01.04.2008


Theodor Ickler

Tintenkuli

Wortbildung und Technikgeschichte

Am 31.3.08 lag eine Werbebeilage der Stadt Hamburg in der Süddeutschen Zeitung, darin hieß es, in Hamburg sei der Kugelschreiber erfunden worden:
"1928 erfand Wilhelm Riepe ein Schreibgerät, mit dem man so leicht schreiben konnte wie mit einem Füller und das doch durch Kohlepapier durchdrückt. Das Ergebnis: der Tintenkuli."
Dazu ist ein moderner Kugelschreiber abgebildet.

Zufällig hatte ich mich wenige Stunden zuvor mit dem Thema beschäftigt, weil beim IDS ("Grammis") folgende Ansicht herrscht:

"Sehr selten werden Konfixe durch Kürzung gebildet, z.B. kul- <– Kugelschreiber im expliziten Derivat Kuli (...). In der Forschungsliteratur (vgl. Greule 1996: 200f) werden Einheiten wie kul- gelegentlich als 'gebundene Kurzwörter' bezeichnet (Greule 1996: 200f). Diese Bezeichnung widerspricht aber dem Wortbegriff, wie er hier verwendet wird: Wörter sind per definitionem nicht gebunden. Vgl. Das Wort. Daher wird eine Einheit wie kul- hier den Konfixen zugeordnet, die gebunden, aber basisfähig sind, d.h. die die Basis expliziter Derivate wie Kuli (aus dem Konfix kul- und dem Suffix -i) bilden können."

Im Duden-Universalwörterbuch steht:

"Tin|ten|ku|li, der: Kugelschreiber, der anstelle einer Mine mit Farbe ein Röhrchen mit Tinte besitzt.“ (Aber wieso dann Kugel-?)

"Tintenkuli m – rollerball pen" (Muret/Sanders; letzteres ist aber kein Stichwort im englisch-deutschen Teil)

Richtig dagegen Kluge/Seebold:

"Kuli 2 (meist mit kurzem u gesprochen) 'Kugelschreiber' (20. Jh.) Hybridbildung. 1928 gründet der Kaufmann W. Riepe in Hamburg eine Firma zur Herstellung des von ihm so genannten Tintenkuli, einer Verbesserung des amerikanischen Stylopen, eines Schreibgeräts, das mit Tinte und einem Schreibröhrchen arbeitete. Mit dem Markennamen wurde auf Kuli1 angespielt: das Gerät sollte ein preiswerter und zuverlässiger Diener sein. Es wurde dann in der Funktion als billiges (und durchschreibendes) Schreibgerät abgelöst durch den Kugelschreiber, und offenbar wurde Kuli als Abkürzung für Kugelschreiber gebraucht (was von der Wortform her nicht naheliegt). Die Kürzung des Vokals ist wohl affektiv (man müßte eigentlich Kulli schreiben)."

Ich erinnere mich noch, wie ich als Grundschüler beim Übergang von Griffel und Bleistift zu Tinte eine Zeitlang den echten Tintenkuli benutzte. Die Lehrer hatten Bedenken, weil sie eine Verschlechterung der Handschrift befürchteten. Anstelle der Feder hatte dieser Füller also besagtes Stahlröhrchen, aus dem ein sehr feiner Metallstift ragte, den ein Gewicht am oberen Ende niederdrückte und der sich beim Aufsetzen aufs Papier hob und den Tintenstrom freigab. Das Schreibgefühl war nicht das angenehmste. Aber erst der Kugelschreiber machte den Tintenkuli zur technischen Sackgasse (ich weiß, daß es ähnliche Geräte in graphischen Berufen noch gibt).

Die Herleitung des "Kulis" beim IDS ist aber eindeutig falsch.


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