19.07.2005


„Im Laufe der Jahre wird man klüger“

Ein SZ-Gespräch mit Hans Zehetmair

Der Traum ist aus. Die neue Rechtschreibung nicht mehr neu, sondern eine »Altlast«. Und Zehetmairs »Problem« im Rechtschreibrat sind »eine Menge Persönlichkeiten, die an der Altlast mittragen«.

»„Jetzt Fehler anzurechnen, ist nicht sinnvoll“

Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rates für Rechtschreibung, mahnt die Länder zur Besonnenheit


Das Ringen um die Rechtschreibreform ist in die nächste Runde gegangen. Bayern und Nordrhein-Westfalen wollen zum 1. August Teile der Regeln nicht in Kraft setzen, wie es die Kultusministerkonferenz (KMK) Anfang Juni beschlossen hatte. Der Vorsitzende des Rates für Deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, begrüßt die Entscheidung, da sie zu weniger Verunsicherung unter Schülern und Lehrern führe.

SZ: Erstaunt Sie nicht das Verhalten der bayerischen Staatsregierung?

Zehetmair: Ich habe in den vergangenen Monaten den Kultusministerkollegen immer wieder gesagt, dass es Verantwortungsbereich der KMK ist, was sie wann und wie für die Schulen verordnen; und dass es Sache des Rates ist, davon unabhängig den Auftrag zu erfüllen, für die Einheitlichkeit der Sprache zu sorgen, und evidente Ungereimtheiten auszumerzen. Bei 38 Ratsmitgliedern ist es jedoch nicht einfach, einen Zweidrittelkonsens herzustellen. Ich kann also gut nachvollziehen, dass man nicht Teilbereiche in Kraft setzen will. Schließlich kann ich dem Rat nicht Grenzen setzen, sich zu bestimmten Sachverhalten nicht mehr zu äußern.

SZ: Wenn Bayern und NRW einen anderen Weg beschreiten, kann von einer Einheitlichkeit der Sprache nicht mehr die Rede sein.

Zehetmair: Seien wir ehrlich: Wir haben schon seit einigen Jahren die nicht erfreuliche Situation, dass ein Auseinanderdriften in der Handhabung der Rechtschreibung festzustellen ist. Als Beispiel nenne ich nur den Printmedienbereich. Was die Schule betrifft, so geht es darum, dass ab 1. August bestimmte Dinge nun als Fehler angerechnet werden sollen, die bisher nur korrigiert wurden. In einer so labilen Situation, wie wir sie haben, halte ich dies nicht für sinnvoll.

SZ: Sie befürchten also keinen Rückfall in die Kleinstaaterei, wenn nun jedes Land nach Lust und Laune Rechtschreibregeln einführt oder auch nicht?

Zehetmair: Nein überhaupt nicht. In der Schweiz haben wir eine ähnliche Lage. Die Erziehungsverantwortlichen der Kantone setzen die Rechtschreibung in der Teilreform zum 1. August um, nicht aber die Verwaltung. Sie will warten, bis der Rat zum Abschluss kommt. Es geht hier nicht um einen Konflikt zwischen den Ländern. Es gibt nur zwei Haltungen: Die einen starten mit der Teilumsetzung, die anderen warten damit noch.

SZ: Führt das nicht bei Schülern und Lehrern zu Verunsicherungen?

Zehetmair: Nein, es verändert sich in Bayern oder in NRW nichts im Vergleich zum abgelaufenen Schuljahr. Vielmehr bleiben Lehrer jetzt bei der Handhabe, die sie bereits beherrschen. Ich denke, das neue Schuljahr kann genutzt werden, Schüler für die Sinnunterschiede etwa der Getrennt- und Auseinanderschreibung zu sensibilisieren. Sie sollen den Unterschied verstehen lernen zwischen einem viel versprechenden Politiker, der dann nichts hält, und einem viel versprechenden, auf den man baut.

SZ: Was das anbelangt, so gab es einen einstimmigen KMK-Beschluss, an den sich Bayern und NRW nun nicht mehr halten wollen. Selbst der Philologenverband spricht inzwischen vom Zickzackkurs der Politik.

Zehetmair: Es wäre unredlich, wenn man wegdiskutieren wollte, dass der ganze Vorgang Rechtschreibreform kein Ruhmesblatt ist. Das trifft aber nicht nur auf Bayern zu, sondern gilt generell. Ich habe das Problem, dass ich in dem Rat eine Menge Persönlichkeiten habe, die an der Altlast mittragen. Daher muss ich schauen, dass ich diese Leute integriere, sonst bekomme ich keine Zweidrittelmehrheit, die ich haben muss. Was aber die Verunsicherung betrifft, ist sie dort größer, wo man sagt, man führt die Reform nun ein, nur die Bereiche, die noch strittig sind, bleiben außen vor.

SZ: Sie selbst haben in den vergangenen Jahren mehrmals Ihre Position zur Rechtschreibreform geändert.

Zehetmair: Im Laufe der Jahre wird man klüger. Mir ist klar geworden, dass es ganz gefährlich ist, wenn die Rechtschreibung an dem Empfinden der Menschen vorbei zu sehr akademisch betrieben wird. Sie muss auf den Sprachgebrauch des unverbildeten Bürgers achten. Das ist unsere Leitlinie. Das haben uns auch Verlage und Printmedien deutlich gemacht, die übrigens, wie man am Beispiel der SZ sieht, wenn ich das so sagen darf, auch mit der Reform gerungen haben. Lediglich Spiegel, FAZ und Springer-Verlag zeigen sich nach wie vor resistent gegenüber einer Reform, geben aber zu erkennen, dass sie an einer Annäherung Interesse haben.

SZ: Wäre es rückblickend besser gewesen, es hätte nie eine Reform gegeben?

Zehetmair: Wäre sie nicht schon am Laufen, hätte ich sie nicht initiiert.

SZ: Wird also bis zum Beginn des Schuljahres 2006/2007 eine einheitliche Reform für alle Länder stehen?

Zehetmair: Für alle Länder sowie in Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Südtirol. Nach fünf mühevollen Sitzungen, in denen wir den schwierigsten Block der Getrennt- und Auseinanderschreibung hinter uns gebracht haben, bin ich guter Dinge, dass wir in der Silbentrennung und in der Interpunktionsfrage auch eine Mehrheit herbringen. Nur sollen sich die nicht Hoffnung machen, die alles zurückschrauben wollen.

SZ: Und was geschieht am 1. August?

Zehetmair: Viele werden ihren Schulen auf leisen Sohlen sagen, sie sollen nicht so sehr auf Fehlerschärfe, sondern auf pädagogische Chance setzen.

Interview: Christine Burtscheidt«


(Süddeutsche Zeitung, 19.7.2005, Seite 5 )



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