01.10.2006


Theodor Ickler

Vertrauensbildende Maßnahmen

Tischvorlage zur Sitzung des Rechtschreibrates am 3. Juni 2005

Bericht der Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit (AG ÖA)

Die Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit kam am 17. Mai 2005 zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Ziel dieser Sitzung war, ein Konzept der Öffentlichkeitsarbeit in Grundrissen zu entwickeln und dieses dem Rat zur nächsten Plenumssitzung vorzulegen.
Jeglichem Konzept muss eine Bestandsaufnahme vorausgehen. In unserem Fall bedeutet das: Wie ist das Erscheinungsbild des Rats in der Öffentlichkeit? Dazu stellt die AG fest, dass die mediale Öffentlichkeit die bisherigen Bemühungen des Rats mehrheitlich mit Freude, Zustimmung und Dankbarkeit kommentiert. Dieser Kredit ist jedoch gekoppelt an die Erwartungshaltung, dass der Rat bald einen Kompromiss zustande bringt und damit den Rechtschreibfrieden wiederherstellt.
Öffentlichkeitsarbeit – verstanden nicht nur als Information, sondern auch als Kommunikation – kann sich demzufolge zunächst auf den Aspekt des Informierens beschränken. Dabei sollten nach Auffassung der AG folgende Prämissen resp. Übereinkünfte gelten:

1) Vorrang der positiven Botschaft: Schreib-Einheit
In Pressekonferenzen, Interviews und in der Selbstdarstellung im Internet soll als das vorrangige Ziel des Rats die Zusammenführung der heute im Schulunterricht, in den Amtsschriften sowie in den Massenmedien gängigen Schreibweisen betont werden. Diese – seit Einführung der amtlichen Regelung im Jahre 1996 nicht mehr bestehende – „Schreib-Einheit“ würde dem Deutschen helfen, im Konzert der Sprachen Europas seinen Rang und sein Gewicht zu behaupten. Diese „Einheit des Deutschen“ sollte ohne chauvinistischen Zungenschlag und ohne hegemonialen Starrsinn propagiert werden. Mehr als bisher muss hervorgehoben werden, dass der kulturpolitische Aspekt der Rechtschreibung nicht den Interessen des Schulunterrichts entgegensteht, sondern diesen entspricht.

2) Vorrang der Gesamtheit: gleichzeitig alle „Anwender“ ansprechen
Die „Einheit des Deutschen“ soll rasch wiederhergestellt werden. Die Abkoppelung des Schulunterrichts von den Praktiken der Bevölkerungsmehrheiten sowie gewichtiger Massenmedien hat zu einem unhaltbaren Chaos geführt. Darum wäre in den Empfehlungen des Rates immer die Gesamtheit der „Anwender“ anzusprechen. Denn jede neuerliche Fokussierung auf einen Bereich (Schulkinder, Erwachsene, Spezialisten in den Medien und in der Literatur) vergrößert das Chaos und mindert die Wiedervereinigungs-Chancen.

3) Zeitdruck: Nicht sechs Jahre warten!
Soll die Rechtschreibreform endlich auf einem „mittleren Weg“ allgemein und dauerhaft etabliert werden, muss das Regelwerk rasch verbildlich gemacht werden. Fatal wäre der Eindruck, für die Schulen sei zum 1. August 2005 alles geregelt, alle anderen Anwender aber müssten (dürften) wenigstens sechs Jahre lang warten, denn so lange läuft das Mandat des Rats für deutsche Rechtschreibung. Dann würde die Debatte – in der wohl kein Argument ungesagt, unüberlegt geblieben ist – weiterköcheln. Darum wäre zu propagieren: Wir wollen möglichst rasch die Grundlagen für eine Schreibeinheit bereitstellen!

Als vertrauensbildende Maßnahmen sind weiterhin unerlässlich:

1) Vermeidung terminologischer Fallen: Das Regelwerk braucht einen Titel
Etikettierungen in den Medien wie „Reform der Reform“ oder „dritte Reform“ (nach 1996 und 2004) mindern weiter das Vertrauen in die Akteure. Darum sollte der Rat selber einen Titel für das nun allgemein akzeptierbare Regelwerk vorgeben. In der Fortsetzung der bisherigen Übung hieße es Deutsche Rechtschreibung. Amtliche Regelung. Überarbeitete Fassung 2005 ff. Einige Alternativen als Anregung: Schreibmodell Deutsch, Volks-Duden, Deutsch für alle, Einheits-Deutsch, Mittel-Deutsch (nicht: Super-Deutsch!), Grundlagen der deutschen Rechtschreibung …

