17.02.2006 Theodor Ickler Statuten, Termine, TricksereienEin RückblickAuch bekannte Texte darf man wohl mehrmals präsentieren, weil neue Entwicklungen immer wieder neues Licht auf alte Vorgänge werfen.Was im Herbst 2004 eigentlich vor sich ging, wird wohl nie herauskommen. In welcher Form haben sich die deutschsprachigen Staaten auf den Rat geeinigt? In welcher Form wurden die Kommissionsmitglieder davon unterrichtet, daß sie zu Hause bleiben können? Hier nun die alten Geschichten noch einmal im Zusammenhang: Als der Rat für deutsche Rechtschreibung am 17.12.2004 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat, wußten die Mitglieder nicht, unter welchen Bedingungen sie überhaupt zu verhandeln hatten. Beiläufig erfuhren sie, daß es ein Statut gebe. Es war am Vortag (!) von den deutschsprachigen Staaten unterzeichnet worden. Die zugehörige „Vereinbarung“, mit der die Wiener Absichtserklärung von 1996 außer Kraft gesetzt und durch die sie ersetzt werden sollte, wurde erst sieben Monate später, am 17.6.2006, unterzeichnet. In welcher Form das erste Statut unter den Staaten abgestimmt worden war, ist nie bekannt geworden. Weder die Vereinbarung noch das veränderte Statut wurden, soweit bekannt, den Mitgliedern des Rates zugestellt. Zur ersten Fassung des Statuts hatte ich seinerzeit geschrieben: Wie der Generalsekretär der KMK, Prof. Erich Thies, in einem undatierten Schreiben (etwa 10.1.2005) mitteilt, können sich am Statut „evtl. noch geringfügige Änderungen ergeben.“ Erwartungsgemäß vermeidet es das Statut, die eigentliche Aufgabe, nämlich die Reparatur des mißglückten Reformwerkes, beim Namen zu nennen. Das entspricht der bisherigen Praxis bei der Einrichtung des inzwischen aufgelösten „Beirates“ usw. Auch die bisherigen Reparaturen – nichtamtlich bis 2004, amtlich und mit tiefgreifenden Folgen von Juni bis November 2004 – wurden als „Klärung von Zweifelsfällen“, „Präzisierungen“, „Feinanpassungen“ o. ä. verkleidet – ein Moment von Unwahrhaftigkeit, das auch die neue Konstruktion von Anfang an unglaubwürdig macht. (Nur im zweiten Bericht nannte die Zwischenstaatliche Kommission – aus Ärger über das Veto der Kultusminister – die schon im ersten Bericht vorgeschlagenen „Korrekturen“ beim Namen.) „Dieser Rat hat die Aufgabe, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren.“ Es kann bestenfalls darum gehen, die Einheitlichkeit wiederherzustellen, denn gerade als Folge der Reform ist die Rechtschreibung so uneinheitlich wie seit 150 Jahren nicht mehr. Der Rat wird auf die Reform von 1996 eingeschworen, ein neues Nachdenken über die gesamte Reformproblematik ist satzungsgemäß nicht zulässig. Die Beschreibung der Aufgabe ähnelt der der Zwischenstaatlichen Kommission, die ebenso wie der Beirat vom neuen Rat abgelöst werden soll. Dabei scheint die „Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache“ besonders abwegig. Allerdings war schon zur Begründung der gesamten Reform behauptet worden, es gelte nach 90 Jahren die Rechtschreibung an den Sprachwandel anzupassen. Einen rechtschreibrelevanten Sprachwandel hat es aber in dieser Zeit gar nicht gegeben, und die Reformer wußten auch kein einziges Beispiel zu nennen. (Man könnte allenfalls eine Tendenz zu verstärkter Zusammenschreibung wie kennenlernen, auseinandersetzen erwähnen; aber gerade dem will die Reform entgegenwirken.) So ist auch für die nächsten Jahre kein „allgemeiner