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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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15.07.2012
 

Ohne große Mühe
Latein reicht fürs ganze Leben

2002 hielt der Journalist Theo Sommer auf dem Kongreß des Altphilologenverbandes einen Vortrag „Latein und Griechisch – heute erst recht!“. Der Text wurde auch in der ZEIT abgedruckt; der Verbandsvorsitzende Helmut Meißner beruft sich darauf beim Kongreß zwei Jahre später (Forum Classicum 2004).

Sommer hatte, wie er berichtet, sieben Jahre Lateinunterricht. Seit seine 13jährige Tochter Katharina sich für Latein entschieden hat, frischt er seine Kenntnisse auf: „Seitdem habe ich mich wieder ein Stück weit in die Feinheiten und Schönheiten dieser Sprache vertieft, auch in ihre Vertracktheiten. Vor vierzehn Tagen habe ich zusammen mit Katharina die Gründungssage Roms übersetzt. Es hat mich mit großer Befriedigung erfüllt, dass ich den Text des Livius noch immer ohne große Mühe grammatikalisch aufzuschlüsseln und ins Deutsche zu dolmetschen wusste: ‚Tunc et eo loco, ubi Faustulus geminos invenerat, urbem novam condere constituerunt. Sed quod uterque frater regnare cupivit, Romulus et Remus in foedum certamen venerunt. Romulus autem iratus fratrem interfecit.‘

Sommer hat offenbar nicht erkannt, daß er es mit einem leichten Übungstext aus einem Schulbuch zu tun hatte. (Darin bleibt übrigens unerklärt, warum Romulus „iratus“ war.)

Bei Livius steht: Tenet fama cum fluitantem alveum, quo expositi erant pueri, tenuis in sicco aqua destituisset, lupam sitientem ex montibus qui circa sunt ad puerilem vagitum cursum flexisse; eam submissas infantibus adeo mitem praebuisse mammas ut lingua lambentem pueros magister regii pecoris invenerit—Faustulo fuisse nomen ferunt—ab eo ad stabula Larentiae uxori educandos datos. (...) Volgatior fama est ludibrio fratris Remum novos transiluisse muros; inde ab irato Romulo, cum verbis quoque increpitans adiecisset, "Sic deinde, quicumque alius transiliet moenia mea," interfectum. Ita solus potitus imperio Romulus; condita urbs conditoris nomine appellata.

Sommer, übernehmen Sie! – Soweit zur Beschäftigung mit den „Feinheiten und Schönheiten“ der lateinischen Sprache...



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Kommentare zu »Ohne große Mühe«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2024 um 04.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#53636

In meinen älteren Büchern zur Geschichte des Lateinischen hatte ich bei Erwähnung der Fibel von Praeneste noch an Rand geschrieben "vermutlich Fälschung" und mich dann nicht weiter darum gekümmert. Nun sehe ich aus dem Wikipedia-Eintrag "Fibula Praenestina", daß sie wohl doch echt ist. Allerdings steht in der englischen Wikipedia wieder einiges, das mich doch zweifeln läßt. Wie sicher ist die kristallographische Untersuchung?
Besonders lustig ist die Entdeckung, daß im vermeintlich altlateinischen "fhefhaked" ein englisches "faked" versteckt sein könnte. Daß der Text im übrigen den sprachhistorischen Erwartungen entspricht, kann für oder gegen die Echtheit eingewendet werden. Das war schon so ähnlich bei der Entzifferung von Linear B.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.05.2024 um 09.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#53289

"Die Juden hassen uns." Diese Projektion ist nicht gerade neu, vgl. Tacitus Historien V.

Tacitus ist wegen seiner manierierten Knappheit nicht leicht zu lesen, aber wenn man es mal entziffert hat, kann es auch Spaß machen. Ob wir die Germania in der Schule gelesen haben? Ich habe nicht aufgepaßt und nur beschlossen, daß ich Sallust nie wieder lesen werde. Dabei findet man doch bei Tacitus so aufschlußreiche Stellen über die Jugendlichen, von denen wir direkt abstammen: "Die Jungs haben erst spät Sex, daher ihre unverbrauchte Manneskraft. Und die Mädchen werden auch nicht beschleunigt." Das ist doch schön gesagt.

Die Germanen aßen ihr Wildbret frisch (nicht abgehangen wie die dekadenten Römer), dazu Dickmilch. Nicht schlecht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2024 um 06.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#52548

Das Lateinische „entwickelt sich“ auch als Gelehrtensprache, aber eine solche Entwicklung folgt nicht den Gesetzen der normalen sprachgeschichtlichen Entwicklung von Muttersprachen, sondern denen der Kreolisierung. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, daß jederzeit auf die Ausgangssprache und ihre Dokumente zurückgegriffen werden kann. Neben dem französischen Kreol steht immer das Französische der Franzosen usw. Latein kann stets durch Rückgriff auf die Klassiker „korrigiert“ werden und wurde es ja auch in umfassender Weise, die dem Küchenlatein den Garaus machte. Das Neuhochdeutsche dagegen wird nie durch Rückgriff auf das Althochdeutsche korrigiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2024 um 07.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#52539

Hier ist noch ein Link: https://www.pontificiaacademialatinitatis.org/rivista-latinitas/
Da kann jeder selbst sehen, ob die Lateinstiftung einem echten Bedarf entspricht.

Fast könnte man vergessen, daß Latein nicht die Sprache der Bibel ist. Besonders in amerikanischen Fundamentalistenkreisen soll ja die Meinung verbreitet sein, daß man jeden Buchstaben der Bibel ernst nehmen muß – auf englisch! Entsprechendes habe ich auch aus dem Mund von Zeugen Jehovas gehört, denen philologische Bedenken zur Textgeschichte ganz fern liegen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2024 um 07.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#52538

Haec pagina est stipula. Amplifica, si potes! (Wikipedia)
Das sieht eben doch eher wie ein Pennälerscherz aus, ebenso wie in der Zeitschrift der päpstlichen Lateinakademie solche Virtuosenstücke wie „Machbettus tragoedia Guilielmi Shakespeare libere conuersa atque in breuiorem formam redacta“. Es gibt dafür, anders als sonst bei Übersetzungen, kein Publikum – außer einigen humorvollen Genießern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.12.2023 um 05.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#52495

In einem Überblick über die Universalienforschung (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1044#51964) setzt der Verfasser ein "sic!" hinter den Singular Universale, weil er offenbar Universalie für allein richtig hält.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.08.2023 um 03.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#51657

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39191:
Götz Kubitschek berichtet, die Verfremdung des korrekten „Finis Germaniae“ (Das Ende Deutschlands) zum titelgebenden Finis Germania („Du endest, Deutschland!“ bzw. „Dein Ende, Deutschland!“) sei der ausdrückliche Wunsch des Autors gewesen („Sieferle lesen“, S. 22.). Ein kalkulierter Nebeneffekt der Titelwahl dürfte zudem die Assoziation mit Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ gewesen sein. (Volker Weiß im Jahrbuch für Antisemitismusforschung 28)

Die Auskunft über den verschrobenen Buchtitel leuchtet mir nicht recht ein.

Ob Sieferle wirklich „fließend Latein sprach“, sei dahingestellt – ich bin da grundsätzlich skeptisch. Wer spricht schon fließend Latein? Wilfried Stroh kann es, und mein verstorbener Freund Karl August Neuhausen konnte es, aber die haben sich zeitlebens damit beschäftigt. Die katholischen Priester können es entgegen einer beliebten Legende nicht. Die Abiturienten von 1900 (mit immerhin noch neun Wochenstunden Latein) konnten es bekanntlich auch nicht. Das war auch nicht das Ziel des Unterrichts.
Wenn jemand im Vatikan ein lateinisches Zitat anbringt und damit verstanden wird, macht das zweifellos Eindruck, aber ist es „fließend Latein“?

Übrigens: Die Rechten, die sich heute auf Sieferle berufen, sollten nicht vergessen, daß er in seinen besseren Tagen (als er den „Unterirdischen Wald“ beschwor) ein Grüner war. Erst später malte er die Millionen von Dschihadisten an die Wand, die angeblich nach Deutschland geholt wurden, um die von Merkel und Mitverschwörern geplante Selbstvernichtung der Deutschen zu vollenden – eine Variante des Antisemitismus, den Sieferle aber auch in seiner traditionellen Form reichlich bedient. Jan Grossarth hat diesen Weg ins Irrsinnige im Nachruf (FAZ 11.5.17) dargestellt und kommentiert; dazu der im Grunde wohlwollende, aber in der Beurteilung letzten Endes schärfere Artikel von Thomas Schmid in der Welt vom 4.8.17. Volker Weiß hat in der Jüdischen Allgemeinen (ausführlicher im Jahrbuch für Antisemitismusforschung 28) die Kontinuität im Werk Sieferles offengelegt. Wie Schmid nachweist, gehen die Grundgedanken von „Finis Germania“ auf die 90er Jahre zurück. Jedenfalls gab es einen Strang der linken (und grünen, man denke an Herbert Gruhl) Gesellschaftskritik, der für die Wendung nach rechts offen war.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2023 um 04.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#51092

Man könnte den Menschen, die sich noch ein wenig an Latein erinnern, den Rat geben, sicherheitshalber nachzuschlagen, aber andererseits: Wenn durchschnittlich Gebildete erst nachschlagen müssen, sollten sie die Fremdsprache lieber gar nicht erst gebrauchen, denn damit würden sie dem Leser die gleiche Hürde in den Weg legen, vor der sie selbst gerade versagt haben. Wozu also das Ganze? Es bleibt nur das Motiv des Imponierens, und das ist die Sünde, die nicht vergeben werden kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2023 um 04.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#51091

Musk liebt die Verwirrung. Er spielt mit provozierenden Kodizes, wobei er stets offenlässt, ob er auch meint, was er sagt. (SZ 19.5.23)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.05.2023 um 05.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#51020

Den folgenden Eintrag glaubte ich gemacht zu haben, kann ihn aber nicht finden:

In seiner bekannten, mehrfach abgedruckten Skizze der lateinischen Sprachgeschichte zeigte Franz Skutsch, wie groß gerade im Lateinischen die Kluft zwischen gesprochener und geschriebener Sprache wurde.

„Unter der Eisdecke der Literatur verschwindet jetzt [sc. von den Zeitgenossen des Plautus an] der kräftige Strom lebendiger Sprache und wird uns nur von Zeit zu Zeit durch eine zufällige Lücke wieder einmal flüchtig sichtbar.“

Dazu eine Beobachtung von Henri Irénée Marrou:

„Die ganze lateinische Literatur, die sich im Rahmen dieser hellenistischen Kultur entfaltet, ist, wie wir sagen möchten, von einem ‚Bildungskomplex‘ belastet. Soll ich daran erinnern, daß man bei Vergil nicht ein einziges Mal das Wort panis findet? Brot heißt bei ihm immer Ceres. Jeden Augenblick verschwindet der eigentliche Ausdruck unter einer Anspielung.“ (Henri Irénée Marrou: Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum. München 1977: 516f.)

Marrou sieht darin den „Weg in die Gelehrsamkeit“ vorgezeichnet. Die Lehrer entschlüsseln all den Wust und häufen damit immer mehr Wissen an, das sich selbst genügt. Die hellenistische Schule war von großem Einfluß auf das ganze abendländische Schulwesen. (Marrou wirft gelegentlich einen Blick auf die französische Schule; das ist natürlich nun auch schon wieder 80 Jahre her.)

Natürlich ist der große Marrou weit davon entfernt, irgendeine Epoche zu verurteilen – er hat ja auch ein Buch über die geschichtliche Erkenntnis geschrieben.

Weil ich gerade beim Lateinischen bin: Bei Seneca lese ich, wie er es mit fremdem geistigen Eigentum hält:

De alieno liberalis sum. Quare autem alienum dixi? quidquid bene dictum est ab ullo meum est.

„Mit fremdem Gut bin ich großzügig. Aber warum habe ich von fremd gesprochen? Was immer jemand gut formuliert hat, gehört mir.“ (Epist. mor. XVI)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.12.2022 um 17.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#50077

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#37255

Johannes Gross zitiert es (4.6.93) in der gleichen Verkürzung als caprax imperii nisi imperasset, also wahrscheinlich nach Golo Mann, und der Fehler ist sicher nur ein Druckfehler, läßt aber darauf schließen, daß der Korrekturleser, wie so oft, die lateinischen Zitate einfach übersprungen hat; das Buch ist nämlich ansonsten druckfehlerfrei, wie auch die anderen Bände des Notizbuchs.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.12.2022 um 15.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#50063

In seinem „Notizbuch“ zitiert Johannes Gross unter dem 13.9.1992: omnia fui et nihil expedo. Offenbar hat ihn niemand auf den Fehler aufmerksam gemacht, denn in einem Beitrag für die WELT vom 2.1.1999 legt er dem ungenannt bleibenden römischen Kaiser dasselbe Wort in den Mund.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2022 um 08.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#50017

In einigen Wörterbüchern, auch im Georges, wird musculus marinus so erklärt:

"musculus marinus, eine große Walfischart, der Bartenwalfisch, Plin. 11, 165: bl. musculus, Plin. 9, 186"

Bei Plinius steht aber:

"musculus marinus qui ballaenam antecedit nullos [sc. dentes] habet"

Ich weiß nicht, ob man diesen zahnlosen Begleiter der Wale identifiziert hat.

An sich wäre es nicht unmöglich, daß sogar die riesigen Meeressäuger als "Seemäuschen" bezeichnet wurden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.10.2022 um 04.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#49719

„Psychologia rationalis quaenam dicatur“ (Christian Wolff) – Wikipedia gibt es wieder als „Psychologia rationalis quam dicatur“ und übersetzt „Was man als Rationale Psychologie bezeichnet“. Andere schreiben es ab. (https://dewiki.de/Lexikon/Rationale_Psychologie)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2022 um 14.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#49172

Im hier (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1503#41896) angeführten Text ist nicht nur das Griechische verunstaltet, sondern zwei Seiten vorher auch das Lateinische: Ne sutor ultra erepidam. So etwas passiert oft beim Scannen, aber das ist hier nicht der Fall.

Lustig ist der Satz: Behaviorismus mit der Betonung auf der letzten Silbe... (Original: Behaviorism, with an accent on the last syllable...)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.05.2022 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#49143

Die humanistisch gebildete Dorothy Sayers zitiert besnders im Universitäts-Krimi "Gaudy Night" einiges auf latein. So fast wörtlich aus den Statuten der Universität Oxford: statutum est quod Juniories Senioribus debitam et congruam reverentiam tum in privato tum in publico exhibeant.
Sie übersetzt es nicht, aber natürlich findet man im Internet Hilfe: "Translations of Latin in Dorothy Sayers’ Gaudy Night" (https://owlcation.com/humanities/latin-dorothy-sayers-gaudy-night)

Man kann sich aber denken, daß ein Englischsprachiger wenig Mühe hat, den schlichten Satz auf Anhieb zu verstehen, im Gegensatz zu Deutschen. Schönes Beispiel für die verschiedenen Sprachgeschichten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.05.2022 um 16.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#49090

Woher der Drang zum Lateinischen? Es ist eine Bildungshuberei, mit der man sich doppelt bloßstellt, wenn man die Sprache nicht beherrscht (universale wäre richtig – aber wozu das Ganze?).
Ich würde mich schämen, Ausdrücke zu gebrauchen, bei denen ein so gebildeter Mensch wie Sie, lieber Herr Riemer, nachfragen muß. In diesem Falle handelt es sich noch dazu um eine intellektuell so anspruchslose Website wie "Tichys Einblick".

Um auf ein früheres Beispiel aus dem Griechischen zurückzukommen: In einem Text über Platon kann man schon mal vom "deuteros plous" sprechen, weil jeder Platonleser das im kleinen Finger hat. Aber dasselbe – wie Hartmut von Hentig – in einem bescheidenen Text zur deutschen Orthographie zu tun, ist eine Geschmacksverirrung und Angeberei vom Feinsten.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.05.2022 um 15.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#49089

Muß man Fremdwörter in einem deutschen Text unbedingt so deklinieren wie in der Ursprungssprache? Gibt es genaue Entsprechungen im Kasussystem? Nicht immer regiert eine bedeutungsgleiche Präposition in verschiedenen Sprachen den gleichen Fall.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.05.2022 um 14.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#49088

Erstaunlich, daß man jetzt sogar Lenin und dem föderativen Sowjetsystem positive Seiten abgewinnen kann.
Ist "Regnum universalis" sprachlich falsch?
(Bin leider Anfänger in Latein.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.05.2022 um 03.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#49087

Putins Lenin-Hass und der Traum vom Regnum universalis (Tichys Einblick 1.2.16, ebenso im Text)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2022 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#48847

the anni mirabili (Frederick Crews: Follies of the wise. Emeryville 2006:239)

Das sollte aber niemanden von der Lektüre dieses ausgezeichneten Buchs abhalten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2022 um 06.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#48611

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#40077

Natürlich haben sich auch Latinisten über Rowlings Vorliebe für Latein und besonders Catull hergemacht. Es gibt mehrere Websites dazu, z. B. von Beatrice Groves.

Bisher anscheinend nicht bemerkt: In „Lethal white“ findet sich ein „handschriftlich“ wiedergegebenes Zitat von Catulls bekanntestem Vers „Odi et amo“. Bei der Umsetzung ist offenbar ein Lese- oder Scanfehler unterlaufen: fleri sentio (statt fieri). So etwas bemerken Lektoren heutzutage nicht. Es würde einen geradezu wundern, wenn ein fremdsprachiges Zitat von mehr als einer Zeile Umfang irgendwo korrekt wiedergegeben wäre.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.10.2021 um 10.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#47327

Christopher Hitchens zitiert Lukrez zweimal als „De Rerum Naturum“, aber in der Kapitelüberschrift korrekt. Goggle liefert viele weitere Belege der vermeintlichen Kongruenz.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.10.2021 um 05.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#47265

Den Masochisten genügt die "Domina" nicht, es muß eine "Dominatrix" sein (die sie sich gern in Leder verschnürt vorstellen wie eine Sklavin...).

dominatrix, noun
plural dominatrices
„a woman who has power or control over her partner in a sexual relationship“
(Cambridge Dictonary)

Latein lebt!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.09.2021 um 04.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#47175

In der Geschichte der Rhetorik (z. B. Strohs „Macht der Rede“) wird immer wieder mal erwähnt, daß Aussagen von Sklaven nur dann etwas galten, wenn sie unter der Folter bestätigt wurden. Dieser Brauch blieb trotz seiner offenkundigen Absurdität jahrhundertelang in Kraft, vielleicht auch wegen der prickelnden „Psychopathia sexualis“. Zu den Einzelheiten vgl.

https://www.projekt-gutenberg.org/helbing/tortur1/chap004.html

(wo Krafft-Ebing ausdrücklich erwähnt ist)

Die Allgegenwart dieser Praktiken muß die Menschen geprägt haben; heute wird davon wenig gesprochen. Es paßt nicht zum Bild edler Einfalt und stiller Größe. Nicht erst die schauderhaften „Entartungen“ der Kaiserzeit trüben es ein. (Das ist alles längst bekannt, und doch geht es, wenn überhaupt erwähnt, in Gemeinplätzen über die dunkle Seite der menschlichen Natur unter, wie überhaupt die Sklaverei. Die Marxisten wiederum sehen nur die ökonomische Seite.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2021 um 15.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#46709

„Die deutschen Altphilologen haben die Pläne für mehr Lateinunterricht an den staatlichen Schulen in Großbritannien begrüßt. Latein als die historisch gemeinsame Sprache Europas sowie weiter Teile Afrikas und Asiens biete großes integratives Potenzial, sagte der Vorsitzende des Altphilologenverbandes, Freund, der Deutschen Presse-Agentur. Dadurch ergäben sich etwa Ansätze zu trans- und interkultureller Bildung in einem vom Zusammenleben zahlreicher Ethnien, Sprachen und Religionen geprägten Europa.“ (DLF)

Hauptsächlich handelt es sich bei Trans und Inter ja um Migranten aus der muslimischen Welt, und die werden sich über vermehrte Lateinkenntnisse der Westeuropäer freuen. Dann flutscht es mit der Integration nur so.