2) Public-Private-Partnership: Gratis-Wörterbuch im Netz
In jeder an alle Schreibenden gerichteten Empfehlung soll der Rat bereits Antworten vorbereiten auf Fragen der Betroffenen nach der organisatorischen Umsetzung und nach eventuellen Kosten: Bekomme ich ein Up-date für mein Computer-Rechtschreibprogramm, muss ich wieder ein neues Wörterbuch kaufen? Unverzichtbar ist ein im Netz allgemein zugängliches Wörterbuch und Regelwerk der deutschen Sprache. Die traditionsreichen privatwirtschaftlichen Vorarbeiten (Duden, Bertelsmann, Bundesverlag etc.) könnten in einem Public-Private-Partnership-Modell von den Kultus- und Bildungsverwaltungen als kostenlosen Bürgerservice rasch zugänglich gemacht werden. Dieser Datenbestand lässt sich ohne viel Aufwand aktualisieren. Die Ankündigung eines Gratis-Wörterbuchs im Netz befreit auch die Reformer der vorigen Generation vom Generalverdacht, ihr Erwerbssinn hätte die Einheit der geschriebenen deutschen Sprache zerstört.
Die vorgenannten Punkte stellen nach Ansicht der AG die Grundpfeiler jeglicher Öffentlichkeitsarbeit dar und sollen auch für den Internetauftritt des Rats maßgebend sein. Dieser wird unter der internationalen Adresse www.rechtschreibrat.com eingerichtet. Da bestimmte Informationen sofort verfügbar sein sollten (Mitgliederliste, Presseschau etc.), wird fürs Erste eine provisorische Website im IDS erstellt. Diese soll baldmöglichst durch eine professionelle Gestaltung – zum Konzept s.u. – ersetzt werden; die AG ist zuversichtlich, dass die dafür notwendigen Gelder von den entsendenden Mitgliedsstaaten Deutschland, Österreich und der Schweiz bereitgestellt werden.
Die AG plant, im Anschluss an die Sitzung des 3. Juni das weitere Vorgehen abzustimmen und insbesondere das Konzept der Öffentlichkeitsarbeit – im Sinne eines von Frau Siegel auf der Sitzung vorgestellten ganzheitlichen Modells, das den Aspekt der Kommunikation mit einschließt – weiter auszubauen. Über Mithilfe bei der fortwährenden Auswertung der Presselandschaft würde sich die AG freuen: gefragt sind die in abgelegenen Medien erscheinenden Glossen, Artikel und Karikaturen.


AG ÖA
Mannheim, 02.06.05
Info zu Website
Marktstand: „Rechtschreibreform“
Die Website als Einladung zum Dialog

Im Gesamtkonzept der Öffentlichkeitsarbeit für den RDR lautet das Ziel, in der Öffentlichkeit eine Akzeptanz der Veränderungen, die die deutsche Rechtschreibung erfahren wird, zu erreichen: Rechtschreibreform nicht als ein behördlich verordneter Schicksalsschlag, sondern als eine nach fast hundert Jahren als nötig empfundene Anpassung einer lebendigen Sprache – als eine der vielen Veränderungen, die alle Institutionen in der heutigen Zeit erfahren. Dabei ist die Einrichtung einer Website der vielleicht dringendste Schritt. Nicht, um eine top down-Informationspolitik zu betreiben, sondern um mit den Besuchern der Website in den Dialog zu treten.
web site = ein Ort im Cyberspace (= Internet), an dem der Website-Betreiber als Gastgeber seine (surfenden) Gäste empfängt. Die unselige Übersetzung von site (= Ort) in „Seite“ hat dieses Konzept völlig verfälscht. 20 Sekunden entscheiden gewöhnlich darüber, ob der Besucher sich als willkommener Gast fühlt und gerne wiederkommen oder diesen Ort nie mehr sehen möchte.
Websites sind virtuelle Marktstände, wo potentiellen KäuferInnen Ware angeboten wird. Wie an einem richtigen Marktstand kommt ein erfolgreicher Abschluss über Gespräche zustande. Für den „Marktstand Rechtschreibreform“ heisst das, die zum Teil heftige Ablehnung zumindest zu entschärfen, indem er
– die Reform in für die Öffentlichkeit verständlichen Worten (ohne Fachjargon und grammatikalische Finessen) und verdaubaren Teilstücken präsentiert
– Fragen und Kommentare dazu über die Website einholt, die Öffentlichkeit also zum Dialog einlädt (FORUM, Gästebuch u.ö.)
– Erfahrungen publiziert, die bei der Einführung der Veränderungen gemacht worden sind (gute und schlechte!)
– spielerische Elemente hineinbringt wie Drei-Länder-Wettbewerb, Quizfragen u.ä.
– humorvolle Elemente einsetzt wie Karikaturen oder Glossen

Das setzt eine professionelle Konzeption und Programmierung ebenso wie eine ständige Aufdatierung voraus. Gute Websites sind einladend, informativ und leicht zu navigieren – sehr gute haben sogar Stammgäste! Der Rat ist auf sechs Jahre Tätigkeit angelegt; die Kosten für eine sehr gute Website sollten als Investition für diesen Zeitraum betrachtet werden.

