08.01.2008


Schreiben für die Lesenden

St. Galler Tagblatt, Seite 2

Auf der „hintergrund“-Seite wird dargelegt, woran sich das Tagblatt orientiert.

(Bildunterschrift: Die Rechtschreibreform hat mehr Probleme geschaffen als beseitigt.)


Woran sich unser Blatt orientiert

Sprache ist die Grundlage jeder Zeitung. Wir bemühen uns um eine klare Ausdrucksweise, um Verständlichkeit und gute Lesbarkeit. Dabei vermeiden wir möglichst Jargon, Modewörter und auch Fremdwörter.

Schreiben muss aber auch Regeln folgen – die jedoch immer wieder neu gefasst und gestaltet werden. Die Rechtschreibereform der letzten Jahre hat allerdings mehr Unsicherheiten geschaffen als beseitigt.

In dieser Situation hält sich unsere Zeitung an die Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz.

Grundlage für die Arbeit der Redaktion ist zudem ein Vademecum, das von der speziell eingesetzten Arbeitsgruppe Rechtschreibung erarbeitet wurde. Es fasst die allgemeinen Regeln zusammen, listet einheitliche Schreibweisen auf für Eigennamen (zum Beispiel für arabische oder chinesische Personennamen), für Abkürzungen, Fremdwörter und geographische Begriffe, und es hält ressortspezifische Schreibungen und Regeln fest.

Dieses Vademecum versteht die Redaktion als Arbeitsgrundlage, die aber ständig angepasst, erweitert und ergänzt werden muss. Wie rasant sich gewisse Schreibmoden ändern, lässt sich an Namensschreibungen erkennen, die teils eher der Originalität als der Lesefreundlichkeit verpflichtet sind (iPod oder eBay) – hier den Mittelweg zwischen Originalschreibung und Korrektheit bzw. Leserdienlichkeit zu finden, ist nicht immer einfach.

Sprache und Rechtschreibung unterliegen zwar Veränderungen. Oberstes Gebot ist und bleibt aber die Verständlichkeit für die Lesenden. (red.)


Schreiben für die Lesenden

Die neue Rechtschreibung erschwert das Lesen, meint Peter Müller, Beauftragter für Rechtschreibung der SDA. Er ist Mitglied der Schweizer Orthographischen Konferenz, die in der Deutschschweizer Presse wieder eine sprachrichtige und einheitliche Rechtschreibung etablieren will.

Die verunglückte Rechtschreibreform hat zahlreiche Probleme hinterlassen. Zwei sind für unsere Branche besonders gravierend: die Erschwerung des Lesens und die Vervielfachung der Varianten.

Das ist ein fataler Ansatz in einer Zeit, in der das Lesen und die Zeitungen in der Defensive sind. Gefordert ist vielmehr, dem Leser den Zugang zu den Texten möglichst zu erleichtern. Das kann auf verschiedene Weise geschehen: durch einfach gebaute, kurze Sätze, durch Vermeiden unnötiger Fremdwörter, aber auch durch eine Rechtschreibung, die Bedeutungsunterschiede durch Unterscheidungsschreibung kennzeichnet.

Der neue Rat für deutsche Rechtschreibung sollte in der Folge den von der Zwischenstaatlichen Kommission angerichteten Schaden begrenzen. Die Konferenz der Erziehungsdirektoren EDK entsandte allerdings wiederum die bisherigen Mitglieder der aufgelösten Kommission, alles Hardliner der Reform, in den neuen Rat. Es kam, wie es kommen musste: Parallel zu den neuen formalistischen wurden auch die Schreibweisen der bisherigen semantischen (bedeutungsdifferenzierenden) Rechtschreibung wieder erlaubt, aber ohne die Bedeutung zu differenzieren! Das Resultat, die Regelung 06, ist ein heilloses Durcheinander: wohl bekannt kann nun auch wieder wohlbekannt geschrieben werden, soll aber das gleiche bedeuten.

Verfahrene Situation

In dieser verfahrenen Situation formierte sich 2006 die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK), mit dem Ziel, in der Deutschschweizer Presse wieder eine sprachrichtige und einheitliche Rechtschreibung zu etablieren. Eine aus Sprachwissenschaftern und Praktikern zusammengestellte Arbeitsgruppe der SOK erarbeitete Empfehlungen.

