11.10.2006


Theodor Ickler

Gedenkblatt für Zehetmair

Oktober 1996

Der Text der AP/dpa-Meldung ist anscheinend nicht im Wortlaut bekannt.
„Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair verteidigte die Rechtschreibreform. Die von den Unterzeichnern der ‚Frankfurter Erklärung’ befürchteten ‚katastrophalen Folgen’ für die deutsche Literatur ‚werden sich wohl in Grenzen halten’, sagte der CSU-Politiker in München. Weder die Reform von 1901/02 noch die jeweiligen Neuauflagen des Duden hätten zu Katastrophen geführt. Zehetmair versicherte: ‚Wir können zuversichtlich sein, daß dies so bleibt.’ Mit Hinweis auf den späten Zeitpunkt des Schriftstellerprotestes sagte er: ‚Ich habe den Eindruck, die Unterzeichner der ‚Frankfurter Erklärung’ kommen gerade von einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt zurück.’“ (Süddeutsche Zeitung 8.10.1996)

Zum Vergleich die wirkliche „Frankfurter Erklärung“:

Nach Erscheinen des neuen Duden und nach den ersten Erfahrungen in den Schulen ist es endlich möglich, den Inhalt der vorgeschlagenen Rechtschreibreform genauer zu analysieren, ihre Folgen für die deutsche Sprache und Literatur, für den Deutschunterricht im In- und Ausland, für unsere Jugend und für uns alle zu ermessen und die ungeheuren Kosten abzuschätzen, die dieser Vorschlag, wenn er tatsächlich durchgeführt würde, verursachen wird.

In Anbetracht der schwierigen wirtschaftlichen Lage darf eine Reform, die in den meisten Punkten keineswegs notwendig ist, in vielem sogar eine Verschlechterung bedeutet und - abgesehen von der ss-Regelung - nur etwa 0,05 Prozent eines durchschnittlichen Textes betreffen würde, auf keinen Fall dazu führen, daß alle Schulbücher und Lexika, die meisten Kinder- und Jugendbücher und dann auch literarische Bücher neu gedruckt (und zugleich alte verramscht oder makuliert und "entsorgt") werden müssen.

Anläßlich der Frankfurter Buchmesse 1996 bitten die unterzeichneten Germanisten, Pädagogen, Schüler und Studenten, Schriftsteller, Bibliothekare, Archivare und Historiker, Verleger, Buchhändler, Journalisten und vor allem Liebhaber der deutschen Sprache und Literatur die verantwortlichen Politiker in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz, diese von einer kleinen, weitgehend anonymen Expertengruppe vorgeschlagene Rechtschreibreform, deren Einführung Millionen von Arbeitsstunden vergeuden, jahrzehntelang Verwirrung stiften, dem Ansehen der deutschen Sprache und Literatur im In- und Ausland schaden und mehrere Milliarden DM kosten würde, umgehend zu stoppen und bei der bisherigen Rechtschreibung zu bleiben.


Kommentar 2006: Alle Voraussagen sind eingetroffen. Die beleidigende Äußerung Zehetmairs über einen großen Teil der deutschen Intelligenz ist um so unverständlicher, als die Frankfurter Erklärung fast zwei Jahre VOR dem geplanten Inkrafttreten der Reform und neun Jahre vor dem Ende der Übergangsfrist abgegeben wurde.Wie es weiterging mit der Reform und mit Zehetmair, ist bekannt.


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