) beobachtbar sind, haben wir Begriffe wie "Wissen" gebildet. Skinner beschäftigt sich an mehreren Stellen damit, in Verbal Behavior" ab S. 362, worauf ich vorläufig verweise.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.09.2023 um 11.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51713
|
"Lernen ist eine Verhaltensänderung", #51709
Dieser Satz ist mir in dieser kurzen Form zu allgemein. Es gibt Dinge, Fähigkeiten, die ich theoretisch oder sogar praktisch lernen kann, teils auch tatsächlich gelernt habe, ohne sie aber jemals im Leben wirklich anzuwenden. Ich "weiß" zwar, wie es geht, ich "kann" es, aber ich tu es nicht. Vielleicht will ich es aus moralischen oder anderen Gründen nicht tun, vielleicht fehlt mir für anderes die Gelegenheit.
Hat also dieses Lernen mein Verhalten geändert? Ich würde sagen, nein.
Lernen erweitert die Fähigkeiten, ändert evtl. das potentielle Verhalten, aber nicht das Verhalten direkt
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2023 um 08.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51712
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#32489
Um jenen gleichsam phrenologischen Hirnatlas der Wörter, mit dem Alexander Huth damals in die Medien gelangte, ist es still geworden. Ich weiß nicht, ob ich einen naheliegenden Gedanken schon geäußert habe: Angesichts von 10.000 über das ganze Gehirn verteilten Wörtern fragt man sich doch, was aus den berühmten "Sprachzentren" geworden ist. Muß man die ganz aufgeben?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2023 um 05.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51709
|
„Das mesolimbische System fördert durch Glücksgefühle das Verstärken bestimmter Verhaltensmuster, die mit Belohnung in Verbindung stehen. Besonders interessant ist dies bei der Erforschung der Spielsucht und der Sucht nach Extremsport, bei denen der Ausgang einen gewissen Unsicherheitsfaktor und damit den besonderen Thrill bzw. Reiz aufweist.“ (Wikipedia: Nucelus accumbens)
Hier werden Glücksgefühle in die Ursachenkette eingebaut. Lernen ist eine Verhaltensänderung, an der natürlich Hirnvorgänge beteiligt sind; Gefühle sind überflüssig. Das Suchtverhalten von Ratten ist oft untersucht worden (Selbststimulation), aber nie werden dabei Gefühle bemüht.
Konditionierung wirft das Problem auf, wie die „Verstärkung“ (reinforcement) wirkt, also der Erfolg beim Lernen durch Erfolg. Man kann beobachten, wie die Geschicklichkeit des Kindes zunimmt, wenn es sich im Zusammenstellen eines Puzzles oder im Treppensteigen übt. Jeder kleine Erfolg verstärkt die Koordination der vorhergehenden (!) Muskelbewegungen. Ob Glücksgefühle oder nicht - der Ablauf ist immer der gleiche. Hebbs Modell scheint immer noch am meisten Unterstützung zu finden.
"Unser Gehirn ist süchtig nach Belohnungen" (Ärztezeitung 7.10.14) Es geht um Geldanlage.
Der Verfasser: „Roland Ullrich war 20 Jahre lang als Investmentbanker international bei verschiedenen Großbanken tätig.“ Eigentlich soll die Sucht durch Hirnfoschung erklärt werden, aber hier ist das Gehirn seinerseits süchtig. Erwähnt werden der Nucelus accumbens, Dopamin usw. – Neurobabble eben.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.09.2023 um 04.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51706
|
Die Neurosophie, so läßt sich zusammenfassend sagen, verlegt personalistische Konzepte („Repräsentationen“, „maps“) ins „Gehirn“, statt beim Konstrukt „Geist“, also im intentionalen Idiom der Folk psychology zu bleiben.
Dazu noch ein Beispiel:
„Angenommen, ein deutsches Baby wüchse bei der südafrikanischen Sängerin Miriam Makeba auf, die ihm in der Bantusprache Xhosa Schlaflieder vorsänge, dann hätte das Kind jedem Erwachsenen eine Menge voraus. Sein kleines Gehirn begriffe die charakteristischen Klicklaute der Xhosa nämlich als Phoneme, also Sprachlaute, genauso wie a, m oder r – und nicht nur als kuriose Einsprengsel.“ (Annette Leßmöllmann ZEIT 10.11.09)
Wieso das Gehirn? Das Gehirn begreift gar nichts. Lieder sind übrigens nicht geeignet, das Phonemsystem einer Sprache zu erwerben. Phoneme wurden, wie man sagen könnte, mit der Prosa erfunden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2023 um 06.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51704
|
„Als Teil des limbischen Systems ist der Gyrus cinguli bei der Entstehung und Verarbeitung von Emotionen sowie bei Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt. Er scheint eine entscheidende Rolle bei der emotionalen Bewertung der äußeren Umwelt und deren Verknüpfung mit der inneren Gefühlslage zu spielen. Mitgefühl und emotionale Bindungen sind hier lokalisiert. Bei Störungen des allgemeinen Lebensgefühls und einer negativen Stimmungslage wie beispielsweise bei Depressionen lassen sich hier häufig Veränderungen in der neuronalen Aktivität nachweisen. Auch Fähigkeiten wie die Aufmerksamkeit zu verlagern, sich Veränderungen anzupassen und Optionen zu erkennen sind hier lokalisiert.“ (Wikipedia Gyrus cinguli)
Die psychologischen Begriffe „emotionale Bewertung“, „emotionale Bindung“, „Lebensgefühl“ usw. bezeichnen keine Sachverhalte, sondern interpretieren sie im Sinne der kulturspezifischen Alltagspsychologie. Eine Korrelierung mit Hirnbefunden ist nicht möglich, solange sie nicht in Verhaltensbegriffen rekonstruiert sind. Es handelt sich hier nicht um Tatsachenfragen (sonst würde ich mich nicht dazu äußern), sondern um eine Begriffsverwirrung.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2023 um 05.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51701
|
Die "Neurogermanistik" ist eine weitere nichtexistierende Disziplin. Der Germanist Gerhard Lauer, der nie etwas mit Neurologie oder Psychologie zu tun hatte, gibt „Kognitive Literaturwissenschaft“ als sein Arbeitsgebiet an; es handelt sich um den traditionellen Psychologismus der Geisteswissenschaften, oberflächlich modernisiert durch Einschleusen neurologischer Vokabeln (Amygdala, Gyrus cinguli):
„Die hier referierten Forschungsbefunde der Neurowissenschaften der letzten zehn Jahre müssen genügen, um zu plausibilisieren, dass der Mensch (und nicht nur er) ein Nachahmer ist und das von Geburt an. Er verfügt über einen neuronalen Mechanismus, der es ihm ermöglicht, Vorstellungen und Handlungen des Selbst mit Vorstellungen und Wahrnehmungen des anderen zu überbrücken.“ (Gerhard Lauer: „Spiegelneuronen – Über den Grund des Wohlgefallens an der Nachahmung“. In: Karl Eibl/Katja Mellmann/Rüdiger Zymner, Hg.: Im Rücken der Kulturen. Paderborn 2007:137-163, S. 144)
„Die These lautet: Literatur besteht aus Nachahmungsgeschichten. Der Grund des Vergnügens an ihnen liegt in den Spiegelneuronen und dem mit ihnen verbundenen Mechanismus der Nachahmung.“ (Ebd. S. 152)
Nachahmungsverhalten ist nicht aus den Neurowissenschaften bekannt, und das „Selbst“ ist kein neurologischer Begriff. Die Brücke zu diesen Spekulationen ist ein als „Nachahmung“ verstandener Mimesis-Begriff, dessen Untunlichkeit ich bereits besprochen habe.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2023 um 05.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51693
|
Eine unausgereifte Wissenschaft versucht sich an den größten Gegenständen, weil sie nicht weiß, daß ihr dazu die Mittel fehlen. So die Kosmologie der Vorsokratiker, die gleichwohl ihren Sinn und Nutzen hatte, weil sie immerhin die rationale Erklärung anstelle der mythologischen durchsetzte. So ja auch die hippokratische Medizin, die zum Beispiel ausdrücklich die Epilepsie als eine Hirnkrankheit auffaßte und sie damit vom Ruf der Besessenheit befreite. Heute spielt die Neurosophie (wie ich es nenne, um nicht gleich von Neurowahn und Neurobluff zu sprechen) eine ähnliche Rolle. Die Neuro-Bindestrich-Disziplinen übernehmen sich allesamt und verbreiten Irrlehren, ob sie es wissen oder nicht. Nehmen wir die Neuroästhetik: Semir Zeki, Alexander Abbushi, Vilayanur Ramachandran usw. (Zur Kritik s. den Wikipedia-Eintrag.)
Der aus Madras stammende Ramachandran zum Beispiel zieht die an indischen Tempeln dargestellten Frauen mit ihren übertrieben kugeligen Brüsten heran – ein wohlbekannter Schlüsselreiz, dessen Wirkung ohne neurologische Spekulationen erklärt werden kann. Kritiker haben eingewandt, daß solche Übertreibung nicht das Wesen der Kunst ausmache, die großenteils keineswegs karikaturistisch sei. Die weltbekannten Kunstwerke in Khajuraho sind kein zoologisches Phänomen, sondern stehen in einem historischen und religiösen Kontext, den die „Neuroästhetik“ nicht berücksichtigt und mit ihren gegenwärtigen Instrumenten auch nicht berücksichtigen kann.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2023 um 05.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51692
|
Ich bleibe dabei, daß "Speicherung", wenn der Begriff einen Sinn haben soll, etwas anderes und mehr sein muß als "Veränderung". Und dann fahre ich fort: Wer an Speicherung glaubt, wird sie finden. Natürlich ändert sich der Organismus durch Lernen, das ist definitorisch wahr und reine Tautologie.
Allgemeiner: Mit den "bildgebenden" Verfahren findet man alles, wonach man sucht. Noch nie hat man gefunden, daß man nichts findet. Das ist aber keine Bestätigung, sondern eine Widerlegung.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.09.2023 um 23.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51691
|
Ich glaube, hier müßte klarer gesagt werden, was unter "an einem Ort", "keinen Ort" bzw. "eindeutige Lokalisierung" im Gehirn zu verstehen ist. Die Verortung der Speicherung einer Wortbedeutung kann ja theoretisch von der Anordnung eines Atoms innerhalb einer Molekülkette über eine oder mehrere winzige oder größere Regionen bis hin zum ganzen Gehirn reichen. Spätestens letzteres als Ortsangabe kann wohl kaum falsch sein, und wenn doch, dann wäre spätestens der ganze Mensch dieser gesuchte Ort.
In irgendeiner Art und Ausdehnung muß der gesuchte Ort ja existieren. Ich halte es allerdings auch für extrem unwahrscheinlich, daß man z. B. das Wort "Treppe" und seine Bedeutung an einem klar abgegrenzten, eindeutigen, kleinen Ort innerhalb des Gehirns findet. Aber wozu sich darüber den Kopf zerbrechen? Sollen die Neurologen ruhig ihr Glück versuchen. Es ähnelt gegenwärtig noch etwas dem Vorgehen der Alchemisten im Mittelalter. Inzwischen wissen wir besser, wie Gold entsteht. Vielleicht findet man auch irgendwann heraus, wie das Gehirn Wörter speichert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2023 um 05.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51687
|
Die Bedeutung von Treppe kann nicht an einem Ort gespeichert sein. Selbst das Bild einer Treppe gibt nicht wieder, was wir mit dem Wort verbinden. Es geht ja nicht nur um eine geometrische Form, sondern um die Funktion, die kulturspezifisch geprägt ist. Treppen sind z. B. keine Leitern. Die Erfahrung mit Treppensteigen, das sukzessive Erlernen dieser Fähigkeit, geht in die sogenannte Wortbedeutung ein. Die Erwähnung einer Treppe kann unter Umständen schwache Muskelinnervationen auslösen, wie sie beim Treppensteigen wirksam werden. Ebenso bei Werkzeugen und anderen funktional definierten Gegenständen:
„Ungerleider, and Haxby (1996) and Cohen et al. (1996) have shown that, when subjects are asked to engage in mental imagery, they use modality-specific sensorimotor cortical systems. For example, in the study by Martin et al., the naming of tool words specifically activated the areas of the left premotor cortex that control hand movements. The imagery system relies on the cognitive creation of a body map (Damasio, 1999; Kakei, Hoffman, & Strick, 1999). This body map then functions as an internal homunculus that can be projected to track the actions of others through the system of motor neurons (Rizzolatti, Fadiga, Gallese, & Fogassi, 1996).“
(Brian MacWhinney: „The emergence of grammar from perspective“ https://psyling.talkbank.org/years/2005/perspectgram.pdf)
Die Darstellung geht weit über das physiologisch Gerechtfertigte hinaus in die kognitivistische Spekulation (imagery, homunculus). Das untersuchte psychomotorische Prinzip, der bekannte Carpenter-Effekt, reicht aber aus, die eindeutige Lokalisierung von Wortbedeutungen im Gehirn fraglich erscheinen zu lassen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2023 um 04.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51685
|
„Sprachverarbeitung“ ist so unbestimmt wie „Papierverarbeitung“, worunter man alles mögliche von der Verpackungsindustrie bis zur Schriftstellerei verstehen kann. Es kann im Gehirn keinen Ort für „Sprachverarbeitung“ geben. Mit den bildgebenden Verfahren wird man ihn trotzdem finden, wie alles, wonach man sucht, also auch jene 10.000 (warum nicht mehr?) Orte von Wortbedeutungen (Nature 28.4.16). Die Unbestimmtheit des Begriffs „Verarbeitung“ erlaubt Linguisten auch die Frage, „wo im Gehirn Zitate verarbeitet werden“ (Elke Brendel u. a.: „Aspekte einer Theorie des Zitierens“. Linguistische Berichte, Sonderheft 15/2007:5-25, S. 14). Auch diesen Ort wird man finden, obwohl Zitieren nur ein Fall des viel umfassenderen Verstellungsverhaltens ist, für das es keinen Ort geben kann, weil jedes Verhalten im Modus der Verstellung ausgeführt werden kann.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2023 um 06.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51681
|
Es gibt zwar Lehrstühle für Neurolinguistik und eine Unmenge Literatur, aber es gibt keine Neurolinguistik.
Es gibt schätzungsweise 10.000 Typen von Nervenzellen (Bruno Preilowski: „Funktionelle Anatomie des Nervensystems“. In: Hans J. Markowitsch, Hg.: Grundlagen der Neuropsychologie. Göttingen u. a. 1996:103-180). Die Zahl der Nervenverbindungen liegt in der Größenordnung von 1014. Jede der 10 bis 100 Milliarden Zellen hat bis zu 40.000 Verbindungen, manche Kleinhirnzellen haben deren 150.000. Vieles davon ist Rückkoppelung, was die Analyse zusätzlich erschwert. Preilowski hebt hervor, daß die Alles-oder-Nichts-Signale der einzelnen Zellen oder gar Synapsen sich nicht als grundlegende Verhaltenselemente eignen (a. a. O. S. 110).
So, und nun sagen Sie doch bitte, was „die neuronale Verarbeitung von Nomen und Verben“ bedeuten könnte!
Viele Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren berücksichtigen nicht einmal, daß die gemessenen Durchblutungsänderungen rund 1.000mal träger sind als die elektrischen Signale. Dennoch wird behauptet, man könne nun dem Gehirn „beim Denken zusehen“.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.08.2023 um 08.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51678
|
Sie wehrt sich auch deshalb nicht, weil sie sonst in den Augen dieser Politepistemologen gleich als demokratiefeindlich gelten. Solche Assoziationen und möglichen Verleumdungen gilt es auf jeden Fall zu verhindern, ob sie nun wissenschaftlich begründet sind oder nicht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.08.2023 um 06.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51676
|
„Strategien zu entwickeln, um demokratienützliche Gefühle zu fördern und demokratiefeindliche Emotionen zu dämpfen, ist nicht nur eine individuelle Pflicht, sondern auch eine epistemologische Aufgabe.“ (Farah Dustdar in Homo neurobiologicus. Aus Politik und Zeitgeschichte 16.10.08)
Die Verfasserin ist Politologin und glaubt, durch die bildgebenden Verfahren könne man dem Menschen „beim Denken zusehen“. Darum glaubt sie ihre eher missionarische (feministische) als wissenschaftliche Botschaft auf die Hirnforschung stützen zu können. Die wehrt sich viel zu selten dagegen, oft macht sie sogar mit, weil sich mit solchen Relevanz- und Zuständigkeitsbehauptungen Geld einwerben läßt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.08.2023 um 13.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51674
|
Ihre letzte Frage läßt ahnen, warum Skinner von vornherein auf die linguistische Terminologie verzichtet und den Gegenstandsbereich in anderen Begriffen abdeckt. Durch die funktionale Analyse gelangt man zu anderen Einheiten als durch die linguistische mit ihren Ersetzungen, Umstellungen usw. Das erste Kapitel von "Verbal Behavior" kommt einem besonders sorgfältig durchdacht vor, wenn man das ganze Buch gelesen hat.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.08.2023 um 12.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51673
|
Noch nicht, ich hatte nur nach Morphologie im Titel gesucht, nicht nach Wortbildung. Habe es aber jetzt gelesen. Sehr aufschlußreich!
Zu meinem letzten Beitrag, es gibt noch eine zweite sächliche Ausnahme: das Ende.
Ist es dann eigentlich Ansichtssache, ob man solche relativ undurchsichtig gewordenen Wörter wie Löffel, Hebel usw. noch in Morpheme aufteilt?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.08.2023 um 04.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51671
|
Nachtrag: Haben Sie bei Amazon auch meine Rezension zu Fleischer/Barz gelesen? Vgl. auch http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=963#51328
Daraus geht hervor, warum ich diese "Standardwerke" nicht empfehle. Donalies (aus dem IdS) ist auch nicht brauchbar, wie hier schon gezeigt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.08.2023 um 04.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51670
|
Mit den klassischen Darstellungen der deutschen Wortbildung (Henzen, Wilmanns...) ist man da besser bedient, auch wenn Wörter wie "Morphem, Morphologie" in den älteren noch nicht vorkommen. Die historische Ausrichtung kommt gerade recht, wenn vieles, was Sie erwähnen, geht auf einst durchsichtige Morpheme zurück, die nur aus heutiger Sicht nicht mehr erklärt, wohl aber oft noch erspürt werden können.
In "Löffel", "Hebel" usw. steckt das alte Instrumentalsuffix (Instrument zum "Laffen", also Schlürfen; zum Heben usw.). "Regel" ist lat. Lehnwort und scheidet hier aus, auch wegen des femininen Genus. Ihre femininen Beispiele auf -e gehen großenteils ebenfalls auf tatsächliche Suffixe zurück und sind kein Zufall. So müßte man alles einzeln durchgehen.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.08.2023 um 01.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51669
|
Mich würden in diesem Zusammenhang auch einige Auslautungen (z. B. -el, -er, -e) interessieren, von denen ich glaube, daß man sie (außer bei Nomina agentis) zwar nicht als Suffixe bezeichnen kann, aber ich finde sie trotzdem recht auffällig.
Manche Wörter auf -el kann man wohl auch noch als Diminutive oder ähnliches auffassen, z. B. Kreis-el, Mäd-el, Heb-el ... Aber es gibt auch sehr viele Wörter wie Regel, Segel, Wedel, Hagel, Löffel, Gabel, Nagel ..., die man wohl nicht weiter in Morpheme aufspalten kann, aber die mir trotzdem irgendetwas Gemeinsames zu haben scheinen, das durch -el gekennzeichnet ist.
Ebenso gibt es viele Wörter auf -er, die keine Nomina agentis sind, wie Wasser, Eimer, Leber, Futter, Pulver ..., aber sind das nur zufällige Bildungen, oder liegt dem nicht auch etwas Gesetzmäßiges zugrunde?
Der Ablaut -e ist bei unbelebten Substantiven (keine substantivierten Adjektive) beinahe ein sicheres grammatisches Zeichen für weibliches Geschlecht (Farbe, Tiefe, Ruhe, Blume, Marke, Wolke ...), einzige mir bekannte männliche Ausnahme ist Käse, einzige sächliche ist Auge.
Sind solche typischen Auslautungen nicht auch irgendwie besondere Bestandteile von Wörtern, auch wenn man sie wohl nicht zu Morphemen rechnet?
Ich habe schon in Fachbüchern gesucht, bin aber noch nicht fündig geworden. Wollte mir schon bei Amazon etwas über Morphologie bestellen, aber nachdem ich dann Ihre Rezensionen gelesen hatte, lieber Prof. Ickler, habe ich es doch besser sein gelassen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.08.2023 um 17.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51668
|
Letzteres trifft zweifellos zu.
Als Beispiele funktionaler Einheiten, die unterhalb des Wort-Formats liegen, aber keine Morpheme sind, könnte man die "Phonästheme" nennen, etwa die auch von Skinner im Anschluß an Bloomfield (und hier von mir) besprochenen Anlaute mit kr-, kn-, schl- usw.
Skinner ist viel umsichtiger als die meisten, vor allem die strukturalistisch reduzierten Linguisten und läßt fast nichts aus, wenn es auch in einem neuartigen Zusammenhang dargestellt und darum nicht immer leicht auffindbar ist.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.08.2023 um 15.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51667
|
Er faßt offenbar Affixe mit einer grammatischen Funktion als gesonderte Einheiten auf, neben den eigentlichen Morphemen (Wortwurzeln).
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.08.2023 um 14.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51666
|
Ja, manchmal muß ich auf eine Frage erst selbst kommen, bevor ich die nötige Aufmerksamkeit aufbringe, ansonsten geht es, wie man leicht abgewandelt sagt, beim Lesen in ein Auge rein und zum andern wieder heraus.
Jetzt aber fällt mir auf, wenn ich es richtig verstehe, daß Skinner Morpheme zwar mit etwas anderen Worten beschreibt, aber letztlich sinngemäß genauso wie sonst üblich (z. B. Wikipedia). Eigentlich auch nicht überraschend. Natürlich nicht "kleinster bedeutungstragender Bestandteil", aber er spricht von "functional unit", "minimal unit of response" bzw. "verbal operant" im Sinne des sprachlichen Verhaltens. Mir ist nur nicht ganz klar, was dann für ihn speziell ein "morpheme" ist, wenn er schreibt (S.120): Some of these [functional units below the level of the word] have been called "morphemes". Nur einige?
Für morphologische Untersuchungen im einzelnen spielt die Frage, ob das Morphem nun Träger einer "Bedeutung" oder eine funktionale Einheit des sprachlichen Verhaltens ist, vielleicht gar keine entscheidende Rolle.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2023 um 17.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51656
|
Diese Frage wird an verschiedenen Stellen von Skinners "Verbal Behavior" behandelt, wenn Sie also etwa S. 117ff. nachlesen. ("Morphem" verwendet er allerdings nicht.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.08.2023 um 15.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51654
|
Nicht insgesamt eine Silbe, aber eben aus Ökonomiegründen höchstens eine Silbe pro Bedeutungselement.
Mir fällt gerade ein, wie definiert man eigentlich Morphem aus behavioristischer Sicht? Kleinste bedeutungstragende Einheit geht dann ja wohl schlecht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2023 um 04.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51653
|
Ja, und nach lebenslangem Studium sagt der Weise nur noch om, und damit ist alles gesagt. Oder eben so:
Die Brille
Korf liest gerne schnell und viel;
darum widert ihn das Spiel
all des zwölfmal unerbetnen
Ausgewalzten, Breitgetretnen.
Meistes ist in sechs bis acht
Wörtern völlig abgemacht,
und in ebensoviel Sätzen
läßt sich Bandwurmweisheit schwätzen.
Es erfindet drum sein Geist
etwas, was ihn dem entreißt:
Brillen, deren Energieen
ihm den Text – zusammenziehen!
Beispielsweise dies Gedicht
läse, so bebrillt, man – nicht!
Dreiunddreißig seinesgleichen
gäben erst – Ein – Fragezeichen!!
(Christian Morgenstern)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.08.2023 um 23.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51651
|
Sind wir denn nicht im Grunde auch tatsächlich schon fast einsilbig geworden? Morpheme, die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, sind, zumindest im Deutschen und Englischen, in den weitaus meisten Fällen einsilbig oder sogar nur Teile einer Silbe.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.08.2023 um 11.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51649
|
Evolutionsbiologen legen mit Recht das Prinzip des kleinsten Aufwandes zugrunde und fragen bei jeder Veränderung nach den ökonomischen Folgen unter Knappheitsbedingungen. So bedeuten die Schwanzfedern der Paradiesvögel einen Luxus, der einer „Rechtfertigung“ bedarf. Man findet ihn in der sexuellen Selektion und damit im Fortpflanzungserfolg, der bis zu einem gewissen Gleichgewichtsmaß, das die mathematische Biologie (Hamilton u. a.) berechnet, die Nachteile der Körperbehinderung überwiegt.
Im individuellen Verhalten gilt das Ökonomieprinzip nur eingeschränkt: Wir sitzen nicht am liebsten schweigend auf dem Sofa, sondern treiben so unsinnige Dinge wie Sport und Gossip. In der Sprachgeschichte werden aber die maulfaulen Verschleifungen (Assimilationen, Verkürzungen...) weitergegeben, nicht die luxurierenden Übertreibungen. Ausnahmen sind vielleicht die Remotivierungen durch Volksetymologie und Onomatopoesie. Sonst wären wir längst „einsilbig“ geworden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.08.2023 um 03.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51631
|
Eine Studie der Uni Rostock hat herausgefunden, daß die heutige Jugend („Generation Z“ – weil sie die letzte ist?) voller Widersprüche steckt. (SZ 17.8.23)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.08.2023 um 04.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51619
|
Als Beweis für die Existenz von „Vorstellungen“ oder „mental imagery“ wird neben der „mentalen Rotation“ und dem „False-belief-Test“ oft der Befund Stephen Kosslyns genannt, daß man Objekte schwerer erkennen kann, wenn man sie sich klein vorstellt. Solche Versuche (auf die sich auch Jean-Pierre Changeux beruft: Der neuronale Mensch. Reinbek 1984), sind nicht gegen einen ähnlichen Einwand wie im Falle von Paivios mentaler Rotation (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50491) abgesichert: Die Aufforderung, sich etwas klein vorzustellen, dürfte von der Versuchsperson so befolgt werden, daß sie es sich gleichzeitig undeutlich vorstellt. Das Ergebnis wäre dann bereits in die Testaufgabe eingebaut gewesen.
An der Replizierbarkeit der Versuche habe ich auch meine Zweifel: Kann man die Beine einer Ameise wirklich besser „zählen“, wenn man die Ameise in Gedanken „vergrößert“?
Auch Changeux stellt gewissermaßen überrascht fest, daß die Vorstellung der Wahrnehmung ähnelt. Aber wir haben doch die transgressive Redeweise von „Vorstellung“ usw. nach dem Muster der Wahrnehmung gebildet!
S. auch http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1546#27581
Changeux gibt einen guten Überblick über die Geschichte der Hirnforschung und Anatomie und Physiologie von Hirn und Nerven, aber wenn er sein Fachgebiet verläßt, wird es peinlich. Zum Beispiel kann er es nicht lassen, der modischen Erledigungsrhetorik gegen einen Strohmann von Behaviorismus beizutreten:
„Zeichnet ein einigermaßen begabter Betrachter das Bild [der Mona Lisa] aus dem Gedächtnis nach, so wird die innere Erfahrung durch eine graphische Reaktion mitteilbar, die auch den verstocktesten Behavioristen überzeugen müßte.“ (Der neuronale Mensch. Reinbek 1984:167)
Eine Lehre, die schon an so einfachen Erscheinungen scheitern soll, hätte man in der Tat nicht ernst zu nehmen brauchen. Aber in "kognitivistischen" Kreisen gehört es zum guten Ton, Behavioristen (wozu eigentlich alle experimentellen Psychologen gehören) als entweder blöd oder krank darzustellen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2023 um 17.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51599
|
Evolution geschieht in kleinen Schritten; Dawkins hat oft dargelegt, warum die Mutationen klein sein müssen.
Allerdings kann sexuelle Selektion auch schnell gehen. Angenommen, es wird Mode, daß die Frauen Männer mit tiefen Stimmen bevorzugen (nicht weit hergeholt). Dann werden nach einigen Generationen die Männerstimmen tiefer liegen.
Man hat ja schon ernsthaft vermutet, daß Beredsamkeit, wenn sie Frauen imponiert, sehr schnell zunehmen kann – was immer die erbliche Grundlage des rhetorischen Talents sein mag. So auch Tanz usw.
Man könnte daraus eine Alternative zum Nativismus ("Language instinct") entwickeln.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.08.2023 um 07.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51563
|
Britische Psychologen haben festgestellt, daß Säuglinge sich für die gleichen Bilder van Goghs interessieren wie Erwachsene. Kriterium war, wie lange sie darauf blickten. Das kann man leicht messen, darum ist es die Methode der Wahl.
Was folgt daraus? Van Gogh steht am Ende einer vieltausendjährigen, hier ausgeblendeten Kunstgeschichte, aber vielleicht kehrt er zu urtümlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten zurück? Der Zeitungsbericht ist überschrieben „Schön bunt“. Das wird es wohl sein. (Übrigens wurden je 20 bis 25 Probanden untersucht.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.08.2023 um 05.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51545
|
Die Ironie wird im „Dorsch“ einigermaßen zutreffend dargestellt, wenn auch mit zuviel Searle, Grice usw., also Philosophie statt Verhaltensanalyse. Das zeigt, wie wenig die Psychologie sich auch heute noch von der Philosophie gelöst hat. (Auch Chomsky gilt ja als Psychologe und wird in psychologischen Lehrbüchern stark beerücksichtigt.) Verlinkt ist „Kognitive Psychologie“. Dieser Eintrag von Joachim Funke zeigt das ganze Durcheinander. Schon der erste Satz ist nicht in Ordnung: „Die Kognitive Psychologie [lat. cognoscere wissen, wahrnehmen] ist der Teil der Allgemeinen Psychologie, die generelle, für alle Menschen gültige psychologische Gesetzmäßigkeiten untersucht.“ (https://dorsch.hogrefe.com/gebiet/kognitive-psychologie)
Breit ausgeführt ist alles in Joachim Funke/Peter A. Fensch, Hg.: Handbuch der Allgemeinen Psychologie. Kognition. Göttingen 2006.
„Kognitiv“ ist ein Fahnenwort, das heute überall beigemischt wird. Es bleibt bestenfalls folgenlos, weil es nichts bedeutet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2023 um 05.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51518
|
Man braucht auf die Einzelheiten der Forschung nicht einzugehen (https://www.cardiff.ac.uk/news/view/2604188-doll-play-prompts-children-to-talk-about-others-thoughts-and-emotions-new-study) – amüsant ist das Ergebnis, wenn wir es mit Omas Weisheit vergleichen: Laß die kleinen Mädchen mit Puppen spielen, dann werden sie gute Mütter und Hausfrauen. Das ist wahrscheinlich sogar die reine Wahrheit.
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 28.07.2023 um 21.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51517
|
Es ist doch sehr zu hoffen, daß die »Forscher und Forscherinnen« bei ihrer Arbeit weit über die Lokalisierung von »Hirnaktivität« bei bestimmten Tätigkeiten der Probanden hinausgekommen sind, denn sonst hätte das Ganze ja tatsächlich Sextanerniveau. Was passiert denn während der Aktivität der betreffenden Hirnregion? Was, wenn das Hirn registriert, daß das Kind, nachdem es die Puppe geschlagen hat oder auf den Boden hat fallen lassen, keine negativen Konsequenzen zu spüren bekommen hat, und diese Erfahrung dann auf den Umgang mit anderen Kindern überträgt? Vielleicht ist dieselbe Hirnregion ja auch aktiv, während jemand einen Mord begeht. Aktivität als solche ist doch völlig nichtssagend.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.07.2023 um 06.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51516
|
Das neueste Stückchen aus der Neurosophie:
Mattel verweist unter anderem auf eine von Mattel mitfinanzierte Studie an der Cardiff University, die 2020 von einem Team um Sarah Gerson im Journal Frontiers in Human Neuroscience publiziert wurde. Die Forscher und Forscherinnen beobachteten die Hirnaktivität von 33 Kindern im Alter von vier bis acht Jahren, die im Vergleich mit diversen Barbies und Tablets spielten. Dabei zeigte sich, dass beim Puppenspiel der hintere Sulcus temporalis superior (pSTS) stärker aktiviert war. Das ist eine Hirnregion, die für die Verarbeitung sozialer Information zuständig ist. "Das Spielen mit Puppen hilft Kindern, einige der sozialen Fähigkeiten zu üben, die sie später im Leben brauchen werden", folgert Studienleiterin Gerson laut einer Pressemitteilung von Mattel. (SZ 27.7.23)
„Eine Hirnregion, die für die Verarbeitung sozialer Information zuständig ist“ – schon die Sprache verrät den Humbug. So wird die ohnehin sehr schwierige Benutzung von „bildgebenden Verfahren“ in der Neurologie endgültig diskreditiert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.07.2023 um 04.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51500
|
Man hat längst beobachtet, daß die Pseudowissenschaftler wenigstens sprachlich gern Versatzstücke aus den seriösen Branchen entleihen. Bei Walter von Lucadou ist zur "Verschränkung" (aus der Quantenphysik, aber irgendwie nur "analog") nun das "Embodiment" hinzugekommen, das er auch ganz anders verstanden wissen will als die Psychologie.
Ich hatte übrigens mal gelesen, daß das Freiburger "Institut", mit dem sich lange Jahre Hans Bender einen Namen machte, bis 2020 staatlich gefördert wurde. Wie anderswo erwähnt, fiel seit je die unüberbietbare Banalität der zu erforschenden Hexerei ("Psychokinese") auf: Bei Bender ließen pubertierende Jugendliche Orangen durchs Wohnzimmer fliegen, bei Lucadou erhebt sich eine Brille vom Tisch usw. Und dazu wurde dann die "Verschränkung" bemüht... Das hätte man alles auf sich beruhen lassen können, wenn nicht die Zeitungen immer wieder mit peinlich wohlwollenden Berichten darauf eingegangen wären. Tenor: "Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde..." Nein, gibt es nicht!
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.07.2023 um 22.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51499
|
»Erkennbar seien Spökenkieker an hellblondem Haar, dem geisterhaften Blick der wasserblauen Augen und einer blassen oder überzarten Gesichtsfarbe. Früher waren es hauptsächlich Schäfer, die mit den Geheimnissen der Natur „innig vertraut“ waren.«
(Wikipedia)
Ausgerechnet Schäfer, die den ganzen Tag draußen in Natur, Sonne, Wind und Wetter verbringen, sollen "blasse oder überzarte Gesichtsfarbe" haben?
Vielleicht haben die "Blassen im Heideland" (Annette von Droste-Hülshoff) ja doch einen andern Beruf?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.07.2023 um 18.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51497
|
Über die "Forschungen" des Spökenkiekers Walter von Lucadou berichtet Wikipedia ausführlich, ohne die Kritik zu erwähnen, wie sonst bei jedem "umstrittenen" Autor. Glaubt man, der Unsinn liege so sehr auf der Hand, daß sich jede Kritik erübige? Schön wär’s. (https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_von_Lucadou)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2023 um 05.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51489
|
„Die Gesellschaft zeigt Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das nutzt vor allem: der AfD“ (Klaus Hurrelmann SZ 22.7.23)
Ich halte das für: Unsinn. Freud hat damit angefangen, seine ohnehin bedenkliche Psychoanalyse auf die Gesellschaft zu übertragen. Seitdem ist kein Halten mehr, die Zeitungen sind voll davon, und Hurrelmann war für deutsche Journalisten immer eine gute Adresse.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2023 um 12.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51466
|
Wir einfachen Leute beurteilen einen Menschen nach dem, was er sagt und tut. Die Psychologen halten sich an das, was er nicht sagt und tut. Seine wahre „Einstellung“ (was für ein wunderbarer Begriff!) muß enthüllt, entlarvt werden. Das war ja auch das Paradoxe an Freuds Traumdeutung: Durch kunstvolle Analyse des „manifesten“ Trauminhalts wird der grundsätzlich durch „Traumarbeit“ verborgene wahre Inhalt freigelegt – komischerweise etwas, was der Schläfer im Schlaf wegen der inneren „Zensur“ nicht zu denken wagt und folglich nicht berichten kann, während er es im Wachzustand ohne weiteres denkt und sich in allen Einzelheiten ausmalt (was Erotisches halt).
Und wie gesagt: Entlarvt und des Vorurteils überführt werden stets die anderen, nicht die Erfinder und Anwender des Tests selber. Kein Antisemitismusforscher ist Antisemit, das wird durch die Methode völlig ausgeschlossen.
|
Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 17.07.2023 um 11.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51465
|
"Die Wissenschaft hat festgestellt, daß Marmelade Fett enthält..."
Das war einmal ein Blödelliedchen; ich glaube, bei den Pfadfindern. Daran muß ich immer denken, wenn ich solche Meldungen lese.
|
Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 17.07.2023 um 11.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51464
|
Die taz hat mal eine wissenschaftliche Studie zitiert, die bewiesen hatte, daß die Gendersprache das Lesen nicht behindert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2023 um 10.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51463
|
Wie die Zeitung berichtet, wird jetzt endlich ein weiterer pseudowissenschaftlicher Gesinnungstest, der „Implicit Association Test“, wegen seiner offensichtlichen Haltlosigkeit kritisiert. Wer weiß, wie viele Menschen er schon unglücklich gemacht hat... Er beruht auf einigen Fallen, in die man die Probanden laufen läßt, und deren Deutung voller Willkür steckt. Damit werden dann andere Menschen des Rassismus, der Homophobie usw. überführt. Der Test selbst besteht nicht einmal die einfachsten Prüfungen (Reliabilität, Validität), aber die besonders in Amerika verbreitete Testgläubigkeit ist schwer zu erschüttern.
Mit einem anderen Test, über den die SZ im Kasten auf der ersten Seite berichtet, ist jetzt wissenschaftlich bewiesen worden, daß Frauenfußball nicht langweilig ist.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2023 um 12.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51424
|
Es hat keinen Sinn, nach Entsprechungen (Orten und Funktionen) der Sprache im Gehirn zu suchen, bevor man die Sprache selbst in naturalistischen Begriffen analysiert hat, d. h. Sprache konsequent als Verhalten versteht. Kulturgeschichtlich gewachsene Einheiten können keine spezifischen Orte im Gehirn haben. Niemand würde nach Zentren für Sonette, Streichquartette, Differentialgleichungen usw. suchen; das gleiche gilt aber auch für Wortarten, Präfixe oder Nebensätze.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2023 um 06.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51419
|
Die Lehre von der "mentalen Rotation" sehe ich zwar kritisch, aber ich muß zugeben, daß Roger Shepard die beste aller optischen Täuschungen erfunden hat: die Shepard-Tische. (S. Google, auch Bilder)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.06.2023 um 04.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51332
|
Noch in der Zeitschrift „Skeptiker“ 2/2023 werden in einem Beitrag über Rudolf Steiner die von Freud erfundenen „drei Kränkungen“ der Menschheit durch Kopernikus, Darwin und ihn selbst bemüht. Je kürzer die illustre Reihe, desto ruhmreicher Freuds eigene Position. Auch in Steiner gipfelte bekanntlich eine solche Reihe.
Man staunt ja immer wieder, mit welchem Fleiß Wahnsysteme ausgebaut worden sind und wie viele "Follower" sie finden (wie man heute sagt).
Die reaktionäre Politik des heutigen Indien fördert sogar das Studium der Astrologie an staatlichen Universitäten – zur Verzweiflung aufgeklärter Inder, die ihrem Land etwas Besseres wünschen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.06.2023 um 16.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51319
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50399
Fortsetzung 5 Monate später:
Die These von einer „Neun-Monats-Revolution“ in der Entwicklung des Kindes scheitert nicht nur daran, daß Eltern anscheinend noch nie etwas davon bemerkt haben, sondern auch daran, daß der unterstellte „Geist“ oder die „mentalen Zustände“ nichts Einheitliches ist. So befindet sich der Säugling von Anfang an im kommunikativen Austausch mit den Bezugspersonen, aber nicht mit Sachen, er sucht Auge und Gesicht und reagiert spezifisch darauf, während zum Beispiel die Einsicht in die Schmerzempfindlichkeit des anderen bis ins zweite Lebensjahr warten muß. Ein typischer Verlauf sieht so aus: Das Kind (1;5) beißt die Eltern, sie rufen „aua!“: das Kind beißt und ruft selbst „aua!“; wenn es zu fest beißt, schreit die Mutter wirklich schmerzgepeinigt auf, und das Kind fängt erschrocken an zu weinen; damit beginnt die Rücksichtnahme auf den Schmerz anderer – nach einem Lernprozeß, der durchaus seine Zeit braucht. Auch lernt das Kind um diese Zeit, daß man anderen nicht in die Augen fassen darf. Die „Perspektivübernahme“ – daß man ein Bilderbuch drehen muß, damit das Gegenüber es betrachten kann – ist schon Monate vorher erlernt. Das sind nur einige Komponenten der Personhaftigkeit, die das Kind angeblich mit neun Monaten im anderen entdeckt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.06.2023 um 04.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51290
|
„Das Zungenspitzenphänomen (auch TOT-Phänomen (tip-of-the-tongue) genannt) bezeichnet einen Zustand, in dem ein eigentlich bekanntes Wort zu einem bestimmten Zeitpunkt im mentalen Lexikon nicht oder nur teilweise verfügbar ist.“ (Wikipedia)
Woher kommt hier das hochspezfische Konstrukt des „mentalen Lexikons“ schon in der Definition der Wortfindungsstörung? Bevor man solche Theorien übernimmt, würde man sagen, daß einem ein Wort nicht einfällt, obwohl man es kennt. Die volkstümliche Metapher dafür lautet: „Es liegt mir auf der Zunge.“
Das Beispiel zeigt, wie der mentalistische Unsinn die Welt erobert hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.06.2023 um 15.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51287
|
Um die Freuden der Speicher-Psychologie weiter zu beleuchten, zitiere ich noch ein wenig aus dem Lehrbuch von David Carroll (ich könnte jedes beliebige andere nehmen, sie gleichen einander wie Eier):
„Another part of our knowledge of words is the syntactic category, or part of speech, to which they belong. Two words belong to the same syntactic category when they can substitute for one another in a sentence. Consider sentence (1):
(1)The aging pianist stunned the audience.
We can replace aging with any number of words, such as wealthy, poor, fat, solemn, and so on. Although the substitutions may change the meaning of a sentence, the sentence remains grammatical. One advantage of using syntactic categories is that we can formulate grammatical rules in terms of categories rather than lexical items. Thus, we have no rule that states that aging may appear before pianist in a sentence. The rule is that adjectives may modify nouns. To use such a rule, we need to include syntactic categories in the lexical entries in our mental lexicon (Miller, 1991).“ (David W. Carroll: Psychology of Language. 3. Aufl. Pacific Grove 1999:104; 5. Aufl. 105)
Man sieht hier, wie das linguistische Verfahren umstandslos in den Gegenstand hineinprojiziert wird: Der Grammatiker vereinfacht seine Sprachbeschreibung, indem er Wortarten unterscheidet, folglich ist im „mentalen Lexikon“ der Sprechers (!) jedes Wort mit einem Vermerk seiner Wortart versehen. Wie man sich das vorstellen soll, bleibt offen (vielleicht steht die Wortart in mentalen Klammern hinter jedem mentalen Wort?). Die meisten Sprecher wissen gar nicht, was Wortarten sind, aber nach diesem Modell weiß ihr mentales Lexikon es – der kleine Linguist im Kopf, der schon Jahrtausende vor dem Aufkommen der Sprachwissenschaft den Stand der Grammatik des 20. Jahrhunderts erreicht hatte.
In Wirklichkeit kennen die Menschen mehr oder weniger die Kombinationsmöglichkeiten der Wörter und erschließen daraus bei Bedarf die Wortart. Sie kennen Reihen von Paradigmen der Art:
aging pianist
aging y
aging z
und
aging pianist
y pianist
z pianist
Ein weiterer Schwachpunkt des Modells besteht darin, daß die Kenntnis (Beherrschung) eines Wortes eine graduelle Angelegenheit ist. Wir wissen mehr oder wenig sicher, wie ein Wort gebraucht wird, haben oft nur eine ungefähre Ahnung von seiner Bedeutung. Hinzu kommt unser feines Gespür für die Registerzugehörigkeit: stilistisch, sozial... Wie verträgt sich das mit der „mentalen Repräsentation“? Ist zu jedem gewichtigeren Wort ein Essay gespeichert, der laufend fortgeschrieben wird?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.06.2023 um 15.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51286
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51122
Besonders komisch wird es etwas später:
„...we must distinguish between the process of retrieving information about words and the storage of words in memory. The distinction is similar to the one between the information about words that is contained in a dictionary and the processes (flipping pages and so on) by which we find the information. Psycholinguists refer to the representation of words in permanent memory as our internal lexicon. When a given word in our lexicon has been found, the properties we associate with the word become available for use. These properties include the meaning of the word, its spelling and pronunciation, its relationship to other words, and related information. Much of this is the stuff of which dictionaries are made, but our internal lexicon also contains information that is not strictly linguistic. A part of our knowledge of elephants, for example, is that they are said to never forget things, but this is not part of the meaning of the word per se.“ (David W. Carroll: Psychology of Language. 3. Aufl. Pacific Grove 1999:102)
Die „Ähnlichkeit“ (similar) zwischen der psycholinguistischen Konstruktion und dem Wörterbuch ist natürlich kein Wunder, denn die naive Psychologie hat einfach die Wörterbucherfahrung in das imaginäre Reich des Mentalen projiziert, samt bilateralem Zeichenmodell (daher die beiden Spalten) und Speicher-Metapher. „Retrieving“ entspricht dem Nachschlagen usw.
Was der Verfasser unter „strictly linguistic“ und „meaning of the word per se“ versteht, scheint beim Elefanten das Zoologische zu sein; gerade das gute Gedächtnis der Elefanten ist aber echt sprachliches Wissen, denn es liegt der Wortbildung „Elefantengedächtnis“ zugrunde.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.06.2023 um 04.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51268
|
"Wolfgang Köhlers Experimente zum Problemlöseverhalten von Menschenaffen auf Teneriffa 1918 haben erstmals gezeigt, dass auch Tiere zumindest ansatzweise zu mentalem Probehandeln in der Lage sind und auf diese Weise zu Umweghandlungen gelangen, die auf Einsicht in Zusammenhänge verweisen.“ (Max J. Kobbert: „Zur Bedeutung anschaulichen Denkens“. In: Ulrich Nortmann/Christoph Wagner, Hg.: In Bildern denken. Paderborn 2010:129-140)
Nein, das haben die Versuche nicht gezeigt. Es ist vielmehr eine traditonell-mentalistische Deutung, und Behavioristen lehnen sie selbstverständlich ab. Mentales Probehandeln (Freud) ist so wenig ein Handeln wie Gedankenexperimente Experimente sind.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.06.2023 um 01.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51182
|
Trittbretter haben sich ja seit dem Aufkommen der E-Motoren sogar verselbständigt und fahren jetzt massenhaft ganz ohne Auto.
|
Kommentar von A.B., verfaßt am 03.06.2023 um 16.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51180
|
Das mit dem Trittbrett hatten Sie in der Tat schon eingetragen, nämlich hier:
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1240#43762
Ich habe die Trittbretter meines Käfers übrigens schon ein- oder zweimal wirklich genutzt, nämlich beim Be- und Entladen sperriger Kisten. Das Auto ist zweitürig; man kommt schlecht von außen an der nach vorne gekippten Vordersitzlehne an die Rückbank. Und für Kinder ist es auch eine willkommene Einstiegshilfe. Beim Aussteigen muß man aufpassen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.06.2023 um 06.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51179
|
Im Zusammenhang mit Mem-Theorie und Exaptation glaubte ich das folgende Fundstück schon eingetragen zu haben:
„Eines der auffälligsten Relikte im Automobilbau ist das Trittbrett am Volkswagen-Käfermodell. Es befindet sich nicht nur am gleichen Ort des Bauplans wie das Trittbrett der Pferdekutsche, nämlich zwischen den vorderen und hinteren Kotflügeln, sondern es imitiert noch dazu seine ursprüngliche Funktion durch einen gerippten Gummibelag. Dennoch ist dieses Konstruktionselement als Trittbrett für einen erwachsenen Menschen gänzlich ungeeignet, ja sogar gefährlich, wie jeder bestätigen wird, der es einmal ausprobiert hat.“ (Eilo Hildebrand: „Relikte in der Technik – Konsequenzen komplexer Systeme“. Matreier Gespräche. Graz 1996:164f.)
Ich weiß gar nicht mehr, wann dieses Bauelement aufgegeben wurde.
In vielen chinesischen Schriften sieht man noch Elemente, die sich nur aus dem Gebrauch des Pinsels erklären lassen. Es gibt Parallelen in indischen Schriften und in unserer serifenhaltigen Antiqua.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2023 um 05.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51170
|
Firmen und Mitarbeiter profitieren, wenn Führungskräfte einen leichten Hang zum Narzissmus haben. (SZ 1.6.23)
Das haben deutsche Forscher herausgefunden, Sebastian Hermann berichtet ausführlich darüber.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.05.2023 um 13.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51152
|
Es gibt keinen Inhalt ohne Form und es gibt keine Form ohne Inhalt. (Inhalt ist hier materiell gemeint.) Sobald sich jemand (irgendein Lebewesen) für die Form interessiert, wird sie zur Information. Praktisch trägt jeder materielle Gegenstand Information. Materie und Information sind genausoein untrennbares Begriffspaar wie Inhalt und Form.
Das ist ein sehr einfaches und wirkliches Prinzip, für mich nicht im geringsten schillernd.
Die Information, die zunächst in den Dingen selbst steckt (z. B. erkennen wir aufgrund der Ausformung der Materie am Wegesrand unmittelbar 5 Pusteblumen), ist transformierbar. Sie läßt sich auf anderen Informationsträgern (Mitteilungen, Nachrichten, egal ob alltagssprachlich oder technisch) in beliebig guter Näherung bildlich (mit Fotos oder Zeichnungen) oder sprachlich (graphisch oder phonetisch) oder noch anders wiedergeben, wo sie auch wieder nur auf bestimmten Mustern, d.h. spezieller Formen von Materie beruht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.05.2023 um 05.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51149
|
Mit der Einbeziehung der Umstände (der Geschichte) kommen wir der Sache schon näher. Aber warum immer wieder der schillernde Begriff "Information"? Mal scheint er Mitteilung, Nachricht zu bedeuten, mal wieder nicht, mal alltagssprachlich, mal technisch gemeint zu sein. Halten wir uns doch einfach an die Tatsachen: Was geschieht wirklich? Warum geschieht es, und welche Folgen hat es?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.05.2023 um 22.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51148
|
Das kommt drauf an. Erst einmal ist es natürlich eine rein zufällige Anzahl und ein zufälliges Gewächs. Wenn sich aber jemand dafür interessiert, wie viele Pusteblumen Sie neben dem Gartenweg sehen, können Sie ihn informieren, daß es 5 sind. Oder wenn er fragt, was neben dem Gartenweg wächst, können Sie ihm die Information geben: "5 Pusteblumen".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.05.2023 um 20.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51147
|
Neben dem Gartenweg sehe ich 5 Pusteblumen. Information?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.05.2023 um 16.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51146
|
Also Spaß beiseite, es ging mir ja nur um ein möglichst einfaches und kurzes Beispiel für Information. Man könnte natürlich die Zahl 5 auch notieren oder einen ganzen Satz darüber schreiben, was mit der 5 gemeint ist, je nachdem, wieviel Information man benötigt.
Ich hätte jetzt nicht gedacht, daß es strittig sein könnte, daß irgendeine materielle Ausformung der Zahl 5 eine Information ist.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.05.2023 um 16.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51145
|
Wenn meine Frau mir aufträgt, am nächsten Morgen 5 Brötchen einzukaufen, dann laufe ich Gefahr, über Nacht die Anzahl vergessen zu haben. Deswegen schlage ich üblicherweise entweder 5 Kerben ins Tischbein oder lege mir 5 Erdbeeren neben den Rasierapparat, dann habe ich am nächsten Morgen gleich die Information über die Anzahl Brötchen, die ich besorgen wollte.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.05.2023 um 14.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51144
|
Fünf Kerben oder fünf Erdbeeren sind real, wer würde das bezweifeln! Aber warum nennen Sie das "Information"?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.05.2023 um 13.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51143
|
Irgendwie wird uns nun dieses gespeicherte Wissen (z. B. die Information 5) "bewußt". Erst dort beginnt für mich der Bereich des Mentalen. Wie das geht, das ist halt die große Frage.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.05.2023 um 12.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51142
|
Ich verstehe Ihre Begriffskritik teilweise, finde jedoch, daß Sie damit zu weit gehen. Nicht alles sind Konstrukte, also bloße Ideen, die Sie als solche bezeichnen.
Die Zahl 5 ist solch ein Konstrukt. Sie existiert als solche nirgendwo im Universum, sie ist eine reine Idee.
Aber schnitzen Sie 5 Kerben in einen Holzstab. Diese 5 Kerben sind eine Information. Mehr an Information als die Zahl 5 steckt nicht drin, aber der sie hineingeschnitzt hat, weiß schon, wie er die 5 interpretieren muß, was er sich damit merken (speichern) wollte.
Die Information 5 im Kerbholz ist sichtbar, man kann sie sogar ertasten, sie existiert!
Während die Zahl 5 also ein ideelles Konstrukt ist, existiert die Information 5 ganz real!
Die Information 5 im Kerbholz ist also kein Konstrukt. Wenn der Mensch anstelle des Kerbholzes sich die Zahl 5 "merkt", dann nennt man das "Wissen". Es bedeutet, daß sich nun irgendwo im Gehirn eine Art "Kerbe(n)" befindet, die die Menge 5 darstellt. Man kann dieses Wissen im Prinzip auch sehen bzw. mit geeigneten Instrumenten sichtbar machen, genau wie die Kerben im Holz!
Wissen ist also kein Konstrukt. Man kann es nicht einfach begriffskritisch zum Mentalen erklären!
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.05.2023 um 06.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51137
|
"Wissen", "Speicher" – ich kann damit nichts anfangen. Oder vielmehr: Ich fange etwas damit an, aber Sie wollen mir nicht folgen... Ich kritisiere nicht vom neurologischen Standpunkt aus – wir sind ja beide keine Neurologen – sondern begriffskritisch. Die paradoxen Folgerungen des Speichermodells habe ich immer wieder dargestellt, wie eigentlich schon Platon (Gedächtnis als Wachstafel, als Taubenschlag).
Aber Sie können nicht erwarten, daß ich die mentalistischen Begriffe übernehme und meine eigene Kritik desavouiere. Natürlich drehen wir uns im Kreis, ich kann es vorläufig nicht ändern (solange Sie nicht konvertieren...)
Lieber Herr Riemer, Sie sind ein gutmütiger Mensch und versuchen den "Speicher" durch wohlwollendste Interpretation zu retten, indem sie darunter jede Veränderung des Organismus verstehen. Aber die Doktrin, die ich kritisiere, ist viel spezifischer. Die Explikation durch den Begriff des "Wissens" zeigt es. Wenn man ohne solche allzumenschlichen (in meinen Augen "soziomorphen") Begriffe auskommt, rückt auch die physische (neurologische) Ratifizierung in erreichbare Nähe. Den Speicher und das Wissen werden Sie jedenfalls im genauesten Hirnscan nicht entdecken! Das ist eben keine empirische Frage, sondern eine begriffskritische, philosophische. (Ob Sie sich noch einmal meine "Naturalisierung der Intentionalität" ansehen? Darin wird diesem Begriff sein Ort im Dialog zugewiesen, und es ist jedenfalls kein neurologisch ratifizierbarer. Auf die gleiche Weise konstruieren wir für praktische Zwecke "Wissen", "Bewußtsein" und das ganze übrige Inventar des "Geistes". Ich versuche zu erklären, wie das vor sich geht, aber ich kann mir doch das Explanandum nicht zu eigen machen, als sei es ein Explanans.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.05.2023 um 23.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51136
|
"Es ist völlig unklar, wie ein Speicher für Inhalte aussieht." (#50875)
Ja, so ist es! Können wir es nicht bei dieser Feststellung belassen? Warum sollen wir uns in Spekulationen verlieren, wie dieser Speicher (das Gedächtnis) aussehen und funktionieren könnte? Sollen sich doch Neurologen damit beschäftigen. Daß wir es nicht wissen, beweist nichts.
Klar ist nur, daß es ohne Speicherung nicht geht. Das Wissen muß irgendwo herkommen, es fällt uns nicht von allein ein, sobald wir es brauchen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.05.2023 um 12.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51134
|
Der bibliographische Verweis steht hier: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50875
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.05.2023 um 12.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51133
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50881:
Das genannte, zweifellos repräsentative Handbuch enthält nicht einmal ein Stichwort "store" bzw. "storage" im Register – aber nicht weil es unwichtig wäre, sondern weil es praktisch auf jeder Seite (mehrmals) vorkommt. So sehr ist die Gleichsetzung von Gedächtnis und Speicher zur Selbstverständlichkeit geworden. Ich erlaube mir, sie trotzdem für sinnlos zu halten, und zwar als Nichtpsychologe, weil sie nämlich gar keine psychologische Tatsache, sondern eine vorher getroffene philosophische Festlegung ist, zu der auch unsereins etwas sagen darf.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.05.2023 um 03.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51122
|
MAIN POINTS
When we know a word, we know its phonological, morphological, syntactic, and semantic attributes.
A word’s meaning includes both sense and reference. Sense refers to a word’s relationships with other words, whereas reference pertains to the relationships between a word and an object or event in the world.
