18.08.2008 Nicht geliebt, aber angekommenZehn Jahre Rechtschreibreform: Die Schreibenden wünschen sich eindeutige Regeln. Dr. Matthias Wermke ist Leiter der Duden-Redaktion. Mit ihm sprach Birgit Eckes über die Bilanz nach zehn Jahren Rechtschreibreform.Zehn Jahre Rechtschreibreform. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus? Die neue Rechtschreibung wird zwar nicht geliebt. Aber sie ist im Alltag angekommen, trotz aller Unkenrufe. Mittlerweile wird sie in den meisten Publikationen verwendet, sogar in der FAZ. Und eine ganze Schülergeneration hat sie auch schon durchlaufen. Dennoch erinnern wir uns noch gut an den erbitterten Widerstand bei der Einführung. Das war bei der Einführung der „alten“ Rechtschreibung Ende des 19. Jahrhunderts nicht anders. Im Übrigen war Anlass für die Rechtschreibreform von 1996 der anhaltende Unmut über die komplizierten „alten“ Regeln. Diesmal wurde allerdings nachgebessert, zum Beispiel bei den Regeln für die Groß- und Kleinschreibung oder Zusammen- und Getrenntschreibung. In beiden Bereichen hat es gewisse Irritationen gegeben, so zum Beispiel bei der Schreibung von Zusammensetzungen aus zwei Verbgrundformen. Die sollten grundsätzlich nur noch getrennt geschrieben werden (sitzen bleiben). Die Überarbeitung der Regeln lässt jetzt auch in bestimmten Fällen wieder die Zusammenschreibung zu (sitzen bleiben oder sitzenbleiben = nicht versetzt werden). Insgesamt führen die Nachbesserungen aber nicht zu einer Rückkehr zur alten Rechtschreibung. Was jedoch zum weiteren Kritikpunkt wurde. Es gibt immer mehr verschiedene Schreibweisen für dieselben Wörter. Es ist eine alte Erfahrung der Duden-Sprachberatung, dass die Ratsuchenden nicht von uns wissen wollen, wie sie ein Wort schreiben können, sondern wie sie es schreiben sollen. . . Sie suchen nach eineindeutigen Regeln. Varianten entsprechen diesem Bedürfnis einfach nicht. War das ein Denkfehler der Reformatoren? Vielleicht haben sie das Sicherheitsbedürfnis der Schreibenden unterschätzt. Auch der Duden bietet zahlreiche verschiedene Schreibweisen an. Konnten Sie sich nicht entscheiden? Der Duden setzt alle amtlichen Rechtschreibregeln konsequent um. Das führt in vielen Fällen zur Angabe mehrerer Schreibungen. Im Sinne der Benutzer kennzeichnen wir allerdings diejenige Schreibweise, die wir empfehlen. Das ist unser Beitrag zum Erhalt einer möglichst einheitlichen Rechtschreibung. Sind weitere Änderungen zu erwarten? Kurzfristig: Nein. Rechtschreibregeln setzen sich im Laufe der Zeit durch. Das kann zwei, drei Generationen dauern. . . Trotzdem sind sie nicht in Stein gemeißelt. Es ist sinnvoll, sie in größeren Abständen zu überprüfen. Geht der Trend zur weiteren Individualisierung? Schon vor 1996 konnte im Prinzip jeder schreiben, wie er wollte. „Korrektes“ Schreiben wird ja nur an den Schulen eingefordert. Klar ist aber, dass die Schulrechtschreibung ganz allgemein Vorbildfunktion hat. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Sind die Jungen heute schlechter in Rechtschreibung als die Alten? Das kann man so nicht sagen. Vielleicht hatte es die Schülergeneration, die jetzt ins Berufsleben eintritt, in Sachen Rechtschreibung schwerer, weil auch ihre Lehrer anfangs noch verunsichert waren. Jetzt haben wir ein abgeschlossenes Regelwerk, und ich gehe davon aus, dass sich die Rechtschreib-Kompetenz nach und nach verbessert. Was halten Sie von Anglizismen in der deutschen Sprache? Seit es Menschen gibt, suchen sie Kontakt zueinander, handeln sie miteinander. Dabei ist es völlig natürlich, dass sie auch Wörter voneinander übernehmen. 25 Prozent unserer Standardwortschatzes stammen aus anderen Sprachen. Kiosk kommt aus dem Persischen, Alkohol aus dem Arabischen. Heute schöpfen wir aus dem Englischen. Vor 150 Jahren war es das Französische, aus dem wir Wörter wie Portemonnaie, Büro oder Trottoir übernommen haben. Vieles hat sich erhalten, anderes ist wieder verschwunden. Wo würden Sie die Grenze ziehen? Wörter aus fremden Sprachen sind dann willkommen, wenn sie unsere Ausdruckfähigkeit verbessern und unseren Wortschatz bereichern. Es ist durchaus ein Unterschied, ob ich von einem Gesicht oder einer Visage spreche. Wo Fremdwörter nur schmückendes Beiwerk sind oder die Verständigung erschweren, sind sie verzichtbar. Aber Achtung: Viele Fremdwörter sind Fachwörter und werden als solche gebraucht. Das gilt im Zweifel nicht für englischsprachige Werbesprüche. „Come in and find out“ - „Komm herein und finde wieder hinaus“ - oder was? Trotzdem machen sich viele Menschen Sorgen um eine Unterwanderung ihrer Sprache. Sind das geheime Okkupationsängste? Lassen Sie mich so antworten: In Österreich grassiert derzeit die Angst vor einer „Ver-Tschüssung“ der Sprache. Was passiert da? Das heimische „Servus“ wird immer häufiger durch „Tschüss“ ersetzt, anstelle von „Karfiol“ wird „Blumenkohl“ angeboten, das Wort „Tomate“ ersetzt öfter das traditionelle „Paradeiserl“. Hier ist der Aggressor nicht das Amerikanische, sondern unser gutes Deutsch. Und wie gehen wir damit um? Ihre Fragen zur Rechtschreibung beantwortet Dr. Matthias Wermke morgen von 11-13 Uhr unter der Rufnummer (0221) 1632-222. Quelle: Kölnische Rundschau Link: http://www.rundschau-online.de/html/artikel/1218382117226.shtml
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