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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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26.05.2013
 

Derselbe
Die Sprachgewohnheiten altern sehr ungleichmäßig

Eduard Engel hat die Gewohnheit seiner Zeitgenossen, das einfache Personalpronomen der dritten Person durch derselbe zu ersetzen, als eine von drei Hauptsünden angeprangert und so viele Beispiele gehäuft, daß einem wirklich übel werden kann. Freilich mußte er, wie in vielen anderen Fällen, zugeben, daß auch von ihm hochverehrte Autoren gesündigt haben.

Heute ist diese Mode völlig aufgegeben, und es schmerzt uns geradezu, wenn wir in sonst unveralteten Meisterwerken wie etwa der Deutschen Grammatik von Hermann Paul ein Gewitter von denselben auf uns prasseln sehen. Der große Mann hatte offenbar gar kein Gefühl dafür.

Aber auch bei Goethe steht in einem seiner berühmtesten Gedichte (!):

Aber wo ist Krug und Eimer?
Sie bedarf derselben nicht.


(Mir ist das gestern eingefallen, weil in der FAZ-Anthologie Goethes "Lied und Gebilde" besprochen wurde – Schöpft des Dichters reine Hand / Wasser wird sich ballen – ohne Erwähnung der Paria-Legende.)

Wer weiß, welche sprachlichen Marotten aus unserer Zeit unseren Nachfahren besonders auffallen werden?



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Kommentare zu »Derselbe«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.05.2013 um 15.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1555#23271

Als kleiner Nachtrag hier eine Stelle aus Hermann Pauls Deutscher Grammatik (IV:64):

Es handelt sich bei dem grammatischen Tempus immer um ein relatives Verhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkte. Als solcher bietet sich zunächst die Gegenwart dar. Für ein mit derselben gleichzeitiges Geschehen stand im Idg. das Präs. zur Verfügung, für ein derselben vorangehendes das Perf., für ein derselben folgendes das Fut. Man kann aber auch den Ausgang von einem Punkte der Vergangenheit nehmen. Die Gleichzeitigkeit mit einem solchen wurde im Idg. durch das Imperf. bezeichnet, was aber doch nicht die einzige Funktion desselben war, ein demselben vorangehendes Geschehen durch das Plusquamp.; für ein demselben folgendes stand kein besonderes Tempus zur Verfügung, es ließ sich nur, wie das zum Teil geschehen ist, durch Umschreibung helfen.

Man sieht, der Text ist nicht veraltet – bis eben auf dieses derselbe.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.05.2013 um 23.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1555#23278

Die oiden Rittersleut: "Nur die Geister von densölben spuken nachts in den Gewölben."
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 29.05.2013 um 10.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1555#23289

Das Dativ-e in "Zeitpunkte" wirkt auf mich reichlich angestaubt, jedenfalls in stärkerem Maße als "derselbe".
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 29.05.2013 um 11.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1555#23291

Ketzerische Frage: Vielleicht ist das einfach schlechter Stil? Vereinzelte derselbe könnte man als zeitgenössische Ausdrucksweise einordnen. Aber in dieser Häufung empfinde ich dasselbe als Verweis-Manie und als Zumutung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2013 um 12.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1555#23317

Nein, das war damals weithin so üblich, man hat derselbe einfach als normale Form des rückverweisenden Pronomens empfunden. Wenn Paul wirklich "denselben" meint, schreibt er getrennt: der selbe. Dabei muß man wirklich sagen, daß Paul sein ganzes Leben lang eine gleichmäßig schnörkellose Wissenschaftsprosa geschrieben hat, seine Erblindung hat daran nichts geändert.
Man kann ja jetzt auch die meisterhaften "Prinzipien" herunterladen und darin nach solchen Wörtern suchen. Die von mir zitierte Stelle aus der Grammatik ist gewiß ein wenig listig ausgesucht, aber sehr viel anders liest sich das übrige auch nicht.
Übrigens bin ich darauf gestoßen, daß Hermann Paul offenbar "Zeitunk" gesprochen hat ...

Aber die "Prinzipien" muß man immer wieder lesen! Wie oft gerät ein heutiger Junggermanist ins Staunen, daß "schon bei Paul" stehe usw.

Zum Beispiel in Kapitel 5 alles über das Verhältnis von Regel und Muster. Da braucht man nicht auf einen gewissen Pinker zu warten.

Das Dativ-e (auch an Fremdwörter gehängt) hat Paul wahrscheinlich nur geschrieben, nicht gesprochen. Veraltet wirkt auch die (nicht konsequente, damals gerade absterbende) lateinische Flexion den Nominibus usw.
 
 

Kommentar von Kelkin, verfaßt am 10.06.2013 um 11.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1555#23393

Sprachmarotten unserer Zeit:
1) Schon am Aussterben: Das Auslagern des Subjets aus dem Hauptsatz – in 80ern und 90ern in jeder Nachrichtenform zu finden, heute fast nur noch in den Börsennotizen ("Und der Doller, er bewegt sich bei...")
2) Ebenfalls häufig in den Nachrichten, aber offenbar mit "Strahlkraft" in die Alltagssprache: Hinweiszitate nicht mit "laut" oder "zufolge" sonden mit "nach". Das führt häufig zu mißverständlichen Wendungen ("Der Verdächtige erschoß sich nach Angaben der Polizei.").
3) Denglisch. Spätestens dann, wenn die Chinesen das Ruder übernehmen, will das niemand mehr hören und klebt in Museen wie französelnde Briefe aus der Vor-Goethe-Zeit in Weimar.
4) Sprachlenkungsversuche wie Feminismus-Sprech und "Die Bibel in gerechter Sprache". Chancengleichheit kann man damit nicht herbeireden, aber vorgaukeln.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2024 um 18.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1555#54386

„Der Knecht trieb die Pferde an und der Wagen rollte davon. Lange sah Florian demselben nach, dann schloß er das Einfahrgatter und lehnte sich an dasselbe.“ So schreibt kein geringerer als Ludwig Anzengruber (Der Schandfleck), ein hervorragender Stilist, für den die Wendung offenbar ganz normal klang.
 
 

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