The organization of word knowledge in permanent memory is called the internal lexicon. In a semantic network, words are represented as nodes and are connected via relations to other words in the network.
The process by which we activate our word knowledge is termed lexical access. Lexical access is influenced by the frequency of a word, its phonological and morphological attributes, whether it is ambiguous, and whether a semantically similar word has just been encountered. (David W. Carroll: Psychology of Language. 3. Aufl. Pacific Grove 1999:102)
Für mich ist diese Zusammenfassung in einem Standardlehrbuch (in der 5. Auflage 2008 unverändert) vollkommen unverständlich. Ich kann mir unter einem inneren Wörterbuch nichts vorstellen. Auch scheint mir das übliche Wortspiel mit „know, knowledge“ vorzuliegen. Die Rede vom „Aktivieren“ suggeriert wie so oft, daß die neurologische Ebene erreicht ist, wovon aber keine Rede sein kann. Aber was bedeutet das „Aktivieren von Wissen“ dann?
Die semantischen Netze mit ihren „Knoten“ können nur als graphische Darstellungen verstanden werden und gehören nicht zum Gegenstand selbst, obwohl es hier so aussieht.
Eine solche Psychologie scheint mir Jahrhunderte hinter dem sonstigen Stand der Wissenschaft zurückgeblieben zu sein.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2023 um 04.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51093
|
Sprache im heutigen Sinn gibt es seit etwa 100.000 bis 150.000 Jahren. Schon vor dieser Zeit muss es also beim Menschen hirnanatomische Entwicklungen gegeben haben, die im Hirn zu bestimmten Dispositionen führten, das Sprechen (und damit Sprachen) lernen zu können. Die kulturelle Evolution hat vielfältig die Spezies Mensch gezwungen, auch bestimmte Bereiche des Gehirns für Aufgaben zu benutzen, für die sie von der Natur nie vorgesehen waren:
Das Broca-Areal im Frontalhirn ist zuständig für die Koordination der Gesichtsmuskeln, für mimischen Ausdruck und die Gebärdensprache. Der Bedeutung des Broca-Areals für die Produktion von gesprochener Sprache wird in der Neurologie immer wieder besondere Aufmerksamkeit gewidmet (das Broca-Areal ist aktiviert sowohl beim lauten, als auch beim stillen Lesen).
Das Wernicke-Areal im Temporallappen ist u. a. zuständig für die Dekodierung von Sprache, für die Begriffsbildung, es übernimmt die Aufgabe des Sprachverständnisses sowohl bei Hörenden als auch bei Gehörlosen (!) (Gebärdensprache).
Der Gyrus angularis im Parietallappen ist u. a. zuständig für die Verknüpfung von gesprochenen und gesehenen/geschriebenen Wörtern.
Das visuelle Wortformareal an der Basis des linken Temporallappens befasst sich u. a. mit der Produktion der Schreibweise, der Lautung und der Bedeutung von Wörtern.
(Elternbrief Nr. 13, (Januar 2013)
Dort auch Hirnkarten, in denen die verschiedenen Funktionen eingetragen sind. Daß Regionen für Funktionen „zuständig“ sind, ist unbestimmt genug, um die Deutung zuzulassen: „sine qua non“. Damit ist fast gar nichts gesagt. Und „befasst sich mit....“ ist Homunkulus-Sprache. Gehirnteile befassen sich nicht. Bunte Bilder erzeugen Scheinwissen und rechtfertigen Neurobabble.
Was das Alter der Sprache angeht, wird zur Zeit ungefähr das nachgesprochen, was auch dieser Text behauptet, so auch im Katalog zur Ausstellung „Die Sprache Deutsch“ – vollkommen willkürlich.
(Im Elternbrief ging es eigentlich nur darum, die Ansprüche des Rechtschreibunternehmers Sommer-Stumpenhorst zurückzuweisen. Dazu wurde alles aufgeboten, was Rang und Namen hat, eine so gemischte Gesellschaft, daß man es von vornherein nicht ernstzunehmen braucht.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.05.2023 um 06.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51037
|
Warum kleben wir fast volle Rabattkarten usw. so gern voll? Ein Team um den Marketingforscher Bowen Ruan hat es herausgefunden, und Sebastian Herrmann berichtet auf der ersten Seite der SZ darüber (13.5.23). In unübertrefflicher alltagspsychologischer Banalität heißt es: „Hinter dem Effekt steckt der Drang, einmal begonnene Aufgaben zu vollenden. Die ersten Schritte zu einem großen Ziel schmerzen stets und kosten Kraft. Sobald der Aufbruch aber gelungen und der ersehnte Gipfel beinahe erreicht ist, bricht die Zeit des Schlussspurts an. Jetzt werden auf einmal Energien freigesetzt, jetzt läuft es. Die innere Spannung löst sich in Vorfreude auf.“
Drang, Kraft, Energie, Spannung, Vorfreude – das sind die untrüglichen Zeichen der Unwissenschaftlichkeit. Aber für Marketingforscher reicht es allemal. Abgesehen von der indiskutablen Begrifflichkeit gilt: Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen. Aber das nur nebenbei.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.05.2023 um 06.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51022
|
Die Körpersprache verrät weniger, als viele denken (SZ) = als die gleiche Zeitung und alle anderen uns jahrelang einreden wollten, wir aber nie geglaubt haben.
Die Experten von einst sind jetzt "selbsternannte".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.05.2023 um 03.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#51008
|
Amerikanische Forscher haben festgestellt, daß die Sprecher von Tonsprachen – wie erwartet – beim Erkennen von Melodien wesentlich besser abschneiden. Daher die Weltgeltung der chinesischen Musik (Mozart, Schubert, Elvis...). Oder umgekehrt: Die chinesische Oper ist von unseren Bühnen nicht fortzudenken.
Wir hatten ja auch schon gehört, daß die Chinesen Sprache in anderen Hirnregionen verarbeiten als wir. Und Frauen woanders als Männer.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2023 um 18.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50993
|
Neurowahn und Neurobluff
Elektroenzephalographie und die neueren bildgebenden Verfahren (PET, fMRT usw.) haben zu einem Aufschwung der Hirnforschung geführt. Forscher auf dem Gebiet der höheren Verhaltensleistungen fühlen sich dadurch ermuntert, ihre Befunde auch terminologisch in Begriffen der Neurologie darzustellen. Nicht immer passen Ausdrucksweise und Forschungsergebnisse zusammen: die neurologischen, physiologischen und anatomischen Begriffe spiegeln manchmal eine Analyseebene vor, die von der Forschung in Wirklichkeit nicht erreicht wird. Im „Zeitalter der Hirnforschung“ verschafft eine solche Rhetorik möglicherweise Zugang zu Forschungsmitteln. (Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde vom amerikanischen Präsidenten zur „Dekade des Gehirns“ erklärt, und es gab entsprechende Zuwendungen.) Die bloße Voranstellung des magischen Bestandteils Neuro- scheint herkömmliche Forschung auf ein moderneres Niveau zu heben: Neuropsychologie, Neuroökonomie, Neuropädagogik, Neurolinguistik, Neurogermanistik, Neurotheologie, Neuroästhetik, Neuroleadership, Neuromarketing, Neurorecht, Neurorhetorik, Neurohistorie usw. Burrhus F. Skinner sprach einmal von „neural prestige“ (Notebooks. Englewood Cliffs 1980:81), was man als „Neurobluff“ wiedergeben könnte. Noel W. Smith nennt es „Brainology“, im Anschluß an Kantor. In Amerika spricht man auch von „Neurobabble“ (nach dem schon früher entwickelten „Psychobabble“) und noch drastischer von „Brain porn“.
Seit jeder gebildete Mensch weiß, daß das Gehirn das Organ ist, von dem das Verhalten hauptsächlich gesteuert wird und in dem folglich auch das traditionell so genannte „Denken“ stattfindet, spricht man auch im Alltag gern vom Gehirn, wenn man die Person meint: „Unser Gehirn will ja immer weiter“, sagt eine Lehrerin (FAS 29.11.09) und meint: „Wir wollen ja immer weiter.“ Das Manifest, das der Osloer Massenmörder Breivik ins Internet gestellt hat, soll Einblick in sein „Gehirn“ gewähren, schreibt die Süddeutsche Zeitung (25.7.11). In der Kognitionsforschung ist es weithin üblich, Gehirn (brain) und Geist (mind) zu gebrauchen, als bedeuteten sie dasselbe. Damit wird ein begrifflicher Unterschied verdeckt: Das Gehirn ist ein konkreter Gegenstand, Geist ist ein (seiner Herkunft nach laienpsychologisches) Konstrukt.
Philosophen und methodenbewußte Psychologen haben darauf hingewiesen, daß es irreführend und unzulässig ist, personale Prädikate wie wollen in subpersonale Bereiche wie das Gehirn zu projizieren. Der Kategorienfehler findet sich aber nicht nur im Alltag und in der populärwissenschaftlichen Literatur.
„Our individual brains are each inhabited by a large number of ideas that determine our behaviour.“ (Dan Sperber: Explaining Culture – A Naturalistic Approach. Oxford 1996:1)
Man tut so, als habe man von Ideen schon immer gewußt, nur nicht, wo sie sich befinden, und jetzt wisse man es. Das naive Modell des Mentalen wird neurologisiert, wenigstens sprachlich.
Die bildgebenden Verfahren wirken verführerisch. Man kann Versuchspersonen beliebige Aufgaben stellen und wird stets auch verschiedene „Bilder“ regional differenzierter Hirntätigkeit erhalten. Daraus wird dann gefolgert, daß für die jeweilige Aufgabe eine bestimmte Hirnregion zuständig ist.
Gegen diesen wiederbelebten Lokalismus wenden sich problembewußtere Forscher:
„Wir können nicht aus dem Hirn den Teil isolieren, der für z. B. Aufmerksamkeit zuständig ist. Es gibt keine 1:1 Zuordnung von psychologischen Konstrukten zu anatomischen oder biochemischen Komponenten des Gehirns.“ (Hans Welzl in Markowitsch, Hans J. (Hg.): Grundlagen der Neuropsychologie. Göttingen u.a. 1996:231)
„Das Problem ist, wie schon Faux (2002) darlegte, nicht, dass die Technik versagt, sondern dass komplexe kognitive Funktionen (wie "Schlussfolgern" oder "visuelles Vorstellen") schlecht definierte Konstrukte sind, die - natürlich - keine Realität im Gehirn haben.“ (Bördlein)
(Faux, S.F. (2002). Cognitive neuroscience from a behavioral perspective: A critique of chasing ghosts with Geiger counters. The Behavior Analyst, 25, 161-173.)
Es sind z. T. soziale Konstrukte wie Logik, normative Modellierung sozialen Verhaltens.
Neuropsychologie
Oft werden Einsichten der Psychologie umstandslos in solche der Neurologie umformuliert. So weiß man seit langem, daß Aussagen vor Gericht nicht immer zuverlässig sind, und zwar nicht nur weil die Zeugen lügen, sondern weil sie sich tatsächlich falsch erinnern. Die Suggestibilität von Kindern ist besonders folgenreich. Elizabeth Loftus hat Kindern Erlebnisse eingeredet, an die sie dann fest glaubten und die sie immer anschaulicher ausschmückten. Dies wird von der berichtenden Zeitung zu den Erkenntnissen der „Neurowissenschaften“ gerechnet (SZ 24.7.10). Loftus’ weltweit bekannte Arbeiten liegen z. T. seit Jahrzehnten vor und waren nie anders als rein psychologisch formuliert. Der Historiker Johannes Fried hat aufgrund ähnlicher Befunde eine „neurobiologische Quellenkritik“ gefordert. Warum neurobiologisch? Alle Befunde in diesem Bereich sind psychologisch, nicht neurobiologisch.
Vor der Bundestagswahl 2009 wurde in der SZ „Deutschlands bekanntester Hirnforscher“ Wolf Singer erwähnt und abgebildet: „Der Gehirnforscher Wolf Singer weiß, dass Wünsche die Wahrnehmung immer beeinflussen.“ (SZ 25.8.09) Als Gehirnforscher weiß er das nicht, denn Wünsche kommen im Gehirn nicht vor, aber er bringt es nicht über sich, der Zeitung zu sagen, daß sie ihn mit solchen Fragen in Ruhe lassen soll. Auch Singers Kollegen Gerhard Roth und Gerald Hüther werden zu allen möglichen Themen befragt. Während die Philosophie, vor allem die sprachanalytisch informierte, die Thesen dieser drei Autoren nahezu einhellig ablehnt, könnten sie mit ihren mehr oder weniger reißerischen Büchern durchaus die Politik, das Strafrecht oder die Pädagogik beeinflussen.
„Die Haut sendet Signale ans Gehirn. Warum dieses darauf mit Vertrauen reagiert, ist unklar.“ (SZ 6.8.10) – Vertrauen kommt im Gehirn so wenig vor wie Wünsche. „Indem wir nichts weiter tun, als mit dem Mund Geräusche zu erzeugen, können wir im Gehirn anderer Personen neue und präzise Gedankenkombinationen erzeugen.“ (Steven Pinker: Der Sprachinstinkt. München 1996:17) Im Gehirn gibt es keine „Gedanken“, und Pinker, der hier einen Kategorien-Fehler begeht, weiß auch gar nichts darüber.
Neuropädagogik
Sarah-Jayne Blakemore und Uta Frith geben Lerntips unter dem Titel „Wie wir lernen. Was die Hirnforschung darüber weiß“ (München 2005). Die Lerntips sind alle nicht aus der Hirnforschung abgeleitet, sondern es sind entweder altbekannte Faustregeln oder sie stammen aus der Lernsychologie. Der Behaviorismus wird totgeschwiegen, die Ausführungen über den Zusammenhang von Belohnungmustern und Lernerfolgen werden in neurologischem Jargon gegeben, dabei sind die verhaltenstheoretischen Lernkurven sehr viel länger bekannt.
Manfred Spitzer verkündet in Zeitungsartikeln und Fernsehsendungen die Entdeckung der „Hirnforschung“ (an der er als Psychiater gar nicht wirklich beteiligt ist), daß man Sprachen besser lernt, wenn man sie gern lernt. Gerhard Roth („Bildung braucht Persönlichkeit“. Stuttgart 2011) weiß, daß man neurobiologische Erkenntnisse nicht unmittelbar in pädagogische Theorien umsetzen darf, stellt aber dann doch eine Menge Beziehungen her, die selbst nach Ansicht wohlwollender Rezensenten (Tanjev Schultz in der SZ vom 10.6.11) nicht gerechtfertigt und auch gar nicht nötig sind. „Roth weist auf den großen Einfluss hin, den die ‚Bildungsnähe‘ des Elternhauses hat. Die Aufgabe des Staates sieht er vor allem darin, ‚bildungsfern‘ aufwachsenden Kindern zu helfen. Etwa mit Ganztagsschulen und frühzeitigen Sprachkursen für Kinder aus Einwandererfamilien. Roth befürwortet auch ein langes gemeinsames Lernen.“ (Zeit online 5.4.11) Zu einem Erziehungskongreß 2011 mit dem Titel „Arche Nova - Die Bildung kultivieren!“ hat der Organisator Reinhard Kahl auch Spitzer und Hüther eingeladen, als könnten sie aus der Sicht der „Hirnforschung“ etwas zur Pädagogik beitragen. Beide warnen vor dem Fernsehen, vielleicht mit Recht, aber ihre diesbezüglichen Meinungen haben nicht das geringste mit Hirnforschung zu tun. Hüther zum Beispiel sagte in einem Interview: „Das Fernsehen ist nur die Ersatzbefriedigung dafür, dass man in Wirklichkeit nicht dazugehört. Und das Internet ist nur die Ersatzbefriedigung dafür, dass man tatsächlich keine Aufgaben und keine verlässlichen Beziehungen hat.“ (SZ 28.4.09) Spitzer vertreibt einschlägige Meinungen in einem regelmäßigen Fernsehauftritt, den man auch auf DVD kaufen kann. (Auch der Hirnforscher Ernst Pöppel verkauft Bücher, in denen er darlegt, daß Lesen dumm macht; das fiel sogar Amazon-Rezensenten auf.) Der Pädagogikprofessor Ulrich Herrmann schreibt plötzlich Bücher über „Neurodidaktik“. In einem Aufsatz erklärt er: „Belohnung und Spaß bewirken, dass das Gehirn umso besser funktioniert, je attraktiver die Lernsituation empfunden wird, und die Attraktivität bemisst sich – wie könnte es anders sein – an der Abschätzung des zu erwartenden Erfolgs.“ („Lernen – vom Gehirn aus betrachtet. Wie schulisches Lernen verbessert werden kann: Neurowissenschaften und Pädagogik auf dem gemeinsamen Weg zur Neurodidaktik“. Gehirn & Geist 12/2008:44-48) - Das wäre eine sogenannte instrumentelle Motivation, die aber nicht weit trägt. Schon in der Schule hatten wir Klassenkameraden, die ein überdurchschnittliches Interesse an Geschichte oder Chemie bewegte, die aber nicht im Traum an einen zu erwartenden Erfolg dachten. Das Lernen macht auch nicht „Spaß“, sondern (manchmal) Freude. Herrmann fährt fort: „Nichts ist daher erfolgreicher als eine neurodidaktisch begründete ‚Spaßpädagogik‘: eine lust- und spaßbesetzte Leistungsherausforderung, die Erfolgserlebnisse vermittelt!“ Der Werbe-Rhetorik entspricht eine unbedachte theoretische Ausdrucksweise: „Kinder lernen die Muttersprache durch Hören und Nachsprechen, zugleich generiert ihr Gehirn die grammatischen Regeln, nach denen diese Sprache verfährt.“ Das Gehirn generiert keine Regeln. Keine Neurologie wird sie finden.
Der Zürcher Neuropsychologe Lutz Jäncke warnt in einem Interview:
„Wir haben zwar hervorragende Befunde, aber einige meiner Kollegen übertreiben das. So gibt es ‚Berühmtheiten‘, die als Hirnforscher zum Beispiel versuchen, die Schule zu erklären. Diese Wissenschaftler waren ursprünglich Lurch- oder Rattenforscher und schreiben dann Bücher wie „Wie Kinder lernen“, haben aber von der Lernpsychologie keine Ahnung. Diesen Punkt habe ich immer kritisiert: dass ein Hirnforscher auf einmal kommt und sagt, so funktioniert das. Das sind problematische Grenzüberschreitungen. Je nachdem, wofür sie Erkenntnisse anbietet, ist die Hirnforschung sinnvoll oder sinnlos. Wenn Sie einem Lehrer erklären wollen, wie man ein Kind unterrichtet, brauchen Sie nicht zwingend die Hirnforschung; Sie brauchen gute Kenntnisse der Lernpsychologie.“
Gegen Spitzer hat Elsbeth Stern eingewandt, daß seine Ansichten keiner neurologischen Einkleidung bedürfen, weil sie rein lernpsychologisch begründet sind. Das gilt eigentlich für alle vermeintlich neurologischen Vorschläge.
Neuroökonomie, Neuromarketing
„Nun zeigt die Hirnforschung, wie stark unsere Persönlichkeit, unser Wertesystem und unsere Entscheidungen vom biologischen Erbe der Vorfahren bestimmt sind.“ Dies habe die Kernspintomographie bestätigt. So äußert sich Gerd Eisenbeiß in einem Gastkommentar der SZ vom 24.5.08. (Eisenbeiß ist ehemaliger Energievorstand des Forschungszentrums Jülich und macht in dem Beitrag versteckte Werbung für die Kernenergie.)
„Menschliches Besitzstandsdenken hat eine neurophysiologische Grundlage.(...) Konnten sich Probanden besonders schwer von ihrem Besitz trennen, zeigte sich eine besonders starke Durchblutung der Inselrinde. Das ist die Hirnregion, in der Schmerzen verarbeitet und emotional bewertet werden.“ (Bericht in der SZ vom 21.6.08)
Gerhard Roth und der Unternehmensberater Hans-Joachim Rudnick schreiben im Wirtschaftsteil der SZ vom 9.7.08: „Antriebe des Unbewussten: Warum deutsche Manager so sind, wie sie sind – und bisweilen kriminell werden. Ein Blick in ihr Innerstes“. Eine Bildunterschrift lautet: „Was geht in einem Manager-Kopf vor? Die Hirnforschung liefert Antworten.“ Davon kann natürlich keine Rede sein. Die Folgerungen sind vom gesunden Menschenverstand diktiert und nicht von der Hirnforschung: „Daher muss größte Sorgfalt auf die Auswahl von Führungskräften verwendet werden.“ Die Hirnforschung hat weder anatomisch noch physiologisch bisher etwas im Gehirn entdeckt, was sich mit Managertum und Führungskräften in Verbindung bringen ließe. Roth äußert sich aufs neue im Wirtschaftsteil der SZ vom 4.8.12, diesmal über die Beziehungen von Chefs und Untergebenen in Betrieben; er wird im Vorspann als einer der bedeutendsten Hirnforscher der Welt vorgestellt.
Singer war zum „SZ-Führungstreffen Wirtschaft 2011“ eingeladen und äußerte sich u. a. zur weltweiten Finanzkrise: „Von jenen Bankern, die durch riskante Geschäfte die Turbulenzen maßgeblich zu verantworten haben, könne man allerdings nicht unbedingt Läuterung erwarten. Denn die Gier nach Geld löse im Hirn ähnliche Reaktionen aus wie Drogensucht – und im Augenblick kämpfe wohl manch einer noch mit dem Entzug.“
Die SZ vom 17.10.09 berichtete: Neurologen haben mit fMRT festgestellt, daß beim Zocken das ventrale Striatum aktiviert ist. „Daraus lässt sich ableiten, dass die Menschen schon seit Urzeiten darauf konditioniert sind, zu spekulieren, denn sonst wären andere Hirnregionen aktiv.“ Usw. (Aber welche anderen Verhaltensweisen gehen mit demselben Erregungsmuster einher? Hat man das Klavierspielen untersucht und ein urzeitliches Klavierzentrum entdeckt?)
„Wie die moderne Hirnforschung zeigt, werden die Handlung prägenden (!) Wertepräferenzen der Menschen bereits in den ersten zwei Lebensjahrzehnten ausgebildet.“ (SZ 2.6.09)
Es geht um Verhaltenstendenzen, und die Hirnforschung kann dazu nichts sagen, was nicht aus der Entwicklungspsychologie bekannt wäre.
Ernst Pöppel bietet „Hirnforschung für Manager“ - so der Untertitel seines Buches „Zum Entscheiden geboren“.
Manfred Spitzer ist auch mit dabei: „Neuroökonomie: Ein interdisziplinäres Forschungsgebiet entsteht“. In: Schwäbische Gesellschaft. Stuttgart: 2006: 25-42.
Hierher gehört auch die „Neuro-Rhetorik“, die zu „gehirngerechtem Reden und Schreiben“ anleiten will – so Markus Reiter, der Geschichte und Politik studiert hat und seine neurologischen Kenntnisse aus populärwissenschaftlichen Schriften bezieht: „Der Autor gibt einen faszinierenden Einblick in das Wunder der Sprache. Er zeigt, wie Neurobiologen und Psycholinguisten mit hochmodernen Bild gebenden (!) Verfahren dem Gehirn beim Zuhören und Lesen zusehen und welche verblüffenden Erkenntnisse wir daraus für unseren Alltag ziehen können.
Reiter spannt den Bogen von den Anfängen der Sprache bis zu modernen Hirnsprachlabors. Er beweist, dass einfache, konkrete und bildhafte Wörter besser sind als jedes Managerkauderwelsch. Er zeigt, warum unser Gehirn an komplizierten Sätzen scheitern muss. Er legt dar, wie man die Phantasie der Zuhörer anregt, ihre Erinnerung anzapft und an ihre Gefühle appelliert.
Das Buch verbindet anspruchsvollen Wissenschaftsjournalismus mit zahlreichen praktischen Tipps. Es hilft jedem Leser, sich in seiner Alltagskommunikation die Ergebnisse der Hirnforschung zur Sprache nutzbar zu machen.“ (Verlagswerbung) Reiter hat sich die Bezeichnung Neuro-Rhetorik sogar schützen lassen – ein sicherer Beweis für die Unwissenschaftlichkeit des Unternehmens.
Amerikanische Forscher wollen Magnetresonanztomographie für die Berufswahl nutzen. (SZ 27.7.10)
Neurotheologie
In einem Beitrag über kritische Theologie und ihre Vernachlässigung durch Evangelikale und Fundamentalisten schreibt Martin Urban: „Albert Schweitzer erschreckte seine Kirche mit der Erkenntnis, dass die Trinität Gottes als ´Vater, Sohn und Heiliger Geist´ ein menschliches Konstrukt ist. Die Gehirnforschung kann dies heute präzise erklären.“ (SZ 13.11.09) Die Gehirnforschung weiß buchstäblich nichts darüber.
Italienische Forscher wollen eine Gehirnregion für „Selbsttranszendenz“ entdeckt haben. Der altmodische Begriff ist so weit von Operationalisierbarkeit entfernt, daß die These nicht überprüft werden kann.
Nachdem in den neunziger Jahren die „Spiegelneuronen“ entdeckt worden waren, deren Funktion bis heute nicht ganz geklärt ist, entstand eine Unmenge von Literatur, die mit diesem Teil des Gehirns Empathie, Nachahmung, Sprache und noch manches andere erklären wollte. (Vgl. etwa Joachim Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst: intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2005.)
Daß viele Tiere Spiegelneuronen haben, aber weder nachahmen noch sprechen können, wurde übergangen. Forscher wie Vilayanur Ramachandran beflügelten die Phantasie durch enthusiastische Bücher und Vorträge. Sogar in der deutschen Bildungspolitik ist nun von Spiegelneuronen die Rede (Ingwer Paul u. a.: Standard: Bildung. Blinde Flecken der deutschen Bildungsdiskussion. Göttingen 2008).
Neurolinguistik
Heiner Willenberg verspricht unter dem Titel „Lesen und Lernen“ (Heidelberg, Berlin 1999) eine „Einführung in die Neuropsychologie des Textverstehens“ zu geben. Davon kann natürlich keine Rede sein, denn weder ist genug darüber bekannt, noch wäre der Verfasser in diesem Fach kompetent. Nach viel Aufwand mit angelesenen Weisheiten kommen ein paar banale Ratschläge heraus.
Laut Bericht der SZ haben Neuropsychologen herausgefunden, wie lange es dauert, bis das Gehirn ein Wort im mentalen Lexikon herausgesucht hat (200 ms) und artikuliert (400 ms) usw. Aber woher weiß das Gehirn, welches Wort es suchen soll? Wie lange dauert es, bis diese Suche entsteht, und wie lange dauert das Heraussuchen der Suche aus anderen Verhaltensmöglichkeiten usw.? Welcher Teil des Gehirns sucht in welchem anderen?
Die Lehre vom „mentalen Lexikon“, die jetzt mit vermeintlichen Ergebnissen der Hirnforschung aufgepeppt wird, scheitert u. a. am Vokabelparadox: Die Suche nach einem Wort müßte um so länger dauern, je größer der Wortschatz wird. Bekanntlich ist eher das Gegenteil der Fall. Auch ist es nicht möglich, in Sekundenbruchteilen ein mentales Lexikon mit 100.000 Einträgen zu durchsuchen.
„Nachdem im MPI für neuropsychologische Forschung die neuronale Sprachverarbeitung in extenso aufgeklärt wurde, erkundet die von Angela Friederici gegründete Arbeitsgruppe ‚Neurokognition von Musik‘ seit 1998 das Pendant. Denn Musik und Sprache sind beides Mittel der Kommunikation.“ (Max Planck Institute of Cognitive Neuroscience: Further Information: info@cns.mpg.de)
Wie schön, daß die neuronale Sprachverarbeitung aufgeklärt ist!
Die Frage, ob das Zielwort „passiv aktiviert“ wird (priming) oder ob man eine „aktive Suche nach einem bestimmten Wort“ annehmen muß, ist sinnlos. (Angela D. Friederici: Neuropsychologie der Sprache. Stuttgart 1984) Aktiv und passiv können sich Personen verhalten, auf neuronale Vorgänge sind solche Begriffe nicht anwendbar.
Auch auf neurolinguistischem Gebiet zeigt Manfred Spitzer eine bedenkliche Leichtfertigkeit:
„Im Vorschulalter wissen Kinder bereits, dass die Verben, die auf „-ieren“ enden, das Partizip Perfekt ohne „ge“ bilden. Sie erzählen, dass sie gestern gelaufen sind, aber nicht durch den Wald ge-spaziert (sondern nur spaziert), und was sie vorgestern nur verloren (und nicht ge-verloren) haben, das haben sie stolz gestern wieder gefunden.“
Das ist schon aus sprachwissenschaftlicher Sicht falsch: verlieren ist kein Verb, das auf -ieren endet. In Wirklichkeit bilden nur diejenigen Verben ihr Partizip ohne ge-, die nicht auf der ersten Silbe betont sind, vgl. stieren – gestiert, gieren – gegiert.
Spitzer glaubt, das kindliche Gehirn leite aus Beispielen „Regeln“ ab. Das glaubt auch der Pädagogikprofessor Ulrich Herrmann: „Kinder lernen die Muttersprache durch Hören und Nachsprechen, zugleich generiert ihr Gehirn die grammatischen Regeln, nach denen diese Sprache verfährt.“ (G&G 12/2008) Solche Regeln wird man allerdings im Gehirn so wenig finden wie die Straßenverkehrsordnung.
Auch die frühere Vorstellung, es existiere im Kopf ein Lesezentrum, ist heute nicht mehr haltbar. Wissenschaftler wie Shaywitz/Shaywitz sprechen seit längerem von vielen, mindestens 17 verschiedenen Regionen, die allein beim Lesen wechselseitig beteiligt sind. (Shaywitz, B. A. und Shaywitz, S. E. et al. in: Sex differences in the functional organization of the brain for language. Nature 373, 1995) (Elternbrief 13)
Kritisch äußert sich John F. Sowa:
„Although the authors frequently use the word neural, none of their discussion depends on the actual structure or method of operation of a neuron.“ (Rezension zu George Lakoff/Mark Johnson: Philosophy in the Flesh. Computational Linguistics 25/4, 1999) (Zit. nach Internet-Fassung)
Neuroästhetik
Zu einer Berliner Tagung über das Schöne (Mai 2008) war auch wieder Manfred Spitzer eingeladen.
(Wird fortgesetzt)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2023 um 15.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50990
|
„Daß ‚Sprache‘ uns immer nur in aktualisierter Form als Ergebnis eines Rede- oder Schreibaktes gegeben und beobachtbar ist, stellt die einhellige Auffassung der modernen Linguistik mindestens seit F. de Saussure dar.“ (Maximilian Scherner: Sprache als Text. Tübingen 1984:3)
Auch den Maikäfer gibt es nur in aktualisierter Form. Das Biologiebuch spricht jedoch nicht von einem bestimmten Maikäfer, sondern von der Maikäferhaftigkeit. Das muß nicht von einem berühmten Mann entdeckt werden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.05.2023 um 16.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50980
|
Es gibt so viel Neurobabble, da kommt es auf eine "kortikale Linguistik" (von einem germanistischen Mediävisten!) auch nicht mehr an.
Es gibt noch mehr Wissenschaften, die außer ihrem Gründer keinen einzigen Vertreter haben.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.04.2023 um 05.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50962
|
Die volkstümliche Annahme, Sprache drücke Gedanken aus, wird durch die alltägliche Erfahrung gestützt, daß „ich weiß, was ich sagen will“. Die weitere, logische Analyse dieser Grundthese führt dazu, daß es einen Gedanken geben muß, bevor er ausgedrückt wird. Naive Modelle der „Sprachproduktion“ wie bei Levelt machen aus der logischen Analyse eine Beschreibung wirklicher Vorgänge. Sie lassen den Prozeß der Aktualgenese mit dem „Gedanken“ bzw. der „Intention“ beginnen. Dieser Anfang, der meist vage umschrieben („mentaler Zustand“) oder stillschweigend bereits als sprachliche Form (in einer Sprache des Geistes, also unter einer petitio principii) vorausgesetzt wird, soll dann irgendwie stufenweise in eine natürliche Sprache überführt, übersetzt, transformiert werden. Levelts „From intention to articulation“ drückt diese überwältigende Fehldeutung bündig aus. Die sogenannte „Psycholinguistik“ ist weitgehend davon geprägt. Auch nach neurophysiologischen Entsprechungen des Modells wird gesucht.
Wenn der Inhalt oder eben der Gedanke (auch das Gefühl usw.) am Anfang steht und nach seinem Ausdruck sucht, ist schon der Irrweg der Homunkulus-Psychologie beschritten. Denn Gedanken und Intentionen kann man nur Personen, also dialogfähigen Wesen zuschreiben.
Daß Levelts umfangreiches und breit rezipiertes Werk sinnlos ist, weisen auch Bennett und Hacker nach: „The theory of Levelt is more a mythological redescription of the observed phenomena than an explanation of them.“ (M. R. Bennett/P. M. S. Hacker: History of cognitive neuroscience, Chichester 2013:145). Das müßte auch der unbefangene Leser ahnen, wenn er auf der ersten Seite liest: „(The present book) will consider the speaker as a highly complex information processor who can, in some still rather mysterious way, transform intentions, thoughts, feelings into fluently articulated speech.“ Etwas später folgt dann: „Each speech act begins with the conception of some intention. Where intentions come from is not a concern of this book.“ (59) Das zeigt eine so fundamentale Verkennung der Funktion von alltagspsychologischen Begriffen wie „Intention“, daß keine Korrektur mehr möglich ist. Vgl. meine Darstellung „Naturalisierung der Intentionalität“.
Der Irrtum prägt die sogenannte Psycholinguistik am MPI ebenso wie das gleichfalls pseudokybernetische Modell der „Mannheimer Schule“ Theo Herrmanns und der Schüler von Friedhart Klix; sogar die Neurolinguistik (die es als Wissenschaft eben darum noch gar nicht gibt) baut darauf auf.
Die naturalistische Alternative könnte man sich etwa so denken: Ein Verhalten bereitet sich in sukzessiver Anpassung an die Situation allmählich vor, so auch das Sprachverhalten, bis es am Ende in die laute oder stumme Artikulation mündet. Die Angepaßtheit des Endverhaltens ist sein Inhalt. Damit ist dem relationalen Charakter dieses Begriffs Rechnung getragen: Es kann keinen Inhalt geben, bevor er der Inhalt von etwas ist. Daher gilt: Der Inhalt steht nicht am Anfang der sogenannten Sprachproduktion, sondern am Ende, als vollständige Angepaßtheit oder Zweckmäßigkeit.
Für die sukzessive Vorbereitung des Endverhaltens lassen sich – anders als für die zugestandenermaßen „mysteriösen“ Intentionen – neuronale Daten beibringen. Sinnvollerweise beginnt die Forschung mit einfachen motorischen Reaktionen und nicht ausgerechnet mit kulturell geprägten hochkomplexen sprachlichen Äußerungen. Daß die Ableitungen von Kornhuber, später Libet u. a. auf sprachliche Reaktionen übertragbar sind, ist nicht zu bezweifeln. Nur die traditionelle Sonderstellung der Sprache als Produkt des „Geistes“ stellt ein gewisses psychologisches Hindernis dar, das der Behaviorismus zu überwinden versucht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2023 um 04.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50916
|
Obwohl es kein Gedankenlesen gibt, wird es erforscht, z. B. von der Gruppe Dr. Julia Wolf, Dr. Sabrina Coninx und Prof. Dr. Albert Newen vom Institut für Philosophie II der RUB.
So kann man ja auch ein mentales Lexion im Gehirn lokalisieren, obwohl es nichts dergleichen gibt. Unbemerkt hat man die Deutung schon in die experimentelle Fragestellung verpackt. Ein Computertomograph, der nach der Repräsentation von Schokoladenpudding im Gehirn sucht, wird sie finden.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.04.2023 um 15.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50912
|
Bei der Buchstabenanzahl von "Flugzeug" habe ich mich natürlich leicht verzählt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.04.2023 um 12.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50911
|
Nun gut, ausschließend. Was ist aber damit gewonnen, daß die nachrichtentechnisch übermittelte Information keine Information im umgangssprachlichen Sinn ist?
Um die Nachricht (Information) "Flugzeug" (9 ASCII-Zeichen) zu verstehen, muß ich die einzelnen Buchstaben kennen und zu einem Wort zusammenfügen können, ich muß Deutsch können bzw. zumindest die Bedeutung des Wortes "Flugzeug" kennen. Ich muß also eine ganze Menge an zusätzlicher "umgangssprachlicher" Information haben. Ich könnte das Wort "Flugzeug" in einem Wörterbuch nachschlagen, wo diese Information gespeichert ist, idealerweise wäre sie bereits in meinem "Gedächtnis" (d. h. in mir) gespeichert, ich wüßte also bereits, was ein Flugzeug ist.
Hätte ich nur die direkte Nachricht, die Information "Flugzeug", dann hätte ich im Grunde gar nichts. Natürlich muß beinahe jede "direkte" Information (Form, Struktur, Anordnung) erst interpretiert werden, damit ihr ganzer Inhalt klar wird. Für die Informationstheorie mag diese umgangssprachliche Information (Bedeutung, Inhalt, Interpretation) irrelevant sein, sie interessiert sich nur für die Übertragung dieser 9 ASCII-Zeichen. Der Mensch speichert natürlich nicht 9 ASCII-Zeichen, sondern in irgendeiner analogen Form ("Bahnung" wäre gut gesagt) die gesamte Information, d.h. das Wort mit seiner Bedeutung und Verwendung.
Im Gegensatz zur Informationstheorie muß der Mensch also die Bedeutung, d.h. die durch Interpretation ermittelte sekundäre Information, kennen, d.h. mit speichern. Wäre sie nicht in ihm gespeichert, wie sollte dieses Wissen (Information) in seinem Verhalten plötzlich geisterhaft nach einer gewissen Zeit wiederauftauchen bzw. wie könnte er sich plötzlich adäquat verhalten?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2023 um 11.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50910
|
Nicht abwertend, sondern ausschließend, würde ich sagen. Wie ja auch Shannon und Weaver schon hervorgehoben haben, daß man ihren technischen Begriff nicht mit dem umgangssprachlichen verwechseln soll, mit dem er rein gar nichts zu tun hat.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.04.2023 um 10.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50909
|
Populär oder umgangssprachlich – die Wörter klingen halt abwertend, so als sei eine so bezeichnete Information gar keine richtige Information.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2023 um 05.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50908
|
Im Anschluß an http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1584#24337 könnte man sagen: Wann immer jemand sagt "die Information, daß...", handelt es sich um den populären und nicht den mathematischen Sinn von "Information".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2023 um 14.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50905
|
Das sehe ich sehr ähnlich, würde aber noch schärfer über den begrifflichen Bauchladen urteilen, der da angeboten wird.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.04.2023 um 13.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50904
|
Die Uneinigkeit der Fachleute über Information spiegelt sich auch schon im Wikipedia-Artikel über Information wider, der sie nur aus der Sicht der Informationstheorie, also der Nachrichtenübertragung beschreibt. Schon dort werden acht verschiedene Definitionen (einschl. allg. Sprachgebrauch) angeboten, kurz gefaßt:
Information sei
- Teilmenge von Wissen
- Verringerung von Ungewißheit
- Transfer von Wissen (= neues Wissen)
- Wissen in Aktion
- Neuanteil einer Nachricht
- Nachrichten, die sowohl neu und relevant sind
- von Medien übertragene Inhalte
- Daten
- Unterlagen mit Bedeutungen und Bezeichnungen
Also Information als Wissen, Nachricht, Inhalt, Daten, Bedeutungen – sind das nicht ausnahmlos alles zirkuläre Ansätze, also eigentlich (zumindest für eine allgemeine Sicht) völlig unbrauchbar?
Meiner Ansicht nach kann und muß es zunächst eine allgemeine Übereinkunft zur Information geben, die für alle Anwendungen auf naturwissenschaftlicher Grundlage gilt. Etwa so, wie beim Materiebegriff, über den auf Wikipedia steht (Hervorhebungen von mir):
"Im üblichen Sprachgebrauch der Philosophie und auch der Physik dient der Begriff der Materie dazu, ohne Bezug auf etwas Konkretes, alles Stoffliche zu bezeichnen, aus dem etwas besteht oder entstehen kann.
[...]
Es handelt sich damit um einen Gegenbegriff zu Nichtstofflichem wie Geist, Ideen, Information, Kraft oder Strahlung.
Als Reflexionsbegriff im Rahmen von Untersuchungen zur Wirklichkeit steht der Begriff der Materie neben Begriffen wie Raum, Zeit, Vakuum, Bewegung, Leben oder Energie."
Ich finde diese Formulierung nicht in allen Punkten ganz gelungen, aber genau hier und so etwa müßte m. E. eine allgemeine Definition der Information ansetzen, auf die sich alle Einzelwissenschaften, auch die Informationstheorie, beziehen sollten.
Siehe z. B. den Artikel:
"Information ist neben Materie und Energie die oft vergessene dritte Säule der Physik"
(https://www.welt.de/print-welt/article332009/Information-ist-neben-Materie-und-Energie-die-oft-vergessene-dritte-Saeule-der-Physik.html)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2023 um 04.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50903
|
Wir sind wohl an einem Punkt angelangt, wo wir uns in bester Gesellschaft befinden:
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1584#41324
Das ist wohl unvermeidlich, und diese Einsicht ist ja auch was wert.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.04.2023 um 20.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50902
|
Motorische Fähigkeiten ("Telemark") sind auch gespeicherte Information. Sie werden uns nur nicht bewußt, sondern steuern wohl über eine Art Reflexe unsere Bewegungen.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.04.2023 um 19.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50901
|
Das Murmelbeispiel erlaubt keine konkreten Rückschlüsse über das Lernen oder die Vorgänge im Nervensystem. Es sollte nur verdeutlichen, daß eine Information bereits in der Anordnung materieller Teile stecken kann. Sie benötigt also nichts Neues (Physisches), was von außerhalb "hineingespeichert" wird.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.04.2023 um 19.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50900
|
Ja, an der unterschiedlichen Auffassung über Information wird es wohl liegen. Der eher technische Begriff vom Informationsgehalt einer Nachricht berücksichtigt natürlich nicht den, wie ich ihn wohl besser nennen sollte, rekursiven Charakter der Information. (Dies wollte ich vorhin mit dem Wort "vage" ausdrücken.)
Wenn ich z. B. mit meiner Frau vereinbare, 0 bedeutet, daß ich morgen abend mit dem Auto komme, 1 aber, daß ich erst übermorgen früh mit dem Zug komme, dann kann ich ihr später mit einem einzigen Bit in einer Nachricht mitteilen, an welchem Tag und zu welcher Tageszeit und mit welchem Verkehrsmittel ich von der Reise nach Hause zurückkehre.
Dieses eine Bit ist natürlich nicht der ganze Informations"inhalt". Der eigentliche Inhalt bzw. die ganze Bedeutung, die hinter der Information 0 oder 1 steckt, ist im Grunde wiederum eine Information über die Vereinbarung mit meiner Frau und über sprachliche Konventionen (Was bedeutet das Wort "Auto"? usw.). Inhalte und Bedeutungen sind auch Information, das meine ich hier mit rekursiv.
Das, was Menschen beim Lernen in analoger Form speichern, ist natürlich nicht Information im Sinne von Nachrichten, da stimme ich ja mit Ihnen überein, sondern es ist Information im allgemeinsten Sinne, also Form, Struktur, Ordnung.
Das Gehirn (eigentlich der Mensch, aber ich nehme einmal an, daß das Gehirn dabei den wichtigsten Anteil hat) speichert natürlich weder echte Geruchsproben noch Rezepte für die Wiederherstellung des Geruchs (letzteres würde evtl. ein Computer tun), sondern es speichert den Sinneseindruck, den der Geruch hinterlassen hat (ich nehme an, im wahrsten Sinne des Wortes irgendwie mit Hilfe eines oder mehrerer "Eindrücke").
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 16.04.2023 um 19.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50899
|
Das Murmelbeispiel habe ich nicht verstanden. Die Murmeln befinden sich ja gerade außerhalb des Gehirns (und des Organismus), welche Rückschlüsse also erlauben sie über das Lernen, das sich im Nervensystem abspielt?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2023 um 17.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50896
|
Ich meine Information im Sinne dieser Definition:
https://de.wikipedia.org/wiki/Informationsgehalt
Mit dem "Inhalt" hat sie nichts zu tun, und wie Sie jetzt den Inhalt der Information (also wohl doch wieder im umgangssprachlichen Sinn) hereinbringen, verstehe ich leider nicht.
Meiner Ansicht nach enthält der allgemeinsprachliche Begriff von Speicher mehr als jede beliebige Spur oder Hinterlassenschaft. Das Suchen und Wiederauffinden ist wesentlich. Ein Speicher ist ein Lager, eine Ablage oder so etwas, die gespeicherten Gegenstände werden gesucht und verwendet.
Was man sucht, hat entweder bestimmte Merkmale oder eine bestimmte Adresse.
Zur Speicherung von Gerüchen: Die Stasi hatte Geruchsproben gespeichert, aber daran denken wir wohl nicht. Man könnte ein Rezept aufbewahren, nach dem sich Gerüche erzeugen lassen. Dann wäre aber nicht der Geruch gespeichert, sondern das Rezept.
Wie speichert man einen "Telemark"?
Ich finde den Speicherbegriff nach wie vor irreführend und nicht hilfreich.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.04.2023 um 17.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50895
|
Ich finde, Bahnung oder Formung wären ganz gute alternative Ausdrücke für Informationsspeicherung im allgemeinen, nicht nur in Lebewesen, sondern sogar in Datenverarbeitungsanlagen. Sie beschreiben vielleicht besser als Speicherung, was dabei passiert.
Wenn ich eine Menge blauer und roter Murmeln sortiere, links alle blauen, rechts alle roten, habe ich dann in die Murmelmenge etwas hineingespeichert?
Wenn der Zweijährige beim Lernen im Spiel Ihrer Ansicht nach nichts speichert, dann würden Sie, lieber Prof. Ickler, sicherlich auch hier nein sagen.
Aber die Murmeln sind jetzt sortiert, das heißt, die Menge wurde physisch verändert, sie enthält nun eine Information!
Man darf Informationsspeicherung natürlich nicht im Sinne einer Sammlung, Anreicherung, Vermehrung von Materie verstehen. Information ist die Form, Struktur, (An-)Ordnung der bereits vorhandenen Materie. Information hat selbst keine Masse, keine Energie, wenn auch ihre Erzeugung nur unter Energieaufwendung abläuft. Deshalb paßt Bahnung oder Formung ganz gut.
Die Behauptung jedoch, daß diese Bahnung (Formung) keine Speicherung (im Sinne der Sammlung) von Information ist, ist m. E. falsch. Jede nicht rein zufällige Bahnung/Formung muß zwangsläufig zu einem bestimmten physischen Muster führen, d. h. eine bestimmte interpretierbare Information erzeugen.
Für mich ist das Wort Speicherung einfach der allgemeinste Ausdruck des Sammelns, Zusammenfassens, Anhäufens von Objekten, die sowohl materiell (z. B. Getreide) als auch Information im o. g. Sinne sein können.
Herr Fleischhauer sagt, der Ausdruck (Informations-)"Speicher" sei nicht übertragbar, d. h. zwischen Mensch und Maschine. Nun gut, ein Flugzeug und eine Eisenbahn sind auch nicht übertragbar, wenn man nur die jeweiligen Konstruktionen betrachtet, aber wenn man beide ganz allgemein auf die Eigenschaft als Transportmittel reduziert (Nennen Sie irgendein Mittel zum Transport!), dann sind sie völlig gleichberechtigt, ebenso wie ein Speicher eben ein Mittel (entweder eine Datenverarbeitungsanlage oder ein Lebewesen) zum Speichern von Information ist.
In diesem Zusammenhang bin ich auch gegen die häufige Unterscheidung von Information im mathematischen, nachrichtentechnischen, philosophischen, neurologischen, naturwissenschaftlichen, umgangssprachlichen (, ...?) Sinn. Dies mag alles auf den jeweiligen Gebieten berechtigt sein, aber ich finde, hier geht es um die allerallgemeinste Sicht von Information. Ich finde, die naturwissenschaftliche Sicht trifft es genau, und die philosophische, insofern sie auf Naturwissenschaften beruht. Nur diese sollten wir hier verwenden. Das andere sind Spezialfälle, Beispiele.
Welche Information im nachrichtentechnischen Sinn sollte nicht speicherbar sein? Gibt es ein konkretes Beispiel? Ich kann mir keine vorstellen, denn, wie ich schon schrieb, es gibt ja keine, die nicht schon gespeichert wäre. Dies kann ja wieder nur eine begriffliche Uneinigkeit sein. Vielleicht meinen Sie, daß manche Information einen sehr unklaren, nicht eindeutig formulierbaren Inhalt hat und deshalb nicht exakt speicherbar ist? Das liegt aber dann an der Information selbst, die so vage ist, und hat nichts mit ihrer Speicherbarkeit zu tun.
Der Geruch einer frischen Gurke ist ein spezieller Sinneseindruck, wie ein bestimmter Ton oder eine Farbe. Man kann Bilder, Töne und wohl auch Gerüche und Geschmacke mit hinreichender Genauigkeit digitalisieren, im Computer speichern und daraus mit geeigneten Geräten beliebig genau reproduzieren. Im Organismus geht es nicht darum, den Sinneseindruck zu reproduzieren, sondern darum, eine Art Beschreibung davon jederzeit (erinnernd) zur Verfügung zu haben. Wie das im einzelnen geschieht, wie alles im Organismus "gebahnt" (=gespeichert) wird, weiß ich natürlich auch nicht. Es kann nur in irgendeiner analogen (nichtdigitalen) Weise sein. Ohne daß eine solche Bahnung den Körper physisch bleibend verändert hat, d. h. ohne daß eine vom Organismus interpretierbare Information(!) (Erinnerung) über den Sinneseindruck wie im Beispiel von diesem Geruch abrufbar gespeichert(!) ist, wäre die Erinnerung an einen Geruch und ein entsprechendes Verhalten nicht möglich.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2023 um 03.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50888
|
Wenn man „Information“ im nachrichtentechnischen, also wahrscheinlichkeitsmathematischen Sinn versteht, kann man erst recht nicht sagen, sie werde „gespeichert“. Vom Lernen, also etwa dem Einüben eines Musikstücks oder einer Übung am Barren, ist man damit weit entfernt, so daß ich hier weder für „Information“ noch für „Speicherung“ eine sinnvolle Anwendung sehe. Daß man das lange übersehen konnte, liegt wohl an der Sprachlastigkeit der Gedächtnisforschung (noch einmal sei an Hermann Ebbinghaus erinnert). Es prägt immer noch die Handbücher.
Ich sehe dem Zweijährigen zu, wie er die Gleise einer Spielzeugeisenbahn zusammenfügt, die gleiche Aufgabe wie beim Legen von Puzzleteilen und erst seit kurzem beherrscht. Er "speichert Information"? Daß ich nicht lache! Machen wir uns nichts vor und gehen lieber an die Arbeit!
|
Kommentar von Thoodor Ickler, verfaßt am 15.04.2023 um 20.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50887
|
Lieber Herr Riemer, das ist nicht der Grund, sonst hätte ich es schon öfter angeführt. Ich kann mir dem Begriff der Speicherung in vielen Fällen keinen Sinn verbinden. Ich erinnere mich an den Geruch einer frischen Gurke (früher schon erwähnt). Was ist gespeichert oder "repräsentiert"? Wie sieht das "Retrieval" aus? Oder die erwähnte Fertigkeit eines Pianisten, 20 verschiedene Klavierabende aus dem Kopf zu spielen? Wir wissen es nicht, aber mit "Speicher" tun wir so, als wüßten wir im Prinzip schon, wie es vor sich geht. Sonst wäre es nur ein Streit um Worte und überflüssig, aber ich finde, mit "Speicher" behauptet man mehr zu wissen und gerät doch auf einen falschen Weg, der auch nicht zu empirischen Forschungen führen kann, weil die Begriffe nicht ratifizierbar sind. Man wird den Speicher nie finden!
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 15.04.2023 um 19.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50886
|
Eingabe/Ausgabe, Software/Hardware Prozessor/Cache/Speicher – alles nicht übertragbar.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.04.2023 um 18.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50885
|
Ist das der Grund, weshalb Sie beim Menschen von Bahnung statt Speicherung sprechen, weil da der "Datenspeicher" nicht vom "Arbeitsspeicher" getrennt werden kann?
Ich hätte das in diesem Zusammenhang für nebensächlich gehalten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.04.2023 um 15.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50884
|
Das sehen Sie vollkommen richtig. Man könnte auch, um es näher an wirkliches Lernen heranzubringen, an die "Hebbsche Synapse" als mögliche physische Grundlage der Verhaltensänderung denken.
Anders als beim Computer, wo ich die Festplatte vollkommen abtrennen und herausnehmen kann, sind beim Gehirn die Teile nicht getrennt.
|
Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 15.04.2023 um 11.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50883
|
Daß das Lernen mit organischen Veränderungen (Bachlauf) einhergeht, ist doch nicht strittig, oder? Sie sind dem Organismus nur nicht als Informationen entnehmbar wie Wörter einem Lexikon, sondern müssen am Verhalten des Individuums abgelesen werden, das seinerseits seine Befindlichkeit etwa in Worte faßt. Sehe ich das zu naiv?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.04.2023 um 05.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50881
|
Speicher (storage) und Retrieval werden den heute üblichen Darstellungen fast zwanghaft zugrunde gelegt, vgl. etwa Alan D. Baddeley/Michael D. Kopelman/Barbara A. Wilson, Hg.. The handbook of memory disorders. 2. Aufl. Chichester 2002.
Wenn ich auf dem Klavier versuche, ob ich ein Stück noch kann, bin ich weniger geneigt, von Suche zu sprechen, als bei einem Wort. (Aber wie schon Platons Wachstafelmodell zeigt, denken Philosophen immer zuerst an Sprache, und noch Ebbinghaus fing selbstverständlich mit sprachlichen Gebilden an.) Ich erlebe, wie es bei jedem Versuch besser gelingt. Nur bei Sprache liegt es nahe, den Vorgang des Erinnerns mit dem Nachschlagen in einem Lexikon zu vergleichen. Aber das TOT-Phänomen läuft ganz anders, eher wie beim Klavierspiel: Man versucht es, und es kommt mal dies, mal das, im besten Fall eine sukzessive Annäherung an die Endleistung, aber ich habe nicht das Gefühl, irgendwo nachzuschlagen.
Bei einem Hund, der ein Kunststück gelernt hat („Sitz!“), würden wir nicht von Retrieval sprechen. Der Hund sucht nicht in seinem Gedächtnis, was zu tun ist.
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 15.04.2023 um 00.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50879
|
Es geht wohl nicht darum, einem neuronalen Netz jegliche Speicherfähigkeit abzusprechen. Es werden ja Verbindungen dieses Netzes dauerhaft gestärkt und geschwächt. Weil die Umwelt nicht chaotisch ist und sich vieles ständig wiederholt, entwickelt sich ein (nicht ganz) festes Muster von starken und schwachen neuronalen Verbindungen. Das mag man als eine Art Speicher betrachten.
Das Problem beginnt, wenn man versucht, Denken und sonstiges Verhalten zu analysieren und in diskrete Schritte aufzuteilen. Da kann man nicht mehr sagen: hier an diesem Punkt kommt Speicher ins Spiel (und an einem anderen nicht). Man kann eigentlich überhaupt nicht mit konventionellen Begriffen arbeiten. Man muß die Funktionsweise des Netzes verstehen.
Das gelingt nicht einmal bei künstlicher Intelligenz.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.04.2023 um 22.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50878
|
Wenn das Schnürsenkelbinden nicht im Organismus gespeichert wäre, könnte er es nicht wiederholen. Ob im Kopf oder woanders, ob an einem einzigen, genau umgrenzten Ort oder verteilt auf mehrere, evtl. wechselnde, vielleicht vermischt mit anderen Kenntnissen, Fertig- und Fähigkeiten, nach welcher Methode, redundant oder nicht, all das ist selbstverständlich (noch?) völlig unklar. Aber das spielt hier doch auch keine Rolle, muß uns gar nicht interessieren.
Das Lächerliche dabei ist nicht die Speicherung an sich, sondern Vorstellungen der Art, daß ein Videofilm oder eine verbale Beschreibung als Text über das Schnürsenkelbinden irgendwo kodiert im Gehirn herumliegt und bei Bedarf abgespult oder von einem kleinen Gehirnmännlein vorgelesen wird. So etwas ist leicht zu widerlegen, aber man widerlegt damit nicht die Theorie, die auch ohne diese Lächerlichkeiten auskommt.
Warum sollten bestimmte Informationen nicht gespeichert werden können? Jede Information ist bereits gespeichert, anders gäbe es sie ja gar nicht. Information existiert nur gebunden an Materie.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2023 um 03.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50875
|
Die zwei oder mehr „Systeme“ des Gedächtnisses sind Konstrukte, die aus dem Befund der Verhaltensbeobachtung (Tests) entwickelt worden sind. Die Gedächtnisleistungen der Probanden lassen mehr oder weniger deutlich zwei Gruppen erkennen. Eine Lokalisierung im Gehirn ist nicht nötig, wird aber versucht. „System“ ist wie bei Kahneman unbestimmt genug. Um vorzeitige Lokalisierungen zu vermeiden (die sich als problematisch erwiesen haben), schlägt Baddeley vor, „frontal lobe syndrome“ durch „dysexecutive syndrome“ zu ersetzen. (Alan D. Baddeley/Michael D. Kopelman/Barbara A. Wilson, Hg.. The handbook of memory disorders. 2. Aufl. Chichester 2002:6 u. ö.) Ein richtiger Schritt, bei aller Kritik am übrigen.
