18.02.2006


Brandneue Regeln

»Die Presse« versucht sie zu verstehen

Meldungen aus Wien rangieren bei uns gewohnheitsmäßig unter Blüthen der Thorheit.

Aber wir machen diesmal eine Ausnahme, obwohl dieser Bericht sie kaum rechtfertigt.


Wenn alle kopf stehen: Schreiben neu
VON MARTINA SALOMON UND REGINA PÖLL (Die Presse) 18. 2. 2006

Anfang März entscheiden Kultusminister über eine neuerliche Anpassung der Rechtschreibung - wirklich zufrieden ist niemand.

WIEN. "Bloß keine weiteren zwölf Stationen im Kreuzweg", lautet die inständige Bitte von Kurt Scholz. Wobei mit der "via dolorosa" die Rechtschreibreform gemeint ist. Der Restitutionsbeauftragte der Stadt Wien ist nebenbei auch Sprecher der österreichischen Gruppe im "Rat für deutsche Rechtschreibung". Und er hofft, dass die am 2. und 3. März tagende Kultusministerkonferenz die in eineinhalb Jahren erarbeiteten Änderungsvorschläge annimmt. Spätestens im Herbst sollen dann die brandneuen Regeln im "Österreichischen Wörterbuch" stehen.

Die Reform der Reform betrifft im Wesentlichen die Getrennt- und Zusammenschreibung sowie die Groß- und Kleinschreibung (Beispiele: siehe Grafik). Manches wirkt sehr gewöhnungsbedürftig - etwa: "kopf stehen".

Hundertprozentige Zufriedenheit herrscht ohnehin nicht: "Wir sind alle nicht ganz überzeugt, dass es einfacher wird", sagt Rats-Mitglied und Landesschulinspektor Karl Blüml. Einiges wurde liberalisiert. Doch der Wunsch nach noch größerer Schreibfreiheit sei an "starken Verbänden", wie Korrektoren oder Lehrern, gescheitert, die "Gewissheit" einfordern.

Aus der Sicht von Scholz ist schon vor einem Jahrzehnt eine falsche Weichenstellung passiert, die sich nun nicht mehr revidieren lässt: als man sich tendenziell zur Getrennt- und damit auch zur Großschreibung entschied. Nicht gut findet Scholz auch die Beibehaltung des scharfen "ß", das die Schweiz längst abgeschafft hat.

Dass viele Verlage auch Neuerscheinungen noch immer nach der (Ur-)Alt-Rechtschreibung drucken, findet Scholz zwar "ärgerlich, aber keine Katastrophe". Das dauere eben. Auch in seiner Kindheit habe er noch Bücher gelesen, wo sich "Thor" und anderes Antiquiertes fand.

Beim Österreichischen Wörterbuch hat man sich schon darauf eingestellt, die erneut angepassten Rechtschreibregeln "pädagogisch-didaktisch populär umzusetzen", wie Herbert Fussy, Rechtschreib-Experte und Wörterbuch-Lektor, sagt. Großes Interesse an den neuen Regeln erwartet er aber weder bei Lehrern noch bei Schülern und Eltern: Durch das "ewige Hin und Her" des Rechtschreibrates sei der "Sättigungsgrad" bereits erreicht - was die Beschäftigung mit dem betrifft, was die Rechtschreibreform ab 1995 "eigentlich" mit sich hätte bringen sollen: "Eine Hinwendung zu und mehr Interesse an der Beschäftigung mit der Sprache, die durch das Schreiben ja auch ausgedrückt wird", so nennt es Fussy. Inzwischen glaubt er nicht, "dass es noch irgend jemanden [!] gibt, der den Überblick hat". Das Publikum, "speziell die Jugend", habe es schwer. "Keiner weiß mehr, was seit 2004 gültig ist." Es sei zu einer "fatalen Anhäufung von Anpassungen" gekommen.

Mit den jüngsten Änderungen ist der Rechtschreib-Experte nicht zufrieden. Für besonders schwierig hält er das Getrennt- oder Zusammenschreiben: Hatte man sich zunächst auf die "durchaus einfache" Regel geeinigt, dass man nach allen Eigenschaftswörtern mit der Endung -ig, -isch oder -lich getrennt weiterschreibt (etwa "Glücklich sein"), sei dies nach 2004 erneut in Frage gestellt worden.

Ab März sollen wieder die "übertragene Bedeutung" des Wortes und die Betonung entscheiden. Das heißt: Während zuletzt "durcheinander reden" korrekt war, muss es künftig ausnahmslos "durcheinanderreden" heißen, weil die Betonung auf "durcheinander" liegt. Bisher wurden "aufeinander", "miteinander" und "durcheinander" vom folgenden Verb getrennt. In den Augen Fussys war das eine "einfache Regelung, die vom Publikum leicht akzeptiert wurde".

Dass diese nun wieder fallen soll, nachdem sie Schüler seit zehn Jahren angewendet und mit diesem Wissen ihre Ausbildung beendet haben, erscheint dem Wörterbuch-Fachmann nicht ideal. Bei den sogenannten resultativen Verben, die einen Vorgang mit Ergebnis beschreiben wie etwa "blankpolieren", hätten die Schüler "zumindest den Vorteil", dass sie es künftig zusammen oder getrennt schreiben dürfen und dieser Text in beiden Fällen positiv benotet werden muss.

Dass die Rechtschreibreform hinter den Wunschvorstellungen vieler zurückbleibt, schreibt Fussy auch dem Umstand zu, dass der Rechtschreibrat "politisch" besetzt wurde - mit Experten, die sich "vor allem aufs Entscheidung finden und treffen" verstehen. Fussys Fazit der beinahe endlosen Geschichte: "Ich bin heilfroh, dass es endlich vorbei sein wird."

www.diepresse.com



Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=406