11.03.2006


Henryk Goldberg

Wie es euch gefällt

Was ein Glück. Ich darf dem allergeliebtesten Wesen, dem Leser, wieder ein höfliches „Du“ entbieten; ich darf mich wieder freuen, wenn meine Zeitung einem Hohen Haus die Rote Karte zeigt.

Und die Mehrheit ist hoch beglückt, dass es nun vorbei ist. Am Ende wollten fast alle nur noch, dass es aufhört. Der Normalbürger hatte schon lange resigniert abgewinkt, es war ein Thema für Akademiker, Pädagogen und andere Minderheiten.

Peinlicher war nie eine Reform. Und grundlegender als die deutsche Kultusministerkonferenz (KMK) hat nie ein Deutschlehrer den Menschen die Rechtschreibung als etwas Hassenswertes beschrieben. Die KMK zelebrierte bis zum Exzess, was Michael Naumann einmal "Verfassungsfolklore" nannten; ihr Recht, etwas zu entscheiden, wovon sie nichts versteht. Es ist absurd, wenn Landesminister, die durch diese und jene Fügung an ihr Amt geraten sind, der Sprachgemeinschaft nun für Jahrzehnte vorschreiben, wie sie zu schreiben hat. Mit dem Effekt, dass der ursprüngliche Impuls dieser Reform, die logische Vereinheitlichung der Schriftsprache, sich nun für Jahrzehnte in sein Gegenteil verkehren wird. Denn es gibt nicht nur eine Reihe von gleichberechtigten Schreibweisen und Interpunktionsregeln: Diese Beliebigkeit wird sich auch da durchsetzen, wo sie nicht vorgesehen ist. Denn diese ganze, unsägliche Debatte hat am Ende dazu geführt, dass Rechtschreibung im Bewusstsein der Menschen nun als etwas weitgehend frei Verfügbares erscheint.

Es gibt Medien, die verweigern sich der neuen Rechtschreibung und werden auch so schnell nicht aufgeben wollen; es gibt prominente Schriftsteller, Günter Grass etwa, die schreiben weiter, wie sie es gelernt haben und bestehen bei Nachauflagen auf der Beibehaltung der alten Schreibweise. Da wird, ein Beispiel, "Die Blechtrommel", Jahrzehnte weiterhin in der ursprünglichen Schreibung erscheinen. Und dies ist ein Buch, das zum Kanon der modernen deutschen Literatur zählt; ein Buch, das auf absehbare Zeit von jeder Generation neu entdeckt wird. Millionen von Erwachsenen werden ein, zwei, drei der neuen Regeln lernen - "dass" ist am einfachsten, wenn auch nicht recht einsehbar -, und im Übrigen schreiben, wie sie mögen.

Die Peinlichkeitsschwelle orthografischen Fehlverhaltens wird sinken. Galt bisher, dass eine halbwegs regelkonforme Rechtschreibung auch zur Ausstattung eines gebildeten, kultivierten Menschen gehört, so wird es nun eine ziemlich große Fehlertoleranz geben, der das ministerial verordnete Chaos zur Rechtfertigung dient.

Und das Schönste daran ist, dass es schon lange nicht mehr um die Sinnhaftigkeit dieser Reform ging. Es ging vielmehr um Richard Wagners Diktum "Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun". Dies war nun einmal ein Projekt der hochmögenden KMK; hier stand, sozusagen, die Gretchenfrage des Föderalismus in Rede. Und die Antwort ging ungefähr so: "Die Religion interessiert mich nicht, wenn nur die Reputation des Pfarrers gewahrt bleibt." Will sagen, das Gesicht des Kultusministers. Denn der einzige Grund, aus dem heraus sie diese lächerliche Reform zu Ende führen, ist: Sie haben sie nun einmal angefangen. Und können nach zehn Jahren nicht sagen, es war ein Fehler und wir stellen ein. Denn es geht, wie gesagt, um die Heilige Kuh des Föderalismus. Was bedeutet, dass aus Gründen der Staatsräson die Rechtschreibung auf Jahrzehnte hinaus verchaotisiert wurde. Und der Rat durfte nun einige der gröbsten Albernheiten ausmerzen.

Falls Du, Leser, nicht jede Neuerung so schnell beherrschst, so sei Dir für die kommenden Jahre die Grundregel der Rechtschreibung empfohlen. Sie heißt "Wie es euch gefällt".

Thüringer Allgemeine, 11. 3. 2006



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