Das Modell von Craik/Lockhart arbeitet mit dem Bild von „Ebenen“ und „Verarbeitungstiefe“. Andere haben „episodic buffers“ eingefügt. All diese Metaphern oder Modelle gehen nicht wesentlich über Platons probeweise eingeführte und dann verworfene Gedächtnismodelle (Wachstafel, Taubenschlag) hinaus.
„Informationen“ im Sinne der Mathematik/Nachrichtentechnik können nicht „gespeichert“ werden, man macht also vom alltagssprachlichen Informationsbegriff Gebrauch, der sich auf den „Inhalt“ einer Mitteilung bezieht. Es ist völlig unklar, wie ein Speicher für Inhalte aussieht. Die Plausibilität stammt aus der Kenntnis von Lexika, Textsammlungen usw.
Noch unklarer ist „Repräsentation“. Ich kann einen Schnürsenkel binden, weil das Schnürsenkelbinden in meinem Kopf repräsentiert ist. (Oder gespeichert, was ebenso lächerlich ist.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2023 um 03.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50874
|
Es gibt dicke Handbücher der Neurolinguistik (Neurobiology of language usw.) und Millionen Aufsätze dazu, nur die Neurolinguistik gibt es nicht.
Neurologen sollen erst einmal erklären, wie es möglich ist, daß ich ohne Hinsehen und Probieren mit dem Finger eine juckende Stelle am Bein oder Rücken treffe, daß ich es schaffe, einen Brief in den Kasten zu werfen oder ein Bier aus dem Keller zu holen, ohne den Vorsatz unterwegs zu vergessen.
Mit nicht-invasiven Verfahren (EEG oder den bildgebenden Verfahren der Computertomographie i. w. S.) kann man sehr grob die hauptsächlich betroffenen Hirnregionen erkennen; durch Einzelableitungen erkennt man zwar die Prinzipien der Reizleitung, kann aber das Verhalten nicht erklären, das aus der angeborenen und erworbenen Verbindung sehr große Neuronengruppen hervorgeht.
„Das Nervensystem der etwa 1 mm großen Art. C. [Caenorhabditis] elegans besteht aus genau 302 Nervenzellen und sein ‚wiring diagram‘ ist vollständig entschlüsselt oder aufgeklärt. Seine Gene sind komplett sequenziert, und seine chemischen Synapsen, Neurotransmitter und Neuromodulatoren vollständig aufgeklärt. Dennoch sind wir nicht in der Lage, auf dieser Basis das breite Verhaltensrepertoire, zu dem Chemotaxis, Thermotaxis, Thermogedächtnis und ein komplexes Verhalten bei der Nahrungssuche gehören, zu erklären oder zu verstehen.“ (Rainer Mausfeld: „Über Ziele und Grenzen einer naturwissenschaftlichen Zugangsweise zur Erforschung des Geistes“. In: Adrian Holderegger et al., Hg.: Hirnforschung und Menschenbild. Basel 2007:21-40)
Small/Hickok fassen die unbestreitbare, aber im einzelnen nicht durchschaute Zuständigkeit von Hirnregionen für Verhaltensweisen immer noch unter dem Begriff der „Repräsentation“, der eigentlich weit mehr als die allgemeine Zuordnung bedeutet und eine Einsicht suggeriert, die niemand hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.04.2023 um 05.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50866
|
Der alltagspsychologische Flickenteppich enthält "gesunkenes Kulturgut". Der "Ödipuskomplex" war eine Zeitlang der Universalschlüssel, ist aber wie das ganze kunstvolle Begriffsystem der Psychoanalyse inzwischen stark aus der Mode gekommen. Einzelne Bruchstücke überleben, wie man sieht. Der Philosoph spricht zweimal im gleichen Artikel von "präödipal", als sei den Lesern schon klar, was damit gemeint ist. So haben ganze Generationen gelernt, die Kindheit in Phasen einzuteilen, und eine davon wird eben mit dem (schauderhaft gebildeten) Wort "präödipal" etikettiert. Meine eigene freudiale Phase liegt zu weit zurück, ich weiß nicht mehr, ob meine Enkel gerade in der präödipalen Phase sind. Ich würde mir allerdings eher die Zunge abbeißen, als einen solchen Galimathias drucken zu lassen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2023 um 06.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50864
|
In Romanen und Filmen können – wie schon Freud wusste – präödipale Ängste über die Kunst zum Ausdruck kommen. (Julian Nida-Rümelin, SZ 11.4.23)
Freud wußte es nicht auch schon, sondern hat es erfunden, und darum glaubt es nun fast die ganze gebildete Welt zu wissen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.04.2023 um 05.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50857
|
„Pointing is a special gesture functionally in that directing someone’s attention to something does not convey a specific meaning in the manner of most conventionalized, symbolic gestures. Rather, pointing can convey an almost infinite variety of meanings by saying, in effect, ‘If you look over there, you’ll know what I mean‘. To recover the intended meaning of a pointing gesture, therefore, requires some fairly serious ‘mindreading’. (Michael Tomasello/Malinda Carpenter/Ulf Liszkowski: „A new look at infant pointing“. Child development 78/2007:705-22, S. 705)
„The idea that language and ToM are strongly linked does not come as a surprise to the pragmatician, especially in the Gricean line: it is one of the central tenets of contemporary pragmatics that what is being linguistically communicated is semantically underdetermined and that the decoding of the sentence must be accompanied by inferential processes yielding the complete interpretation of the utterance (see, e.g., Sperber & Wilson 1995, Levinson 2000, Reboul & Moeschler 1998). A good candidate for these inferential processes may be on the line of ToM. Indeed, it is hard to imagine that linguistic communication could take place if our species could not mindread.” (Anne Reboul: „Evolution of Language from Theory of Mind or Coevolution of Language and Theory of Mind?“)
Aber wir können doch gar nicht Gedanken lesen! Das ist sogar im Begriff des Gedankens eingeschlossen: radikale Privatheit. Entweder die Gedanken sind ausgesprochen, oder sie werden unterstellt. Nur lesen, also in irgendeinem Sinn beobachten können wir sie nicht. Gedankenlesen ist ein Selbstwiderspruch, jedenfalls außerhalb von spiritistischen Sitzungen.
Tomasello schließt es vorsichtshalber in Anführungszeichen ein. Aber was würde es bedeuten, wenn man sie wegließe und damit die Mogelei aufgäbe?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2023 um 05.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50732
|
Wo das Handlungsschema (Ankündigung – möglicher Zuspruch/Einspruch – Ausführung/Unterlassung) fehlt, haben auch die Handlungsverben eine andere Bedeutung. Das ist nicht leicht einzusehen. Öffnet der Affe nicht die Flasche ebenso wie wir? Der Schein ist überwältigend, und doch hat öffnen hier eine andere Bedeutung.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2023 um 05.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50731
|
Die Topographie des Verhaltens ist bis auf verräterische Kleinigkeiten beherrscht, aber die funktionale Einbettung fehlt, weil eben die Kultur fehlt.
Es müßte leicht sein, den Unterhalt des Feuers zu lernen: Nachlegen von Holz hält das Feuer aufrecht. Aber auch die Menschen haben zweifellos lange gebraucht, ihre Scheu vor dem unerklärlichen Feuer zu überwinden.
Wenn auch nur ein Stück der angeborenen Kommunikation der Tiere durch Stücke menschlicher Kommunikation ersetzt würde, wäre das Überleben von der treuen Übermittlung einer Kulturhandlung abhängig und damit sehr unsicher. Beim Menschen ist die Tradierung auch scheinbar einfacher Leistungen, etwa der Unterhalt des Feuers, durch strenge soziale Regeln gesichert. Beim Affen würde sie schnell zerfallen. Feuer machen, Sägen usw. gehören in einen kulturellen Rahmen abgestimmten Verhaltens, der sich in Jahrtausenden entwickelt hat. Äußerlich ähnliche (topographisch gleiche) Verhaltensstücke zu beherrschen bringt das Tier dem Menschen nicht näher, auch wenn es dem staunenden Publikum so vorkommt. Undurchdachte Forschung ist schlechter als gar keine.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2023 um 04.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50730
|
Ein kleiner Affe zieht eine Getränkeflasche aus einem Münzautomaten, reicht sie dem Menschen, der den Schraubverschluß lockert und die Flasche dem Äffchen zurückgibt, das den Rest erledigt und aus der Flasche trinkt. Es sieht so aus, als hole das Tier sich Hilfe. Man hätte ihm sicher beibringen können, das Öffnen zunächst selbst zu versuchen und die Flasche nur im Fall des Scheiterns weiterzugeben (eine zustüzliche Konditionalisierung), dann wäre der Eindruck noch überzeugender, aber das hat man sich erspart. Der Affe gibt die Flasche in fester Verkettung sofort weiter. Das zeigt, daß alle Einzelschritte durch Dressur ankonditioniert sind.
Vorgeführt wird das Ergebnis der Dressur, nicht diese selbst – wie im Zirkus oder bei einer Zaubervorstellung. An die Verkennung der „erstaunlichen“ Endleistung knüpfen Philosophen, aber auch die Verhaltensforscher selbst weitreichende Spekulationen.
Wenn der sägende Gorilla zunächst die Säge an die Lippen führt, deutet der Beobachter, daß er die Schärfe der Säge prüft. Aber wozu sollte er das tun? Er hat ja keine Möglichkeit, die Säge nachzuschärfen, und eine andere Säge auszuwählen kommt auch nicht in Frage. Außerdem zeigt das Gesamtverhalten, daß ihm die Effizienz des Sägens völlig egal ist. Was man nicht sieht: wie ihm das Sägen beigebracht worden ist und wie es belohnt wird. Es ist die Ausführung des Sägeverhaltens, aber kein wirkliches, funktionales Sägen (Zurechtschneiden eines Werkstücks). Wir sind eben im Zirkus und nicht in der Forschung.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2023 um 06.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50728
|
Ich greife auf einen früheren Eintrag zurück:
Für Joachim Hoffmann sind Begriffe das Wissen über einen Gegenstand, aber in der Praxis behandelt er sie wie Stichwörter in einem enzyklopädischen Lexikon: „Begriffe sind (...) definierbar als kognitive Zusammenfassungen von Objekten und/oder Erscheinungen nach gemeinsamen Funktionen in der Realisierung von Verhaltenszielen.“ (Joachim Hoffmann: Die Welt der Begriffe. Weinheim 1986:11) – „Begriffe sind im Gedächtnis durch eine kognitive Einheit repräsentiert, in der Informationen über alle zum Begriff gehörenden Objekte integriert sind.“ (ebd. 30) Wenn ein Schimpanse einen Schraubendreher handhaben kann, deutet Hoffmann: „Der Begriff, den wir mit dem Wort Schraubenzieher belegen würden, ist zweifelsfrei von der Schimpansin gebildet worden.“ (ebd. 18)
Was „kognitive Zusammenfassung“, „kognitive Einheit“ bedeutet, ist so unbestimmt wie „Begriff“ und kann nichts erklären. Auch sachlich ist zu bezweifeln, daß das Werkzeug, das der Schimpanse für ein gestimmtes Kunststück zu nutzen gelernt hat, für ihn eine ähnliche Rolle spielt wie für den Menschen, der es erfunden hat. Viele Experimente mit Tieren haben den Charakter von Zirkus-Vorführungen, deren oberflächliche Ähnlichkeit mit menschlichem Verhalten über eine tiefere Unvergleichbarkeit hinwegtäuscht.
Affen mögen von selbst herausfinden, wie man mit einem zurechtgebissenen Zweig Termiten angelt, vielleicht auch durch Artgenossen angeregt (stimulus enhancement), die es schon tun. Aber damit wird der Affe noch nicht zu einem werkzeuggebrauchenden Lebewesen.
Der Schraubendreher setzt Schrauben voraus, diese gehören zu einer zivilisatorisch späten Methode der Verbindung von Werkstücken. Solange jede Schraube von Hand zurechtgefeilt werden mußte, war sie ein seltenes Kunstprodukt. (Die archimedische Schraube gehört nicht hierher, sie diente der Hebung von Wasser; wirklich üblich wurde die Schraubverbindung erst in den letzten 500 Jahren.) Alles zusammen macht ein Netzwerk von Methoden der Anpassung aus. Affen verbinden keine Werkstücke durch Schrauben.
Weder das Kunststück mit dem Schraubendreher (falls es überhaupt korrekt beschrieben ist) noch die Fähigkeit, Schraubendreher aus anderen Gegenständen herauszusuchen, hat etwas mit dem Gebrauch von Schrauben zu tun.
Wie bei jedem Zirkuskunststück bleibt dem Zuschauer verborgen, wie die Tiere es gelernt haben. Welche Rolle spielten Nachahmung und Shaping?
Man sieht, wie ein Affe eine Hängematte anfertigt, indem er die Enden eines Lakens an Gitterstäben verknotet, und sich hineinlegt. Geben die Affen dafür ihre Schlafnester auf? Nutzen sie Knoten auch anderswo?
Die Betätigung einer Handsäge (https://www.youtube.com/watch?v=vssqb-0i2-A) oder eines Schraubendrehers ist noch keine wirkliche Werkzeugbenutzung. Weder sägen die Tiere sich ein Holzstück zurecht noch nutzen sie Schrauben zum Verbinden von Werkstücken.
Der Wunsch, die Öffentlichkeit mit staunenswerten Leistungen zu beeindrucken, verführt die Verhaltensforschung dazu, in Zirkusvorführungen abzugleiten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.03.2023 um 05.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50709
|
Neben Psychobabble und Neurobluff gibt es auch einen Technobluff: Man tut so, als könne man die menschliche Verständigung in nachrichtentechnischen Begriffen analysieren; Code, Redundanz, Sender, Empfänger usw. So geht es auch in die naiven "Einführungen in die Linguistik" ein.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2023 um 03.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50680
|
Noch dazu:
Wolfgang Butzkamm hat zugespitzt festgestellt, daß jeder Mensch im Grunde nur einmal Sprache lernt, nämlich als Kind („We only learn language once: The role of the mother tongue in FL classrooms – death of a dogma“. Language Learning Journal 28/2003:29–39). Das stand im Zusammenhang mit der heftigen Diskussion um ein- und zweisprachige Methoden im Fremdsprachenunterricht. Richtig ist, daß die originäre empfängerseitige Semantisierug sprachlicher Zeichen nur einmal stattfindet, jede andere dann vor dem Hintergrund und mit den Mitteln der ersten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2023 um 15.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50678
|
Ja, so ungefähr. Mal abgesehen vom bilateralen Modell: die ausdrückliche Zuschreibung von Bedeutung, also die explizite, mit Hilfe der bereits semantisierten Zeichen vollzogene Festlegung der Verwendungsbedingungen weiterer Zeichen, ist als nächster Schritt vorgesehen. Fachsprachen erreichen irgendwann diese Stufe, nachdem sie sich, wie meistens, aus der Allgemeinsprache herausgewunden haben. Z. B. der Begriff der "Kraft" oder der "Bewegung" (mit deren Vieldeutigkeit Aristoteles noch zu kämpfen hatte).
Die historisch-genetische Betrachtung hat es mit der Frage zu tun, wie Bedeutung, also das Zeichenhafte, übehaupt in die Welt kommt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.03.2023 um 13.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50677
|
#50673 heißt, so verstehe ich Sie, auch nach Ihrer Zeichendefinition haben Zeichen eine Bedeutung (die sogenannte zweite Seite!), die sich aber in einer Semantisierungsgeschichte herausgebildet haben muß.
Es sind also eigentlich nur etwas speziellere Zeichen. Jedes Ihrer Zeichen ist auch eines im bilateralen Modell, aber nicht alle letzteren sind auch Zeichen nach Ihrer Definition. Reicht das, um das bilaterale Modell rundweg abzulehnen? Vielleicht sollte es nur ergänzt werden?
Was ist, wenn ein Mathematiker sagt, unter einer Knödelzahl verstehe er Zahlen mit genau folgenden Eigenschaften: ...
Und dann verwendet er diesen Begriff, ohne weiter mit den Empfängern zu kommunizieren. Aber jeder versteht ihn richtig und weiß genau, was er meint.
Wo ist jetzt die Semantisierungsgeschichte? Oder ist "Knödelzahl" dann kein Zeichen?
Meiner Ansicht nach ist dies kein Ausnahmefall, sondern zeigt einfach, daß eine Geschichte nicht wesentlich für den Zeichencharakter ist. Das Essentielle ist eben die Bedeutung, egal, ob sie nun ad hoc oder in einem geschichtlichen Prozeß entstanden ist.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2023 um 07.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50675
|
Laut Tina Baier (SZ 13.3.23) zeigen neue Studien, daß Hummeln vielleicht intelligenter sind „als bisher gedacht“. Aber was haben wir denn bisher gedacht? Hummeln spielen doch auch Fußball. Nun kommt heraus, daß sie „zumindest die kognitiven Voraussetzungen haben, eine Kultur zu entwickeln“. Tja, kognitiv ist vieles möglich. Warum haben die Hummeln (Delphine, Schimpansen...) in Millionen Jahren keine Kultur (= Tradition) entwickelt? Warum fangen sie damit ausgerechnet heute in bestimmten Laboren damit an und hören dann auch gleich wieder auf? Weil sie im Winter sterben und die nächste Generation nicht erleben? Von den anderen genannten Tieren kann man das nicht sagen. (Tina Baier, seit Jahren für ihre leichtgläubigen Berichte aus der Verhaltensforschung bekannt, schreibt immer brav von den „Forschenden“.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2023 um 04.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50673
|
Das würde ich so nicht sagen, weil ich den Begriff der Bedeutung nicht aufgebe, sondern nur anders definiere. Wie Sie wissen, verstehe ich unter wirklichen Zeichen nur solche Merkmale oder Verhaltensweisen, den durch "empfängerseitige Semantisierung" eine kommunikative Funktion zugewachsen ist. Zeichenhaftigkeit ist also für mich eine historisch-genetische Angelegenheit. Darum sind Anzeichen (Symptome) keine Zeichen. Ebenso Abbilder. Damit scheiden also aus dem klassischen Modell in der Tradition von Peirce, Morris usw. (Indizes, Ikone, Symbole) zwei aus, aber auch den Symbolbegriff kann ich hier nicht verwenden, weil er die historisch-genetische Dimension außer acht läßt. (Mit dem behelfsmäßigen "historisch-genetisch" fasse ich die phylogenetische, die kulturgeschichtliche und die ontogenetische (lerngeschichtliche) Entwicklung zusammen. Also das Gegenteil der ahistorischen strukturalistischen Sicht. Darwin plus Skinner gegen Saussure, Peirce usw.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.03.2023 um 00.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50672
|
Man könnte nun fragen, was "Existenz" von logischen Objekten in einer solchen reinen Ideen(parallel)welt überhaupt bedeuten soll, wenn es dabei nicht wiederum nur um logische Widerspruchsfreiheit geht.
Sie sagen, Sie lehnen eine Zeichenauffassung ab, bei der "Wörter nur Bedeutung haben, wenn es etwas gibt, worauf sie sich beziehen". Aber lehnen Sie nicht sowieso eine Zeichenauffassung ab, die sich auf Bedeutungen stützt, ganz unabhängig davon, ob diese sich auf etwas Existierendes beziehen?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2023 um 16.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50670
|
Nicht in derselben Weise, das glaubt wohl keiner, aber eben in einer zweiten Welt neben oder hinter oder über der materiellen. Man glaubt eine intelligible Welt annehmen zu müssen, weil Wörter nur Bedeutung haben, wenn es etwas gibt, worauf sie sich beziehen. Diese Zeichenauffassung lehne ich ab.
"Abstrakta" verstehe ich, wie schon oft gesagt, im Sinne jener "Namen für Satzinhalte", also substantivierten Prädikationen (Walter Porzig).
Also z.B. "Geschwindigkeit" = "daß etwas schnell ist/wie schnell etwas ist" usw. Daher: "Du kritisierst meine Geschwindigkeit" (daß...), "Du fragst nach meiner Geschwindigkeit" (wie...). Von Existenz ist nicht die Rede, es ist eine rein sprachliche Bezeichnungstechnik.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.03.2023 um 16.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50669
|
Man kann ja über vieles unterschiedliche Standpunkte haben. Aber zu glauben, daß eine Idee wie die Zahl zwei "existiert", "da ist", daß "es sie gibt", und zwar in der gleichen Weise wie ein materielles Objekt, z. B. der Tisch, an dem ich gerade sitze, finde ich völlig indiskutabel.
Sogar subjektive Idealisten, die die eigenständige Existenz jeglicher Materie leugnen, müssen doch in ihrer Ideenwelt zwischen rein logischen, nicht lokalisierbaren Sachverhalten einerseits und sinnlichen Erlebnissen mit einer konkreten räumlich-zeitlichen Wahrnehmung andererseits unterscheiden. Sie haben zwei konträre Arten von Ideen, und damit kennen sogar sie zwei Arten der Existenz.
Manche Philosophen wollen wirklich die Welt erklären, aber für manche (siehe Universalienstreit) ist es auch einfach nur eine möglichst geistvolle Spielerei entgegen besserem Wissen.
(Bei mir sind Universalien unter Abstrakta mit enthalten.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.03.2023 um 03.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50662
|
Sehr gut und deutlich! Damit vertreten Sie, gerade was die Philosophie der Mathematik betrifft, einen der klassischen Standpunkte. Es gibt andere und daher die bekannte Diskussion – als Variante des "Universalienstreits".
Das ist nicht mein Gebiet, aber weil ich semiotisch mit den "Abstrakta" fertig werden muß, kann ich es auch nicht ganz umgehen. Aber es ist schwer, darüber nicht verrückt zu werden (s. "Delirium").
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.03.2023 um 02.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50661
|
Allein die Frage Wo (gibt es den)? zeigt bereits den Widerspruch, denn Ideen (ein Kreis ist eine Punktmenge) haben keinen Ort.
Die Frage nach einer objektiv-realen Existenz ergibt für Ideen keinen Sinn. Ideelle Existenz bedeutet nur logische Widerspruchsfreiheit, und nur in diesem Sinne "existieren" Kreise, Zahlen usw., auch Abstrakta.
(Ich verwende "Idee" hier nie in der psychologischen Bedeutung.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2023 um 12.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50660
|
Auch für mich ist es eine Metapher, für viele aber anscheinend nicht. Aristoteles lehnte die Ideenlehre seines Lehrers Platon ab. Es ist gar nicht einfach, Platons Begründung der Annahme von Ideen zu widerlegen. Die exakte Berechnung geometrischer Formen, z. B. eines Kreises, gilt nicht dem unzulänglichen Ding auf dem Papier, sondern dem perfektn, eben "idealen" Kreis usw., aber wo gibt es den? Usw. - das Hauptproblem der theoretischen Philosophie des Abendlandes bis heute.
Von der Idee in einer "intelligiblen" Welt muß man dann noch ihre Erfassung durch das "Auge des Geistes" unterscheiden, also die Vorstellung als Gegenstand der Psychologie, heute allgemein "Idee" genannt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.03.2023 um 10.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50658
|
"Mental template" kann man ja nur als Metapher verstehen. Man hat eine Idee vom fertigen Produkt, d.h. man weiß, wie es aussehen soll, hat es gelernt (schon mal eins "gesehen"), kennt es auswendig, aus dem Kopf oder by heart, wie man halt spricht. Das Dünnermachen, bis es paßt, ist nur die Feinjustierung. Wenn ich einen Zahnstocher brauche, fange ich mit einem Streichholz an, nicht mit einem Baumstamm. Ich weiß also schon, wie das Ergebnis aussehen soll, und wähle das Material danach aus. Bei der Herstellung eines Bettes wird der Tischler sofort die seinem Wissen entsprechende Länge der Bretter einstellen und absägen, er weiß es.
Ich habe Aristoteles nicht gelesen, aber wenn er sich über die "Idee" eines Gegenstandes im Kopf lustig machte, dann wohl nur über die naive Vorstellung von einer Art materiellem Abbild, das irgendwo im Gehirn verkleinert herumliegt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.03.2023 um 17.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50654
|
Über eine bestimmte Technik des Homo heidelbergensis:
„The signicifance of the prepared-core tool is that it involves using a mental template with which to create many copies of the same tool.“ (Christine Kenneally: The First Word: The Search for the Origins of Language. New York 2007:211)
Das ist keine Erklärung, weil diese „geistige Schablone“ nicht beobachtet werden kann und weil es überhaupt unklar ist, was das bedeutet.
Wenn ich einen Stab schnitze, der in eine Öffnung passen soll, mache ich ihn durch Spanen dünner. Das habe ich sehr früh an ähnlichen Gegenständen gelernt; auch Schimpansen scheinen es lernen zu können. Je dünner, desto eher paßt es, das ist Lernen am Erfolg. Was trägt es denn bei, wenn ich platonisierend die „Vorstellung“ des Endprodukts hinzufüge? Niemand kann sagen, was das sein soll. Eine Halluzination? Und wie kommt man von der Vorstellung zum Handeln? Über die „Idee des Bettes“, die dem geistigen Auge des Tischlers vorschweben soll, hat sich schon Aristoteles lustig gemacht. „Mental template“! Sind wir nach 2.500 Jahren keinen Schritt weiter?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.03.2023 um 05.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50630
|
Das Feuer war für den Frühmenschen wohl nicht rätselhafter als für uns, denn er hatte seine Erklärung dafür, auch wenn sie von unserer Einsicht in die Oxidation ganz verschieden war. „What reason is there to assume that all hunting and gathering peoples would stand in awe and terror at the world they have grown up in?“ (Noel W. Smith: Greek and interbehavioral psychology. Lanham, New York, London 1990:34) Die uns näher stehenden Indoiranier wußten sozusagen gar nichts über das Feuer, aber rätselhaft war es ihnen keineswegs. Wie gleich die erste Hymne des Rigveda zeigt, wußten die Brahmanen auf ihre Weise genau darüber Bescheid. Zwar geht es hier um das Feuer auf dem Opferaltar, aber auch der alltägliche Unterhalt des Feuers war in diese Auffassung eingebettet und funktionierte offensichtlich gut.
(Oxidation fand ich mal ziemlich schräg, aber da es sich bei der chemischen Nomenklatur durchweg um unklassische Neubildungen handelt, ist es eigentlich egal.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.03.2023 um 05.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50629
|
Daß Kanzi mit entsprechendem Gerät ein Feuer anzünden kann, ist einfach ein weiteres Kunststück und darf so wenig mit der epochalen Beherrschung des Feuers durch den Frühmenschen in Verbindung gebracht werden wie das Geplapper eines Papageien mit der menschlichen Sprache. Ein Affe kann auch einen Wasserhahn öffnen, aber das hat nichts mit der Installation von Wasserleitungen zu tun. Man sucht sich formal ähnliches Verhalten heraus und knüpft daran weitreichende Folgerungen, was Tiere „auch schon“ alles können. Das ist primitiv, aber überraschend weit verbreitet. Bekannte Primatologen erregen damit Aufsehen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2023 um 05.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50618
|
Aus der Fehleinschätzung, daß Schimpansen nach entsprechendem Training Englisch (in gebärdensprachlicher Version oder mit anderen Ersatzzeichen) auf dem Niveau kleiner Kinder sprechen und verstehen, und aus der weiteren Annahme, daß Schimpansen und Bonobos sich in den 6 Mill. Jahren seit der Trennung vom Menschen nicht sehr verändert haben („certainly not as much as we have)“, folgt für Christine Kenneally, daß unsere Vorfahren damals ungefähr wie heutige Kleinkinder gesprochen haben (The first word: The search for the origins of language. New York 2007:206).
Das ist abgesehen von den falschen Voraussetzungen auch deshalb nicht anzunehmen, weil unsere Kinder keine frühmenschliche Sprache sprechen, sondern heutiges Deutsch auf einer frühen Stufe der Übernahme.
(Noch heute steht bei Wikipedia vorbehaltlos: „Kanzi, der von der Psychologin und Affenforscherin Sue Savage-Rumbaugh unterrichtet wird, versteht etwa 3000 Wörter (in englisch) und reagiert darauf. Sein eigenes Vokabular umfasst etwa 500 Wörter.")
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.03.2023 um 03.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50615
|
Ob mit elektrischen Ableitungen vom Schädel und aus dem Hirn oder mit den neueren Hirnscans – man wird zu jeder beliebigen Testaufgabe Entsprechungen in der differentiellen Aktivierung von Hirnregionen feststellen. Es ist unmöglich, kein Ergebnis zu erzielen.
Dabei stellen sich zwei Fragen nach der Spezifiziät:
1. Es ist eine Frage der Filter-Einstellung, der „Körnigkeit“ der Untersuchung, ob man zu einer bestimmten Aufgabe eine, zwei oder dreißig relativ stärker aktivierte Regionen feststellt.
2. Meist wird nicht untersucht, bei welchen anderen Aufgaben die gleichen Regionen ebenfalls stärker aktiviert werden.
Handelt es sich um eine sprachliche Testaufgabe, wird meistens nicht zwischen Gebrauchen und Zitieren des sprachlichen Material unterschieden. William Calvin z. B. spricht von „Benennen“, ohne zu bedenken, daß es auch physiologisch etwas ganz Verschiedenes ist, ob man eine Gegenstandsbezeichnung im Redefluß verwendet oder („metasprachlich“) auf Anforderung den Namen eines Gegenstands hervorbringt. Wie vor allem Kurt Goldstein vor langer Zeit gezeigt hat, treten diese Funktionen bei Aphatikern deutlich auseinander. (William H. Calvin/George A. Ojemann: Conversations with Neil’s Brain – The Neural Nature of Thought & Language. Reading 1994. https://williamcalvin.com/bk7/bk7ch3.htm)
Von weiteren Problemen wie der Replizierbarkeit sehe ich hier ab; es sei auch daran erinnert, daß das sogenannte Broca-Zentrum nach 150 Jahren gründlicher Erforschung kürzlich um mehrere Zentimeter „verschoben“ wurde – eine riesige Entfernung im Gehirn.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2023 um 05.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50608
|
„Language has to be partly innate, simply because human babies are born with the ability to learn the language of their parents.“ (Christine Kenneally: The First Word: The Search for the Origins of Language. New York 2007:201)
Dann sind auch Klavierspielen, Briefmarkensammeln usw. teilweise angeboren. Man könnte es nicht lernen, wenn man nicht die Fähigkeit dazu hätte...
Kenneally weiß aber durchaus, daß die Sprachfähigkeit sich wahrscheinlich aus mehreren anderen Fähigkeiten zusammensetzt, die jeweils ihre eigene Entwicklungsgeschichte haben. Wozu dann diese These, die lediglich den Nativisten wie Chomsky recht zu geben scheint, obwohl das bei genauerem Hinsehen nicht der Fall ist? Denn für Chomsky und seine Anhänger ist das angeborene Sprachmodul, der Sprachinstinkt usw. als Ganzes artspezifisch und angeboren. Voraussetzung ist, daß das Kind intuitiv oder unbewußt eine generative Grammatik beherrscht, bevor es Jahre später intellektuell in der Lage ist, eine generative Grammatik bewußt zu verstehen oder gar zu konstruieren. (Das ist eine Variante des Homunkulus-Trugschlusses: der oft karikierte „kleine Linguist“ im Kopf des Kleinkindes.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.03.2023 um 04.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50602
|
Wenn behauptet wird, die Schimpansen um Washoe hätten sich untereinander in der „Fremdsprache“ ASL verständigt, würde man gern wissen, ob sie ihre eigene, in Millionen Jahren perfektionierte und von uns noch nicht vollständig entschlüsselte Kommunikationsweise gänzlich aufgegeben oder beide „Sprachen“ irgendwie miteinander verbunden haben. Solche Fragen werden nicht gestellt, weil die Forscher das Problem nicht einmal erkannt haben. Sie setzen stillschweigend voraus, daß selbst eine rudimentär beherrschte Menschensprache für die Tiere ein so bedeutender Fortschritt ist, daß sie auf ihre arteigene Kommunikation gern verzichten.
Wenn das kein "Speziesismus" ist!
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.03.2023 um 05.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50595
|
Zur rührenden Geschichte um die Fehlgeburt gibt es ein Pressefoto („One of Washoe’s keepers explained to the chimp that she had had a miscarriage“); die Lesergemeinde findet es „heartbreaking“.
Was würden Sie tun, um einem Affen zu „erklären“, daß Sie eine Fehlgeburt hatten? Wie fängt man überhaupt einen Bericht über Vergangenes an, also eine Erzählung? Haben Sie und der Affe einander schon oft etwas erzählt, so daß über die Nichtgegenwart Einverständnis besteht? „Versetzte Rede“ (displaced speech) galt ja immer als spezifisch menschlich – soll das nun nicht mehr gelten?
Für die Forscher, die fast ihr ganzes Lebenswerk und ihren Ruf als Wissenschaftler auf die optimistische Deutung ihrer Affenversuche gebaut haben, muß die Einsicht in die Nichtigkeit ihrer Ergebnisse schwer zu ertragen sein. Natürlich war immer auch Geschäftemacherei im Spiel, wie bei jeder neureligiösen Gemeindebildung.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.02.2023 um 17.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50580
|
„Washoes Trainer war Roger Fouts, der durch diese Studie in der Arbeitsgruppe von Robert Allen Gardner und dessen Frau Beatrix Tugendhat Gardner den Doktorgrad erwarb. Washoe lernte mehrere hundert ASL-Gebärden sowie diverse Gebärdenkombinationen, die meist aus zwei oder drei Gesten bestanden. Bereits nach kurzer Zeit kombinierte sie auch spontan Gebärden in einer für die Kommunikation mit ihrem Trainer sinnvollen Weise, ohne dass ihr diese Kombinationen eigens beigebracht worden waren. Washoe brachte sogar ihrem „Adoptivsohn“ Loulis, der 1978 zu ihr kam, einige ASL-Gebärden bei und unterhielt sich mit ihm und mit anderen Schimpansen auch mit Hilfe der ASL-Gebärden.“ (Wikipedia)
„Fouts has been a consultant or adviser on four movies, including Greystoke: The Legend of Tarzan, Lord of the Apes (1984).“
Thomas Sebeok:
„In my opinion, the alleged language experiments with apes divide into three groups: one, outright fraud; two, self-deception; three, those conducted by Terrace. The largest class by far is the middle one.“ (Wikipedia Washoe, engl.)
An den Filmdokumentationen fällt die Beiläufigkeit der angeblichen ASL-Gebärden auf. Es fehlt die Konzentration auf die vermeintliche Kommunikation. Die Forscher deuten aber jedes Hantieren in ihrem Sinne.
Der schwerste Einwand ist aber der subtilste: Die „Begriffe“ (um es herkömmlich auszudrücken), die mit den Wörtern verbunden sind, kann ein Tier gar nicht gebildet haben. Es sind kulturspezifische, historisch entstandene Kurzfassungen typisch menschlicher Erfahrungen und Weltdeutungen.
Fouts berichtet:
„People who should be there for her and aren’t are often given the cold shoulder—her way of informing them that she’s miffed at them. Washoe greeted Kat [the caretaker] in just this way when she finally returned to work with the chimps. Kat made her apologies to Washoe, then decided to tell her the truth, signing "MY BABY DIED". Washoe stared at her, then looked down. She finally peered into Kat’s eyes again and carefully signed "CRY", touching her cheek and drawing her finger down the path a tear would make on a human (Chimpanzees don’t shed tears). Kat later remarked that one sign told her more about Washoe and her mental capabilities than all her longer, grammatically perfect sentences.“
Wieviele Menschen hatte Washoe tatsächlich weinen und Tränen vergießen sehen?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.02.2023 um 14.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50577
|
„Washoe war nicht nur die erste sprachfähige Schimpansin gewesen, sondern hatte ihr Wissen auch an ihren Schimpansen-Adoptivsohn Loulis weitergegeben. Loulis war damit der erste Affe, der von einem Artgenossen eine menschliche Kommunikationsform gelernt hat.“ (Agenturen und SZ 17.5.10)
Auch der SPIEGEL fabuliert:
„Washoe hat ihre ASL-Kenntnisse an die nächste Generation weitergegeben, an ihren Adoptivsohn Loulis. Und Tatu führt für alle Clanmitglieder den Kalender. Beim ersten Schnee erinnert sie die Betreuer daran, dass bald wieder "Vogelfleisch" fällig ist: Putenbraten zum traditionellen Thanksgiving-Fest. Ebenso kündigt Tatu jedes Jahr Geburtstage an, etwa "Ice Cream Washoe", und Weihnachten: "Zuckerbaum". Beim Verteilen der Schlafdecken, beim Spiel, bei Mahlzeiten und mitten im handgreiflichen Familienstreit ist ASL die Umgangssprache der Schimpansen.“ (17.12.07; es wird noch wüster: https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/affen-gespraeche-unter-verwandten-a-521338.html)
Wie Washoe ihre 250 Wörter an jüngere Tiere weitergegeben hat, ist nicht klar. Auf keinen Fall kann sie diese auf die gleiche Art konditioniert haben, wie sie selbst konditioniert worden ist. Man hat von der Sprachgeschichte der Schimpansen auch gar nichts mehr gehört.
„Und etwas Sensationelles ist noch hinzugekommen: Weil die Umgangssprache im GAT-Institut Englisch ist jedenfalls für die dort arbeitenden Forscher und Betreuer, haben einige der Bonobos sie, so nebenher, ebenfalls gelernt. Die Tiere verstehen ‚praktisch jedes Wort‘, sagt der amtierende Forschungs-Direktor Bill Fields.“ (SPIEGEL)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.02.2023 um 12.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50576
|
Psychologen begehen oft den Fehler, das Verhalten einer logischen Analyse zu unterwerfen und dann zu fragen, wie die so gewonnenen Stadien oder Stufen real zu verwirklichen wären. Ein Beispiel war die „mentale Rotation“ (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50493)
Ein anderes wäre das hier schon einmal angeführte „Trösten“:
„Unter Forschern besteht kein Zweifel: Trösten ist alles andere als banal. Es gilt als hohe Form der Empathie. Die Tiere müssen zunächst die Emotionen des Verlierers – seine Niedergeschlagenheit – überhaupt spüren. Daraufhin müssen sie willens und fähig sein, diese Niedergeschlagenheit zu lindern. Dazu braucht es Intelligenz, um sich selbst als eigenständiges Wesen zu begreifen und den anderen als ein vom eigenen Selbst getrenntes Wesen zu erkennen; und schließlich das Talent zum Perspektivwechsel, um sich in den anderen hineinzuversetzen.“ (SZ 12.8.10)
Ein Kind fällt hin, schreit. Tut die Mutter nun all das, was hier genannt ist? (Abgesehen von der Metaphorik, die auch noch einzulösen wäre, bevor man weiteruntersucht.) Es gibt ganz andere Möglichkeiten, das Geschehen darzustellen und demgemäß auch zu erklären.
Eine logische Analyse ist keine psychologische.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2023 um 06.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50566
|
Was die Pressestellen der Universität an sensationsheischenden Berichten an die Öffentlichkeit geben, ist oft haarsträubend primitiv. Das Verhalten von Krähen und das von zehnjährigen Kindern ist unermeßlich verschieden. Aber man pickt sich eine testspezifische Verhaltensweise heraus, die oberflächlich vergleichbar scheint oder durch die sprachliche Darstellung ("kausales Räsonieren" usw.) vergleichbar gemacht wird, und dann soll das Publikum staunen, was Tiere alles können und wie schlau sie sind!
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2023 um 05.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50564
|
„Dass Krähen schlau sind, suggeriert schon Äsops Fabel ‚Die Krähe und der Wasserkrug‘. Darin schmeißt eine Krähe Steine in einen schweren Tonkrug, bis der Wasserstand so hoch ist, dass sie davon trinken kann. Die britische Psychologin Nicola Clayton von der Cambridge University hat in einer Studie nachgewiesen, dass die Vögel tatsächlich so clever sind wie der griechische Dichter vermutete. Ihre Intelligenz stellt sogar die von Vorschulkindern in den Schatten.“ (Yahoo! Nachrichten 10.8.12)
Wenig später wurde berichtet, daß Corina Logan und Mitarbeiter an der University of California, Santa Barbara, verschiedene Varianten des Tests angewendet hatten:
„We showed that crows can discriminate between different volumes of water and that they can pass a modified test that so far only 7- to 10-year-old children have been able to complete successfully. (...) We provide the strongest evidence so far that the birds attend to cause-and-effect relationships by choosing options that displace more water.“ (Pressemitteilung der Universität 25.7.14)
Tiere können viele Kunststücke lernen, die einem Vorschulkind nicht möglich sind. Seehunde sind sehr geschickt mit Bällen. Ganz zu schweigen von angeborenem Verhalten: Selbst zehnjährige Kinder können kein Vogelnest bauen. Es ist sinnlos, solche speziellen Leistungen mit dem Verhalten von Organismen einer anderen Art zu vergleichen. Wir wissen nicht genau, wie es bei Tieren funktioniert, aber durch die Darstellung als Konstruktionsaufgabe bzw. als Einsicht in kausale Zusammenhänge erzeugen die Forscher ein unlösbares Problem:
”We still don’t know exactly how the crows think when solving this task. They may be imagining the effect of each stone drop before they do it, or they may be using some other cognitive mechanism. ‘More work is needed,’ Logan says.”
Damit ist die Finanzierung gesichert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2023 um 09.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50538
|
„Über Kognitive Psychologie bei Menschenaffen veröffentlichte Köhler 1917 sein revolutionäres Werk Intelligenzprüfungen an Anthropoiden. Köhlers in der Zeit des Behaviorismus erschienene Arbeit wurde zuerst fast vollständig ignoriert, erst seit dem Ende der 1950er-Jahre werden die mentalen Fähigkeiten von Tieren wieder wissenschaftlich untersucht.“ (Wikipedia Wolfgang Köhler)
Das Verhalten von Affen wurde auch durch die Behavioristen untersucht, wenn auch selbstverständlich nicht unter dem Titel „mental“. Das Beharren darauf ist eine petitio principii. Die Folgen sehen wir bis heute in der metaphorischen Psychologie mit ihrer „Theorie des Geistes“, dem „Gedankenlesen“, „Hineinversetzen“, der „Perspektivübernahme“ usw.
Die Frage, wann Kinder und ob Tiere lernen, sich in andere hineinzuversetzen, deren Gedanken zu lesen, eine Theorie von deren Geist (und von deren Theorie des Geistes) auszubilden usw., ist schlicht sinnlos. Der triumphierende Tonfall der „Mind is back“-Psychologie ist unbegründet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2023 um 04.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50536
|
Die Beobachtung mit dem Uhrenschlag mache ich täglich auf unserem ausgedehnten Spaziergang nicht allzu weit vom Dorf entfernt. Hinzu kommt natürlich ein "Zeitgefühl", das mir übrigens auch ziemlich rätselhaft erscheint. Ich bin ein Frühaufsteher und kann, ohne Wecker aufgewacht, meistens sehr genau sagen, wie spät es ist, bevor ich im Badezimmer die Uhr sehe. Auch tagsüber irre ich mich selten um mehr als 5 Minuten. Wie ist das möglich? Man spricht von innerer Uhr, aber Metaphern sind keine Erklärung.
Daß ich praktisch nie eine Armbanduhr trage, trainiert vielleicht jenes Zeitgefühl.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.02.2023 um 22.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50535
|
Das Zählen von solchen kleineren Personengruppen müßte ich bei mir erstmal beobachten. Es könnte so ähnlich sein wie bei Ihnen. Größere Mengen verschiedener Gegenstände zähle ich entweder einzeln oder in Zweiergruppen.
Aber vielleicht eine ähnliche Beobachtung beim Uhrenschlag. Angenommen, ich sehe die Uhr nicht (z. B. nachts), weiß nicht genau, welche Stunde dran ist, höre zwar das Schlagen, aber habe vergessen mitzuzählen. Wenn sie nun bis zu 5mal geschlagen hat, dann kann ich hinterher aus der Erinnerung an den Klang meist noch genau sagen, wie oft es war. Schlägt sie öfter, kann ich bis nach dem fünften Schlag noch die Zählung nachträglich genau aufnehmen. Ab sechs verpaßten Schlägen (verpaßt = gehört, aber nicht mitgezählt) wird es unsicher. Das klappt natürlich nur bei nicht zu großer Ablenkung am Anfang.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.02.2023 um 21.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50534
|
Also bis zu fünf bis neun Bündel, das sollte dann eigentlich dasselbe sein wie bis zu neun Bündel.
Manchmal ist es ja amüsant zu lesen, aber ich frage mich, ob es sich wirklich lohnt, sich mit so etwas zu befassen. Wenn jemand Unsinn über die Speicherung von Information schreibt, dann bringt das weder Kognitivisten weiter noch ist damit bewiesen, daß der Organismus überhaupt keine Information speichert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2023 um 17.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50533
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1540#26926
„Frühe Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass wir nur bis zu sieben (plus/minus zwei) Informationsbündel im Kurzzeitgedächtnis speichern können.“ (Thomas Suddendorf: Der Unterschied. Berlin 2014:191)
Hier sind die „chunks“ zu „Informationsbündeln“ geworden, aber definiert sind sie weniger denn je. Warum werden diese Geschichten immer noch mitgeschleppt?
Kleine Beobachtung zu einem verwandten Thema:
Vor mir in einiger Entfernung geht jemand. Eine, zwei oder drei Personen erfasse ich mit einem Blick, bei vier glaube ich eher, daß ich sie blitzschnell in zwei Paare aufteile, bei fünf herrscht eine gewisse Unsicherheit, ob es nicht doch vier oder sechs sind. Ich gliedere die Gruppe in zwei plus drei. Um so eher, als die Leute nicht gleichmäßig aufgereiht nebeneinander gehen, sondern in wechselnder Anordnung durcheinander. Es würde mich interessieren, ob Sie es auch so machen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2023 um 06.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50528
|
Die Versuche mit Putzerfischen vor dem Spiegel werfen einige Fragen auf: Putzerfische putzen ja nicht eigentlich (d. h. sie entfernen keine störenden Fremdkörper), sondern ernähren sich von den Parasiten auf der Haut von größeren Fischen. Warum sollten sie sich irgendwo schaben, um einen Flecken auf ihrer eigenen Haut loszuwerden, den sie ohne Spiegel nicht bemerken und der sie daher nicht „stört“ (wenn überhaupt etwas sie stören kann)? Das hat mit dem Aufnehmen von Nahrung ebenso wenig zu tun wie das Schaben an Wänden. In der Deutung der Daten klafft eine Lücke.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2023 um 16.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50525
|
Übrigens war über den Spiegeltest mit Putzerfischen schon vor vier Jahren berichtet worden, damals von der MPG. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#41726
Schon damals mit demselben philosophischen Überbau, der sich nicht diskutieren läßt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2023 um 06.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50522
|
Spiegelversuche mit Putzerfischen zeigen angeblich, daß die Tiere sich selbst erkennen: „Um zu dem Schluss zu kommen, dass das Foto sie selbst zeigt, müssen die Tiere aber wie Menschen eine Art inneres Bild davon haben, wie ihr Gesicht aussieht, das sie dann mit der Abbildung vergleichen.“ (SZ 20.2.23)
Niemand kann sagen, was dieses „Vergleichen“ für ein Verhalten sein soll, zumal es sich im „Inneren“ abspielt. Das ist nicht einmal beim Menschen klar, auch wenn man alltagspsychologisch redet. Ebenso kann man die Zuschreibung „inneres Bild“ nicht verifizieren, nicht einmal recht verstehen, aber das muß man auch gar nicht, weil es ja nur „eine Art“ sein soll – was ebenso wie die anderswo beliebten Anführungszeichen die ganze These ins Ungefähre, Metaphorische verschiebt, wo alle Katzen grau sind.
Es wird gar nicht nach einer sparsameren, naturalistischen Erklärung gesucht. Man bedenke, daß die Fische geradezu unendlich weit von anderen Tieren entfernt sind, mit denen man halbwegs plausible, aber immer noch umstrittene Spiegelversuche angestellt hat (Elefanten, Dephine).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2023 um 08.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50493
|
Noch einmal zur "mentalen Rotation":
Mental rotation can be separated into the following cognitive stages:
1. Create a mental image of an object from all directions (imagining where it continues straight vs. turns).
2. Rotate the object mentally until a comparison can be made (orientating the stimulus to other figure).
3. Make the comparison.
4. Decide if the objects are the same or not.
5. Report the decision (reaction time is record when a lever is pulled or a button is pressed).
(Wikipedia 11.2.23)
Die Zerlegung in 5 „kognitive“ Stadien kann als logische Analyse der Aufgabe oder als Beschreibug eines wirklichen Vorgangs gelesen werden. Die Stadien sind aber keine definierten Verhaltenseinheiten, z. B. „vergleichen“ oder „entscheiden“; als Anweisungen können sie nicht befolgt werden. Neuronal sind sie aber auch nicht zu interpretieren. Sie finden im fiktiven Niemandsland des Geistes (des Mentalen, des Kognitiven) statt. Eine solche verfremdete Formulierung der Aufgabe ist keine Lösung. Was soll das Ganze also?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2023 um 05.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50492
|
„Arktischer Winter“ in Deutschland: Experte warnt vor minus 20 Grad
Der Winter kommt nochmal in Fahrt, versichert Meteorologe Jan Schenk. Auch in Deutschland könnten in einigen Wochen Temperaturen jenseits von minus 20 Grad herrschen. (FR 13.2.23)
Am 9.12.22 hatte der Deutsche Wetterdienst verkündet, die Chancen auf einen milden Winter stünden schlecht. Silvester stieg die Temperatur regional auf gut 20 Grad, die höchste seit Beginn der Aufzeichnungen. Auch der Januar war überdurchschnittlich warm.
Vom Horoskop haben die Zeitungen Abstand genommen, aber der Wetter-Unsinn ist geblieben, ebenso wie die neuesten Erkenntnisse der Psychologie.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2023 um 05.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50491
|
Die Bewältigung einer Aufgabe vom Typ des Puzzles entwickelt sich in drei Stadien:
1. Einfügen von Gegenständen (auch Körperteilen) in Hohlformen
2. Einsetzen von Figuren in Schablonen (gegen Ende des zweiten Lebensjahres)
3. Aneinanderfügen von Figuren, die erst dadurch Schablonen bilden (echte Puzzles)
Schon im Stadium 1 wird die Erfahrung gemacht, daß manches paßt und anderes nicht und daß man das ändern kann. Wenn man Gegenstände dreht, sehen sie anders aus, fühlen sich anders an usw. Es ist nichts gewonnen, wenn man metaphorisch (und metaphysisch) sagt, das Kind drehe den Gegenstand zuerst „im Geist“. Das ist nur eine alltagspsychologische Ausdrucksweise, die wie das ganze transgressive Konstrukt des „Geistes“ (des Mentalen: Denken, Vorstellen usw.) unserer alltäglichen Verständigung dient, aber nicht wissenschaftsfähig ist.
Wenn dem Drehen eines Puzzleteils das Drehen im Geiste vorherginge, müßte der Schritt vom geistigen zum wirklichen Drehen ja auch erklärt werden. Nur die Gewöhnung an solche Redensarten suggeriert uns, daß dies unproblematisch sei. Eine wissenschaftliche Psychologie kann sich damit nicht zufriedengeben.
(Das folgende ist teils eine Wiederholung:)
Die „mentale Rotation“ (Shepard/Metzler 1971) gehört zu den Pfeilern der „kognitiven Psychologie“, ist aber keine wirkliche Erklärung. Wir bauen in die Transgression „im Geist drehen“ genau das hinein, was wir im Experiment dann wieder herausholen: eine gewisse Ähnlichkeit mit dem wirklichen Drehen einer Figur: Was in Wirklichkeit schwer ist und länger dauert, tut es auch „in der Vorstellung“.
Wie naiv die Psychologie vorgeht, läßt sich an Alan Paivio zeigen, einem führenden Autor auf dem Gebiet der bildlichen Vorstellung (imagery):
„Some years ago I asked my youngest daughter to imagine the capital letter N, tip it over on its side, and then tell me what she saw in her mind’s eye. She promptly said, ‘I see a Z!’ Her response suggests that she made use of some kind of holistic mental representation and was able to rotate it in order to arrive at the answer.“ („Neomentalism“. Language 29/1975:263-291, S. 277)
Der Forscher fordert das Kind alltagspsychologisch auf, sich etwas vorzustellen, und übernimmt eins zu eins in seine wissenschaftliche Darstellung, das Kind habe sich etwas vorgestellt. Ebenso:
„If you close your eyes and visualize an apple, what you experience is mental imagery – visual imagery.“ (Bence Nanay: „Mental Imagery“. https://plato.stanford.edu/entries/mental-imagery/2021)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2023 um 05.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50463
|
Der Teufel hatte schon immer ein realistischeres Bild von der Komplexität des Gehirns als die meisten „Neurolinguisten“ und anderen Neurosophen:
Zwar ist’s mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.
Viel weiter ist die Forschung bisher nicht gekommen, sofern sie nicht sogar dahinter zurückblebt (wie die meisten sogenannten Neurolinguisten).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.02.2023 um 05.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50443
|
Daniel Everett („Biology and language“, Rezensionsartikel im Journal of Linguistics 41/2005:157–175) zeigt, daß Anderson/Lightfoot und Givon in Wirklichkeit gar nicht von Biologie (Physiologie) handeln. Das können sie als Linguisten ja auch gar nicht:
„Postal (2004: 296ff.) addresses this general issue in fairly acerbic (but entertaining) language, in his chapter on the most irresponsible passage ever written by a professional linguist (the author of the passage in question being Chomsky). He argues, convincingly to my mind, that claims to the effect that generative grammar studies biology are extremely wide of the mark.“
(Es handelt sich um Kapitel 11 in Paul Postals lesenswerten Skeptical linguistic essays.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.02.2023 um 04.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50434
|
Übrigens ist „Sprachverarbeitung“ so etwas wie „Papierbearbeitung“, wo es einen großen Unterschied macht, ob man es als Schreibmaterial oder als Verpackung benutzt. Sprache kann nicht einfach so „verarbeitet“ werden. Die Benutzer bildgebender Verfahren scheinen auch dieses Problem nicht erkannt zu haben; sie beeindrucken uns nach wie vor mit bunten Bildern, die angeblich die Verarbeitung von Substantiven und Relativsätzen zeigen. (Und natürlich, nach Spitzer, von Gut und Böse im „orbito-frontalen Kortex“ usw.)
So kommt man aus dem Parawissenschaftlichen nicht heraus.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.02.2023 um 04.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50433
|
Gibt man Begriffe oder Aufgaben aus dem Bereich des Kontrapunkts oder der Differentialrechnung vor, wird man im Hirnscan Regionen auffinden, die dafür zuständig sind. Das kann nicht anders sein. Interessanterweise wird sich dabei herausstellen, daß der Kontrapunkt ähnliche Zellverbände anregt wie die Kakteenzucht (oder der Skilanglauf ...). Das ist nicht satirisch gemeint, es ist die Realität, aber das Problembewußtsein der Neuropsychologen und ihrer fachfremden Verehrer ist wenig ausgebildet.
Die führende deutsche "Neurolinguistin" hat im Gehirn Korrelate der jeweils vorletzten Version von Chomskys Grammatik aufgefunden. Daran ist nicht zu rütteln.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2023 um 16.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50425
|
„‚Geist‘ ist ein kniffliger Begriff. Ich meine zu wissen, was er bedeutet, weil ich einen Geist habe – oder weil ich Geist bin. Ihnen geht es vielleicht ebenso. Aber der Geist eines anderen ist für uns nicht direkt wahrnehmbar. Wir nehmen an, dass er so ist wie unserer – Überzeugungen und Wünsche umfassend –, aber das können wir nur schlussfolgern.“ Usw. (Thomas Suddendorf: Der Unterschied. Berlin 2014:60)
Wir haben es hier mit „naiver Psychologie“ zu tun, sogar in der klassischen Version, die man überall findet.
Neben den üblichen sprachanalytischen Bedenken fällt auf, daß der Verfasser sich – wie die Phänomenologen – an die Gemeinschaft der Leser („wir“) und speziell an den einzelnen Leser („Ihnen“) richtet. Der methodische Solipsismus, den er vertritt, wird durch den Appell an die Verständigungsgemeinschaft pragmatisch unterlaufen. Dieser Einwand ist ihm aber so wenig bewußt wie die Frage, wieso er über etwas vermeintlich radikal Privates in einer Sprache sprechen kann, die er von anderen gelernt hat. Wie kann ich mit dir reden, wenn ich nicht weiß, ob du überhaupt eine Person (ein Gesprächspartner) bist?
Die sogenannte Privatheit ist in das gemeinschaftliche Verständigungsmittel der alltagspsychologischen Sprache hineinkonstruiert. Die reale Grundlage sind frühe Übungen wie: „Denk dir eine Zahl, aber sag sie nicht!“, „Ich sehe was, was du nicht siehst“ usw. Das sind keine geheimnisvollen Nachrichten aus privaten Welten, sondern leicht analysierbare Verhaltensweisen. Sie schließen die Metapher (besser: Transgression) eines „Inneren“ ein. Aber die wissenschaftliche Psychologie kann sich dem doch nicht einfach anschließen!
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2023 um 05.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50419
|
Zum vorigen:
Anders als das amerikanische Original hat die deutsche Ausgabe kein Register – bei einem Sachbuch/Fachbuch von 400 Seiten ziemlich ungewöhnlich.
Die Weltläufigkeit des deutschen Verfassers zeigt sich in der vertraulichen Kurzform der Vornamen amerikanischer Kollegen: Dick Byrne usw.; da auch die Bibliographie den Namen nur in Abkürzung anführt (R. Byrne), weiß nur der Kenner, daß es sich um Richard Byrne handelt.