Zunächst war die Variantenflut einzudämmen. Dies geschieht ganz einfach durch die Anwendung des Grundsatzes «Bei Varianten die herkömmliche». Die herkömmliche Variante ist sowohl aus Duden wie Wahrig leicht zu eruieren, da die von der Reform vorgenommenen Änderungen farbig gedruckt sind.

Als Varianten bezeichnet die SOK jedoch unterschiedliche Schreibweisen, die das gleiche bedeuten. Wenn mit der unterschiedlichen Schreibweise ein Bedeutungsunterschied ausgedrückt werden kann, sind das keine oder unechte Varianten. Die SOK empfiehlt, in diesen Fällen den Bedeutungsunterschied kenntlich zu machen.

Bei ihrer Arbeit zur Eindämmung der Varianten und Wiederherstellung der Unterscheidungsschreibung hat die SOK Empfehlungen zu weiteren Unzulänglichkeiten der Regelung 06 erarbeitet. Dabei handelt es sich um willkürliche Änderungen, offensichtliche Fehler, Komplizierungen und die Missachtung des Schweizer Usus.

E oder ä?

Die von e auf ä geänderten Schreibweisen (Gämse) sind willkürlich herausgepickt. Mit der gleichen Begründung der «Stammschreibung» hätte man auch belägt (wegen Belag), dänken (wegen Gedanken), ädel (wegen Adel), Spängler (wegen Spange) und Dutzende, wenn nicht Hunderte weiterer Wörter verändern können.

Ähnlich bei den Einzelfallregelungen wie Ass, Tipp undMopp; verdoppelt man hier den auslautenden Konsonanten, so müsste man dies auch bei Flopp, Tripp, Hitt, fitt und anderen machen. Die SOK empfiehlt deshalb, diese geänderten Schreibweisen nicht zu beachten.

Gross oder klein?

Bei den Angaben von Tageszeiten empfiehlt die SOK: Die Bezeichnungen der Tageszeiten werden in Verbindung mit heute, gestern, morgen oder, wenn sie neben dem Namen eines Wochentags ohne Artikel stehen, klein geschrieben: heute abend, gestern vormittag, morgen mittag, vorgestern nacht, übermorgen mitternacht; Dienstag morgen, Freitag mittag, Sonntag nacht. Steht der Artikel vor dem Tagesnamen, so wird die Verbindung zusammengeschrieben: ein Sonntagabend, der Dienstagmorgen, der Montagnachmittag, in der Freitagnacht. Geht der Fügung eine mit dem Artikel verschmolzene Präposition (am, zum) oder bis voraus, so sind je nach Betonung beide Schreibweisen richtig: am Mittwochmorgen/Mittwoch morgen, bis Freitagabend/Freitag abend.

Komplizierungen auch bei der Gross-/Kleinschreibung. Die Grossschreibung der Substantive ist eine Errungenschaft des Deutschen. Sie ist eine Lesehilfe, die ad absurdum geführt wird, wenn Unwichtiges gross geschrieben werden muss.

Unnötiger Bindestrich

Die herkömmliche Regelung ist bestechend einfach, es ist unnötig, Ziffer und Buchstabe mit einem Bindestrich zu trennen: 19jährig, 32stel, 2fach, 90er, 90mal. Die Regelung 06 sieht einen schwer lernbaren Mischmasch vor: 19-jährig, 32stel, 2fach/2-fach, 90er, 90-mal.

Die Regelung 06 nimmt bei der Schreibweise von Fremdwörtern ungenügend auf unseren Usus Rücksicht. Als Grundsatz und wo anwendbar gilt der SOK: bei fremder Aussprache fremde Schreibweise.

Foto und Telefon

Bei der ph/f-Schreibung empfiehlt sie die einfache Regel, Foto, Fotograf, Grafik, Telefon und Telegraf und deren Ableitungen mit f zu schreiben, alle andern Wörter mit den Stämmen phot-, phon- und graph- jedoch nicht.

In festen Redewendungen vom Typ im dunkeln tappen ist eine klare Entscheidung für Gross- oder Kleinschreibung in der Tat nicht immer möglich. Die SOK empfiehlt daher, die Schreibweise dem Schreiber zu überlassen und damit auch hier die Regelung 06, die Grossschreibung verlangt, nicht anzuwenden.

