18.05.2018


Sprachplauderei: Eine Lanze für die Rechtschreibung

Vor vier Wochen ging es hier um den Unterschied zwischen aufs Geratewohl (richtig) und aufs Geradewohl (falsch). Das rief einen Leser auf den Plan: „Hören Sie doch endlich auf mit Ihrem Rechtschreibfimmel! Das interessiert niemanden mehr.“ Sprach’s und hängte wieder auf.

„Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben“ heißt ein verdienstvolles Bändchen aus dem Duden Verlag (64 Seiten, 8 Euro), das genau für das Gegenteil steht. Grundlage ist der Mitschnitt einer Podiumsdiskussion in der Berliner Dudenredaktion, zu der die Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum den Schauspieler Burghart Klaußner, die Lehrerin und Schulentwicklerin Ulrike Holzwarth-Raether sowie den Jenaer Sprachwissenschaftler Peter Gallmann eingeladen hatte. Ein Streitgespräch im wahren Wortsinn war bei dieser Zusammensetzung nicht zu erwarten – ein junger Simser, der Orthografie für ein fossiles Relikt hält, fehlte leider. Aber bei der Lektüre des Resümees fallen doch einige Gründe an, warum es in der Tat auch heute nicht egal ist, mit welcher Qualität wir Texte zu Papier bringen.

Dass die Rechtschreibschwäche zunimmt, ist ein Fakt. Aber woran liegt das? In der Schule hat Rechtschreibung nicht mehr den Stellenwert von früher, was aber nicht unbedingt an einem bewussten Hintanstellen liegt, sondern an der wachsenden Komplexität des gesamten Lehrstoffs. Dazu kommt der Einfluss durch die Migration, durch die schnellen IT-Medien, durch die Sogwirkung des Englischen. Und einiges spricht auch für einen gezielten Regelbruch, den Jugendliche als eine Form des Widerstands zelebrieren.

Auf der anderen Seite vergibt sich eine Gesellschaft enorm viel, wenn sie die korrekte Form des Schreibens vernachlässigt. Weil Rechtschreibung zur Zivilisation gehört, zum strukturierten Denken, zum Respekt gegenüber der Muttersprache, weil sie zur Chancengleichheit beiträgt, weil sie etwa bei Bewerbungen über Lebenswege entscheidet – kurz: weil man Inhalt immer ernster nimmt, wenn die Form stimmt. All dies wird in der Broschüre thematisiert.

Einen Webfehler hat sie allerdings: Zwei der Diskutanten sind Mitglieder des 2004 ins Leben gerufenen Deutschen Rechtschreibrats. Und so verwundert es nicht, dass an einer Stelle die bei der Reform eingeführte Variantenschreibung als sinnvolles Konzept schöngeredet wird. Dass man also schwarzes Brett schreiben kann oder Schwarzes Brett, schwarzes Gold oder Schwarzes Gold, beim Schwarzen Meer oder beim Schwarzen Freitag aber nur die eine Form gilt. Eingeweihte wissen, warum das so kam: Zur Zweidrittelmehrheit verpflichtet, musste sich die internationale Expertenrunde bei Uneinigkeit notgedrungen immer für Varianten entscheiden. Also eine Verlegenheitslösung – und mit schlimmen Folgen. Wenn mir die Neuregelung die Möglichkeit lässt, hoch geehrt zu schreiben oder hochgeehrt, warum soll ich mich dann bei hochgelehrt an eine einzige vorgeschriebene Form halten? So fragt sich der sprachwissenschaftlich unbedarfte Schreiber – und schludert fortan munter vor sich hin. Dass eine solche Attitüde höchst ansteckend ist, versteht sich.

Aber unterm Strich geht das Bändchen in Ordnung. An einer Stelle merkt Kunkel-Razum an, man wundere sich manchmal über die Fehler auf den Speisekarten von nicht gerade billigen Restaurants. Und da denke man dann: Ob die wohl genauso kochen, wie sie schreiben? Da ist was dran. Lammnüschen an Fifferlingsauce – alles schon gehabt.

Quelle: Schwäbische Zeitung
Link: https://www.schwaebische.de/ueberregional/kultur_artikel,-sprachplauderei-eine-lanze-f%C3%BCr-die-rechtschreibung-_arid,10871455.html

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