Beides zeugt von einer gewissen Geringschätzung des deutschen Lesers.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2023 um 08.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50413
|
„Es sind unsere geistigen Fähigkeiten, die es uns ermöglichten, das Feuer zu zähmen und das Rad zu erfinden.” (Thomas Suddendorf: Der Unterschied – was den Mensch zum Menschen macht. Berlin 2014:12)
„Unser Geist hat Zivilisationen und Technologien hervorgebracht, die das Antlitz der Erde veränderten.“ (ebd. 13)
Ist damit irgend etwas erklärt, ist auch nur etwas anderes gesagt, als daß wir das Rad erfunden und Zivilisationen hervorgebracht haben? Wozu wird der "Geist" dazwischengeschoben?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.01.2023 um 05.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50399
|
Nach genauer Beobachtung von drei weiteren Kleinkindern (Enkeln) halte ich Tomasellos Neun-Monats-Revolution, bei der die Kinder erkennen sollen, daß andere auch einen Geist (mentales Innenleben) haben, für reine Erfindung. Es gibt auch in der kindlichen Entwicklung keine Sprünge. Das Verhalten wird in einer schwer beschreibbaren Weise täglich geschickter, umsichtiger, der Blick verständiger, die Fähigkeit zum Verstehen von kleinen Aufträgen, Fragen usw. wächst immer weiter.
Wenn man Nele (1;1) fragt: Wo ist...? – dann zeigt sie auf die genannten Personen und bei „Nele“ auf den eigenen Bauch. Kognitivisten würden sagen, daß sie Selbstbewußtsein entwickelt hat, aber das ist überflüssig, wie die gesamte mentalistische Diktion.
Nele spricht noch nicht, nur ein gelegentliches „ha“. Sie zeigt auf die Stereoanlage, wenn sie Musik hören will, bringt ein Bilderbuch herbei, wenn sie es gemeinsam mit der Oma anschauen will usw.; sie versteckt sich und lugt schelmisch hervor; läuft ein paar Schritte frei durch das Zimmer und strahlt, wenn man Beifall klatscht. Alles paßt harmonisch zusammen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2023 um 03.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50366
|
Vermutlich um die Menge potentieller Käufer zu vergrößern. Mädchen spielen trotzdem nicht damit. Ich habe auch noch nie gehört, daß Mädchen sich eine Modelleisenbahn oder Jungen eine Barbie wünschen.
Ich werde in den nächsten Jahren versuchen, die Enkelinnen (fünf und eins) für den Modellbaukasten zu interessieren, bin aber wenig hoffnungsvoll. Lego geht freilich immmer. Die Steckverbindung hat allerdings etwas, was meinen männlichen Verstand beleidigt. Schrauben und Muttern sind das Wahre. Ob das schon mal untersucht worden ist?
|
Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 26.01.2023 um 23.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50363
|
Tatsächlich scheinen die Alchemisten bis Anfang der 60er mit Jungen verziert zu sein:
https://www.ebay.de/itm/255939260833?hash=item3b972b31a1:g:zlEAAOSw-hZjjlT5
https://www.ebay.de/itm/354428913427?hash=item52859c0713:g:I6QAAOSwjmNjf3Zm
Danach besann man sich wohl eines besseren, denn spätere Kästen und Broschüren sind immer mit Junge und Mädchen illustriert. Und das ganz ohne Girls Day und Chemiker*/_innen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2023 um 20.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50362
|
Meiner war von 1956 oder 1957.
|
Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 26.01.2023 um 19.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50361
|
Nur Jungen auf den Kosmos-Kästen, das hätte ich auch gedacht. Aber so kann man sich täuschen (die Kästen werden an vielen Orten für ordentliche Summen angeboten): Mein guter alter Kosmos Elektromann hatte ein Mädchen drauf:
https://img.ebay-kleinanzeigen.de/api/v1/prod-ads/images/5a/5a6fd389-0b3d-4541-aba0-f1c10c9ba4f3?rule=$_57.JPG
Die All-Chemist-Kästen scheinen durchgängig mit Junge und Mädchen verziert zu sein.
Wieviele Mädchen werden den Elektromann gehabt haben? Ich denke es werden dieselben 1% gewesen sein, denen ich dann später in der E-Technik-Grundvorlesung begegnet bin. Oder weniger.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2023 um 07.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50360
|
Auf den Kartons solcher Bau- und Experimentierkästen (ich denke an meinen geliebten "Allchemist" von Kosmos) waren auch nur Jungen abgebildet. Aber mal im Ernst: Basteln Mädchen heute mit so etwas?
Zum frühen Kunststoff: War der Geruch nicht hauptsächlich Formaldehyd?
|
Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 26.01.2023 um 07.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50359
|
Ja, ich habe selbst noch einmal nachgeforscht: Bakelit und Pertinax haben tatsächlich Gemeinsamkeiten. Für den Geruch ist aber vermutlich nur die Pertinaxplatine mit ihren Bauteilen verantwortlich, die im Gehäuse der Hitze ausgesetzt ist. Bakelit dagegen findet man an der Front, evt. aber auch bei den Röhrensockeln, wenn meine Erinnerung mich nicht trügt.
Mir steht bei dem Thema sofort der Klassiker "Radiobasteln für Jungen" (Heinz Richter) vor Augen. Heute käme der sofort auf den Index.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2023 um 06.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50357
|
Danke für den Hinweis! So wird es wohl gewesen sein mit der Ausdünstung. "Bakelit" war unser kindliches Wort für all dieses Zeug. Ich erinnere mich an den Geruch von überhitztem Isoliermaterial.
Bei Wikipedia lese ich:
"Phenol-Formaldehydharz wird noch verwendet, wenn mechanische und thermische Belastbarkeit, eine geringe Entflammbarkeit und chemische Beständigkeit gefordert ist, zum Beispiel in Schleifscheiben, Reibbelägen, Filterpapieren, Feuerfest-Materialien, Isolationsmaterialien, Maschinen-Bedienelementen und zur Imprägnierung beziehungsweise Tränkung von Holz- und Papierwerkstoffen (Leiterplatten)."
Ob doch etwas dran ist?
|
Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 26.01.2023 um 06.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50356
|
Bakelit? Meinen Sie nicht eher Pertinax (das Material der Platinen)? Aus Bakelit waren m. W. nur die Bedienknöpfe.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2023 um 04.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50354
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#38320
Als Kinder haben wir in die durchlöcherte Rückwand des Radios gelugt und die glimmende Röhre gesehen, dazu der unvergeßliche Geruch von erhitztem Bakelit und verbranntem Staub. Vorn kam die Musik heraus, das Ganze ein Wunder.
So müssen unsere Vorfahren sich gefragt haben, wie der Ton aus der schwingenden Sehne, aus dem Schwirrholz und dann der Knochenflöte herauskam. Er muß irgendwie darin geschlummert haben. Auch das ein Wunder oder eine Art Geisterbeschwörung. Selbst die eigene Singstimme kann uns wie etwas erscheinen, was wir nicht eigentlich machen, sondern kommen lassen, beschwören.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.01.2023 um 05.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50327
|
„So lernen Maschinen, was Emotionen sind.“ (SZ 21.1.23)
Man kann das lernen, aber das bedeutet nicht, daß man welche hat. Ich kann auch lernen, was es heißt, UV-Licht zu sehen oder Magnetfelder wahrzunehmen, aber ich selbst sehe weder UV noch nehme ich Magnetfelder wahr.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.01.2023 um 07.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50270
|
Psychoanalytiker können zu allem etwas sagen. Zum Beispiel Wolfgang Schmidbauer, über den es bei Wikipedia heißt: „Schmidbauer gehört zu den aktivsten Fachschriftstellern in Deutschland.“ Nun äußert er sich über Harry und Geschwisterkonkurrenz (SZ 14.1.23). Warum nicht? Freud hat es vorgemacht, indem er unentwegt die eigentlich unzulässigen Fernanalysen unternahm, sogar über historische, mythische und Märchenfiguren. Die Literatenpsychologie beherrscht das Feuilleton seit hundert Jahren. Wieso konnte Adorno ohne entsprechendes Studium als Psychologe auftreten und sogar eine bestimmte Schule der Psychonanalyse gegen Abweichler verteidigen? Weil es keine Wissenschaft, sondern Schriftstellerei ist.
Schmidbauer sagt die Gemeinplätze der Psychoanalyse auf, verziert mit einigen Anekdötchen aus eigenen Gruppentherapien usw. (Freud sprach in solchen Fällen ganz gravitätisch von seiner „klinischen Erfahrung“). „Wer den Bruderzwist im Hause Windsor studiert...“ Aber er hat ihn gar nicht studiert, sondern allenfalls Harrys Buch gelesen – manche lesen ja sehr schnell. Wir würdigen natürlich die literarische Anspielung "Bruderzwist im Hause...", auch wenn sie zur Sache nichts beiträgt. „Werden da nicht Handgreiflichkeiten beschrieben, weil sich der kleine Bruder an die falsche Frau weggeschmissen hat?“ Man wird doch mal fragen dürfen. Aber wir können Schmidbauer nicht antworten, weil wir auch nicht mehr wissen als er.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.01.2023 um 04.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50262
|
Hirnscans zeigen nicht, wo das Substantiv Hammer gespeichert ist oder verarbeitet („processed“) wird, sondern sie zeigen ein neuronales Korrelat zu einem Input, der vollständiger analysiert folgendes umfaßt: Der Proband wird zu einem Verstellungsspiel aufgefordert, zu dem das laute oder stumme Aussprechen von Hammer gehört, also im Modus des Anführens, nicht des Verwendens; dazu gegebenfalls die nicht ganz verstandene Reaktion auf die Aufforderung, sich etwas „vorzustellen“; bei einer Werkzeugbezeichnung wirkt vermutlich stets mehr oder weniger das psychomotorische oder ideomotorische Prinzip (Carpenter-Effekt) mit, also eine Beimischung von rudimentärer Muskelinnervation, wie sie bei der Werkzeugbenutzung stattfinden würde usw. Nicht verstanden ist dieser Zusammenhang in dem Maße, wie Denken, Vorstellen usw., auf die der Effekt bezogen wird, ungeklärte folkpsychologische Begriffe sind.
Was die bildgebenden Verfahren hervorbringen, sind zwar reale Daten (wenn auch auf eine dem staunenden Publikum verborgene komplizierte Weise errechnet), aber ihre Deutung durch die Urheber selbst ist naiv und aufklärungsbedürftig. Sie wissen buchstäblich nicht, was sie tun, weil sie den Input, den sie ihren Probanden geben, nicht vollständig analysiert haben.
Angesichts abenteuerlicher Ansprüche von Neurolinguisten (es sei nun geklärt, wie Sprache im Gehirn verarbeitet wird usw.) kann die Kritik nicht entschieden genug ausfallen. Die beiden großen Bücher, die der Neurologe Bennett und der Philosoph Hacker gemeinsam verfaßt haben, sind bahnbrechend, könnten aber noch vom behavioristischen Standpunkt aus ergänzt werden, der bisher nur in verstreuten Aufsätzen ausgeführt worden ist.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2023 um 05.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50198
|
Nachtrag: Die "genannten Gründe" stehen, wie ich gerade sehe, in einem anderen Strang: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1240#44729
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2023 um 05.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50197
|
In Sprachursprungshypothesen wird immer wieder auf anatomische Voraussetzungen der heute bekannten Menschensprache hingewiesen. Philip Lieberman folgerte aus dem höher sitzenden Kehlkopf der Neandertaler, daß sie sich bei den Grundvokalen um 30 Prozemt öfter verhören mußten als wir. Es ist aber aus den genannten Gründen anzunehmen, daß zu einem anderen Lautrepertoire auch eine andere Wahrnehmung gehört hätte. Ist es denkbar, daß Frühmenschen eine Sprache entwickelten, die sie in einem großen Teil der Fälle – bei 30 Prozent muß es ja nicht bleiben – selbst nicht verstanden? Warum sollten sie sich mit unseren Grundvokalen abgemüht haben?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2023 um 04.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50196
|
In einem Wissenschaftsmagazin wird über eine vergleichende Untersuchung von Fluchwörtern in verschiedenen Sprachen berichtet. Man glaubt feststellen zu können, daß sie gewisse phonetische Gemeinsamkeiten haben, an denen auch ein Sprachunkundiger sie erkennt.
Das wird stimmen, aber die Forscher erwähnen nicht, daß solche Wörter stets mit einer gewissen Emphase gesprochen werden. Die Intonation und Artikulation gehört zur Wortform dazu. Im Experiment kamen sie in neutralem Ton vom Band. Bekanntlich gibt es zum Beispiel bei Interjektionen Lautstrukturen, die sonst in der Sprache nicht vorkommen („tja“). Beim Überrreichen eines Gegenstandes kann man „da!“ sagen – mit einem kurzen a wie in „ha!“; das ist ebenfalls im Normalwortschatz nicht möglich. So kommt es auch beim Fluchen (Definition?) zu Konsonantenschärfungen und anderen Besonderheiten. Die sprachwissenschaftlichen Arbeiten zu solchen Themen scheinen den Psychologen nicht bekannt zu sein.
In „Max Planck Forschung“ wird über vergleichende musikpsychologische Studien berichtet. Sofort und ohne Begründung geht der Text zu „mentalen Repräsentationen“ über, und dabei bleibt es. Die „Forschenden“ scheinen keinerlei Problembewußtsein zu haben, was die Einführung solcher Fiktionen betrifft.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2023 um 10.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50184
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46622
Die Beschreibung des Neandertalers erinnert an das Klischee vom Neger: starke Muskeln, schwere Zunge im prognathen Schädel...
Noch die gemalten und plastischen Rekonstruktionen des Neandertalers und seiner niedlichen Kinder, die man heute so oft bewundern kann, wirken zwar nicht mehr so wild, aber doch ein bißchen tölpelhaft; feine Empfindungen traut man ihnen nicht zu.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2023 um 10.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50174
|
Kognitionsforscher nehmen an, daß es im Geist oder im Gehirn einen Speicher für Wortformen und einen Speicher für Wortbedeutungen gibt. Wie soll man sich das vorstellen? Nicht einmal ein Wörterbuch speichert ja Wortbedeutungen (was immer das sein mag), sondern Synonyme, Übersetzungsäquivalente und Paraphrasen. Die könnte man herausnehmen und als eigene Liste speichern. Sprechen und Verstehen bestünde dann wohl darin, Elemente der einen Liste Elementen der anderen Liste zuzuordnen. Wer tut das und nach welchen Regeln? Ich weiß es nicht und halte es auch nicht für meine Aufgabe, den Unsinn, den andere sich ausgedacht haben, in eine manierliche Form zu bringen. Das müssen sie schon selber tun. Aber Fehlanzeige, wenn man danach sucht. Stattdessen bunte Bilder von Hirnscans. Wir sind überwältigt von soviel Evidenz.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2023 um 09.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50173
|
Essentially, the brain uses an alphabet of around 42 different elements, each referring to a specific concept like size, color, or location. The brain combines those together to form complex thoughts.
Each of the "letters" in the brain’s alphabet is handled by a different part of the brain, so by studying brain activity with an MRI machine it’s possible to determine what a person is thinking about.
Mir ist es kürzlich gelungen, im Gehirn von Frauen eine Region nachzuweisen, die für die Verarbeitung fränkischer Regionalzeitungen zuständig ist. Meine Arbeit wird zur Zeit peer-reviewt und erscheint dann in "Studies in Brain Porn".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2022 um 09.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50153
|
Wikipedia über Zungenrede (Glossolalie):
Der Psychiater Andrew Newberg an der Universität von Pennsylvania führte 2006 eine Untersuchung über die Vorgänge im Gehirn während der Zungenrede durch. Er testete fünf Frauen und maß ihre Hirnaktivität während der Zungenrede und während des Singens von Gospels. Bei allen fünf Frauen hörte die Aktivität im Frontallappen während der Zungenrede praktisch auf, was auf eine Reduktion der Selbstkontrolle hinweist, während die Aktivität im Parietallappen zunahm (umgekehrt zur Meditation). Diese Reduktion der Selbstkontrolle entspricht den Aussagen von Leuten, die die Zungenrede praktizieren.
Was bedeutet Selbstkontrolle? Daß eine gewisse Kontrolle aussetzt, war ohnehin klar. „Selbstkontrolle“ ist ein Begriff, der weder verhaltensanalytisch noch physiologisch ratifiziert werden kann. Was immer im Frontallappen geschieht – „Selbstkontrolle“ kann es nicht sein. Zungenrede folgt laut- und silbenphonologisch weitgehend der Muttersprache, wird aber nicht durch Gegenstände und kaum durch Partner und andere Umstände gesteuert.
Voraussehbar die Deutung des Psychoanalytikers:
Der Psychoanalytiker Karl Motesiczky verglich in einer 1937 verfassten Studie das Phänomen mit einem Orgasmus und interpretierte es als eine Form der sexuellen Sublimierung.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2022 um 03.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50133
|
Sind Menschen mit ADHS besonders kreativ? Längere Erörterungen darüber kranken daran, daß Kreativität nicht definiert ist. Eine Frau bezeichnet sich selbst als „hibbelig“ und „kreativ“. Was soll man damit anfangen? Es ist kein verwertbares Datum.
Ich hatte schon zitiert: ‘Creativity’ was one of the shabbiest of explanatory fictions, and it tended to be used by the least creative of people. (B. F. Skinner: A matter of consequences. New York 1983:304) (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1477#19300 )
Es gab mal eine "Hitliste der abgedroschenen Selbstbeschreibungen" (auf den Tag genau vor zehn Jahren in der Zeit vom 29.12.12):
„Die zehn meistgenutzten Schlagwörter in deutschen Profilen sind:
1. Kreativ
2. Verantwortungsbewusst
3. Analytisch
4. Motiviert
5. Innovativ
6. Erfolgsorientiert
7. Organisiert
8. Kommunikative Fähigkeiten
9. Effektiv
10. Internationale Erfahrung“
Das ist natürlich alles Unsinn.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2022 um 06.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50113
|
„Bereits 2006 hatten Manfra und Winsler in einer Studie berichtet, dass sich etwa die Hälfte der Drei- bis Fünfjährigen über das ‘Wesen’ des Selbstgesprächs – nämlich die Kommunikation mit der eigenen Person – im Klaren sei.“ (Spektrum der Wissenschaft 24.11.11)
Das wäre erstaunlich, denn ich selbst zum Beispiel bin mir über dieses Wesen des Selbstgesprächs gar nicht im klaren. Hier ist die Lösung:
„Winsler und seine Kollegen Louis Manfra und Rafael Diaz stellten in einer 2007 veröffentlichten Studie rund 80 Drei- bis Fünfjährigen diverse Rätsel. Mal wurde den kleinen Probanden dabei ausdrücklich aufgetragen, mit sich selbst zu sprechen; dann wiederum sollten sie das nicht tun.“ (ebd.)
Die Grundannahme über das Wesen des Selbstgesprächs wird also bereits in die Kinder hineingeredet. Kein Wunder, daß sie dann eine „Kommunikation mit der eigenen Person“ annehmen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.12.2022 um 04.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50070
|
Die Experten für Körpersprache greifen gern etwas heraus, was ihnen auffällt, und korrelieren es mit einer Wald- und Wiesenpsychologie, ohne sich je um die empirische Validierung ihrer Methode zu kümmern. Es fragt auch niemand danach. Das Ergebnis klingt naturgemäß immer sehr plausibel – wie Horoskope, Graphologie usw. Besonders bei Politikern bringen sie in ihrer Deutung unter, was sie von den Personen zu wissen glauben und was sie davon halten. Dafür gibt es immer Anzeichen in Haltung, Bewegung, Kleidung.
Parawissenschaften vertreten anders als Pseudowissenschaften Thesen, die im Prinzip zutreffen könnten, aber wegen der unzulänglichen Methoden und des angemaßten Wissens nicht zutreffen bzw. nicht überprüfbar sind.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.12.2022 um 11.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50056
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50033
Der gleiche Unsinn aus derselben Quelle heute in der SZ. Die Vermenschlichung ist eher noch weiter getrieben. Überschrift: "Was Papageien sprechen läßt".
Auf anderen Gebieten würde man sich eine solche primitive Verbiegung der Tatsachen weder leisten noch gefallen lassen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2022 um 07.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50044
|
Psychologische Experimente mit einzelnen Wörtern als Stimulus sind sehr beliebt, wohl auch wegen ihrer Einfachheit und bequemen Wiederholbarkeit. Dabei wird oft übersehen, wie künstlich das Herauspräparieren bloßer Wortformen aus natürlichen Verwendungen eigentlich ist. Wörter stehen nicht in Nomenklaturen für die Dinge, sondern ihr Vorkommen ist von Situation und Kontext abhängig. Die scheinbar isolierte Darbietung auf dem Monitor oder über den Kopfhörer schafft einen linguistisch nicht durchschauten neuen Kontext. Die Versuchsleiter, die das nicht berücksichtigen, wissen buchstäblich nicht, was sie tun. So sind denn auch ihre Ergebnisse zu beurteilen, besonders die bunten Bilder, die aus dem Hirnscan errechnet werden. Man glaubt dann Zentren für Substantive, für Werkzeugnamen usw. zu erkennen. Das muß alles weg.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.12.2022 um 05.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#50033
|
Amerikanische Forscher haben Berichte von Papageienhaltern über das Sprachvermögen ihrer Vögel gesammelt. Das größte Repertoire hätten Graupapageien mit durchschnittlich 90 Wörtern. „Interessant ist, dass den Tieren womöglich auch bewusst ist, in welchem Kontext sie die Wörter und Sätze nutzen.“ (FAS 10.12.22, nach Scientific Reports)
Das ist natürlich alles Unsinn. Papageien haben keine Wörter, sondern imitieren Geräusche, u. a. solche, die der Beobachter als Wörter einer Sprache wiedererkennt; die Tiere selbst haben keine Sprache. Tierhalter darf man nicht nach den Fähigkeiten ihrer Lieblinge fragen, sonst kommt so etwas heraus wie Irene Pepperbergs Papageiengeschichten oder die ökologische Philosophie eines Gorillas.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2022 um 04.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49980
|
Viel Eindruck macht es auch, wenn "Neurolinguisten" etwas vom "Brodman-Areal 44/45" murmeln. Man kann das dann mit einer der vielen Fassungen von Chomskys Sprachtheorie verbinden usw. Dan Everett (How language began) ist einer der wenigen, die sich kritisch mit Angela Friederici beschäftigen. In die Pseudowissenschaft "Neurolinguistik" wird viel Geld gesteckt. Das liegt sicher auch an den schönen bunten Bildchen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2022 um 05.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49952
|
Zum vorigen: Das Bild des Endprodukts im Kopf zu haben oder sich vorzustellen, wie etwas am Ende aussehen soll – das ist alles andere als klar. Sollte es sich um eine Art Halluzination handeln? Wir wissen, wie täuschbar die „Vorstellung“ ist; ich habe verschiedentlich daran erinnert, wie illusorisch es ist, „etwas genau vor sich zu sehen“. „Ich kann es mir vorstellen“ ist eine Redeweise, kein Protokoll von Ereignissen auf der mentalen Theaterbühne.
Wenn wir gelernt haben, wie etwas gemacht wird, dann "wissen" wir, wie es weitergeht, aber das ist nichts Theoretisches, sondern eigentlich nur das Können noch einmal. Man denke an das Bauen eines Hauses aus Bauklötzen, an das Spielen eines Musikstücks oder an das Reifenwechseln.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2022 um 05.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49951
|
Fachfremde erliegen leicht der Versuchung, zur Erklärung kultureller Entwicklungen etwas vom „präfrontalen Kortex“ usw. zu murmeln. So auch Daniel Everett in seinem ansonsten sehr lesenwerten Buch:
„In the first place, making tools requires planning, imagination (having an image of what the final tools should look like) and communication of some sort for instructing (even if only by example) others, e.g. people from a younger generation, in how to make tools. The sequential operations call upon the prefrontal cortex and produce cultural selectional pressure for more cortical horsepower. However this pressure might have worked, the larger prefrontal cortex of earlier Homo, relative to Australopithecene tool makers, responded to this need.“ (Daniel Everett: How Language Began: The Story of Humanity’s Greatest Invention. Croydon 2018:96; korrigiert)
Ein großes Gehirn ist eine feine Sache, aber erklärt ist auf diese Weise nichts. Das gleiche gilt für andere Regionen des Gehirns, die man schon für solche Zwecke in Anspruch genommen hat.
Richtig gesehen ist die Bedeutung des Unterweisens (s. zu "Homo docens"). Was dagegen Planen und Vorstellen sind, bedarf einer naturalistischen Rekonstruktion, auch wenn die Folk psychology uns vorspiegelt, es sei schon klar.
Platon meinte, wenn der Schreiner ein Bett macht, muß er eine Vorstellung vom Bett im Kopf haben. (Ideenlehre: Wenn wir gut handeln wollen, müssen wir die Idee des Guten kennen.) Aber selbst wenn es so etwas gäbe – würde es etwas erklären? Ein Bett zu machen will gelernt sein; das Bild eines Bettes kann ikeamäßig helfen, aber es reicht nicht aus.
Das soll hier nur nebenbei erwähnt sein, der Hauptpunkt ist, daß das neurologisierende Gemurmel endlich aufhört.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.11.2022 um 06.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49917
|
Die Enkelin (0;10) sitzt vor dem Spiegel auf dem Boden, betrachtet mehrere Minuten ihr Bild und ihre Bewegungen, drückt zum Schluß ihren Mund zu einem Kuß auf das Glas und wendet sich dann ab. Es ist nicht zu erraten, was sie sich dabei denkt, also ob sie „sich selbst erkennt“. Es erinnert an den Hund, der sich vor dem Spiegel selbst verbellt, dann nur noch beobachtet und bald das Interesse verliert – vermutlich weil der „andere Hund“ nicht so reagiert wie ein anderer Hund, sondern auf eine unverständliche Weise, die wie alles Unverständliche ignoriert wird. (Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#38567)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2022 um 05.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49863
|
Ein Psychiater erklärt, warum es so schwer ist, mit dem Fasten anzufangen:
„Es geht darum, die Fähigkeit zu entwickeln, ‚Nein‘ zu sagen, welche von neuronalen Prozessen im präfrontalen Kortex gesteuert wird.“ (FAS 4.11.22)
= Beim Fasten geht es darum, auf das Essen zu verzichten. Das Gerade vom Kortex ist imponiersprachliche Verschnörkelung. „Neuronal“ sind alle Proesse im Gehirn – was denn sonst? Googelt man nach dem „präfrontalen Kortex“, einem vergleichweise riesigen Gebiet, staunt man, was dort alles gesteuert wird. Daß das Neinsagen vom präfrontalen Kortex gesteuert werde, ist eine sinnlose Aussage. (Der Arzt Stefan Brunnhuber ist „praktizierender Buddhist und Katholik und gibt an, seine professionellen Aktivitäten seien in die mystischen Traditionen und Praktiken der beständigen östlichen und westlichen Philosophien eingebettet.“ (Wikipedia)
Übrigens: Eine amerikanische Forscherin hat herausgefunden, daß gezuckertes Obst nicht so gesund ist wie frisches. Deutsche Medien berichten darüber.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.11.2022 um 07.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49860
|
Forschende haben nachgewiesen, daß Kinder mit einem narzißtischen Elternteil später einen ebensolchen Ehepartner wählen. Usw. Des Gequassels ist kein Ende (Kohelet 12,12).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.10.2022 um 06.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49848
|
„Frauen mit jüngerem Bruder verdienen im Schnitt weniger als Frauen mit jüngerer Schwester“ (SZ 31.10.22) Usw. – Windige statistische Grundlagen wie üblich, aber hübsche Schlagzeilen, und einen Namen hat das Kind auch schon: Brother Earnings Penalty. Auch der IQ wurde in Beziehung zur Geschwisterreihenfolge gesetzt. Die geringfügigen Unterschiede können darauf zurückgehen, daß die Tests eine nicht offensichtliche Beziehung zur leicht verschiedenen Sozialisation der Geschwister haben (wie bekanntlich auch zur Kultur und Schichtzugehörigkeit der Getesteten). Aber auch diese Spekulation meinerseits ist vielleicht gegenstandslos, weil es gar kein erklärungsbedürftiges Phänomen gibt.
Eine Leipziger Psychologin hat bei 85.000 Probanden statistisch zwar keinen Einfluß des Geschlechts von Geschwistern auf die Persönlichkeit gefunden, meint aber dennoch: „Ich bin mir relativ sicher, dass das Geschlecht von Geschwistern einen Einfluss auf die Entwicklung hat.“ Das geht immer.
Merke: Wer nach Korrelationen sucht, findet sie.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2022 um 05.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49843
|
Der „Publizist“ (Wikipedia) Harald Welzer (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#39412) wird in den Medien stark beachtet.
„Welzer kritisierte die minutenlangen Ovationen für den ukrainischen Schriftsteller Serhij Schadan bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2022. Auf der Lit.Cologne Spezial in Köln sagte Welzer, in Deutschland fühle man sich permanent aufgefordert, die Perspektive der angegriffenen Ukraine zu übernehmen. Deutschland sei aber keine Kriegspartei, sondern dritte Partei.“
Die Erwähnung solcher emphemeren Vorkommnisse in einem enzyklopädischen Lexikon wie Wikipedia finde ich ziemlich albern. Zur Sache selbst: Das Publikum bei einer Preisverleihung ist nicht gehalten, sich der außenpolitischen Position der Bundesregierung anzuschließen. Wie kommt Welzer nur auf ein so sonderbares Argument? Eine Festversammlung zu kritisieren, weil sie zu lange geklatscht hat!
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2022 um 07.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49820
|
Ich halte es für sinnlos, nach einem Wortspeicher (mentalen Lexikon) im Gehirn zu suchen. Es geht um Verhaltensweisen, die wir in bestimmten Zusammenhängen als Verwenden oder Zitieren (Vorführen) von Wörtern interpretieren. Gesteuert werden sie wie andere Verhaltensroutinen durch den „Universalcomputer“ Gehirn. Die neurophysiologische Forschungsaufgabe muß sinnvoll formuliert werden, bevor sie mit empirischen Methoden gelöst werden kann. Der Konstrukteur eines Computers hat es nicht mit Bildern oder eben Wörtern zu tun, sondern mit Transistoren usw. Ein "reverse engineering", der Neurolinguistik vergleichbar, muß danach suchen, nicht nach Wörtern und Sätzen, die durchaus zur Peripherie gehören, zur Gesellschaft, nicht zum Organismus.
Auch mit falschen Voraussetzungen und falschen Interpretationen kann man natürlich sehr schöne reale Hirnscan-Bilder erzeugen und der staunenden Öffentlichkeit präsentieren (s. die grotesken Zitate hier: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49339).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.10.2022 um 06.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49809
|
In einem weiteren Bericht über die Neandertaler im Vergleich zum Homo sapiens heißt es: „Dasselbe Phänomen finde man auch bei noch etwas weiter entfernten Verwandten des Menschen, nämlich bei Schimpansen.“ (SZ 20.10.22)
Die Wendung „noch etwas weiter entfernt“ suggeriert, daß die Neandertaler den Affen näher stehen als uns. Dazu mögen die phantasievollen Rekonstruktionen beigetragen haben, die man als Bilder oder Plastiken so oft gesehen hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2022 um 14.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49796
|
Sie können es nicht lassen:
Der ausgestorbene Neandertaler besaß zwar ein ähnlich großes Gehirn wie der moderne Mensch, möglicherweise aber weniger Nervenzellen in einer Region, die für höhere geistige Fähigkeiten wichtig ist. (...) – dieser winzige Unterschied könnte aber die geistigen Fähigkeiten des modernen Menschen verbessert haben. (Max Planck Forschung 3/22)
Forscher, die es eigentlich besser wissen, können anscheinend nicht über den Neandertaler reden, ohne ihm ein Defizit anzuhängen, das sein Aussterben begründet. Wie gesagt, der Neandertaler war ein Erfolgsmodell; er hat die Erde um ein Vielfaches länger besiedelt als bisher der „moderne Mensch“. Warum dieser ganz, ganz langsam eine Kultur akkumulierte, die ihn aus heutiger Sicht geradezu als Alien auf dieser Erde erscheinen läßt, wissen wir nicht. Es kann Zufall sein oder einen Grund haben, aber auf diese primitive Weise werden wir ihn nicht aufdecken.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.10.2022 um 04.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49732
|
Manche suchen nach Grundlagen der Sprache im Gehirn, andere im Genom.
Besser wäre es, sich erst einmal zu überlegen, woraus die Sprachfähigkeit sich zusammensetzt. Sie ist nur scheinbar etwas Einheitliches. Ich schlage vor – als Komponenten, die aber ihrerseits noch nicht elementar sein müssen:
Zeigfähigkeit
Vor- und Nachmachen
Verstellungsspiel
Abstraktion (Reiz- und Reaktionsgeneralisierung, auch unter Tieren weit verbreitet)
Diese Stichwörter sollen hier genügen, ich habe mich über jedes anderswo schon verbreitet.)
Wenn das so ist, dann sollte man nach organischen und evolutionären Grundlagen dieser Komponenten suchen, statt dem Substrat einer imaginären „Sprachkompetenz“ oder eines „Sprachinstinkts“ nachzujagen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2022 um 06.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49730
|
Die Zeitung faßt zusammen, welche Frage Pääbo beantworten will:
„Läßt sich im Erbgut des Homo sapiens eine Erklärung dafür finden, warum er und nicht seine Verwandten bis heute überlebt haben?“ (SZ 4.10.22)
Ich halte das für aussichtslos. Jede Art befindet sich über eine längere Zeit in einem prekären Gleichgewicht: Pflanzt sie sich etwas weniger fort, stirbt sie aus, d. h. sie macht die ökologische Nische frei für andere Lebewesen. Vermehrt sie sich etwas stärker, frißt sie ihr Biotop kahl und zerstört ihre eigenen Lebensgrundlagen. Es bedarf nur einer kleinen Veränderung in der Umwelt, um diese Homöostase zu stören. Davon werden wir aber paläontologisch nie genug wissen.
Übrigens kommt in den aktuellen Berichten zum Nobelpreis, die ich bisher gelesen habe, das FOXP2-Gen nicht mehr vor.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2022 um 04.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49729
|
Der Nobelpreis für Svante Pääbo ist gewiß hoch verdient. Allerdings hat die Forschergruppe auch den Hype (wie man heute wohl sagt) um das angebliche Sprachgen FOXP2 befördert, um das es inzwischen wieder stiller geworden ist. Der Neandertaler sollte es zunächst gehabt haben, dann wieder nicht, und man hat in diesem Zusammenhang über die Gründe seines Aussterbens spekuliert.
Es wurde damals hervorgehoben, daß Menschenaffen nicht über die "feinmotorische Steuerung" der Muskulatur in Mund und Rachen verfügten wie der Mensch. Das schien mir nicht der richtige Ansatz zu sein. Es kommt nicht auf die Feinmotorik an sich an, sondern auf deren Konditionierbarkeit, d. h. die Steuerung durch Hirnregionen, die durch (soziales) Lernen veränderbar sind. Die Feinmotorik würde wohl ausreichen, denn Schimpansen können ja zum Beispiel essen, ohne sich ständig auf die Zunge zu beißen. Und wie geschickt ihre Lippen sind, kann man leicht beobachten. Aber die Laute, die sie hervorbringen, sind so wenig konditionierbar wie Hundegebell. Darum ist man ja bald auf Gebärdensprache ausgewichen. Weiter hier: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1401#45464
Was die Sprachfähigkeit der Neandertaler und das Alter der Sprache betrifft, darf man sich nicht zu viel von Gensequenzierung erhoffen. Die erhaltenen Kultur-Relikte müssen ebenfalls einbezogen werden. Der Neandertaler konnte meiner Ansicht nach zweifellos sprechen. Und daß es ein perspektivischer Fehler ist, über die Ursachen des Aussterbens dieser überaus erfolgreichen Hominiden zu spekulieren, habe ich bereits ausgeführt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.09.2022 um 07.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49693
|
Fritz Breithaupt: Das narrative Gehirn – Was unsere Neuronen erzählen (Suhrkamp)
Verriß von Burkard Müller in der SZ.
Neuronen erzählen nichts. Breithaupt ist Literaturwissenschaftler, nennt sich aber auch Kognitionswissenschaftler. Mit Neuronen hat er nie zu tun gehabt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2022 um 07.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49684
|
„Warum meiden Menschen Informationen, die nicht zu ihrer Weltsicht passen? Lange nahmen Psychologen an, dass solche Fakten eben das Selbstbild bedrohen. Tatsächlich scheint es aber an Überheblichkeit und Zorn zu liegen.“ (Sebastian Herrmann in SZ 22.9.22, über Untersuchungen von Julia Minson u.a.)
Das eine ist so unwissenschaftlich wie das andere. Minson spricht von „affective perspective-taking“ und sieht offenbar kein Bedürfnis, solche folkpsychologischen Metaphern in Verhaltensbegriffe zu übersetzen. Man kann natürlich auch die Wald-und-Wiesen-Psychologie „experimentell“ bestätigen. Und das an der Harvard-Universität, wo einst Skinner die Standards setzte! Eine weitere halbe Seite Unsinn in der Süddeutschen Zeitung.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2022 um 08.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49677
|
„In fact, one of the most popular memes in linguistics (a meme I have been complicit in spreading, until now) is that the topic proved to be so speculative that the Linguistic Society of Paris banned all discussion of language evolution in 1866.“ (Daniel Dennett: From bacteria to Bach and back. London, New York 2017:248)
Das ist falsch. Nicht die Entwicklung, sondern der Ursprung der Sprache sollte nicht mehr Thema von Veröffentlichungen sein:
„La Société n’admet aucune communication concernant, soit l’origine du langage, soit la création d’un langage universelle.“
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.08.2022 um 19.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49630
|
Die Positive Psychologie wird in einer Arte-Sendung vorgestellt, nicht unkritisch (weil sie gesellschaftliche Mißstände ausklammert zugunsten der Selbstoptimierung funktionierender Beschäftigter). Seligman beruft sich auch auf Hirnscans, um seine Psychologie des Glücks zu unterfüttern. Das Ganze versteht sich als Alternative zur pessimistischen, krankheitsfixierten Psychoanalyse. Der Behaviorismus wird nicht erwähnt, auch nicht Skinners Anleitung zum erfüllten Leben (Walden Two; Beyond freedom and dignity; Enjoy old age). Skinner hat aber nicht das Selbstmanagement gelehrt, sondern die Einrichtung einer befriedigenden Umwelt, so auch in der Utopie Walden Two.
Es gibt auch Beziehungen zur Hypnose (Coué) und zum Autogenen Training und fernöstlichen Praktiken der Selbstbearbeitung. Aus der veränderten Einstellung soll mehr Tüchtigkeit und mehr Glück folgen. Der Charakter ist das Schicksal – das ist die Tradition dahinter.
Die breite Coaching-Industrie hängt an diesen Optimierungsideen. Der Nutzen ist nicht nachgewiesen. „Coaching ist in der Praxis ein schillerndes Modewort für traditionelle Lern-, Trainings und Beratungsaktivitäten.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Coaching
Seit der griechischen Sophistik bieten sich Berater an, die den Menschen Erfolg und Glück versprechen. Ebenso lange fehlt ein Beweis ihrer Wirksamkeit, aber das Geschäft blüht wie nie zuvor. Hinzugekommen ist die Pflicht zum Glücklichsein.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.08.2022 um 04.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49594
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1540#47978 und http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44112:
Der Kreationist Roger Liebi möchte zeigen, daß Darwins Theorie nicht neu war, und verweist auf antike Autoren, die aber nur die Entstehung und Veränderung der Arten und der Welt, nicht den Evolutionsgedanken vorgetragen haben. Daher behauptet er in Umkehrung der Tatsachen: „Durch die Verbreitung des Evangeliums in Europa wurde der Evolutionsgedanke nach und nach zurückgedrängt.“
Sprachwandel muß nicht nach dem Modell der Evolution erklärt werden und wird in der Tat von der historischen Sprachwissenschaft auch nicht so erklärt. Wie sogar Dawkins im Rahmen seiner Mem-Theorie erwägt, kann es sich bei der Verbreitung sprachlicher Neuerungen um „Shift“ und „Drift“ handeln – Veränderung ohne adaptiven Wert. Die germanische Lautverschiebung hatte gewiß keine „Verbesserung“ dieses Zweiges der indogermanischen Sprachfamilie zur Folge. Eine solche Vorstellung ist auch in der sogenannten Stammbaumtheorie nicht enthalten, über die man sich heute aus Unwissenheit lustig zu machen pflegt. Auch Liebi kämpft gegen einen Pappkameraden, um dann scheinbar logisch die biblischen Erzählungen als einzige Alternative einzuführen.
(Das Buch „Herkunft und Entwicklung der Sprachen“ ist eine Mischung aus Gelehrsamkeit und Wahn. Wenn hochgebildete Menschen auf der wortwörtlichen Wahrheit der Textsammlung „Bibel“ bestehen, ist der unbefangene Beobachter am Ende seiner Weisheit.)
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 08.08.2022 um 07.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49554
|
Wir sollten unterbewußter leben, dann würden wir nicht so viel auf Täuschungen hereinfallen.
https://heise.de/hintergrund/Das-Gehirn-erkennt-Deepfakes-aber-nur-unterbewusst-7190249.html
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.08.2022 um 15.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49530
|
Die Gedächtnispsychologie benutzt am liebsten Sprachmaterial, weil es sich leicht handhaben und jederzeit und überall reproduzieren läßt (natürliche Standardisierung), aber eigentlich ist etwas so Komplexes und Kulturgeprägtes sehr ungeeignet (abgesehen von der Unbrauchbarkeit in der Tierpsychologie). Ich habe noch in keinem Lehrbuch etwas darüber gelesen, was eigentlich geschieht, wenn jemand vergessen hat, wie etwas schmeckt oder riecht, und wenn es ihm wieder einfällt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.07.2022 um 06.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49509
|
"Cognitive science" ist eine seltsame Bezeichnung. Sie nennt eine Eigenschaft und spart den Gegenstand aus. Der läßt sich allerdings auch schwer dingfest machen:
„Ziel der Kognitionswissenschaft ist es, kognitive Fähigkeiten wie Wahrnehmen, Denken, Planen, Lernen, Sprechen und Handeln zu erforschen. Die noch junge Disziplin Cognitive Science beschäftigt sich primär mit dem wissenschaftlichen Studium von Gehirn und Geist und dies sowohl experimentell als auch theoretisch. Weiterhin geht es um die Erklärung menschlicher Sprache und non-verbalen Verhaltens, die Bildung künstlicher intelligenter Systeme sowie die Untersuchung von Wahrnehmung und Motorik. Methodisch wird dadurch ein Spannungsfeld abgesteckt, das von mathematischen Methoden über psychologische und neurowissenschaftliche Experimente bis hin zu Computermodellen mentaler Vorgänge und zur philosophischen Reflexion reicht.“ (Uni Osnabrück über den Studiengang Cognitive science)
Das Studium wird ebd. als interdisziplinär bezeichnet. Die metaphorische Rede vom „Spannungsfeld“ verdeckt das Problem.
Die Psychologin („Neurowissenschaftlerin“, „Hirnforscherin“) Julia F. Christensen, auch als Tanzlehrerin tätig, stellt in einem SZ-Interview die Vorzüge des Tanzens dar. Bezüge auf das Gehirn bleiben spekulativ und oberflächlich, in der Hauptsache geht es um populäre Psychologie und Allgemeinplätze. („Seit 04/2018 Autorin Populärwissenschaft“ heißt es in ihrem Lebenslauf bei der MPG.) Welche Beiträge sie zur Hirnforschung geleistet hat, ist nicht zu erkennen. Sie kommt nicht von der Medizin her, so daß „Neuro“ wohl im heute populären Sinn metaphorisch zu verstehen ist (vgl. „Nervenarzt“).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.07.2022 um 05.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49463
|
Stellvertretend für viele andere kann man Francis Crick („The astonishing hypothesis“) anführen:
Strictly speaking, each individual is certain only that he himself is conscious. For example, I know I am conscious. But your appearance and your behavior seem to me to be rather similar to mine, and in particular because you assure me that you are indeed conscious, I infer with a high degree of certainty that you, too, are conscious. (Teilweise auch bei Bennett/Hacker zitiert und anders als hier, aber mit dem gleichen Ergebnis kritisiert.)
Ich weiß zwar nicht, was du gerade denkst, aber ich kann aus begrifflichen Gründen nicht daran zweifeln, daß du überhaupt denkst, denn diese Voraussetzung ist das gemeinsame sprachliche Konstrukt, die transgressive Begrifflichkeit unserer geteilten Sprache. Das ist nichts, was man weiß, sondern etwas, was man kann. Ich kann so wenig sagen „Ich denke nicht“ wie „Du denkst nicht“. Man würde sagen, daß ich offenbar kein Deutsch kann, aber nicht, daß ich mich irre..)
Wenn ich denke keine Tatsachenbehauptung ist, sondern die exemplarische Bestätigung der „Geschäftsordnung“ der Sprache, dann lassen sich erst recht keine cartesianischen Schlüsse ("also bin ich") daraus ableiten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2022 um 07.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49398
|
„Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, Entscheidungen zu treffen.“ Das sagt der Sozialpsychologe Tilmann Betsch in der SZ vom 9.7.22. Angeblich treffen wir 20.000 Entscheidungen täglich, also alle drei Sekunden eine. Seltsamerweise soll ja auch eine Biene 20.000 Entscheidungen täglich treffen (nach Randolf Menzel).
Strukturalisten bieten mehr: Beim Sprechen wähle ich jedes Phonem aus dem Vorrat aus, treffe also pro Sekunde mindestens 20 Entscheidungen, und dabei ist das Artikulieren nur ein Teil meines Verhaltens.
Wenn sich diese Idee mit dem Neurobabble verbindet, wird es zappenduster.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2022 um 06.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49385
|
Die Musikpsychologin Diana Deutsch konnte zeigen, dass die Sprecher von Tonsprachen sehr viel häufiger ein absolutes Gehör besitzen: So zeigt eine Untersuchung in den USA, dass 52 Prozent der chinesischen Musikstudenten „absolut“ hören. Die Ursache liegt vermutlich in den dortigen Landessprachen begründet. In der chinesischen Standardsprache Mandarin variiert die inhaltliche Bedeutung einer Silbe mit der melodischen Kontur, in der sie ausgesprochen wird. Deshalb wird mit dem Erlernen der Sprache auch die Erkennung von Tonhöhen trainiert. (Wikipedia „Absolutes Gehör“)
Ob das einer Replikationsstudie standhalten würde? Sind die verschiedenen Elternhäuser berücksichtigt worden? Die Tonhöhen der Silben bzw. die Silbenkonturen sind gerade nicht absolut, sondern relativ (Intervalle), und die Sprechstimme ist nicht die Singstimme. Die chinesischen Töne sind einem historischem Sprachwandel zu verdanken. Die Chinesen müßte im Gleichschritt damit das absolute Gehör entwickelt haben – ist das wahrscheinlich?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2022 um 07.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49361
|
An der Replikationskrise verwundert, daß sie so spät zum Thema geworden ist. Die Wikipedia-Übersichten (https://de.wikipedia.org/wiki/Replikationskrise und https://en.wikipedia.org/wiki/Replication_crisis) behandeln auch die mutmaßlichen Ursachen dieser Zögerlichkeit. Wenn man Zeitungsberichte aus der Wissenschaft liest, sieht man immer noch das ungebrochene Vertrauen in die Zuverlässigkeit der vielen kleinen, alsbald in Vergessenheit geratenden Experimente, mit denen sich Studenten in aller Welt qualifizieren; eine Replikation lohnt sich in den meisten Fällen ohnehin nicht und wird daher nicht unternommen.
Noch vor der Replikationskrise war zu beobachten, daß viele Wissenschaftler besonders in den Geisteswissenschaften von vornherein auf empirische Nachweise verzichten. Das Experiment ist in den interpretierenden Disziplinen oft nicht möglich; ersatzweise werden historische Zeugnisse beigebracht. Die Sprachwissenschaft kennt beide Möglichkeiten.
Die Rhetorik schreibt seit der Antike bestimmten sprachlichen Mitteln bestimmte Wirkungen zu, ohne diesen Zusammenhang empirisch nachzuweisen. Das ist heute noch so, obwohl man unter Laborbedigungen einiges unternommen hat – aber in einer kontrollierten Versuchsanordnung mit freiwillig teilnehmenden Studenten herrschen eben ganz andere Bedingungen als in der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit ihren sehr realen Interessen. Das geht so weit, daß der zweifellos wirksamen Rede von Goebbels und Hitler die rhetorische Qualität abgesprochen wurde, obwohl sich rhetorische Qualität, wie schon Gorgias sagte, allein in der Wirkung erweist und nicht in der Folgsamkeit gegenüber den Regeln der Kunstrichter.
Lakoff schreibt der Metapher Wirkungen zu, die nicht einmal versuchsweise nachgewiesen sind. Auf diese haltlose Lehre gründet sich eine breite kommerzielle Beratungstätigkeit.
Über Paul Ekman ist inzwischen hinreichend viel bekannt, um seiner Theorie der Emotionen und des Gefühlsausdrucks gründlich zu mißtrauen (https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Ekman). Trotzdem wird sie unermüdlich weitergetragen.
Zur anwendungsbezogenen Literatur gehören auch die pädagogischen Werke, in denen angebliche Forschungsergebnisse der Psychologie und Medizin unkritisch weitergegeben werden. Die Kritik an Modethemen wie „Spiegelneuronen“, „False-belief-Tests“ usw. braucht Jahrzehnte, bis sie sich in der Pädagogik herumspricht. Chomskys Spekulationen über Spracherwerb beherrschten jahrelang die entwicklungspsychologische und sprachpädagogische Literatur.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2022 um 06.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49352
|
Es mag ja sein, daß die Rufe der Weißbüschelaffen getaktet sind wie die Silben der Menschensprache (Tübinger Forscher um Steffen R. Hage). Trotzdem ist es verfehlt, bei diesen und Resusaffen nach Vorläufern der Sprache zu suchen und dabei die Schimpansen und andere Menschenaffen zu überspringen. Die Schimpansen haben sich vor 6 Mill. Jahren von uns getrennt (vereinfacht ausgedrückt), die kleineren Affen vor etwa 40 oder 50 Millionen Jahren. Das ist keine Kleinigkeit, auch wenn Vögel natürlich noch viel weiter entfernt sind.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.06.2022 um 06.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49347
|
Psychologen haben herausgefunden, warum die Menschen schon immer über den Verfall der Sitten gejammert haben. In der SZ berichtet Sebastian Herrmann darüber. Er ist zuständig für Psychobabble aus aller Welt.
Hat man berücksichtigt, daß das Klagen über den Niedergang in manchen Gesellschaften zum guten Ton gehört und gar nicht die wirkliche Einschätzung wiedergibt, die sich vielleicht in anderem Verhalten niederschlägt? Richten sich die Menschen tatsächlich so ein, als ob sie mit einer ständigen Verschlechterung rechneten? Wie repräsentativ sind die Jeremiaden? Was der alte Nestor damit beabsichtigt, ist ja klar: die Schlappschwänze vor Troja sollen sich ein Beispiel an ihren Großvätern nehmen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.06.2022 um 13.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49345
|
„Deceiving one another is an essential part of social life. We cooperate with others by artfully manipulating relationships and misleading our competitors. (...) Our deceptions are made possible by our ability to see the world through others’ eyes and anticipate their actions. Philosophers and psychologists call this capacity ‘theory of mind’.“ (Sally Satel/Scott O. Lilienfeld: Brainwashed. The seductive appeal of mindless neuroscience. New York 2013:77)
Das ist wieder zu hoch gegriffen. Es bedarf keiner Intellektualisierung von Verstellungsverhalten zu einer „Theorie“. Auch entwickeln Kinder diese Fähigkeit nicht zwischen drei und vier, wie die Autoren ebd. meinen, sondern viel früher. Säuglinge verstehen sehr bald, wenn der Erwachsene Verstellungspiele mit ihnen treibt: daß er etwas „nicht ernst“ meint, Guck-guck-Spiele nicht das Verschwinden bedeuten usw. Es wäre absurd, diesem Spiel eine Theorie des Geistes unterzuschieben, und vor allem vollkommen überflüssig.
Das Buch ist aber sonst sehr lesenswert – sozusagen als leichte Kurzversion des umfangreichen und tiefgründigen Werkes von Bennett/Hacker.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2022 um 13.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49339
|
„Heute können wir sehr genau verfolgen was im Hirn vor sich geht, wenn sprachliche Äußerungen gehört oder gelesen werden“, sagt Ina Bornkessel-Schlesewsky.“ (Max-Planck-Gesellschaft)
„Wir können heute in Gehirne blicken und sehr genau sehen, wie Wörter verarbeitet werden.“ (Elisabeth Wehling, ZEIT 10.3.16)
„Nachdem im MPI für neuropsychologische Forschung die neuronale Sprachverarbeitung in extenso aufgeklärt wurde, erkundet die von Angela Friederici gegründete Arbeitsgruppe "Neurokognition von Musik" seit 1998 das Pendant. Denn Musik und Sprache sind beides Mittel der Kommunikation.“
In Wirklichkeit ist über die Sprachverarbeitung im Gehirn (falls ein solcher Ausdruck überhaupt Sinn hat) so gut wie nichts bekannt, allenfalls einige grobe Lokalisationen, die zum Teil Artefakte der Methode sind. (Einheiten von drei Kubikmillimeter sind verhältnismäßig groß. Außerdem wird oft nicht untersucht, für welche weiteren Funktionen die betreffenden Zentren zuständig sind. Schließlich ist daran zu erinnern, daß die Hirnscans nur die relative Stärken der Durchblutung stark hervorheben und andere beteiligte Regionen unter den Tisch fallen lassen.) Wir wissen nicht einmal, ob Sprache im Gehirn etwas Spezifisches ist und es nicht einfach um Reizleitung und Muskelsteuerung geht wie bei allen anderen Verhaltensweisen, die in diesem Fall als die historisch-kulturell entwickelte Kategorie Sprache interpretiert werden.
Da Lakoffs Metaphern-Buch als Grundlagenwerk der Kognitionswissenschaft, zumindest der kognitiven Linguistik gilt, bedeutet die Kritik daran auch eine Kritik am Kognitivismus. Die karikaturenhafte Anwendung durch Elisabeth Wehling zeigt die Schwächen wie unter dem Vergrößerungsglas, auch den skandalträchtigen Mißbrauch für politische Zwecke, wodurch sich schon Lakoff in den USA ins Abseits manövrierte. (Wehling gab der ARD Ratschläge, wie durch Manipulation der Bevölkerung, also „Framing“, die Akzeptanz des Rundfunkbeitrags verbessert werden könne.)
Bekanntlich leidet die Rhetorikforschung seit Beginn darunter, daß ihre Wirkungshypothesen nicht empirisch geprüft werden können. Laborversuche, meist mit Studenten, sind von vornherein unsicher, weil die wirkliche Redekunst von Demosthenes und Cicero bis Goebbels in unwiederholbaren historischen Situationen stattfand und ihre Wirkung hatte. Das gleiche gilt – nun aber unverzeihlicherweise – für die Framing-Theorie Lakoffs und seiner Anhänger, ebenso für die oft damit verbundenen Spekulationen der Neurorhetorik und des Neuromarketing (vgl. Sally Satel/Scott O. Lilienfeld: Brainwashed. The seductive appeal of mindless neuroscience. New York 2013.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.06.2022 um 13.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49312
|
Wenn man versucht, einen Traum zu erzählen, dann hat man oft das Gefühl, daß die Sprache versagt – um so mehr, je frischer Traum noch "gegenwärtig" ist. Die Sprache ist eben an die gemeinsame öffentliche Welt angepaßt, nicht an die jeweils eigene innere Welt (idios kosmos), in die – nach Heraklits Wort – jeder im Schlaf eintaucht (DK B 89).
Traumforscher vermuten, daß der Traumerzählung jeweils ein unbestimmter Anteil von Konvention beigemischt ist, die erst im Augenblick der Erzählung hinzutritt, damit das Ganze überhaupt erzählbar wird. Schriftsteller haben auf verschiedene Weisen versucht, diese Hürde zu überwinden und die Unmittelbarkeit des "Erlebens" irgendwie an den Leser zu bringen. Auch Bilder und Filme versuchen es.
Kurz gesagt: Wer spricht, bringt schon Zusammenhang, Kohärenz, Sinn in seinen Stoff.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2022 um 05.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49251
|
Das Kind lernt von den Erwachsenen, daß man denken kann, sich etwas vorstellen kann usw. Es schließt nicht von sich auf andere. Es kann später durchaus mitlernen, daß seine innere Welt strikt privat ist und daß man nicht sicher sein kann, daß andere auch eine haben. Dieser cartesische Zweifel gehört zur Folklore, die überliefert und geglaubt wird. Die Wirklichkeit sieht so aus:
Das kleine Mädchen (0;5,10) führt einen Dialog mit dem Erwachsenen, indem es alternierend mit dessen Beiträgen gurrende Laute erzeugt, wobei man deutlich den Eindruck hat, daß es sie an den Partner richtet und von dessen Antworten verstärkt wird. Es lernt, die Laute willkürlich einzusetzen und Herr darüber zu sein. Dabei ständiger Blickkontakt und sichtliche Freude daran (was man leicht operationalisieren könnte).
Gemeinsamkeit (Reziprozität, Austausch) ist anscheinend selbstverstärkend. Das Kind erlebt sozusagen „wir“ und nicht „auch einer wie ich“. Ich erwarte beim Kind mit 8 oder 9 Monaten daher auch keine solche kognitive Revolution wie von Tomasello behauptet, habe auch bei meinen Kindern nichts dergleichen protokolliert (damals noch ohne Kenntnis von Tomasellos Thesen).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2022 um 07.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49213
|
Zwei Katzen teilen sich manchmal dasselbe Revier. Die eine herrscht tagsüber, die andere hat Nachtschicht.
