06.07.2005 Reinhard Markner Das unstrittig StrittigeDer Rat für Rechtschreibung laviertLaut Dekret der Kultusministerkonferenz vom 8. April gliedert sich die Reform der deutschen Rechtschreibung neuerdings in zwei Teile: den »unstrittigen« und den »strittigen«. Zu letzterem gehören die Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung.Immerhin aber haben sie es dem von ihnen eingesetzten Rat für deutsche Rechtschreibung unter der Leitung ihres vormaligen Kollegen Hans Zehetmair gestattet, über den Komplex der Getrennt- und Zusammenschreibung zu beraten. Am vergangenen Freitag gab nun Zehetmair in Mannheim das Ende der Verhandlungen zu diesem besonders schwierigen Komplex bekannt. Wie schon nach den voraufgegangenen Sitzungen des Rechtschreibrats betonte er, daß sich aus den mit großen Mehrheiten gefaßten Beschlüssen eine Tendenz zu vermehrter Zusammenschreibung ergebe. Das entsprach den Erwartungen und Hoffnungen der meisten Beobachter, die deshalb die Arbeit des neuen Gremiums bisher ganz überwiegend freundlich begleitet haben. Zehetmair bekräftigte zudem die Absicht des Rates, sich in seinen Entscheidungen vom Schreibgebrauch leiten zu lassen. Kein Zweifel, die Richtung stimmt. Aber ein Blick in die bisher veröffentlichten Arbeitsergebnisse – sie betreffen die Schreibung der Verben – zeigt, daß der Rat noch lange nicht das gesetzte Ziel erreicht hat (www.ids-mannheim.de/gra/texte/para34.html). Die Reformer waren von dem Grundsatz ausgegangen, »dass die getrennte Schreibung der Wörter der Normalfall und daher allein die Zusammenschreibung regelungsbedürftig« sei. Deren Festlegung wiederum war an »formalen Kriterien« ausgerichtet. Bedeutung und Betonung – und im Endeffekt das Sprachgefühl – sollten bewußt ausgeklammert werden. In der Präambel der Neufassung sind diese beiden Leitsätze ersatzlos gestrichen, obwohl der erste nicht einmal neu war. »In Zweifelsfällen schreibe man getrennt«, riet schon früher der Duden. Bloß verstand das niemand als Aufforderung, »richtigstellen« oder »energiesparend« in ihre Bestandteile aufzuspalten. Daß die Reformer Wörter wie diese auf ihre Hackbank legten, hatte bekanntlich die fatale Folge sollübererfüllender Getrenntschreibungen (»herum stehen«, »Tier liebend« und dergleichen). Während der Rat also die geheiligten Prinzipien der Reform über Bord wirft, hält er sich andererseits strikt an die Aufteilung der Neuregelung von 1996 in sechs Paragraphen. Unweigerlich verstrickt er sich dadurch in den von den Reformern hinterlassenen Regelwust. Der erste Paragraph etwa ist nur wenig verändert, das allerdings nicht zu seinem Vorteil. Paragraph 33 betrifft die im Grunde selbstverständliche Zusammenschreibung von ohnehin »untrennbaren« Verben wie »maßregeln«, »sonnenbaden«, »langweilen« oder »widersprechen«. Er enthielt bisher den Hinweis, daß Verben wie »brustschwimmen« oder »notlanden« in der Regel nur im Infinitiv oder im Partizip gebräuchlich seien. Das war richtig, soll aber entfallen zugunsten der Erläuterung, daß man im Indikativ »er schwimmt Brust« zu schreiben habe. So hielt es zwar schon ein deutscher Filmverleih, als er im Jahre 1967 einem Italowestern den abstrusen Titel »Der Tod schwimmt Brust in Nevada« gab. Daß nach Auffassung des Rates »eislaufen« und »er läuft eis« zu schreiben wäre, »brustschwimmen« und »er schwimmt Brust«, »Rad fahren« und »er fährt Rad«, kann aber insgesamt nicht als höhere orthographische Weisheit gelten. »Eislaufen«, um ein weiteres Problem herauszugreifen, zählt der Neufassung von §34 zufolge zu jenen Fällen, »bei denen die ersten Bestandteile die Eigenschaften selbstständiger (!) Substantive weitgehend verloren haben«. Welche Eigenschaften das sein mögen, bleibt dunkel. Erst recht aber ist befremdlich, daß dieselbe Begründung für die Schreibung »leidtun« herhalten soll. Das Adjektiv »leid« – es muß offenbar noch einmal wiederholt werden – ist nicht und war nie identisch mit dem Substantiv »Leid«. Noch ein Beispiel: Schon bisher schließt das Kapitel Getrennt- und Zusammenschreibung des Regelwerks mit der Freigabe der Schreibung bestimmter »Fügungen in adverbialer Verwendung«, darunter »zustande/zu Stande bringen« und »zutage/zu Tage fördern«. Von dieser Wiederbelebung archaischer Getrenntschreibungen tückischerweise nicht erfaßt sind unter anderem »zugute halten« und »zuhanden kommen«. Und dabei soll es bleiben, da der Rat den betreffenden Abschnitt des Regelwerks nicht angerührt hat. Wohl deshalb, weil er fürchtet, daß der gesamte Paragraph zu Staub zerfallen könnte. Und schließlich: Die Revision durch den Rechtschreibrat soll endlich die amtliche Rehabilitierung zahlreicher ganz gewöhnlicher Verben wie zum Beispiel »aneinandergeraten«, »auseinandersetzen«, »schwerfallen« und »vorwärtskommen« bringen. Dagegen hatten sich die Reformer bis zuletzt, als ihre Geheimkommission aufgelöst wurde, gesträubt. Mit amtlichen Regeln, die immer noch offensichtlich fehlerhaft sind, wäre dieser Gewinn allerdings teuer bezahlt. Sie blieben, was die gegenwärtigen allemal sind: weiterhin strittig. Der Autor ist Vorsitzender der Forschungsgruppe Deutsche Sprache und arbeitet als Historiker in Halle und Berlin. Quelle: Süddeutsche Zeitung, 6. 7. 2005
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