Liebe Kollegen, seid ihr noch bei Trost?

(Vor Jahren war mal zu lesen, Latein sei für türkische Kinder an deutschen Schulen ein sehr positives Erlebnis, weil es biodeutschen Schülern ebenso schwer falle wie ihnen. Das war bei weitem die originellste Begründung, die ich je gehört habe.)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.08.2021 um 14.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#46707

Warum sollte man Latein lernen? Damit man sich mit Lateinamerikanern (Latinos) unterhalten kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2021 um 06.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#46704

Boris Johnson will den Lateinunterricht fördern. Die SZ sieht es kritisch, meint aber:
„Wer sich durchs große Latinum gepaukt hat, ist im Vorteil mit Fremdwörtern und neuen Sprachen.“
Nett ausgedacht, und wir Humanisten stimmen nur zu gern zu. Aber ist es bewiesen? Und wäre es der Mühe wert? Quaeritur. Ich erwähne gern meine beiden jüngeren Töchter: beide in Sprachberufen tätig und so sprachgewandt wie nur möglich, aber ohne ein Wort Latein, stattdessen fließend Englisch, das man nicht nur zum Verständnis von Fremdwörtern, sondern auch anderweitig sehr gut gebrauchen kann.
Johnson: „Ich habe fast nichts anderes gelernt als Latein und Griechisch. Und jetzt regiere ich das Land. Es ist also eine perfekte Ausbildung.“
Wo hat er solche Trugschlüsse gelernt? Bei Platon oder erst bei Cicero?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2021 um 11.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#46441

„Wie mächtig die Tradition des Griechischen, der klassischen europäischen Philosophiesprache, ist, lässt sich ebenfalls durch einen Blick ins Lexikon belegen. Unübersehbar, wie viele und wie viele aktuelle Begriffe durch Zusammensetzung mit auto- gebildet werden: z. B. Autobiographie, Autodidakt, Autogramm, Autokrat, Autolyse, Automat, Automobil, Autonomie, Autopilot, Autopsie, Autor, Autosuggestion, Autozoom.“ (Dietrich Krusche: „Die Bezugnahme auf mich selbst und die Selbstregulierung organischer Einheiten. Zu einer Schnittstelle zweier Beschreibungssprachen.“ IZPP. 10. Ausgabe 1/2014. )

Kann passieren. (Autor < lat. auctor. Der Verfasser ist Altphilologe und war Griechischlehrer.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2021 um 05.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#46417

Anja Wolkenhauer: „In die Semmel biss der Kater. Zur Kulturgeschichte des lateinischen Merkverses.“ (IANUS 35/2014)

Lesenswert, aber die Verfasserin glaubt 2014 noch an die „Sieben-plus/minus-eins“-Gedächtnisregel von George A. Miller und übernimmt auch die Unterscheidung von deklarativem und prozeduralem Gedächtnis. In der Didaktik werden solche windigen Konzepte lange Zeit kritiklos weitergetragen. So beurteilt Wolkenhauer auch den Merkvers über die Multiplikativa als sinnlos, weil er weniger als sieben „Chunks“ betreffe und daher der Lernaufwand für den Merkvers größer sei als für das zu Merkende. Dabei geht einiges unter, was für Merkverse spricht.
Auch Hartmut von Hentig, dessen Verurteilung der altsprachlichen Merkverse (in „Platonisches Lehren“) sie zitiert, geht nichtempirisch vor. Ob solche Verse helfen, kann man nur durch Versuche feststellen, nicht durch grundsätzliche Überlegungen.
Nicht erwähnt ist Eduard Bornemann, früherer Vorsitzender des Altphilologenverbandes und nach Berichten seiner Schüler ein faszinierender Lehrer und großer Erfinder von Merkversen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.04.2021 um 11.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#45547

Der Romanist Gerd Wotjak zierte seine "Sem-Analysen" gern mit einem Harry-Potter-Latein:

Nihil est in communicatio, quod non erat in significatum (significationem) (1985)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.12.2020 um 08.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44913

Waschbären gibt es in unserer Gegend noch nicht, aber im übrigen Deutschland sind sie ein "animalis non gratum", meint die Süddeutsche Zeitung vom 24.12.20.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.11.2020 um 17.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44697

Letzteres. Ich hatte mich etwas flüchtig ausgedrückt. Biden wird nicht selbst Augur, sondern ein solcher steht wahrscheinlich daneben.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.11.2020 um 17.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44696

Ich habe im Netz bisher nicht klar herausfinden können, ob im alten Rom bei der Inauguration ein Augur selbst in sein Amt eingeführt wurde oder ob die Inauguration die Amtseinführung eines Priesters war, zu der ein mit zurategezogener Augur lediglich die Augurien einholte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.11.2020 um 16.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44693

Wenn demnächst ein US-Präsident inauguriert wird, wollen wir kurz daran denken, daß es sich um die Einsetzung eines neuen Vogelschau-Priesters – eines Auguren – handelt. Die Schicksal der Wörter sind schon abenteuerlich, ebenso die der dazugehörigen Riten usw. Die katholische Kirche pflegt Bräuche aus dem römischen Kaiserkult und sogar dem etruskischen Priestertum. Nichts verschwindet, nichts ist wirklich neu.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.09.2020 um 18.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44293

Herrn Pastor sin Kau nicht zu vergessen...

Ja, das ist so, der Lautwandel ist immer räumlich und zeitlich begrenzt, weshalb man ja auch von der althochdeutschen Lautverschiebung oder der frühneuhochdeutschen Monophthongierung usw. spricht. Aber warum soll man deshalb nicht von Gesetzen sprechen? Für die gilt doch das gleiche. Die Naturwissenschaft hat vielleicht andere Gesetze, aber dann wäre die Metapher erst recht fragwürdig.

Im Grund die Diskussion des 19. Jahrhunderts über die "Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze".

Der Kreislauf der Sprachtypen gehört auch hierher und beruht auf universellen, sehr allgemeinen "Gesetzen" (Entstehung von Affixen aus Wörtern, Abschleifen der Affixe usw.).

Ich hatte schon mal auf die paradoxe Grundannahme hingewiesen: Einerseits sind wir maulfaul und lassen die schönen Formen verkümmern, andererseits sind wir geschwätzig und schwelgen in Redundanz (zur Ausdrucksverstärkung, aber mit gegenteiligem Effekt...). Beides stimmt, aber wann das eine oder das andere überwiegt, ist nicht vorhersehbar.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.09.2020 um 18.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44292

Im Gegenteil? Eine frühere Monophtongierung „uo -> u“ muß einer späteren Diphtongierung „u -> au“ nicht im Wege stehen. Ich hatte über die nächsten 500 Jahre (oder so) spekuliert.

Vielleicht wird ja wenigstens noch Kuh zu Kau[h], wie man auf englisch schon sagt. Oder ist die Gültigkeit des Gesetzes abgelaufen? Ist das Wort „Gesetz“ für einen Sprachwandel, der nur räumlich und zeitlich begrenzt und unter unklaren Bedingungen auftritt, nicht zu hoch gegriffen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.09.2020 um 15.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44291

Wollte ich auch gerade sagen. Außerdem sind Diphthongierung usw. regional beschränkt geblieben, und Lautgesetze wirken immer nur zu bestimmten Zeiten. Die Ursachen sind fast immer unbekannt.

Aber die Frage der Voraussagbarkeit ist schon interessant. Zur Zeit stellt man es so dar, als ob Sprachveränderung universell auf gewissen "Pfaden" verlauft, und zwar irreversibel. Das ist der Sache nach nichts Neues, auch wenn einige Junggermanisten viel Aufhebens davon machen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 07.09.2020 um 15.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44290

gut könnte man im Gegenteil als ein Beispiel für Monophthongisierung anführen (mhd. guot).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.09.2020 um 12.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44289

Zu Sprachwandel und Lautgesetzen führt Wikipedia das Beispiel der Diphtongierung an: aus Hus, Mus, blu u. a. wurden Haus, Maus, blau usw.
Was ist aber das Gesetzmäßige daran? Wenn es ein Gesetz wäre, müßte man dann nicht voraussagen können, daß du, gut, Stube in 500 Jahren oder so zu dau, gaut, Staube geworden sein werden? Ich nehme aber an, solche Voraussagen sind nicht möglich.

Angeblich ist der Dativ dem Genitiv sein Tod. Kann man bestimmt sagen, daß der Genitiv tatsächlich immer seltener wird oder sogar, wie im Englischen, daß unser Kasussystem künftig immer ärmer wird? Wohl kaum, jedenfalls weiß niemand, wann sich dieser Trend auch mal wieder umkehrt. Aber wie ist dann die Rede von Gesetzen in der Sprachentwicklung überhaupt gerechtfertigt?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.09.2020 um 10.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44280

Läßt sich Sprachwandel in bestimmten Grenzen, z. B. anhand von Lautgesetzen, auch vorhersagen? Oder sind Lautverschiebungen immer nur rückblickend beschreib- und erklärbar? Gibt es andere Gesetze, die für solche Voraussagen geeignet sind?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2020 um 05.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#44275

Latein und Sanskrit sind Beispiele voll funktionsfähiger Sprachen, die auch im Alltag gesprochen werden können, also keine reinen Literatur- oder Ritualsprachen sind. Beide sind aber keine Muttersprachen und unterliegen daher zwar der Veränderung, aber nicht dem Sprachwandel im Sinne der Sprachgeschichte, mit Lautgesetzen usw. Ihre Veränderung besteht hauptsächlich aus Anreicherung des Wortschatzes. Im Sanskrit nahm eine Zeitlang der Nominalstil (durch endlose Komposita und Verringerung des Gebrauchs finiter Verben) zu, aber ohne Strukturwandel. Sanskrit war nie Alltagssprache, wenn auch zunächst nahe dran. Alltagslatein ist uns nicht so gut bekannt wie die literarische Standardsprache, die alsbald fixiert wurde und damit "tot". Man lernt also die Sprache Ciceros und nicht Italienisch oder Französisch, wie es regulär sein müßte.
"Harrius Potter" ist natürlich stilistisch weit von Cicero entfernt, aber die Rezensenten bezweifeln nicht, daß die Übersetzung grammatisch an Cicero bzw. dem Latein dieser "klassischen" Zeit gemessen werden muß.
Ich kenne Texte in "modernem Sanskrit", habe sogar einmal einen übersetzt. Die Grammatik ist immer noch die Paninis, der Stil kann sich mehr Kalidasa annähern (wie in meinem Fall, einem epischen Gedicht über eine Deutschlandreise) oder der Fachprosa – künstlich bleibt es in jedem Fall. Der entscheidende Schritt wäre der zur Muttersprache, also Erstsprache, wie beim wiederbelebten Hebräisch. Freilich – wozu? Es liegt ja niemandem daran, die neuindischen oder die romanischen Sprachen sich noch einmal entwickeln zu sehen und damit den Vorteil einer Welthilfssprache aufzugeben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2020 um 05.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43715

Wenn heute jemand etwas auf lateinisch veröffentlicht, wird er zwar dafür gelobt, aber der Rezensent läßt niemals die Gelegenheit aus, seine eigenen Lateinkenntnisse als denn doch noch etwas feiner durchblicken zu lassen. Das geht von "Harrius Potter" bis zur Abdankung Papst Benedikts XVI. Ich habe mich darüber mit dem leider verstorbenen Neulateiner Karl August Neuhausen unterhalten, wenn wir uns jährlich auf Juist trafen.
Man hat ja gesagt, daß das Insistieren auf allerreinstem Cicero-Latein nicht wenig zum Tod der toten Sprache beigetragen hat.

"The style of Harrius [Potter] is straightforward and neat without being overly repetitive or simply macaronic. In this regard, it cleaves closely to the original and is neither classical nor medieval and has no clearly identifiable periodic tinge. Still, it manages to feel like Latin, and this is the book’s most important achievement."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2020 um 05.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43714

„Man sollte erwarten, daß, wenn die Schüler unserer Gymnasien (´der lateinischen Schulen´) das Lateinische 7-8 Jahre lang in wöchentlich 8-10 Stunden getrieben haben und zwar so, daß die grammatische Seite beim Unterricht die vorzugsweise betonte ist, die nach Prima versetzten Sekundaner ihre Grammatik (...) wie ein Vaterunser am Schnürchen hätten, und daß in Prima für die Grammatik nichts Bedeutendes mehr zu geschehen brauchte. Dass die Sache aber nicht so günstig steht, dass im Gegenteil das grammatische Wissen der angehenden Primaner fast durchgängig ein wenig befriedigendes ist und durchaus nicht der ungeheuren Kraft und Anstrengung entspricht, die von Lehrern und Schülern auf diesen Gegenstand eine lange Reihe von Jahren verwandt wird, muß jeder unbefangene Lehrer, der über diesen Punkt aus eigener Praxis ein Urteil hat, sofort zugestehen.“ (Hermann Menge: Vorwort zur ersten Auflage des Repetitoriums der lateinischen Syntax und Stilistik 1873)

Diese Ernüchterung findet man so ähnlich bei allen Altphilologen jener Zeit, die angeblich die große Zeit der humanistischen Bildung war.

Auch interessant:

"No accuracy of reading small portions of Latin will ever be so effective as extensive reading; and to make extensive reading possible to the many, the style ought to be very easy and the matter attractive.” (Francis William Newman, Vorwort zu seiner lateinischen Robinson-Übersetzung 1884)

Darauf bin ich anläßlich von "Harrius Potter" gestoßen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.04.2020 um 04.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43414

Ein Mensch kann sich allenfalls als „Dres.“ bezeichnen, wenn er unter Persönlichkeitsspaltung in mehrere promovierte Teilpersonen leidet.
(Volker Rieble, FAZ 24.7.09)

Dres. (Doctores): Plural (s. o.) zu Doctor. Der Plural bezieht sich jedoch nur auf mehrere (mindestens zwei) unterschiedliche Personen, d. h. die Promovierten, nicht auf den Doktorgrad an sich. Häufig – auch im universitären Umfeld – wird der Plural Doctores fälschlich für zumeist zwei Doktorgrade angewandt. (Wikipedia)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2020 um 06.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43345

Fachleute gebrauchen Virus immer noch als Kontinuum wie Gift, aber im allgemeinen Sprachgebrauch wird damit die einzelne Viruspartikel bezeichnet. Oder sollte ich das Partikel sagen? In meiner Brust wohnen mindestens zwei Seelen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2020 um 11.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43073

Ja, heute auch wieder in der FAZ. Ich war wohl zu optimistisch.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.03.2020 um 11.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43072

"Es handelt sich nicht um einen Virus, der in der Luft schwebt, sondern der sich über den Kontakt verbreitet", sagte Gesundheitsminister Olivier Veran.
(MM, 3.3.20, S. 3)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.03.2020 um 10.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43071

In grob geschätzt 80% der Fälle versteckt sich das Genus (mask. oder neutral) hinter dem Genitiv oder Dativ, des oder dem Virus. In den wenigen Fällen, wo Nominativ oder Akkusativ zum Zuge kommen, überwiegt aber sehr stark das Neutrum.

Hier noch ein doppelter Minderheitenfund (also sicher kein Versehen oder Druckfehler) aus einem Artikel des heutigen Mannheimer Morgen, 3.3.20, Seite 1:

Das ist kein lungenzerfressender Killervirus wie in apokalyptischen Hollywood-Filmen. [...] Weil er davon überzeugt ist, dass der Virus "vielleicht sogar auf so kleiner Flamme" gehalten werden könne, "dass wir das kaum noch bemerken im Alltag".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.03.2020 um 04.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43056

Sie haben recht, ich habe inzwischen auch noch eine Reihe maskuline Verwendungen gelesen und gehört. Meine Bemerkung war also voreilig, es geht allenfalls um eine gewisse Tendenz. In Ihrem Beispiel sieht man richtig den Rückfall in die alte Gewohnheit.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.02.2020 um 23.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43055

Zu #43003:

Das Coronavirus ist eine solche Quelle der Unsicherheit: Weder ist heute auch nur vage absehbar, wie lange und wie schwer er noch wüten wird; noch sind die wirtschaftlichen Schäden einigermaßen präzise absehbar.

(FAZ, 29.2.20, S. 1, Hervorhebung von mir)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2020 um 08.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43025

Credat Iudaeus Apella!

Dazu Georges (Handwörterbuch):

Apella, ae, m., Name röm. Freigelassenen (s. Cic. ep. 7, 25, 2 u. ö.), u. da die in Rom jenseit des Tibers wohnenden Juden meist Freigelassene waren u. als abergläubisch u. leichtgläubig galten, dah. appellat.: credat Iudaeus Apella! = das glaube der Jude Itzig! (= der abergl. od. leichtgl. Jude von jenseit des Tibers), Hor. sat. 1, 5, 100.

Itzig? Das geht gar nicht. Also Vorsicht mit Horaz im Lateinunterricht!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2020 um 04.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#43003

Das Gute an der Corona-Seuche ist, daß das neutrale Genus von Virus nun nicht mehr in Frage steht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2020 um 04.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#42963

Paul Deussen schreibt in seiner Autobiographie:

"Am 28. Juli 1871 wurde ich zum mündlichen Examen zitiert. Sehr zum Vorteile gereichte es mir, daß das ganze Examen in lateinischer Sprache abgehalten wurde, in welcher es soviel leichter ist, den Mangel an positiven Kenntnissen durch einen Schwall eleganter Worte zu verbergen."

Das dürfte weniger an der Sprache als an den (rhetorischen) Vorbildern des lateinischen Schulunterrichts gelegen haben.

Deussen war in Latein und Griechisch noch besser als sein Freund Nietzsche. Abgesehen von der Schilderung dieser schwierigen Beziehung gibt Deussen auch einen lesenswerten Einblick in Lehrplan und Tagesablauf von Schulpforta. Steht auch im Netz: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Deussen,+Paul/Mein+Leben
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.01.2020 um 09.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#42753

Im Wissenschaftsteil der FAS führt Ulf von Rauchhaupt (eigentlich Physiker, aber vom humanistischen Gymnasium) auf einer Doppelseite in die Graffiti von Pompeji ein, besonders die unanständigen, mit schönen Abbildungen aus zwei neueren Werken. Was man das Urgraffito nennen könnte, ist leider nur in der fragmentierten Fassung CIL IV 2487 angeführt und abgebildet, nicht in dieser „normalisierten“:

Admiror, paries, te non cecidisse ruinis,
qui tot scriptorum taedia sustineas.

