10.02.2005


Thomas Meißner

Wenn Schulmeister knechten

Unerhörtes: Ein Sammelband gegen die Rechtschreibreform

Festschriften sind ein akademisches Ritual. Schüler und Kollegen treten an, um dem Jubilar in Form eines Buches die Ehre zu erweisen.

Nun ist Reiner Kunze zwar kein Jubelprofessor, wie Jean Paul es nennen würde, sondern ein freier Schriftsteller, aber eine Festschrift mit dem schönen Titel "Im Wundergarten der Sprache" ist ihm gleichwohl gewidmet. Verdient hat er sie sich durch sein vehementes Eintreten gegen die Rechtschreibreform, für das er in Zürich mit dem Jahrespreis der Stiftung für abendländische Besinnung geehrt wurde (F.A.Z. vom 8. November 2004).

Zwar dreht sich der Band nicht ausschließlich um die Rechtschreibreform, wie es der Untertitel suggeriert, aber um Sprache, ihre Vielfalt und ihren Ausdrucksreichtum geht es in allen Beiträgen. Sie gelten vergessenen Dichtern, Klassikerzerstückelungen, der modernen Lyrik oder eben doch der unseligen Reform. Als besonders interessant erweisen sich dabei diejenigen Aufsätze, die die Debatte historisch perspektivieren oder von außen auf sie blicken. So beurteilt Gustav Korlen die Rechtschreibreform aus der Sicht eines schwedischen Germanisten und resümiert die Auswirkungen auf die Attraktivität des Deutschen im Ausland.

Mit der schon zu Jacob Grimms Zeiten umstrittenen Aufeinanderfolge von drei gleichen Konsonanten beschäftigt sich Reinhard Markner, nicht ohne auf "das Pedantische in der deutschen Lexikographie" hinzuweisen - wobei die Reform die Zahl der einschlägigen "Missstände" deutlich erhöht hat. Man muß die Reform nicht mit der Moralkeule eines christlichen Menschenbildes angreifen (Jan-Martin Wagner) - der Hinweis auf ihre fehlende Wissenschaftlichkeit genügt auch. Wenngleich der Physiker Hans-Christian Weißker sein naturwissenschaftliches Ideal glasklarer Logik etwas unreflektiert auf die Orthographiedebatte überträgt, ist seiner Feststellung, daß die Ausarbeitung und Umsetzung der Reform keinerlei wissenschaftlichen Standards entsprochen hat, schwer zu widersprechen. Daß sich die Urheber des Regelwerks, die Rechtschreibkommission, zum großen Teil selbst begutachten, ist tatsächlich unerhört.

Theodor Ickler weist anhand zahlreicher Beispiele nach, wie sehr die neueren Duden-Auflagen in vielen semantischen Feldern - sei es aus Gründen der political correctness oder des Reformeifers - Sprache normieren und regelrecht erfinden, statt ihren aktuellen Gebrauch abzubilden. Autorenzitate werden "angepaßt" und ältere Schreibungen getilgt: Da es ein Lemma "selbständig" im "Großen Wörterbuch" nicht mehr gibt, kann dies ja nur heißen, so Ickler polemisch, daß es "in der Millionenkartei der Dudenredaktion kein einziges Mal belegt" ist. Bleibt mit Stefan Stirnemann zu hoffen, daß in Zukunft wieder die Sprache selbst Meisterin wird und nicht länger von Schulmeistern geknechtet wird, damit auch im regelkonformen Deutsch noch Finessen ausdrückbar sind wie die von Marie von Ebner-Eschenbach: "Wenn eine Frau sagt ,jeder', meint sie: jedermann. Wenn ein Mann sagt ,jeder', meint er: jeder Mann." Und den Reformbefürwortern sei entgegengeschleudert, was schon Tucholsky zu Arnolt Bronnens Versuch einer umfassenden Getrenntschreibung meinte: "welch ein Bock Mist".

"Im Wundergarten der Sprache". Beiträge gegen die Rechtschreibreform. Hrsg. von Stefan Stirnemann. Edition Isele, Eggingen 2004. 176 S., br., 12,- Euro.

Quelle: F.A.Z., 10. 2. 2005


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