09.06.2005


Reinhard Markner

Josephine, die Klägerin

Eine Schülerin scheitert vor Gericht mit ihrer Beschwerde gegen die neue Rechtschreibung

„Die neue Rechtschreibung ist doof“, sagte Josi Ahrens, als sie noch zur Grundschule ging und ihre Klagen den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder zwangen, die Einführung der Reform zeitweilig auszusetzen.

Inzwischen ist Josephine 16 Jahre alt. Sie besucht ein Oldenburger Gymnasium und hat ihren Wortschatz beträchtlich erweitert. An ihrer Haltung hat sich im Grundsatz aber nichts geändert.

Bisher durften Josephines Lehrer es nicht als Fehler werten, wenn sie „16jährig“ statt „16-jährig“ schrieb. Das soll sich vom kommenden Schuljahr an ändern. Weil diese Entwicklung absehbar war, haben Josephines Eltern schon vor einigen Monaten in ihrem Namen eine neue Klage beim Verwaltungsgericht Hannover eingereicht. Damit hatten sie keinen Erfolg. Das Gericht verwies in seiner Begründung auf die „Bindungswirkung“ des Verfassungsgerichtsurteils vom 14. Juli 1998.

Das Bundesverfassungsgericht hatte seinerzeit eine Beschwerde von Eltern gegen die Einführung einer neuen Rechtschreibung an schleswig-holsteinischen Schulen abgelehnt. Das Grundgesetz enthalte „keine Vorschriften über die sprachwissenschaftlich richtige Schreibung der deutschen Sprache und die korrekte Gliederung geschriebener Texte durch Satzzeichen“. Es sei dem Staat auch nicht grundsätzlich verwehrt, diesbezügliche Regelungen „für den Unterricht in den Schulen zu treffen“.

Die Karlsruher Richter nahmen in ihrem Urteil zustimmend auf vorangegangene Entscheidungen Bezug. „Die Rechtschreibung beruhe im deutschen Sprachraum nicht auf Rechtsnormen, sondern auf sprachlichen und damit außerrechtlichen Regeln, die auf Akzeptanz angewiesen seien“, habe das Oberverwaltungsgericht Schleswig festgestellt. Wenn das Kieler Kultusministerium annehme, „daß die Rechtschreibreform die notwendige allgemeine Akzeptanz finden werde“, so sei „nach derzeitigem Kenntnisstand diese Prognose nicht zu beanstanden“. Das Verfassungsgericht billigte diese Auffassung der Vorinstanz.

Nach dem derzeitigen Kenntnisstand hat sich die unbeanstandete Prognose jedoch als falsch herausgestellt. Neben der reformierten Schreibung in ihren verschiedenen Varianten wird im deutschen Sprachraum auch weiterhin die herkömmliche Rechtschreibung praktiziert. Bedeutende und auflagenstarke Zeitungen und Zeitschriften wenden sie ebenso an wie nahezu alle zeitgenössischen Schriftsteller, angesehene Verlage, zahlreiche Unternehmen und sogar einige Senate des Bundesgerichtshofs. Meinungsumfragen zufolge findet die Reform nach wie vor wenig Zustimmung. Die jüngsten Beschlüsse der Kultusministerkonferenz, Teile der Rechtschreibreform vom kommenden Schuljahr an notenrelevant werden zu lassen, andere hingegen vorläufig zurückzustellen, werden an dieser Situation nichts ändern.

Josephine Ahrens möchte nicht als Fehler angestrichen bekommen, was außerhalb der Schule weithin nicht als Fehler angesehen wird. Mit diesem Wunsch ist sie jedoch vor Gericht in Hannover nicht durchgedrungen. „Man versteckt sich hinter den breiten Schultern des Bundesverfassungsgerichts“, sagte gestern der Rechtsbeistand ihrer Eltern, der Jenaer Juraprofessor Rolf Gröschner. Gegenüber der Entscheidung von 1998 habe sich aber der Klagegegenstand grundlegend verändert. Gröschner und Familie Ahrens wollen nun das Oberverwaltungsgericht Lüneburg anrufen. Josephine selbst war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Sie befindet sich auf Klassenfahrt in Dresden.

Dieser Bericht wird in der Berliner Zeitung von morgen erscheinen.



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