Aber ich will hier nicht wildern, Stefan Stirnemann, der schon unzähligemal davorgestanden hat, versteht mehr davon.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2019 um 08.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#42679

Eckhard Nordhofen in der FAZ vom 31.12.19 über Goethe, Schopenhauer und den göttlichen Arschtritt (als Gottesbeweis). Er zitiert auch Schopenhauers „Obit anus, abit onus“: „Dass die lateinische Vokabel „anus“ nicht nur die Bezeichnung für ein altes Weib war, lässt tief blicken. Sie bleibe in unseren wortgeruchsempfindlichen Zeiten wohl besser unübersetzt.“

In unseren harthörigen Zeiten muß man sich auch darüber hinwegsetzen, daß die beiden Wörter keineswegs gleich lauten, außerdem verschieden dekliniert werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.10.2019 um 03.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#42188

Quis tacet, consentire videtur. (Gerhard Augst: Der Bildungswortschatz. Hildesheim/Zürich/New York 2019:205)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2019 um 11.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#41937

Trump non grata (t-online.de 7.8.19)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2019 um 09.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#41690

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=791#15209

Von der Homepage der "Gesellschaft für Interkuturelle Germanistik" ist der sonderbare "lateinische" Satz zwar verschwunden, aber Hess-Lüttich hat ihn auch Jahre später noch so zitiert: Zs. f. Interkulturelle Germanistik 8, 2017, H. 2:120.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.01.2019 um 04.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#40619

Finis Germania vielleicht nach Ulfkottes Pax Europa? Alles im Kopp-Verlag.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.01.2019 um 17.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#40616

Eine tote Sprache soll eine solche sein, in der es keine Muttersprachler mehr gibt. Als Beispiele werden Latein und Sumerisch angeführt. Sumerisch ist ausgestorben, aber Latein? Es hat sich nahtlos in die romanischen Sprachen entwickelt und dabei nie aufgehört, Muttersprache zu sein. Latein ist so tot wie das Kind, das ich mal war.
Althochdeutsch wäre vergleichbar. Es ist dem heutigen Deutschen ungefähr so fremd wie Latein dem Italiener (man versteht ab und zu ein bißchen). Aber auch Mittelhochdeutsch, Frühneuhochdeutsch, Goethedeutsch ist nicht die Muttersprache heutiger Menschen. Man sieht, wohin die Reise geht. Das Schriftdeutsch, das ich hier schreibe, ist auch nicht die Muttersprache unserer Kinder, sondern eine Schulsprache, die später erlernt wird.
Latein starb, als die Sprecher versuchten, eine ältere Form festzuhalten, und zwar in Schriftform, während sich die gesprochene Sprache weiterentwickelte. Ebenso Sanskrit, nur daß dort die Schrift keine so große Rolle spielte und man die Hochsprache anders definieren muß.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.11.2018 um 07.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#40171

Mit dem Rückgang des Lateinischen könnte es zusammenhängen, daß heute doch überwiegend von Mythos, Platon usw. die Rede ist und nicht mehr von Mythus (vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1512#35673, Schluß) und Plato wie früher, als die Gebildeten fast alle durchs humanistische Gymnasium gegangen waren. Das ist ein bißchen paradox, weil Griechischkenntnisse ja noch viel stärker zurückgegangen sind. Vielleicht hat auch die politische Korrektheit mitgespielt, die uns auch vor Konfuzius, Mencius, Avicenna zögern läßt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2018 um 08.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#40077

J. K. Rowling hat nicht nur mehr als irgend jemand zur Leseförderung und zum Englischlernen beigetragen, sondern vielleicht auch ein gewisses Interesse am Lateinischen geweckt. Das "Latein" im Harry Potter ist ja ein Spaß für die Kundigen, aber in den Strike-Romanen wird es richtig ernst. Nichts Entlegenes, nur einer der bekanntesten Verse von Catull, aber immerhin, vgl. vorläufig

http://www.hogwartsprofessor.com/lethal-white-what-we-can-expect/

http://www.mugglenet.com/2018/08/odi-et-amo-rowling-strike-and-roman-poetry/

Immerhin sinnvoll eingebaut und keine riskante Bildungsprotzerei.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.11.2018 um 07.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#40056

Heute ist der voraussehbare Leserbrief erschienen, der den Singular anpaßt. Über die unrömischen fractiones ("Brechungen"?) sagt er nichts, aber dazu wird sich wohl auch noch jemand äußern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.11.2018 um 08.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39980

Quo usque tandem abutere, fractiones Germaniae, patientia nostra? Wie lange wollt ihr noch unsere, der Wähler, Geduld strapazieren? – so möchte man den Fraktionen im Bundestag zurufen. (Leserbrief FAZ 1.11.18)

Warum machen die Leute so etwas? (Und warum druckt die Zeitung es ab?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.10.2018 um 10.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39970

Creatori serviunt omnia subjecta,
sub mensure [sic], numero, pondere perfecta.
Ad invisibilia per haec intellecta
sursum trahit hominem ratio directa.

(The Creator orders all matters
by measure, number, just weight
Through this intellect, under right reason
He raises Man to the Invisible Realm)

(Norman Levitt in Paul R. Gross/Norman Levitt/Martin W. Lewis (Hg): The flight from science and reason. New York 1996:41)

-
Na ja, gibt auch Sinn.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.08.2018 um 05.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39263

pro bonum, contra malum (Wolfgang Streeck in FAZ 4.8.18)

(Streeck will damit die angeblich vom "Biederkeitszwang" beherrschte deutsche Poitik kennzeichnen.)
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 27.07.2018 um 10.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39191

Zum Titel hat sich Verleger Kubitschek in einem Interview geäußert, siehe hier ab 23:22 (oder 24:15): https://www.youtube.com/watch?v=KdKC72rS6ng#t=23m22s
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.07.2018 um 04.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39187

Noch einmal zu Sieferles Buchtitel "Finis Germania". Manche haben versucht, es anderes und korrekt zu konstruieren, aber der Sinn ("Das Ziel ist Deutschland") bleibt fragwürdig. Vielleicht doch ein Fehler des Nachlaßverwalters (Kolb).

Sieferle sprach fließend Latein: Einmal habe er, erinnert sich ein anderer Freund, in Rom mit einem Priester auf Lateinisch über sakrale Kunst parliert. (Thomas Schmid)

Wie dem auch sei, es bleibt zu fragen, warum ein durch und durch deutsches Buch mit einem lateinischen Titel versehen werden muß. (Anderswo habe ich diesen Sprachwechsel mal mit Fraktur als Zierschrift verglichen.) Spricht aus mir der verachtete "Sozialdemokratismus", wenn ich es elitär finde? Der Titel paßt ja auch gar nicht zum klaren Stil des Buchs.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2018 um 08.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39055

The reader should be warned that even in some current standard works there is considerable confusion between syllabic quantity and vowel length—a confusion for which the Greek grammarians are ultimately responsible. In India, many centuries B.C., grammarians and phoneticians had realized the nature of this distinction and had reserved the terms "long" and "short" for vowels, and "heavy" and "light" for syllables. But the Greeks, who were comparatively poor linguists, failed to observe such a distinction, applying the terms "long" and "short" to both vowels and syllables, and so came to assume that only a syllable containing a long vowel could be "naturally" (φύσει) long (i.e. heavy); since, however, some syllables containing short vowels were also heavy ("long" in Greek terminology), they were considered as being long only "θέσει", which could mean either "by convention" or "by reason of position" (i.e. of vowel before consonant group). This terminology is translated into Latin by naturā (φύσει) and positu or positione (θέσει). Subsequently, in the Middle Ages or perhaps earlier, the confusion became worse confounded by assuming that instead of syllables being "long by position", the short vowel actually became "long by position"; and this nonsensical doctrine persisted through the Renaissance even up to the present day. The need for employing an unambiguous terminology, which clearly distinguishes syllabic quantity from vowel length, cannot be too strongly emphasized.
(W. Sidney Allen: Vox Latina. Cambridge 1970:91f.)
 
 

Kommentar von A.B., verfaßt am 10.07.2018 um 18.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39050

Quid an sich ist kurz. In quid faciat ist die erste Silbe nur positionslang, insofern kommen mir Ihre Zweifel bezüglich der Vokallänge berechtigt vor.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2018 um 15.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39047

Oft wird die Positionslänge etwa im Lateinischen so dargestellt, als sei der Vokal lang, also etwa:

Quîd faciât laetas segetes...

(Werner Eisenhut: Die lateinische Sprache. München 1962:25 – weitere Quantitätsbezeichnungen weggelassen)

Aber lang ist doch die Silbe, nicht der Vokal. Vokal und tautosyllabischer Konsonant nehmen je eine More in Anspruch.

Wenn ich das falsch sehen sollte, lasse ich mich gern belehren. Jedenfalls kommt mir die Aussprache quîd verkehrt vor. In italienisch sorella sprechen wir das e ja auch nicht länger.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2018 um 08.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#39008

Auf einer ganzen Seite der FAZ versucht ein Latinist zu zeigen, wie modern Horaz ist und wie er junge Menschen von heute anspricht. Dankenswerterweise ist der Horaz-Ode (3.9) die Übersetzung beigegeben, weil ja unter hunderttausend kaum einer das Original annähernd so lesen kann, wie man etwa Shakespeare liest (um mal einen immer noch verständlichen, wenn auch für Kommentare empfänglichen Autor zu nennen).

Auf die weitere Argumentation gehe ich nicht noch einmal ein. Einsichten Herodots oder des Thukydides sind sicherlich nicht nur in der Orginalsprache zugänglich. Usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2018 um 16.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#38152

„Zwar ist der Begriff Aspekt (russ. vid, frz. ‘aspect’, dt. ‘Ansicht’, ‘Sicht’) als grammatischer Terminus keine slawische Kreation, sondern vielmehr griechischen Ursprungs, er hat jedoch in der russischen Sprachforschung und in der Slawistik im allgemeinen seit ungefähr der Mitte des 19. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle gespielt.“ (Olaf Krause, Mitglied des Rates für deutsche Rechtschreibung)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2018 um 15.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#37900

In "Harry Potter" kommt absichtlich entstelltes Latein vor, ein Abbild der Rolle, die lateinische Versatzstücke im heutigen Leben spielen.
In dem sehr erfolgreichen amerikanischen Kinderbuch "The Penderwicks" (erster von vielen Bänden) spricht der etwas kauzige Vater ab und zu lateinisch zu seinen vier Töchtern, z. B.:

"All right, then. Vade in pace, filiae." "That’s Latin," said Jane. "I know," said Jeffrey.

In den späteren Auflagen und Übersetzungen (aber nicht in der französischen) heißt es dann Vadite in pace, filiae.

Es handelt sich um ein anerkannt altmodisches Kinderbuch vorwiegend für sehr junge Mädchen, worauf schon die Konstellation der Personen hindeutet, aber auch die Darstellung der von außen hinzukommenden Jungen, ganz aus weiblicher Sicht.
Auch diese bescheidene Leistung hat ihr Wiki mit juveniler Philologie sowie pädagogische Begleitliteratur für die Verwendung in der Schule.

Ich würde sagen: im Niveau etwas über Enid Blyton, aber sonst ähnlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.01.2018 um 15.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#37587

Man könnte sagen: Wie Fraktur als Zierschrift Verwendung findet, so Latein als Ziersprache in Titeln (vgl. etwa http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24707)
Früher auch Griechisch, aber das wäre heute exzentrisch, weil praktisch jeder erst googeln müßte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.12.2017 um 07.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#37255

Was Tacitus über Galba schrieb, wird gern als Beispiel unübertrefflicher und unübersetzbarer lateinischer Kürze zitiert.

capax imperii nisi imperasset

So auch von Golo Mann. Meiner Ansicht nach entstellt die Verkürzung jedoch den Sinn, denn in Wirklichkeit heißt es ja:

Major privato visus, dum privatus fuit, et omnium consensu capax imperii, nisi imperasset.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.11.2017 um 15.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36870

Extra ecclesiam nulla salus. Das zitiert Herbert Schnädelbach in seiner bekannten Polemik gegen das Christentum (http://www.zeit.de/2000/20/200020.christentum_.xml). Im Wiederabdruck in "Wozu Gott?" (Verlag der Weltreligionen) 2009 heißt es dagegen: Extra ecclesia, was wohl als Ablativ gemeint ist. Ein häufiger Irrtum, der darauf beruhen könnte, daß man auf die Frage "Wo?" den Ablativ erwartet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.11.2017 um 07.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36863

Es gibt Hunderte von Belegen wie eine Minima moralia. So auch hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Bestimmte_Negation (Philosophie zum Fremdschämen...). Der preziöse Buchtitel wird im Küchenlatein als feminin verstanden, weil er auf -a endet. Das ist immerhin nicht so lächerlich wie der feministische Reflex auf das -er in deutschen Wörtern.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 23.10.2017 um 13.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36746

In der Schule erhalten wir lauter Antworten, ohne gefragt zu haben. Später kommen wir meistens ganz gut durchs Leben, auch wenn wir kaum etwas behalten haben. Der Anteil an Orientierungswissen ist sehr gering. Z.B. in Chemie schwirren Orbitale und Substitutionsregeln herum. Aber man frage mal einen Leistungskursabsolventen, warum man saure Reiniger nicht mit Klorix zusammenbringen darf oder ein Bleirohr mit einer Messingarmatur. Erst in der Berufsausbildung heißt es dann wieder lernen und behalten - und zwar nicht nur für die Prüfung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2017 um 13.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36744

Latein ist nicht das einzige Schulfach, das dem Vergessen anheimfällt. Der Mathematik geht es auch so. Außer den wenigen, die es brauchen, kann sich kaum noch einer an das erinnern, was er mal konnte. Ich zum Beispiel war in Kurvendiskussion usw. gar nicht mal schlecht, aber ich habe keine Ahnung mehr. Ich könnte sicher an einem Nachmittag wieder hineinkommen, das wird aber nicht mehr geschehen, zumal die Kinder auch schon erwachsen sind.
Beim Abitur waren wir Universalgelehrte; man braucht sich bloß jene Bestseller anzusehen: "Abiturwissen in 10 Bänden" usw. – Die Schule kann eben nicht wissen, was wir einmal brauchen werden, und tröstet sich und uns mit der gewagten Annahme, auch dem später Vergessenen sei doch ein allgemeiner "Bildungswert" zuzuschreiben. Was ja vielleicht stimmt. Ich kann zwar keine Planetenbahn berechnen, aber ich bin felsenfest überzeugt, daß man Planetenbahnen berechnen kann; mit Astrologie kann man mir folglich nicht kommen. So sagt man ja auch: Die Kosmologie der Vorsokratiker war falsch, aber daß sie überhaupt versucht haben, die Welt auf natürliche Weise zu erklären, war richtig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2017 um 12.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36742

Schon während meiner Studienzeit wurde diskutiert, ob man für Germanistik und (Neuere) Geschichte Lateinkenntnisse nachweisen müsse.
Heute muß man in der Regel keine Lateinkenntnisse nachweisen, sondern nur den Nachweis von Lateinkenntnissen. Daß das zweierlei ist, braucht nicht nachgewiesen zu werden.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 23.10.2017 um 11.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36740

In die Skandalisierung um dieses Buch werde ich mich bestimmt nicht einmischen Dazu ist mir die Zeit zu schade. Wie überhaupt für alle Diskussionen um Antisemitismus und Rassismus. Sieferle hat allerdings Geschichte nicht heute, sondern vor vielleicht 30 Jahren studiert. Ob das ohne Lateinkenntnisse ging, weiß ich nicht. Aber es stimmt: auch wer Latein in der Schule gelernt hat, vegißt es ohne späteren Kontakt wieder. Das trifft mehr oder weniger jedes Schulfach, aber in unterschiedlichem Maße. Ich kenne jemanden, der aus Neugier Latein an einer Abendoberschule belegt hatte, dort sehr gut war und sogar das Kleine Latinum erworben hat. Heute ist davon absolut nichts übriggeblieben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2017 um 10.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36738

Falsches Latein in deutschen Akademikerkreisen habe ich jahrzehntelang aus dem Augenwinkel beobachtet und bin überzeugt, daß so etwas niemandem mehr auffällt. Man kann ja heute Geschichte ohne Lateinkenntnisse studieren (außer Alter Geschichte), man kann mit Ars memoria zur Magistra Artia gemacht werden usw. Woher sollte ausgerechnet Sieferle es besser können? Meine Belegsammlung erschlägt mich fast. Und welcher Rezensent hat auch nur ein Wort auf den krassen Titel verwendet?
Ich verhöhne niemanden, sondern rate angesichts der Tatsachen einfach, die Finger vom Lateinischen zu lassen; es geht fast immer schief.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 23.10.2017 um 10.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36737

Ich frage mich, ob ein Historiker wie Sieferle wirklich so falsches Latein (Finis Germania) verbrochen haben kann. Ich habe das Buch nicht gelesen Es handelt sich wohl um eine Sammlung von kurzen Essays. Der Titel könnte auch vom Verlag gewählt worden sein, wo es möglicherweise keinen Lateinkundigen gab.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2017 um 07.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36735

Aus dem Vatikan:

Eine der größten Herausforderungen dabei ist, dass es für viele moderne Begriffe keine Entsprechung im klassischen Latein gibt. Wer aktuelle Sachverhalte auf Lateinisch beschreiben will, muss sich überlegen, wie zum Beispiel Cicero bestimmte alltägliche Hilfsmittel der modernen Welt benannt hätte. „Sie können auf Ihrem iPod mit ‚conchae auditoriae‘ (Headset) Musik hören, auf einem ‚plectrologium‘ (Keyboard) tippen und Nachrichten per ‚cursus electronicus‘ (E-Mail) schicken“, so Gallagher.

Latein ist wie andere Welthilfssprachen zu behandeln. Man kann alles in ihnen ausdrücken, aber wie Cicero (oder ein anderer Römer) etwas Bestimmtes ausgedrückt hätte, läßt sich grundsätzlich nicht sagen. Das ist über das Spielerische hinaus das wirklich Interessante.

Es wird in einigen Jahren eine Menge Neuentwicklungen geben, aber wir können weder diese Dinge noch die Bezeichnungen vorhersehen, die wir selbst und unsere Kinder ihnen geben werden. Ebenso wenig wissen wir, welche von unseren heutigen Wörtern überleben werden und welche nicht.

Bei der Übersetzung in das Latein Ciceros kommen unproblematische Umschreibungen bzw. Definitionen zustande, aber sicher nicht die Wörter, die den Römern tatsächlich eingefallen wären, wenn sie die Entwicklung der Sachen noch erlebt hätten: gregalis latro, follis canistrique ludus, botellus germanicus, potio mixta Hispanica, tegumentum usw. (Gangster, Basketball, Würstel, Sangria, Kondom).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.08.2017 um 04.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#36056

Hier kann man lateinisch konjugieren lernen:

http://latein.cc/woerterbuch

Ich bin darauf gekommen, weil ich letzte Nacht geträumt habe, daß ein verschmitzt lächelnder älterer Gastwirt mir zusammen mit der Rechnung einige lateinische und griechische Zeilen überreichte, die ich zu meiner Beschämung nicht verstand. Ich überspielte meine Verlegenheit vor meiner Familie, die mit am Tisch saß.

Schulträume habe ich schon lange nicht mehr, aber die Beschämung wg. Latein ist doch recht bezeichnend. Alles andere verzeihen wir uns, aber Lateinschnitzer - da hört der Spaß auf. Nachklang verflossener Epochen der Bildungsgeschichte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2017 um 11.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#35925

Finis Germania trifft Finis Klima (Achse des Guten)

Latein lebt!
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 26.07.2017 um 10.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#35805

Andere Bücher werden von Amazon gar nicht erst in den Katalog aufgenommen, können auf diese Weise auch nicht von Dritten angeboten werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.07.2017 um 05.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#35803

Sieferles "Finis Germania" ist bei Amazon nicht mehr lieferbar, nur antiquarisch. Nicht der erste Fall dieser Art.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.06.2017 um 06.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#35328

Das letzte Buch des von links nach rechts gewanderten Rolf Peter Sieferle ist unter dem schrägen Titel Finis Germania erschienen. Es wird derzeit diskutiert, weil es zu den "Büchern des Monats" gehört; manche würden es gern verbieten. Ich werde es zwar nicht lesen, bin aber gegen Zensur. Die Amazon-Rezensenten finden es sehr gut, und es artikuliert offenbar die Meinung vieler, die man nicht durch Verbote hinter den Vorhang schieben sollte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.04.2017 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34804

De Nilum nihil nisi bene (Überschrift FAS Reise 2.4.17 über Nilkreuzfahrten)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2017 um 06.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34688

Hier twittert der Papst auf lateinisch: https://twitter.com/Pontifex_ln

Aber von der päpstlichen Lateinakademie hört man nichts mehr; es ist schwer, sie überhaupt zu finden (abgesehen von der Gründungsurkunde).

