18.08.2005 „Hat die EDK Angst zuzugeben, dass die Reform noch nicht reif oder gar gescheitert ist?“Der Berner Großrat Christoph Stalder (FDP) hat schon vor einem Jahr eine Eingabe zur Rechtschreibreform eingereicht. Sie trug den Titel »Fehlkonzept Rechtschreibreform«.Damit spielte Stalder auf die nach wie vor erfolgreiche Nummer der Schweizer Monatshefte an: »Die deutsche Sprachverwirrung – Fehlkonzept Rechtschreibreform« (November 2003). Damals mußte er öffentlichen Spott einstecken: den Gämsen-Spott, der jedem Zeitungsschreiber nach fünf Minuten Nasenkratzen und Fingersaugen als einfachste Möglichkeit feststeht, ein paar Zeilen zu füllen und eine Meinung zu vertreten. Die zweite Eingabe vom Juni 2005 trägt den Titel: »Rechtschreibreform: Einführung unverzüglich stoppen!« Hinter ihr steht die Fraktion der FDP. Die Eingabe ist eine Motion: wird sie vom Parlament angenommen, so erhält die Regierung einen verbindlichen Auftrag. Die Auseinandersetzung findet in der ersten Hälfte des Septembers statt. Bemerkenswert ist nun – und man müßte prüfen, ob es so etwas schon einmal gegeben hat – daß die Kantonsregierung die Forderung der Motion bereits übernommen und die Übergangsfrist verlängert hat. Damit ist ein deutliches Zeichen gesetzt, ein loderndes Höhenfeuer in der Nacht. Was bedeutet dieses Zeichen? Die Konferenz der Erziehungsdirektoren ist entzaubert; sie kann nichts verfügen, sie kann nur etwas empfehlen. Zweitens, noch wichtiger: Endlich hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die neue Rechtschreibung sachlich und grundsätzlich betrachtet werden muß; eine Rolle spielen insbesondere die Kosten. Die Finanzdirektion dieses großen Kantons teilte vor einem Jahr mit, »dass die Reform der Rechtschreibung gerade unter dem Gesichtspunkt der damit verbundenen Kostenfolgen auf erhebliche Skepsis stösst«. Auf das Gespräch im Parlament darf man gespannt sein. Zur Vorbereitung hat Christoph Stalder unlängst den folgenden Beitrag geschrieben: Marschhalt dringend nötig Am 1. August, also zu Beginn des neuen Schuljahres, soll die neue Rechtschreibung in den Schulen offiziell eingeführt werden. Das muss verhindert werden, die Reform ist noch nicht reif zur Einführung. Doch zunächst ein Blick zurück in die leidvolle Geschichte dieser Reform: Als Ende der 80er-Jahre die damals noch existierende DDR drohte, eine eigene, vermutlich sozialistische deutsche Sprache einzuführen, wurde eilends eine kleine Kommission eingesetzt mit dem Auftrag, die deutsche Rechtschreibung zu überarbeiten. In der Kommission waren alle deutschsprachigen Staaten vertreten, also Deutschland, Österreich und die Schweiz. Der Duden-Verlag wirkte beratend mit. 1994 lieferte die Kommission ihre Arbeit ab, und die zuständigen politischen Gremien, in der Schweiz die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), beschlossen 1996, das neue Regelwerk für Verwaltungen und Schulen auf Mitte 1998 einzuführen, mit einer Übergangsfrist bis Ende Juli 2005, während der alte und neue Schreibweise verwendet werden dürften. Das neue Regelwerk wurde von Anfang an heftig unter Beschuss genommen. Zunächst verwahrte sich die Elite der deutschsprachigen Schriftsteller und Dichterinnen dagegen, Professoren und Dozenten folgten. Dann weigerten sich wichtige Zeitungen und Verlage, die neuen Regeln anzuwenden, und je näher die definitive Einführung herangerückt ist, je mehr sprachinteressierte Menschen sich mit dem Regelwerk befassen, umso stärker ist die Kritik geworden. Sie betrifft vor allem die Gross- und Kleinschreibung, die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Silbentrennung und die ganze Satzzeichensetzung. Für die Schweiz als mehrsprachiges Land gilt es ferner zu verhindern, dass die unsäglichen Verdeutschungen fremdsprachiger Ausdrücke nicht doch noch bei uns Eingang finden. Die wachsende Kritik konnte den politischen Gremien nicht verborgen bleiben. Deshalb wurde – spät, aber nicht zu spät – ein breit abgestützter Rat für deutschte Rechtschreibung eingesetzt mit der Aufgabe, insbesondere kritisierte Teile der neuen Rechtschreibung auf ihre Berechtigung und ihren Sinn zu überprüfen. Ende Mai 2005 hat dieser Rat eine revidierte Fassung der Getrennt- und Zusammenschreibung vorgelegt und weitere Änderungen für die nächsten Monate in Aussicht gestellt. Statt nun die zügig voranschreitenden Arbeiten des Rats für deutsche Rechtschreibung abzuwarten, hat die EDK im Einklang mit ihrer deutschen Schwesterbehörde, der Kultusministerkonferenz, beschlossen, die so genannt unstreitigen Reformteile nächste Woche in Kraft zu setzen. Ausgerechnet jetzt, wo ein breit abgestütztes Gremium das Reformwerk nochmals überprüft, und zwar umfassend, soll es teilweise eingeführt werden. Das ist unverständlich. Hat die EDK Angst zuzugeben, dass die Reform noch nicht reif oder gar gescheitert ist? Will sie weitere Änderungen nicht zur Kenntnis nehmen? Will sie den eingesetzten Rat für Rechtschreibung überhaupt ernst nehmen? Den zuständigen Stellen der EDK scheint es nicht ganz wohl bei der Sache zu sein, jedenfalls geben sie sich sehr bedeckt. Es gibt aber auch Behörden, die den gesunden Menschenverstand nicht verloren haben. So weigern sich in Deutschland die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen, die Reform einzuführen, und in unserem Lande haben Bundeskanzlei und Staatsschreiberkonferenz soeben beschlossen, mit der Einführung zuzuwarten, bis der Rat für deutsche Rechtschreibung seine Arbeit abgeschlossen hat. Der Kanton Bern hat ebenfalls – ob auf Druck einer entsprechenden FDP-Motion, sei dahingestellt – bei der EDK einen Antrag auf Verlängerung der Übergangsfrist gestellt, bis Klarheit über den Umgang der Reform besteht. Will die EDK sich nicht der Lächerlichkeit aussetzen, ist sie dringend eingeladen, auf ihren kürzlich gefassten Beschluss zurückzukommen und die Einführung der Reform auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Was der Verwaltung recht ist, muss auch den Schulen billig sein. Christoph Stalder FDP-Grossrat, Bern Berner Zeitung, 28. Juli 2005
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