13.02.2009


Theodor Ickler

Niedriger hängen!

Neue Erkenntnisse?

„Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.“

Neulich lobte Thomas Steinfeld ein (zumindest auf deutsch) neues Buch von Guy Deutscher über den grünen Klee: "Guy Deutscher erfindet die Sprachwissenschaft neu" (so der Titel der Rezension in der SZ vom 3.2.2009). Zugleich lobte er den deutschen Romanisten Jürgen Trabant, den allerdings kein anderer als Deutscher im September 2008 in die wohlverdiente Pfanne gehauen hatte – in derselben Süddeutschen Zeitung. Deutscher ist Semitist und hat eine wichtige Untersuchung über das Akkadische veröffentlicht, ein Buch, das wegen seiner Bedeutung für die Grammatikalisierungsforschung (besonders Entstehung der Hypotaxe) oft zitiert wird.
Deutschers neues Buch heißt "The unfolding of language" und ist 2005 in London und zugleich in den USA erschienen. Es ist ein allgemeinverständliches, auch wissenschaftlich gut fundiertes Werk, das man als Einführung in die Sprachwissenschaft jedermann empfehlen kann. Aber es enthält nichts Neues, von einer Neuerfindung der Sprachwissenschaft kann keine Rede sein. Nehmen Sie nur folgendes:
Deutscher meint, erst in den letzten Jahrzehnten sei man den Ursachen des Sprachwandels auf die Spur gekommen (61): economy, expressiveness, analogy. Das ist aber doch der eiserne Bestand der Junggrammatiker! Deutscher kennt und zitiert Pauls "Prinzipien der Sprachgeschichte". Da steht doch alles drin.

Heute lese ich in derselben Zeitung angeblich neue Erkenntnisse über die Bedeutung der Gesten und insbesondere des Zeigens beim Spracherwerb usw. Auch Susan Goldin-Meadow wird erwähnt. Nun, das ist alles seit Jahrzehnten bekannt, auch Goldin-Meadows Veröffentlichungen zum Thema haben sich seit zwanzig Jahren nur in winzigen Details verändert.
Aber manche schaffen es regelmäßig in die Medien. So auch das Leipziger MPI für vergleichende Anthropologie, dessen Veröffentlichungen ich seit langem aufmerksam verfolge, ohne irgend etwas aufregend Neues zu erkennen. Michael Tomasello schreibt gut lesbare Bücher und solide Aufsätze (wenn auch ziemlich wiederholungsreich), leider alles in traditionell mentalistischer Begrifflichkeit, was bei vergleichender Primatenforschung nachteilig wirkt. Die Öffentlichkeitsarbeit funktioniert noch besser als die Forschung.
Ganz schlimm treiben es aber die "Neurolinguisten", die uns ständig ihre bunten Bildchen – Artefakte der "bildgebenden Verfahren" – an die Wand projizieren und mit weitgehend unverstandenen sprachlichen Erscheinungen korrelieren. Skinner sprach nüchtern von "neural prestige". Na, und dann Manfred Spitzer mit seinen guten Ratschlägen, die er angeblich aus der "Hirnforschung" ableitet! Niedriger hängen geht aber auch nicht, dann bleiben die Mittel aus.


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