Wenn zwei Kater sich im selben Revier begegnen, herrscht Hochspannung. Man sieht es am Zucken der Schwanzspitze. Zwischendurch tun beide so, als ginge sie das Ganze nichts an, schauen scheinbar desinteressiert in der Gegend umher usw. Unter einer Viertelstunde gegenseitigen Belauerns geht es nicht ab, bis sie einen gesichtwahrenden Modus vivendi gefunden haben. Gibt es eine feline literarische Entsprechung zu Thomas Manns „Herr und Hund“?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2022 um 06.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49212
|
Nach einer neuen Theorie haben die Giraffen ihre langen Hälse nicht (nur) wegen des Abweidens von Bäumen entwickelt, sondern (auch) weil sie dann im Balzkampf ihre Köpfe wuchtiger gegeneinander schlagen konnten, was wiederum den Giraffenkühen imponierte (sexuelle Selektion). Die Kühe zogen nach. Dazu werden auch fossile Funde herangezogen.
Nicht sehr überzeugend, aber so ist das mit vielem, was unter das Handicap-Prinzip fällt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2022 um 08.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49204
|
Ich hatte schon auf die interessante Theorie von Attneave, Barlow usw. hingewiesen. Es gibt einen kurzen neueren Text von Dawkins dazu, den ich in einem der Sammelbände von John Brockman gefunden habe und der auch hier zu lesen ist: https://www.edge.org/response-detail/10369
Dazu: https://en.wikipedia.org/wiki/Efficient_coding_hypothesis
Das Ganze nagt weiter an der populären Annahme von Bildern oder Repräsentationen im Gehirn.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2022 um 07.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49188
|
Soweit ich sehe, ist der Schwänzeltanz der Bienen immer noch sehr umstritten. Ruth Millikan teilte irgendwo mit, daß die Bienen ihre eigene Sprache nicht verstehen: Sie folgen keineswegs den Instruktionen, die sie ihren Genossinnen erteilen, sondern fliegen genau so herum wie zuvor. Wenn das zuträfe, würde es allerdings unser Bild stark erschüttern.
Man muß Tierbeobachtungen überhaupt mit Vorsicht genießen. Wenn jemand behauptet, 5.000 Äußerungen von Schimpansen beobachtet und davon 300 verschiedene Typen semantisch gedeutet zu haben, braucht man nicht weiterzulesen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.05.2022 um 05.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49164
|
"Schimpansen bilden Sätze"
Tina Baier berichtet in der SZ über Forschungen an zwei Max-Planck-Instituten. (https://www.sueddeutsche.de/wissen/kommunikation-sprache-schimpansen-1.5593091)
Sie hätte auch schreiben können "Schimpansen bilden keine Sätze", denn darauf läuft es hinaus. Die Lauttypen, die man bei den Schimpansen identifiziert hat, kommen auch in verschiedenen Kombinationen vor. Wie weit das ein Artefakt der Methode ist, wäre zu untersuchen. Es ist ja von bei einem solchen Vorgehen vornherein ausgeschlossen, daß man keine rekurrenten Teile von Äußerungen beobachten kann.
(Primatenforscher, Neurologen usw. haben oft eine naive Auffassung von Sprache.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.05.2022 um 05.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49137
|
Psychologiestudenten brauchen Themen, mit denen sie sich qualifizieren. Der Name des Studienleiters steht branchentypisch immer in der Titelei, und die Pressestelle der Uni sorgt dafür, daß wenigstens ein kleiner Teil in die Medien geschleust wird. Man findet also heraus:
Kleinstadtbürger erkennen Gesichter schlechter als Großstadtbewohner.
Weche Biersorten jemand bevorzugt, läßt auf seine politische Einstellung schließen.
Niemand wird solche Studien replizieren, daher bleiben sie unwiderlegt, auch wenn sie noch so windig sind. Die weichen Daten werden, wie man es gelernt hat, mit harter Statistik unkenntlich gemacht. Der Leser ahnt, daß die Ergebnisse anders ausgefallen wären, wenn man mehr und andere Probanden befragt oder mehr Parameter genutzt hätte, aber es ist sowieso alles egal. Psychologie kann wegfallen.
|
Kommentar von , verfaßt am 18.05.2022 um 04.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49120
|
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.05.2022 um 05.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49104
|
Die Illusion, daß Gefühle Zustände („mental states“ laut Wikipedia s. v. Emotion) sind, ist nicht erstaunlicher als die, daß Bekanntheit ein Merkmal des Bekannten ist. Auf den ersten Blick evident wahr, auf den zweiten sinnlos.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.05.2022 um 05.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49099
|
Es gibt keine Physiologie der Gefühle, seien es die „Basisemotionen“ (nach Ekman: Angst, Trauer, Ärger, Ekel, Freude, Überraschung) oder die vielen anderen (Scham, Verlegenheit, Heimweh), da es sich nicht um Zustände, sondern um interpretierte Episoden handelt. Die Interpretation ist etwas Gesellschaftliches und kann kein physiologisches Substrat haben.
Selbst wenn es wenigstens statistisch eine jeweils spezifische physiologische Entsprechung zu den Gefühlen gäbe und wenn es möglich wäre, sie etwa durch Hirnreizungen herzustellen, würden daraus keine Gefühle hervorgehen. Es käme nicht zur entsprechenden Interpretation der Zustände durch die zugehörigen Geschichten, die „Erlebnisse“.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.05.2022 um 04.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49092
|
„Die Frage, ob man Tieren einen Geist zuschreiben kann, hat Menschen vermutlich seit den Gemälden in Lascaux beschäftigt.“ (Markus Wild https://www.information-philosophie.de/?a=1&t=5736&n=2&y=1&c=60#)
Man braucht diese Worte nicht auf die Goldwaage zu legen, um Zweifel an der ganzen Sichtweise anzumelden. Erstens ist das Konstrukt des Geistes im Sinne dieser Philosophen noch nicht alt. Es ist nicht auszudenken, in welcher Form diese Frage die Menschen hätte beschäftigen können, bevor sie das sprachliche Konstrukt ausgearbeitet hatten. Zweitens: Daß Tiere irgendwie beseelt sind, mit einander und mit dem Menschen kommunizieren können usw., stand wahrscheinlich immer fest. Sogar Teile der Natur, die wir heute für unbelebt halten wie Berge oder für nur vegetativ belebt wie Pflanzen, gehörten zu einem Weltbild, das man animistisch zu nennen pflegt und personalistisch nennen sollte. Nicht ob Tiere einen Geist haben, sondern wie man sie erbeutet, sich vor ihnen schützt, sie versöhnt und günstig stimmt, dürfte die Menschen beschäftigt haben. Man könnte natürlich argumentieren, gerade in dieser Praxis stecke die Zuschreibung eines Geistes, aber das wäre ein Petitio principii, denn um die historische Herleitung eines solchen Konstrukts aus der Praxis geht es ja gerade.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.05.2022 um 04.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49070
|
Im Sammelband „Philosophie der Gegenwart“, hg. von Julian Nida-Rümelin (Kröner), gibt es ein Kapitel über Chomsky, der als bedeutendster Linguist des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird. Nach meiner Auffassung von Sprachwissenschaft ist Chomsky überhaupt kein Linguist. (Er gibt selbst zu, daß die generative Grammatik keinerlei Erkenntnisse über die Sprache – und erst recht über die Sprachen – zutage gefördert hat.) Bemerkenswerterweise steht er ja auch auf bekannten Listen der bedeutendsten Psychologen und nun eben hier unter den Philosophen. Seine Geist-Metaphysik und spekulative Sprachursprungsthese sind der Grund, warum Wikipedia ihn zu den „durch ihren jüdischen Hintergrund geprägten Philosophen“ stellt, also eigentlich zu den jüdischen Theologen. Er schreibt seit längerem hauptsächlich über Politik. – Eine schillernde Figur.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.05.2022 um 07.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49052
|
Judith Hermann hat, wie sie in ihrer Poetikvorlesung erzählt, in zehn Jahren 1.500 Stunden, dreimal wöchentlich 45 Minuten, auf der Couch „ihres Psychoanalytikers“ verbracht (und sich dabei in ihn verliebt und wieder entliebt). Dabei habe er insgesamt nicht mehr als fünf Sätze geäußert. Eine Stunde dürfte rund 80 € gekostet haben, macht 120.000 € (24.000 € pro Satz).
Schon Freud kassierte ähnlich ab und besprach mit seinem Freund Fliess, wie man die reichen Wiener Jüdinnen möglichst auf Dauer melken könne. Schließlich finanzierten einige wenige Damen den ganzen großbürgerlichen Freudschen Haushalt.
Das war schon immer bekannt, aber warum fallen die Leute heute noch darauf herein?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.05.2022 um 05.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49051
|
„... das Bewusstsein von Kleinkindern in den ersten drei Lebensjahren ist dem von Tieren auffallend ähnlich, wenn nicht gleich, jedenfalls sehr viel ähnlicher als dem von erwachsenen Menschen.“ (Ingo-Wolf Kittel: „Julian Jaynes – ein moderner Blick auf die Mutation vom mythischen zum mentalen Bewußtsein“)
Über das „Bewußtsein“ läßt sich vieles behaupten; das Verhalten von Tieren und dreijährigen Menschen jedenfalls ist völlig verschieden. Kittel stattet den erwachsenen Menschen mit viel „Selbst“ aus: mit der Fähigkeit zu „selbstbestimmtem Handeln auf der Grundlage von Selbstkenntnis und -erkenntnis, zu Selbstverstehen, Selbsteinschätzung und -beurteilung, zu Selbstkritik und Selbstvertrauen, zu einer Selbstsicherheit, aufgrund der Selbstbehauptung nicht auf Kosten anderer, sondern in frei gewählter und abgesprochener Kooperation mit anderen“. Auf dieser Grundlage ist die Zurückweisung jeder naturalistischen (Kittel: „szientistischen“) Sichtweise natürlich sehr leicht. Das Wort selbst ist die Allzweckwaffe des Mentalismus. Man kann diese Redeweisen nicht widerlegen, weil sie zur Bildungssprache gehören, deren Beherrschung man anderfalls verleugnen müßte.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2022 um 04.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49025
|
Die „theoretische Neurowissenschaft“ guckt nicht durch Mikroskope, sondern modelliert neuronale Netzwerke mathematisch. Das könnte sie in eine Reihe mit der Astronomie stellen, die ja auch nur noch selten durch Fernrohre guckt. Aber es gibt Unterschiede zwischen Neurologie und Himmelsmechanik. Man kann Planetenbahnen berechnen, auch wenn es die Planeten gar nicht gibt – es ist eine mathematisch sinnvolle Aufgabe. Aber welchen Sinn hat es, die Funktion von Spiegelneuronen mathematisch zu modellieren, wenn sich dann herausstellt, daß es gar keine Spiegelneuronen gibt? Immerhin glaubte Michael Arbib (Mathematiker und Informatiker, zugleich „theoretischer Neurowissenschaftler“) zur Sprachentwicklung, Aphasie usw. einen substantiellen Beitrag zu leisten, nachdem er Rizzolattis Spiegelneuronen-These beigetreten war. Auch viele andere Nichtneurologen haben Bestseller darüber geschrieben, als die Existenz spezieller Spiegelneuronen noch lange nicht feststand; heute ist sie umstrittener als je.
Die Simulation mit Hilfe sogenannter „neuronaler Netzwerke“ mag das gleiche Ergebnis erzeugen wie der Organismus, aber damit ist nichts für dessen wirkliche Funktionsweise gewonnen. Es ist immer der gleiche Irrtum, den ich als Planimeter-Trugschluß besprochen habe.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.04.2022 um 04.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#49011
|
„Whereas infants represent inanimate object motions as initiated on contact, they represent human actions as directed to goals.“ (Elizabeth Spelke: „Infant cognition“. In Robert A. Wilson/Frank C. Keil, Hg.: MIT Encyclopedia of the Cognitive Science. Cambridge, MA 1999: 402–404, S. 403)
„Repräsentieren“ bedeutet in der sogenannten „Kognitionswissenschaft“ alles und nichts. Hier steht es anscheinend für „verstehen, interpretieren“, und da die Babies auch eine „Theorie des Geistes“ entwickeln sollen, lange bevor sie ein Wort sprechen, ist alles möglich. Hirnscans, Nuckelversuche und Blickverfolgung beweisen es dann empirisch. Aus den verschiedenen Reaktionen der Säuglinge wird auf die Existenz zweier verschiedener (angeborener) „Systeme“ geschlossen, was immer das nun wieder ist. In Wirklichkeit beobachten wir nur, daß Kinder schon sehr früh zwischen Hantieren und Kommunizieren unterscheiden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2022 um 04.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48947
|
(Auch zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#38957)
Im Juli 2022 soll ein Buch von Lars Chittka erscheinen: The mind of a bee
Most of us are aware of the hive mind—the power of bees as an amazing collective. But do we know how uniquely intelligent bees are as individuals? In The Mind of a Bee, Lars Chittka draws from decades of research, including his own pioneering work, to argue that bees have remarkable cognitive abilities. He shows that they are profoundly smart, have distinct personalities, can recognize flowers and human faces, exhibit basic emotions, count, use simple tools, solve problems, and learn by observing others. They may even possess consciousness.
Taking readers deep into the sensory world of bees, Chittka illustrates how bee brains are unparalleled in the animal kingdom in terms of how much sophisticated material is packed into their tiny nervous systems. He looks at their innate behaviors and the ways their evolution as foragers may have contributed to their keen spatial memory. Chittka also examines the psychological differences between bees and the ethical dilemmas that arise in conservation and laboratory settings because bees feel and think. Throughout, he touches on the fascinating history behind the study of bee behavior.
Exploring an insect whose sensory experiences rival those of humans, The Mind of a Bee reveals the singular abilities of some of the world’s most incredible creatures.
Vom Inhalt gibt ein früherer Beitrag des Verfassers einen Eindruck: Lars Chittka: „Intelligente Bienen“. Deutsches Bienen-Journal 2018/2
Der Verfasser glaubt die Lehre von „einfachen Instinkten“ (Instinkte sind in dieser Literatur immer „einfach“ oder „simpel“, ebenso wie Reflexe) zurückweisen zu müssen. Er zeigt, daß Bienen lernen, also konditioniert werden können, was ja nicht neu ist.
„Instinkte bestimmen sicherlich die Lebensweise der Bienen. Um all ihre Aufgaben erledigen zu können, müssen sie aber auch lernen können und ein gutes Gedächtnis haben.“
Gedächtnis ist überflüssig, da es im Lernen – als dauerhafter Verhaltensänderung – schon inbegriffen ist. Bienen können konditioniert werden, das ist nicht neu.
„Wenn Bienen sich zwischen mehreren Orten hin und her bewegen, sind sie in der Lage, das ‚Problem* des Handlungsreisenden‘ zu lösen: Sie finden die kürzeste Route, auf der jeder Ort nur einmal besucht wird. Jeder, der Erfahrung damit hat, sich in der Natur über längere Strecken ohne Kompass zurechtzufinden, wird bezeugen, dass dies keine triviale Aufgabe ist. Sie verlangt eine hohe Aufmerksamkeit bezüglich Landmarken und Details der Umwelt, manchmal ein aktives Absuchen der Umgebung und eine effiziente Suchstrategie für den Fall, dass man vom Weg abgekommen ist. Bienen zeigen alle diese Verhaltensweisen und können Dutzende visueller Eindrücke im Gehirn abspeichern.“
Der typische Planimeter-Trugschluß: Die Aufgabe wird so formuliert, wie sie sich uns Menschen stellen würde.
Auch die „Lebenseinstellung“ einzelner Bienen aufgrund ihrer Erfahrungen, wie im Bericht von Tina Baier (SZ vom 14.4.22), ist schon vorgezeichnet:
„Diese Beobachtungen zeigen, dass Bienen nicht starr auf Signale aus der Umwelt reagieren. Vielmehr weisen sie gefühlsähnliche Zustände auf, die ihr Verhalten beeinflussen – je nachdem, ob die Biene aufgrund ihrer Erfahrung eher „optimistisch“ oder „pessimistisch“ eingestellt ist.“
Zum Schluß wird erwogen, daß auch einfache Gehirne „bewußtseinsähnliche Phänomene“ erzeugen können.
Die Sensation liegt im Auge des Betrachters. Manche können der Versuchung nicht widerstehen, der nüchternen, peer-reviewten Untersuchung etwas Enthusiastisches für die Menge folgen zu lassen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2022 um 05.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48941
|
Man sollte meinen, daß ein so gut abgrenzbarer Gegenstand wie der Schwänzeltanz der Honigbiene in nicht-kontroverser Weise erforscht werden könne. Das ist aber nicht der Fall.
Die Forscher sind sich wohl einig, daß es den Schwänzeltanz gibt, aber Tautz und andere bezweifeln die Genauigkeit und/oder Relevanz.
Wenn die Bienen nur in 10 % der Fälle die Information des (sozialen) Schwänzeltanzes nutzen und im übrigen die (individuelle) eigene Erfahrung und andere Hinweise, dann ist es natürlich schwer, die Information im Tanz überhaupt zu entdecken. Nur die Befolgung sichert ja die Deutung gegen den Zufall. (https://en.wikipedia.org/wiki/Waggle_dance) Da hilft auch nicht eine noch so genaue Analyse der Tanzbewegungen.
Man läßt sich aber v. Frischs Lehre ungern ausreden oder auch nur schmälern, zumal sie schon Unterrichtsstoff in der Schule war. Daher die Heftigkeit der Kontroversen. (Vgl. den Schlagabtausch in der Süddeutschen Zeitung 2009 im Anschluß an einen Bericht von Katrin Blawat.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.04.2022 um 04.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48934
|
Neurowahn und Neurobluff: Die Forscher finden mit ihren aufwendigen bildgebenden Verfahren immer, was sie ins Modell hineingesteckt haben. Wenn man die Handlungsplanung mit einer Idee des Ergebnisses beginnen läßt (eine Variante der Blaupausentheorie), wird man eine Region für solche Ideen finden. Man wird Zentren für Latein und für chinesische Zeichen, für Substantive oder Präpositionen, für Tonarten, Farben, Gemüse und Insekten finden – es ist einfach unvermeidlich, daß sich in Hirnscans Unterschiede zeigen, die man dann den hineingesteckten Begriffen zuordnen kann. Aus Kostengründen untersucht man nicht alles, so daß nicht herauskommt, daß es sich selbst ad absurdum führt. An den MPIs bilden sie sich dann ein, die „Verarbeitung“ (processing) von Sprache usw. aufgeklärt zu haben (wie Angela Friederici mal ausdrücklich behauptete).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2022 um 10.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48929
|
Im Sprachverhalten kommt es zum Beispiel zu Anaphorik: Sprachzeichen, deren Verwendung dadurch begründet ist, daß der Sprecher berücksichtigt, was zuvor gesagt worden ist. Dieses Berücksichtigen ist kein definierbares Verhalten, sondern eine Komponente unter vielen, die den Redefluß steuern. Es ist seinerseits komplex, z. B. auf gesellschaftliche Normen bezogen. Für all dies kann es keinen Ort im Gehirn geben, und kein Hirnscan kann es aufspüren.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2022 um 03.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48916
|
„Musik folgt bestimmten Regeln, ähnlich wie einer Art Grammatik – und das kommt beim Musikhören zum Tragen: Menschen haben die musikalischen Regeln ihres kulturellen Umfelds verinnerlicht und wenden sie beim Musikhören intuitiv an. So gibt es Harmoniefolgen, die unserem Gehirn stimmig erscheinen – und andere, die dem Regelwerk widersprechen. Tatsächlich gelang es den Forschenden, in ihren Experimenten nachzuvollziehen, dass das Gehirn auf ‚Regelverstöße‘, etwa auf unpassende Schlussakkorde, mit veränderter Aktivität reagiert. ‚Interessanterweise ist die Hirnantwort bei Disharmonien vergleichbar mit der, die wir bei grammatikalischen Fehlern in der Sprache beobachten‘.“ (Max Planck Forschung 2/2022)
Die Darstellung wirft einige Fragen auf: Was bedeuten die Anführungszeichen um „Regelverstöße“? Ist die Rede von Regeln nicht wörtlich zu verstehen? Und wenn nicht, was bedeutet es dann, daß die Menschen Regeln „verinnerlicht“ haben und „intuitiv anwenden“? Nach dem Aufkommen von Chomskys Transformationsgrammatik hat man sehr bald versucht, auch die Musik in entsprechenden Regelsystemen zu erfassen. Das Grammatikmodell ist 60 Jahre später aufgegeben und durch ganz andere Modelle ersetzt worden, aber in der Psychologie und auch in der Computerlinguistik haben viele es beibehalten, als sei es immer noch der Stand der Technik. Ferner: Sind Reaktionen des Gehirns auf grammatische und harmonische Verstöße vielleicht auch bei anderen Ereignissen zu beobachten, so daß die Spezifität der Reaktion und der betroffenen Regionen in Frage steht? Enttäuschte Erwartungen rufen auch andere körperliche Reaktionen hervor, es wäre überraschend, wenn dem keine Änderungen in der Hirnaktivität entsprächen. (JEDE Änderung der Versuchsanordnung ruft Änderungen im Hirnscan hervor – das ist die Crux dieser Versuche. Auch die Replizierbarkeit ist ein Problem, das meist unter den Teppich gekehrt wird.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2022 um 19.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48914
|
Wenn man voraussetzt, daß Sprechen und Musizieren das unbewußte Anwenden von Regeln ist (realistisch gedeutete Chomsky-Psychologie), dann werden Hirnscans zeigen, wo diese Regeln gespeichert sind und wo ihre Anwendung erfolgt. Wenn man schon in die Versuchsanordnung einbaut, daß Handlungsplanung darin besteht, eine Idee oder Zielvorstellung in Muskelbewegungen umzusetzen, dann mag das, wie das Regelbefolgen, begrifflich noch so inkonsistent und geradezu unverständlich erscheinen – die bildgebenden Verfahren werden es lokalisieren. An den Voraussetzungen kann gar nicht mehr gezweifelt werden, jedenfalls nicht aufgrund neurologischer Befunde.
Dagegen verhaltenspsychologisch angefangen: Wenn eine Handlung durch das Handlungsschema (Ankündigungsphase – Einspruch/Zuspruch – Ausführungsphase) definiert ist, also eine im Kern gesellschaftliche Struktur, dann kommt man gar nicht auf den Gedanken, nach einem Ort im Gehirn zu suchen. Daher der kindliche Eindruck der MPG-Forscherinnen, in diesem Fall die Frankfurter Neuro-Ästhetiker um Daniela Sammler.
Gegenderte Texte, öffentliche Bekenntnisse zur richtigen politischen Gesinnung, Wohlverhaltensbeschlüsse können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der wissenschaftliche Ertrag mancher personell stark besetzten Institute überschaubar bleibt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2022 um 18.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48913
|
Jenes Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik erklärt sich solidarisch mit „Black Lives Matter“: https://www.aesthetics.mpg.de/institut/anti-rassismus-statement.html
Ich warte jetzt auf eine Stellungnahme zum Ukraine-Krieg. Die MPG als ganze hat sich schon erklärt: https://www.mpq.mpg.de/6701009/02-solidarity-with-people-in-ukraine
Die Wissenschaftsorganisationen empfehlen, die wissenschaftliche Kooperation mit russischen Partnern einzufrieren.
Was soll man übrigens von Instituten halten, die keine Erklärungen zu diesem oder jenem politischen Thema abgeben? Und stimmen wirklich alle Mitarbeiter zu? Das ist bei der bekannten Meinungsvielfalt der Menschen doch eher unwahrscheinlich.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2022 um 05.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48910
|
Zum vorigen:
Zu meinen Defiziten gehört, daß ich dem sogenannten "Schunkeln" nichts abgewinnen kann. (Ich hasse es wie die Pest.) Dabei ist es eine neue Variante des Urphänomens Musik/Tanz und höchst interessant. Kommt dieses Erlebnis der Gemeinschaft ohne alkoholische Enthemmung überhaupt vor?
Musik und Tanz sollen ja in "tiefen" Regionen unseres Gehirns verankert sein, andererseits ist es auch bei den nächststehenden Primaten nicht beobachtbar. Das ist anscheinend noch nicht aufgeklärt. Vielleicht gehört es zur typisch menschlichen Hypertrophie des Sozialen, dem auch die Sprache ihre Entstehung verdankt.
Zum Hintergrund William Benzon: "Beethoven’s anvil".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.04.2022 um 17.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48909
|
Zu bildgebenden Verfahren und Musizieren:
„Das spannendste war allerdings, dass bei beiden Anforderungen das Broca-Areal aktiv war. Diese Region im Gehirn ist vielen lediglich als Sprachzentrum bekannt, sie spielt jedoch auch eine Rolle bei der Handlungsplanung – und zwar egal, ob wir einen Satz formulieren, Kaffee kochen oder eben musizieren wollen.“ (Max Planck Forschung 2/2022)
Spannend oder nicht – es ist ein Desaster. In Wirklichkeit sind alle oder jedenfalls sehr viele Regionen des Gehirns bei allen Aktivitäten mehr oder weniger aktiv. Das Verfahren selbst überhöht die relative Aktivität durch einen willkürlich gesetzten Schwellenwert, so daß krasse Unterschiede auf dem bunten Bildschirn erscheinen, wo eigentlich nur minimale bestehen. Außerdem werden sie in der Regel über mehrere Messungen (an verschiedenen Vpn oder derselbe zu verschiedenen Zeiten) gemittelt.
Die spannende Erkenntnis besteht also darin, daß man keine Erkenntnisse über die Zuständigkeit der Regionen für verschiedene Aktivitäten hat.
Die musikalische Aktivität soll wie jede andere Handlung mit einer „Idee“ oder „Vorstellung“ des gewünschten Ergebnisses im „Geist“ beginnen, dann folgt die Ausarbeitung der einzelnen Schrittte usw. – das Handlungsmodell ist geradezu kindlich naiv. Die Frankfurter „empirische Ästhetik“-Vertreterin ist eine Schülerin von Angela Friederici und verfährt ebenso wie diese. Es kommt ihr nicht in den Sinn, daß Ideen, Vorstellungen usw. keine Begriffe sind, die neurologisch ratifiziert werden können.
Aber ein paar Aufsätze darüber veröffentlichen und Geld einwerben – das geht immer. Am Schluß werden noch aufwendigere Versuche mit Computertomographen in Aussicht gestellt. "Hunting ghosts with Geiger counters" – das trifft es.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2022 um 04.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48878
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#29807
Singer, Roth sprechen von der „Interpretation“ der Sinnesdaten durch das Gehirn, die dem Verhalten vorhergehen müsse – als wenn es zwei verschiedene Dinge wären. Dagegen: Das Verhalten IST die Interpretation. Die Schlange fängt die Maus; darin sind die Eindrücke von Wärme-, Gesichts-, Gehörs- und Tastsinn „gebunden“. Der Mensch „bindet“ auch durch Sprache; auch das ist ein Verhalten. Es ist unnötig, ein „Verstehen“ und „Wissen“ anzusetzen, das dem Verhalten zugrunde liegt.
Ein Problem entsteht dadurch, daß der Mensch nicht immer wahrnehmbar reagiert, sondern sogar die meiste Zeit nur dasitzt und vor sich hinguckt. Man kann ganze Bücher lesen, ohne erkennbar darauf zu reagieren; vgl. „Superspartaner“ (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#48871). Das ist Herders „Besonnenheit“, die uns von den Tieren unterscheidet, jedenfalls graduell.
Das Gehirn ist überwiegend damit beschäftigt, sich selbst zu organisieren; dafür verbraucht es auch die meiste Energie.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.04.2022 um 13.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48864
|
Die „höheren kognitiven Leistungen“, nach deren neuronalem Substrat gesucht wird, existieren nur im Auge des Betrachters. Die Wüstenameise findet nach Hause durch Integralrechnung – so würden wir vorgehen. Aber sie macht es ganz gewiß einfacher. Der Schützenfisch leistet sein raffiniertes Jagdverhalten mit nur sechs Neuronen. Die Termiten bauen ihre kunstvollen Bauten nach ganz einfachen Prinzipien. Das Planimeter beweist, wie wenig Berechnung nötig ist.
Zu prüfen wäre also zunächst, ob uns die Evolution irgendwelche Anhaltspunkte für Diskontinuitäten oder Entwicklungssprünge gibt, die uns das In-Die-Welt-Kommen von mentalen Phänomenen erklären könnten, die wir einer anderen Seinskategorie zurechnen als die physiko-chemischen Prozesse im Gehirn. (Wolf Singer in Christian Geyer, Hg.: Hirnforschung und Willensfreiheit. Frankfurt 2004:39)
Die „mentalen Phänomene“ sind historische Konstrukte bestimmter Sprachgemeinschaften und nicht auf dem Weg der Evolution in die Welt gekommen.
Ebenfalls im Frontalhirn liegen die stammesgeschichtlich rezenten Areale, die sogenannten orbito-frontalen Areale, die beim Menschen eine besondere Ausprägung erfahren und für die Einbindung des Individuums in soziale Gefüge verantwortlich sind. Wenn es dort zu Störungen kommt, dann dedifferenziert die Persönlichkeit, die Menschen verlieren ihre moralischen Prinzipien und werden asozial. (Wolf Singer in Christian Geyer, Hg.: Hirnforschung und Willensfreiheit. Frankfurt 2004:41)
Es kann schon sein, daß Störungen diese Wirkungen haben, aber sind in sozialen und kulturspezifischen Begriffen beschrieben, die in einer Untersuchung des Gehirns nichts zu suchen haben. Die Uhr weiß nichts von Stunden und Minuten, Mondphasen und vielleicht noch Horoskopen, die man an ihr ablesen kann. So auch das Frontalhirn und die „moralischen Prinzipien“, für die es notwendig sein mag, aber nicht spezifisch zuständig ist. Der heranwachsende Mensch wird mit Hilfe seiner zerebralen Ausstattung in eine Gesellschaft integriert und zeigt dann ein Verhalten, dem der Philosoph „moralische Prinzipien“ unterstellen kann – das ist aber im Auge des Betrachters und nicht im Frontalhirn.
Die Fragestellungen haben schon rein begrifflich etwas Schiefes, was eine Antwort unmöglich macht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.04.2022 um 03.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48852
|
Die Zusammenlegung der Kräfte – Typ 1 von Hofstätters Gruppenleistungen – besteht in der Synchronisation gemeinschaftlicher Anstrengungen. Abbildungen aus dem alten Orient zeigen, daß jemand in die Hände klatscht; oder man gibt den Rhythmus durch Zurufe vor, oder die Arbeitenden selbst organisieren sich durch Rufe (hau-ruck!) oder Arbeitslieder. Das dürfte zusammen mit dem „social grooming“ (Robin Dunbar) einschließlich Schlafliedern die Entstehung und Entwicklung der Sprache beeinflußt haben. (Beim Schleppen enormer Lasten wurde im alten Orient auch die Androhung schwerster Strafen wie Auspeitschen oder Pfählen als nützlich angesehen.) Ernst Mach („Kultur und Mechanik“) wundert sich auch über die ineffiziente Technik des Transports von Steinblöcken auf Schlitten. Ähnliches erfuhren die europäischen Forschungsreisenden, Missionare und Kolonialbeamten. Sie wunderten sich über den Mangel an arbeitserleichternden Hilfsmitteln und Methoden.
Es ist wohl kaum zu viel gesagt, wenn ich behaupte, dass kein Lebensbedürfniss von ihnen eine solche Menge langwieriger Arbeitsverrichtungen erfordert, als das Bedürfniss des Schmuckes: das Ordnen des Haares, die Bemalung des Körpers, das Tättowieren, die Anfertigung zahlloser Nichtigkeiten, mit denen sie die Gliedmassen verzieren. Und dieselbe Neigung zu künstlerischer Ausgestaltung und Ausschmückung bethätigen sie bei der Anfertigung fast aller Gegenstände dauernden Gebrauchs. Viele von diesen sind spielerische Nachahmungen von Thierfiguren, und wo es das Material irgend gestattet, ist eine Neigung und ein Geschick für bildnerische Behandlung bethätigt, die ebensowohl wegen der Mühseligkeit der Ausführung als wegen der Geduld, die sie erforderte, unser höchstes Erstaunen erregt. Selbst die armseligen nackten Waldvölker Centralbrasiliens haben einen ausserordentlichen Reichthum der Ornamentik an ihren der Zahl nach sehr beschränkten Geräten und Werkzeugen. (Karl Bücher: Arbeit und Rhythmus. 2. Aufl. S. 15)
Die Durchbohrung mancher Schmucksteine dauert zwei Generationen.
Bücher stellt in seinem berühmten Buch auch ein Vorurteil richtig:
Ist unüberwindliche Faulheit der Menschen ältestes Erbtheil, wie konnten sie dann überhaupt sich über die Existenz des früchtesammelnden und wurzelgrabenden Thieres emporheben? Räubervölker fanden nichts zu rauben, wenn nicht andere Völker arbeiteten und Vorräte anlegten.
Seiner Ansicht nach „arbeiten“ die Naturvölker nicht weniger als die „zivilisierten“, nur die Verteilung der Arbeit über die Zeit und die ganze Organisation ist grundverschieden. Er zitiert aus den Expeditionsberichten von Karl von den Steinen.
(Das Buch ist übrigens im Netz lesbar: https://archive.org/details/arbeitundrhythm00bcgoog)
Man muß immer wieder zur älteren ethnographischen Literatur greifen, die noch nicht durch den Filter von Psychoanalyse, Strukturalismus, Poststrukturalismus, Antikolonialismus, Antirassismus usw. gegangen ist.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.04.2022 um 06.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48827
|
Ich fahre regelmäßig an Tierarztpraxen vorbei, die auch Homöopathie anbieten, genau wie die Humanquacksalber. Paul Enck führt den Effekt der Placebos auf die Beruhigung des Tierhalters zurück. Besonders Pferde sind sehr sensibel.
https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/homoeopathie-wieso-es-einen-placeboeffekt-bei-tieren-gibt-a-974333.html
Die Sache ist schwer zu diskutieren, weil die Anhänger der Homöopathie die üblichen wissenschaftlichen Prüfverfahren zurückweisen. Der Gesetzgeber kam ihnen bisher entgegen, indem er auf den Wirksamkeitsnachweis verzichtete. Die pflegliche Behandlung des Aberglaubens rächt sich (Querdenkerei).
Gestern im Briefkasten: Bettelbriefe werben um Spenden für Haustiere, die aus der Ukraine geflüchtet sind.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.03.2022 um 06.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48818
|
Auch ein passionierter Reduktionist wird zugestehen, daß wir im Alltag zwischen Seele und Körper, zwischen dem Seelenschmerz und der physischen Migräne haargenau und absolut sicher unterscheiden, genauso wie es Tiere, z. B. Primaten und andere Säugetiere, vielleicht auch Vögel, tun. (...) Placebos haben meßbare Wirkungen im tierischen und menschlichen Gehirn, sie bewirken durch mentale Vorstellungen die Freisetzung von Endorphinen, also von körpereigenen Schmerzmitteln. (Reinhard Brandt: Können Tiere denken? Frankfurt 2009:13)
Die „mentalen Vorstellungen“ sind keine Beobachtungsdaten, sondern vom Philosophen hinzuerfunden. Aus dem Alltag ist bekannt, daß schamvolle Erinnerungen Hautreaktionen (Erröten) hervorrufen, lustvolle Vorstellungen Tumeszenzen. Das sind erklärungsbedürftige Vorgänge, vor denen aber auch ein „passionierter Reduktionist“ nicht kapitulieren muß. Daß Tiere zwischen Seele und Körper unterscheiden, und das auch noch „haargenau und absolut sicher“, ist auch eine gewagte und eigentlich kaum verständliche These. Sind Angst, Ekel usw. seelisch oder körperlich oder beides? Und Wahrnehmungen? Oder ist die Unterscheidung ein obsoletes Mißverständnis? Mit der umstrittenenen Tier-Homöopathie (falls daran gedacht sein sollte) läßt es sich nicht belegen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.03.2022 um 05.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48757
|
Ich stelle noch einmal die beiden schon zitierten Stellen nebeneinander, die in mustergültiger Weise vorwegnehmen, was später als Thomas Kuhns Theorie vom „Paradigmenwechsel“ großes Aufsehen erregte und eine immer noch anhaltende wissenschaftstheoretische und -historische Diskussion auslöste:
„Die frühere Auskunft, welche die Arten der Tiere und Pflanzen durch eine von außen formende Intelligenz ursprünglich hervorgebracht werden ließ, ist damit als naturhistorische Theorie endgültig beseitigt, beseitigt nicht durch Widerlegung, sondern wie jede überlebte Theorie beseitigt wird: durch das Dasein der rechtmäßigen Nachfolgerin, der besseren Theorie.“ (Friedrich Paulsen: Einleitung in die Philosophie. 17.-19. Aufl. Stuttgart, Berlin 1907:200; erste Aufl. 1892)
„Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vorneherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“ (Max Planck: Wissenschaftliche Selbstbiographie. Leipzig 1948:22)
Es gibt sicher noch mehr Belege für diese Ansicht. Wenn man sich darüber wundert, wieso Kuhn so unorthodox-bahnbrechend wirken konnte, stößt man natürlich auf den inzwischen herrschend gewordenen Falsifikationismus Poppers.
Die lehrbuchmäßige Darstellung ist eben etwas anderes als die tatsächliche Forschung, mit der sich die Wissenssoziologie und nicht die Logik beschäftigt. „Logik der Forschung“ war ein irreführender Titel.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2022 um 07.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48743
|
Gerade die beiläufig, ohne theoretischen Anspruch aufgezählten "Seelenvermögen" (wie man früher sagte und heute in anderen Worten immer noch meint) zeigen, von welchen Selbstverständlichkeiten unsere Kultur ausgeht:
„Denken, Fühlen, Erkennen, Wahrnehmen und Wollen“ (Gerhard Roth/Wolfgang Prinz, Hg.: Kopf-Arbeit. Gehirnfunktionen und kognitive Leistungen. Heidelberg, Berlin, Oxford 1996:63)
usw. – beliebig viele Belege, die einander alle sehr ähnlich sind. Die Ethnopsychologie zeigt, daß andere, naturgemäß nicht übersetzbare Inventare möglich sind. Sie erinnert uns daran, wie speziell unsere Konstrukte sind und wie lange es gedauert haben muß, bis die Menschen zu einer solchen Gliederung gekommen sind.
(Ich sehe an dieser Stelle davon ab, daß z. B. "Wollen" immer noch völlig falsch gedeutet wird, nämlich als "mentaler Akt" oder dgl.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2022 um 05.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48679
|
Der als seriös geltende Reclam-Verlag hat auch eine Einführung in die Astrologie von Peter Niehenke (auch als Nacktflitzer von Freiburg bekannt) herausgebracht und sogar noch einmal neu aufgelegt. (Ich habe das Büchlein in meinem Okkultismus-Aufsatz verarbeitet.) Kurse bietet Niehenke bis heute an, wobei ihm zugute kommt, daß er in Physik promoviert ist.
|
Kommentar von , verfaßt am 27.02.2022 um 04.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48618
|
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2022 um 15.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48601
|
Ich hatte schon William H. Calvin erwähnt, der wie heute die meisten Neurologen eine "begrenzte Lokalisationstheorie" vertritt, d. h. nicht die spekulativen Hirnkarten wie Galls Phrenologie, aber auch nicht die "Äquipollenz" im Sinne Lashleys. Das sieht dann so aus:
We’ve lately made a lot of progress in locating some aspects of semantics in the brain. Frequently we find verbs in the frontal lobe. Proper names, for some reason, seem to prefer the temporal lobe (its front end; color and tool concepts tend to be found toward the rear of the left temporal lobe). (William H. Calvin: How the brain thinks 1996)
(https://williamcalvin.com/bk8/bk8ch1.htm)
Vgl. auch http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47672
Das kann nicht stimmen. Erstens wäre konsequent weiterzusuchen, mit der gleichen Methode von Stimulus und Hirnscan. Hat man den Sitz von Hunden und Elefanten, Steuerhinterziehung, Klopapier und Violinsonaten untersucht? Man würde zweifellos verschiedene Orte (stärkerer Durchblutung) finden. Außerdem gibt es ja Eigennamen und Verben nicht einfach so außerhalb jeder Verwendung und jeder Aufgabenstellung. Wir abstrahieren die Wortarten aus den Verwendungsarten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2022 um 08.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48595
|
Karl Popper: Alles Leben ist Problemlösen (1994)
Aber nur in der Rückschau. Im Ablauf der Ereignisse ist die Lösung immer schon vor dem Problem da. Die Coronaviren stehen nicht vor dem Problem, wie sie sich gegen die Immunität der Menschen durchsetzen könnten, sondern sie mutieren zufällig und entkommen damit der Immunabwehr.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2022 um 05.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48563
|
Orang-Utans benutzen Steinzeit-Messer
Ohne es je irgendwo gesehen zu haben, kommt einem Affen die Idee, scharfkantige Steine zum Schneiden zu verwenden. Was bedeutet das für die angebliche Überlegenheit des Menschen? (...)
Nach Ansicht der Studienautoren besaß möglicherweise schon der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Orang-Utan, der vor etwa 13 Millionen Jahren lebte, viele jener Fähigkeiten, die erforderlich sind, um Werkzeuge herzustellen und zu benutzen. Dazu zählt auch eine große Innovationskraft, die nach Ansicht von Tennie bis heute nicht nur den Homo sapiens auszeichnet, sondern auch nicht menschliche Primaten wie die Orang-Utans. Die geniale Idee, aus Steinen Werkzeuge herzustellen, kam also nicht aus dem Nichts. Die meisten Voraussetzungen waren wohl schon lange da, als die Steinzeitmenschen vermutlich aufgrund von Umweltveränderungen unter Druck gerieten und sich etwas einfallen lassen mussten, um zusätzliche Nahrungsquellen zu erschließen und auf diese Weise zu überleben. (SZ 17. 2. 2022)
(Die „Innovationskraft“ ruft nach einem Molière: vis innovativa...) Der letzte Satz zeigt die naive Auffassung von Evolution. Als ob die Steinzeitmenschen vor dem Problem gestanden hätten: Was können wir tun, um zu überleben?
Die berichteten Beobachtungen an Affen leiden am üblichen Fehler: Die jahrelange Konditionierungsgeschichte der Tiere ist nicht dokumentiert. Wie „spontan“ das Verhalten eines Affen wirklich war, der einen scharfen Stein zum Öffnen eines Behälter benutzte, kann man daher gar nicht wissen.
Der ganze Bericht steht unter dem beliebten Motto: Was Tiere AUCH SCHON können. Er will uns staunen machen – fatal für jede wissenschaftliche Unternehmung.
Die Verfasser geben zu, daß der Affe Herstellung und Benutzung des Werkzeugs nicht verband. Er stellte es also gar nicht als Werkzeug her, sondern zufällig. Die Verwendbarkeit wurde ebenfalls zufällig entdeckt – nachdem der Affe eine jahrelange, aber nicht dokumentierte Lerngeschichte im Umgang mit Dingen hinter sich hatte.
Unsere Vorfahren hatten keinen „zündenden Einfall“. Evolution ist keine Geschichte von zündenden Einfällen. Auch in der Kulturgeschichte geht es anders zu.
Die „Entwicklung“ (Verbesserung) von Steinwerkzeugen zog sich über Tausende von Jahren hin und verdankt sich nicht einem „zündenden Einfall“.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2022 um 04.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48561
|
„Wir verstehen nur, was wir herstellen können.“
Es scheint sich etwas grundsätzlich verändert zu haben, seit wir Werkzeuge benutzen, die wir nicht – oder nicht vollständig – durchschauen. Dazu gehören natürlich Computer. Aber auch die Molekularbiologen schnippeln mit „Scheren“, die sie nicht sehen, an Molekülen herum, die sie nicht sehen.
Aber verstehen kann man auf verschiedene Weise. Wenn wir einen Topf Wasser erhitzen, wissen wir, was wir tun, aber in einem gewissen Sinn verstehen wir nicht, was vor sich geht. Bei der Benutzung einfacher Maschinen wie Hebel oder loser Rollen läßt sich ebenfalls eine Erklärungsebene finden, auf der wir unwissend sind. Verstehen wir die Naturkräfte? Die Physiker würde es eher bezweifeln.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2022 um 06.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48556
|
Schimpansen sollen offene Wunden ihrer Genossen mit eigens gefangenen und zerkauten Insekten „behandelt“ haben. (Tobias Deschner vom MPI für evolutionäre Anthropologie und die Kognitionspsychologin Simone Pika)
Die Forscher staunten auch darüber, dass die Schimpansen nicht nur ihre eigenen Wunden, sondern auch die anderer Tiere aus der Gruppe mit den zerdrückten Insekten versahen. «Solche prosozialen Verhaltensweisen für Gruppenmitglieder sind bis jetzt nur sehr selten in nicht-menschlichen Tieren beobachtet worden», sagte Pika. Ob die von den Schimpansen gefangenen Insekten tatsächlich bestimmte, etwa die Wundheilung fördernde Substanzen enthalten, ist bisher unklar. Die Forschenden wollen zur Klärung Reste der genutzten Insekten sammeln und analysieren. (ZEIT 8.2.22)
Warum hat man diese entscheidenden Fragen nicht vor der Veröffentlichung untersucht? Das Verhalten muß doch verstärkt worden sein, entweder im individuellen Lernen oder phylogenetisch. Wie ist die gesamte Wundversorgung der Schimpansen, falls es überhaupt eine gibt? Die Forscher "staunten", und wir sollen auch wieder mal staunen – das verdirbt die Forschung.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2022 um 05.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48535
|
Eine Heilpraktikerin und Impfverweigerin sieht in der Impfpflicht eine „seelische Bedrohung“ für sich selbst und für ihre „Patienten“, weil sie dann ihre Praxis schließen müßte. In der Krankheit selbst sieht sie anscheinend keine Bedrohung. (FAS 13.2.22) Es wäre eine Gelegenheit, diesen Beruf abzuschaffen (wie in Österreich). (Ich höre den Einwand: "Aber mir hat er geholfen!")
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2022 um 04.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48436
|
In Literatur und Film („Am Anfang war das Feuer“) werden menschheitsgeschichtliche oder sogar stammesgeschichtliche Vorgänge auf lebensgeschichtliche (biographische) Maße zusammengezogen. Das Aussterben einer Art wird als wirkliches Sterben, als Tod ihres letzten Vertreters dramatisiert. In Wirklichkeit dürfte z. B. der Unterhalt des Feuers und dann erst recht die Kunst des Feuermachens sich über sehr lange Zeiträume entwickelt haben, mit kaum merklichen Veränderungen, die im Nachhinein als technischer Fortschritt erscheinen. Eine Filmvorführung, die zehntausend Jahre dauert, könnten wir jedoch mit noch so viel Popcorn nicht überstehen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.01.2022 um 07.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48427
|
Verhältnismäßig sehr jung sind die Steinkammergräber, von denen eines, das am besten erhaltene Steinkistengrab von Züschen, für uns Schüler ein beliebtes Ziel von Klassenwanderungen war. (Man kann nicht sagen, daß Schulkinder sich dafür besonders interessieren. Hier in Erlangen ist der "Kosbacher Altar" durch eine Nachbildung ersetzt; man ist dort praktisch immer allein.) Immerhin stammen sie aus einer schriftlosen Zeit. Wir wissen daher nicht, was sich die Urheber dabei gedacht haben. Die abstrakten Felszeichnungen stellen vermutlich Ochsengespanne dar, haben aber nichts Kindliches. Sie sind fast so abstrakt wie die ersten Buchstaben (Aleph), vgl. auch das chinesische Schriftzeichen niú "Rind". Wie kommt man darauf, einen Ochsen als Strich mit zwei Hörnern darzustellen? Naiv ist das nicht. Es wirkt auch nicht unbeholfen, sondern zeigt einen sicheren Strich: die Figuren sind offenbar genau so, wie sie sein sollen; ein langer Traditionshintergrund ist zu vermuten, wie bei jeder archaischen Kunst. (https://de.wikipedia.org/wiki/Galeriegrab_Züschen_I)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.01.2022 um 04.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48424
|
Fortschritt und dementsprechend auch Primitivität in der Sprachgeschichte sind nicht in den „Strukturen“ zu suchen, die den Linguisten so teuer sind, weil sie sich damit beschäftigen, sondern im Grad des Ausbaus, also in der Entwicklung von Spezialisierungen – Ritualsprachen, Fachsprachen... (Poesie und ihr Gegenteil). Es ist das gleiche wie bei anderen kumulativen kulturellen Erscheinungen, technischen Geräten und Verfahren.
Es geht nicht darum, ob wir glücklicher, besser dran sind als unsere Vorfahren. Wir ernähren uns leichter, bewegen uns schneller voran usw. – in diesem Sinn hat die Entwicklung eine Richtung und ist ein Fortschreiten. (So auch Dawkins)
Die ältesten gegenständlichen Höhlenmalereien, die auf Sulawesi gefunden wurden, sind etwa 45.500 Jahre alt und keiner bestimmten Menschenart zuzuordnen. Geometrische Muster von Neandertalern sind noch viel älter. Vgl.
The ritual preparation of corpses for burial, for example, strongly suggests something akin to a belief in the afterlife, but it is hard to see how anything like a creed could be shared without verbal expression. (Daniel Dennett: Bacteria 261)
Übrigens sieht man neben der gut erkennbaren Abbildung eines Warzenschweins auf Sulawesi auch wieder die Sprühbilder von menschlichen Händen. Diese Technik erlaubt die Herstellung von Abbildern ohne eigentliche Zeichentechnik.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2022 um 08.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48389
|
Medizinische Heilsversprechen in der Werbung für Quacksalberei sind zwar verboten, werden aber mit großer Nachsicht behandelt. In Wirklichkeit handelt es sich um Betrug in großem Umfang.
Darüber hinaus sind aber Versprechungen im außermedizinischen Bereich straflos üblich, die ebenso großen Schaden anrichten. Ich hatte als winzigen Zipfel schon den energetisierten Sand erwähnt, dazu s. hier:
https://www.psiram.com/de/index.php/Plocher
Soll man die Unaufgeklärten um der "Freiheit" willen gewähren lassen? Aber selbst an Aufklärung läßt es der sonst so fürsorgliche Staat fehlen, wohl auch aus Angst vor den Gerichten. Die Medien trauen sich auch nicht. Nur kleine, wenig beachtete Vereine tun das Selbstverständliche, und damit können die Geschäftemacher gut leben.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2022 um 04.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48359
|
Es gibt nicht nur kein Großmutter-Neuron, sondern die „Erinnerung an die Großmutter“ ist auch kein abgegrenztes, definierbares Ereignis oder Verhalten. Es gibt kein Verhalten, zu dem man so auffordern könnte: Erinnere dich an die Großmutter! (Denk an die Großmutter!) Es ist sozusagen synsemantisch: ein Bestandteil verschiedener Verhaltensweisen, die mit der Großmutter zu tun haben. Dabei sind auf jeden Fall sehr viele neuronale Verbindungen aktiviert, die das Verhalten so modifizieren, daß die Analyse darin einen Bezug auf die Großmutter feststellt. Mit Geräten wird man diese Vielfalt niemals eindeutig beobachten können. Sie ist überall und nirgends.
Anders gesagt: an etwas denken, sich etwas vorstellen usw. bezeichnen keine bestimmten Verhaltensweisen, sondern sind gewissermaßen adverbiale Bestimmungen. Bei etwas berücksichtigen oder Rücksicht nehmen sieht man es deutlicher: Nimm auf die Großmutter Rücksicht! Der Angesprochene wüßte nicht, was er tun sollte. In Wirklichkeit geht es darum, was immer er tut, so zu tun, daß dabei Rücksicht auf die Großmutter genommen wird. Zum Beispiel gehe ich langsamer oder trage ihr Gepäck oder plane ihren Geburtstag ein usw. – unendlich viele Verhaltensweisen, die entsprechend modifiziert werden können. Es wäre offenbar sinnlos, im Gehirn nach einer Entsprechung dieses Rücksichtnehmens zu suchen.
|
Kommentar von Theodor Icker, verfaßt am 06.01.2022 um 08.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48132
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#36148
Das philosophische Wesen des Hundes hält auch Emily Bronte in einer alltäglichen Beobachtung fest:
As I spoke, I observed a large dog lying on the sunny grass beneath raise its ears as if about to bark, and then smoothing them back, announce, by a wag of the tail, that some one approached whom it did not consider a stranger. (Wuthering Heights II,1)
Man könnte sagen: Erst hört der Hund die Geräusche nur, dann versteht er sie (ordnet sie ein).
The daydreaming student is hearing the lecture but is not listening. (David C. Palmer)
Es gibt auch ein Reden mit und ohne Bedeutungserfüllung ("Plappern").
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 06.01.2022 um 07.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48130
|
Das ist doch keine schlechte Nachricht. Dann darf man daraus schließen, daß wir zumindest in vertrauten Situationen wissenschaftlich denken, statt auf subjektive Erfahrungen zu setzen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2022 um 07.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48129
|
„Menschen haben große Probleme damit, sich in neuen, unbekannten Situationen rational zu verhalten. Sie werden von ihren Ängsten, ihren Bedürfnissen und ihren subjektiven Erfahrungen beherrscht. Da kommt Vernunft, etwa wissenschaftliches Denken, kaum gegen an.“
Diese trivialstmögliche wald-und-wiesen-psychologische Erkenntnis wird von der Süddeutschen Zeitung wie eine Preziose weitergereicht. Der Hirnforscher Gerhard Roth hat sie zuerst im SPIEGEL vorgetragen. Er äußert sich oft und gern über alles mögliche, und als Hirnforscher ist er ja auch für alles zuständig. – Warum merken die Journalisten nichts? Das ist mir seit Jahrzehnten ein Rätsel. Ich führe es auf die Nichtigkeit der Psychologie als Wissenschaft zurück, aber vielleicht liegt es einfach an der Übermacht von Wald-und-Wiese (also der "folk psychology"). Die zeitgenössische Erscheinungsform ist die Narrenfreiheit für "Hirnforscher".
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2022 um 07.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48100
|
Die Kreationisten geben sich, was den Ursprung der Sprache angeht, ganz wissenschaftlich, auch wenn man merkt, daß sie mit den referierten Tatsachen nichts Rechtes anzufangen wissen. Schließlich rücken sie aber doch damit heraus, daß Gott dem ersten Menschen die Sprache mitgegeben hat, und alles löst sich auf:
https://appearedtoblogly.files.wordpress.com/2011/05/harrub-brad-adn-et-al-22the-origin-of-language-and-communication22.pdf
Man könnte es für eine abseitige Spinnerei halten, aber viele Millionen glauben es.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.12.2021 um 07.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48077
|
Zum vorigen:
Verhalten tritt in funktionalen Gruppen auf, „im Set“. Man schaltet um auf Französisch, auf Amtlich, auf ein Register, nicht nur sprachlich. In Gesellschaft ißt man manierlich, statt sich mit einer Stulle auf der Couch zu lümmeln, aber zugleich unterhält man sich gesitteter, schneuzt sich nicht usw. In Ausflugslokalen kann man beobachten, daß die Gäste sogar ein Leberwurstbrot gar zierlich mit Messer und Gabel attackieren, was sie zu Hause niemals tun würden. Das geht mit einer ganzen Gruppe von Verhaltensweisen einher, die das „Skript“ in dieser Situation vorsieht. Subroutinen übernehmen die Einzelheiten, getriggert durch Merkmale der Situation.
Neurosophen sind immer versucht, den funktionalen Einheiten besondere „Module“ im Gehirn zuzuordnen und sie mit Hirnscans zu lokalisieren.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2021 um 06.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48059
|
Zu jedem Verhalten läßt sich ein „Vermögen“ konstruieren, wie man früher sagte (heute pädagogisch „Kompetenz“, philosophisch „Modul“), und der Neurowahn sucht dann im Gehirn nach Entsprechungen solche Module. Jerry Fodor, der bekannteste Modularitätsphilosoph, stellte sich ausdrücklich in die Tradition der Phrenologie, auch wenn er deren Mängel kannte.
Die „Vermögen“ sind hypostasierte und in das Konstrukt des Geistes projizierte Gruppen von Verhaltensweisen. Wir argumentieren und nutzen dazu logische Strukturen, folglich haben wir einen Verstand usw.
Die bildgebenden Verfahren müssen sehr vorsichtig benutzt werden, sonst findet man überall Bestätigung und kann niemals widerlegt werden. Es ist wohl noch nie vorgekommen, daß für zwei verschiedene Vorgaben genau die gleichen Hirnscan-Bilder gefunden wurden. Daraus wird gefolgert, daß es im Gehirn verschiedene Regionen für Radfahren, Zeichnen, Farben, Substantive, Verben usw. gebe. Nur wenige Forscher scheinen das methodische Problem erkannt zu haben. Die unabwendbare Bestätigung der Theorie ist keine Stärke, sondern eine tödliche Schwäche.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.12.2021 um 06.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#48009
|
Amerikanische Psychologen haben festgestellt, daß zu große Einigkeit in moralischen Fragen gefährlich ist. So heute im Unsinnskasten auf der ersten Seite der SZ (Sebastian Herrmann).
Übrigens ist die Formulierung ungewollt tautologisch, denn in "zu groß" steckt ja die negative Beurteilung schon drin.
Wie kann es sein, daß so etwas nicht nur referiert, sondern sogar auf die erste Seite einer großen Zeitung gehievt wird? Ich würde es nicht immer wieder erwähnen, wenn ich es nicht für bedeutsam hielte, daß unsere Gesellschaft in Sachen Psychologie (und Sprache) alle Maßstäbe in den Wind schlägt. Partielles Irresein...