Auf der vatikanischen Website http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_academies/latinitatis/index_ge.htm gibt es seit Jahren einen Link: Opus Fondatum Latinitas. Wenn man ihm folgt, gelangt man zu Opus Fundatum Latinitatis.

Weitere Informationen habe ich hier gefunden: http://religion.orf.at/stories/2655952/
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.03.2017 um 07.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34610

Der Anglist Werner von Koppenfels stellt in der FAZ eine kleine Betrachtung an über die Umdeutung von engl. media zum Singular. Er weiß, daß dies aus linguistischer Sicht nichts Besonderes ist, verdrückt aber doch eine kleine Träne wegen des Verfalls der humanistischen Bildung, zitiert auch "little Latin and less Greek".
Übrigens: Träne gehört zu einer Gruppe von Wörtern, die im Deutschen aus Pluralen umgedeutet wurden: Borste, Binse, Gräte, Lefze, Locke, Schläfe, Schürze, Tücke, Träne, Zähre. (Liste nach Hermann Paul)
Da es auch die Umkehrung gibt, also die Constructio ad sensum (the police have...), könnte media wie andere Kollektiva sekundär wieder den Plural nach sich ziehen.
Das kraftvolle Aneignen fremder Bestandteile - wie im Mittelalter - muß ja nicht so negativ gesehen werden. Das "Sprenkeln" der Sprache (wie man ebenfalls schon im Mittelalter kritisierte) mit Fremdflexion und Fremdsyntax riecht doch sehr nach der Öllampe (um es mal mit einer gebildeten Anspielung auszudrücken, damit die "allzu Vielen" es nicht verstehen).
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.02.2017 um 23.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34580

Spanisch ist die einfachste von allen romanischen Sprachen und deshalb am besten als Einstig in diese geeignet. (Sogar US-Amerikaner können Spanisch lernen.) Alle romanischen Sprachen haben dasselbe Grammatiksystem; der Wortschatz bildet die jeweilige lateinische Umgangssprache ab; allerdings ist Rumänisch slawisiertes Italienisch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2017 um 08.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34576

Zum FAZ-Artikel ein Leserbrief:

Latein ist die ideale Sprache, um zu verstehen, wie eine Sprache überhaupt funktioniert. Nicht so kompliziert wie Griechisch, Deutsch oder Französisch, aber differenziert genug, um die Funktionen einer Sprache klar darzustellen. Wer anständig Latein gelernt hat - es braucht nicht das große Latinum zu sein - spart eine Menge Zeit beim Erlernen weiterer Sprachen. Und er wird ganz automatisch ein viel besseres Deutsch schreiben und sprechen. So ist Latein lernen eine durchaus effiziente Zeitinvestition.

(Der Verfasser hat nach eigener Angabe 9 Jahre Latein und 7 Jahre Griechisch gehabt.)

Hier ist noch einmal alles beisammen. Wenn Latein so einfach ist, warum braucht man dann so viele Jahre (ohne es nachher wirklich zu können)? (Ich finde übrigens Griechisch leichter, gerade für Deutsche, aber das ist subjektiv.) Lateinschüler lernen andere Fremdsprachen nicht leichter, und Lateinkenner schreiben kein besseres Deutsch. Das ist alles nachgewiesen. Und warum sollte das Funktionieren einer Sprache ausgerechnet an einer toten (Korpus-)Sprache besonders deutlich werden? In Wirklichkeit läßt sich die Lateingrammatik besonders gut am Lateinischen demonstrieren, aber das überrascht nicht.

Man muß sich schon eine bessere Begründung einfallen lassen.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 20.02.2017 um 11.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34565

Wir haben im Leistungskurs Deutsch während meiner Oberstufenzeit in den achtziger Jahren "Antigone" und "König Ödipus" in deutscher Übersetzung gelesen.

Im Wahlfach "Philosophie" wurde vieles behandelt, von Platon und Aristoteles über Kant, Hegel, Marx, Lenin bis hin zu Camus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2017 um 10.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34562

Ich fände es gut, ein paar hundert Unterrichtsstunden "Weltliteratur" anzusetzen. "Phaidon", "Apologie" und "Symposion", "Antigone" und "König Ödipus" könnte man in Übersetzung lesen und, wie es ja auch versucht wird, dazu ihre Wirkungsgeschichte. Und wenn von Homer das "Gehege der Zähne" im Gedächtnis bleibt, wäre auch nichts verloren, schließlich steht es so da.
Natürlich weiß ich die philologische Arbeit zu schätzen, aber für die Allgemeinbildung schwebt mir etwas anderes vor.
Der kürzlich erwähnte Benveniste hat einen kurzen Aufsatz der wahren Bedeutung von gr. "rhythmos" gewidmet. Der Lehrer sollte es kennen, aber der Schüler ist mit dem gelehrten Nachweis weit überfordert. (Nur um mal den Unterschied zu illustrieren.)
Ich erinnere noch einmal daran, daß mit dem Griechischunterricht auch dessen edle humboldtianische Begründung verschwunden ist. Anscheinend geht es auch ohne. Das ist für viele schmerzlich, aber so geht es eben, wenn man sein Weltbild auf schönen Schein gebaut hat. (Ich sage das so deutlich, weil ich an meiner Liebe zum Griechischen keinen Zweifel habe aufkommen lassen.)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 20.02.2017 um 09.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34561

Es gab wohl eine Tradition, klassische Texte sehr frei zu übersetzen, so daß Schüler nicht auf die im Buchhandel erhältlichen Ausgaben zurückgreifen konnten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2017 um 09.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34560

Auf das Argument, es gebe doch gute und preiswerte Übersetzungen, antworten die Fürsprecher der alten Sprachen (so auch der erwähnte FAZ-Beitrag), Übersetzungen hätten zuviel Spielraum und müßten am Original überprüft werden. Nun gehört allerdings die Überprüfung einer Übersetzung zum Schwierigsten überhaupt. Die Übersetzer sind meistens sehr gut Kenner der Originalsprachen und -texte (wenn man von Gestalten wie Raoul Schrott absieht, die außer Konkurrenz laufen), und um die Richtigkeit einer Übersetzung zu beurteilen, muß man eine sehr tiefe und breite Kenntnis haben, die im altsprachlichen Unterricht nicht annähernd vermittelt werden kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2017 um 06.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34546

Hermann Menge hat sein "Repetitorium der lateinischen Syntax und Stilistik" 1873 veröffentlicht, weil die Obersekundaner nach 7 bis 8 Jahren Latein mit 8 bis 10 Wochenstunden die grammatischen Regeln nicht beherrschten (Vorwort). Also nach 3000 Unterrichtsstunden zuzüglich Hausarbeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2017 um 06.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#34545

In der FAZ ("Campus") vom 18.2.17 wird ganz ungebrochen das Hohelied des Lateinunterrichts gesungen. Latein schule das präzise Denken, habe "einfache mathematische Grundregeln" usw. Zugleich werden dreimonatige Kurse ohne Vorkenntnisse angepriesen. Und wie schnell man dann den "begehrten Schein" erwerben könne.
Das Ganze ist widersprüchlich, wirklichkeitsfremd und ideologisch und schadet dem Lateinlernen auf die Dauer.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.11.2016 um 16.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33862

„Der Satz, dass zwischen Langemark (sic) und Stalingrad nur eine Lateinstunde liegt, ist sprichwörtlich geworden.“ (Fritz Abel in: Sprachen der Bildung. Wiesbaden 2005:157)

Wirklich? Bei Wolfgang Borchert steht "Mathematikstunde".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.10.2016 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33716

Von den gebildeten Menschen, mit denen ich bekannt bin, hatten manche Latein, andere nicht. Das macht keinen Unterschied. Manchen Leuten ist offenbar die Arroganz ihres Geredes gar nicht bewußt. Kann man Latein nicht ohne ideologische Überhöhung kehren und lernen? Fürs Griechische wurden dieselben Motive bemüht, aber seit der Griechischunterricht verschwunden ist, hat sich das erledigt – Humboldt hin, Humboldt her.
Meine Töchter haben kein Latein gelernt; dafür sprechen sie fließend Englisch und sind für meine Begriffe auch hinreichend gebildet.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 30.10.2016 um 11.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33715

Wenn man zuerst Dänisch lernt, hat man danach mit dem Englischen auch keine Mühe mehr.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.10.2016 um 09.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33713

Wozu braucht man heute noch Latein?

Um ein gebildeter Mensch zu sein, der der Kultur einen Basiswert gibt. Der Basiswert ist, woher wir kommen und wohin wir gehen. Unsere Sprache hat halt einmal auch eine deutliche romanische Orientierung. Und wenn Sie Latein gelernt haben, dann können Sie in dieser schnelllebigen Zeit, in der man immer wieder neu dazulernen muss, ganz anders Englisch, vor allem Französisch, Spanisch, auch Portugiesisch und Italienisch lernen. Das eine ist das wissenschaftliche und geistige Kulturgut der Griechen und der Römer, das ja unser Denken und nicht nur den Wortschatz geprägt hat; aber ebenso wichtig ist, dass auch die Entwicklung vom Christentum zur Aufklärung und zur modernen Zeit hin ganz wesentlich von der Antike geprägt ist.


(Gespräch mit Zehetmair, Die Presse 24.10.16)

Non sequitur.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2016 um 05.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33683

Um auf die Chancen als Fremdwort zurückzukommen: Der Anlaut dürfte hinderlich sein. Kann man sich gesprochen vorstellen: "Der fehlt die Schtamina"? Geschrieben vielleicht im Feuilleton der FAZ...
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 27.10.2016 um 23.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33682

Da hat sich die FAZ sich ja ganz schön was zusammenphantasiert. Typisch Feuilleton eben.

So ist die Behauptung, daß sich das Wort stamina „zuvorderst auf die körperliche Konstitution“ beziehe, völlig aus der Luft gegriffen.

Dann wundert sich der Autor darüber, daß anscheinend nur ihm das Wort als „Schlüsselbegriff im amerikanischen Wahlkampf“ aufgefallen ist und daß es „in der deutschsprachigen Presse bisher keine Erwähnung“ finde.

Ein typisches Symptom.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2016 um 22.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33681

Nun ja, »vor aller Augen« ist es erst durch Bode gekommen, der Lessings Vorschlag zwar gut fand, aber offenbar auch etwas gewagt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 18.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33680

Ist es nicht gerade besonders sinnreich, wie er ihn vor aller Augen zusammensetzt?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2016 um 16.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33678

Den so ziemlich berühmtesten Neologismus der deutschen Literaturgeschichte »nicht ganz neu« zu nennen ist aber nicht gerade nett!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 16.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33675

Die Amerikaner denken sich bei Stamina wahrscheinlich: Aha, er spielt auf ihre Krankheit an. Auf deutsch könnte man sich vorstellen: Hillary ist nicht gut genug in Form. Hillary steht das nicht durch. Usw. Das halte ich für keine schlechte Übersetzung.

(Ich nehme das nicht so furchtbar ernst – als ob ich unbedingt recht behalten wollte, betrachte es mehr als Übung.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 15.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33674

Wenn Clinton chronisch krank ist, wäre das aber sehr schlecht mit der Aussage gedeckt, es fehle ihr an Stamina o. ä.
Ich will mich ja nicht unbedingt für Form stark machen, aber solche Ausdrücke aus dem Sport (vorwiegend) scheinen mir schon tauglich. Lessings Neuwort war nicht ganz neu, sondern, wie er selbst darlegt, aus dem bekannnten Material nachvollziehbar gebildet. Insofern ist der Fall nicht allzu verschieden von einer leichten Verschiebung bekannter Wörter.

Man spricht heute von verschiedenen "Pfaden" des Sprachwandels, der Sache nach nichts Neues. Beim Bedeutungswandel (Dornseiff: Bezeichnungswandel) gibt es den Pfad der Euphemismen und Kraftausdrücke, den der Volksetymologie und sicher auch den der Imponiersprache über den "Schwellwert" halbverstandener Fremdwörter.

Lieber Herr Riemer, die "Unterjacke" ist branchenüblich, nicht nur in jenem Geschäft. Ich hab's auch irgendwo verewigt, ich glaube, in meinem Fachsprachenbuch.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2016 um 13.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33673

Natürlich ist stamina nicht unübersetzbar. Stehvermögen ist auch eine Option, aber Form wäre jedenfalls eine sehr schlecht gewählte Übersetzung. (Hillary Clinton ist nicht außer Form, sondern chronisch krank.)

Lessing spricht von einem Neologismus, der erst noch geläufig und damit verständlich gemacht werden muß. Ob er entsprechend über längst eingeführte Wörter und deren mögliche Bedeutungsverschiebungen dachte, wäre anhand von anderen Äußerungen zu prüfen; aus der zitierten Stelle geht das nicht eindeutig hervor.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.10.2016 um 13.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33672

Kann jedes Wort alles bedeuten, Tisch auch "Bett" usw.?

Es gibt tatsächlich solche Beispiele. Am meisten hat mich mal ein Herrenbekleidungsgeschäft verblüfft, wo ganz normale weiße Unterhemden Unterjacke genannt wurden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 12.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33671

Ein interessante Frage, daran anknüpfend: Wenn die Bedeutung der Wörter so biegsam ist – welchen Sinn hat es dann noch, nach dem "treffenden Wort" zu suchen? Kann jedes Wort alles bedeuten, Tisch auch "Bett" usw.? Im Prinzip ja. Aber es gibt jeweils viele Umstände, die es begünstigen oder verhindern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 12.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33670

In diesem Sinn kann man auch die Behauptung der FAZ zurückweisen, Stamina sei unübersetzbar. Darüber hatten wir auch schon diskutiert. Entweder ist alles übersetzbar oder gar nichts.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 12.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33669

S. aber auch http://www.duden.de/rechtschreibung/Stehvermoegen

Aber darum geht es nicht, auch nicht um Neologismus oder nicht. Lessing und Engel wußten, daß ein Wort, wenn es konsequent in einem bestimmten Zusammenhang gebraucht wird, nach einer Weile genau das vermittelt (oder eben bedeutet), was dieser Zusammenhang nahelegt. Das ist ja das ganze Geheimnis der kontextsensitiven Synonymik (schöner Terminus, muß ich mir notieren).
So wandern die Wörter allesamt mit ihren jeweils üblichen Kontexten durch Sprachgeschichte und sind am Ende nicht wiederzuerkennen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2016 um 12.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33668

Ausdauer ist immerhin kürzer, aber auch ein bißchen schwammig.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2016 um 12.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33667

Lessing empfahl seinerzeit einen deutschen Neologismus als Übersetzung eines englischen Ausdrucks, für den es keine gute deutsche Entsprechung gab. Für stamina gibt es, wie gesagt, bereits die deutsche Entsprechung Durchhaltevermögen, ein Wort mit 18 Buchstaben. Form ist kein Neologismus, sondern ein Wort, das im Deutschen ebenso wie im Englischen etwas anderes bedeutet als stamina, wie man schon daran erkennen kann, daß stamina kein Synonym von form ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 11.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33666

Da ist er schon! Stamina war früher auch was anderes, aber man kann geläufige Wörter für etwas anderes mitbenutzen, und nach einer Weile geht es. Gerade bei ohnehin schlecht definierten. Was heißt denn schon Stamina!

Engels Argument war immer: Wenn wir nun das fremde Wort zufällig nicht hätten – wären wir dann in Verlegenheit, wie wir unsere Gedanken ausdrücken könnten?

Natürlich "deckt" es sich nicht (wie Engel in Lessings Sinn spottete). Aber es biegt sich zurecht.

Zur Erinnerung: Lessing an Bode:

„Bemerken Sie sodann, daß ‚sentimental‘ ein neues Wort ist. Was es Sternen erlaubt, sich ein neues Wort zu bilden: so muß es eben darum auch seinem Übersetzer erlaubt sein. Die Engländer hatten gar kein Adjektivum von ‚sentiment‘: wir haben von Empfindung mehr als eines. Empfindlich, empfindbar, empfindungsreich; aber diese sagen alle etwas anders. Wagen Sie, empfindsam! Wenn eine mühsame Reise eine Reise heißt, bei der viel Mühe ist, so kann ja solch eine empfindsame Reise eine Reise heißen, bei der viel Empfindung war. Ich will nicht sagen, daß Sie die Analogie ganz auf Ihrer Seite haben dürften. Aber was die Leser vors erste bei dem Worte noch nicht denken, mögen sie sich nach und nach dabei zu denken gewöhnen.“ (Gesammelte Werke. Bd. 9, Berlin 1954:282)

Der letzte Satz ist der entscheidende.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2016 um 11.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33665

Form ist etwas ganz anderes, aber ein Fußballverächter kann das natürlich nicht wissen! Siehe Formschwankungen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 10.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33664

Form

(Ich erwarte einen bestimmten Einwand und halte hinter dem Rücken den Lessingschen Knüppel bereit.)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2016 um 10.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33662

Stamina ist zwar intransparent, aber immerhin wesentlich kürzer als Durchhaltevermögen und insofern vielleicht doch nicht chancenlos.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 06.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33659

Von der Stamina hängt alles ab titelt die FAZ über einem Beitrag zur Karriere dieses Wortes im amerikanischen Wahlkampf. Der Singular ähnlich wie beim englischen Visa. Ich glaube aber nicht, daß es sich im Deutschen ausbreiten wird.

Übrigens: Als ich heute für einen anderen Eintrag (Grammatische Exerzitien 11) nach keinen mehr googelte, einer ganz unspezifischen Wortreihe, wie man meinen sollte, stieß ich zuerst auf sehr spezifische Internetseiten (Erektionsstörungen). In solchen Fällen ist man immer ganz perplex, bevor der Groschen fällt. O Wundergarten der Sprache!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.10.2016 um 06.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33625

„Die frühere Lingua Franca, das Lateinische, wird heute nur noch im Vatikanstaat gesprochen.“ (Ute Frevert, FAZ 24.10.16)

Niemand scheint zu wissen, wie viele von den 550 Einwohnern lateinisch sprechen können. Fünf, zehn? Die können sich dann unterhalten, falls es ihnen nicht zu langweilig wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2016 um 04.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33325

Auch in der Hölle schwinden die Lateinkenntnisse:

„Ich spreche jeden Tag mit dem Teufel“, sagte er 2000 in einem Interview der britischen Zeitung „Sunday Telegraph“. Er rede dann Latein. Der Teufel antworte auf Italienisch. (focus.de 18.9.16 über den verstorbenen Exorzisten Amorth)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2016 um 16.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#33284

Neue Bürgermeisterin Roms in der Kritik: Crisis Maximus in Italien (focus.de 9.9.16)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2016 um 05.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32945

[...] Der Státus, aber die Statús (Statúhs) – die Betonung schiebt sich also nach hinten und das u wird besonders lang gesprochen, ein Leckerbissen für den Bildungsprotz. Soweit habe ich noch den Lateinlehrer im Ohr. Schon damals hat mich der abstruse Quark fasziniert, Sie auch? Hätten Sie nur besser aufgepasst, dann hätten Sie es zur Koryphäe unter den Partytalkern gebracht. Höchste Zeit, dass wir das nachholen.

Für Smalltalk auf der Party sah der Lateinlehrer keinen Bedarf, wir aber: Wer bei der Vernissage mit dem Koitus in der Einzahl weniger Eindruck schindet, mag mit der korrekten Mehrzahl die Koitús (Koitúhs, stark!) zu Potte kommen: »Kennen Sie eigentlich die Mehrzahl von Koitus?« Der Brüller! Damit schlagen Sie am Kalten Bufett bestimmt jeden aus dem Felde, der nur die Einzahl hervorzubringen vermag und beim Plural jämmerlich versagt. Genauso ergeht es dem Kasus. Dem Lapsus hängen schon dermaßen Gescheite gern den Plural Lapsi an – oder vielleicht Lapsusse? Beides Lapsús. Wer's nicht glaubt, der repetiere die lateinische u-Deklination – heute noch so gut wie damals, versprochen.
(SZ Magazin 21.7.16)

Es folgt noch etwas über Knie(e) usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.07.2016 um 08.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32840

Dieser schöne Artikel zeigt die prekäre Lage des Lateinischen. Natürlich werden Enzykliken nicht mehr aus dem Lateinischen in die Sprachen der Welt übersetzt, sondern umgekehrt aus dem Italienischen oder Englischen in die weiteren Hauptsprachen und zusätzlich noch ins Lateinische. Auch kann man sich sozusagen den besten Lateiner vorstellen, aber nicht den besten Deutschsprecher usw. Kaum hatte Benedikt seine Rücktrittserklärung veröffentlicht, machten sich Lateiner daran, ihn wegen seines Lateins zu kritisieren oder zu verteidigen; das war doch auch sehr bezeichnend.