Dr. Monique Siegel, Zürich
Zürich, 2.06.2005



Kommentar von Th. I.:

Bericht und Info enthalten einen sachlichen Fehler: Nicht die Tätigkeit des Rates, sondern die Mitgliedschaft darin ist auf sechs Jahre befristet, und es besteht die Möglichkeit der einmaligen Wiederberufung.

Die Forderung, das Regelwerk rasch verbindlich zu machen, und zwar über die Schulen hinaus, ist nicht nur wegen der unzutreffenden Annahme über die Termine unverständlich. Erstens ist die Öffentlichkeit außerhalb der Schule in keiner Weise gehalten, sich an die Neuregelung zu halten (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1998: „Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt. Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben.“). Zweitens gibt es auf absehbare Zeit kein Reformregelwerk mehr, das verbindlich gemacht werden könnte. Am 1. August 2005 wird daher auch kein Wörterbuch vorliegen, das den Stand der Reform repräsentiert.

Der Rat ist weder bei der jetzigen intensiven noch bei der ab August zu erwartenden gedehnten Arbeitsweise in der Lage, rasch ein überarbeitetes Regelwerk fertigzustellen. Bisher ist erst ein einziger Paragraph überarbeitet, und auch dieser ist noch längst nicht in fehlerfreie und druckreife Form gebracht. Die Suche nach einem neuen Titel „für das nun allgemein akzeptierbare Regelwerk“ ist insofern Zukunftsmusik. (Die vorgeschlagenen Titel sind meiner Ansicht nach ungeeignet; „Volks-Duden“ kommt aus naheliegenden Gründen nicht in Betracht, und alle anderen verschleiern den Charakter einer staatlichen Zwangsmaßnahme, um die es sich in Wirklichkeit handelt.)

Der Bericht stellt mit Recht fest, daß die Reform seit 1996 die Schreibeinheit zerstört hat und daß es darauf ankommt, sie wiederherzustellen. Allerdings gibt es dafür näherliegende Gründe als die sprachenpolitischen, die im Bericht genannt werden. Auch ist ein „Kompromiss“ keineswegs der einzige mögliche Weg, die Einheit wiederherzustellen. Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung hat sich gezeigt, daß die schlichte Rücknahme der Reform mehrheitsfähig ist und in der Öffentlichkeit begrüßt wird.

Es wird nicht berücksichtigt, daß der Rat seine Vorschläge an die Kultusbehörden zu richten hat und nicht direkt an die Öffentlichkeit. Verantwortlich sind letzten Endes die Kultusminister, die sich ja auch vorbehalten, jederzeit über die Empfehlungen des Rates hinweggehen zu können (wie wir es gerade erleben).

Daß ein im Netz allgemein zugängliches Wörterbuch unverzichtbar sein soll, leuchtet nicht ein. Es gibt unzählige Wörterbücher, elektronisch und in Buchform, und es ist nicht einzusehen, warum die Orthographie in Zukunft anders funktionieren sollte. Sich Updates für Rechtschreibprogramme zu besorgen war bisher die Privatangelegenheit der Bürger und sollte es bleiben. Rechtschreibwörterbücher gehören im Zeitalter der Deregulierung nicht zur allgemeinen Daseinsvorsorge.

Bevor solche utopischen Projekte in Angriff genommen werden, ist zu fragen, warum die Website des Rates immer noch nicht funktioniert. Und wenn sie endlich existieren sollte, wäre zu fordern, daß die Diskussionsvorlagen des Rates dort veröffentlicht werden, damit endlich die versprochene Beteiligung der Bevölkerung möglich wird und nicht nur die fertigen Ratschlüsse zur Kenntnis genommen werden.

Zum „Info“:

Es ist keineswegs einhellige Meinung, daß die Rechtschreibung „nach fast hundert Jahren“, wie es ganz im Ton der gewohnten Reformpropaganda heißt, verändert werden mußte, falls darunter etwas anderes verstanden werden soll als der amtliche Text von 1901/1902, der seit Jahrzehnten nicht mehr gedruckt wurde und daher längst ebenso unbekannt wie irrelevant ist. Es ging bei der Reform nie darum, den inzwischen de facto an die Stelle der amtlichen Regelung getretenen Dudentext zu verbessern, sondern um die Veränderung der Schreibweisen selbst. Dagegen richten sich alle Proteste, während ein anders formulierter Regeltext bei unveränderter Materie niemand aufgeregt hätte.

Meiner Ansicht nach sind Fragen der Gestaltung von Websites nachrangig, solange inhaltliche Fragen der Reform noch weit von einer Beantwortung entfernt sind. Man kann nicht am glänzenden Erscheinungsbild arbeiten und vom Inhalt völlig absehen. Eine Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit ist immer in Gefahr, sich die Zielsetzung der Kultusminister zu eigen zu machen, also die Akzeptanz der Rechtschreibreform erhöhen zu wollen, statt die Bevölkerung über die Arbeit des unabhängigen Rates zu unterrichten und sie daran teilhaben zu lassen.


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