Wandel der Sprache“ zu erwarten, an den die Schreibweisen angepaßt werden müßten.Vielmehr muß das Regelwerk wieder an den tatsächlichen Sprachbrauch angepaßt werden; es muß aber zuallererst von seinen Widersprüchen und objektiven Fehlern befreit werden. Das Interessanteste ist das, was nicht im Statut zu finden ist: Der Termin 1. August 2005 ist nicht erwähnt. Offenbar ist den Kultusministern klargeworden, daß er sich nicht einhalten läßt. Noch bei einer Pressekonferenz am 1.10.2004 in Berlin hatten die KMK-Präsidentin Doris Ahnen und die hessische Kultusministerin Karin Wolff gemeinsam erklärt: „Den Beschluss zum Ende der Übergangsfrist für die Fehlerkorrektur in den Schulen zum 1.8.2005 hat die Kultusministerkonferenz mit der Verabredung verbunden, einen Rat für deutsche Rechtschreibung einzusetzen.“ Ein solches Junktim scheint nun nicht mehr zu existieren. Was befähigt die Verbandsvertreter in besonderem Maße, die deutsche Sprache zu beobachten und weiterzuentwickeln? Die detailliertere Beschreibung ihrer Aufgabe: „die ständige Beobachtung der Schreibentwicklung, die Klärung von Zweifelsfällen (der Rechtschreibung), die Erarbeitung und wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache“ dürfte von den Genannten und den meisten anderen Mitgliedern selbst als unerfüllbar zurückgewiesen werden. Das könnten nur die Wörterbuchredaktionen, allenfalls orthographische Forschungsgruppen. Überhaupt scheint die Idee, daß Berufsverbände und Wirtschaftsunternehmen die Hauptakteure bei der Weiterentwicklung der Sprache seien, einigermaßen gewöhnungsbedürftig. Sonderbar ist auch, daß die Kriterien der Auswahl für die Vertreter Deutschlands und Österreichs verschieden formuliert sind und für die Schweiz ganz fehlen. „Von den Vorschlägen abweichende Beschlüsse der zuständigen staatlichen Stellen sind nur nach vorheriger Beratung mit dem Rat möglich.“ Dieser Satz ist vielleicht der wichtigste. Die Rechtschreibung bleibt in der Hand der Kultusbürokratie; sie kann, wenn auch nach vorheriger Beratung, weiterhin vorschreiben, was sie will. Angesichts der schlechten Erfahrungen mit den bisherigen Reformarbeitskreisen und der wegen Unfähigkeit aufgelösten Zwischenstaatlichen Kommission (von deren zwölf Mitgliedern allerdings nicht weniger als sieben im „Rat“ weitermachen) muß man vielleicht sogar froh sein, daß die verhältnismäßig besonnenen Ministerialbeamten sich die letzten Entscheidungen vorbehalten. Schon 1993 haben sie manche radikalen Auswüchse verhindert. Dennoch ist die Verstaatlichung eines Teils der Sprachnorm insgesamt ein Irrweg. Nachtrag: Am 17.6.2005, also vor der fünften Sitzung des Rates, wurde eine Neufassung des Statuts beschlossen, zusammen mit einer „Vereinbarung“. Beides wurde mir nur durch Zufall bekannt, die Ratsmitglieder wußten nichts davon. Die wichtigsten Veränderungen des Statuts: Liechtenstein und Südtirol sind – mit entsprechenden Änderungen – als weitere Mitglieder und Unterzeichner aufgenommen. Der Satz „Diese Einrichtungen legt die Kultusministerkonferenz fest“ entfällt. Unter 3.1 wird eingefügt „Der Rat gibt sich eine Geschäftsordnung.