23.11.2004


„Der Bundestag bittet die Kultusminister …“

– wenn es nach der Unionsfraktion geht –

»… bis zum Ende des Jahres 2004 in einem Bericht darzustellen, welche Schritte zur Erreichung einer einheitlichen Rechtschreibung unternommen werden«.

Sonderlich kühn ist der Antrag, den gestern die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag nachgereicht hat, nicht. Er beläßt es dabei, nur ganz allgemein »eine klare Entscheidung über eine verbindliche Rechtschreibung« zu fordern. Doch angesichts der Vorgeschichte war mehr auch nicht zu erwarten.

Immerhin soll laut einer AFP-Meldung schon am 3. Dezember über ihn debattiert werden. Allmählich wäre es wirklich an der Zeit, daß die KMK ihren »Rat für Rechtschreibung« wenigstens einmal zusammenbrächte.


»Deutscher Bundestag Drucksache 15/ 15. Wahlperiode 22.11.2004

Antrag


der Abgeordneten Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Renate Blank, Dr. Maria Böhmer, Verena Butalikakis, Dr. Peter Gauweiler, Dr. Martina Krogmann, Dr. Norbert Lammert, Barbara Lanzinger, Vera Lengsfeld, Werner Lensing, Dorothee Mantel, Melanie Oßwald, Katherina Reiche, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Erika Steinbach, Christian Freiherr von Stetten, Edeltraut Töpfer und der Fraktion der CDU/CSU

Klarheit für eine einheitliche Rechtschreibung

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland haben sich mit Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 1. Dezember 1995 darauf verständigt, von einer Expertenkommission ausgearbeitete Neuregelungen für die deutsche Rechtschreibung als verbindliche Grundlage für den Unterricht an deutschsprachigen Schulen einzuführen. Am 1. August 1998 wurden die neuen Regeln in den Schulen und in vielen Verlagen offiziell übernommen. Diese Änderungen finden nach einer zwischenstaatlichen Erklärung auch in Österreich, Liechtenstein und der Schweiz Anwendung. Die Ministerpräsidenten der Länder haben auf ihrer Jahreskonferenz vom 6.-8. Oktober 2004 in Berlin die Reform grundsätzlich bekräftigt, allerdings auch einen „Rat für Rechtschreibung“ berufen, der bis August 2005 besonders strittige Reformvorschläge einvernehmlich klären soll.

Bereits im März 1998 hatte sich der Deutsche Bundestag mit der Rechtschreibreform befasst und in einem Antrag festgestellt:

„Der Deutsche Bundestag nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, daß die Art und Weise der Umsetzung der Rechtschreibreform und ihre Inhalte bei vielen Bürgern unseres Landes ein hohes Maß an rechtlicher und sprachlicher Unsicherheit über die deutsche Rechtschreibung hervorgerufen haben.“ (Bundestags-Drucksache 13/10183)

Sechs Jahre später ist festzustellen, dass sich diese Unsicherheit eher noch vergrößert hat. Um eine weitere und dauerhafte Verunsicherung zu vermeiden, bedarf es einer eindeutigen und zügigen Entscheidung über die Regeln für die deutsche Rechtschreibung, die den Konsens der Sprachgemeinschaft wiederherstellt. Insbesondere muss Klarheit darüber bestehen, welche Rechtschreibung an den staatlichen Schulen in allen Ländern in Deutschland und in Österreich und der Schweiz gelehrt werden soll.

Schon 1998 wurde die „Gefahr einer Aufsplitterung der deutschen Sprache“ gesehen; um ihr entgegenzuwirken hieß es in der Begründung zum oben genannten Antrag: „Deshalb bittet der Deutsche Bundestag die Kultusminister der Länder, das Lehren und Lernen der Rechtschreibung an den Schulen nicht ohne eine gesicherte Verfahrensgrundlage ändern zu wollen.“

Der Deutsche Bundestag bittet deshalb die Kultusminister der Länder,

- ausgehend vom Beschluss der Ministerpräsidenten von Anfang Oktober 2004 schnellstmöglich dafür zu sorgen, dass der unbefriedigende und verunsichernde Zustand durch eine klare Entscheidung über eine verbindliche Rechtschreibung auf allen staatlichen Ebenen beendet wird;

- anzustreben, dass unter Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1998, wonach eine rechtliche Verbindlichkeit der neuen Rechtschreibregeln auf gesellschaftliche Akzeptanz gegründet sein muss und auf den Bereich der Schulen beschränkt bleibt, die Regeln der Rechtschreibung auf eine breite gesellschaftliche Basis gestellt werden;

- bis zum Ende des Jahres 2004 in einem Bericht darzustellen, welche Schritte zur Erreichung einer einheitlichen Rechtschreibung unternommen werden.

Berlin, den 22. November 2004

Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Renate Blank, Dr. Maria Böhmer, Verena Butalikakis, Dr. Peter Gauweiler, Dr. Martina Krogmann, Dr. Norbert Lammert, Barbara Lanzinger, Vera Lengsfeld, Werner Lensing, Dorothee Mantel, Melanie Oßwald, Katherina Reiche, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Erika Steinbach, Christian Freiherr von Stetten, Edeltraut Töpfer, Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

Begründung:

Das vorrangige Ziel der Neuregelungen sollte seinerzeit die Erleichterung des Schreibens für die Bewohner des deutschen Sprachraumes und Deutschlernende sein. Dieses Ziel wurde bislang nicht erreicht. Die Rechtschreibung in Deutschland ist heute weniger einheitlich als im Jahr 1998, und ihre entscheidende Funktion, die Lesefreundlichkeit, ist erheblich beeinträchtigt.

Sechs Jahre nach der Reform leidet die deutsche Rechtschreibung zunehmend an Unverbindlichkeit und verunsichert weite Teile der Bevölkerung. Zahlreiche Auslegungsdifferenzen in Wörterbüchern und eine unübersehbare Zahl von Fehlern in Zeitungen, Lehrwerken, Kinderbüchern u.s.w. sind zu beobachten. Neun Jahre nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz wird überall in Deutschland eine Rechtschreibung unterrichtet, die außerhalb der Schule kaum jemand vollständig anwendet oder anzuwenden in der Lage ist.

Nach der Rückkehr mehrerer großer deutscher Pressehäuser und Buchverlage zur alten Regelung ist die Diskrepanz zwischen der in der Schule gelehrten Rechtschreibung und der außerhalb der Schule angewendeten Schreibweise noch erheblich größer geworden. Diese Diskrepanz beschädigt das Bild unserer Sprache, erschwert ihre nationale und internationale Anwendung und kompliziert das Erlernen von Deutsch im In- und Ausland.

Der Deutsche Bundestag hatte 1998 festgestellt: „Die Sprache gehört dem Volk“. Darum kann es bei der neuerlichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem Thema nicht um die Klärung von Zuständigkeiten gehen oder darum, ob überhaupt staatliche Ebenen quasi gesetzgeberisch in eine gewachsene und sich selbständig weiterentwickelnde Sprache eingreifen sollten. Vielmehr geht es um schnellstmögliche Schadensbegrenzung. Dabei werden die Entscheidungen der letzten Jahre nicht unberücksichtigt bleiben können. «






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