Geisteswissenschaftler widmen einander gern Festschriften, und denen verpassen sie nicht selten ehrwürdige lateinische Titel wie Munus amicitiae oder Donum natalicium. Na ja, klingt nach den sprichwörtlichen Talaren.

Diese Festschriften stammen bekanntlich oft aus den ausgekippten Schubladen der Freunde und Schüler, sind sehr teuer und lohnen allenfalls wegen eines einzigen Beitrages, also eher nicht. Viel besser finde ich die gute alte Sitte, dem Geehrten eine Ausgabe seiner oft arg verstreuten kleinen Schriften zu gönnen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 12.04.2016 um 09.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32250

http://catholicreview.org/article/work/nulli-secundus-recovering-u-s-priest-leaves-hole-in-latin-office
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.04.2016 um 08.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32249

Noch einmal zum Vatikan: An der päpstlichen Latein-Akademie wird es doch wohl Männer geben, die fließend Latein sprechen. Sie hätten den Text in wenigen Tagen übersetzen können. Ich wollte aber nur einen weiteren Beleg bringen, daß Latein nicht mehr die Sprache der katholischen Kirche ist, auch nicht ganz oben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2016 um 06.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32238

Der Schriftsteller Steven Uhly schreibt in der FAZ (11.41.6) über das "Ius Solis (Recht des Bodens)". Das liest man des öfteren. Nimmt man die Großschreibung ernst, wäre die richtige Übersetzung "Recht des Sonnengottes"...
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.04.2016 um 17.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32230

Es handelt sich um eine längere Abhandlung, und die Personaldecke im Vatikan ist dünn. Wer eine lateinische Übersetzung anfertigen möchte, ist sicher willkommen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2016 um 14.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32227

"Amoris laetitia" wird zwar beim Vatikan in verschiedenen modernen Sprachen angeboten, sogar auf arabisch, aber ich vermisse Latein. Weiß jemand etwas Näheres darüber?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 01.04.2016 um 11.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32136

Die Betonung Supérlativ soll den Begriff offenbar abheben von solchen profanen Wörtern wie Supermann und Supermarkt. (Übrigens ganz interessant, daß der Begriff Hypermarkt im Deutschen ein Schattendasein führt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.04.2016 um 10.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32135

Manchmal wundern sich Leute, daß sie im Radio Supérlativ hören, und manche erklären das als lateinische Aussprache. Duden kennt nur Súperlativ, der alte Ausspracheduden ebenso wie Wahrig auch endbetontes Superlatív, was ich aber noch nie gehört habe. Das Wort ist ja bereits halb eingedeutscht, im Lateinischen müßte es noch eine Endung haben, und dann wäre Betonung auf der viertletzten Silbe nicht möglich. Außerdem sind a und i lang, was über Pänultimabetonung theoretisch tatsächlich zu deutscher Endbetonung führen würde.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.03.2016 um 20.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#32029

Ich habe schon mehrmals meine Ansicht geäußert, daß man keine Professur für Rhetorik ausfüllen kann, wenn man Latein und Griechisch nicht beherrscht. Ohne die Quellen, besonders Cicero und Quintilian, die die ganze abendländische Geisteswelt imprägniert haben, aber natürlich auch Aristoteles kriegt man keinen Fuß auf den Boden. Das recte dicendi und noch mehr dieser Art darf einfach nicht vorkommen (Ueding/Steinbrink: Grundriß der Rhetorik). Walter Jens war an sich schon der Richtige, bei allen Vorbehalten.
Germanisten sollten auch Latein können, weil fast alle, die in der deutschen Literatur und Sprache etwas bewegt haben, es konnten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.03.2016 um 11.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31974

„Als die lateinische Sprache für die wissenschaftliche Betätigung zunehmend entbehrlich und damit ihrer eigentlichen Funktion beraubt wurde, begannen die Bemühungen, ihr in didaktischer Aufarbeitung einen neuen Sinn zu geben: dabei wurde die Begründung für die Notwendigkeit des Lateins immer mehr vom Gebrauch dieser Sprache abgelöst und auf das Ziel einer vornehmlich ästhetischen Bildung orientiert.“ (Joachim Domnick/Peter Krope: Student und Latinum. Untersuchung zum Bestand und Bedarf an Lateinkenntnissen bei Studenten. Weinheim/Basel 1972:34)

Die Sprachtests der Verfasser haben ergeben: Lateinunterricht an der Universität ist effektiver als in der Schule, aber in 1 bis 1,5 Jahren wird nicht die Fertigkeit wie in 9 Schuljahren erreicht. Die Anforderungen der Dozenten könnten allenfalls in 13 Jahren Schullatein bzw. 3,5 Jahren Universitätslatein erfüllt werden.

Viele Gewohnheiten und Institutionen überdauern ihren ursprünglichen Zweck. Manche gewinnen eine neue Bedeutung, für andere wird eine gesucht. (Man denkt an den Heizer auf E-Loks.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2016 um 05.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31742

Foetus in foeto

(Überschrift in vielen Medien 22.2.16)

(Zur Sache: Ich habe auch eine Person gekannt, die bei der Geburt Haare und einen Zahn im Bauch hatte - Reste eines angelegten, aber nicht entwickelten Zwillings.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2016 um 12.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31674

Türkische Schüler profitieren von Latein

Ein solcher sprachsensibler Unterricht habe auch für Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, große Vorteile, sagt Maria Große. Am Neuköllner Ernst- Abbe-Gymnasium hat sie Schüler in Latein unterrichtet, deren Erstsprache Türkisch war. „Die Schüler verbesserten sich in Deutsch“, hat sie in ihrem Forschungsprojekt herausgefunden. Warum das so ist, erklärt sie an einem Beispiel. Auch im Türkischen gibt es, wie im Lateinischen, keine Artikel. Deshalb sprechen Kinder mit türkischer Muttersprache manchmal Deutsch nach dem Muster „Fragst du Lehrer“.
Beim Lateinunterricht müssen sich die Schüler explizit mit Artikeln, Präpositionen und Pronomen befassen. Dadurch bekommen sie ein Verständnis für die Strukturen des Deutschen und des Türkischen und können beide Sprachen mit einer „neutralen“ Sprache vergleichen. Aus diesem Grund sei Latein sogar für den Einsatz in Willkommensklassen denkbar und sinnvoll.
(Tagesspiegel 16.11.15)

Also um den deutschen Artikelgebrauch zu lernen, sollen die türkischen Schüler sich mit einer weiteren artikellosen Sprache beschäftigen? Wieviel Erfolg hätten sie, wenn sie in derselben Zeit gleich Deutschunterricht erhielten?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2016 um 09.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31672

Die Bedeutung eines Wortes entwickelt sich in verschiedenen Kontexten in viele Richtungen, die man nicht vorhersehen kann, und nachher stehen im Wörterbuch 20 Bedeutungen, die eher nach Familienähnlichkeit miteinander verbunden sind als durch eine gemeinsame Kernbedeutung. Man hat aber auch gesehen, daß die einzelnen Sprachen sich in dieser Hinsicht unterscheiden. Zum Beispiel sagt man dem Französischen nach, daß es abstraktere Bezeichnungen bevorzuge, die durch den Kontext konkretisiert werden (le français langue abstraite).
Mein Eindruck ist, daß Latein und Sanskrit oft schwer zu verstehen und zu übersetzen sind, weil an sich nichtssagende Verben, oft Präfixverben, wieder und wieder in wechselnden Bedeutungen vorkommen, wobei es sich auch nicht um „konstruierte Mehrdeutigkeit“ handelt (die gibt es auch), sondern tatsächlich um jene weggedrifteten Spezialisierungen. Das weiß jeder Lateinschüler. Sieht er im lateinischen Wörterbuch unter einem Allerweltsverb wie prodere nach, ist er fast so klug als wie zuvor. Mit langjähriger Übung und viel Lektüre (aber wann kommt es dazu?) wird dieses Problem natürlich entschärft.
(Im Altgriechischen habe ich das nicht in dem Maße erlebt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2016 um 17.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31662

In Buchtiteln wirkt Latein immer noch todschick, besonders bei Festschriften, da wird gleich die Feierstunde heraufbeschworen.

Kürzlich erschien bei Springer ein Sammel(surium)band von Ulrich J. Frey u. a.: Homo Novus – a human without illusions. In der Einleitung mußten die Herausgeber gleich erklären: "The title of this volume – Homo Novus – might need an explanation." Und dann folgt, daß eben nicht die geläufige lateinische Bedeutung gemeint sei. Aber warum dann die ganze Veranstaltung?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 13.02.2016 um 22.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31651

»Ohne große Mühe« lassen sich Belege für mehrere Stati und mehrere Statusse finden.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 13.02.2016 um 19.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31649

Der Duden behauptet steif und fest, die Mehrzahl von Status sei im Deutschen Status gespr. [statu:s]. Das würde meinen Lateinlehrer unseligen Gedenkens zwar wohl sehr freuen; ich halte es aber für völlig wirklichkeitsfremd.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2016 um 07.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31641

In seinem neuen Buch spricht Garry Wills wiederum von der Rolle des Lateins als vermeintlicher Universalsprache der katholischen Kirche. Seine Ausführungen sind um so bemerkenswerter, als er selbst ein hervorragender Lateiner ist. Ich kann mir das Abschreiben sparen, weil der Anfang und die wichtigsten einschlägigen Teile hier nachzulesen sind:

http://www.penguin.com/ajax/books/excerpt/9780525426967

Es gibt nur wenige Neulateiner, die sich wirklich auf lateinisch unterhalten können, und sie sind nicht zuletzt damit beschäftigt, einander Fehler nachzuweisen. Ich vermute sogar, daß es mehr Menschen gibt, die Sanskrit sprechen – jedenfalls scheint das vor 40 Jahren so gewesen zu sein, als ich an einem all-indischen Sanskrit-Poetentreffen teilnahm.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.02.2016 um 06.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31633

Es überrascht mich, daß in der Wirtschaft so viel von Boni die Rede ist, sogar als Erstglied: Die Boni-Banker haben sehr viel Geld verjubelt. (FAZ 9.2.16)
Ich würde den Plural Bonusse vorziehen, um das Unklassische hervorzuheben.
Komisch, daß noch niemand auf Fidibi gekommen ist.
Im Duden werden bei lateinischen Wörtern fakultativ oft ganz unflektierte Plurale angegeben, wohl zu Unrecht, da wir durchaus dazu neigen, den Numerus wo immer möglich zu kennzeichnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.01.2016 um 07.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31468

Die „Frankfurter Anthologie“ (30.1.16) feiert ein zugegebenermaßen unverständliches Gedicht von Renate Rasp. Sie soll sich u. a. bei Vergils „Aeneas“ bedient haben. (Der Verfasser schreibt auch: „Diese Stimme hält die Fäden in der Hand.“)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.01.2016 um 05.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31229

Wie Adjektive können Adkopula Leerstellen für Komplemente eröffnen.

(http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/termwb.ansicht?v_app=g&v_id=19)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.01.2016 um 21.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31220

"Rus" hießen auch die schwedischen Wikinger.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2016 um 16.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#31216

„Rus in urbs“ ist also möglich. (Josef Reichholf in aviso 4/2015, hg. vom bayerischen Wissenschaftsministerium; Überschrift Rus in urbs. Wie die Natur in die Stadt zurückkehrt – anscheinend nach englischen Vorlagen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.12.2015 um 14.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#30980

Bei einem Romanisten lese ich via negatione – eine Art Kasuskongruenz, wenn auch am falschen Platz. Der Genitiv wäre möglich. Duden gibt für die Fremdpräposition via Akkusativrektion an, schwerlich mit Recht. "Richtiges und gutes Deutsch" schweigt sich über den Kasus aus, die Beispiele geben auch keinen Aufschluß. Ich halte Fremdpräpositionen für überflüssig und benutze sie nie.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2015 um 06.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#30344

„Die Paare und dass Eheleben sind keine abstrakten Wirklichkeiten.“ (FAZ 26.10.15)

Orthographisch ganz von dieser Welt, aber sonst? Die "Relatio finalis", aus der zitiert wird, gehört schon ihrem Titel nach zu jener abgeschlossenen Welt, aus der heraus nun gewöhnliche Menschen Rat für ihr Geschlechtsleben gewinnen sollen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 16.10.2015 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#30265

Etymologischen Angaben zufolge (Petit Robert, Online Etymology Dictionary) sollen push und pousser vom lat. pulsare, Frequentativ von pellere herkommen, wobei diese beiden schon im Lateinischen u.a. die Bedeutung schieben gehabt hätten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.10.2015 um 16.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#30261

Man stelle sich das Deutsche ohne stehen und sitzen vor! Und doch empfinden die Franzosen offensichtlich keinen Mangel. Auf solche "Lücken" stößt man beim Übersetzen alle paar Minuten, aber eben auch erst dann.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.10.2015 um 14.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#30260

Durch Zufall kam ich auf die Frage, was eigentlich schieben auf lateinisch heißt, ich konnte mich an kein Verb erinnern.

Die Abfrage www.albertmartin.de/latein/?q=schieben ergibt tatsächlich keine genaue Entsprechung. Man scheint eine Auswahl zwischen agere, movere, ferre, ponere und vielleicht ducere zu haben. Kann das sein? Man stelle sich Englisch ohne push vor.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.10.2015 um 04.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#30237

Zu den pseudoklassischen Redensarten gehört auf den ersten Blick auch jenes Nulla dies sine linea, das heute gern auf die Schriftstellerei bezogen wird (und ein sehr guter Grundsatz ist; Trollope z. B. berichtet, er habe sich daran gehalten), aber ursprünglich auf die Malerei bezogen war. Hier wird nachgewiesen, daß es erst neuzeitlich geprägt wurde: www.rhm.uni-koeln.de/142/M-Nikitinski.pdf
Allerdings schreibt Plinius in seiner Anekdote über den Maler Apelles etwas von einem Sprichwort (proverbium), in das die Gewohnheit des Malers Eingang gefunden habe, nennt aber das Sprichwort selbst nicht. Man könnte also recht wohl folgern, daß es ungefähr so ausgesehen hat, wie es heute überall zitiert wird. (Zum Genus von dies s. ebd.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.10.2015 um 15.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#30212

„Jeder Sprachgebrauch ist richtig, es gibt keinen falschen Sprachgebrauch. Das könnte sich mancher Sprachkritiker ins Brevier schreiben.“ ((Hans Jürgen Heringer/Rainer Wimmer: Sprachkritik. Paderborn 2015:18f.)

Dann gibt es auch keinen Sprachunterricht und keine Fehlerkorrektur. Dann ist auch richtig, was die Verfasser selbst schreiben: ex contradictio nihil (49). Das ist dann eben Latino sine flexione bzw. sine flexio.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.09.2015 um 10.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#30054

Mit dem Lateinischen verhält es sich ganz einzigartig. Früher wurde es so gründlich gelernt, daß wir bei Durchsicht lateinischer Sprichwörter oft erstaunt feststellen: Manches ist gar nicht antik, obwohl es so aussieht. Bei Cacatum non est pictum hegt man vielleicht noch den Verdacht eines Pennälerscherzes (Bürger, dann Heine). Aber Nomina si nescis, perit et cognitio rerum sieht doch wie ein klassischer Vers aus, ist aber von Linné und paßt natürlich bestens.
Die Kürze der lateinischen Sprichwörter, vor allem der Rechtssprichwörter, aber auch der griechischen, wirkt buchstäblich monumental, wie in Stein gehauen. Das färbt ab. Zum Beispiel dem Linné wagt man kaum zu widersprechen, so endgültig hat er es formuliert.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.09.2015 um 14.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#29907

Entweder sind in einer Sprache alle Vokale kurz wie im Spanischen und Polnischen oder sie braucht Längenzeichen wie z.B. im Tschechischen. Ganz ohne dient sie nur dazu, Schüler zu quälen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2015 um 06.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#29898

Wovon sprechen Sie? Vom Kasussystem flektierender Sprachen?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 10.09.2015 um 17.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#29897

Scheiß-Ablativ. Die Neulateinischen Sprachen haben diesen und anderen Blödsinn gar nicht erst übernommen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.09.2015 um 16.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#29896

Beim Blättern in "Latein für Dummies" fällt mir auf, daß die Vokalquantitäten nicht angegeben sind. Das wird auch nicht begründet. Meiner Ansicht nach in einem Anfängerbuch unmöglich. (Sind Äpfel böse?)

Wenn ich mich recht erinnere, wurde auch in unserem langweiligen Lateinunterricht auf die Quantitäten nicht geachtet; darunter leide ich heute noch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2015 um 16.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#29615

Gern werden entbehrliche, aber schmückende Beiworte (Epitheta ornans) eingesetzt. (www.ballstaedt-kommunikation.de/wp-content/uploads/20erJahre.pdf)

Man speist sie mit schönen epitheta ornans ab. (www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/Festvortrag_Dedecius.pdf)

Diese Mischung aus Plural und Singular findet man in vielen gelehrten Texten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.07.2015 um 06.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#29499

Die FAZ-Wirtschaftsredaktion sucht den "Homo boersicus". Ein kleiner Sprachscherz, aber als "Homo bursicus" wäre es einigermaßen in Ordnung. Die Sprachgeschichte dahinter ist ein Beispiel für die unvorhersehbaren Wege der Wörter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.06.2015 um 12.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#29223

partes orationes (Hans-Werner Eroms: Syntax der deutschen Sprache. Berlin, New York: de Gruyter 2000:20)

Sieht richtig nach Kongruenz aus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.06.2015 um 04.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#29136

Zu den verschiedenen Zitaten, wonach man das Wesen der Sprache am besten an einer toten studieren könne, hier der Ahnherr:

„Von dem Grundsatz ausgehend, einmal dass die Form einer Sprache, als Form, sichtbar werden muss, und dies besser an einer todten, schon durch ihre Fremdheit frappirenden, als an der lebendigen Muttersprache geschieht, dann dass Griechisch und Lateinisch sich beide gegenseitig unterstützen müssen, würde ich festsetzen: dass alle Schüler, ohne Ausnahme, beide in der untersten Classe jede schlechterdings lernen müssten (...)“ (Wilhelm von Humboldt)

Stroh meint, die ausgedehnte neulateinische Dichtung widerlege das Vorurteil, man könne nur in seiner Muttersprache feinere Gefühle usw. ausdrücken. Aber das ist kein gültiges Argument. Selbst wer eine moderne Sprache als Fremdsprache erlernt hat und darin dichtet oder schriftstellert, hat ein anderes Verhältnis zu ihr als zu einer Korpussprache. Je genauer ich mir die Sprache Ciceros aneigne, desto „toter“ wird sie. Stroh selbst legt zum Beispiel dar, daß lateinisch „labor“ nicht „Arbeit“ bedeutet, sondern eher „Mühe, Mühsal“. (Ich übergehe die Frage, ob Mühsal für die Römer dasselbe bedeutete wie für uns. Die sozialen Bedingungen waren nicht nur hinsichtlich „Arbeit“ verschieden.) Man ergänzt das Repertoire durch neue Vokabeln, um den Laptop und das Handy in neulateinischen Texten unterzubringen; das tastet nach Stroh die lateinische Sprache nicht an. Stroh hält wie viele Linguisten, wenn auch nicht konsequent, den Wortschatz für etwas ziemlich Gleichgültiges, Auswechselbares; Sprache ist Grammatik. Ich bin natürlich anderer Meinung. Man denkt nach, wie Cicero den Laptop genannt hätte, wenn er ihn denn gekannt hätte. Aber dieses Gedankenexperiment funktioniert nur scheinbar. Cicero wäre eben nicht Cicero, wenn er den Laptop hätte. Der Laptop ist ja nur ein winzigkleiner Exponent einer Zeit, die vollkommen verschieden ist vom alten Rom. Es ist buchstäblich eine andere Welt, und wir können nicht wissen, wie ein Cicero in einer anderen Welt reden oder wie „Latein“ in dieser anderen Welt funktionieren würde. Die Antwort, Latein funktioniere doch in dieser unserer modernen Welt, ist eine Petitio principii. Funktioniert es denn wirklich? Vielleicht ist das eine süße Illusion. Das ständige Schielen auf Cicero und die Forderungen des vieljährigen Lateinunterrichts machen den neulateinischen Text zur Hochseilartistik.

