27.06.2009


Torsten Harmsen

Totales Schreib-Chaos

Man erinnert sich: Die mehr als ein Jahrzehnt dauernde Rechtschreibreform sollte die deutsche Schriftsprache einfacher und einheitlicher machen.
Milliarden wurden dafür ausgegeben. Am Ende stand eine Reform der Reform, die größere Unübersichtlichkeit brachte als zuvor. Jetzt machen die im Juli erscheinenden neuen Ausgaben der großen deutschen Standard-Wörterbücher alles noch komplizierter. Der Duden (Bibliographisches Institut) und der Wahrig (Bertelsmann/Cornelsen) unterscheiden sich in Hunderten ihrer Empfehlungen voneinander. Wie einer schreibt, hängt jetzt davon ab, welches Buch er zufällig zu Hause hat. Ein wahres Chaos - nicht nur für Lehrer und Schüler.

Eine vorab kursierende Liste der Berliner Forschungsgruppe Deutsche Sprache führt gut 350 dieser Abweichungen auf. So empfiehlt der Duden zum Beispiel "Asyl suchend", der Wahrig "asylsuchend". Weitere Unterschiede: "bismarcksche" oder "Bismarck'sche" Sozialgesetze, "Schimäre" oder "Chimäre", "tschau!" oder "ciao!", "Kortison" oder "Cortison", "Dönerkebab" oder "Döner Kebab", Kakofonie" oder "Kakophonie", "seit Neuestem" oder "seit neuestem", "Play-back" oder "Playback".

Wie konnte das passieren? Nachdem die Reform zu einem heillosen Streit geführt hatte, ließ der im Jahr 2004 zur Streitschlichtung eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung bei Tausenden Wörtern mehrere Varianten zu. Der Duden hob daraufhin rot den ursprünglichen Reformvorschlag hervor ("Dienst tuend") und unterlegte seine eigene Empfehlung ("diensttuend") in Gelb. Nun, gerade mal drei Jahre danach, rückt er seine Empfehlungen an die erste Stelle und lässt den Rotdruck bei den Reformvarianten einfach weg. Man erkennt nicht mehr, was alt und was neu ist.

Der Wahrig wiederum empfiehlt vor allem die Schreibweisen, auf die sich die Nachrichtenagenturen 2006 einigten. Diese hatten sich damals - so ein Sprachforscher - mit einem komplizierten Mix aus Alt und Neu hinter den Wörterbüchern versteckt. Im Gegensatz zum Duden aber hebt der Wahrig auch noch die Reformvarianten hervor - in Blau.

Wie soll je wieder Einheitlichkeit in die Sprache kommen? Wahrscheinlich wird das nie geschehen. Jeder macht, was er will. Der Rechtschreibrat, der die Reformkorrekturen behutsam lenken sollte, scheint erledigt zu sein. Sein Vorsitzender Hans Zehetmair sagte, man wolle von nun an "intensiv in der Stille arbeiten und die Sprache beobachten". So als Hobby.

Bis in alle Ewigkeit können nun die Herren beim Scrabble über Varianten parlieren und sich dabei in ihren hoch subventionierten Ratssesseln räkeln (Wahrig) beziehungsweise rekeln (Duden).

Quelle: Berliner Zeitung
Link: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0627/feuilleton/0073/index.html

Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=620