06.02.2006 Heike Schmoll Mageres ErgebnisWer die Arbeit des Rates für deutsche Rechtschreibung nach einem Jahr bilanziert, wird feststellen müssen, daß die Verwirrung größer ist denn je.Die Idee eines Regelwerks der Orthographie ist faktisch aufgegeben worden, in der kurzen Zeit konnte nicht einmal der Versuch gemacht werden, vom Sprachgebrauch abgeleitete Regeln zu entwickeln, die dann in den Schulen als didaktische Hilfe dienen könnten. Klarheit schaffen werden erst die Wörterbuchredaktionen, die zum Beginn des neuen Schuljahrs vollkommen überarbeitete Wörterbücher vorlegen müssen. Erst dann wird sich zeigen, wie viele Varianten es gibt, wie unzählige vom Rat schlicht nicht bearbeitete Probleme gelöst werden, und am Ende wird womöglich das Windows-Programm pragmatisch entscheiden. Wer also glaubte, nach der vorläufig letzten Sitzung des Rates für deutsche Rechtschreibung sei der Rechtschreibfrieden eingekehrt, irrt gewaltig. Dem Vorsitzenden des Rates, dem früheren bayerischen Wissenschaftsminister Zehetmair (CSU), kann höchstens angelastet werden, daß er wiederholt dem Druck der Kultusminister nachgegeben hat; für die Zusammensetzung des Rates ist er nicht verantwortlich. Seiner geschickten Moderation ist zu verdanken, daß die Reformer zumindest ihre mageren Selbstkorrekturen leisteten. Da dem Rat die Aufgabe zugedacht war, die Durchsetzung der Reform zu gewährleisten, wurde er fast ausschließlich mit Reformbefürwortern besetzt, darunter sieben Mitglieder der zwölfköpfigen Zwischenstaatlichen Kommission, die nach deren Auflösung sitzen blieben: alle drei Schweizer, alle drei Österreicher, dazu der Deutsche Hoberg, der jegliche Änderung an der Reform für überflüssig hält. Die übrigen Mitglieder stammen zum Teil aus dem Beirat, den sich die Zwischenstaatliche Kommission selbst gewählt hat. Die Urheber der Rechtschreibreform waren also in der klaren Überzahl. Der Duden verfügte über sieben, das Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim über zwei Sitze. Es spielte eine wichtige Rolle. Im Statut des Rechtschreibrats war davon nicht die Rede, nur die Geschäftsstelle sollte hier ihren Sitz haben. Der Direktor des IDS übernahm die Leitung aller Arbeitsgruppen, traf Vorentscheidungen über deren Zusammensetzung und stellte ihre Vorschläge im Plenum vor. Die Geschäftsführerin, die keine Stimme im Rat hat, erarbeitet nun mit den Wörterbuchverlagen die Wörterliste, die den Kultusministern Anfang März vorliegen soll. Nach Auffassung einiger Ratsmitglieder hat sie allerdings ihre Kompetenzen überschritten, als sie die Arbeit des Rates nicht nur darstellte, sondern auch bewertete ("Natürlich sind unsere Vorschläge ein Kompromiß - aber sie sind vernünftig und gut"). Beauftragt worden war der Rat wie die Zwischenstaatliche Kommission laut Statut damit, die Schreibentwicklung und den Sprachwandel zu beobachten und Anpassungen des Regelwerks an diese Veränderungen vorzuschlagen. Beschäftigt war er im wesentlichen damit, die mißratene Neuregelung zumindest vom gröbsten Unfug zu befreien. Mit Sprachwandel oder gar Sprachentwicklung hatte das nichts zu tun, denn dieser vollzieht sich im Abstand von mehreren Jahrzehnten und nicht im Takt von sechs bis acht Wochen. Den Sprachwandel zu beobachten hieß eher, zu verfolgen, wie die Sprachgemeinschaft mit dem gewaltsamen Eingriff in die Sprache umgeht. Die Zustimmung zur Rechtschreibreform in der Bevölkerung ist inzwischen auf acht Prozent geschrumpft. Trotzdem werden die Zeitungen, die sich ihr verweigern, von den Reformbefürwortern im Rat weiter als "Krawallmacher" beschimpft. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) geht noch weiter: Sie macht ihre Zustimmung zur Reform in der Stellungnahme für die Kultusministerkonferenz (KMK) davon abhängig, ob vorher von den "maßgeblichen Printmedien verbindlich erklärt wurde, den dann vorhandenen vollständigen Regelstand (also auch die geänderte s-Schreibung) zu übernehmen". Sollten einflußreiche Medien bei ihrem Sonderweg bleiben oder eine neuerliche Umstellung verweigern, wollten GEW und DGB der KMK davon abraten, den Empfehlungen des Rates zu folgen. Wem gegenüber sollten eigentlich unabhängige Zeitungen solche verbindlichen Erklärungen abgeben? Sie können doch nur erleichtert sein, wenn sie bei der bisherigen Schreibung geblieben sind und damit noch auf der Grundlage eines einigermaßen konsistenten Regelwerks stehen, denn niemand weiß zum jetzigen Zeitpunkt, wie die Reform der Reform eigentlich aussieht. Dazu ist zu vieles ungeklärt, zu wenig systematisch ausgeführt. In den Ratssitzungen wurden seitenlange Arbeitsvorlagen Satz für Satz abgestimmt, so daß selbst Kenner der Materie am Ende nicht mehr wissen, was sie eigentlich beschlossen haben. Nur vier Sprachwissenschaftler saßen im Rat, dazu die drei Vertreter der Wörterbuchredaktionen (Duden, Bertelsmann, Wahrig). Wirklich beurteilen konnten also nur sieben von 39 Ratsmitgliedern die sprachlichen Sachfragen. Das sind viel zu wenige, auch wenn der Vorsitzende des Rates meint, es seien schon ein paar Professoren zuviel im Rat gewesen. Wer fragt, was der Rat geleistet hat, wird um eine negative Bilanz kaum herumkommen. Die weitgehende Wiederherstellung der früheren Getrennt- und Zusammenschreibung war noch von der Zwischenstaatlichen Kommission auf den Weg gebracht worden und fiel deshalb am ausführlichsten aus. Es bleibt der Beschluß, die Abtrennung einzelner Buchstaben wie in A-bend, Dusche-cke und Bi-omüll abgeschafft zu haben. Alle übrigen und durchweg punktuellen Änderungen bemänteln das vollständige Scheitern der Reform, provozieren nicht selten neue Schwierigkeiten oder erschöpfen sich in bloßer Formulierungsakrobatik. Gewiß sah es aus, als widersetze sich der Rat der festgelegten Agenda der KMK dadurch, daß er die von den Kultusministern voreilig als "unstrittig" erklärte Groß- und Kleinschreibung auch auf die Änderungsliste setzte, sie aber nur teilweise korrigierte. Ungeklärt bleiben die gesamte vielkritisierte Laut-Buchstaben-Zuordnung, die unsäglichen Volksetymologien wie "belämmern" sowie weite Teile der Fremdwortschreibung. Dies gilt in eklatanter Weise für die Wiedergabe eines französischen -e, das zum Teil in ein deutsches -ee übertragen wird, manchmal aber auch nicht. Daß dem bayerischen Kultusminister, der schon jetzt ankündigte, die überarbeitete Reform auch in Bayern einzuführen, wirklich klar ist, was da auf Lehrer und Schüler zukommt, ist zu bezweifeln. Und ob bayerische Schüler dann noch das Original der jüngsten Enzyklika des Papstes im Religionsunterricht lesen dürfen, ist nicht auszumachen, denn sie ist in alter Rechtschreibung verfaßt und weist nach dem Maßstab der Rechtschreibreform über 200 Fehler auf. Ist die halbfertige Überarbeitung erst einmal für die Schulen verbindlich, dürfte eine weitere Korrektur auf absehbare Zeit nicht mehr möglich sein. Wer sollte auch dazu bereit sein? Der Rat für deutsche Rechtschreibung wohl kaum. F.A.Z., 6. 2. 2006, S. 10
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