In seiner Muttersprache treibt der Dichter die Ausdrucksmöglichkeiten an immer neue Grenzen. Die Sprache entwickelt sich. Das Lateinische entwickelt sich nicht, Stroh selbst hebt es unermüdlich hervor. Alle Studien führen immer nur dazu, Cicero (hier stellvertretend genannt) besser zu verstehen, nicht uns selbst. Erlaubt sich Benedikt XVI, einen lateinischen Text an die Presse zu geben (Rücktrittserklärung), stürzen sich die Latinisten darauf und korrigieren kleinere Abweichungen vom klassischen Latein. Es folgen die Kritiker der Kritiker und weisen nach, daß der damalige Papst doch nicht falsch lag, weil an einer bestimmten Stelle der antiken Literatur usw. usf. – immer dasselbe Spiel.

Für den Benutzer einer toten Sprache liegt der Werkzeugkasten offen vor ihm, er greift in der Klarheit des Bewußtseins hinein und konstruiert eine Periode. Für den Muttersprachler ist die Sprache grundsätzlich unübersichtlich. Die Wörter und Wendungen „steigen auf“, er weiß nicht wie, und es bleibt allenfalls noch ein nachträgliches Wählen und Korrigieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.05.2015 um 05.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28780

The official language of the church is still Latin, but use of the language has been in decline ever since the Second Vatican Council of the early 1960s. As a result of those meetings—which were themselves conducted in Latin—the church declared that since the vernacular "may frequently be of great advantage to the people, a wider use may be made of it." Even during that council, there were communication problems among the cardinals: Cardinal Richard Cushing of Boston argued that he and others were being left out of the Latin proceedings, which, he said, were "all Greek to me." At his request, a simultaneous translation system was put in place.
(http://www.slate.com/articles/news_and_politics/explainer/2005/04/is_the_conclave_held_in_latin.html)

Kardinal Spellman setzte sich beim Konzil heftig für die Beibehaltung des Lateins als Sprache der Kirche ein, aber sein eigenes Latein war, wie von verschiedenen Beobachtern berichtet wird, vollkommen unverständlich, so daß seine Beiträge von anderen verlesen werden mußten.

Ich habe schon mehrmals auf die Bücher des katholischen Historikers Garry Wills hingewiesen. Er ist gewissermaßen das radikale Gegenteil von unserem Martin Mosebach, freilich ungleich kenntnisreicher und überhaupt eine andere Liga.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2015 um 18.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28751

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21766:

Daß die meisten Bischöfe des Zweiten Vaticanums nicht genug Latein konnten, um den Verhandlungen zu folgen oder gar daran teilzunehmen, bestätigt auch Garry Wills in seinem ausgezeichneten Buch "Papal Sin". Zur Sprachenfrage auf dem Konzil nun auch den lesenswerten Beitrag:

https://jakomonchak.files.wordpress.com/2012/02/languages-and-veterum-sapientia.pdf
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2015 um 15.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28629

In einem Lateinbuch (Roma II) wird die Fabel vom Wolf und Lamm nacherzählt:

Superior stabat lupus, inferior agnus. Praesentia eius iram lupi excitavit. 'Cur', inquit 'mihi potanti aquam turbavisti?' usw.

Aber das verdirbt die Pointe, weil ja der "Zorn" zur Vorspiegelung des Wolfes gehört. In Wirklichkeit wollte er das Lamm fressen; Phaedrus sagt:

Superior stabat lupus,
longeque inferior agnus. Tunc fauce improba
latro incitatus iurgii causam intulit;
'Cur' inquit 'turbulentam fecisti mihi
aquam bibenti?'


In demselben Buch wird den Schülern erzählt, daß Athen dem Odysseus im Traum erschienen sei, und zwar "vielfach". Das stimmt natürlich nicht, gemeint ist "oft". Aber "vielfach" klingt ein bißchen edler, und so liest man es heute vielfach.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.03.2015 um 10.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28355

Zu #28352 "(Ich glaube, die Römer unterhielten sich nur im Konjunktiv.)": Nein, das waren die Österreicher, die sich nur im Konjunktiv unterhielten. Ich kannte noch welche, deren Deutsch den deutschen Indikativ gar nicht kannte.
Zu "Wenn Journalisten übermäßig den Konjunktiv verwenden, ist das nur eine Folge ihres Lateinunterrichts, in dem ihnen die vielen für uns ungewohnten Konjunktiv-Anwendungen eingepaukt wurden": Wie viele von denen hatten denn Latein? - Nein, auf ihren Sonderschulen wurden sie nicht richtig gelehrt, weil's auch im Duden nicht klar und einfach stand, wie's Zitieren für Journalisten sinnvoll ist. Man braucht den Konjunktiv, um anzuzeigen, daß man jemanden indirekt zitiert (also nicht die eigene Meinung wiedergibt), eigentlich nur, wenn im gleichen Satz nicht anderweitig angezeigt ist, daß wer zitiert wird (mit "er schrieb/sagte, [usw.]"). Wenn man dann ohne diese Anzeige weiterzitiert, benutzt man den Konjunktiv I, den man aber durch den Konjunktiv II ersetzt, wenn die Konjunktiv-I-Formen mit denen des Indikativs zusammenfallen. Damit geht man zwar nicht jedem Rechtsstreit aus dem Wege, aber man verliert keinen, und man bricht sich auch keinen groß ab, bloß weil man ihn auf alle Fälle und doppelt und dreifach vermeiden will.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.03.2015 um 04.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28353

Die Umgangssprache hat sich überall weiterentwickelt. Es ist wohl eher eine Frage, wie weit die Schriftsteller sich an ältere Sprachformen gehalten haben (attisches Griechisch zum Beispiel). Man denke an die bekannte griechische Diglossie.
Ich weiß nicht, wie es die theologischen Fakultäten heute halten, aber ich selbst habe im Auftrag einer solchen das klassische attische Griechisch unterrichtet, wie es auch in der Schule bis heute vermittelt wird. Man denkt wohl, daß es einfach die größte Reichweite hat. Nach dem Schulbuch also praktisch immer Xenophon und/oder Platon. Xenophon ist sozusagen der Cäsar der Griechischschüler, auch ebenso langweilig, wenn man die "Anabasis" liest. An die Vielfalt, die Wilamowitz mit seinem Lesebuch im Sinn hatte, ist wegen der eingeschränkten Stundenzahl nicht mehr zu denken. Ich habe übrigens nie Xenophon mit den Studenten gelesen, sondern im Fortgeschrittenenkurs immer Platon, da hat jeder was von. Das NT macht dann kaum noch Schwierigkeiten.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.03.2015 um 22.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28352

Wenn Journalisten übermäßig den Konjunktiv verwenden, ist das nur eine Folge ihres Lateinunterrichts, in dem ihnen die vielen für uns ungewohnten Konjunktiv-Anwendungen eingepaukt wurden. (Ich glaube, die Römer unterhielten sich nur im Konjunktiv.) :)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.03.2015 um 20.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28351

Deshalb hat es im Altertum kein "Vulgärgriechisch" oder "Bürgergriechisch" gegeben. Es war nicht nötig, weil Griechisch zugleich als mündliche Umgangssprache geeignet war. (In Palästina gab es drei Sprachen: Aramäisch als Volkssprache, Griechisch als internationale Handelssprache und Latein als Besatzungssprache.)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 20.03.2015 um 15.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28350

Die großenteils zweisprachige Ausgabe der Schriften Johann Valentin Andreäs, herausgegeben von Wilhelm Schmidt-Biggemann und Mitarbeitern bei Frommann-Holzboog, erscheint übrigens in der herkömmlichen Rechtschreibung.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 20.03.2015 um 11.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28349

Das Bibellatein ist leicht zu verstehen. Das stimmt, aber es hilft einem beim Lesen klassischer Texte (Cicero, Livius u.ä.) ebensowenig weiter wie bei den häufig ziemlich anspruchsvollen Texten des lateinischen Neoklassizismus von der Renaissance bis ins Barockzeitalter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2015 um 06.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#28348

Zufällig bin ich auf ein Schüler-Forum gestoßen, wo jemand sich an der Übersetzung der im Haupteintrag zitierten Livius-Stelle versucht. "...damit sie die herabhängenden Zitzen abschlecken konnten..." So etwas passiert nach meiner Erinnerung und Beobachtung (als hospitierender Referendar) in jeder Lateinstunde dutzendfach. Der Lehrer muß die Schüler dazu anhalten, auf die Endungen zu achten und sich die tatsächlich zusammengehörigen Stücke zusammenzusuchen. Das ist ja gerade das, was den Bildungswert ausmachen soll und von manchen als das "Logische" der lateinischen Sprache angesehen wird.
Griechische Sätze sind viel übersichtlicher, und wenn man noch das überaus hilfreiche "de" als Gliederungssignal zu nutzen gelernt hat, kann man die meisten griechischen Prosatexte einfach so runterlesen.
Das Bibellatein ist leicht zu verstehen, aber wenn ich das zweisprachige NT vor mir habe (Nestle), wandert mein Blick automatisch auf die griechische Seite.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 10.01.2015 um 12.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#27755

Das Klassische Latein taugt nicht als Unterhaltungssprache, weil es eine rückwärtsgerichtete Perspektive hat: Man muß den ganzen gehörten Satz im Kopf speichern, weil man erst am Schluß den Sinn verstehen kann. Deshalb benutzten die Römer für den täglichen Gebrauch das Bürger- oder Vulgärlatein, aus welchem sich die romanische Sprachfamilie entwickelt hat. Auch das Griechische war für den Tagesgebrauch besser geeignet und wurde deshalb von den Gebildeten benutzt, im östlichen Mittelmeerraum war es die Handelssprache.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.01.2015 um 07.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#27749

Eine andere Leserin, offenbar Lateinlehrerin, kritisierte, daß Grossarth Latein als "tote Sprache" bezeichnet hatte. Sie wies auf die Belebung des Lateinunterrichts durch moderne Bücher und eine muntere Methodik hin, womit sie ja recht haben mag, aber man sollte doch noch einmal klarstellen, was eine tote Sprache ist: eine solche, die nicht mehr als Muttersprache gelernt wird. Damit ändert sich buchstäblich alles. Zum Beispiel sind lebende Sprachen nach 2000 Jahren nicht wiederzuerkennen, klassisches Latein dagegen ist immer kenntlicher geworden, seit die Humanisten es zur Norm erhoben haben.
Die Freunde des Lateins sollten also gerade umgekehrt argumentieren und nicht die metaphorisch-enthusiastisch behauptete Lebendigkeit, sondern die Totheit des Lateins – einer "Korpussprache" – als Vorzug herausarbeiten. Darauf sind sie aber gar nicht vorbereitet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2015 um 05.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#27703

In der FAZ vom 27.12.14 lobte Jan Grossarth (im Teil „Beruf und Chance“) den Lateinunterricht, gerade wegen seiner Nutzlosigkeit. Der Lateinlehrer wurde als liebenswerter komischer Kauz dargestellt. Das Ganze wirkte leicht dadaistisch. Nebenbei wurde auf dieser Seite behauptet: Angeblich beherrschen Lateinschüler ab der 4. Klasse auch ihre deutsche Muttersprache besser. Aber das kann viele Ursachen haben, soweit es überhaupt stimmt. Aus welchen Familien kommen denn Lateinlerner? Die humanistischen Gymnasien z. B. spiegeln ja nicht die Bevölkerung wider.

Den Artikel von Jan Grossarth kritisiert ein Leser in der FAZ vom 5.1.15. Er schreibt u. a.:

„Von jungen Referendaren weiß ich, dass sie durch das Erlernen der lateinischen Sprache (auch an der Universität) ein neues Grundverständnis der deutschen Sprache gewonnen haben und überhaupt gelernt haben, wie eine Sprache funktioniert, was auch für das Erlernen moderner Fremdsprachen sehr nützlich gewesen ist (entgegen der fragwürdigen Studie).“

Anekdotisches aus dem bekannten Repertoire. Latein wird im Gegensatz zu den modernen Fremdsprachen nicht deshalb gelernt, weil man es anschließend sprechen können soll, ist daher oft die einzige Gelegenheit, grammatische Begriffe einzuführen und Satzanalyse zu treiben. Daher der beschriebene Effekt.

Im Deutschunterricht soll zwar auch Grammatik betrieben werden, und die Kultusminister haben eine verbindliche Liste von Fachausdrücken festgelegt, aber der Nutzen einer muttersprachlichen Grammatik steht mit Recht in Frage. Für sehr viele Schüler ist es unverständlich, warum sie ihre Muttersprache durch grammatische Analyse verfremden sollen, ohne daß daraus eine bessere Sprachfähigkeit folgt. Bei einer toten Sprache, die um ihrer selbst willen gelernt und später nicht angewendet wird, leuchtet der Nutzen der Grammatik, die ja zugleich der wesentliche Inhalt und das Ziel des Unterrichts ist, um so mehr ein.

"Wie eine Sprache funktioniert", kann man an jeder Sprache erforschen und zeigen. Die Sprachwissenschaft, nicht der Lateinunterricht versucht es herauszufinden. Lebende Sprachen sind etwas besser geeignet, weil das Material vielfältiger und die äußeren Bedingungen greifbarer sind. Das Sanskrit ist vorzüglich erforscht, aber da es eine stark normierte tote Sprache ist, wird man es nicht für die allerbeste Gelegenheit halten zu zeigen, wie eine Sprache funktioniert.

Fadenscheinige Argumente schaden mehr, als sie nutzen. Lateinunterricht versteht sich entweder von selbst oder gar nicht. Wer ihn begründen will, hat schon verloren. Das kann man eigentlich von Bildung ganz allgemein sagen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2014 um 07.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#27369

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21353:

Was die päpstliche Lateinakademie eigentlich macht, ist nicht ganz leicht festzustellen, weil einige Links nicht funktionieren. Benedikts Motu proprio findet man hier: http://www.cultura.va/content/cultura/it/collegamenti/accademie-pontificie/latinitas/motu-proprio-e-statuto—italiano-.html
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Angesichts der Sprachregelungen auf der jüngsten Bischofssynode könnte man vermuten, daß unter dem neuen Papst das Lateinische wieder in Vergessenheit gerät.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.10.2014 um 18.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#27028

Die Bischofssynode im Vatikan berät auf englisch, italienisch, französisch und spanisch. "Ein lateinischer Sprachzirkel wurde diesmal nicht gebildet. Die deutschsprachigen Mitglieder haben sich auf die bestehenden Gruppen aufgeteilt."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.09.2014 um 07.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#26747

Otto nennt vier Momente, die für das Erleben des religiösen Gefühls typisch sind: Das Tremendum = Das Schauervolle, Das Majestas = Das Übermächtige, Das Energische = Die Kraft, Der Wille, Das Mysterium = Das „Ganz Andere“. (Wikipedia s. v. Religion) Übrigens erinnere ich mich noch, daß Rudolf Otto, um den es hier geht, mal groß in Mode war. Ich habe noch im Ohr, wie Professoren verschiedener Disziplinen vom "Mysterium tremendum" und vom "Numinosen" raunten, als wüßten sie etwas.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.09.2014 um 09.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#26737

In der FAZ las ich vor einigen Tagen in realiter, sehe nun, daß es dafür Hunderte von Belegen auch in (oft juristischen) Fachtexten gibt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.08.2014 um 06.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#26600

In der FAZ vom 22.8.14 berichtet Heike Schmoll über Bestrebungen in NRW, das Latinum für Lehramtsstudenten in Französisch, Englisch, Geschichte und Philosophie fallenzulassen. Sie erwägt auch, der Slogan „Curriculum sine latinum“ könnte bewußt grammatisch falsch gebildet sein; das scheint aber nicht zuzutreffen. Schmoll bezieht sich übrigens auf einen Artikel, der – in krausem Deutsch – schon 2013 in einer studentischen Zeitschrift erschienen ist.
Man muß sich entscheiden, ob der neusprachliche Unterricht weiterhin propädeutisch für ein Studium der Philologie sein soll oder die Vermittlung praktischer Sprachkenntnis. Philologen kommen nicht ohne Sprachgeschichte aus, „Sprachmeister“ dagegen sehr wohl. Der Franzose kann üblicherweise kein Latein, warum sollte der Französischlernende es können? Warum sollte der Französischlehrer es können, wenn es ihm beim Unterrichten des modernen Französisch nicht hilft?
Es ist immer noch der alte Streit, der mal in „Der Sprachunterricht muß umkehren“ einen Höhepunkt erreicht hatte. Solange die Gymnasien darauf bestehen, in den neueren Sprachen ebenso umfassende Kulturkunde zu betreiben wie in den alten, werden sie mit der Konkurrenz von „Berlitz“ usw. leben müssen.
Richtig liegen die Studentenvertreter mit ihrem Hinweis, daß die Verkürzung der Studiendauer sich nicht mit nachgeholtem Latein verträgt. Ähnlich steht es natürlich mit all den Philologien, für die man in der Regel eine fremde Sprache wie Japanisch oder Chinesisch erst von Grund auf lernen muß. Ich glaube nicht, daß z. B. Sinologie in weniger als zehn Semestern zu einigermaßen sinnvollen Ergebnissen führen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.05.2014 um 06.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#25927

Lateinmeister Stroh erzählt an mehreren Stellen eine schöne Anekdote:

„Gerade in diesen Zeremonien kenne ich mich persönlich gut aus, da ich vor knapp zwei Jahrzehnten (1992) selber im württembergischen Rottweil eine altrömische Museumseinweihung in der Rolle eines pontifex durchzuführen hatte. Als einweihender und die Pfosten haltender Beamter war damals der amtierende badenwürttembergische Ministerpräsident Teufel vorgesehen. Da nun aber beide christlichen Kirchen kurz vor Beginn gegen die „heidnische“ Veranstaltung protestierten und mit dem Boykott der für den vorausgehenden Festgottesdienst bestimmten Kirchenchöre drohten, musste der christliche und im Wahlkampf befindliche Teufel zurücktreten und seine Aufgabe dem harmloseren Museumsdirektor Filtzinger überlassen – der das dann auch zur völligsten Zufriedenheit erledigte. Dank dem Skandälchen waren immerhin, auch von weither, gegen 10.000 Leute als Zuschauer zusammengekommen – denen ich versicherte, dass ich weder daran dächte, durch meine Opfer das Heidentum wiedereinzuführen noch mit den zur Dekoration engagierten Legionären die Bundeswehr zu ersetzen.“

("Cicero und die römische Religion", ähnlich in "Latein ist tot")
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.05.2014 um 16.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#25837

zwei Foveae zentralia (Friedhart Klix: Erwachendes Denken. Berlin 1983:26)
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 06.05.2014 um 14.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#25781

