11.11.2009 „Der Mensch ist schief“„Was ist da schief gelaufen?“In einem Interview äußert sich Reiner Kunze nicht nur „über Wunder, Bildung, Fische und Poesie“, wie es die LZ vermerkt, sondern auch über die Rechtschreibreform – die auch in diesem Text ihre Spuren in einer Weise hinterlassen hat, die Reiner Kunze nicht behagen dürfte.Ruhig, nachdenklich, so wirkt Reiner Kunze. Er wählt jedes Wort bewusst, seine Lippen formen die Laute genau. In der DDR galt der Dichter als politisch, gerade weil er sich auf das Individuelle konzentrierte. 1977 ließ er sich mit seiner Familie ausbürgern und zog nach Passau. Als am Montagabend im Salzstadel ein Film über ihn gezeigt wurde, hat er mit der LZ gesprochen. Dabei erzählte er unter anderem, warum er die Rechtschreibreform ablehnt und was Kois und Poesie gemeinsam haben. LZ: Herr Kunze, der 9. November ist der Tag des Mauerfalls. Was empfinden Sie? Reiner Kunze: Dass ich in meinem Leben ein Wunder erlebt habe: Ich habe zwar immer angenommen, dass sich Deutschland wiedervereinigen wird. Aber ich habe nicht geglaubt, es zu erleben. LZ: Die Wiedervereinigung enthält immer noch viel Zündstoff; die Vorurteile scheinen nicht zu schwinden. Was ist da schief gelaufen? Wenn etwas schief gelaufen ist, dann ist es der Mensch. Die Menschen sind schief. Bis es Gesamtdeutsche gibt, werden noch zwei Generationen vergehen müssen. LZ: Deutschland wird kritisiert, weil sein Bildungssystem angeblich die sozialen Unterschiede zementiert. Sie wurden in der DDR gefördert, gerade weil sie ein Arbeiterkind waren. Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion? Man kann die Probleme in der Bundesrepublik nicht in Beziehung setzen mit der Förderung von Arbeiterkindern in Ostdeutschland unmittelbar nach dem Krieg. Wir wurden gefördert, um ein riesiges politisches Lügengebäude zu stützen und dem Stalinismus zur Weltherrschaft zu verhelfen. Kinder, deren Väter zur Intelligenz gehörten, wurde die Weiterbildung sehr erschwert oder unmöglich gemacht. Die Schüler und Studenten, die sich jetzt gegen das Bachelor- und Master-System wehren, wehren sich zu Recht. Sie dürfen sicher sein, dass ich nicht der Zementierung sozialer Hürden das Wort rede. LZ: Sie sind ein entschiedener Gegner der Rechtschreibreform. Warum? Weil sie eine Katastrophe ist! Die Reform ist teilweise eine Rückentwicklung um 200 Jahre. Beispielsweise die Getrennt- und Zusammenschreibung: Ich kann einen Stuhl "richtig stellen", aber doch kein Missverständnis. Das muss ich "richtigstellen". "Vor Kurzem" bedeutet "kürzlich", nicht "vor dem Kurzen", also gehört es kleingeschrieben. LZ: Im Rathausfoyer sind Ihre Fotografie japanischer Farbkarpfen ausgestellt. Wie kamen Sie dazu, sich mit ihnen zu beschäftigen? Ich habe die Koi bei Lesungen in Japan kennengelernt. Da dachte ich noch nicht daran, selbst welche zu haben. Dann wollte meine Frau einen Teich, also habe ich angefangen zu graben. Der Teich wurde immer größer, und dann kamen die Fische. LZ: Was fasziniert Sie so an den Kois? Dass sie schön sind. Nicht nur der Fisch selbst: Es ist das Zusammenspiel von klarem Wasser, Sonne, Schilf und den Bewegungen der farbigen Fische. Sie leben seit Jahrhunderten mit den Menschen zusammen und kommunizieren mit ihnen. Ich hatte einen Fisch, den konnte ich rufen. Nebenbei: Koi wie die meinigen sind nicht teuer. LZ: Wo wir gerade beim Thema sind: Muss Poesie zuerst schön sein oder etwas aussagen? Inhalt und Form kann man bei Poesie nicht trennen. Mit Poesie muss man der Welt Welt hinzufügen, sie um Vorstellungen erweitern, die es bisher nicht gegeben hat. Das erfordert ein Maximum an Ausdruck bei einem Minimum an Mitteln. Das Interview führte Kathrin Geltinger. – Reiner Kunze liest am 11. November ab 19 Uhr im Salzstadel. Karten gibt es bei der Tourismus-Information im Rathaus. Quelle: Landshuter Zeitung Link: http://www.idowa.de/landshuter-zeitung/container/container/con/650623.html
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