Auf einen kritischen Artikel über Rudolf Steiner folgte kürzlich die erwartbare Flut von empörten Briefen ehemaliger Waldorf-Schüler usw.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2021 um 07.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47983
|
Anders geformte Griffe an Einkaufswagen (ähnlich einer Schubkarre statt der üblichen Querstange) steigern die Einkaufslust um 25 Prozent. Sie werden mit dem Bizeps gesteuert, der Sachen heranzieht, nicht mit dem Trizeps wie die Querstange, der sie wegschiebt.
Das berichtet die SZ auf ihrer ersten Seite in jenem Kasten, der gewöhnlich den psychologischen Schund enthält. Eine Konsum-Boosterung um ein Viertel ist keine Kleinigkeit und könnte die Volkswirtschaft mächtig ankurbeln.
Na, und Trump hat sich boostern lassen, hahaha.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2021 um 05.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47924
|
Zu den Nichtigkeiten aus der psychologischen Forschung, die regelmäßig in der Zeitung abgedruckt werden, gehört auch dies:
Während 63 Prozent der College-Studenten (wer sonst? Und alle in Wilmington, North Carolina...) der Meinung sind, beim ersten Date solle der Mann bezahlen, haben tatsächlich in 80 Prozent der Fälle die Männer bezahlt. Das ist erschütternd.
Immerhin hat die weltbekannte Shanhong Luo ihre Publikationsliste verlängert und ein paar Studentinnen zur Graduierung verholfen.
Die SZ (Sebastian Herrmann) bringt es wie gewohnt im Kasten auf der ersten Seite.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.12.2021 um 06.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47881
|
In der SZ vom 11.12.21 geht es um die Deutung der Unterschriften von bekannten Menschen. Eine Graphologin wird befragt. Sie arbeitet für „Firmen, die sie um Rat fragen, ob diese oder jene Bewerberin (!) für einen Job besser geeignet sei“.
Diese menschenfeindliche und wahrscheinlich verfassungwidrige Praxis ist natürlich völlig haltlos. Die Graphologin beurteilt in diesem Fall die Menschen nicht einmal „verblindet“, sondern unter voller Kenntnis ihrer Identität. Sie glaubt, „dass Olaf Scholz’ Belastbarkeit nicht sehr groß ist“ usw. – der ganze übliche Unsinn.
Graphologie ist meiner Ansicht nach eine Parawissenschaft, während die Astrologie eine Pseudowissenschaft ist. Das Schreiben ist tatsächlich eine menschliche Tätigkeit, in der wie im Gang und der Mimik etwas von der sogenannten Persönlichkeit steckt und herausgelesen werden könnte, wenn es eine Methode gäbe. Aber daran fehlt es eben.
Die Zeitung bleibt leicht ironisch, könnte aber mehr zur Aufklärung beitragen. Die Nachsicht des Publikums mit Quer- und Schrägdenkern ist viel zu groß.
Es soll immer noch Firmen geben, die graphologische Beratung suchen, auch wenn der „handgeschriebene“ Lebenslauf aus der Mode gekommen ist. Graphologen haben ja immer behauptet, die Handschrift könne man nicht verstellen – wie die Hautfarbe, nicht wahr? Damit ist eigentlich alles gesagt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.12.2021 um 04.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47823
|
Wie die Washington Post berichtet, hat der Verhaltensforscher Carel ten Cate auf älteren Tonbandaufzeichnungen entdeckt, daß eine australische Moschusente (Lappenruderente) sprechen konnte. Sie sagte nämlich „you bloody fool“. Das ist so unsympathisch wie das ganze Vieh, über dessen Gewohnheiten der Wikipedia-Eintrag Auskunft gibt. Mit dieser Einsicht gewappnet, kann man sich Herrn ten Cate auch selbst ansehen:
https://www.youtube.com/watch?v=IVVN7rVEg7U
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 03.12.2021 um 23.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47794
|
Ich weiß nicht so recht, ob es hier reinpaßt, aber es gibt ja Fachrichtungen, die sich auf sehr bodenständige Weise mit menschlichem Verhalten beschäftigen müssen. Etwa wenn menschliche Kommunikation maschinell simuliert wird, z.B. bei Chatbots. Vermutlich sind da wichtige Grundlagen Firmengeheimnis.
Mit Mimik, Körpersprache und allgemein körperlichen Bewegungsmustern hat man ja schon Erfahrung durch die vielen Animationsfilme. Zur Zeit geht ein Video über neuartige Roboter durchs Netz.
https://youtube.com/watch?v=IPukuYb9xWw
https://youtube.com/watch?v=Yj-fFgff1fU
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.12.2021 um 04.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47776
|
Ob „Vermögen“ oder „Funktionen“ - die Lehrwerke zur allgemeinen Psychologie sind immer noch im wesentlichen gleich aufgebaut. Ihre Großkapitel sind etwa überschrieben: Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis, Bewußtsein (Aufmerksamkeit), Gefühl (Emotion), Wille (Motivation); Sprache. Vorangestellt wird gern ein Kapitel Neurophysiologie, das mit dem Rest durch eine lockere Lokalisationslehre verbunden ist (mit „bildgebenden Verfahren“ wie EEG und MRT als Brücke). In die Begrifflichkeit ist seit einigen Jahren „Repräsentation“ eingeschleust wie eine Seuche.
Natürlich ist es schwer, von dieser folkpsychologisch geprägten, mehr oder weniger philosophischen Einteilung her auch das Verhalten der Tiere einzubeziehen, und so ist denn die traditionelle Psychologie überraschenderweise wieder zur reinen Menschenkunde geworden. Tiere werden, wenn überhaupt, in der Begrifflichkeit der Humanpsychologie dargestellt („Theory of mind“ bei Schimpansen usw.).
Der verhaltensanalytische Ansatz war und ist ganz anders. Er nimmt sich das Verhalten von Organismen und seine Veränderungen durch Lernen vor. Die Konstrukte der sprachgebundenen Alltagspsychologie werden nicht übernommen, sondern als Explananda mitbehandelt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.11.2021 um 05.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47752
|
Narzissten glauben eher an Astrologie. Das haben Forscher der Universität Lund festgestellt, und Sebastian Herrmann berichtet wie üblich darüber auf der ersten Seite der SZ (30.11.21). „Gesteigerte Selbstverliebtheit“ wird selbstverständlich mit einem Satz von Kriterien nach Art der guten alten Persönlichkeitsforschung (früher: Charakterkunde) festgestellt: Neurotizismus usw.
Bei diesen harmlosen Spielereien kommt auffälligerweise immer nur das heraus, was wir uns eh schon gedacht haben... Aber viele traditionelle Psychologen meinen ja wirklich, wir müßten uns in ihren Ergebnissen wiederkennen können.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.11.2021 um 06.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47720
|
Die Pandemie belastet die Psyche der Menschen. (FAS 27.11.21)
= Die Pandemie belastet die Menschen.
|
Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.11.2021 um 15.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47684
|
Schadet es, wenn die Deppen weniger werden?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.11.2021 um 06.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47672
|
Die Aufforderung, einen Gegenstand (meist auf dem Bildschirm) zu benennen, gehört zu den Standardversuchen der Psychologie. Sie gilt als Sprachtest schlechthin, aber eigentlich handelt es sich um ein Verhalten, das ziemlich weit von natürlichem Sprachverhalten entfernt ist und darum auch als metasprachlich bezeichnet wird: Nicht die Verwendung der Wörter, sondern ihre Einführung wird untersucht, noch dazu in der verfremdeten Form einer Fiktion, weil der Versuchsleiter die Bezeichnungen ja schon kennt und der Proband das auch weiß; es besteht also kein Informationsbedürfnis wie bei wirklichem Sprachunterricht oder gar bei wirklichen gegenstandbezogenen Mitteilungen. Das ist der Künstlichkeit einer Prüfungsfrage vergleichbar, die oft zu Unrecht als prototypische Frage behandelt wird.
Als Verhalten gesehen, ist die Bezeichnungsabfrage also eine Art Verstellung oder Simulation. Kurt Goldstein ist auf die Unnatürlichkeit der Bezeichnungsabfrage gestoßen, als er bei Aphatikern feststellte, daß diese Versuchsanordnung ganz andere Ergebnisse hervorbrachte als die natürliche Verwendung der gleichen Testwörter.
Diese Besonderheit wird in neueren Texten gar nicht mehr berücksichtigt.
Der Versuch zeigt in Verbindung mit Elektrostimulation oder bildgebenden Verfahren, daß die Bezeichnungsabfrage „Zentren“ im Gehirn aktiviert, die bei verschiedenen Probanden auffallend verschieden lokalisiert sind. Willam Calvin führt das darauf zurück, daß diese vermeintlichen „Sprachzentren“ evolutionär noch recht jung sind. Aber warum sollte man überhaupt Sprachzentren annehmen? Entsprechende Versuche würden zweifellos Zentren ergeben, die bei Modefragen, beim Klavierspielen usw. besonders aktiviert werden. Man würde deshalb aber keine Mode- und Klavierzentren im Gehirn ansetzen. Daß lokalisierbare Hirnschäden umschriebene Funktionsstörungen auslösen, ist kein Beweis für die Existenz spezifischer Zentren, erst recht nicht bei Verhaltensweisen, die eindeutig der Kultur, also den konditionierten Reaktionen zuzuweisen sind.
Calvin und andere gehen so weit, auch Substantive, Verben usw. im Hirn zu lokalisieren, obwohl die Wortarten nur einzelsprachlich definiert sind (und unsicher genug, wenn man an die Diskussion selbst über gut erforschte Sprachen denkt). Dabei muß man die Befunde nicht einmal anzweifeln: Es wird immer irgendwelche Unterschiede geben, wenn man man mehreren Probanden verschiedene Aufgaben stellt und die Zonen stärkerer Durchblutung mittelt. In Zweifel steht die Spezifizität dieser Reaktionen.
Kürzlich hat man durch bildgebende Verfahren die eigentlich schon sehr alte Vermutung eines Zusammenhangs von Sprechen und manueller Tätigkeit erneuert. Solche Überlappungen muß es logischerweise zwischen vielen Aktivitäten geben, aber was bedeuten sie? Gibt es einen unspezifischen gemeinsamen Nenner zwischen Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick weit voneinander entfernt sind? Voraussetzung für die Bearbeitung solcher Fragen ist die streng naturalistische Beschreibung und Analyse des Verhaltens selbst.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.11.2021 um 06.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47671
|
Eine Psychiaterin und Gerichtsgutachterin wird zum Thema „Dummheit“ interviewt, über das sie auch ein Buch geschrieben hat. Sie gibt Allerweltsweisheiten von sich, die zusätzlich dadurch eingetrübt sind, daß sie Dummheit mit Bösartigkeit vermischt. Hitler scheint ihr ein guter Kandidat von Dummheit zu sein, letzten Endes aber nur deshalb, weil er verloren hat. Napoleon erwähnt sie nicht; der hat zwar ebenfalls verloren, aber dumm würde ihn niemand nennen. Eine ganze Seite der Wochenendzeitung als Beleg der Wertlosigkeit dieser „Wissenschaft“.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2021 um 16.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47651
|
In der Sache nicht neu, aber doch ganz nett zu lesen. Die Originalarbeit gibt weitere Quellen an (aber nicht z. B. "Hand und Wort" von Leroi-Gourhan).
Die neurosophischen Schnörkel und das "Kognitive" und "Mentale" muß man natürlich wegstreichen, um den diskutierbaren Kern freizulegen.
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 19.11.2021 um 14.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47649
|
Das ist auch hübsch:
https://scinexx.de/news/biowissen/sprache-und-werkzeug-geschick-sind-verknuepft/
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2021 um 05.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47633
|
Alle natürlichen Arten sind optimal an ihre Nische angepaßt. Wäre diese Fitneß (gemessen am Fortpflanzungserfolg) geringer, würde die Art aussterben; wäre sie höher, würde die Art ihre eigenen Lebensgrundlagen vernichten.
Wanderheuschrecken würden aussterben, wenn sie alles wegfräßen. Sie haben Mittel und Wege gefunden, ihre periodische Übervölkerung zu überleben. Die „Erfahrung“ mit dem Aussterben haben sie logischerweise nicht gemacht, denn es gibt sie ja noch. Ob eine Art überhaupt wegen Übervölkerung aussterben kann, ist umstritten: es müßte ein Kippunkt erreicht werden, hinter dem eine Erholung des Bestands mehr möglich ist. Normalerweise führt die Verknappung von Nahrungsangebot und Lebensraum zu einer Reduzierung mit anschließender Erholung. (Ich habe vor Jahrzehnten mal mit einem bekannten Zoologen [Lorenz-Schüler] darüber diskutiert, der das Aussterben wg. Übervölkerung für möglich hielt.)
Warum haben frühe Affen nicht entdeckt, daß konventionelle Signale weitergegeben werden können? Hätten sie es getan, wären sie irgendwann nicht mehr damit zufrieden gewesen, sich von Ast zu Ast zu schwingen. Sie hätten Fachsprachen entwickelt, die Schrift erfunden, ihr Leben durch Technik und Wissenschaft leichter gemacht, sich exponentiell vermehrt und viele andere Arten ausgerottet, Luft und Wasser vergiftet, gegen Fettleibigkeit und andere Zivilisationskrankheiten kämpfen müssen sowie gegen Klimakrise und Corona und Querdenker.
Die anderen Affen haben einen anderen Weg gewählt, ihr Leben, ihr Zusammenleben und ihre Kommunikation zu vervollkommnen. Getrennte Wege sind zum Beispiel Schimpansen und Menschen mindestens sechs Millionen Jahre lang gegangen. Darum ist es nicht möglich, Schimpansen eine Sprache nach Art der menschlichen beizubringen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2021 um 08.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47621
|
Ich habe das Thema schon mehrmals angesprochen.
„The evolution of language, for example, clearly owes more to drift (memetic drift) than to anything resembling selection.“ (Richard Dawkins: The selfish gene. Oxford 2016:247)
Der Ausdruck Drift ist an die Gendrift in der Evolutionslehre angelehnt und bezeichnet nichtadaptive Veränderungen des Genpools. Dawkins berührt mit seiner Nebenbemerkung die Frage, ob Sprachen im Laufe ihrer Geschichte tatsächlich nur anders, aber nicht „besser“ werden. Sie ist u. a. von Jespersen eingehender behandelt worden („Progress in language“). Mit der Bewertung von Sprachen hat sich auch Georg v. d. Gabelentz beschäftigt, zusammenfassend auch Friedrich Kainz. Ich habe dem Thema meine Dankrede zum Deutschen Sprachpreis gewidmet: „Wie gut ist die deutsche Sprache?“ und dabei unterschieden zwischen der inneren Systemgüte und der Angepaßtheit an äußere Zwecke (dem "Ausbau"). In beiderlei Hinsicht ist es eine schwierige Frage, aber keine von vornherein sinnlose.
Die innere Systemgüte hängt mit der Lernbarkeit zusammen, die äußere mit der Nützlichkeit für Anderssprachige. Das sind aber nur zwei von vielen Aspekten.
Etwas außerhalb der genannten Dichotomie liegen sprachsoziologische Gesichtspunkte. Man hat zum Beispiel gesagt, die rigoros normative Einstellung der Franzosen zu ihrer Sprache mache sie weniger attraktiv für Ausländer als das Englische, bei dem noch das Matthäus-Prinzip hinzukommt („Wer hat, dem wird gegeben“). Wenn man nicht hoffen kann, von französischen Muttersprachlern anerkannt zu werden, lernt man lieber gleich das polyzentrische Englisch. (Ich referiere nur.)
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 13.11.2021 um 15.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47591
|
Cats can track your ‘invisible presence’ using only their ears
https://edition.cnn.com/2021/11/10/world/cats-track-owners-location-voice-scn/index.html
Ein paar Zitate:
A new study out of Japan found that a stationary cat can track its owner’s location using audio cues - specifically, the owner’s voice.
"This time, I investigated whether they map their owner’s position spatially from sounds."
Results from this study demonstrate evidence of socio-spatial cognition in cats, meaning they can mentally picture where others are through cues like sound.
"It is generally believed that cats are not as interested in their owners as dogs are, but it turns out that they were mentally representing the invisible presence of their owners," Takagi said.
The study said this ability to create mental images based on sound and other stimuli indicates complex thinking.
"This is an ability that is the basis of creativity and imagination," Takagi said. "Cats are thought to have a more profound mind than is thought."
Weitere Forschungsperspektiven
"But cats ... may be thinking about many things."
Our feline friends might be more perceptive - and hear more - than we give them credit for. Whether they choose to listen to you is a different story (or study).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.11.2021 um 06.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47494
|
Forscherinnen und Forscher haben durch die Simulation von Prüfungssituationen festgestellt, „wie das Gehirn aufwühlende Ereignisse abspeichert“. (SZ 3.11.21) Dabei haben die Forscherinnen und Forscher erkannt: „Das Gedächtnis ist eigentlich dazu da, um Vorhersagen für die Zukunft zu machen.“ Auch die Amygdala kommt vor, und natürlich Botenstoffe. Diese Erkenntnisse wird man aber nicht abspeichern, dazu wühlen sie zu wenig auf.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.11.2021 um 06.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47485
|
Wie die SZ am 2.11.21 berichtet, haben Forscher der Eötvös-Lorand-Universität herausgefunden, daß Hunde „Wörter“ und „Silben“ auch in längeren „Sätzen“ identifizieren können. Da es sich um eine Kunst-„Sprache“ handelt, ist die Rede von Sätzen, Wörtern und Silben in doppelter Hinsicht irreführend. Auch in natürlichen Sprachen erkennen die Tiere keine Wörter usw. Es sind einfach Geräusche. Wie so oft, wirkt es sensationeller, wenn man sprachliches Material benutzt, auch wenn es für die Tiere nicht sprachlich ist.
Ob die Versuche neu sind oder immer noch das alte Material, das die ungarischen Forscher schon seit vielen Jahren auswerten, geht aus dem Bericht nicht hervor.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.10.2021 um 06.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47408
|
Affen erfanden Werkzeuge lange vor den Menschen (WELT 30.4.10)
Das ist Unsinn. Anzunehmen ist, daß die gemeinsamen Vorfahren auch schon Werkzeuge benutzten, wie die heutigen Schimpansen.
Als Handwerker sind Affen mindestens so einfallsreich und geschickt wie Menschen.
Das ist stark übertrieben. Noch nie hat ein Affe z. B. einen Faden in eine Nadel gefädelt. Einfachste Flechtarbeit ist noch nie beobachtet worden. Schimpansen töpfern auch nicht. Mit Feuer können sie gar nicht umgehen. Den rudimentären und seltenen Werkzeuggebrauch lernen einige (nicht alle) im Laufe vieler Jahre, angeregt durch Genossen, aber im wesentlichen nicht durch Nachahmung, sondern am Objekt. Darum hat es auch so lange gedauert, bis der Werkzeuggebrauch bei Affen überhaupt entdeckt (und dann von Jane Goodall gleich stark übertrieben dargestellt) wurde.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2021 um 12.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47400
|
Nicht zu unterschätzen ist selbst in der Wissenschaft (na ja, in der Psychologie halt...) die vorgefaßte Meinung, daß der Mensch oder irgendein anderes Tier nur die unbedingte Ruhe liebt, also ohne besondere "Motivation" am liebsten nur dasitzen will wie Loriots unsterblicher Aktivsitzer (https://www.youtube.com/watch?v=Iuobpte4ndQ).
Diese Ansicht wird sogar dem Behaviorismus unterstellt: Wenn oben kein Groschen in den Automaten geworfen wird, kommt unten nichts raus. Andere brauchen einen "Trieb" oder eine "Libido", damit sich was bewegt. Das hat Gründe in der Alltagserfahrung, aber ist doch ziemlich abstrus.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.10.2021 um 04.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47389
|
As part and parcel of an intellectual revolution in the second year, the child achieves new insight into the minds of itself and others. (Abstract zu Peter Hobsons „The cradle of thought“)
Schon wieder eine Revolution! Tomasello sieht sie im achten oder neunten Monat, Hobson im zweiten Jahr. Lauter Erfindungen, wie der „Geist“ und die vermeintliche Theorie des Kindes dazu. Milliarden von Eltern haben ihre Kinder heranwachsen sehen und nichts davon bemerkt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.10.2021 um 04.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47388
|
Ich habe mir einen Podcast zum Thema fake news, Verschwörungstheorien usw. angehört. Der Kognitionspsychologe redete wie der Mann auf der Straße, nur langweiliger. Er bestätigte aufs neue meine Meinung über die Wertlosigkeit dieser „Wissenschaft“. Die Wissenschaftsjournalistin, die es sonst wohlinformiert mit Drosten und Ciesek zu tun hat, schien selbst frustriert zu sein und versuchte den Mann immer wieder auf etwas Handfestes bringen zu wollen, aber vergeblich. Ab und zu lachte er über seine eigene Witzigkeit, die dem Hörer leider verborgen blieb. (https://www.ndr.de/nachrichten/info/Synapsen-Kopierfehler-im-Kopf,podcastsynapsen200.html)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.10.2021 um 04.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47313
|
Die intimsten Kenner des Kindes, also die eigenen Eltern, haben meist zu wenig Distanz und zu wenig Zeit, sich neben der Betreuung des Kindes noch mit dessen objektiver Erforschung zu beschäftigen. Ihre Notizen sind bestenfalls anekdotisch. Der regelmäßig, aber in größeren Abständen auftauchende Besucher dagegen, der das Kind in einer Langzeitstudie untersucht, hat nicht hinreichend Einblick in das gesamte Familiengeschehen, um es vollständig zu erfassen. Clara und William Stern haben dieses Problem, das auch die Protokollierung der Beobachtungen bestimmt, schon vor langer Zeit erörtert, auch die damals schon möglichen Tonaufnahmen. Seither ist die Videotechnik hinzugekommen, aber vieles, was zwischen Kind und Betreuungsperson geschieht, ist auch damit nur unvollkommen zu erfassen und muß stets auf dem Hintergrund einer Erfahrung interpretiert werden, die nur der Betreuer selbst hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.10.2021 um 03.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47312
|
Die vor allem auf Chomsky und seine Schule zurückgehende Behauptung, Spracherwerb geschehe „schnell und ohne Anstrengung“, hat wenig Sinn, weil für beides der Vergleichsmaßstab fehlt. Dennoch liest man bis heute Sätze wie: „Children acquire language at breathtaking speed.“ (Daniel Dennett: Kinds of minds. London 1997:195) Wir haben auch längst nicht genau genug untersucht, wie schnell das Kind andere feinmotorische Leistungen erwirbt, darunter auch durchaus kommunikative. Wer Kinder ständig beobachtet, ist auch vom Spracherwerb nicht so überrascht, wie er nach den Thesen der Theoretiker sein müßte: Das erste Wort in seiner noch unvollkommenen Artikulation fügt sich durchaus in die sonstigen Aktivitäten ein, und dann geht es über Monate und Jahre ebenso natürlich weiter.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2021 um 15.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47300
|
Vor allem indem man sich eng aneinanderkuschelt!
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 11.10.2021 um 15.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47299
|
Das ist eigentlich ein interessantes Thema. Wie halten Tiere ihre Körpertemperatur bei Kälte? Wie machen das Pferde, wenn sie regungslos nachts im Schnee stehen? So dick sind Fell und Fettschicht doch nicht. Auch in Afrika kann es nachts sehr kalt werden, je nach Witterung.
Wir modernen Menschen brauchen schon einen gut isolierenden Schlafsack samt Isomatte und bedecken womöglich noch das Gesicht. Bei Regen ist ein Zelt angesagt.
Wie kann man unter solchen Bedingungen auf sein Fell verzichten?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2021 um 13.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47298
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_nackte_Affe
(Dieses Buch haben wir damals verschlungen!)
Natürlich darf man nicht die heutigen gesellschaftlichen Normen der "zivilisierten" Völker heranziehen. Und natürlich ist es nur eine Spekulation. Aber daß wir das Fell nicht mehr brauchten, weil wir uns am Feuer wärmen konnten, halte ich für Unsinn.
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 11.10.2021 um 12.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47297
|
Die deutsche Sprache bräuchte mal ein digitalisierungsfreundliches Update. Erst schrieb ich "erogene Zonen", setzte dann einen Artikel davor und vergaß, die Beugung anzupassen. Sobald man ein bißchen an der Satzstruktur ändert, hängt gleich ein Rattenschwanz aus Suffixen dran.
Naja, lieber erstmal alles durchgendern. Gerechtigkeit geht vor
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 11.10.2021 um 11.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47296
|
Besonders interessant beim Menschen ist ja die starke intrasexuelle Konkurrenz unter Frauen. Wenn ich spekulieren sollte, handelt es sich beim Fellverlust um ein zufällig entwickeltes Attraktivitätsmerkmal, ähnlich wie die kindlichen Gesichtszüge, die rundere Körperform, die langen Haare.
Vielleicht hat es auf die Männer ein bißchen abgefärbt, weil viele Gene geteilt werden. Männer sind stärker behaart.
Frauen reagieren empfindlicher auf Berührung, allerdings sind die erogene Zonen nicht alle unbehaart.
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 11.10.2021 um 11.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47294
|
Daß Grooming Ursache für Fellverlust ist, scheint mir recht spekulativ zu sein. Welche Indizien gibt es dafür? So oft streicheln sich Menschen doch nicht, es findet eigentlich nur im familiären Bereich statt und nur in wenigen Situationen.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.10.2021 um 11.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47293
|
Ja, das leuchtet mir ein. Andererseits, wenn es so viele Wege gibt, ein ganz bestimmtes Ziel zu erreichen, dann ist es recht schwer zu sagen, welchen genauen Zweck ein ganz bestimmter Weg wie der fast komplette Fellverlust wirklich erfüllte.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2021 um 05.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47291
|
Bei der sozialen Hautpflege – einer Exaptation (Zweitnutzung, Umfunktionierung) geht es nicht mehr um Hygiene, sondern ums Streicheln und Kuscheln.
Daß andere Primaten ihr Fell auch hätten aufgeben müssen, ist kein gültiges Argument. Manche Schmetterlinge machen sich unsichtbar, andere schrecken durch Augenflecken ab – das wird nicht durch den Hinweis entkräftet, daß andere es anders machen. Es gibt viele Wege des Überlebens. High-speed running in predators co-evolves with high-speed running in their prey. Thick armour co-evolves with weapons and techniques for penetrating it. (Dawkins, Rainbow 232) Hunde hecheln, Elefanten wedeln mit den Ohren, um Wärme abzuführen. Warum machen wir es nicht ebenso? Usw.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.10.2021 um 21.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47290
|
Wird Körperpflege nicht umso schwieriger, je dichter das Fell ist? Dann wäre doch ein Fellverlust geradezu kontraproduktiv zu Sozialkontakten und zwischenmenschlichen Beziehungen, gegenseitige Körperpflege würde weniger notwendig, verlöre an Bedeutung.
Mit dem Klima dürfte der Fellverlust auch wenig zu tun haben, sonst müßten ja heutige Affenarten in Afrika auch längst ihr Fell verloren haben.
Mit der Entwicklung von Gehirn und Denken lernten die ersten Menschen im Laufe der Zeit immer besser, sich gegen Kälte und mechanische Gefahren zu schützen. Trotz Fell und dicker Hornhaut an den Füßen waren Kleidung und Schuhe sicherlich von Anfang an ein zusätzlicher Vorteil. Andererseits glich die Kleidung immer mehr auch stärkeren Fellverlust aus, der wiederum durch natürliche Auslese aufgrund höherer sexueller Attraktivität gefördert wurde. So wurde der Mensch in den Jahrtausenden immer nackter.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.10.2021 um 09.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47289
|
In der Zeitung ein Bericht über die Erfindung der Fellkleidung: „Schließlich verloren die Menschen bereits vor 1,3 Millionen Jahren ihr Fell, was womöglich mit der Erfindung des Feuers zusammenhing. Dennoch waren sie weiterhin auf Schutz und Wärme angewiesen.“
Die Beherrschung des Feuers seit fast 2 Mill. Jahren kann nicht der Grund gewesen sein. Bis zu beheizten Wohnungen verging noch viel Zeit, in der ein Lagerfeuer gar nichts nützte (außer Essen kochen und Feinde abschrecken). Fellkleidung braucht man nach der Besiedelung kühler Regionen – wenn man das Fell zuvor in wärmeren aufgegeben hat.
Zu vermuten ist eher, daß die nackte Haut die Sozialkontakte und damit die zwischenmenschliche Bindung verstärkte und das gesellschadftliche Zusammenleben intensivierte. Social grooming wäre ein Anknüpfungspunkt bei anderen Primaten. Auf die Distanz dann durch Laute (Ursprung der Sprache nach Robin Dunbar).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2021 um 06.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47251
|
Zum Handicap-Prinzip:
Eigentlich wird nirgendwo erklärt, warum zum Beispiel der Mäusebussard so viel schreit. Angeblich zur Revierabgrenzung, aber das ist schwer zu beweisen. Außerdem sehen die Vögel einander schon von ferne; sie könnten ihr Schreien auf den Fall beschränken, daß ein Konkurrent auftaucht. Das Schreien müßte doch die Mäuse vertreiben, die ja auch sehr gut hören.
Wer die unerträgliche Spannung nicht fürchtet, kann sich hier einklinken:
https://www.youtube.com/watch?v=syiuxNoKVLs
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2021 um 12.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47154
|
Burkhard Müller kritisiert die neurosophischen Spekulationen in den neuen Büchern von Roth, Prinz und Damasio (SZ 21.9.21). Mit Recht, auch wenn die Kritik ebenso traditionell ist wie die kritisierten Werke. Noch immer treten das Gehirn und das Bewußtsein als zwei Gegenstände auf, deren Beziehung zueinander es zu ermitteln gilt. Es fehlt der naturalistisch-sprachkritische Ansatz.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2021 um 04.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47146
|
Weil die Kindersprache sich nicht "entwickelt", war es auch verfehlt, von einer "Altersmundart" zu sprechen (Berthold Otto, aufgegriffen u. a. von Clara und William Stern und Adolf Busemann). Der Gedanke war, daß das jeweilige Stadium der kindlichen Sprache ein geschlossenes System sei. Dialekte und Sprachen sind in der Tat zu jedem Zeitpunkt relativ geschlossene Systeme, aber die kindlichen Fertigkeiten bleiben immer auf das komplettere Modell bezogen, aus dem sich das Kind Stück um Stück herauszieht. Schon sehr bald "weiß" das Kind auch, daß die Großen es besser können, ob es nun um Sprechen oder andere Fertigkeiten geht. Aber darauf kommt es nicht an. – Aus diesem Grund ist es auch falsch, die frühen Stadien der Menschheit und ihrer mutmaßlichen Sprache mit der Kindheit und ihrer Sprache zu vergleichen. Die kindliche Kultur ist ein Flickenteppich aus Bruchstücken der Erwachsenenkultur, freilich kindgerecht und unter dem Zwang des Sichbehauptens hergerichtet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.09.2021 um 11.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47102
|
Christoph Bördlein, einer der besten Kenner der Verhaltensanalyse, hat soeben eine weitere Kritik der herkömmlichen Psychologie (am aktuellen Beispiel der Handhygiene) veröffentlicht, auf die ich nachdrücklich hinweise:
https://verhalten.wordpress.com/
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.09.2021 um 05.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47059
|
Ein Kind folgt unbewußt dem Leitsatz "Erwirb eine soziale Identität und innerhalb dieser eine individuelle Identität!" (Wolfgang Klein)
Das ist unklar genug – was soll des unbewußte Befolgen eines Leitsatzes sein, den das Kind auch bewußt nicht formulieren könnte? Aber was soll es überhaupt tun? "Eine soziale Identität entwickeln" ist ja kein definierbares Verhalten. Ich jedenfalls als Erwachsener wüßte nicht, was ich tun sollte, wenn jemand mich dazu aufforderte.
Solcher Unsinn steht in renommierten Handbüchern. (Hannelore Grimm, Hg.: Sprachentwicklung. Göttingen u. a.: Hogrefe 2000 (Enzyklopädie der Psychologie C III, 3), S. 553)
)
Es handelt sich um eine Version des Homunkulusmodells: Man nimmt innerhalb des Organismus eine räsonierende Person an.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2021 um 13.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47031
|
Eine Studie findet deutliche Belege für die alltägliche Diskriminierung von Frauen mit Hidschab in Deutschland.
(...)
Ein Forscherteam der London School of Economics in Großbritannien sowie der Universitäten Pittsburgh und Pennsylvania in den USA hat diese Situation für ein Experiment herbeigeführt, um Erkenntnisse über die Diskriminierung kopftuchtragender Frauen in Deutschland zu gewinnen. (...)
An 26 Bahnhöfen deutscher Großstädte ließen die Forscher Schauspielerinnen telefonieren. Die erste Gruppe der Frauen präsentierte sich als nicht migrantisch, die zweite durch ihr Auftreten und ihre Aussagen über das Leben in Deutschland als migrantisch, die dritte Gruppe trug Hidschab. Alle Frauen sprachen lautstark über eine angebliche Schwester, die nach der Geburt ihrer Kinder wieder arbeiten gehen wolle. Die Aussagen dazu variierten: Einmal kritisierten die Schauspielerinnen die Entscheidung der Schwester scharf, ein andermal bewerteten sie diese positiv, oder aber sie zeigten sich eher neutral. (SZ 7.9.21)
Usw.
Man braucht nicht weiterzulesen, Schauspielerinnen verkörpern eine Rolle so, wie es dem Klischee entspricht, das ist ihr Job. Unterwiesen werden sie von den Psychologen, die sich dabei als die eigentlichen Rassisten erweisen und an einem bestimmten Ergebnis interessiert sind. Anschließend fallen sie auf ihr eigenes Versuchsdesign herein. Am Ende werden ungehörigerweise noch praktische Forderungen an die deutsche Politik abgeleitet. Zeitungen verbreiten es über die ganze Menschheit.
Bei keinem dieser Experimente, wie man sie tausendmal gelesen hat, wird durch einen Vorversuch festgestellt, wie valide die Simulation ist.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2021 um 07.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#47025
|
Bei Tieren scheint das Versteckspiel nicht vorzukommen. Sie verstecken weder sich selbst noch irgendwelche Gegenstände in spielerischer Weise. Hunden „suchen“ aber gern nach dem menschlichen Partner, wenn er sich versteckt hat, ebenso wie sie Gegenstände apportieren, also spielerisch erjagen. Berichte über Versteckspiel bei Ratten bzw. mit Ratten scheinen dem zu widersprechen:
In einem zweiten Versuchsteil übernahm die Ratte die Rolle des Versteckten: Dazu kauerte sich der Mensch geräuschlos neben die offene Box, woraufhin das Tier heraussprang und sich versteckte. Anders als zuvor ging die Ratte jetzt ganz still vor und suchte ihr Versteck mit Bedacht, berichten die Forscher. Sie bevorzugte dabei undurchsichtige vor durchsichtigen Verstecken.(2019, https://www.merkur.de/leben/tiere/haben-ratten-spass-am-versteckspiel-zr-12999364.html, https://www.sueddeutsche.de/wissen/verstecken-ratten-experiment-1.4598378)
Was geschah wirklich?
Sie brachten den Tieren zunächst die grundlegenden Regeln des Spiels bei. Alle sechs Ratten lernten innerhalb von ein bis zwei Wochen, eine versteckte Person zu suchen und zu finden. Fünf der Ratten lernten außerdem, sich selbst zu verstecken und zwischen den Rollen zu wechseln.
Das Suchverhalten der Ratten ist bekannt. Aber die Gleichsetzung ihres Verhaltens mit dem menschlichen Versteckspiel und seinen „Regeln“ ist eine Frage der Interpretation (wobei ich von der Fragwürdigkeit des „Regel“-Begriffs absehe).
Sogar die selbstkritische Bemerkung:
Aufgrund einer ganzen Reihe von Beobachtungen innerhalb unserer Studie haben wir den Eindruck, dass die Ratten spaßeshalber spielen», so Michael Brecht, Mitautor der Studie. Völlig ausschließen können die Wissenschaftler nicht, dass die Tiere nur der Belohnung wegen spielen
ist nicht in Verhaltensbegriffen abgefaßt, so daß eine Einordnung als Konditionierung unmöglich ist. Die Formulierung "nur der Belohnung" wegen läßt auf ein verbreitetes Mißverständnis der Lernpsychologie schließen. Auch das wirkliche Versteckspiel etwa bei Kindern geht mit einer „Belohnung“ (reinforcement) einher. „Spaßeshalber“ und „der Belohnung wegen“ sind kein Gegensatz.
Es folgt noch der übliche Schlenker ins Neurophysiologische, zusätzlich verdorben durch die nicht-ratifizierbare kognitivistische Metaphorik:
Aufzeichnungen der Gehirnaktivität zeigten während des Spielens eine erhöhte Aktivität im präfrontalen Cortex der Ratten. Sie variierte mit den verschiedenen Rollen. Bei Menschen ist dieser Bereich des Gehirns für die soziale Wahrnehmung zuständig und ermöglicht einen gedanklichen Perspektivwechsel.
Hirnaktivitäten variieren mit jedem beliebigen Verhalten. Solche Beglaubigungen werden heute oft angefügt. Sie tragen nichts zur entscheidenden Frage bei, ob Ratten Versteckspiele beherrschen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.08.2021 um 05.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46941
|
Schadenfreude, nicht-prosoziale Emotion: am Schaden oder Leid anderer Personen Freude haben; Erscheinungsform der Aggression. (spektrum.de)
Aggression und Schadenfreude (ein unwissenschaftlicher alltagspsychologischer Begriff) haben aber vielleicht doch eine „prosoziale“ (gesellschaftiche) Funktion. Man sollte die Wertung nicht schon in die Definition einbauen, sondern den Gegenstand lieber umfassend untersuchen. Kontrollierte oder gespielte Normverstöße dienen oft der Befestigung der Norm.
Das Lachen aus Schadenfreude ist ein gesellschaftliches Verhalten – warum sollte es "nicht prosozial" sein? Vgl. Jennifer Hofmann/Willibald Ruch: „Gibt es ein Lachen der Schadenfreude?“ (Zeitschrift für Semiotik 37, 2015:55-79) Dieser Aufsatz untersucht die Mimik usw. aufs genaueste, hält sich aber bei den "Emotionen" an die Alltagspsychologie, als seien sie hinreichend bekannt.
Der Wikipedia-Eintrag zur Schadenfreude beschäftigt sich fast nur mit Wilhelm Busch, scheint vom Pädagogen Warwitz zu stammen.
Eine bekannte Stelle aus dem "Grünen Heinrich":
Gottfried Keller freut sich über den Tod seines Jugendfeindes, der vom Manesseturm in der Münstergasse abstürzt:
„Der Unglückliche, der sich alles zutraute, wollte die Kosten sparen und während der Mittagsstunde die Fahne in aller Stille abnehmen, hatte sich auf das steile hohe Dach hinausbegeben, stürzte herab und lag in diesem Augenblicke zerschmettert und tot auf dem Pflaster. – Es durchfuhr mich, als ich die Kunde vernommen und schnell meines Weges weiterging, wohl ein Grauen, verursacht durch den Fall, wie er war; aber ich mag mich durchwühlen, wie ich will, ich kann mich auf keine Spur von Erbarmen oder Reue entsinnen, die mich durchzuckt hätte. Meine Gedanken waren und blieben ernst und dunkel; aber das innerste Herz, das sich nicht gebieten läßt, lachte auf und war froh.“ Er analysiert dann seine Gefühle noch etwas genauer.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.08.2021 um 06.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46933
|
„Forschende“ haben festgestellt, daß junge Fledermäuse ebenso „brabbeln“ wie Menschenkinder. Eigentlich hat man nur gepulste Laute beobachtet (SZ/dpa 23.8.21). Ob die Analogie zum menschlichen Spracherwerb von Bedeutung ist, bleibt unklar, jedenfalls wird zu Unrecht gesagt, daß die Tiere ihre Sprache ähnlich lernen wie Menschen. Die Bezeichnung als „Silben“ ist nicht gerechtfertigt. Schon die Überschrift ist irreführend: Fledermäuse lernen Sprache wie Kleinkinder. Fledermäuse lernen keine Sprache. – Das Ganze wird zu Unrecht als Beitrag zur Erforschung des menschlichen Spracherwerbs ausgegeben. Wenn schon, dann sollte man bei Schimpansen suchen und nicht bei so weit entfernten Arten.
Übrigens hatte die SZ genau ein Jahr zuvor denselben Quatsch schon einmal gebracht: Fledermäuse benutzen Babysprache (SZ 18.8.21). Und wieder ein Jahr früher, im August 2019, haben die Verfasserinnen schon denselben Anspruch erhoben, mit den Fledermauslauten etwas zur Entwicklung der menschlichen Sprache beitragen zu können (https://www.vbio.de/aktuelles/wie-kommunikation-und-verhalten-von-fledermaeusen-beim-verstaendnis-der-sprachentwicklung-hilft/).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.08.2021 um 06.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46819
|
Dass das Verhalten der sozialen Bonobos der menschlichen Höflichkeit ähnelt, ist für die Forscher besonders spannend. Sie wollen mit anderen Primaten- und Tierarten weiter die Entwicklung sozialer Etikette erforschen. (SZ 13.8.21)
(Es geht um Kontaktaufnahme durch Anschauen, Berührung...)
Voriges Jahr berichtete Der Standard über dieselbe Autorin Raphela Heesen:
Welche Inhalte die Gesten der Bonobos genau bergen, wollen die Forscher in weiteren Studien untersuchen. Sie vermuten aber, dass die Tiere ihre Partner mit ähnlichen Signalen wie "Entschuldigung, ich bin gleich wieder da" oder "Sorry, dass ich dich warten ließ" um Verzeihung bitten.
Titel: Bonobos nehmen eine unterbrochene Arbeit pflichtbewusst wieder auf
Um in die Presse zu kommen, muß man kräftig anthropomorphisieren; allerdings ist die „Forschung“ selbst nicht weit davon entfernt. Die Unterstellung von „sorry“ (bzw. Äquivalenten menschlicher Entschuldigungen) kennen wir aus den Sprachversuchen mit Affen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.08.2021 um 04.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46816
|
Die Psychologin Susanne Wilpers meint, Kinder seien bei „Memory“ im Vorteil, weil ihr Gehirn noch mehr Synapsen habe, die später abgebaut werden. Sie ist keine Neurologin (ihre wenigen Veröffentlichungen sind weit davon entfernt) und hat die Rolle der Synapsen beim Memory-Spiel nicht beobachtet. Ihre Erklärung, die vor einigen Jahren durch die deutschen Zeitungen ging, ist rein spekulativ. Psychologen „wildern“ gern auf dem Gebiet der Neurologie. Wenn sie von "Synapsen" anfangen, braucht man nicht weiterzulesen. Irgendwie wird es mit dem Gehirn zu tun haben – was sonst? Nicht erklärt ist, warum Kinder keine zuverlässigeren Augenzeugen sind usw. Was ist das Spezifische der Memory-Leistung? Wo sind Kinder sonst noch im Vorteil?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.08.2021 um 04.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46803
|
„Primaten können kognitiv mit kleinen Kindern durchaus mithalten. Aber Menschen sind unübertroffen darin, zusammenzuarbeiten und voneinander zu lernen.“ (SZ 9.8.21)
Im Gegenteil. Kinder verhalten sich ganz anders als andere Primaten und sind darum zur Kultur und zur Zusammenarbeit fähig.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.08.2021 um 12.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46737
|
Früher hatten wir nur die Reformitis. Alles sollte immer reformiert werden. Jetzt reichen Reformen nicht mehr, die Wende muß her:
Energiewende, Verkehrswende, ...
Warum immer gleich so radikal?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2021 um 06.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46702
|
(Nachdem ich den letzten Text eingetagen hatte, war der vorletzte plötzlich verschwunden. Ein technisches Problem, das mir seit längerer Zeit Rätsel aufgibt.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2021 um 05.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46701
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46681
Eines der berühmtesten Experimente, das sich denn auch kein neueres Lehrbuch entgehen läßt, ist das Milgram-Experiment. Hätten wir nicht schon vorher gewußt, daß der Mensch dem Menschen ein Wolf ist (oder noch öfter ein Schwein), wären die Ergebnisse nicht so heftig begrüßt worden. Inzwischen ist davon nicht viel übrig geblieben.
Ob man die anderen Klassiker auch schon umfassend nachgeprüft hat? (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_klassischen_Experimente_in_der_Psychologie)
Zur Zeit müssen die "neurolinguistischen" Erkenntnisse besonders kritisch gesehen werden. Die bunten Bildchen mit den Hirnscans sind ziemlich raffiniert, weil man darüber die windigen Grundlagen vergessen kann.
|
Kommentar von , verfaßt am 02.08.2021 um 04.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46696
|
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2021 um 04.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46681
|
Seit kurzem geht ein Thema durch die Wissenschaft, das mich auch schon oft beschäftigt hat. Es ist ein Hauptgrund, warum ich insbesondere Nachrichten aus der Psychologie großenteils nicht mehr lese. Es hat sich nämlich gezeigt, daß unglaublich viele Experimente nicht reproduzierbar sind. Die Ergebnisse waren entweder anekdotisch oder frisiert oder sonstwie methodisch unzulänglich ermittelt.
Bei vielen Befunden, die hier immer wieder mal referiert wurden, wäre eine Fußnote angebracht gewesen: "Soweit reproduzierbar". Immerhin waren wir nie leichtgläubig. Daher mein Motto: "Niedriger hängen!"
Hierzu auch WEIRD people: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1506#22125
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2021 um 04.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46680
|
In den fMRT-Versuchen der Neurolinguisten werden dem Probanden „sprachliche Reize“ geboten, d. h. formal (topographisch) mit Sprachabschnitten übereinstimmende Reize, die aber keine Sprache in Funktion sind, sondern isoliertes Verhalten im Modus des Zitierens, der Simulation (Verstellung). Mehrfache Künstlichkeit. Man sucht dann nach Entsprechungen der Artefakte „semantische Prozesse“, „syntaktische Prozesse“ usw. Das ist so, als suche man im Gehirn der Honigbiene nach Entsprechungen der Sechszahl, die WIR benutzen, um die Waben zu beschreiben, oder nach Fibonacci-Zahlenfolgen im Genom von Kohl und Kiefern.
Haben alle korrekten und alle inkorrekten Fügungen jeweils gleiche Bilder zur Folge? Viele Fragen stellen sich, wenn man das Kapitel Neurolinguistik im Katalog „die Sprache Deutsch“ liest (aus dem Hause Friederici natürlich).
Die bunten Bilder sind die nächste Täuschung. Darüber ist ja schon viel Kritisches geschrieben worden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2021 um 03.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46677
|
Die Versuche ähneln einander im Aufbau, umstritten ist die Deutung. Nachahmung wird nicht ausgeschlossen, ist aber ihrerseits kein einfacher Begriff.
Skinner hat es für wahrscheinlich gehalten, daß in Gruppen lebende Tiere in der Phylogenese gewissermaßen den Befehl "erlernt" haben: Tu, was die anderen tun! Das kann bei Herden, Schwärmen usw. nützlich sein.
Die Forschung geht dahin, den Begriff Nachahmung in mehrere Varianten aufzuspalten.
Mir kommt es mehr auf die Exklusivität des Vormachens (der lehrhaften Simulation) an.
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 01.08.2021 um 00.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46676
|
Zu http://sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46607
Dann erfanden die Forscher eine einfach zu lösende Aufgabe für die Meisen: Hinter einer Schiebetür, deren linke Hälfte blau und rechte Hälfte rot gefärbt war, befand sich ein Mehlwurm. Die Meisen konnten ihn erreichen, indem sie die Tür an der blauen Seite nach rechts oder an der roten Seite nach links bewegten. Je zwei Meisenmännchen aus jeder der acht Populationen wurden gefangen. Die Repräsentanten von drei Populationen wurden vier Tage lang darauf trainiert, an der roten Seite zu schieben, die von zwei Populationen darauf, an der blauen Seite anzufassen, und die übrigen waren Kontrollen, die gar nicht trainiert wurden. Dann ließ man die Tiere wieder frei und stellte die Futterspender mit den rot-blauen Türen im Wald auf.
Unter den Populationen, in denen das Verhalten "gesät" worden war, verbreitete es sich im Nu. Schon nach fünf Tagen fingen mehr und mehr Meisen an, die Spender zu nutzen, innerhalb von 20 Tagen hatten 80% der Meisen gelernt, die Türchen zu bedienen. Dass dies nicht einfach daran lag, dass die Aufgabe zu einfach war und sie von selbst darauf gekommen waren, bewiesen die Kontrollpopulationen, wo es doppelt so lange dauerte, bis die Spender angenommen wurden und auch nach 20 Tagen noch weniger als die Hälfte der Tiere auf den Trichter mit der Tür gekommen war.
Zudem blieben die Tiere in jeder Population bei der Methode, die "gesät" worden war: Die Kumpanen von Blautürschiebern schoben fast ausschließlich an der blauen Seite, die von Rottürschiebern die rote. Und dabei blieben die Populationen nicht nur über die Zeit - die Präferenz verstärkte sich sogar noch. Es gab durchaus Vögel, die anfänglich aus der Reihe tanzten und die jeweils abweichende Tür schoben - das Ergebnis war ja dasselbe. Fast alle diese Tiere kamen aber nach einiger Zeit "auf Linie". Und Meisen, die in eine andere Population umzogen, passten sich überwiegend den dortigen Gepflogenheiten an. Die Tendenz zur sozialen Nachahmung war so groß, dass sie ihr Verhalten umstellten, obwohl sie keinen Vorteil davon hatten. Und die Präferenz hatte Bestand: Als die Forscher die Türchenspender im folgenden Winter erneut aufstellten, waren nur noch rund 40% der Populationen am Leben und vor Ort. Aber wieder schossen sich die Tiere auf die in ihrer Population gesäte Methode ein.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.07.2021 um 17.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46675
|
Ich hatte mal Russell zitiert: "Evidenz ist der Feind der Wahrheit." Dazu Beispiele. Dawkins zeigt immer wieder, wie viele Tatsachen es gibt, die dem gesunden Menschenverstand widersprechen.
Alles richtig. Aber wenn man genauer hinsieht, ist es noch interessanter. Die mäeutische Methode des Sokrates bestand darin, dem Dialogpartner die Zustimmung zu etwas abzuringen, was ihm zunächst völlig falsch ("paradox") zu sein schien. Schritt für Schritt akzeptiert er andere Sätze, geleitet vom gesunden Menschenverstand, bis der angezweifelte Anfangssatz zwingend daraus folgt. Zum Beispiel: "Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun." (Zur Sache selbst will ich mich hier natürlich nicht äußern.)
Einstein hat auch in populärer Darstellung die Wahrheit der paradoxesten aller Thesen gezeigt; jeder einzelne Schritt ist mit dem gesunden Menschenverstand nachzuvollziehen. Etwas anderes haben wir ja nicht. Euklids Beweise beruhen alle auf dem gesunden Menschenverstand.
Man sieht daran, daß die Schwäche des gesunden Menschenverstands nur in seinem Mangel an Übersicht besteht. Die Kunst des Forschens und Lehrens besteht darin, diese Übersicht herzustellen: zu zeigen, wie alles zusammenhängt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.07.2021 um 08.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46671
|
Meltzoff stellt sich den Ablauf so vor:
First-person experience: Infants experience the regular relationship between their own acts and underlying mental states. > Understanding Other Minds: Others who act "like me" have internal states "like me."
Das klingt plausibel, aber zugleich absurd. Wie soll man sich bei Säuglingen oder Kleinkindern die Erfahrung von mentalen Zuständen vorstellen? Das späte kulturelle Konstrukt des Mentalen wird in die Kinder hineinprojiziert. Wenn es begrifflich sparsamer geht, sollte man es versuchen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2021 um 12.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46668
|
Es wirkt oft so, als gestehe man den Neandertalern nur widerwillig eine Sprache zu, die aber auf jeden Fall anders strukturiert gewesen sei als unsere (welche?). Dafür fehlt jeder Anhaltspunkt; um so befremdlicher der Eifer, mit dem man nach anatomischen Unterschieden sucht, die es begründen könnten. Die Distanzierung erinnert an den „gutturalen“ Charakter, der allen Sprachen außer unserer eigenen zugeschrieben wird.
Im Grunde der gute alte Rassismus, nur daß die „Wilden“ jetzt in eine unverfängliche Vorzeit verlegt werden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2021 um 08.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46651
|
„Vertrauen“ wächst, wenn man einander necken kann. (Man könnte versuchen, das Ganze im begrifflichen Rahmen von Zahavis „Handicap-Prinzip“ darzustellen.) Kleine Kinder, die man scheinbar beißt usw., gewinnen mehr Vertrauen in die Bezugsperson. Sie können sich darauf verlassen, daß ihnen von dieser Seite keine Gefahr droht. Das kann man auch von balgenden Katzen annehmen. Die Kinder testen die Grenzen: was können sie dem Erwachsenen antun, ohne wirklich etwas Unangenehmes zu rikieren? Die Botschaft ist: Wir verstehen einander so gut, daß wir uns Angriffe leisten können. Gespielte Aggression, gespielte Kooperationsverweigerung stabilisieren die Beziehung, sofern sie durchschaubar bleiben (Problem für Autisten!).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2021 um 05.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46650
|
Die Pandemie zeigt im Zeitraffer, wie Evolution funktioniert und was es bedeutet, daß Arten "aussterben". Zu Zeit ist es die Delta-Variante, die innerhalb von Wochen alles dominiert. Die anderen "sterben aus", was kein Sterben im eigentlichen Sinn bedeutet (soweit man bei Viren überhaupt von Leben sprechen kann), sondern einfach einen Vorsprung bei der Reproduktion innerhalb derselben ökologischen Nische (nämlich uns).
So kann es auch mit den Varietäten des Menschen gewesen sein. Es gab allezeit nur sehr wenige Menschen auf der Erde. Da konnte es leicht passieren, daß etwa die Neandertaler über die Jahrtausende hin immer weniger wurden und dann verschwanden, vielleicht nachdem sich manche auch mit anderen Varietäten wie dem Sapiens gepaart hatten. Niemandem wurde über das übliche Maß hinaus Gewalt angetan, sie wurden nicht persönlich ausgetilgt wie die Juden von den Nazis.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.07.2021 um 05.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46622
|
Immer wieder wird versucht, eine Ursache des Aussterbens der Neandertaler zu finden. Sie sollen im Vergleich zum Homo sapiens irgendwelche Defizite gehabt haben. Bei einer Art, die mehrere hundertausend Jahre (länger als bisher der „Sapiens sapiens“) existierte, scheinen solche Fragen deplaziert. Beantworten lassen sie sich schon deshalb nicht, weil es sich um ein einzigartiges historisches Ereignis handelt. Frühe Menschen haben Teile der Erde stets nur sehr dünn besiedelt, ein „Aussterben“ war jederzeit möglich; es hätte auch anders kommen können, so daß man in historischer Zeit noch auf Gruppen von Neandertalern hätte stoßen können wie heute noch auf Arten, die es vielleicht bald nicht mehr geben wird, ohne daß man eine spezifische Untüchtigkeit dafür verantwortlich machen könnte.
Trivialliteratur und Spielfilme gaukeln uns „primitive“ Frühmenschen vor, die nicht einmal untereinander ordentlich kommunizieren konnten, sondern mehr oder weniger stammelten. Geisteswissenschaftler verbreiten dieses naive Bild, verbunden mit dem „speziesistischen“ (rassistischen) Selbstbewußtsein der überlebenden und also wohl tüchtigeren Art:
Dieser Homo erectus nun teilte sich vor einer halben Million Jahren in zwei Linien, deren eine, diejenige des Neandertalers, auf die Ausbildung physischer Fertigkeiten in direkter Konkurrenz zur Tierwelt setzte und die lautliche Verständigung auf das Reiz-Reaktionsschema eines rudimentären Repertoires beschränkte: die Lage und Gestalt von Kehlkopf, Schädelbasis und Zunge gestattete nicht mehr. Der Neandertaler starb vor etwa 35000 Jahren aus. Die andere Linie erwies sich als die eigentlich überlebensfähige und zukunftsträchtige, der sogenannte Homo sapiens sapiens vervollkommnete seinen Stimmapparat, die Schädelbasis veränderte sich, der Gaumen erhielt seine Wölbung, die Zunge rundete sich nach hinten. (Gert Ueding: Macht über Marionetten. https://vds-ev.de/wp-content/uploads/2017/02/ag-literarisches_machtmarionetten.pdf)
(Hier kommt noch das Klischee vom „Reiz-Reaktionsschema“ hinzu, das in bezug auf die Neandertaler besonders abwegig ist. Sie unterhielten das Feuer und stellten Werkzeuge und Waffen wie Äxte, Speerspitzen usw. her, destillierten Pech, malten Bilder und bestatteten ihre Toten. Wer dies als Reiz-Reaktions-Verhalten beschreiben kann, möge es tun. Was die Sprachfähigkeit betrifft: gegenüber den Spekulationen zum FOXP2-Gen, zum Bau von Schädel, Kehlkopf, Zungenbein usw. bleibt die überwältigende Tatsache einer weit entwickelten Kultur, die ohne Sprache nicht denkbar ist.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.07.2021 um 04.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46621
|
Ihr letzter Satz ist interessant, weil er genau das Gegenteil der fundamentalen Überzeugung der "Klassiker" von Wundt bis Titchener besagt. Aber dazwischen liegt eben die ebenso fundamentale Kritik an der Introspektion. Wir verwerfen sie als Methode, nutzen aber nach entsprechender Umdeutung die sprachlichen Auskünfte, die metaphorisch (besser "transgressiv") immer noch als Innenschau modelliert werden, als Verhaltensdaten.
