12.04.2008

Bastian Sick im Samstagsinterview

„Ich will niemanden belehren“

Im Interview mit dem Schweizer „Bund“ äußert sich B. Sick unter anderem über die Rechtschreibreform.

Für die grösste Verärgerung beim Thema Deutsch in den letzten Jahrzehnten hat sicher die Rechtschreibreform gesorgt. Was halten Sie von ihr?

Letztlich nicht viel. Sie war sicherlich gut gemeint und hatte im Ansatz gute Ideen, wie jede Reform. In Gang gesetzt wurde der Prozess ja bereits in den 70er-Jahren. Manche der damaligen Vorschläge waren noch viel radikaler, es ging zum Beispiel um die Abschaffung der Grossschreibung.

Wäre das ein Fehler?

Das weiss ich nicht. Andere Sprachen wie Englisch oder Französisch kommen auch ohne Grossschreibung aus. Das hätte man im Deutschen genau so machen können, aber das wäre ein sehr radikaler Eingriff gewesen. Einer, den man vielleicht schon vor 100 Jahren hätte machen müssen.

Gegen die Rechtschreibreform, die dann effektiv eingeführt wurde, haben sich vor allem Schriftsteller gewehrt.

Zu Recht. Gerade weil im Bereich der Zusammen- und Getrenntschreibung Dinge beschlossen worden sind, die der Logik der Sprache widersprachen.

Jetzt wurde diese Reform teilweise rückgängig gemacht.

Man hat fünf oder sechs Punkte, die wirklich auch sinnvoll waren, bestehen lassen. Zum Beispiel die Unterscheidung zwischen scharfem S und Doppel-S. In der Schweiz ist das ohnehin irrelevant, bei Ihnen wurde das scharfe S schon vor geraumer Zeit abgeschafft. Ferner ist es jetzt zulässig, st zu trennen. Bis zur Reform galt die Regel: «Trenne nie st, denn es tut ihm weh.» Das hatten wir den Schriftsetzern zu verdanken. Die Buchstaben S und T waren durch eine Ligatur verbunden, und für die Setzer galt es als unschön, diese Ligatur aufzulösen. So wurde daraus die Regel, dass man S und T nie trennen dürfe. Und diese Regel ist nun abgeschafft worden.

Gibt es andere sinnvolle Reformen?

Dass man substantivierte Adverbien grossschreibt, zum Beispiel «im Allgemeinen» oder «in Bezug auf».

Alles in allem: Hätte man die Rechtschreibreform auch bleiben lassen können?

Letztlich schon. Die tatsächlichen Veränderungen sind so minimal, dass sie vielen gar nicht auffallen. Viele Leute schreiben auch nach wie vor so, wie sie das gelernt haben, ohne dass der Unterschied gross auffiele.


Quelle: espace.ch
Link: http://www.espace.ch/artikel_507439.html

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