29.07.2005


8000 Rechtschreibfehler in Thomas Manns Zauberberg

Presseerklärung der Forschungsgruppe Deutsche Sprache zum 1. August 2005

Auf die verbindliche Einführung vermeintlich „unstrittiger” Teile der Rechtschreibreform für Schulen und Behörden in 14 von 16 Bundesländern ab Montag reagiert die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS) mit Unverständnis.

„Mit dem 1. August erhöht sich die Zahl der Rechtschreibfehler in Thomas Manns ‚Zauberberg‘ von annähernd null auf etwa 8 000“, heißt es in einer Erklärung: „Schreibweisen, die seit mehr als hundert Jahren für die meisten Menschen selbstverständlich sind, sind es für die Behörden nicht mehr. Lehrer sind gezwungen, sie vom 1. August an nicht nur als unüblich oder veraltet, sondern auch als falsch zu kennzeichnen.“ Ausgerechnet aber im Unterrichtsfach Deutsch treffe diese Darstellung nicht zu. „In der deutschsprachigen und in der ins Deutsche übersetzten Literatur sind diese Schreibweisen die einzig üblichen. Es gibt weder vom ‚Zauberberg‘ noch von sonst einem Werk Thomas Manns Ausgaben in reformierter Rechtschreibung, und genausowenig gibt es sie von Werken der Nobelpreisträger Böll, Canetti, Grass, Jelinek, Hesse oder Mommsen. Es gibt solche Ausgaben auch nicht von Übersetzungen der Klassiker der Weltliteratur.“

Kultuspolitiker und –beamte in Deutschland, Österreich und der Schweiz hätten auf diesen 1. August viele Jahre lang hingearbeitet, fährt die FDS fort: „Sie wissen eine seit über sieben Jahren unverändert klare Mehrheit der Bevölkerung gegen, aber mächtige Verlagskonzerne hinter sich. Das Geschäft dieser Konzerne sind freilich nicht Mann, Grass oder Jelinek, sondern Schul- und Wörterbücher.“

„Horrende Kosten“

Für diese Konzerne, argumentiert die FDS weiter, gehe die Rechnung ja vielleicht auf, volkswirtschaftlich gesehen sei der Schaden jedoch beträchtlich. Sie bezieht sich auf Kalkulationen von Christian Stetter, Professor für Germanistische Linguistik in Aachen und als Berater von Unternehmen bei der Umstellung auf die Reform mit der Materie vertraut. Stetter schätzt allein die Kosten für die Umstellung der Wörterbücher 1996/97 auf etwa eine halbe Milliarde Mark, die durch die laufenden Abänderungen des Reformkonzepts weitgehend verloren sei. Nach Addition der Ausgaben nur für die Umstellung, Umschulungskosten inbegriffen, komme Stetter auf einen Betrag von über vier Milliarden Euro – bis heute.

Werde jetzt teilweise wieder umgestellt, was offenbar unvermeidlich sei, würden ähnliche Aufwendungen erforderlich. Die FDS zitiert Stetters Fazit: „Der Dilettantismus, mit dem die Kultusminister (und andere Politiker) das Sachproblem verkennen (denn Orthographie läßt sich auf dem beschrittenen Weg ja offenkundig nicht regeln) ist schon mehr als erschreckend. Die Leichtfertigkeit, mit der man die horrenden Kosten nicht sieht oder nicht sehen will, die dieser Dilettantismus verursacht, ist angesichts der Finanzsituation, in der wir uns befinden, durch nichts zu rechtfertigen.“

Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache ist ein Zusammenschluß der namhaftesten Kritiker der Rechtschreibreform. Ihrem Beirat gehören unter anderem die Schriftsteller Walter Kempowski, Reiner Kunze, Adolf Muschg und Sten Nadolny, der Sprachwissenschaftler Theodor Ickler und der Verleger Michael Klett an.



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