Was die Selbstüberwindung bei Mensch und Tier betrifft, unterliegt sie der allgemeinen Schwierigkeit aller Redeweisen mit "selbst". Ich suche nach einer alternativen, nicht-reflexiven Fassung.
Und zur Katze noch einmal mein Hinweis auf Skinners "An operant analysis of problem solving".
|
Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 26.07.2021 um 21.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46620
|
Tiere müssen sich auch manchmal zu unangenehmen Verhalten überwinden. Etwa eine Katze, die einer Pfütze nicht ausweichen kann und hindurchlaufen muß – die hat aufgrund ihrer geringen Sprachfähigkeit wahrscheinlich nur ein sehr begrenztes Verhaltensrepertoire, das sie "im Kopf" durchspielen kann. Wäre interessant, ob sie in Gedanken zu sich selbst spricht, denn ein bißchen können auch Katzen kommunizieren.
Besonders schwierig zu verstehen ist ja, warum der Mensch sich anders entwickelt hat als die Tiere, warum er diese Komplexität von Sprach- (und Denk)fähigkeit entwickelt hat. Geoffrey Miller vertritt in The Mating Mind (2000) die Hypothese, daß virtuoses Sprechen, Phantasieren, Rhetorikfähigkeiten durch sexuelle Selektion entstanden ist. Reden als Kunst und als Brautwerbung. Intelligenz im wissenschaftlich-technischen Bereich war demnach eher Byproduct und bedurfte in stärkerem Maß einer kulturellen Schärfung. Darum interessieren mich auch Belege für frühe Rhetorikformen, wir hatten das Thema hier mal.
Fundamental schwierig ist natürlich das innere Erleben selbst zu erklären, da es einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht zugänglich ist (jedenfalls nicht aus der Perspektive der ersten Person, um die es ja geht).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.07.2021 um 18.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46619
|
Sie haben das Problem wieder mal auf den Punkt gebracht. Für mich gibt es nur das Verhalten (und seine Geschichte). "Denken" ist hinzuerfunden, ein Konstrukt, wie ich es nenne, und seine Entstehung ist als Verhalten zu erklären (eine große Aufgabe).
Wenn wir das Verhalten als Handeln modellieren, mit vorhergehender Überlegung und Kosten-Nutzen-Kalkül, dann ist meine Frage, ob man sich selbst ermahnen kann, gegenstandslos. Für die Philosophen von Platon bis Kant war es selbstverständlich, daß man etwas tun kann, was man nicht will – weil es das Bessere ist. Für die Entlarvungspsychologen von Schopenhauer bis Nietzsche und Freud war das Gegenteil richtig: Man tut immer, was man will – letzten Endes! Für mich ist beides sinnlos: alles geschieht, wie es eben geschieht, und ist aus seiner Geschichte zu erklären.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.07.2021 um 17.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46618
|
Mahnen, obwohl es eigentlich nur erinnern, aufrufen bedeutet, hat für mich immer einen Aspekt der Warnung, Drohung (wenn du das nicht/dennoch tust, dann ...). Es ist also typisch menschlich und auch sehr speziell. Es gibt aber viele Situationen, wo man genauso sein Tun abwägen muß, und man wägt es halt so gut man kann. Man tut nicht nur das Angenehmere, sondern manchmal tut man das Unangenehme, weil es andere Vorteile verspricht.
Manches bereitet mehr Lust, mehr Vergnügen, weniger Langeweile, weniger Schmerzen, ist billiger (schmerzt nicht den Geldbeutel), läßt auf zukünftige Vorteile hoffen, Man nimmt jederzeit Nachteile in Kauf, wenn der positive Effekt überwiegt. Nicht nur beim Arzt.
Dieses Abwägen als reines Verhalten zu erklären, fällt mir schwer. Bei Tieren mag das angehen, aber der Mensch denkt, wenn er dazu Zeit hat, bevor er das eine oder andere tut. Es sei denn, man zählt das Denken als Teil des Verhaltens.
|
Kommentar von , verfaßt am 26.07.2021 um 05.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46613
|
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.07.2021 um 04.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46607
|
Australische Kakadus haben gelernt, Mülltonnen zu öffnen, und das verbreitet sich unter ihnen.
Dies interpretieren die Forscher als Beleg für soziales Lernen und die Entwicklung einer neuen Kultur unter den Gelbhaubenkakadus. Die Vögel haben sich also die Technik voneinander abgeschaut und sie auf diese Weise schnell und weiträumig verbreitet. Ein neues Verhalten von Artgenossen zu übernehmen, fällt vor allem sozial lebenden Tieren leicht, die eine jahrelange Entwicklungsphase haben und generell lernfähig sind. All diese Kriterien erfüllen Gelbhaubenkakadus. (SZ 24.7.21)
Die Parallele zu den englischen Meisen und Milchflaschen wird ausdrücklich erwähnt. Gerade an diesen haben sich jedoch die Zweifel und alternativen Erklärungen (von Tomasello und anderen) entzündet. Kurz gesagt: Einer ist auf den Trick gekommen, die anderen werden dadurch auf die „Problemsituation“ aufmerksam und kommen ebenfalls darauf (gleiche Situation, gleiche Lernvoraussetzungen – es ist kein Wunder). Man nennt das „stimulus enhancement“ und kann es leicht mit Nachahmung verwechseln.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2021 um 04.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46588
|
Wie schon Jefferson wußte, als er bestimmte, daß an seiner Universität von Virginia keine Theologie gelehrt werden solle. Neuro-Religionswissenschaft wäre grundsätzlich möglich, ist aber Zukunftsmusik. Bisher ist alles mit "Neuro-" nur brain porn.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.07.2021 um 00.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46587
|
Wikipedia:
Neurotheologie ist ein Ansatz innerhalb der Neurowissenschaften, religiöses Empfinden und Verhalten mit den Methoden der Neurobiologie zu erforschen.
Das ist ein Widerspruch in sich. Von der Wortbildung her müßte Neurotheologie eigentlich ein Teilgebiet der Theologie sein, hat also von vornherein nichts mit Wissenschaft[lichkeit] zu tun. Theologie steht nicht innerhalb irgendeiner Wissenschaft, sondern außerhalb jeder Wissenschaft, sie ist deren genaues Gegenteil.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.07.2021 um 16.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46585
|
Der bedeutende Autor Matthew Ratcliffe hat sich vor längerer Zeit auch mal die "Neurotheologie" vorgeknöpft und ist zu folgendem Ergebnis gekommen:
This paper raises a number of concerns about the new field of ´neurotheology´, which seeks to investigate the neural correlates of religion and religious experience. I conclude that this area of enquiry is no more credible than the science of, say, ´neuroStevenSeagalology´, which is the study of the neural basis of Steven Seagal film experience. But, if you don´t like Steven Seagal films, pick whatever content you like. My colleague Ben Smith favours ´neurocheeseburgerology´.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.07.2021 um 06.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46460
|
Durch die Medien geht ein Bericht der Universität Sydney: "Angry handbags and happy coffee: Our brains see expressions on faces in everyday objects" usw.
Das ist die gute alte Hypertrophie sozialer Wahrnehmung (Pareidolie wird ja ausdrücklich genannt), ein bißchen neurosophisch aufgepeppt. Natürlich weiß man jetzt nicht, „what the brain is doing when it processes visual signals and interprets them as representations of the human face.“ Die „specialised neural mechanisms“ sind keineswegs durchschaut.
Daß unser Gehirn bei wirklichen und bei vermeintlichen Gesichtern an denselben Stellen stärker durchblutet wird, ist nicht besonders überraschend.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2021 um 06.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46369
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#39240 und http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#31615
Gegen die Vermenschlichung von Tieren richtet sich eine neue Untersuchung an Dohlen. Die Zeitung titelt: Trösten nur aus Eigennutz (SZ 1.6.21), was aber auch wieder irreführend ist, denn die Experimente haben ergeben, daß solche menschlichen Kategorien fehl am Platz sind. Auch Thomas Bugnyar erkennt das ausdrücklich an.
Vgl. dagegen (unter Berufung auf Bugnyar https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0010605): „Unter Forschern besteht kein Zweifel: Trösten ist alles andere als banal. Es gilt als hohe Form der Empathie. Die Tiere müssen zunächst die Emotionen des Verlierers – seine Niedergeschlagenheit – überhaupt spüren. Daraufhin müssen sie willens und fähig sein, diese Niedergeschlagenheit zu lindern. Dazu braucht es Intelligenz, um sich selbst als eigenständiges Wesen zu begreifen und den anderen als ein vom eigenen Selbst getrenntes Wesen zu erkennen; und schließlich das Talent zum Perspektivwechsel, um sich in den anderen hineinzuversetzen.
Diese Qualitäten überprüfen Forscher gemeinhin mit dem Spiegeltest: Erkennen die Tiere ihr eigenes Konterfei, kann als gesichert gelten, dass sie über die notwendige Selbst- und Fremderkenntnis verfügen.“ (SZ 12.8.10)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.06.2021 um 05.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46240
|
Zum Kapitel Neurobluff:
Über die sensorischen Systeme gelangen Informationen in unser Gehirn. Diese werden schließlich zu sinnhaften Objektrepräsentationen verarbeitet, identifiziert, mit Erfahrungen verglichen und mit Emotionen belegt. Das Ergebnis führt dazu, dass Verhalten ggf. motiviert und vor dem Hintergrund antizipierter oder gelernter Verhaltenskonsequenzen umgesetzt wird. Der Begriff «Erleben» bezieht sich somit darauf, wie eine Person ganz konkret Ereignisse, Situationen oder andere Personen für sich selbst wahrnimmt und diese intern repräsentiert.
(https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/erleben)
Das ist alles frei erfunden. Keiner kann sich vorstellen, was dabei im Gehirn passiert. Klingt aber modern und todschick.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.06.2021 um 05.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46231
|
Auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung stehen in einem Kasten fast täglich die neuesten Erkenntnisse der Psychologie. Gestern zum Beispiel „Warum man Andersdenkende oft für schlechtere Menschen hält“. Das geht dann so:
Die Psychologinnen ließen für ihre Studie mehr als 1000 Probanden die Eigenschaften einer Frau beschreiben, die ihnen als Foto vorgelegt und entweder als Trump-Fan oder -Gegnerin vorgestellt wurde.
Usw. – der übliche weltfremde Unsinn, leicht durchzuführen und absolut wasserdicht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2021 um 05.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46194
|
Der komplementäre Fehler sieht so aus:
„Sprache ist (...) ein von einem anderen Lebewesen unserer Art für uns intendierter Stimulus. (...) Die sprachliche Response wird von A produziert in der Absicht, daß sie als Stimulus auf B wirkt.“ (Hans Hörmann: Psychologie der Sprache. Berlin 1977:5)
Wenn ich, wie gestern abend, meine Frau frage: Wie heißt nochmal der Autor, der "A rebours" geschrieben hat? – will ich weder den mentalen Zustand meiner Frau verändern noch einen Stimulus setzen, um zu sehen, wie sie darauf reagiert.
(Nebenbei: Hörmann hatte behavioristische Anwandlungen, wie auch Theo Herrmann, aber beide sind bei einem gewissen Eklektizismus stehen geblieben.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2021 um 05.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46193
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#37811
Der Grundirrtum besteht also darin, Ausdrücke wie ich weiß, er will usw. als Zuschreibungen "mentaler Zustände" mißzuverstehen oder gar als Teile einer alltäglichen "theory of mind". Beckermann und Millionen andere halten das für eine Analyse, während es in Wirklichkeit eine philosophische Fiktion ist. Es ist der Kern der wiederauferstandenen rationalistischen Psychologie am Leitfaden der Sprache.
Wer das für überholt hält, leidet nicht an einer "Mentalphobie", sondern hat gute Gründe. Sie werden im Triumphgeschrei der Mentalisten ("Mind is back!") gar nicht mehr gehört.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.06.2021 um 17.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46175
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#40936
ein spannender Roman, der nach der Ursache des Bösen sucht (Hanser-Verlag über Harry Mulischs Hitler-Roman „Siegfried“)
Von einem Roman würde ich das nicht erwarten, aber bitte schön! Gerade lese ich in der SZ, daß ein besonders "präziser" Roman erschienen sein soll.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2021 um 06.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#46128
|
William Kellogg zog 1931 seinen Sohn Donald und die Schimpansin Gua eine Zeitlang gemeinsam und angeblich gleichartig auf. Der Vergleich, wie viele Signale Schimpanse und Kind in der gleichen Zeit zu beantworten gelernt haben, ist schief, erst recht, wenn „Wörter“ gezählt werden.
„Im Alter von 19 Monaten beherrschte Donald nur drei menschliche Wörter. Ein Durchschnittskind hingegen beginnt in diesem Alter schon, Sätze zu bilden. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Experiment abgebrochen und Gua zurück in den Zoo geschickt.“ https://de.wikipedia.org/wiki/The_Ape_and_the_Child
https://www.nzz.ch/folio/der-schimpanse-im-kinderwagen-ld.1618212
Ein Affe beherrscht keine „menschlichen Wörter“. Wörter sind Elemente von Sätzen mit verschiedenen Funktionen. Davon konnte bei Gua keine Rede sein.
Kelloggs Experiment wird heute kaum noch erwähnt. Die Schilderung wird auch den Anforderungen einer Verhaltensanalyse nicht gerecht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.05.2021 um 05.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45981
|
Eine Definition der Sprache wird angeboten: „a general system for encoding and communicating propositional information by arbitrary, syntactically-concatenated symbols which can provide a translation of anything that anyone can say in a natural language“ (Stevan Harnad/Horst D. Steklis/Jane Lancaster, Hg.: Origins and evolution of language and speech. New York 1976:445)
Wer kann das verstehen? Welche Rolle spielen die „Übersetzung“ und das „Enkodieren“? Was heißt „provide“? Was geht in Wirklichkeit vor? Immerhin glaubt man etwas Bedeutsames gesagt zu haben. Es gibt einfach zu viel Nebel dieser Art.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.05.2021 um 04.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45949
|
Die Sprache als Quell der Seelenkunde (Ludwig Klages)
Der Buchtitel ist das ganze Programm der naiven Psychologie. Äusdrücklich so formuliert schon bei Christian Wolff.
Vgl.:
„Die ganze Eigenart der Psychologie als Wissenschaft liegt darin beschlossen, daß sie ihre ´Gegenstände´ nicht vorfindet, wie etwa die Physiologie Nerven, Blutgefäße und Sehnen, sondern daß sie jene erst durch die Benennung schafft.“ (Peter R. Hofstätter: Vom Leben des Wortes. Wien 1948:8)
Anders gesagt: Das Inventar der traditionellen mentalistischen Psychologie ist ein sprachliches Konstrukt, eine vielleicht nützliche Fiktion.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.05.2021 um 06.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45902
|
Laut Aufmacher der SZ kämpft ein Drittel der Kinder und Jugendlichen wg. Corona mit „psychischen Auffälligkeiten“.
Journalisten geben das kritiklos weiter.
Bibelkundige wissen, daß gleich nach der Erschaffung der Welt der Nachwuchs mit psychischen Auffälligkeiten zu kämpfen hatte.
Ich habe die Belege nicht mehr zur Hand, aber ich glaube mich zu erinnern, daß auch vor Corona ein großer Anteil der Kinder und Jugendlichen psychisch auffällig war. Auch sonst kann man die Menschheit in zwei Gruppen einteilen: Psychologen und psychisch Auffällige.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.05.2021 um 04.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45870
|
Zum vorigen:
Die "Ortszellen" im Hippocampus einer Ratte sollen gleichsam eine Karte des Raums darstellen, in dem sie trainiert worden ist. Aber was ist mit dem Menschen? Er bewegt sich in vielen Räumen mit schier unendlich vielen Orten. Ein Unzahl von Karten wäre die Folge. Hier stimmt etwas nicht, und zwar nicht nur mit dem Bild der "Karte".
Die Orientierung in Räumen ist eine Abstraktion aus der Bewegungssteuerung, wie das "Wissen" überhaupt aus dem Verhalten abstrahiert ist. Die Speichervorstellung herrscht immer noch und führt in die alten Schwierigkeiten. Weder die Ratte noch der Mensch "wissen", wie der Raum aussieht, in dem sie sich bewegen, sondern sie bewegen sich einfach darin, und daraus entwickelt der naive Psychologe den Begriff des Wissens. Die wirklichen Vorgänge, also die Anpassung der Bewegung an die Umgebung, müssen in anderen Begriffen untersucht werden. Die Orte sind nicht in Ortszellen gespeichert oder repräsentiert, wie die Verlegenheitsformel lautet. Vorstellen kann man sich darunter sowieso nichts ("Orte speichern"?). Die Nobelpreisträger haben nicht das entdeckt, was man ihnen zuschreibt und was sie vielleicht selbst glauben. Das schmälert ihr Verdienst natürlich nicht.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.05.2021 um 05.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45843
|
Seescheiden legen somit nahe, dass es die Mobilität sein könnte, die Gehirne erforderlich macht. Aber verbinden die Neurowissenschaften nicht mit unserem Gehirn Fähigkeiten, die uns weit komplexer und bedeutsamer erscheinen als die Bewegung: Sprache, Erinnerungsvermögen, ein Konzept von Vergangenheit und Zukunft, die Fähigkeit, Selbst und Nicht-Selbst zu unterscheiden und mit anderen zu interagieren, kurzum, all das, was menschliche Persönlichkeiten mit ihren Fähigkeiten und Eigenarten definiert. (Hans-Peter Thier: „Raum und Zeit. Warum sich Bewegung und Geist nur zusammen denken lassen“. FAZ 10.12.14)
Die Neurowissenschaften als naturwissenschaftliche Disziplin sollten von solchen Konstrukten nichts wissen. Bei der Untersuchung von Nerven stößt man nicht auf „ein Konzept von Vergangenheit und Zukunft, die Fähigkeit, Selbst und Nicht-Selbst zu unterscheiden“ usw. Der Beitrag enthält auch wieder die Redeweise von „Karten“, „Speicherung“ usw., die naturwissenschaftlich nicht ratifiziert werden kann. Wie „speichert“ man Orte, wer liest die Karten? Und Nervenzellen "erkennen" nichts. Die alten begriffskritischen Bedenken.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2021 um 05.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45815
|
Few subjects excite more curiosity than the mind. Partly this is because mental phenomena are so basic to our own nature. We are creatures that think, experience, feel emotion, and make decisions. Understanding these things is central to our grasp of the kind of being we are. Our mental functioning is also important to what we are individually, since it is mainly in terms of the variations in our mental lives that we develop our sense of our selves, and of each other, as individuals. (David M. Rosenthal, Hg.: The nature of mind. New York/Oxford 1991:3. Auch hier: https://www.davidrosenthal.org/DR-NM-Genl-Intro.pdf)
So beginnt ein recht bekannter Sammelband. Man wundert sich: Die alltagssprachlichen Redeweisen und folkpsychologischen Ausdrücke (Konstrukte) werden ohne weiteres als Ausgangspunkt genutzt, als ob die Existenz der damit bezeichneten „Phänomene“ erwiesen wäre. An die Stelle des „Geistes“ (mind) treten sogleich und dann immer mehr die scheinbar weniger verfänglichen „geistigen (mentalen) Phänomene“. Weniger verfänglich könnte man sie finden, weil sie keine substantielle Seele voraussetzen, kein „Gespenst in der Maschine“ (Ryle). Es bleibt aber die Vorgabe der Alltagssprache und der damit verbundenen folk psychology. Ich nenne das „naive Psychologie“. Der Rest ist gelehrte Verklausulierung.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2021 um 13.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45809
|
Wie viele Synapsen im Gehirn einer Taube müssen sich verändert haben, wenn die Taube Pingpong spielen gelernt hat? Sicher mehr als eine („Großmutter-Neuron“), denn schon Lashley hat gezeigt, daß selbst der Verlust großer Teile des Gehirns ein gelerntes Verhalten nicht vollständig aus dem Repertoire eines Tiers tilgt. (Es ging um Labyrinth-Lernen bei Ratten.) Daher stammt das Hologramm-Modell Pribrams, in Fortführung von Lashleys Äquipotenz-Prinzip. Beides darf nicht übertrieben werden (vgl. Hebbs Korrektur an der Theorie seines Lehrers Lashley) – es gibt zweifellos Lokalisationen, aber sie sind nicht so eindeutig, wie man früher oft annahm. Je feiner zum Beispiel die bildgebenden Verfahren der Hirnforschung eingestellt werden, desto mehr „Zentren“ entdeckt man, die alle mehr oder weniger und auf eine jedenfalls noch nicht genauer bekannte Weise an jedem Verhalten beteiligt sind.
(Die bildgebenden Verfahren werden allerdings u. a. gerade deshalb kritisiert, weil sie meist durch Mittelung aus mehreren Aufnahmen ein Durchschnittsmuster errechnen, das so in keinem einzigen Scan enthalten war und alle feineren Unterschiede einebnet.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2021 um 05.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45805
|
Noch einmal anders formuliert:
„Die Neurolinguistik kombiniert Erkenntnisse aus der Neurologie, insbesondere wie das Gehirn strukturiert ist und wie es arbeitet, mit Erkenntnissen aus der Linguistik, insbesondere wie Sprache strukturiert ist und wie sie funktioniert.“ (Wikipedia)
Die Neurolinguistik verbindet Neurologie und Linguistik meist in der Weise, daß die neuronalen Entsprechungen linguistischer Einheiten wie Sprache, Wort, Satz, Morphologie, Semantik, Phonologie usw. aufgesucht werden sollen. Dabei werden meistens die bildgebenden Verfahren der Computertomographie (i. w. S.) eingesetzt, manchmal auch noch das EEG.
Das Ergebnis ist trivialerweise immer die Lokalisation solcher Einheiten. Dadurch entsteht der Eindruck, die Versuche hätten die neurologische Realität dieser Einheiten bewiesen. Es wird praktisch nie gefragt, wie spezifisch diese Ergebnisse für sprachliche Eingaben sind, also welche nichtsprachlichen Einheiten ähnliche Lokalisationen ergeben hätten.
Eine breite Strömung der Linguistik in der Nachfolge Chomskys arbeitet mit Simulationsverfahren, die sprachliche Gebilde durch nacheinander (seriell, sequentiell) anzuwendende Umformungen „erzeugen“ sollen. Die selbstauferlegten Restriktionen, vor allem die binären Verzweigungen und daß immer nur ein Schritt nach dem anderen erfolgen soll, widersprechen schon deshalb der Realität des Gehirns, weil dort offensichtlich in weitestem Umfang parallele Verarbeitung stattfindet. Konnektionistische Netzwerkmodelle sind allerdings auf dem Papier sehr schwer darzustellen.
Die Sprache ist außerdem eine kulturell, gesellschaftlich, historisch geprägte Verhaltensweise. Solche kulturellen Verhaltensweisen wie Mode, Recht usw., aber auch Lügen, Erpressungen, Steuerhinterziehung spiegeln sich nicht direkt in Gehirn-Modulen wieder.
Der entsprechende Fehler oder Trick ist schon anderswo kritisiert worden: Läßt man Tauben geschriebene Wörter unterscheiden, erhält man Befunde über die Verarbeitung von geschriebenen Wörtern. So konnte Güntürkün mit der sensationalistischen Meldung an die Presse gehen, daß Tauben zwar nicht die englische Sprache, wohl aber die englische Orthographie wenigstens teilweise beherrschen. Er hätte die gleiche Diskriminierungsfähigkeit der Tauben anhand von anderen geometrischen Figuren oder von Klötzchen verschiedener Form erforschen können, aber das Ergebnis wäre kaum über hundert Jahre alte Erkenntnisse hinausgegangen.
Mein Fazit: Es gibt überhaupt noch keine Neurolinguistik.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.04.2021 um 05.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45762
|
Ein schönes Beispiel naiver Psychologie:
Some years ago I asked my youngest daughter to imagine the capital letter N, tip it over on its side, and then tell me what she saw in her mind’s eye. She promptly said, "I see a Z!" Her response suggests that she made use of some kind of holistic mental representation and was able to rotate it in order to arrive at the answer. (Paivio: „Neomentalism“. Language 29, 1975:263-291, hier S. 277) (Es folgt die Theorie von Cooper/Shepard)
Die Aufforderung an das Kind ist unter Voraussetzung genau derselben Begrifflichkeit ergangen, die wir eben ausgebildet haben, um Erfahrungen solcher Art auszudrücken. Dann muß zwangsläufig „Vorstellung“ und „mentale Rotation“ herauskommen! Es ist ja hineingesteckt. (In diesem Sinn kritisch auch Pylyshyn)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.04.2021 um 06.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45757
|
Eine angeborene Sprache wird immer unfaßbarer, je mehr wir erkennen, wie sehr Sprache eigentlich „geschichtlich“ ist, eine allmähliche Anpassung an immer neue Umstände, phylogenetisch, kulturgeschichtlich und individuell-lerngeschichtlich. Die Grundzüge erwerben wir im Kindesalter, aber jeder Tag bringt neue Erweiterungen. Sprechen heißt Sprechenlernen. Wir versuchen es mit jeder Äußerung aufs neue und erfahren dabei Gelingen und Mißlingen. Sprechen ist nicht das Aufsagen von vorhandenen Sätzen, sondern ein Experimentieren „mit Sprache“ (adverbiell verstanden, ohne einen beteiligten Gegenstand „Sprache“). Das ist nicht anders als beim täglichen Hantieren und Fortbewegen: ein ständiges Erkunden der Welt. Unsere „Sprache“ (eine riskante Hypostasierung) ist nie „fertig“, sie ist kein „Werk“, sondern eine „Tätigkeit“ (Humboldt). Sprache ist auch kein „System“, „Zeichensystem“ oder dgl., sondern eben ein Verhalten wie Bergsteigen oder Holzschnitzen. Das Nektarsammeln der Bienen, die Werkzeugherstellung eines Indianervolks sind keine „Systeme“, sondern Verhaltensweisen mit systematischen, d. h. verallgemeinerbaren und daher allgemein beschreibbaren Zügen.
In kuriosen Büchern wie von Roger Liebi sind Schöpfungsglaube und linguistischer Nativismus (Chomsky) so innig verbunden, wie es das kreationistische, nichtevolutionäre Denken verlangt.
Chomskys sonderbare Sprachauffassung scheint auf die jüdische Theologie zurückzugehen. Tatsächlich wird der Zusammenhang in einer sehr interessanten Liste bei Wikipedia angedeutet:
https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdische_Philosophie.
Im Eintrag zu Chomsky selbst ist davon allerdings nicht die Rede, nur die Herkunft wird erwähnt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.04.2021 um 19.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45710
|
Der Polizist, der den Tod von George Floyd verursacht hat, wurde heute eines "second degree murder" für schuldig befunden.
In den Nachrichten des Ersten wird daraus "Mord", im ZDF "Totschlag" gemacht.
Laut Wikipedia entspricht dem amerikanischen Mord zweiten Grades nach deutschem Recht am ehesten die "Körperverletzung mit Todesfolge", also weder Mord noch Totschlag.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.04.2021 um 05.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45706
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44112
Liebis Buch kann man online lesen:
https://www.leseplatz.de/media/pdf/15/14/60/256289.pdf
Liebi stützt sich auch auf Chomsky, der bekanntlich eine evolutionäre Erklärung der Sprache ausschloß. Das wirft ein Licht auf die unausgesprochene Tradition, in der Chomsky steht.
Gelehrsamkeit schützt nicht vor schweren Verirrungen, das macht einen immer wieder ganz baff. Was tun, "ohne den Verstand zu verlieren" (Hubert Schleichert)?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2021 um 06.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45677
|
Noch einmal zum Handicap-Prinzip:
Ich sehe da ein logisches Problem. Die Theorie besagt, daß ein Tier durch eine sozusagen freiwillig gewählte Behinderung gerade seine Stärke (fitness) zur Schau stellt: "Ich bin so stark, daß ich mir eine Schwäche leisten kann." Aber warum dieser Umweg? Es könnte doch seine Stärke auch unverstellt demonstruieren. Wäre das aufwendiger? Ich kann mir die Mathematik dahinter nicht vorstellen. – Der Beutegreifer müßte gewissermaßen von einem solchen Kalkül geleitet werden: "Da ist ein Tier, das behindert, schwach, lahm wirkt; folglich wird es stark und besonders fit sein, so daß es zwecklos ist, hinterherzujagen." – Das dürfte schwer nachzuweisen sein, während Gegenbeispiele zur Hand sind: Löwinnen jagen das schwächste Tier einer Herde usw.
Alternative Deutung: Die Schwanzfedern des Pfaus sind zum Zeichen geworden, das die angebalzte Henne kopulationsbereit macht. (Dieser Mechanismus wird ja nicht bestritten und ist bei allen möglichen Arten belegt.) Nach dem Muster "viel bringt viel" hat sich das Pfauenrad immer prächtiger entwickelt: eine "überoptimale" Darbietung. Das wirkt auch im Experiment: Überoptimale Attrappen (nach dem Ausdruck von Konrad Lorenz) eines Stichlingsweibchens wirken auf das Männchen noch stärker als ein wirkliches trächtiges Weibchen. (Männer fliegen auf virtuelle Wunderweiber noch mehr als auf wirkliche Frauen.)
Das Hinderliche des Pfauenschweifs wäre dann nur eine Nebenwirkung und so austariert, daß sie das Überleben gerade eben nicht verhindert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.04.2021 um 06.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45600
|
Zur Sache selbst: Eine fast 90jährige Dame hat immer noch gelegentlich einen Albtraum, in dem sie am Tod eines kleinen Jungen schuld ist, der in einem Gartenteich ertrank, während die damals 8jährige auf ihn aufpassen sollte. Der Verstand sagt ihr, daß niemand ein 8jähriges Kind mit einer solchen Aufgabe betraut, und wahrscheinlich war das auch gar nicht der Fall. Die Schuld würde also nicht nur 80 Jahre zurückliegen, sondern wäre außerdem noch eingebildet.
Nach Freud sind alle Träume Wunscherfüllungen. Nun deutet mal schön! Es wird schon klappen, wie es bisher immer geklappt hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.04.2021 um 05.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45599
|
Ob man Gewissensbisse oder Schuldgefühle empfindet, hängt auch davon ab, ob man auf eine Anweisung hin gehandelt hat. Allerdings ganz anders als erwartet, wie ein Experiment zeigt.
(...)
Die Psychologinnen legten ihren Probanden diverse Szenarien zur Bewertung vor. Zum Beispiel sollten sich die Teilnehmer vorstellen, sie müssten die Software eines autonom fahrenden Autos programmieren. Ein reales Problem besteht dabei darin, wie sich die Software im Fall eines unvermeidbaren Unfalls verhalten soll: Was ist oberste Maxime – dass der Fahrer des Autos am Leben bleibt oder dass so wenige Menschen wie möglich zu Schaden kommen? Lenkt die Software den Wagen also zum Beispiel gegen eine Wand und opfert den Fahrer, weil andernfalls zwei Fußgänger getötet worden wären? (SZ 7.4.21)
Eins von unzähligen Experimenten, mit denen Psychologen die Seiten füllen. Niemand fragt, ob solche Simulationsspiele etwas über das wirkliche Leben aussagen, von dem sie mehrere Stufen entfernt sind. (Daß die Probanden vermutlich wieder Psychologiestudenten waren, braucht man gar nicht zu erwähnen.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2021 um 14.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45500
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#42966
Der vielseitige Markus Reiter hat schon vor einem Jahr erklärt, daß falsche journalistische Metaphern im Zusammenhang mit Corona die Amygdala verändern und dadurch Angst erzeugen. Es gibt aber auch ganz unmetaphorische Corona-Statistiken, die Angst erregen. Ich kenne übrigens Corona-Metaphern, die sehr beruhigend wirken; man kann sogar daran sterben. Aber mal im Ernst: Metaphern sind doch immer falsch, sonst wären es keine.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2021 um 04.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45497
|
Zu Kornhuber und Libet (Bereitschaftspotential, Aktualgenese):
Die Anbahnung einer spontanen (nahezu vorgängerfreien) Bewegung, einschließlich sprachlicher Artikulation), dauert etwa eine halbe Sekunde. Die daran anschließenden Bewegungen werden schneller bereitgestellt, weil das Verketten die jeweils möglichen Fortsetzungen bereits voraktiviert (priming und chaining). Entsprechendes gilt für das Verstehen: Oft wird der Anfang einer gehörten Äußerung nicht verstanden, weil dazu eine gewisse Bereitschaft nötig ist, deren Entstehung durch den folgenden Text zwar meistens nachträglich hergestellt wird, so daß wir erst dann erkennen, womit die Äußerung begonnen hat; manchmal wird der Anfang durch das Folgende aber auch verdeckt. Kontextfreie Redeteile wie etwa Eigennamen bei der Vorstellung werden oft nicht richtig verstanden.
Von meinem ersten Besuch in Paris (als Schüler) ist mir noch im Ohr, wie der Kellner unsere Bestellung von zwei Tassen Kaffee in die Küche weitergab: Deux cafés deux! So sicherte er bei einem gewissen Lärmpegel die Übertragung des entscheidenden ersten Wortes. Ähnliche Praktiken gibt es auch in anderen Bereichen, wo kurze Nachrichten korrekt zu übermitteln sind.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.03.2021 um 05.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45471
|
Psychologe im Radio über Kinder und Corona. Was er sagt, klingt plausibel, weil es das ist, was ich mir auch schon gedacht habe. Aber warum interviewt man den Psychologen und nicht mich?
Ich lese von „Untersuchungen“ zum Thema. Psychologen haben tausend Eltern telefonisch gefragt, ob sie Verhaltensauffälligkeiten bei ihren Kindern beobachtet haben. Diese Auskünfte sind die „Daten“, mit denen die Akademiker dann die schönsten statistischen Kunststücke anstellen, wie sie es im Grundkurs gelernt haben. Kann wegfallen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.03.2021 um 19.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45436
|
Die Versuche, Tieren Sprache beizubringen, begehen den Fehler, nicht an die natürliche Kommunikation des Tiers anzuknüpfen, sondern an die zirzensische Tradition. Man bringt dem Tier Kunststücke bei und deutet sie dann wohlwollend als die Sprache, die sie bei Menschen wären.
Die arteigene Kommunikation der Tiere erweist sich als praktisch nicht konditionierbar.
Die Entwicklung der menschlichen Sprache dürfte nicht bei manueller Geschicklichkeit angefangen haben, sondern bei dem schon vorhandenen Kommunikationsverhalten.
Wir und unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, haben sich vor 6 Mill. Jahren von einander getrennt. In dieser Zeit haben sie zweifellos ebenso wie wir, aber eben in anderer Richtung, ihre Verhaltensformen, auch ihr Kommunikationsverhalten, weiterentwickelt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2021 um 08.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45365
|
Psychologen haben herausgefunden, daß Menschen oft das Gefühl haben, ein Gespräch habe nicht zum besten Zeitpunkt geendet.
„Dafür baten die Wissenschaftler 252 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die sich vorher nicht oder nur flüchtig kannten, jeweils paarweise in einen Raum. Sie forderten die Probanden auf, sich zwischen einer Minute und 45 Minuten lang zu unterhalten. Anschließend befragten sie beide, zu welchem Zeitpunkt das Gespräch für sie jeweils gut hätte enden können. Oder wie viel länger sie selbst gern noch geredet hätten. Das Ergebnis: Fast die Hälfte aller Teilnehmer hätte sich ein um ein Viertel der Zeit längeres oder kürzeres Gespräch gewünscht, als es tatsächlich stattfand.“ (SZ Wissen 3.3.21)
Man beachte die Künstlichkeit der Situation. (Das erratische Gendern – wie im ganzen Artikel – lasse ich auf sich beruhen.)
Wenn ich mich mit jemandem unterhalten habe und mir das Ganze nicht völlig gleichgültig war, denke ich manchmal noch darüber nach, und mir fällt ein, daß ich noch etwas anderes hätte sagen können; seltener, daß ich zuviel gesagt habe. Das ist alles viel komplizierter. Man muß ja auch unterscheiden, ob man einander nur zufällig getroffen oder absichtlich aufgesucht hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.03.2021 um 08.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45359
|
Zum vorigen:
Man hat aus den fossilen Schäden den Gehörgang des Neandertalers zu rekonstruieren versucht und daraus wiederum abgeleitet, für welche Frequenzen die Neandertaler besonders empfindlich waren. Welche (von unseren!) Konsonanten konnten sie unterscheiden?
Ich glaube zwar nicht, daß man die Weichteile aus den fossilierten Knochen rekonstruieren kann, aber selbst dann wären zwei grundlegende Erkenntnisse vernachlässigt: Erstens ist die Sprachfähigkeit eine Sache der Steuerung durch das Gehirn und nicht der Anatomie und Physiologie (außer natürlich was den Verlauf der Nerven betrifft, die die Artikulationsorgane steuern). Zweites sind bei den Lebewesen die Hörfähigkeiten auf die eigene Lautproduktion abgestimmt. Das wird auch bei Vormenschen so gewesen sein: Sie konnten besonders gut hören und analysieren, was sie selber sagten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.03.2021 um 06.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45358
|
Wieder einmal will man aus anatomischen Befunden (nach FOXP2 und Zungenbein ist es jetzt der Gehörgang) ableiten, ob und wie Neandertaler gesprochen haben.
Die Autoren folgern, dass die kulturellen Errungenschaften der Neandertaler mit ihrer Fähigkeit zu sprechen zusammenhängen. Katerina Harvati, Professorin für Paläoanthropologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, wendet jedoch ein, dass die kulturellen Zeugnisse des Neandertalers deutlich bescheidener ausfallen als beim Homo sapiens: "Die Seltenheit symbolischer Objekte von Neandertalern spricht gegen eine menschenähnliche Sprache." Ihrer Ansicht nach haben unsere Verwandten zwar gesprochen, aber wahrscheinlich nicht so ausgeklügelt wie wir. (SZ 2.3.21)
Wahrscheinlich wie Papuas. Primitiv eben.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2021 um 05.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45304
|
Jemand hat sinngemäß gesagt: Ein Apparat von der Komplexität des Gehirns kann keine einfachen Lösungen für einfache Aufgaben finden. Wenn das Gehirn die Addition 2 + 2 ausführt, setzen sich Milliarden von Impulsen in Bewegung, und es kommt zu einer Abstimmung in der „Neuronenrepublik“, wobei sich immer wieder der „stärkste Drängler“ durchsetzt, bis aus einer extrem aufwendigen „Stimmenauszählung“ mit größter Wahrscheinlichkeit die makroskopische Muskelbewegung hervorgeht, die wir als Antwort 4 wahrnehmen. Das ist zumindest ein plausibles Modell.
Es soll im Hirn Regionen für Gesichter und für Orte geben. Denen hat man sogar eigene Namen gegeben. Gibt es auch welche für Werkzeuge, Fledermäuse, Universitäten, Zahlen, Gewürze, Yogakurse und Substantive? Jede Versuchsreihe bringt Ergebnisse, und sie gleichen sich nie, wenn man nur genau genug hinsieht. Und man sieht immer so genau hin, daß sich Unterschiede feststellen lassen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2021 um 05.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45296
|
Das „Sehen eines Hauses“, dessen neurophysiologische Entsprechung mit fMRT gesucht wird (Stephan Schleim: Gedankenlesen – Pionierarbeit der Hirnforschung. Hannover 2008:53) gibt es nicht einfach so. Es ist kein definierbares Verhalten, sondern immer Teil eines Verhaltenszusammenhangs, sei es auch eines künstlich isolierten, z. B. die Aufforderung, ein Haus zu betrachten (meist wohl die Abbildung eines Hauses). Ein natürlicher Zusammenhang wäre z. B., wenn jemand während eines Unwetters Schutz sucht und ein Haus sieht oder sich verirrt hat und endlich ein Haus sieht oder im Nebel fährt und ein Haus sieht, dem er ausweichen muß usw. Das Sehen hat wie jedes Verhalten Vorgänger und Nachfolger, Ursachen und Folgen, die dazugehören, wenn man seine Entsprechung im Gehirn untersuchen will.
Etwas spontan tun und dasselbe auf Aufforderung tun (vorführen) ist bekanntlich ganz verschieden, wie man bei Aphasikern sieht.
Ebenso „an Korfu denken“. Geben zwei Versuchsreihen, in denen mehrere Menschen 30mal an Korfu denken und die Ergebnisse gemittelt werden, hinreichend ähnliche Scans, und unterscheiden sie sich hinreichend von den Ergebnissen, die bei „an Grönland denken“ erzeugt werden? Ist dieser Vergleich je angestellt worden? Jemand erzählt vom Urlaub und erinnert sich an Korfu – das ist unabsehbar verschieden von der „Vorstellung“ (was immer das sein mag), die jemand sich macht, wenn man ihn auffordert, sich an Korfu zu erinnern.
Hinzu kommt die Illusion des Vorstellens („ich sehe es genau vor mir“), für das es kein physisches Korrelat geben kann, weil die Selbstauskunft, man denke an ein Haus, an Korfu oder an ein Gesicht und sehe es genau vor sich, nachweislich falsch ist. Richtig wäre die Frage, wie die Illusion im Gehirn entsteht, aber dazu ist sie viel zu schlecht definiert. Besteht sie im Aussprechen? Hat sie Ähnlichkeiten mit einer Halluzination? „Vorstellung“ ist ja Teil der alltagspsychologischen Konstruktion und kein Begriff aus der Verhaltensanalyse. Daß beim Vorstellen teilweise dieselben Hirnregionen aktiviert werden wie beim Wahrnehmen, ist interessant, reicht aber nicht aus, um die Fragen zu beantworten.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.02.2021 um 23.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45268
|
Meine sehr allgemeine Sicht auf den "Beweis" an sich bedeutet natürlich nicht, daß allgemeingültige Sätze (d.h. mit variablen Größen) und das Prinzip der unbedingten Beweispflicht aller Aussagen nicht erst die eigentliche moderne (exakte) Mathematik begründet haben.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.02.2021 um 14.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45267
|
Nein, ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied im Beweisen einer ganz konkreten Zahlenrechnung (z.B. 90 = 100 - 10) und einer allgemeineren Aussage (z.B. Satz des Pythagoras). Der Unterschied besteht höchstens quantitativ in der Anzahl der dazu notwendigen Einzelschlüsse.
Beweisen heißt, eine Behauptung aus ausgewählten, früher bewiesenen Sachverhalten (Sätzen) und in sich widerspruchsfreien Grundannahmen durch logische Schlüsse abzuleiten.
Daraus ergibt sich, daß der so bewiesene neue Sachverhalt (Satz) wiederum widerspruchsfrei und gleichwertig (d.h. wahr) zu allen anderen bewiesenen Sätzen ist.
Es hat mit dem Grad der Verallgemeinerung m. E. nichts zu tun, wo wollte man da auch eine Grenze ziehen? Auch der bereits "allgemeine" Satz des Pythagoras läßt sich noch weiter verallgemeinern.
(Man könnte z.B. statt der Quadrate auf den Seiten a, b, c des rechtwinkligen Dreiecks auch Halbkreise, Dreiecke oder Ampelmännchen errichten, Hauptsache alle im gleichen Größenverhältnis a:b:c, dann ist die Flächensumme der beiden kleineren Figuren immer gleich der Fläche der größeren Figur.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2021 um 06.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45262
|
Ich will die Diskussion nicht zu weit treiben und insbesondere die Grundlagendiskussion nicht. Aber erlauben Sie sich da nicht ein Wortspiel mit "Beweis"? Das Nachrechnen an der Kasse ist eine einzelne Anwendung von Rechenregeln, ein mathematischer Beweis soll aber doch gerade die Allgemeingültigkeit zeigen. Ich habe es immer so verstanden, daß gerade in diesem Schritt die Einzigartigkeit der abendländischen Mathematik ("Euklid") gegenüber der orientalischen Feldvermessung usw. bestand.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.02.2021 um 19.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45261
|
"Mathematiker würden gar nicht Jahre ihres Lebens an den Beweis eines Theorems setzen, wenn sie nicht von dessen Gültigkeit intuitiv überzeugt wären."
Sicher wahr, aber sie würden auch nicht Jahre ihres Lebens daran setzen, wenn sie den Beweis nicht trotz ihrer Intuition für essentiell wichtig hielten. Ohne Beweis ist ein Theorem nun einmal nichts wert, das mußte auch Ramanujan lernen (wie im Film "Die Poesie des Unendlichen" gut dargestellt).
Wir alle liefern ständig Beweise. Jedes Nachrechnen des Wechselgeldes an der Kasse, jede Lösung einer Schulmatheaufgabe ist ein eigener Beweis, der so genau in keinem Lehrbuch steht. Ohne den Lösungsweg als Beweis gibt es keine Punkte. Natürlich werden dabei bekannte Sachverhalte und Verfahren benutzt, die bereits bewiesen sind.
Nicht anders machen es Spitzenmathematiker. Wer irgendwann die Riemannsche Vermutung beweist, wird auch nicht jede Einzelheit neu zeigen. Er setzt ein Puzzle vorhandenen Wissens geschickt zusammen, vielleicht mit wenigen neuen Hilfssätzen, aber vielleicht auch mit einer komplett neuen Theorie.
Was könnte Mathematik mit Psychologie zu tun haben? Bei Psychologie geht es um Menschen. Nash oder Perelman sind bekannte Beispiele von in dieser Hinsicht auffälligen mathematischen Genies. Aber liegt das an der Mathematik? Meiner Meinung nach nicht direkt, aber es könnte mit dem Sprichwort zu tun haben, wonach Genie und Wahnsinn eng beieinander liegen. Auch mathematische Höchstleistungen können nur von Genies erbracht werden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2021 um 06.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45255
|
In der Tat war die Riemannsche Vermutung der Anlaß meiner Betrachtung, weil ich in der Nash-Biografie gelesen hatte, daß Nashs fruchtlose Beschäftigung mit dieser "Hilbertschen" Aufgabe nicht wenig zu seinem ersten schizophrenen Aussetzer beigetragen haben soll.
Der neuerdings vorgeschriebenen Schreibweise "riemannsch" entgehen manche durch "Riemann-Vermutung". Dies nur nebenbei.
Mathematiker würden gar nicht Jahre ihres Lebens an den Beweis eines Theorems setzen, wenn sie nicht von dessen Gültigkeit intuitiv überzeugt wären. Natürlich können sie sich irren.
Man muß aber sehr viel wissen, um solche Intuitionen zu haben. Ramanujan war auch dafür bekannt.
In der Geschichte der Menschheit wurde sehr viel Mathematik betrieben, bevor in Griechenland – und anscheinend nur dort – die Idee des "Beweisens" aufkam. Das ist für uns dann der Inbegriff der Mathematik geworden – eine gewisse Verengung des Blicks. In Nasars Nash-Biographie wird auch von großen Mathematikern berichtet, deren Stärke auf der Entdeckung und nicht auf dem Beweisen von Theoremen lag. Das Beweisen überließen sie ihren Schülern, die manchmal, bei aller Verehrung, klar aussprachen, daß im Lehrbuch ihres Meisters kein einziger richtiger Beweis stand...
Übrigens hat keiner von uns je einen Beweis geliefert, nicht wahr? Wir haben immer nur die Beweise aus dem Schulbuch nachgespielt wie klassische Schachpartien.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.02.2021 um 23.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45254
|
Ein gutes Beispiel wofür? Für eine nützliche Vermutung?
Es könnte sein, daß eines Tages all diese Arbeiten wie ein Luftschloß in sich zusammenfallen. Welchen Nutzen hatte dann die Vermutung außer den, daß man dann weiß, daß sie falsch war?
Es könnte sein, daß die Vermutung eines Tages bewiesen wird. Erst von da an würde sich ihr Nutzen und auch schlagartig der Nutzen aller darauf aufbauenden Arbeiten entfalten, nicht früher.
|
Kommentar von , verfaßt am 12.02.2021 um 18.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45253
|
Guten Tag.
Ein gutes Beispiel ist die Riemannsche Vermutung. Noch ist sie nicht bewiesen, aber Hunderte von mathematischen Arbeiten bauen darauf, daß sie eines Tages bewiesen sein wird (sagt in diesem Vortrag – bei etwa 11:30 – der Hamburger Mathematiker Edmund Weitz).
https://youtu.be/sZhl6PyTflw
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.02.2021 um 16.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45252
|
Offensichtlich reden wir aneinander vorbei. Mir geht es um die Psychologie der Mathematik, Ihnen um die Wissenschaftstheorie. So ungefähr könnte man es erklären.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.02.2021 um 14.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45251
|
Landvermesser sind nicht unbedingt Mathematiker. Es interessiert sie i. a. nicht, ob die Seiten 3,4,5 tatsächlich genau einen rechten Winkel ergeben, Hauptsache, er ist recht in hinreichender Näherung für ihre Zwecke. (Spezielle Landvermesser wie Gauss haben natürlich gleichzeitig als Mathematiker ein weitergehendes Interesse.)
Einen Architekten interessiert es auch nicht, daß er ein Neuneck nicht mit Zirkel und Lineal konstruieren kann. Er benutzt sowieso einen Winkelmesser. Das ist aber dann keine Mathematik mehr.
Der Satz des Pythagoras war natürlich für verschiedene Anwendungen nicht wertlos. Aber für die Mathematik war er wertlos, solange er nicht bewiesen war.
Jemand hält an einem Theorem fest, das nicht bewiesen ist? Gut, er mag daran glauben, auch Mathematiker haben natürlich Vermutungen. Aber was nützt es ihm? Solange es keinen Beweis gibt, kann er das Theorem zu nichts gebrauchen, jedenfalls nicht als Mathematiker. Für irgendeine Anwendung, bei der es nicht auf einen sehr unwahrscheinlichen Irrtum oder Exaktheit ankommt, vielleicht schon.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.02.2021 um 04.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45247
|
Ich hatte etwas ganz Einfaches im Sinn. Nehmen Sie den Satz des Pythagoras. Den kann man anwenden, um verschiedene Größen zu berechnen. Euklid beweist ihn, aber er war auch ohne Beweis nicht wertlos. Die ganze Kunst der "Feldvermessung" (= Geometrie) wurde ohne Beweise betrieben.
Ich lese gerade, wie Sie vielleicht bemerkt haben, die Biografie John Nashs und bin dort immer wieder auf Intuitionen mit später nachgeliefertem Beweis gestoßen. Aber eigentlich hatte mein Eintrag nicht mit Mathematik zu tun, sondern mit einer psychologischen und neurologischen Spekulation. Die erwähnten Mathematiker sind nur Beispiele: Jemand hält hartnäckig an einem Theorem fest, obwohl er noch jahrelang keinen Beweis hat. Das paßt nicht recht zu der These, ein mathematischer Satz sei ohne Beweis "nichts wert".
Die Forschung geht bekanntlich nicht so vor, wie es nachher im Lehrbuch steht. Die großen Mathematiker berichten immer wieder, daß ihnen eine bestimmte Lösung einfach besser "gefallen" habe, lange bevor sie den Beweis ihrer Richtigkeit erbringen konnten. Das ist nicht gerade mathematisch ausgedrückt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.02.2021 um 23.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45246
|
Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wovon Sie hier schreiben. Was ist eine "mathematische Regel"? Wozu braucht ein Mathematiker eine "Problemlösung", was meinen Sie damit? Er liefere den Beweis, wenn überhaupt, dann irgendwann, später? Was "gefällt" einem Mathematiker?
Mathematiker stellen Sätze auf und mögen nichts anderes als Sätze mit einem strengen Beweis. Der schönste Satz ist ohne Beweis nichts wert. Solange der nicht erbracht ist, gilt der Satz nicht, mag er noch so "gefällig" sein. Stehen zwei verschiedene Beweise zur Verfügung, dann gilt üblicherweise der kürzere als der elegantere, schönere, aber nicht als der bessere. Grundsätzlich ist einer so gut wie der andere.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.02.2021 um 06.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45242
|
Wenn wir nach der Standardauffassung einer Regel folgen, zum Beispiel einer mathematischen, dann liegt der sauberen Logik eine schmutzige Wirtschaft zugrunde: Wir bevorzugen ein Verhalten, weil es Lust bereitet, uns besser gefällt (= verstärkt worden ist). Ratiomorph in der Entstehung, rational im Ergebnis und in der gesellschaftlichen Funktion. Der Mathematiker hat sich so in seine Fachwelt eingelebt, daß ihm eine bestimmte Problemlösung eher gefällt als eine andere; den Beweis liefert er später, wenn überhaupt. (Ein Theorem bleibt manchmal jahrhundertelang stehen, bis jemand es beweist. Der Entdecker oder Erfinder hat es „geahnt“ – aber was heißt das eigentlich?) In weniger spezialisierten Bereichen leuchtet das eher ein. Die gierigen Käufer und Verkäufer „berechnen“ die Knappheitsverhältnisse auf einem komplexen Markt. Die Kugeln folgen der Schwerkraft, wenn sie über das Nagelbrett rollen und die Gaußsche Normalverteilung „berechnen“. Der Ballspieler folgt einer Daumen-Heuristik, die Wüstenameise einer Duftspur, beide treiben keine Integralrechnung, auch wenn das Ergebnis so aussieht (Planimeter-Paradox).
Die Synapsen „rechnen“ zwar, nämlich durch Feuern/Nichtfeuern in einem binären Code, aber die Milliarden Synapsen, die jedes Verhalten steuern, überspielen den digitalen Charakter der einzelnen Schalter zugunsten eines Masseneffekts, der durch die Gesellschaft so weit diszipliniert werden kann, daß das Verhalten den Anforderungen der Rationaliät genügt. Tausende von unvernünftigen Tieren bauen einen vernünftigen Computer – und eine vernünftige Sprache, die sich über den Sumpf der wilden Hirnaktivität legt wie eine schwankende Brücke, krumm und schief genug und immer einsturzgefährdet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2021 um 16.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45236
|
Gute Zusammenfassung hier:
https://www.sciencemag.org/news/2019/06/talk-hand-scientists-try-debunk-idea-finger-length-can-reveal-personality-and-health
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2021 um 15.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45235
|
All diese Zusammenhänge sind nicht von vornherein auszuschließen, zumal es meistens um den Testosteron-Spiegel in der Entwicklung des Fötus geht. Nach meiner Definition (in meinem Okkultismusaufsatz) handelt es sich daher um Parawissenschaft und nicht um Pseudowissenschaft. Das ändert aber nichts daran, daß die Methode verfehlt ist und die Ergebnisse höchstwahrscheinlich nichts taugen.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.02.2021 um 14.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45234
|
Und ich dachte immer, die Nasenlänge wäre das eigentlich Verräterische des Mannes.
Aber ernsthaft, auf der anderen Seite scheint es auch wieder nicht ganz so abwegig, daß die Proportionen eines Lebewesens im weiteren Sinne schon mit seiner Gesundheit zu tun haben. Die Maße sollten nicht zu stark vom Mittelwert abweichen, sonst kann etwas nicht stimmen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2021 um 14.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45231
|
Ist Ihnen klar, lieber Herr Riemer, daß wir jetzt praktisch alles über Sie wissen?
"Das eigentliche Studium der Menschheit ist der...Ringfinger." (Frei nach Goethe, bzw. nach Pope)
Bei mir ist rechts der Ringfinger deutlich länger als der Zeigefinger, links sind sie gleich (fürs bloße Auge).
So, und jetzt vergessen wir den Datenschutz!
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.02.2021 um 11.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45230
|
Oh, laut Wikipedia muß man ja noch viel genauer messen, als ich das getan habe. Das kriege ich nicht hin, dazu muß man wohl Anatom sein.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.02.2021 um 10.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45229
|
Komisch, bei mir sind Zeigefinger und Ringfinger exakt gleich lang, auf den Millimeter, rechts wie links. Muß ich mir Sorgen machen? Was bedeutet dieses Verhältnis von 1:1 nun genau für meine Herzinfarktanfälligkeit oder für meine Potenz?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2021 um 09.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45228
|
Das Beispiel zeigt, wie berechtigt die Klage Skinners in einem seiner als „klassisch“ geltenden Aufsätze war. Er kritisierte die „Flucht in die Statistik“. Statt dringend nötige neue Untersuchungen am Objekt selbst anzustellen, verbringen Psychologen einen großen Teil ihrer Arbeits- und Lebenszeit damit, aus dürftigen Daten statistisch noch etwas herauszuquetschen. Das Ergebnis verschwindet in der Regel sofort in den Archiven, weil es ganz uninteressant ist.
Ich selbst habe mehrmals aus der Nähe miterlebt, wie das funktioniert: Qualifikationsarbeiten gelten eigentlich nur dem Nachweis, daß der Proband die statistischen Methoden beherrscht (obwohl und gerade weil er kein Mathematiker ist und sich bei der Arbeit von Mathematikern helfen ließ, was er aber nicht unbedingt zu erwähnen braucht, weil es sowieso jeder weiß...).
Damit ist natürlich nichts gegen Statistik gesagt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2021 um 07.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45227
|
Mit dem Längenverhältnis von Zeige- und Ringfinger korrelieren (positiv oder negativ)
Herzinfarkt
Brustkrebs
Prostatakrebs
Penislänge
ADHD
Rechtschreibschwäche
Linkshändigkeit
Fruchtbarkeit
Autismus
Asperger
Alkoholismus
Magersucht
Migräne
Stottern
Schizophrenie
Depression
Durchsetzungskraft
Kommunikationsfähigkeit
Neurosen
Potenz
Sportlichkeit
Aggression
Hyperaktivität
Musikalität
Gesichtszüge (wahrgenommene „Männlichkeit“)
sexuelle Orientierung
Polygamieneigung
Handschrift
akademischer Erfolg
mathematische Begabung
Zahlensinn
Ungezogenheit bei Jungen
Kriminalität nach der Pubertät
Risikobereitschaft
Empathie
Kooperationsbereitschaft
Altruismus
künstlerische Begabung
u. v. a.