Habe die Quellenangabe zum Artikel vergessen:
Alan L. Bates: German for Optimists, TWA Ambassador, April 1990, S. 78ff.
Die Verbzweitstellung ist natürlich eine Gemeinsamkeit des Deutschen und Englischen im Gegensatz zur völlig freien Stellung zumindest im literarischen Latein, wie wir es lernen. Aber wie schon erwähnt: ein mathematisch genaues Maß der Ähnlichkeit wird man nicht definieren können.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.05.2014 um 14.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#25773

Nun, ich habe ja nicht gesagt, daß Englisch und Deutsch in diesen drei Bereichen übereinstimmen, im Gegenteil, ich habe oft genug Gelegenheit gehabt, auf die Unterschiede hinzuweisen. Mir scheint aber, daß die "Freiheit" der deutschen Satzgliedstellung etwas anderes ist als die der lateinischen. Wir haben die Verbzweitstellung und die "Grundordnung" (nach Zemb), d. h. eine sukzessive Spezifikation von rechts nach links, wie sie besonders im Nebensatz zum Ausdruck kommt und sich bei Linksattributen und in der Zusammensetzung wiederholt. Daß Englisch und Deutsch Artikelsprachen sind, macht typologisch einen enormen Unterschied aus. Mit dem Griechischen hat das Deutsche dies und den Gebrauch der vielen Partikeln gemeinsam (Coseriu hat das stark hervorgehoben). Das deutsche und das englische Tempussystem sind verschieden, aber z. B. gegenüber der lateinischen Consecutio temporum vielleicht doch einander ähnlicher. Damit habe ich mich noch nicht gründlicher beschäftigt.
Griechisch ist mir immer dem Deutschen ähnlich und daher für uns sehr leicht vorgekommen. Freilich erfordert der Wortschatz des Epos und der Dramatiker ein unermüdliches Nachschlagen. Aber gerade die Wortbildungsfreudigkeit des Griechischen ist ja wieder eher deutsch und englisch als lateinisch.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 05.05.2014 um 14.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#25772

Ein genaues, in eine einzige Zahl geronnenes Maß für die Ähnlichkeit zweier Sprachen wird sich wohl kaum definieren lassen, aber gerade im Bereich Artikelgebrauch, Satzgliedstellung, Tempussystem gibt es ja erhebliche Unterschiede zwischen Deutsch und Englisch. Etwa die starre Satzgliedstellung des Englischen gegenüber der beweglichen bei Deutsch und Latein. Beim Artikelgebrauch ist das Deutsche dem Griechischen besonders ähnlich. (Mehr Griechisch in die Schulen?!) Unkenntnis dieser Eigenheiten führt bekanntlich zum häufigen Möchtegern-Englisch in der Art
I walked along the Blackstock Road near the Finsbury Park station, when I for the first time the drunken saw.
Gut, etwas überspitzt, die richtige Verbstellung kriegen die meisten noch hin, aber bis zu
I was walking along Blackstock Road near Finsbury Park station, when I saw those drunken guys the first time
ist es ein langer, steiniger Weg.
Und hat man es dann kapiert, stößt man auf Sätze wie
A scheme had been devised in 1926 where a line would be thrown off near Kilburn and drop down into a tube tunnel beneath the Edgware Road to join the Circle Line near Edgware Road Station, (..).[M.A.C. Horne, The Bakerloo Line, 1990, S. 37]
(...) a half mile extension was built to the right along the High Street to Bushey Road, (...).[Terry Russell, Croydon's Trolleybusses, 1996, S. 4]
Habe im Archiv noch einen hübschen Artikel zum Thema. Da heißt es u.a.:
"In this article, you'll learn how to create the very useful sentence: "The horse looked over the farmer's fence at the hay in the field."
The sentence starts with the fundamental English article, the. This is a very useful word, and when an American sees or hears it, he or she immediately knows that it refers to something. This is also true in Deutsch, but the German expects much more from his articles. They must predict the gender, number and grammtical case of the nouns to which they refer. Without this advance warning of impeding events, the German will be unable to understand the sentence.
There are 16 German the's, and since each of them must agree with its noun, it is wise to have the entire sentence in mind before you even take a breath to speak.
Englisch German
Masculine Feminine Neuter Plural
the (subject) der die das die
(of) the des der dem den
(to) the dem der den der
the (object) den die das die
(There is also a comparaative the for advanced students, called desto. It has no sex.)"
– Der Autor ist offenbar heillos verwirrt ob dieser Formenvielfalt. –
"(...) We regard the hay and the fence as neuter and are done with them. But the German lives in a very sexy (but not lascivious) grammatical world. To him the:
* horse (Pferd) is neuter [1][2]
[1] We can change the horse to a mare by adding -in to make Pferdin, but we'd bette not do this. (See special note.)
[2]German-English lexicons are teeming with footnotes and other special notations, so we thought we'd give you some practice.
Special note: It's better to call her die Stute which is feminine. A stallion is der Hengst because we cannot make das Pferd masculine whatever we do. Is this perfectly clear?
(...)
* fence (Zaun) is masculine, or
* fence (Hecke) is feminine, or
* fence (Staket) is neuter;(...)"
– Die Übersetzungliste stammt aus dem Langenscheidt-Wörterbuch –
"Every sentence needs a verb. We have at least three from which to choose:
* to look – sehen,
* to look – blicken, or
* to look – schauen.
Verbs, even in English, are subject to conjugation by time and by who or what is doing something, and this ist also true in Deutsch. German verbs are divided into two grand divisions titled "weak" and "strong". The weak verbs are the simple, ordinary ones that are all conjugated in the same way (ecxept as they are affected by prefixes, suffixes and stressed syllables; dictionaries list these exceptions by the hundreds.)
There are, perhaps, 15 regular weak verbs in the entire German vocabulary.
All of the other thousands of verbs are strong and each of them involves one or more esoteric exceptions to the rules. (English has some irregular verbs, too, most of which, incidentally, are of Germanic derivation.)"
– Das muß man natürlich nicht wörtlich nehmen, aber der Autor ist erkennbar erschlagen von dem bißchen Flexion. Daß sehen – sah – gesehen dasselbe ist wie see – saw – seen, entgeht ihm völlig, so fremd ist ihm die ganze Systematik. –
"(...) Of course, we have not described the horse as white, big or tame, all of which it is. Adjectives are declined in the same way as nouns, except that once the gender of the noun is predicted by the first article or adjective, all additional descriptions must be feminine – with certain exceptions, of course. (...)
We may now take a deep breath and plunge into the maelstrom of German communication by saying "Das Pferd sah über die Hecke des Bauers zum Heu im Feld." (The words zu and dem can be melded into zum without penalty.)
What could be easier?"
– Der Autor verwechselt also der Bauer und das Bauer samt den entsprechenden Deklinationsklassen. –

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.05.2014 um 16.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#25750

Vor einigen Jahren wurde über die Einführung eines "Mini-Latinums" für Germanistikstudenten in Vechta berichtet. Ich weiß nicht, was aus diesem Projekt Wilfried Kürschners geworden ist. Eigentlich ist es ganz vernünftig.

Wolfgang Krischke schrieb damals in der ZEIT:

„Auf Latein fiel die Wahl, weil es grammatisch dem Deutschen in vielem vergleichbarer ist als zum Beispiel Englisch und die Lateingrammatik ohnehin für die Beschreibung der europäischen Sprachen das Vorbild liefert.“

Letzteres stimmt natürlich, man kann höchstens einwenden, daß diese Lateinschablone der Darstellung der anderen Sprachen nicht immer gut bekommen ist.

Aber ist das Lateinische dem Deutschen wirklich grammatisch ähnlicher als das Englische? Soll man das bißchen Flexion so wichtig finden? Mir kommen andere Eigenschaften wichtiger vor: Artikelgebrauch, Satzgliedstellung, Tempussystem.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2014 um 14.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#25719

Schröder verkörpert geradezu die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen in personam. (ZEIT 29.4.14)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2014 um 07.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#25135

Verben, die mit einem Accusativum cum infinitivum (AcI) auftreten
(Bochumer Linguistische Arbeitsberichte 6/2011)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2014 um 05.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#25001

Der Vatikan kommt auch nicht zurecht. (Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21373 und Herrn Wrases Ergänzung):

Die Normen des Motu Proprios "Sacramentorum sanctitatis tutela" (2001): Geschichtliche Einführung (...) Die Normen des Motu Proprio „SACRAMENTORUM SANCTITATIS TUTELA“ (2001) (...) Neun Jahre nach Promulgation des Motuproprio „Sacramentorum sanctitatis tutela“... (http://www.vatican.va/resources/index_ge.htm)
 
 

Kommentar von Theodoer Ickler, verfaßt am 26.01.2014 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24948

Nach Jahren wieder mal bei Wikipedia s. v. "Präteritopräsens" vorbeigeschaut. Da steht immer noch zweimal Präteritopräsentium als vermeintlicher Singular. Es erinnert an die Standhaftigkeit so mancher Magistra Artia. Da wollen wir nicht stören.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2014 um 06.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24912

Theo Sommer ist ja nun vorbestraft, wegen Steuerhinterziehung in gewaltigem Ausmaß. Das geht uns eigentlich nichts an, außer daß es auf den Oberlehrer der Nation (jahrzehntelang auf der ersten Seite seines Intelligenzblattes) doch ein schräges Licht wirft.

Ich möchte noch etwas zu unseres "Germanisten" Mahnung nachtragen, jeder Abiturient sollte so weit in einem altsprachlichen Wörterbuch nachschlagen können, daß er nicht als "Mrs. Maloprop" (recte Malaprop) erscheine. Ist das aber nicht nur eine etwas feinere Variante der gewöhnlichen Angeberei mit Fremdsprachen? Es wäre doch viel einfacher und ehrlicher, von vornherein gar nicht erst über seine sprachlichen Verhältnisse zu leben. Wenn man erst nachschlagen muß, um sich korrekt auf griechisch ausdrücken zu können, kann man sich doch gleich auf deutsch ausdrücken.
Anders gesagt: Die Bildung fängt erst an, wo die Bildungsprotzerei aufhört.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 21.01.2014 um 14.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24901

"Visum" ist ein Neutrum wie "Forum", gleiche Deklinationsklasse. Daß "Visum" zudem das Partizip von "vidêre" ist, tut dabei nichts zur Sache.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.01.2014 um 16.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24867

Einen ähnlichen Fall hatten wir schon mal (1194#22957):
Visum, Plural Visa oder Visen
Da wird, wenn ich es recht verstehe, das Partizip visum so behandelt, als sei es ein Neutrum wie Forum.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.01.2014 um 05.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24865

Der Plural von Quorum lautet Quoren, ganz Schlaue sagen Quora. Man behandelt in beiden Fällen den lateinischen Genitiv des Plurals so, als handele es sich um ein Neutrum wie Forum. Solche Umdeutungen sind ganz normal.

Was bei den Entlehnungen in aller Welt täglich geschieht, ist im Grunde ungeheuerlich, kannibalisch, die reine Barbarei. Aber auch die gewöhnliche Sprachgeschichte ist voller Umdeutungen, die man dem Etymologen gar nicht glauben möchte, wenn er davon berichtet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.01.2014 um 06.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24789

Für Corpi Delicti - mit unterschiedlicher Groß- und Kleinschreibung - (vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=846#8932) bietet Google inzwischen rund 2000 Belege, auch aus angesehenen Verlagen. Das ist wohl nicht aufzuhalten. Man kann es aber auch nicht als Sprachwandel im Deutschen ansehen, denn der Ehrgeiz der Schreiber ist ja weiterhin auf das Lateinische gerichtet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.01.2014 um 10.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24735

Wie man im Internet sehen kann, wird John Horne Tookes "Epea pteroenta" mit einer Abbildung des Merkur eingeleitet, unter der ein Horaz-Zitat steht: Dum brevis esse laboro, obscurus fio. Das f wird manchmal falsch gelesen, und so ist es im Britischen Museum katalogisiert: Dum brevis esse laboro, obscurus sio.

Man kann sich denken, wie der griechische Titel des Werks, das auch mit dem Untertitel "Diversions of Purley" bekannt ist, oft wiedergegeben wird, auch in Katalogen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.12.2013 um 05.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24707

Eine Aufsatzsammlung des Germanisten Ulrich Engel hat den Titel „Gaudium in scientia linguarum“ (2006)- wie eine päpstliche Enzyklika. Wer denkt sich so etwas aus?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.11.2013 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24377

In Daniel Dennetts "Breaking the Spell" wird die lateinische Bibel zitiert: eum qui audit manebit in sternum. Offenbar hat da jemand die Ligatur aus a und e nicht richtig umgesetzt. So wird es dann auch in anderen Texten weitergegeben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2013 um 06.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24172

Vor über 30 Jahren erfand ein Medizinsoziologe den Begriff Salutogenese. Das hat sich als Geschäftsidee prima bewährt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.09.2013 um 05.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24110

Vom Lateinischen ist die Erinnerung geblieben, daß die Wörter miteinander kongruieren müssen; für manche Autoren bedeutet dies, daß es sich reimt. So wird aus der differentia specifica das differentiam specificam (Ulrich Püschel: Semantisch-syntaktische Relationen. Tübingen 1975:116) oder differentium spezificum (Gadamer/Vogler [Hg.]: Psychologische Anthropologie. Stuttgart 1973:107. – Gadamer war Altphilologe!). Das sacrificium intellectus wird zum sacrificium intellectum (FAZ 17.10.78). Die Rhetorik ist die Kunst der Überredung, ars persuanda (Walther Dieckmann: Sprache in der Politik. Heidelberg 1969:27); auch das ebenso sinnlose ars memoria ist reichlich belegt. Nach Kongruenz sieht es aus, wenn die Zeitung schreibt: Lange Zeit war es ein „Thema non grata“ für die CDU/CSU (Westf. Nachrichten 23.2.85).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.09.2013 um 16.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24105

Anfang des Jahres gab Papst Benedikt seinen Rücktritt bekannt. Der lateinische Text ist sehr kurz, acht Sätze. Daraufhin entspann sich ein Streit, an dem sich die besten Lateinkenner (Wilfried Stroh, Karl August Neuhausen u. a.), mit jahrzehntelanger Erfahrung in lateinischen Stilübungen, beteiligten, über die grammatische und stilistische Korrektheit dieses Textes.

Anderswo habe ich Helmut Glück zitiert, der Latein als quicklebendig bezeichnet hatte (siehe hier).

Aber auch wenn man Ciceros sämtliche Werke auswendig kann, ist nur sicher, was er geschrieben hat, nicht, was er sonst noch hätte schreiben können. Außerdem: die römische Umgangssprache ist nur sehr unvollkommen bekannt, und doch war sie, wie jederzeit in jeder Sprachgemeinschaft, der Hintergrund aller Äußerungen. Niemand kann sagen, daß er Latein "kann", weil das eben bei einer toten Sprache, einer "Korpussprache", unmöglich ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.09.2013 um 06.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#24006

Ich bin auf folgende Stelle hingewiesen worden:
Jürgen Kesting übersetzt Soli Deo Gloria mit Dem alleinigen Gott die Ehre (FAZ 7.9.13) Dabei hat er sich offenbar von Wikipedia helfen lassen:
"Soli Deo gloria (wörtlich „dem alleinigen Gott die Ehre“, deutsch meist mit „Gott allein zur Ehre“ wiedergegeben) ist eine in der frühen Neuzeit viel gebrauchte lateinische Wendung."
Dann wäre sola scriptura, sola gratia, sola fide "wörtlich" die alleinige Schrift, durch die alleinige Gnade, durch den alleinigen Glauben. Aber das ist Unsinn, die "Wörtlichkeit" nur eine scheinbare.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2013 um 04.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#23993

Gerhard Schröder will in Herne auch mal ganz derbe reden. Es gehört gewissermaßen zum guten Ton hier. "Die Menschen im Ruhrgebiet sind Freunde des klaren Wortes", hat die Bundestagskandidatin Michelle Müntefering den SPD-Altkanzler zur Begrüßung ermuntert. Also sagt Schröder irgendwann auch mal laut "Scheiße" und "Orkus". (Welt 6.9.13 online)

Der "derbe" Ausdruck Orkus scheint zu jener Anekdote von Karl Bühler zu passen: www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=196#8466.

Man muß es nur schrödersch genug aussprechen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2013 um 15.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#23972

Die FAZ (2.9.13) berichtet über die Braunschweiger Landesausstellung „Roms vergessener Feldzug“. Man muß also auf allerlei gefaßt sein. Der erste Soldatenkaiser, Maximinus Thrax, soll der "damnatio memorae" verfallen sein, wie gleich dreimal in Kursiv- und Kleinschreibung, also echt lateinisch berichtet wird. Das ist nicht schön. Zu den abgebildeten Bodenfunden gehört auch eine „Ziegelführung“ (gemeint: Zügelführung). Die Ausstellung rücke den Mythos der Varusschlacht “zu Recht“. Wie schon beim Grammatiker Dionysios Thrax würde ich auch bei Kaiser Maximinus nicht von „Thrax“ sprechen. (In Ludger Hoffmanns Handbuch der deutschen Wortarten heißt der Grammatiker „D. Thrax“, also analog „W. Grießhaber“, was ziemlich seltsam wirkt.)
 
 

Kommentar von BS, verfaßt am 01.03.2013 um 18.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#22732

Nachlassende Lateinkenntnisse:
Der Kabarettist Dietmar Wischmeyer brachte gestern in einem Beitrag (in "Spaß5" auf WDR5) die Formel "In nomine patri et filii...". Den Unsinn höre ich nicht zum ersten Mal; wenn man sich über die katholische Kirche lustigmachen will, ist das allerdings schon etwas peinlich... (Daß das dritte Glied dann spiritûs heißt, überfordert die Leute vollends, vielleicht hören sie deshalb nach dem Sohn auf.)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.02.2013 um 17.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#22723

Was gegen die aktive Beherrschung des klassischen Lateins spricht, steht in meiner Lateinischen Sprachlehre von Schmidt / Wecker von 1950: "Der Lateiner faßt auch alle abhängigen Fragen als bloße Meinung des Fragenden, also als innerlich abhängig auf, der Deutsche nicht alle. Sie stehen im Lateinischen im Konjunktiv. ... Im Lateinischen steht der Konjunktiv, auch wenn der Satz nach unserem Empfinden eine Tatsache enthält. ... Im Deutschen steht in allen diesen Fällen der Indikativ."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2013 um 17.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#22709

Der Deutsche Altphilologenverband gibt eine Online-Zeitschrift "Pegasus" heraus:

"Es gilt die neue Rechtschreibung."

Das wollen wir uns einmal ansehen:

Josef Rabl berichtet über das Bundessprachenfest, dass vom 12.-14. Juni in Erfurt durchgeführt wurde.

Frauke Hanebeck und Christina Portz stellen ein Projekt vor, dass zu den Siegern des Bundesfremdsprachenwettbewerbs 2006 gehörte.


