13.11.2013


Dankwart Guratzsch

Prominenter Linguist verlässt den Rechtschreib-Rat

Spektakulärer Rücktritt im Rat für Rechtschreibung: Der Linguist Peter Eisenberg kündigt seine Mitarbeit auf. Es gab offenbar Streit um neue Erklärungen zu vereinfachten Kommaregeln.

Im Rat für deutsche Rechtschreibung ist es zu einem Eklat gekommen. Der von der Akademie für Sprache und Dichtung entsandte Potsdamer Linguist Peter Eisenberg hat nach "Welt"-Informationen seine Mitarbeit aufgekündigt.

Eisenberg ist bereits der dritte prominente Sprachwissenschaftler, der nach der 1996 in Kraft getretenen Rechtschreibreform zurücktritt. Er war wesentlich an der Straffung und Umformulierung der Regeln in eine verständliche Sprache beteiligt. Die Fortsetzung dieser Arbeit ist nun gefährdet.

Der Rechtschreibrat hat bislang keine Erklärung zu dem Rücktritt herausgegeben. Auf "Welt"-Anfrage sagte Geschäftsführerin Kerstin Güthert lediglich: "Das ist ja nicht der erste Wechsel und deshalb nichts Außergewöhnliches." Im Sekretariat der Kultusministerkonferenz äußerte sich der Leiter der Schulabteilung Tobias Funk überrascht; man sehe aber "keinen Anlass für eine Reaktion".

Instanz für die Einheitlichkeit der Rechtschreibung

Dabei haben bereits mehrere spektakuläre Austritte auf Auseinandersetzungen in dem Gremium hingedeutet, das als zentrale Instanz für die Einheitlichkeit der Rechtschreibung sorgen soll. So hatte sich als erster prominenter Linguist schon ein Jahr nach der Reform von 1996 der Erlanger Sprachwissenschaftler Horst Haider Munske aus der damaligen Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung zurückgezogen.

Sein Schritt galt als aufsehenerregend, weil Munske ursprünglich selbst zu den glühenden Verfechtern einer Rechtschreibreform gehört hatte. Die dann aber beschlossenen Neuerungen betrachtete er als "Überrumpelungsaktion" der Kultusminister der Länder und erklärte schließlich enttäuscht: "Was ich nicht für richtig halte, will ich nicht mitverantworten."

2006 war dann Theodor Ickler als zweiter prominenter Kritiker aus dem Rechtschreibrat ausgestiegen, auch er aus Protest gegen die Reform.

Seit 2003 an Kompromiss gearbeitet

Nun wiegt der Fall Eisenberg besonders schwer: Denn wie Munske hatte er der Kommission schon einmal den Rücken gekehrt und sich 1998 dem Protest von 600 Fachkollegen angeschlossen. Seit 2003 saß der Potsdamer Wissenschaftler dann aber für die Akademie für Sprache und Dichtung an einem Kompromissvorschlag. Und 2005 stellte er sich dem Rechtschreibrat erneut zur Verfügung, wo er dann zu den wichtigsten Überarbeitern der neuen Schreibregeln gehörte. Am ersten Rückbau der Reform 2006, bei dem viele alte Schreibungen wieder zugelassen wurden, hatte Eisenberg wesentlichen Anteil.

Eisenbergs neuerlicher Ausstieg bedeutet für die weitere Arbeit des Rates eine Zäsur. Erst im Oktober hatte das zwischenstaatliche Gremium nämlich öffentlich eingestehen müssen, dass nur noch "22 Prozent der getesteten Schülerinnen und Schüler in der 9. Jahrgangsstufe als kompetente Rechtschreiber angesehen werden" können. 27,2 Prozent erreichen demnach "die in den Standards der deutschen Kultusministerkonferenz formulierten Erwartungen nicht".