All das ist wissenschaftlich bewiesen, und die Zeitungen berichten jedes Jahr darüber, so erst kürzlich wieder die Süddeutsche Zeitung.
„Dafür haben die Biologen Martin Cohn und Zhengui Zheng 58 Mäuse vom Stamm CD-1 untersucht und ihre Hinterläufe vermessen. Die hinteren Extremitäten der Nager haben ein ähnliches Zeigefinger zu Ringfinger Verhältnis wie wir Menschen.“ (WELT)
Es ist fast unmöglich zu beweisen, daß zwischen zwei beliebigen Größen keine Korrelation besteht. 134 österreichische Feuerwehrleute oder auch 249 Studenten reichen längst nicht aus. Mäuse wahrscheinlich auch nicht. (Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Fingerlängenverhältnis)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.02.2021 um 10.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45194
|
Darüber sind die Meinungen tatsächlich so geteilt wie seit Beginn der Philosophie. Ich habe mich schon mehrmals für den rein sprachwissenschaftlichen Begriff ausgesprochen, der von Walter Porzig formuliert worden ist: "Namen für Satzinhalte", also Substantivierung von Nebensätzen wie: das Alter = "daß jemand alt ist oder wie alt jemand ist". Das ist also eine Bezeichnungstechnik und kein Unterschied in den Dingen (ontologisch).
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.02.2021 um 08.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45193
|
Auch darüber, was Abstrakta sind (Kastanienbaum?), kann man vielleicht noch geteilter Meinung sein.
Hängt es vom Blickwinkel ab oder nennt man dies eher ein verallgemeinerndes Konkretum?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.02.2021 um 20.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45188
|
Man muß also m. E. zwei Arten von Konstrukten unterscheiden. Solche wie der Mittelpunkt eines Landes (auf irgendeine Weise eindeutig definiert), der Schwerpunkt eines konkreten Körpers, die Pole, die Achse oder der Äquator der Erde, die sich auf einen realen Ort der realen Welt beziehen, sind doch etwas anderes als Konstrukte wie die Zahl 4 oder das Abstraktum "Kastanienbaum", die nirgendwo real auffindbar sind.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.02.2021 um 16.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45186
|
Nein, mein Beitrag war ja allgemein gemeint.
Zum Thema Konstrukte paßt, was ich gerade lese, Die Eroberung des Südpols, Roald Amundsen, Edition Erdmann (leider in reformierter Schreibung):
Um 3 Uhr nachmittags ertönte ein gleichzeitiges »Halt!« von allen Schlittenlenkern. Sie hatten ihre Messräder fleißig untersucht und nun standen alle auf der ausgerechneten Entfernung - auf unserm Pol nach dem Besteck.
Das Ziel war erreicht und die Reise zu Ende!
...
So waren wir also unserer Berechnung nach jetzt am Pol. Selbstverständlich wusste jeder von uns wohl, dass wir nicht gerade auf dem Polpunkt standen – das wäre bei der Zeit und den Instrumenten, die wir zur Verfügung hatten, unmöglich festzustellen gewesen. Aber wir waren ihm so nahe, dass die paar Kilometer, die uns möglicherweise noch davon trennten, keine Bedeutung haben konnte [wohl Druckfehler]. Unsere Absicht war, diesen Lagerplatz mit einem Halbmesser von 18,5 Kilometern einzukreisen, ...
Die 18,5 km entsprechen 1/6 Breitengrad bzw. 10 Bogenminuten. Der Polpunkt war natürlich nicht zu sehen, aber trotzdem schreibt Amundsen von ihm nicht, als ob er nur logisch, als Konstrukt existiere, sondern er ist da tatsächlich irgendwo, nur läßt sich der Ort nicht genauer als innerhalb dieses Kreises bestimmen.
Mir scheint, als überschneiden sich hier die Betrachtungen Konstrukt und Realität. Einerseits ist der Südpol natürlich ein menschliches Konstrukt, andererseits läßt sich aber eindeutig (abgesehen von einer gewissen Meßungenauigkeit) der ganz reale Südpol auf der Erde bestimmen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.02.2021 um 09.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45185
|
(Lieber Herr Riemer, vor Ihrem letzten Eintrag habe ich meinen irgendwie verlorengegangenen eigenen wiederhergestellt. Dadurch entsteht nun ein neuer Zusammenhang, hoffentlich nicht allzu störend.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.02.2021 um 08.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45183
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45107
Schon wieder eine "Kränkung"!
Über die aktuelle Situation und die gefühlte Ohnmacht vieler Menschen in der Corona-Pandemie macht sich Hendrick Streeck, Virologe des Uniklinikums Bonn, Gedanken: "Manchmal kommt es mir vor wie die vierte Kränkung der Menschheit. Freud hat das formuliert: Die ersten Kränkungen waren, dass der Mensch doch nicht im Mittelpunkt des Universums steht, dass wir irgendwie vom Affen abstammen und dass wir triebgesteuert sind", sagte Streeck.
"Gerade kränkt uns, dass wir als technologisierte Gesellschaft nicht Herr über dieses kleine Virus werden." Die notwendige Souveränität, mit der Pandemie umzugehen, sei noch nicht erlernt worden (t-online.de 4.2.21)
Es wird immer komischer. Was hat uns Streeck eigentlich zu sagen? Warum wird er immer wieder gefragt?
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 02.02.2021 um 09.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45161
|
Ich finde die Frage interessant, ob ein Konstrukt existiert (= ob es das Konstrukt gibt). Es geht um den alten Universalienstreit.
M.E. werden in dieser Frage mindestens 2 verschiedene Arten von Existenz bzw. von Existieren vermischt. Zum einen geht es um die objektiv reale Existenz eines materiellen Gegenstandes oder einer materiellen Form, zum andern geht es um "Existenz" im Sinne der Widerspruchsfreiheit von Aussagen.
Beide Arten haben m. E. ihre Berechtigung, und es stört nicht (außer manche Philosophen), für beide das gleiche Wort zu benutzen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2021 um 07.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45158
|
Zu den „Konstrukten“ (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#37804)
Auch geometrische Figuren haben einen „Schwerpunkt“, obwohl sie nichts wiegen. Deutschland hat einen „Mittelpunkt“. Man kann aber nicht hinfahren, um ihn zu entdecken.
Man kann den Mittelpunkt eines Landes nach unterschiedlichen Methoden festlegen. Es gibt keine wissenschaftliche, von Behörden autorisierte Definition. Die Angabe geographischer Mittelpunkte ist somit eher eine Spielerei. Das lässt viel Raum für unterschiedliche Berechnungen, die zum Teil bemerkenswert voneinander abweichen. Oft haben sie eine touristische Bedeutung, weil kleine Orte aus ihrer Anonymität hervortreten und dem Mittelpunkt ein Denkmal setzen können.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Mittelpunkte_Deutschlands)
Das Gravitationszentrum wird ermittelt, aber nicht in dem Sinne entdeckt, daß man feststellt: Es gibt ein Gravitationszentrum (so wie behauptet wird: es gibt ein Unbewußtes). Entdeckt wurde die Möglichkeit, mit Hilfe der Konstruktion „Gravitationszentrum“ gewisse Berechnungen durchzuführen. Man entschließt sich, einen Schwerpunkt anzunehmen.
Gravitationszentrum und Massenschwerpunkt eines Satelliten decken sich übrigens nicht, daher entsteht ein Drehmoment, das ausgeglichen werden muß. Daran sollten Sie denken, wenn Sie längere Zeit im Orbit verweilen und dort Ihre Ruhe haben möchten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2021 um 07.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45156
|
Die Versuche, Schimpansen eine menschengemachte Sprache beizubringen, sind inzwischen in den Roman abgewandert (T. C. Boyle), wo sie auch hingehören. Leider wird ein Publikum, dem man eingeredet hat, ein Roman „zeige etwas“, auch dies in die falsche Kehle kriegen und die Phantasterei weitertragen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.01.2021 um 07.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45130
|
Auf der ersten Seite des SZ (30.1.21) ein Artikel über die intelligentesten Hunde. Einer habe 250 Wörter verstanden, ein anderer die Namen von 100 Objekten auseinandergehalten, einer gar Sätze mit Präposition, Verb und Objekt verstanden. Nichts davon ist wahr. Es ging immer darum, daß Hunde auf ein (meist akustisches) Signal hin einen Gegenstand herbeiholten. Dabei war es gleichgültig, daß dieses Signal gleichzeitig ein Bestandteil menschlicher Sprache war. Die starre Bindung an eine einzige Funktion verbietet es zusätzlich, von Wörtern, Namen und Sätzen zu sprechen. – Am geringen Niveau dieser verdummenden Berichte aus der Psychologie ändert sich seit Jahrzehnten nichts. Wieder könnte man am Bildungsstand der lesenden Bevölkerung verzweifeln. Gerade in sprachlichen Dingen kann man den Leuten das Blaue vom Himmel erzählen. Das macht sie auch so wehrlos gegen Eingriffe.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2021 um 07.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45107
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1464#26126
und http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1464#31513
Nicht Freud, sondern der Behaviorismus bedeutet die kopernikanische Revolution in der Psychologie, und die „Kränkung“ (im Sinne Freuds) geht so tief, daß noch heute die Abwehr überwiegt. Nicht nur Chomsky will den „Geist“ vor der Naturalisierung retten. Freuds Literatenpsychologie hat niemanden gekränkt, sondern ist sofort mit Begeisterung aufgenommen und zu einer weltweiten Mode geworden. Wie konnte Freud das verkennen? Nur weil er auch Kritiker hatte, gegen die er sich mit einer weltgeschichtlichen Perspektive in Szene setzen wollte?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2021 um 06.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45091
|
Zum Rätsel der „Identifikation“:
https://www.counterpunch.org/2021/01/22/post-covid-we-should-take-a-leaf-out-of-cubas-book-and-abolish-professional-sports/
Diese Philippika gegen den Zuschauersport – die kraftvollste seit Xenophanes, die ich je gelesen habe – kann man gutheißen, ohne sich auf die Kuba-Begeisterung des Verfassers einzulassen.
Die Medien setzen mit ihren Nachrichtensendungen jeden Tag einen Maßstab zur Gliederung des Lebens und des Weltgeschehens. Die Willkürlichkeit der Proportionen wird uns gar nicht mehr bewußt. Der Sport als Unterhaltung und Wirtschaftszweig, zum größten Teil Fußball, gehört immer dazu, ebenso in der Zeitung mit ihrem täglichen Sport-Teil. Ich lege ihn automatisch beiseite wie irgendeine Werbebeilage (auch dies macht eine der vielen Spaltungen unserer Gesellschaft aus). Der Mensch sollte sich ausreichend bewegen, aber darum geht es ja nicht. Beim Zuschauen kann es noch eine gewisse stellvertretende Funktionslust geben, aber Tabellenplätze? Wenn es noch um den eigenen Ehrgeiz ginge, aber es sind ja wildfremde Menschen, denen man zusieht, mit denen man sich aber „identifizieren“ muß, um mit ihnen um Tore und Punkte zu bangen. Diese zwar benannte, aber längst nicht verstandene „Identifikation“ ist das Urphänomen der Massenpsychologie oder Gruppendynamik. Wir sehen wohl, wie es inszeniert wird: Selbst wo der kommerzielle Hintergrund so deutlich ist wie beim Fußball oder gar bei den mit lauter Firmenzeichen beklebten Autorennfahrern, stört er die Identifikation nicht. Beim Amateurfußball konnte man allenfalls denken: das ist einer von uns. Das ist bei eingekauften Fußballstars mit ihren Millionengehältern nicht mehr möglich; hier muß die Etikettierung des Vereins genügen, und selbst der kann einem ausländischen Investor gehören wie irgend eine andere Firma. Das muß man alles ausblenden, um sich in die Zuschauermenge einzugliedern, von der das Geschäft abhängt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.01.2021 um 04.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45080
|
Die verwirrende Verschiedenheit der Schönheitsideale und „Schönheitspflege“ (einschließlich Schmuck und Kleidung) ist vielleicht ähnlich zu sehen wie die der Sprachen: Alle Menschen haben sie, aber es ist offen, in welcher Form. Der Mensch ist von Natur ein Kulturwesen, aber die Kulturen sind untereinander ganz verschieden.
Vieles erscheint uns als häßliche Verstümmelung, was anderswo heißbegehrter Körperschmuck ist, z. B. die Tellerlippen, Lippenpflöcke usw. (Die Erklärung bei Wikipedia, dergleichen hätte dazu gedient, die Frauen für Sklavenjäger unattraktiv [!] zu machen, ist wohl eine verfehlte Rationalisierung; man kann sich offenbar nicht vorstellen, daß ein Schönheitsideal sich so weit von unserem entfernen kann. Wie könnte aus absichtsvoller Verhäßlichung eine Verschönerung werden? Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Lippenteller)
Es wäre denkbar, daß andere Kulturen die westliche Sitte greller Lippenstifte usw. als barbarische Verirrung ansehen, unsere Kosmetikwerbung als Bilder des Grauens.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.01.2021 um 05.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45040
|
Ornamente zeigen oft eine zu große Regelmäßigkeit, um als Zeichenkandidaten in Erwägung gezogen zu werden. Ein Mäanderband wird daher nicht als Schrift mißdeutet werden. Daß wir solche Muster als Schmuck verwenden und oft auch herstellen, weil wir sie als „schön“ erleben, wird auf verschiedene Weise erklärt. Dabei spielt gerade die redundanzerzeugende Regelmäßigkeit eine Rolle.
Man hat vermutet, daß die Entdeckung einer Ordnung Wohlgefallen hervorruft, weil sie auch sonst die Grundlage unserer Orientierung ist. Die Welt (den „Kosmos“) als geordnet zu erkennen ist ein Elementarbedürfnis. Befreit von vitalen Funktionen, wird die Ordnung spielerisch genutzt und erzeugt.
Zur Gestaltwahrnehmung: Es ist fast unmöglich, die drei Gürtelsterne des Orion nicht als zusammengehörig wahrzunehmen, obwohl die Konstellation (stella = „Stern“) astronomisch gesehen zufällig ist; der mittlere Stern ist weiter entfent als die beiden äußeren, die zu einem offenen Haufen gehören, und mit den anderen hellen Sternen des Orion haben sie physikalisch gar nichts zu tun. Das Muster ist zwar objektiv vorhanden, aber nur aus einer bestimmten Perspektive. Die Deutung als Abbild (Gürtelsterne in der abendländischen Tradition) ist eine Überdeutung der ohnehin schon künstlich erzeugten Gestalt der Dreierreihe.
Andere Kulturen haben die Zufallsverteilung der Sterne am Nachthimmel anders gegliedert und gedeutet. Mangels zugehöriger Karten können wir nur selten nachvollziehen, worauf sich die überlieferten Namen von Sternen und Sternbildern beziehen. Die heute von der Astronomie festgelegte Kartierung des Himmels nach 88 Sternbildern ist vollkommen willkürlich, aber eindeutig und dient rein praktischen Zwecken.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.01.2021 um 07.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#45026
|
Sowohl die englische als auch die deutsche Wikipedia definieren das (biologische) „Ornament“ auf widersprüchliche Weise, wenngleich unterschiedlich:
A biological ornament is a characteristic of an animal that appears to serve a decorative function rather than a utilitarian function. Many are secondary sexual characteristics, and others appear on young birds during the period when they are dependent on being fed by their parents. (Weitere Funktionen werden erwähnt.)
Warum sollte man alles „Ornament“ nennen, wenn es für uns zunächst dekorativ aussieht, sich aber doch als funktional herausgestellt hat? Es ist doch biologisch irrelevant, wie weit unsere Unwissenheit zunächst geht. Wirkliche nichtfunktionale Elemente werden nicht angeführt.
Als Ornament bezeichnet man in der Verhaltensbiologie die sexuell selektierten Körpermerkmale von Lebewesen, die bei der Balz eine Rolle spielen.
Diese Einschränkung (abgesehen´von "Verhaltensbiologie", was auch nicht stimmt) widerspricht aber der weiteren Ausführung, die nicht nur Balzsignale umfaßt. Zum Beispiel:
Olfaktorische Ornamente sind in der freien Natur weniger häufig als visuelle oder akustische Ornamente zu beobachten. Der Sender signalisiert jedoch über das Absetzen eines Duftstoffes seine Anwesenheit beziehungsweise sogar seinen Gesundheitszustand.
Das Dekorative wird hier mit Recht nicht erwähnt, aber das zeigt nur, daß „Ornament“ hier nur eine irreführende und überflüssige Ersetzung von „Signal“ ist. Der Hund, der seinen Urin absetzt, „verziert“ doch den Baumstamm nicht.
Zahavis Handicap-Theorie wird zwar erwähnt, nicht aber die Kritik daran. Der deutsche Eintrag ist außerdem bibliographisch sehr mager.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2021 um 05.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44956
|
Zum Babbeln (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#23786)
MacNeilage hat immer wieder auf die grundlegende Rolle des Babbelns hingewiesen, das alle Menschenkinder, nicht aber Affen spontan zeigen. Es besteht aus einer rhythmischen, silbisch wirkenden Abfolge von Verschluß und Öffnung, etwa nach dem Muster bababa. Da es vorsprachlich ist, kann man noch nicht im phonologischen Sinn von Konsonant-Vokal-Folge sprechen, aber rein lautphysiologisch läuft es darauf hinaus. Das Kind artikuliert keineswegs alle erdenklichen Laute sämtlicher Sprachen, wie Roman Jakobson ohne eigene Beobachtungsgrundlage postulierte, sondern ein sehr beschränktes Muster. Anscheinend baut aber die von den Erwachsenen erlernte Sprache nicht unmittelbar auf diesem frühen Verhaltensmuster auf. Seine Funktion bleibt unklar.
Der Silbenrhythmus ist möglicherweise im Dienste einer besseren Erkennbarkeit der "zweifachen Gliederung" (Martinet) der Sprache entwickelt. Eine Melodie ohne Takt wäre nicht nur schlechter erkennbar, sondern würde auch bei der Weitergabe alsbald bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Das ist aber nur meine Hypothese, ich weiß nicht, ob sie anderweitig auch schon vertreten wurde.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.01.2021 um 06.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44947
|
Ereignisse wie Berufswechsel usw. werden zuerst im Hippocampus verarbeitet und teilweise gespeichert, dann an die Großhirnrinde weitergeleitet usw. – so ähnlich steht es in der SZ. Der übliche Unsinn. Der Peloponnesische Krieg wird wahrscheinlich in anderen Hirnregionen verarbeitet als der Dreißigjährige Krieg. Noch nie hat man beobachtet, daß zwei verschiedene Gegenstände genau gleiche Ergebnisse im Hirnscan verursachen. Das schließt die Methode praktisch aus.
Das Gehirn kann Biopics und Wirklichkeit nicht trennen (FAS 3.1.21). Auch wenn man den Hirnforscher Güntürkün zitiert, wird daraus keine neurologische Einsicht, es bleibt modisches Neurobabble.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2021 um 09.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44944
|
Obwohl wir kein nennenswertes Fell mehr haben, das sich bei Bedarf respekteinflößend sträuben könnte, erleben wir in der Gänsehaut noch die Tätigkeit der Muskelfasern an den Haarbälgen – ein Atavismus. Öfter erleben wir die Verwendung des sprachlichen Atavismus haarsträubend. Es gibt Berichte, wonach Menschen in Extremsituationen buchstäblich die Haare zu Berge standen.
Dagegen ist der Familienname Straubhaar (samt Varianten) auf eine dauerhafte Eigenschaft zurückzuführen, die den Übernamen ergeben hat.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2021 um 07.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44942
|
Die Schlafforschung hat festgestellt, daß nächtliche Erektionen in keiner Beziehung zum Inhalt gleichzeitiger Träume stehen. Es scheint sich um rein physiologische Vorgänge zu handeln.
Das schreckt allerdings an Freud geschulte Traumdeuter nicht ab. Wenn ein scheinbar völlig unerotischer Trauminhalt berichtet wird, dann liegt das eben an der Traumarbeit, die einen sexuellen und daher anstößigen Gegenstand umgedeutet hat.
Es bleibt natürlich das Paradox, daß wir Inhalte, die wir tagsüber ungeniert bedenken und besprechen, nachts als unmöglich tabuisieren – als seien wir im Schlaf noch die Viktorianer aus Freuds Jugendzeit.
Die unfreiwillige Komik der Psychoanalyse wird selten genutzt, Couch-Witzen zum Trotz. Der gravitätische Stil des Meisters scheint immer noch nachzuwirken.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2020 um 12.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44917
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39474 und
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1464#23187 (Bandelow)
"In der Krise übernimmt das Angstgehirn" (Boris Bandelow t-online.de). Dann tun wir so irrationale Dinge wie Klopapier horten. - Aber was ist daran irrational? Das „Angstgehirn“ hat Angstforscher Bandelow natürlich erfunden.
Auch die Philosophen wollen von Corona profitieren:
Die Gesellschaft für Analytische Philosophie (GAP) hat einen Essay-Wettbewerb ausgerufen: »Nachdenken über Corona«. Dieser Band versammelt die Texte der drei Preisträger und die besten Essays aus mehr als 100 Einsendungen. (Reclam 2021)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.12.2020 um 06.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44912
|
Aus dem Spiel zweier Schimpansenkinder wurde Ernst, so daß ein Eingreifen einer der beiden befreundeten Mütter nötig wurde. Da diese Intervention jedoch die Freundschaft belastet hätte, weckte eine der Mütter in dieser Not ein ranghohes Weibchen, das sie durch Gestik zu einer Intervention bei den Kindern bewegen konnte. In dieses soziale Problem waren 5 Individuen involviert!
(https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/problemloesung/53788)
Die Deutung des Schimpansenverhaltens ist allzu wohlwollend (vermenschlichend): Da diese Intervention jedoch die Freundschaft belastet hätte ... - Was bedeutet „Freundschaft“ zwischen Affen? Kann man das nicht operationalisieren?
Das Ganze soll das Konstrukt „Perspektivübernahme“ belegen. Es fehlen sowohl die Phylogenese des Schimpansenverhaltens als auch die Konditionierungsgeschichte. Welche Reize lassen sich als verhaltenssteuernd identifizieren? Woran erkennt der Beobachter, daß aus Spiel Ernst wurde? Wie haben sich die Kinder verhalten, haben sie geschrien usw.? Worin bestand die Gestik, und führt sie regelmäßig zu einer „Intervention“ (welcher?)? Die Darstellung überträgt das Spielplatzverhalten von Menschenkindern und -eltern auf die Affen, ohne darin ein Problem zu sehen.
Die Motivation wird nebenbei deutlich: In dieses soziale Problem waren 5 Individuen involviert!
Das Ausrufezeichen deutet auf den Wunsch des Verfassers, etwas Erstaunliches, nämlich schon Menschliches, herauszustreichen.
Anekdoten dieser Art bevölkern die traditionelle Literatur über Tierverhalten und sind schwer zu beurteilen, um nicht zu sagen wertlos.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.12.2020 um 10.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44870
|
„Forscherinnen und Forscher“ haben bei Raben das „Verständnis von Mengen, kausaler Zusammenhänge, aber auch die Fähigkeit zum sozialen Lernen, zur Kommunikation und zum Lesen der Absichten anderer Vögel untersucht.“ (Bericht in der SZ vom 18.12.20) Das sind allerdings keine Forschungsgegenstände, sondern Interpretationen der Ergebnisse, ohne Begründung in mentalistische (anthropomorphisierende) Begriffe gekleidet. Nützlicher wäre die objektive Beschreibung des Verhaltens.
In den Berichten fehlt wieder die Vorgeschichte: das Lernen des Umgangs mit „Werkzeugen“ usw.
Außerdem wird wieder das naturgemäß „erstaunliche“ Verhalten der Raben mit dem von Schimpansen und Menschen verglichen, als sei die „Leistung“, also etwa der Umgang mit „Werkzeugen“, über die Arten hinweg immer die gleiche, ohne Berücksichtung der Spezifität. Man hat ja mit Recht gesagt, die Intelligenz eines Raben bestehe darin, sich wie ein Rabe zu verhalten. Wie ist das besondere Verhalten in das sonstige Verhalten und das gesamte Habitat der Spezies einzuordnen? Vögel, die mit ihrem Schnabel Nester bauen, und Affen, die mit Stöckchen Termiten angeln, sind kaum zu vergleichen, auch wenn manche Bewegungen ähnlich aussehen. Um zu zeigen, was Raben „auch schon“ können, zieht man geradezu zwanghaft andere Tierarten heran. "Die Raben können das, was die Menschenaffen erst als ausgewachsene Tiere können, bereits im Alter von vier Monaten." – Ist es wirklich dasselbe?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.12.2020 um 05.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44867
|
Sie haben ganz recht, mich zart auf die populäre Entstellung des Wallenstein-Zitats aufmerksam zu machen. Richtig hier: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1507#44213
|
Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 16.12.2020 um 01.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44865
|
"Wie er sich räuspert... "
Worauf nehmen Sie damit Bezug?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2020 um 06.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44863
|
Wie er sich räuspert... Das kann man bei sektenähnlichen „Schulen“ (Adorno, Freud, Heidegger) beobachten, wo die Lehre keine Befreiung vom Jargon überleben würde.
Freud-Schüler René A. Spitz benutzt wie Freud solche Übergangsformeln wie Wir dürfen nun die Behauptung aufstellen... (Nein und Ja 36) Diese Rhetorik trug schon die Freud-Leser von einem Einfall zum nächsten. Das ersetzt nähere Begründungen.
Spitz, der bei Freud selbst eine "Lehranalyse" absolviert hatte und mit dessen Tochter Anna in der Kinderanalyse zusammenarbeitete, geht empirischer vor als Freud, aber die Befunde werden geradezu zwanghaft in dessen hydraulisches Triebmodell eingebaut.
Auch der Orientierungsvorgang im menschlichen Denken erfolgt nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Aber statt der hohen Beträge von Muskelenergie, die für das Handeln notwendig sind, genügt für den Denkvorgang als einem Probehandeln die Verschiebung minimaler Energiebeträge auf den Gedächtnisspuren (Freud, 1911). (Nein und Ja. S. 28)
Solche psychische Energie gibt es nicht, es handelt sich um ein transgressives Konstrukt, eine Fiktion also, deren Nutzen zweifelhaft ist. Modell war vielleicht die (männliche) Erfahrung mit dem Geschlechtsakt und der Refraktärphase danach: als wenn ein Energiespeicher wieder aufgefüllt werden müßte. (Schließlich ist die Psychoanalyse eine Männerphantasie.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.12.2020 um 05.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44807
|
Jetzt habe ich es wiedergefunden: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1103#29483
Daß zwei Klassenkameraden am selben Tag Geburtstag haben, ist zwar auch überraschend, aber die Überraschung ist mehr von der lotteriehaften Art. Es geht um eine begrenzte Grundmenge (365 Tage stehen zur Wahl) und ein wenig Arithmetik. Dagegen ist das Auftreten einer Person im erwähnten Fall an sich schon unwahrscheinlich, ebenso der Gedanke an sie, und das Zusammentreffen beider Ereignisse kommt uns astronomisch unwahrscheinlich vor. (Wenn ich an meine Frau denke und sie im nächsten Augenblick die Treppe herunterkommt, habe ich nicht den Eindruck eines wunderbaren Zufalls.) Die Erklärung ist: Wir denken ständig an sehr vieles, und normalerweise folgt nichts Entsprechendes darauf, so daß die einzelnen Episoden sogleich vergessen werden. Aber unter Tausenden, vielleicht Millionen kommt es dann doch mal zu einem wirklichen Zusammentreffen mit dem Gedachten, und erst dann fällt uns etwas auf. Wenn ich 100.000 Seiten lese, stoße ich eben auf einige Stellen, die ich mir so ähnlich auch gedacht habe, zum Beispiel das Zitat aus Powell. Manchmal lese ich ein Wort in genau derselben Sekunde, in der meine Frau es ausspricht. Auch das ist nicht anders zu erwarten, da ich viel lese und meine Frau viel spricht, aber es fällt mir wirklich auf.
Mir geht es also mehr um die Psychologie des Aberglaubens. Das Beispiel mit den Geburtstagen haken wir gewissermaßen nach kurzem Staunen ab, aber es gibt "Zufälle", die einen geradezu schockieren und dann auch zum Aberglauben führen oder einen solchen enorm bestärken können. Ich habe oft Erzählungen von Verwandten und Bekannten gehört, die von solchen Erlebnissen berichteten, über die sie manchmal ein Leben lang nicht hinwegkommen konnten.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.12.2020 um 18.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44805
|
Es geht ja nicht um das Zusammentreffen zweier ganz bestimmter Dinge, das wäre wirklich ein großer Zufall, sondern es geht letztlich um ein beliebiges Zusammentreffen. Das ist dann ähnlich wie beim sog. Geburtstagsparadoxon, die Wahrscheinlichkeit irgendeines Zusammentreffens ist viel größer als erwartet.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.12.2020 um 16.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44804
|
Das Phänomen habe ich irgendwo schon besprochen, aber hier ist noch einmal eine schöne literarische Fassung, die ich mal gefunden habe:
Everyone knows the manner in which some specific name will recur several times in quick succession from different quarters; part of that inexplicable magic throughout life that makes us suddenly think of someone before turning a street corner and meeting him, or her, face to face. In the same way, you may be struck, reading a book, by some obscure passage or lines of verse, quoted again, quite unexpectedly, twenty-four hours later. (Anthony Powell)
Gar nicht inexplicable. Wir denken ständig an die verschiedensten Dinge, lesen alles mögliche; es fällt uns aber erst auf, wenn zufällig das gleiche Element kurz darauf ein zweites Mal vorkommt – wie es rein statistisch nicht anders sein kann.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2020 um 14.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44711
|
(Zur Herstellung eines Faustkeils:)
Nach der Auswahl eines geeigneten Steinbrockens schlug der Steinschläger mit einem anderen Stein kleine Stücke davon ab und löste sorgfältig einen Splitter nach dem anderen ab, bis er eine scharfe Kante erhielt. Dieses Verfahren erforderte Voraussicht und die Fähigkeit zu planen, und mit Hilfe so spärlicher Hinweise lassen sich Rückschlüsse auf die handwerklichen und intellektuellen Fähigkeiten unserer frühen Ahnen gewinnen.
(...)
Warum der Faustkeil so lange das vorherrschende Werkzeug blieb, ist unbekannt (...)
(Knaurs neuer historischer Weltatlas. Augsburg 1999:34, entspricht The Times Atlas of World History)
Mit der Hinzufügung der „intellektuellen Fähigkeiten“ ist nichts gewonnen, denn die bestehen ja in den handwerklichen. Wenn man gelernt hat, wie etwas gemacht wird, braucht man keine Voraussicht oder Planung. Die Hauptsache steckt in dem ungelösten Rätsel, warum die Frühmenschen eine Million Jahre nicht über die primitivste Form eines Werkzeugs hinausgelangten.
(Zu den Frühmenschen von 100.000 bis 10.000:)
Ihren Erfolg verdankten sie ihrer Fähigkeit, sich in ihrer Lebensweise als Jäger und Sammler an unterschiedliche Umgebungen anzupassen. In einigen Regionen gelang die Anpassung so vollkommen, daß ihre Lebensweise sich über Jahrtausende kaum veränderte. (ebd. 35)
Wären sie nicht angepaßt und erfolgreich gewesen, hätten sie nicht überlebt. Ihre Lebensweise änderte sich nicht, obwohl Verbesserungen und Erleichterungen immer möglich sind und dann ja auch irgendwann eintraten. Die Tautologien täuschen über unsere Unwissenheit hinweg.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2020 um 07.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44710
|
Bei Aristoteles findet man als selbstverständlichen Hintergrund die These, daß die Welt (= die Dinge) und deren Eindrücke in der Seele (= die Vorstellungen und Begriffe) für alle Menschen dieselben seien, die gesprochenen Wörter dafür und die Schriftzeichen aber je nach Konvention verschieden. Kritiker wiesen darauf hin, daß verschiedene Menschen verschiedene Meinungen über die Dinge haben (so Alexander von Aphrodisias nach Zitaten bei anderen Autoren), aber das ist wahrscheinlich kein Widerspruch, im Gegenteil: Damit man verschiedene Meinungen haben kann, müssen die Begriffe die gleichen sein.
Gar nicht erinnern kann ich mich an Stellen, an denen die Verschiedenheit der Meinungen aus der Verschiedenheit der Sprachen hergeleitet würde, also der Humboldtsche Sprachidealismus. Herodot, der mehr als jeder andere seine Landsleute mit den kuriosen Ansichten und Sitten fremder Völker bekannt machte, hätte am ehesten Gelegenheit gehabt, so etwas zu bedenken, aber er sagt nichts dergleichen, interessiert sich auch nicht besonders für die Sprachen, mit denen er in Berührung kam. Seine Bemerkung über skythische Frauennamen habe ich schon erwähnt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2020 um 11.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44669
|
Noch einmal zum Hippocampus von Londoner Taxifahrern:
Ich verstehe so gut wie nichts von Hirnforschung, aber ich sage mir: Wir lernen im Laufe unseres Lebens Millionen von Einzelheiten. Ein gebürtiger Londoner kennt vielleicht nur ein Hunderstel der Straßen(namen), die ein geprüfte Taxifahrer lernen mußte, bevor das Navi aufkam. Aber er kennt natürlich noch viele andere Orte mit anderen Namen und außerdem die Millionen anderen Dinge, Gesichter, Stimmen, Techniken und Gelehrsames. Sollte ein durchgefallener Taxifahrer sich von einem erfolgreich geprüften so stark unterscheiden, daß man anatomische Unterschiede im (winzigen!) Hippocampus messen kann? Außerdem: Die Schädelkapsel wächst nicht mit; wenn einige Nerven wachsen, müssen andere schrumpfen. Welche Defizite zeigt ein Pianist, der 200 Stunden Klaviermusik auswendig spielen kann, oder ein Pandit, der den ganzen Veda samt Kommentaren im Kopf hat? Das müßte sich doch beobachten lassen, wenn man Unterschiede zwischen den Gehirnen von Studenten beobachten kann, die Oldowan-Faustkeile machen können, und solchen, die es bis zu Acheuléen-Faustkeilen gebracht haben.
(Meine Einwände klingen vielleicht so, als wollte ich mich über gewisser Forscher lustig machen, aber das ist nicht meine Schuld; ich karikiere nichts.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2020 um 04.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44664
|
Die Evolutions-Neurologie und Experimentelle Archäologie erforschen den Zusammenhang zwischen Werkzeugintelligenz und Sprachursprung. Dazu viele Arbeiten von Dietrich Stout und anderen.
Beim Anfertigen eines schönen Faustkeils beteiligen sich auch einige derselben Hirngebiete wie bei einem Oldowan-Werkzeug. Doch nun ist in der präfrontalen Hirnrinde auch die rechte untere Stirnhirnwindung aktiv.
Weil im Kernspin der Proband stillhalten muß, hat man ersatzweise das Betrachten und innere Nachvollziehen der Werkzeugherstellung im Film genutzt. Zugrunde liegt die Erkenntnis, daß beim Betrachten einer Handlung die gleichen Hirnregionen aktiv sind wie beim tatsächlichen Ausführen:
Und wenn der Film die Anfertigung von Werkzeugen des späten Acheuléen zeigte, war zusätzlich die rechte untere Stirnhirnwindung aktiv.
Das Ganze ist höchst unglaubwürdig. Die Unterschiede zwischen wirklichem Handeln und dessen Beobachtung bei anderen müssen so gering sein, daß sie die Unterschiede zwischen den Durchblutungsmustern bei der Anfertigung von Oldowan- vs. Acheuléen-Faustkeilen nicht zudecken. Das ist sehr unwahrscheinlich. Die wirkliche Ausführung einer Fertigkeit ist in einen übergreifenden Handlungszusammenhang eingebettet und ganz anders motiviert als die experimentelle Nachbildung der bloßen „Topographie“. Der Unterschied ist so groß, daß z. B. Aphatiker ein bestimmtes Wort im Zusammenhang verwenden, aber nicht isoliert aussprechen können (wie Kurt Goldstein gezeigt hat).
Es wird wieder einmal nicht untersucht, wie spezifisch die Erregungsmuster sind – die ja außerdem aus Messungen bei mehreren Personen gemittelt werden. Bei welchen anderen Tätigkeiten bzw. Beobachtungen treten ähnliche Muster auf? (Die Deutung der Pupillenerweiterung durch E. Hess und andere verlor an Glaubwürdigkeit, als man entdeckte, bei wie vielen ganz verschiedenen Gelegenheiten die gleiche Reaktion eintrat.)
Die abgebildeten Hirnregionen mit stärkerer Durchblutung sind vergleichsweise riesig, und wie üblich wird aus den Abbildungen nicht ersichtlich, daß andere Regionen keineswegs unbeteiligt sind, sondern nur minimal weniger angeregt.
Außerdem wird nicht bedacht, daß der Steinzeitmensch die Werkzeuge in einem ganz anderen, für uns nicht mehr rekonstruierbaren Kontext herstellte: andere Motivation, soziale Ordnung, Formen der Anleitung usw., vielleicht eine zugehörige Mythologie und begleitende magische Vorstellungen. (Ein Schwirrholz oder ein Didgeridoo wird handwerklich angefertigt und kann trotzdem mit übernatürlicher Deutung ausgestattet sein. Waffen werden überall auf der Welt „gesegnet“, mit Jagdzauber belegt usw. Die Werkzeugintelligenz ist nicht klar getrennt von der sozialen oder soziomorphen.)
Auf die anatomischen Befunde der Vergrößerung bestimmter Nervenstränge nach einigen Übungsstunden gehe ich nicht noch einmal ein. Es wird angenommen, daß diese individuellen Veränderungen, die natürlich an sich nicht vererbt werden, einen Selektionsdruck ausübten, der dann tatsächlich zu einer erblichen Veränderung in Richtung dieser Anpassung führte: Wer an sich schon die vorteilhaften anatomischen Züge mitbrachte, vererbte sie an die erfolgreichere Nachkommenschaft.
All das ist hoch spekulativ; man denkt an die angeblich vergrößerten Hirnregionen der Londoner Taxifahrer mit und ohne Examen... Es scheint aber kaum Kritik zu geben, die hübschen Bilder von Faustkeilen und Hirnscans füllen populäre Zeitschriften („Spektrum“) und Sonntagszeitungen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2020 um 08.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44580
|
Statt traditionell zu sagen, Sprache drücke Gedanken, aus, sagt man heute, sie drücke aus oder repräsentiere „thought structures“ - womit man mehr zu sagen scheint, aber in Wirklichkeit weiß man weniger als zuvor. Denn jeder weiß zwar, was Gedanken sind (ein alltagspsychologischer Ausdruck, der zur Geschäftsordnung der Alltagssprache gehört); aber was der künstliche Ausdruck „gedankliche/mentale Strukturen“ (und auch „repräsentieren“) bedeuten könnte, ist mehr als unklar.
Von dieser Art ist vieles in der „kognitiven“ Psychologiie und Linguistik. Nur weil es auf der Spielwiese folgenlos bleibt, wird es kaum kritisiert (vergleichbar theologischen Streitereien, bei denen die Irrelevanz sprichwörtlich ist).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2020 um 19.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44416
|
Ein Zeichen ist etwas, was für etwas anderes steht, auf das es hinweist, das es andeutet oder bedeutet, d. h. im geistigen Prozeß des Auffassenden die Vorstellung oder den Begriff eben jenes anderen hervorruft. (Friedrich Kainz in Gottfried Arnold: Die Sprache und ihre Störungen. Wien, New York 1970:36)
Die Nebensätze hängen alle vom ersten ab, spezifizieren also nur das „Stehen für etwas“. Dieses Hauptmerkmal wird mitsamt seinen – wohl als paraphrasierende Synonymenschar zu verstehenden – Explikationen psychologisch gedeutet als Hervorrufen einer Vorstellung oder eines Begriffs im Geist des Zeichenempfängers. Man darf annehmen, daß die gleiche Vorstellung oder der gleiche Begriff nach dieser Theorie bereits im Geist des Zeichengebers vorhanden war.
Die Auffassung ist also im wesentlichen die gleiche wie schon zur Zeit des Aristoteles (De interpr. 16), nur verunklart durch den begrifflichen Schutt von Jahrtausenden. Für etwas stehen, auf etwas hinweisen, etwas andeuten, etwas bedeuten – das sind ja ganz verschiedene Beziehungen oder Modelle, die man nicht einfach anhäufen kann, als seien sie Umschreibungen desselben Sachverhalts.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.09.2020 um 04.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44387
|
Während ich mich als Nichtbiologe und mathematischer Schwachmatikus mit Zahavis Handicap-Prinzip beschäftigte, das ja ein wesentlicher Beitrag zur biologischen Semantik (samt kulturhistorischen Weiterungen) sein will, kamen mir immer mehr Zweifel, vor allem wegen der hochspekulativen und oft unglaubhaften Beispiele. Nun sehe ich, daß jüngst ein besonders gründlicher kritischer Aufsatz erschienen ist, den man lesen sollte, schon weil er auch Alan Grafens Modellrechnungen ins rechte Licht rückt:
https://doi.org/10.1111/brv.12563
John Maynard Smith ist ja verstorben, und ob Richard Dawkins, der sich immerhin nur vorsichtig zustimmend geäußert hatte, sich noch mit der fundamentalen Kritik auseinandersetzen wird, bleibt abzuwarten.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.09.2020 um 06.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44376
|
Fortsetzung des vorigen:
Die erste Form des ungemein wichtigen Verstellungsverhaltens ist das Guck-guck-Spiel (Peekaboo; s. Wikipedia zu beidem). Es dient aber nicht dem Einüben der „Objektkonstanz“, wie Piaget und Bruner allzu intellektualistisch meinten, sondern der Bewältigung der Angst vor dem Verlassenwerden. Die Mutter versteckt daher keine beliebigen Gegenstände, sondern sich selbst, sei es auch nur partiell durch Bedecken der eigenen Augen, dann auch der Augen des Säuglings durch ein Tuch usw. Das Kind übernimmt dieses Spiel etwas später. Die Zeit zwischen „Verschwinden“ und Wiederauftauchen darf am Anfang nicht zu lang sein, wächst aber an. Die Erleichterung des Kindes ist sehr deutlich, sie äußert sich in ausgelassener Freude. Auch die Freude an der eigenen Kraft, eine längere Zeitspanne des „Verlassenseins“ auszuhalten, ist zu beobachten. Die Permanenz anderer Gegenstände kommt hinzu, ist aber nicht so wichtig wie die der beiden Personen der ursprünglichen Dyade.
Dieses Spiel schafft, mentalistisch gesprochen, die Zuversicht, daß die Mutter (oder wer auch immer) wiederkommen wird, auch wenn sie im wirklichen Leben, z. B. nach dem Abliefern in der Kita, länger wegbleibt.
Verstellung ist das A und O. Volker Sommer hätte sein Buch nicht „Lob der Lüge“ nennen sollen, sondern „Lob der Verstellung“. Leider wird „pretend play“ usw. heute fast immer mit dem mentalistischen Überbau der Theory of mind, des Mind reading, des False belief usw. befrachtet, was eine objektive Analyse erschwert.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.09.2020 um 08.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44372
|
Was sich liebt, das neckt sich. Doch scherzhaftes Necken ist nicht nur bei Verliebten und Freunden üblich. Erste Ansätze dieses Verhaltens finden sich bereits bei Kleinkindern. Jetzt weisen amerikanische und deutsche Anthropologen in einem Übersichtsartikel des Fachblatts Biology Letters darauf hin, dass vergleichbare Aktivitäten auch bei Menschenaffen vorkommen. Das Verhalten könnte sich im Lauf der Evolution als vorteilhaft entwickelt haben, da es soziale Bindungen innerhalb einer Gruppe stärkt. Freundschaftliches Necken setzt komplexe kognitive Fähigkeiten voraus, die es ermöglichen, sich in andere hineinzuversetzen und deren Erwartungen und Reaktionen vorauszusehen. Die Forscher vermuten darin auch einen der Ursprünge des Humors, der damit nicht nur dem Menschen eigen wäre.
"Wir präsentieren Hinweise darauf, dass auch Menschenaffen die drei Formen des spielerischen Neckens praktizieren, die bei Kindern noch vor dem Spracherwerb zu erkennen sind", schreiben die Wissenschaftler um Erica Cartmill von der University of California in Los Angeles. Diese drei Verhaltensweisen sind zum einen das Anbieten und wieder Zurückziehen eines Gegenstands, die provokative Zuwiderhandlung sowie das mutwillige Stören der Tätigkeit eines anderen. Dabei bewegt sich die Aktivität des Handelnden auf einem schmalen Grat zwischen Aggression und Spiel, erzeugt aber positive Emotionen bei beiden Beteiligten. (SZ 24.9.20)
Aus der Originalarbeit:
Crucially, recent research demonstrated that apes are also capable of ´mind-reading´ abilities that require a simultaneous representation of two conflicting views of the world: one’s own (correct) perspective and the (incorrect) perspective of another individual. Hence, great apes are not only sensitive to what other individuals intend to do and what they know, but they also have some understanding of others’ beliefs, even when these beliefs conflict with reality (also see [77–79] for similar findings on false belief attribution in young children). (https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsbl.2020.0370)
Der metaphorische Charakter dieser Darstellung wird anscheinend gar nicht mehr gesehen, so sehr hat man sich an die kognitivistische Redeweise gewöhnt. Das Ganze wird gleich für die „Theory of mind“ vereinnahmt. Auch Tieren wird eine solche Theorie des Geistes samt Beliefs, Sichhineinversetzen (Perspektivübernahme) usw. zugeschrieben, also kulturell begründete sprachliche Konstrukte bestimmter Menschengruppen. Die objektive Erforschung des Verstellungsverhaltens, dessen Unterart das Necken ist, ist auf dieser Grundlage nicht möglich.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2020 um 12.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44361
|
Ich habe die Pupillometrie erwähnt, an die sich Zahavi unkritisch anschließt.
Das Buch von Eckhard H. Hess („Das sprechende Auge“, orig. „The Tell-Tale Eye“) ist ein weiteres Beispiel jener Sorte von populärwissenschaftlichen Werken, die eine wirkliche oder vermeintliche Entdeckung sogleich mit weit ausgreifenden Folgerungen verbinden und sich dabei übernehmen, weil sie allzu viel erklären wollen und dabei die empirischen Grundlagen hinter sich lassen. Die These ist oft mit einem griffigen Schlagwort verbunden und verbreitet sich unter der gebildeten fachfremden Bevölkerung, wo sie sich dann einige Jahrzehnte als vermeintlich unbezweifelbare Wahrheit hält. Die Pupillenreaktion sollte nicht nur die (u. U. verschwiegene, verdrängte) geschlechtliche Orientierung verraten, sondern auch an die Stelle des Lügendetektors treten usw. Die Theorie war – wie der Aggressionstrieb, das Handicap-Prinzip, die Spiegelneuronen, die Mem-Theorie – zu schön, um wahr zu sein. Sieht man einige Zeit später in der Forschungsliteratur nach, was übriggeblieben ist, findet man außer einem Körnchen Wahrheit nicht viel. Die Pupillen weiten sich bei den verschiedensten Anlässen, die nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Wahrscheinlich ist es die Begleiterscheinung einer anderen unwillkürlichen Reaktion ohne Zeichencharakter. Deutlich wahrnehmbar ist sie ohnehin nur bei den 10 Prozent der Menschen mit hellen Augen (wahrscheinlich ein sehr junges Merkmal).
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2020 um 06.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44278
|
„Menschenbild ist ein in der philosophischen Anthropologie gebräuchlicher Begriff für die Vorstellung, die jemand vom Wesen des Menschen hat.“ (Wikipedia)
Niemand hat eine Vorstellung vom Wesen des Menschen. Wir haben kein „Menschenbild“, weil die verschiedenen lokalen Problemlösungen nie zu einem System zusammengeführt werden (was weder möglich wäre noch nötig ist). Die Bibliographie zum Wikipedia-Artikel (vermutlich weitgehend von Herrn Fahrenberg) sagt alles! Es ist ein beliebiges Sammelsurium. Das kann nicht anders sein. Auch das Inhaltsverzeichnis von Detlev Ganten (Hg.): Was ist der Mensch? – ein wüstes Durcheinander. Vgl. das Marburger interdisziplinäre Projekt „Menschenbilder“, dort das Verzeichnis der Veröffentlichungen. Jeder tut, was er schon immer getan hat, und bringt es unter den neuen Titel eines geförderten Projekts. Sammelbände belegen, daß Experten verschiedener Fächer aneinander vorbeireden. Das ist auf vielen Gebieten so und hängt mit der Verfügbarkeit von „Projekt“-Mitteln zusammen, kurzatmigen Unternehmungen im Namen der modischen Interdisziplinarität.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2020 um 04.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44264
|
Die Erkenntnis eines Psychologieprofessors, daß der Mund-Nasen-Schutz die untere Hälfte des Gesichts verdeckt, hat es auf die erste Seite der SZ gebracht. Es ist dort ein wenig anders ausgedrückt, aber das ist der Kern.
Die sichtbar bleibende Augenpartie ist für Mimik nur halb so gut wie der Mund, wer hätte das gedacht! Und was wird aus dem Vermummungsgebot? Die Chinesen arbeiten schon an Gesichtserkennung trotz Maske. Unsere Polizei ist noch nicht so weit, statt dessen nutzt sie die Gästelisten der Restaurants für die Fahndung, die darum zur Hälfte gefälscht sind. Usw., das übliche Wettrüsten der Evolution.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2020 um 17.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44191
|
Diese faule "Neutralität" hat mich zeitlebens geärgert, sie bereitet auch den Boden, auf dem die "Merchants of doubt" ihre Geschäfte betreiben. Das Schlüsselwort ist "umstritten".
Auch wenn etwas erwiesenermaßen völlig indiskutabel ist, finden diese Leute irgendwo eine Quelle, die es ihnen erlaubt, es "umstritten" zu nennen. Viele Menschen glauben, das sei die wissenschaftliche Methode, aber deren Verfahren, mit Hypothesen zu arbeiten, ist etwas ganz anderes.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.08.2020 um 17.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44190
|
Forscherinnen und Experten, die sich wissenschaftlich mit dem Weltraum beschäftigen, zweifeln an der Astrologie.
(MM, 24.8.20, S. 5)
Kein ernstzunehmender Wissenschaftler "zweifelt" an Astrologie, sondern alle sagen, daß Astrologie Humbug ist.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.08.2020 um 13.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44180
|
Der Hinweis auf eine Anzahl ist überflüssig, denn er suggeriert, man wisse etwas über die Größe oder sogar das Aussehen eines Engramms, oder es sei so etwas wie die kleinste Speichereinheit und die einzelnen Engramme ließen sich gegeneinander abgrenzen und abzählen. Das ist natürlich alles Spekulation. Insofern das Wort Engramm vorbesetzt ist durch so etwas, wäre es schlecht geeignet. Ich würde es (zusammen mit den "Milliarden") höchstens in dem Sinne verstehen, daß der Mensch sehr viel Information verschiedenster Art (Wissen, motorische Fertigkeiten) auf kleinstem Raum speichert, bzw. daß die Speicherung in einer z. Z. noch ganz unbekannten Weise erfolgt, die wir eben noch nichz genauer als mit "Eindrücken" von Reizen (im Sinne der bloßen wörtlichen Bedeutung von "Engramm") beschreiben können.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.08.2020 um 11.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44179
|
„Die Gesamtheit aller Engramme – es sind Milliarden – ergibt das Gedächtnis.“ (Wikipedia)
Das sind die Milliarden (oder Trilliarden? Egal) Verhaltensweisen, zu denen das Gehirn die Dispositionen enthält. Wozu sollte man dafür den traditionell belasteten Begriff „Engramm“ verwenden? Davon haben die meisten ja auch Abstand genommen. In englischen Eintrag „Engram“ werden Konstrukte wie „deklaratives Gedächtnis“ erwähnt, die aus anderen Gründen kritikwürdig sind. Mit der Engramm-Theorie ist fast immer die Theorie von Repräsentationen o. ä. verbunden, also einer Art Speicherung von enzyklopädischem Wissen. Mit Recht wird in diesem Zusammenhang das „Großmutter-Neuron“ erwähnt, das es natürlich nicht geben kann. (Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#36984 und die Fortsetzung.)
Die Fähigkeit, ohne Hinsehen einen Schnürsenkel zu binden; das Umschalten auf Französisch, wenn man einen Franzosen vor sich hat; Ironie richtig zu verstehen; ein Lied spontan zu transponieren – all das sollen Engramme sein. Was bringt es? Man kann danach weder suchen, noch wird man etwas finden.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.08.2020 um 18.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44178
|
Sie haben natürlich meiner Frage in Ihrem letzten Absatz schon vorgebeugt. Aber welches Wissen bildet man sich ein, wenn man ganz allgemein von Reizeindrücken (Engrammen) oder von Gedächtnis spricht? Allgemeiner kann man es m. E. kaum formulieren. Damit ist noch gar nichts über die genaue Funktionsweise des Gedächtnisses gesagt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.08.2020 um 13.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44177
|
Andererseits – wieso sollte man diese Spuren oder Veränderungen im Gehirn nicht Engramme und in ihrer Gesamtheit Gedächtnis nennen?
Wenn etwas existiert, spielt es doch keine Rolle, welchen Namen man ihm gibt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.08.2020 um 07.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44176
|
„Bei jeder Handlung und jeder Situation greift das Gehirn auf Engramme zurück.“ (Wikipedia) = Das Gehirn ist durch Lernen verändert.
Natürlich verändert sich der Organismus durch Lernen, sonst würde er sich ja danach nicht anders verhalten (wie es zur Definition des Lernens gehört), und insbesondere das Gehirn (wie wir heute wissen). Aber warum sollte man das außerdem noch Gedächtnis nennen? Man kann nachsehen, welche Regionen besonders beteiligt sind, aber „Engramme“ wird man nie finden.
Es geht nicht nur um harmlose Metaphern, sondern um ein verkehrt angelegte Begrifflichkeit und um eingebildetes Wissen (Neurosophie). Wenn man in Wirklichkeit gar nichts Näheres weiß, sollte man es auch nicht so ausdrücken, als wüßte man es.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.08.2020 um 18.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44154
|
Das stimmt natürlich. Auch Mythen über die Entstehung der Welt sind solche Modelle und hängen in der von Ihnen beschriebenen Weise mit der wirklichen Welt zusammen und sind außerdem Teil von dieser. Mehr will ich auch gar nicht sagen. Ich hätte streng genommen nicht von zwei Welten reden sollen, an die ich ja auch gar nicht glaube.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.08.2020 um 15.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44153
|
Andererseits ist die "konstruierte Welt" keine, die mit der physischen, wirklichen Welt gar nichts zu tun hätte, sondern es gibt eine Entsprechung. Der Mensch versucht, die wirkliche Welt bestmöglich zu erkennen und zu beschreiben. Seine "konstruierte Welt" würde ohne die wirkliche gar nicht existieren, sie hängt von ihr ab.
Deshalb möchte ich hierbei eigentlich nicht von zwei verschiedenen Welten sprechen, sondern davon, daß der Mensch sich ein nicht ganz adäquates Abbild der einen wirklichen Welt schafft. Dieses Abbild wird letztlich auch zum Bestandteil der einen wirklichen Welt.
|
Kommentar von Thedodor Ickler, verfaßt am 20.08.2020 um 09.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44152
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#36216
Die konstruierte Welt, in der es die "Über"-Beziehung gibt (Aboutness, Referenz...), ist nicht dieselbe wie die, in der es Gehirne gibt, also nicht die physische Welt, die einzige wirkliche.
Wer über Wärme spricht, spricht nicht "eigentlich" über die Brownsche Molekularbewegung. Man kann höchstens sagen, daß sein Sprachverhalten u. a. von der Molekularbewegung gesteuert wird. Das ist aber eine ganz andere Sicht.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.08.2020 um 19.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#44119
|
Was auch immer gegen eine "Sprachevolution" vorgebracht wird, also gegen eine spezielle Art der "allmählichen Aufwärtsentwicklung", die Kritiker werden wohl wissen, was genau sie damit meinen, aber sie stellen ja sogar diesen allgemeineren Begriff in Frage.
In diesem Tagebuch geht es im Zusammenhang mit Jespersen oft darum, daß eine "komplexere" Sprache eigentlich die primitivere sei. Es kommt aber auch wieder darauf an, was man unter Komplexität versteht. Ist eine Sprache komplexer, wenn sie z.B. ein kompliziertes Flexionssystem hat, oder ist sie umso komplexer, je mehr Ausdrucksmöglichkeiten (incl. Wortschatz und gesamter Grammatik) sie überhaupt hat? Ich halte es eher mit dem letzteren.
Nun kann man sich ja trefflich darüber streiten, wie primitiv oder "komplex" die Sprachen der Jäger und Sammler waren. Aber es spielt doch überhaupt keine Rolle, wann genau die menschliche Sprache den heutigen Wortschatz und Grad an Ausdrucksmöglichkeiten erreichte. Vielleicht war es schon lange vor der Steinzeit, ganz egal! Fest steht doch, daß es irgendwann mit wenigen Tierlauten anfing, mit einer Kommunikation, die völlig zweifelsfrei viel primitiver als die heutigen Sprachen waren, richtig? Nach Wittgenstein korrelieren die Grenzen der Sprache mit denen der Welt, und die baut der Mensch in seiner Geschichte immer mehr aus. Die Sprache wird immer leistungsfähiger.
Also muß es irgendwann eine zwischenmenschliche Verständigung gegeben haben, die schon komplexer als Tierlaute, aber nur halb so komplex wie die heutige war. Jedes Zwischenstadium an Primitivität und Komplexität muß es zwangsläufig gegeben haben, wenn wir den in meinem letzten Beitrag g | |