Manfred Fuhrmann, seither verstorben, entwickelt in einem Beitrag die Bildungsidee des Lateinunterrichts:

„Die aktive Beherrschung des Lateinischen ist seit dem 18. Jahrhundert dahin, und der humanistische Glaube an die Bildung seit der ersten Hälfte des zwanzigsten. Doch Teilfunktionen haben diese Schwundprozesse ohne Schaden überlebt, und eine davon ist die Schulung in der Muttersprache. ‚Lateinunterricht ist Deutschunterricht’: diese Devise gilt zunächst, wie allgemein anerkannt, für die Syntax, für die grammatischen Strukturen. Keine romanische und keine andere germanische Sprache hat ein dem Deutschen vergleichbares Flexionssystem bewahrt, und slawische Sprachen pflegen bei uns wenig erlernt zu werden. So bleibt das Lateinische, als Kontrast, aber auch als Parallele, die viel gerühmte Sprachreflexion zu betreiben und hierdurch zu bewusster Handhabung des Deutschen anzuleiten. Wer nach einem Beispiel für diese Thesen fragt, der sei auf die indirekte Rede verwiesen: Hier liegt eine Besonderheit des Deutschen vor, deren korrekte Handhabung vielen schwer fällt und für die allein das Lateinische mit Vergleichbarem aufwartet.“

Wie wäre es, wenn die Herausgeber sich einmal mit dem deutschen Relativsatz beschäftigten? Es gibt allerdings noch mehr zu tun: Detlev Baur vergleicht zwei münchner Inszenierungen der Euripidestragödie ...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2013 um 07.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#22623

Die Ansprache, mit der Papst Benedikt seinen Rücktritt ankündigte, ist in sehr einfachem Latein verfaßt. Man kann es auch ohne vertiefte Kenntnisse beim ersten Hören verstehen. Damit sind wir wieder bei der alten Einsicht, daß Sprachen, wenn sie von Nichtmuttersprachlern verwendet werden, tatsächlich besonders einfach werden. Englisch wird vielleicht inzwischen mehr als Zweit- und Fremdsprache verwendet denn als Muttersprache, ist daher in seinem Kern besonders einfach. "Eine Sprache ist einfach, wenn man schnell an jenen Punkt gelangt, an dem jede Sprache schwer wird." (Gauger, aus dem Gedächtnis zitiert). "Harry Potter" konnte wohl nur auf englisch von Millionen nicht-anglophonen Kindern verschlungen werden.
Man sagt ja auch, Latein hätte Welthilfssprache bleiben können, wenn die Humanisten nicht den Ehrgeiz gehabt hätten, wie Cicero zu schreiben und jede Abweichung als Barbarismus zu verdammen. Das kann sich nur jemand leisten, der außer Lateinlernen gar nichts anderes vorhat.
Wenn die Entscheidung nicht längst für Englisch gefallen wäre, könnte man sich eine zweite Schiene des Lateinunterrichts vorstellen, der ohne philologischen Ehrgeiz eine Welthilfssprache Latein vermittelt. Aber wie gesagt, die Chance ist vorbei.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.02.2013 um 05.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#22557

Landshuter Literaturtage: Ausstellung über bayerische Emi- und Immigranten (Literaturportal Bayern Nov. 2012)

vom Emi- zum Immigranten (Rüdiger Zill)

Es gibt noch mehr Belege für solche Granten.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 28.11.2012 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#22021

Inzwischen ist bei Wikipedia zu Motu proprio der Plural Motuproprios angegeben, was schon besser ist (vgl. Kommentar vom 04.09.2012). Aber schief ist es immer noch, weil Motuproprios nicht die Pluralform von Motu proprio ist, sondern von Motuproprio, der eindeutschenden Zusammenziehung.

Ich stieß auf dieses Thema, weil bei Wikipedia ab und zu die Genitivform des Motu proprios auftaucht, z. B. im Artikel über das Bistum Palestrina. Obwohl es genauso klingt wie ein korrekt gebildeter Genitiv des Motuproprios, wirkt des Motu proprios falsch. Analog gebildet wäre ungefähr *des Primus omniums oder im Deutschen *des Vater unsers.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2012 um 07.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21998

Vergangene Woche hat die päpstliche Lateinakademie ihre Arbeit aufgenommen. Das Personal wird hauptsächlich aus italienischen Altphilologen bestehen. Mal sehen, ob es was bewirkt. Joseph Ratzinger verfolgt damit ja eine bestimmte innerkirchliche Absicht, die nicht auf die Förderung des Lateins in der heutigen Welt hinausläuft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2012 um 11.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21766

Der betagte Jesuitenpater Peter Gumpel berichtet (SZ 23.10.12), daß beim II. Vaticanum viele Bischöfe nicht genug Latein konnten, so daß er selbst rund 100 Reden geschrieben oder redigiert habe. Die Abkehr von der lateinischen Liturgie sei auch durch diesen Umstand motiviert gewesen. Vermutet hatte ich es schon.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2012 um 05.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21656

Hildegard von Bingen, deren Name heute im Milieu der Reformhäuser vermarktet wird, ist kürzlich heiliggesprochen und nun auch zur Kirchenlehrerin ernannt worden. Die meisten Journalisten scheinen etwas ratlos zu sein, was den „Schatz“ (Deutschlandradio) betrifft, der in ihrer Hinterlassenschaft zu heben sei. Manche bezeichnen sie als „deutschsprachige Kirchenlehrerin“. Da muß man ein bißchen warnen: ohne Latein geht es nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2012 um 04.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21373

Nachdem ich bemerkt hatte, daß die deutschen Bischöfe nicht wissen, ob man im kirchensprachlichen Motu proprio das Adjektiv groß oder klein schreiben soll, bin ich bei Wiki auf etwas noch viel Seltsameres gestoßen, nämlich die Pluralbildung:

Ein Motu proprio (lateinisch „aus eigenem Beweggrund“, sinngemäß: „selbst veranlasst“; auch: Motuproprio; Plural: Motibus Propriis) (...) Liste von Motibus propriis

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 01.09.2012 um 08.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21356

Nur in der deutschen Meldung steht inscription. Wenn man nach "Andrea Tornielli" zusammen mit "cursus electronici" sucht, sieht man, daß es im Original inscriptio heißt. Daß einem Schreiber die Endung ...tion herausrutscht, wo es ausnahmsweise ...tio heißen sollte, ist ein nachvollziehbarer Tippfehler. Außerdem könnte es sich um eine Einwirkung des Rechtschreibprogramms handeln.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2012 um 05.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21353

Papst Benedikt will eine Latein-Akademie einrichten. Die Presse berichtet:

„Im Vatikan wird ‚E-Mail-Adresse‘ mit inscription cursus electronici übersetzt.“
http://www.katholisches.info/2012/08/31/benedikt-xvi-errichtet-papstliche-lateinakademie-starkung-der-universalen-sprache-der-kirche/

Wirklich?

„Tornielli erinnert daran, daß nach der Veröffentlichung der Enzyklika Caritas in veritate im Juli 2009 von der renommierten Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica einige der neugeschaffenen Worte als diskutabel bezeichnet wurden, so die Begriffe delocalizatio, anticonceptio und sterilizatio, während sie andere ausdrücklich begrüßte, so plenior libertas für Liberalisierung oder fanaticus furor für Fanatismus. Zu den Neuschöpfungen gehören auch fontes alterius generis für alternative Energiequellen oder fontes energiae qui non renovantur für nicht erneuerbare Energiequellen.“

Warum nicht gleich Esperanto? Latein als „heilige“ und „unveränderbare Sprache“ der Kirche (Johannes XXIII ebd.) ist doch eine Illusion.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 25.08.2012 um 02.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21309

Im Duden 11 "Redewendungen" heißt es zu stolz wie ein Pfau, schon Ovid habe für eine Frau das Bild stolzer als ein Pfau gefunden, superbio pavone. Ausgerechnet das hintere r von superbior fehlt im Zitat – man mag nicht so recht an einen Tippfehler glauben. Denn superbio sieht schön lateinisch aus, so wie superbia (Stolz).
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.08.2012 um 17.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21270

Interessante Frage, wer mit der Latinisierung griechischer Namen angefangen hat, die Römer oder die lateinische Kirche. Luther hat sich wohl nicht getraut, bei der deutschen Bibelübersetzung aus dem Hebräischen und Griechischen auf die griechischen Originalnamen zurückzugreifen, sonst hätte Schiller sicher Ibykos auf Timotheos gereimt. (Den Sänger Ibykos hat es wirklich gegeben.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.08.2012 um 06.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21268

Hatte ich eigentlich erwähnt, daß Theo Sommer von "algorythmischem" Denken und den "Kranichen des Ibikos" spricht?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.07.2012 um 16.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21094

Ich habe vor 45 Jahren mit einem kleinen Langenscheidt-Übungsbuch ("Russisch in 30 Stunden") angefangen. Das fing mit Leseübungen an, und zwar so, daß vertraute Wörter (tomat) allmählich durch weniger vertraute ergänzt wurden, so ging das ganz leicht.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.07.2012 um 15.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21092

Die Besonderheiten der kyrillischen Schrift bestehen darin, daßvom griechischen Alphabet das Fehlen eigener Schriftzeichens für die Konsonanten [h] und [j] übernommen wurde und dann die unterschiedlichsten und uneinheitlichen Methoden entwickelt wurden, diese Laute ausdrücken zu können. (Zur Zeit der Entstehung der kyrillischen Schrift hatten die Griechen den Spiritus asper schon aufgegeben. Ukrainer und Weißrussen sprechen einfach den Buchstaben für g als [h].) Nur für den Konsonanten für [b] wurde ein eigenes Zeichen erfunden, weil der griechische Buchstabe Beta damals schon als [w] gesprochen wurde.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 19.07.2012 um 14.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21090

Das Schnellernen fremder Schriften trifft wohl zu auf unsereinen, die wir sprachlich vorbelastet sind. Ich habe etliche Nachmittage und Abende zugebracht, um einer Freundin die kyrillische Schrift zu erklären, damit sie im Rußlandurlaub wenigstens ein paar Schilder lesen kann. Allein schon der Unterschied zwischen Es und Se (nicht der See oder die See, sondern das Se...) war ein Kraftakt, von Feinheiten wie weiches und hartes Zeichen gar nicht zu reden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.07.2012 um 05.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21087

In der Tat, das kyrillische Alphabet zu lernen ist eine Sache von Minuten, und dann braucht man noch einen Nachmittag, um es einzuüben. Anders sieht es dann mit Handschriftlichem aus. (Falls Sie mir einen russischen Brief schreiben wollen, benutzen Sie bitte die Maschine.)
Meine eigene Handschrift kann fast niemand lesen, aber meine Frau und meine Töchter sind daran gewöhnt und haben keine Probleme. (Vielleicht rührt meine Kritik an der Graphologie auch daher, daß ich fürchte, mir ein ebenso vernichtendes Urteil zuzuziehen, wie der bucklige Lichtenberg es von der Physiognomik zu gewärtigen hatte ...)

Wenn man in die ältere Schrift eingeübt ist, liest man wohl auch die von Herrn Markner angeführten Gleim und Kästner ohne Mühe. Ich habe Kollegen, deren handschriftliche Briefe ich so gut wie nicht entziffern kann. Jeder nutzt die Redundanzen auf seine Weise, und in jede kann man sich eingewöhnen, das wissen die Herausgeber handschriftlicher Nachlässe.

Ich hatte kürzlich Gelegenheit, 40 Jahre alte Schönschreibhefte aus einer bayerischen Dorfschule durchzusehen. Umwerfend! Man kann natürlich fragen, wozu das gut war, ebenso wie die kilometerlangen Stickereien unserer Großeltern usw. Aber was tun die Leute heute mit ihrer angeblich gewonnenen Zeit? Diesen Vergleich halten die Älteren jedenfalls aus.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 19.07.2012 um 04.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21086

Ein paar Proben gefällig?
www.ub.uni-bielefeld.de/cgi-bin/nav_autogr.cgi?autogr=gleim-1
www.ub.uni-bielefeld.de/cgi-bin/nav_autogr.cgi?autogr=kaestner-1
(Mehr an gleicher Stelle.)
Beide Autoren, Gleim und Kästner, waren gleichaltrig.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 18.07.2012 um 23.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21085

In dieser Hinsicht sind die mathematischen Wissenschaften außerordentlich bildend. Ich habe daraus das griechische Alphabet und die „deutsche Schrift“ gelernt. Ersteres hat mir in der Tat das Erlernen des russischen Alphabets erleichtert. Allerdings empfand ich das Erlernen des Alphabets sowieso als das Leichteste am Russischlernen. Ich hätte es wohl auch so schnell gelernt.

Die Verwendung von Frakturbuchstaben für Vektoren ist inzwischen aber wohl auch der Globalisierung zum Opfer gefallen.

Noch zur „kulturellen Amnesie“: Ich kann mich nicht erinnern, daß mir irgend jemand in meiner Schulzeit in den 50er und 60er Jahren das Lesen von Frakturschriften beigebracht hätte. Das habe ich mir wohl in der elterlichen Bibliothek selbst beigebracht. Die handschriftliche Form habe ich aber erst in der Physik gelernt.

Ich muß allerdings gestehen, daß mir die Lektüre der schriftlichen Hinterlassenschaften meines Großvaters doch größte Mühe bereitet. Ich nehme mir immer mal wieder vor, mich auf den Hosenboden zu setzen, aber ...

Dabei habe ich den Eindruck, daß die frühere deutsche Handschrift bei unterschiedlichen Schreibern viel einheitlicher ausfällt als die lateinische Handschrift. Täusche ich mich, weil mir die Unterschiede nicht so ausfallen? Wenn nicht, liegt es daran, das man früher in der Schule und im Leben größeren Wert auf eine saubere Handschrift legte? Oder liegt es daran, daß diese Schrift von vornherein besser auf Handschrift zugeschnitten war als die aus Druckbuchstaben abgeleitete lateinische Handschrift?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.07.2012 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21084

Allein schon, um sich nicht als "Mrs. Maloprop" zu blamieren. Z.B. kann man sich in der Mathematik, Naturwissenschaft und Technik Fremdwörter viel besser merken, wenn man ihre wörtliche Bedeutung kennt oder ableiten kann..
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.07.2012 um 15.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21083

Warum denn das? Und warum jeder Abiturient?

Ja, Homer habe ich gern gelesen, aber es ist natürlich ein ganz anderes "Lesen" als bei Autoren der Neuzeit. Homers Sprache ist auch für jemanden, der gründlich das attische Normalgriechisch gelernt hat, schockierend fremdartig und schwierig, es gibt ganze Bücher über ungeklärte oder zumindest besonders erklärungsbedürftige "Homerische Wörter" (das ist ein bekannter Titel).
Mein Homer ist von Anfang bis Ende mit meinen Bleistifteintragungen verziert, das Ergebnis Tausender von Nachschlaghandlungen.

Dazu fällt mir etwas Anekdotisches ein: Während meines Indogermanistikstudiums besuchte ich ein Seminar beim betagten Josef Weisweiler in Marburg: "Sprachwissenschaftliche Lektüre der Odyssee" oder so ähnlich. Wir waren nur drei oder vier Studenten, deshalb konnte ich schlecht wegbleiben, aber wir sind in einem ganzen Semester nicht über den ersten Vers hinausgekommen!

Ich selbst habe ja erst als Student angefangen, Griechisch zu lernen, dann allerdings mit Lust die wesentlichen Werke durchgearbeitet, später selbst an der Uni und in der Schule Griechisch unterrichtet. Gerade deshalb bin ich skeptisch, wenn von "jedem Abiturienten" altsprachliche Kenntnisse verlangt werden. Schön, wenn man's kann, aber es geht auch anders.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.07.2012 um 15.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21082

Nicht jeder "Gebildete" muß die griechischen und lateinischen Schriftsteller im Original lesen können (obwohl es bei Homer wirklich Spaß macht). Aber jeder Abiturient sollte in der Lage sein, lateinische und griechische Fremdwörter und ihre Wortbildung zu analysieren, und dazu das griechische Alphabet soweit kennen, daß er Wörter im Griechisch-Wörterbuch nachschlagen kann. (Außerdem erleichtert das Griechische Koinä-Alphabet das Erlernen der kyrillischen Druckbuchstaben.)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 18.07.2012 um 02.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21081

Kulturelle Selbstentwurzelung und kollektive Amnesie ist für deutsche Schüler billiger zu haben. Man verzichtet einfach darauf, ihnen das Lesen von Frakturschriften beizubringen.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 17.07.2012 um 16.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21079

Wenn es um "ein Modell für Sprache überhaupt" geht, bei der "die Strukturen von Sprache" im "Grammatikunterricht systematisch und sicher nicht ohne Mühen grundgelegt" werden, sollten wir an unseren Schulen vielleicht Sanskrit unterrichten (da lernt man was über Dual und so).
Das Klagen über "kulturelle Selbstentwurzelung und kollektive Amnesie" hört man auch oft, wenn die Leute heute nicht mehr die diversen christlichen Heiligenlegenden und ihre Ikonographie kennen. Desgleichen, siehe den im Diskussionsforum dargestellten FAZ-Artikel, wenn die Schüler nicht mehr, wie noch im Rühmann-Film zu sehen, wie aus der Pistole geschossen die diversen Schlachtorte des Dreißigjährigen Krieges herunterbeten können – im damals selbstverständlich noch völlig ideologiefreien Unterricht ("Unser Kaiser ist ein guter Mann, er wohnet in Berlin; und wäre es nicht so weit, ich ginge heut' noch hin.")
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2012 um 12.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1528#21077

Sommer spekuliert auch, daß Lyndon B. Johnson sich vielleicht nicht auf den Vietnamkrieg eingelassen hätte, wenn er Thukydides gelesen hätte (dort besonders die Sizilien-Expedition). Wie kann man solch einen Unsinn verzapfen? Übrigens hat der Vietnamkrieg meiner Ansicht nach wenig Ähnlichkeit mit dem Peloponnesischen Krieg. Eher könnte man an den Rußlandfeldzug Napoleons denken. Aber Napoleon dürfte Thukydides gelesen haben, auf französisch.

Dieselben Philologen, die es falsch finden, die Antike nur durch Übersetzungen kennenzulernen, schreiben: „Genau genommen verkörpern freilich nicht die Römer, sondern die Griechen den Anfang unserer kulturellen Einflussgrößen. Doch vermittelt gerade das Lateinische die griechische Geistestradition in die folgenden Jahrhunderte. Hier sei als idealtypisches Beispiel der enzyklopädische Eklektizismus Ciceros angeführt.“ (Friedrich Maier) – Hier soll also das „Ad fontes!“ plötzlich nicht mehr gelten, man begnügt sich mit der römischen Übersetzung der griechischen Kultur, als wenn das nicht ebenso eine Umgestaltung wäre wie die moderne Rezeption. Der einzige Grund ist die Tatsache, daß praktisch kein Griechischunterricht mehr stattfindet und daher auch kein Bedürfnis mehr besteht, ihn zu rechtfertigen.

Auch Friedrich Maier versteigt sich zu der Behauptung: „Ein Verzicht auf das Lateinische käme sicherlich, zugespitzt gesprochen, einer kulturellen Selbstentwurzelung und kollektiven Amnesie gleich, was schon aus anthropologischen Gründen fragwürdig wäre.“

„Aus anthropologischen Gründen“! Wissen diese Leute, was sie da sagen? Das volle Menschsein beginnt mit dem Lateinunterricht; diesseits davon gibt es höchstens Anthropoiden - oder wie soll man das verstehen?

Auch Sommers Vortrag enthält, bei allen Vorbehalten, viel Kränkendes für Menschen, die kein Latein gelernt haben. Sie haben anscheinend einen Defekt, gerade auch in moralischer Hinsicht.

Helmut Meißner schreibt: „Latein ist nach wie vor ein Modell für Sprache überhaupt und damit im Idealfall – als erste Fremdsprache – und auch sonst ein symbolisches Charakterfach des Gymnasiums. Die Strukturen von Sprache werden im lateinischen Grammatikunterricht systematisch und sicher nicht ohne Mühen grundgelegt, sprachliche Phänomene nach Form und Funktion eingeordnet. Weder das Fach Deutsch noch die modernen Fremdsprachen bieten vergleichbare Bildungseinsichten.“

Ausgerechnet an einer toten Sprache, die üblicherweise auch nicht so unterrichtet wird, als könne sie noch gesprochen werden, soll das Wesen der menschlichen Sprache schlechthin gezeigt werden? Seit 200 Jahren bemüht sich die Sprachwissenschaft, andere Sprachen nicht mehr durch die Brille einer einzigen zu sehen, d. h. sich vom Modell der lateinischen zu befreien. Die lateinische Sprache steht gleichberechtigt, aber nicht privilegiert unter den Sprachen der Welt. Sie ist nicht ein „Modell für Sprache überhaupt“. Gegen diese Einsicht ist die Mehrheit der Altphilologen immun.
 
 

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