Die konkreten Auswirkungen der Rechtschreibreform auf diese Fehlerhäufigkeit wurden in der Stellungnahme zwar nicht explizit erwähnt, ein Zusammenhang also nicht hergestellt. Eine repräsentative Untersuchung dazu hat der Rat aber auch weder selbst erarbeitet noch in Auftrag gegeben. Selbst die oben genannten Vergleichszahlen sind nur im Anhang des Schriftsatzes versteckt. Grundsätzliche Fragen darf sich der Rat seinem Auftrag gemäß nicht stellen: Zwar soll er sich mit der "Weiterentwicklung" der Rechtschreibung befassen, jedoch nur "im unerlässlichen Umfang".

Regelwerk wird für unverständlich gehalten

Das Werk als solches infrage zu stellen, ist ihm also nicht erlaubt. Dabei sehen viele Lehrer und Fachwissenschaftler einen maßgeblichen Grund für die mangelnde Akzeptanz der neuen Rechtschreibung gerade darin, dass das Regelwerk für unverständlich und widersprüchlich sei. Peter Eisenberg macht deutlich, was dies in der Schulrealität bedeutet: "Die Lehrer wissen teilweise nicht, warum eine bestimmte Regel gelten soll. Deshalb können sie das Regelwerk den Schülern auch nicht anschaulich vermitteln."

Überdies wird die sperrige Textfassung der Regeln als Ursache dafür angesehen, dass der Duden erstmals seit Jahrzehnten davon absieht, die geltenden Regeln in seinen neuesten Auflagen abzudrucken. Darum hatte der Rat 2010 beschlossen, einen "Paralleltext" zu den amtlichen Regeln zu verfassen, der "halb so lang und doppelt so verständlich" (Eisenberg) wie der des vorliegenden Regelwerks sein sollte. An der Ausarbeitung war Peter Eisenberg maßgeblich beteiligt, der nun berichtet, dass das zentrale Kapitel zur Groß- und Kleinschreibung auch bereits einvernehmlich abgesegnet sei.

Vor Beschlussfassung über den zweiten Komplex, die Vereinfachung der Kommaregeln, aber legten sich laut Eisenberg "Beharrungskräfte" im Rat quer, weil sie eine Aufweichung der Reform im Ganzen befürchteten. Die Arbeit an der Vereinfachung wurde auf Ratsbeschluss eingestellt. Für den Potsdamer Linguisten war damit einer weiteren Zuarbeit der Boden entzogen. Seinerseits stellt sich der Rat nun den Auftrag, erneut zu prüfen, wo die Schwachstellen des amtlichen Regelwerks liegen.

Rücknahme von 17 "Verdeutschungen"

Frühere Prüfungen dieser Art sind langwierig und überwiegend ergebnisarm verlaufen. Ein Musterbeispiel hierfür ist die Zulassung von drei Neuschreibungen und die Rücknahme von 17 "Verdeutschungen" von Fremdwörtern im Jahr 2010. Dabei wurden ernsthaft Varianten diskutiert, die eher als Scherz empfunden werden mussten: So sollte unter anderem "Fassette", "Kabrio", "Krem", "Scharm", "Schose", "transchieren" geschrieben werden dürfen, ohne dass der Schüler Fehler angestrichen bekam.

Charakteristisch für die Leistungskraft des Rechtschreibrates sind die folgenden Daten. Um in gründlicher "wissenschaftlicher Einschätzung" festzustellen, dass derlei Schreibweisen kaum verwendet werden, brauchten die Hüter der Rechtschreibung in Kommission und Rat von 1996 bis 2010.

Noch ernüchternder ist eine zweite Bilanz: Nach der Stornierung von Eisenbergs "Paralleltext" bleibt die oben genannte Liste der 20 Wörter die einzige vorzeigbare Leistung des Rechtschreibrates in sieben Jahren. Dem steht eine beachtliche Reisebilanz gegenüber, die die Mitglieder unter anderem bis nach Eupen, Wien und Südtirol geführt hat.


(Unter der Überschrift „Reformstau im Rechtschreibrat“ ist dieser Artikel am 14. November in der gedruckten Ausgabe der WELT erschienen; vgl. hier.)


Quelle: WELT online
Link: http://www.welt.de/politik/deutschland/article121830472/Prominenter-Linguist-verlaesst-den-Rechtschreib-Rat.html

Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=706