Die SOK empfiehlt, bei Verbindungen mit -mal wie in der herkömmlichen Rechtschreibung die Betonung über die Schreibweise entscheiden zu lassen: Du hast mir nicht ein Mal geschrieben! bedeutet etwas anderes als Du hast mir nicht einmal geschrieben!

In weiteren Fällen verzichtet die SOK auf eine Empfehlung: bei der t/z-Schreibung (potentiell/potenziell), bei einzelnen Fremdwörtern (circa/zirka, Disc/Disk) sowie bei Alptraum/Albtraum. Für Alb- spricht die Etymologie, es geht wie Elfe, Alraun, Alberich auf althochdeutsches alb, die Bezeichnung des Nachtmahrs, zurück (Walter Heuer, Deutsch unter der Lupe). Für Alp- spricht die Aussprache (Auslautverhärtung).

Peter Müller ist Direktor Marketing & Informatik der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA). Er ist Leiter der Arbeitsgruppe deutsche Rechtschreibung der SDA und Mitglied der Arbeitsgruppe Schweizer Orthographische Konferenz.


Aufwendig statt aufwändig

Die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) empfiehlt:

• Bei Varianten die herkömmliche verwenden:
aufwendig (nicht: aufwändig)
aufs äusserste gespannt sein (nicht: Äusserste)
recht haben (nicht: Recht)
hochachten (nicht: hoch achten)
wie war’s, wie hältst du’s (nicht: wars, dus)
selbständig (nicht: selbstständig)

• Bedeutungsdifferenzierungen beachten:
wohl durchdacht/wohldurchdacht
viel versprechend/vielversprechend
deutsch-schweizerisch/deutschschweizerisch

• Die Wechsel von e auf ä und andere Änderungen in Einzelfällen nicht beachten:
Stengel (nicht: Stängel)
Gemse (nicht: Gämse)
Greuel (nicht: Gräuel)
behende (nicht: behände)
schneuzen (nicht: schnäuzen)
einbleuen (nicht: einbläuen)
As (nicht: Ass)
rauh (nicht: rau)
Zäheit (nicht: Zähheit, sondern wie Hoheit)
Tip (nicht: Tipp)
Stop (nicht: Stopp)

• Falsche Herleitungen und die falsche Grossschreibung bei Tageszeiten nicht beachten:
belemmert (nicht: belämmert)
Zierat (nicht: Zierrat)
Quentchen (nicht: Quäntchen)
plazieren (nicht: platzieren)
greulich (nicht: gräulich)
numerieren (nicht: nummerieren)
heute abend (nicht: heute Abend)
Dienstag morgen (nicht: Dienstagmorgen)

• Die von der Regelung verursachten Komplizierungen nicht beachten:
19jährig, der 19jährige, 2fach, 90mal (nicht: 19-jährig, der 19-Jährige, 2-fach, 90-mal)
der erstere, der eine, der andere (nicht: der Erstere, der Eine, der Andere)
im übrigen, bei weitem, aufs beste (nicht: im Übrigen, bei Weitem, aufs Beste)
Circulus vitiosus, Ultima ratio (nicht: Circulus Vitiosus, Ultima Ratio)

• Bei Fremdwörtern den Schweizer Usus beachten:
Caramel (nicht: Karamell)
Communiqué (nicht: Kommuniqué)
Couvert (nicht: Kuvert)
Crème (nicht: Creme, Krem)
Menu (nicht: Menü)
Pole Position (nicht: Poleposition)

• In einigen Fällen die Variantenschreibung gelten lassen:
im dunkeln / Dunkeln tappen
im trüben / Trüben fischen
zum besten / Besten geben
beim alten / Alten bleiben
sich im klaren / Klaren sein
seine Schäfchen ins trockene / Trockene bringen

Verbindungen mit -mal (je nach Betonung):
einmal / ein Mal
jedesmal / jedes Mal
das erstemal / das erste Mal
zum erstenmal / zum ersten Mal

• Die SOK verzichtet auf eine Empfehlung bei folgenden Wörtern:
circa/zirka
Disc/Disk
potentiell/potenziell
Albtraum/Alptraum

www.sok.ch



Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=567