11.04.2005 Theodor Ickler Gedanken beim Blick in die RundeUnd Nachbetrachtungen zu München:Obwohl ein redliches Bemühen vorherrscht, dem Auftrag des Rates zu entsprechen, werde ich doch das Gefühl nicht los, daß hier etwas Aberwitziges, irgendwie Surreales stattfindet. Drei Dutzend erwachsene Menschen, in ihren jeweiligen Berufen gestandene Männer und Frauen, versuchen etwas zu reparieren, was in der kindischsten Weise mutwillig beschädigt worden ist.Und in welchen Dimensionen! Hundert Millionen Leidtragende, Milliardenkosten ... Die berühmten „Nieten in Nadelstreifen“ sind Waisenkinder dagegen. Es sind Leute dabei, die den Schaden maßgeblich mitverursacht haben, und solche, die das Falsche propagiert und durchgeboxt haben, aber sie tun so, als hätten sie damit gar nichts zu tun. Daß ein einziger von ihnen zugeben könnte, etwas falsch gemacht zu haben, liegt außerhalb jeder Vorstellung. Ich glaube, mich würde die Größe der Schuld erdrücken und jedenfalls aus einem solchen Gremium fernhalten, aber sie finden nichts dabei. Rühmliche Ausnahme ist der Vorsitzende, der aufs neue bekennt, die Rechtschreibreform sei sein größter Fehler gewesen, Politiker dürften sich nicht an der Sprache vergreifen, und er würde so etwas nie wieder tun. Es ist bekannt, wer ihn als damals ziemlich Ahnungslosen in die Affäre hineingeritten hat, insofern ist er tatsächlich unschuldig, wenn auch verantwortlich: Er weiß es und sagt es. Hans Zehetmairs Stimme, die er nun im Sinne der angekündigten "tätigen Reue" um so energischer erhebt, ist auch sonst unschätzbar. Die Kultusminister und besonders -ministerinnen vom Schlage Ahnens und Wolffs können ihn nicht übergehen. Ich weiß wirklich nicht, ob die Kultusminister diese Entwicklung gewollt oder ob sie sich ein schonendes Weiterwurschteln versprochen hatten. Schulbuch- und Wörterbuchverlage lassen erkennen, daß sie einem Ende mit Schrecken nicht mehr so abgeneigt sind wie bisher. Der andere Weg, ein Schrecken ohne Ende, wird zwar verbal von Andreas Baer noch verfochten ("moderatere Änderungen"), aber ich zweifle, ob er selbst daran glaubt und ob er überhaupt noch Rückhalt im Verband hat. Was dieser Mensch angerichtet hat, verdient in Stein gemeißelt zu werden. Jemand, der ihn gut kennt, meinte neulich, Baer sei als Sprecher eines Verbandes von Schraubenherstellern leichter vorstellbar als ausgerechnet an der Spitze eines sogenannten Bildungsverbandes. Über das Arbeitspensum, wenn man auf dem eingeschlagenen Wege fortschreitet, herrschen weithin falsche Vorstellungen. Natürlich ahnen die meisten, daß der Termin 1. August 2005 nicht eingehalten werden kann, wenn man nicht unbrauchbares Flickwerk abliefern will. Aber daß schon eine hieb- und stichfeste Formulierung von § 34 wochenlange Arbeit einer kompetenten Redaktion erfordern würde, wissen wohl die meisten nicht. Man müßte ja gleichzeitig den gesamten Wortschatz durchgehen und die Folgen der neuen Regeln untersuchen. Und dabei ging es in der Arbeitsgruppe noch verhältnismäßig flott voran, weil Eisenberg zufällig einen Entwurf in der Schublade hatte, seinen Kompromiß vom Mai 2004, den er um einige kritisierte Punkte abgespeckt hatte, ohne daß allerdings schon alles akzeptabel geraten wäre. Bei anderen Paragraphen wird es noch beschwerlicher. Vielleicht glauben manche, nach der Revision vom November 2004 sei § 36 weitgehend entschärft. Man wird sich wundern. Es gibt unzählige Einzelheiten, die man nicht auf dem bequemen Weg der Variantenvermehrung erledigen kann. Zum Beispiel ist in der 21. Auflage des Duden das Wort gefahrdrohend plötzlich verschwunden und bis heute nicht wiederhergestellt. Offenbar weiß die Redaktion immer noch nicht, wie man so etwas jetzt schreibt. Und das ist nur ein zufällig herausgegriffenes Beispiel, auf das ich eben bei der Neubearbeitung meines Kritischen Kommentars gestoßen bin. Wie einfach könnte alles sein! "An den Schulen wird die allgemein übliche Rechtschreibung unterrichtet. Deren Darstellung obliegt den Wörterbuchverfassern. Rechtschreibwörterbücher werden wie andere Schulbücher von den Kultusministerien geprüft und zugelassen." Leider macht es die Konstruktion des Rates unmöglich, aber am liebsten würde ich mein eigenes Regelwerk zur Diskussion stellen, die einfache Fassung für die Schulen (bloß ein paar Zeilen für den Gegenstand von § 34!) und dann die detailliertere Darstellung für interessierte Erwachsene. Einzelheiten mag man verbessern können, aber insgesamt finde ich, daß unser Umgang mit der deutschen Sprache angemessener, sozusagen würdiger ist als dieses ganze Reformgeharke. Das Herumsitzen in Gremien zweifelhaftester Zusammensetzung mit dem Zweck, an der Sprache von 100 Millionen herumzubasteln, oder vielmehr an dem leichtfertigen Anschlag auf diese Sprache, das ist doch wirklich grotesk. Aus formalen Gründen müssen wir immer so tun, als reparierten wir das amtliche Reformwerk. Warum treten wir das Ganze nicht wirklich in den Müll (wie eine große Zeitung neulich vorschlug) und vergessen es so schnell wie möglich? Sogar verzeihen würden wir es, wenn wir es nur bald los wären.
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