“ Unter der 3.6 wird statt „Mehrheit“ die „2/3 Mehrheit“ neu eingeführt. Die Schlußparagraphen über Kündigung und Inkrafttreten entfallen. Inzwischen war die KMK bei der Terminfrage auf den Kompromiß verfallen, einen Teil der neuen Regeln am 1. August 2005 verbindlich werden zu lassen und für den Rest eine verlängerte Übergangszeit einzuräumen. Der folgende Kommentar zur KMK-Pressemitteilung vom 3.6.2005: Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ist von mir damals mit einer recht gutmütig erscheinenden Einschätzung des Rates verbunden worden, weil ich den Rat insgesamt und den Vorsitzenden im besonderen zu einer etwas eigenständigeren Haltung ermuntern wollte. Daß ich mir über den Rat keine Illusionen machte, geht aus meinem Gesamtporträt von 2004 („Was ist vom Rat für deutsche Rechtschreibung zu erwarten“) deutlich genug hervor. „Die Kultusministerkonferenz dankt dem Rat für deutsche Rechtschreibung für die bisher geleistete Arbeit. Der Rat hat in kurzer Zeit die Bereiche möglicher Änderungen am Regelwerk benannt. Für den Schuljahresbeginn 2005/2006 ist für Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern bedeutsam, dass die 1996 beschlossene Neuregelung (in der Fassung von 2004) Grundlage des Unterrichts an den Schulen bleibt, bis der Rat gegebenenfalls konkrete Änderungen vorlegt. Für alle Bereiche, zu denen aus dem Rat keine Änderungswünsche zu erwarten sind, das sind die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibung mit Bindestrich sowie die Groß- und Kleinschreibung, endet mit dem 31.07.2005 an Schulen der Übergangszeitraum bei der Fehlerkorrektur. Für jene Bereiche, zu denen der Rat noch mögliche Änderungen vorlegen könnte, werden die vor 1996 geltenden Schreibweisen bis auf Weiteres nicht als falsch markiert und bewertet. Die Kultusministerkonferenz vereinbart zum Umgang mit der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in allen Ländern: 1.Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, wie sie sich aus der Amtlichen Regelung von 1996 in der Fassung von 2004 ergibt, ist die verbindliche Grundlage des Rechtschreibunterrichtes an allen Schulen. 2.Am 31.07.2005 endet die Übergangsfrist und die damit verbundene Korrekturpraxis. Schreibweisen, die nicht der Neuregelung entsprechen, werden ab dem 01.08.2005 als Fehler nicht nur markiert, sondern auch bewertet. In den Bereichen, in denen der Rat seine Beratungen noch nicht abgeschlossen hat, jedoch Änderungsvorschläge zu erwarten sind, wird bei der Bewertung Toleranz geübt. Dies betrifft die Getrennt- und Zusammenschreibung, Worttrennung und Interpunktion. Für den Überschneidungsbereich von Getrennt- und Zusammenschreibung und Groß- und Kleinschreibung gilt diese Toleranzklausel ebenso. 3.In Zweifelsfällen werden Wörterbücher zugrunde gelegt, die nach den Erklärungen des Verlages den aktuellen Stand der Regelung vollständig enthalten. In Österreich wird das Österreichische Wörterbuch zugrunde gelegt. 4.Der aktuelle Stand des Regelwerks und des Wörterverzeichnisses ist im Internet (unter www.rechtschreibkommission.de) und im Buchhandel zugänglich.“ Kommentar: „Der Rat hat in kurzer Zeit die Bereiche möglicher Änderungen am Regelwerk benannt.“ Das ist nicht wahr. Der Rat stand nicht vor der Aufgabe, Bereiche möglicher Änderungen zu benennen, und hat das auch nicht getan; er ist vielmehr willens, sämtliche Bereiche der Reform zu prüfen und über gegebenenfalls notwendige Änderungen zu beraten. „Für alle Bereiche, zu denen aus dem Rat keine Änderungswünsche zu erwarten sind, das sind die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibung mit Bindestrich sowie die Groß- und Kleinschreibung, endet mit dem 31.07.2005 an Schulen der Übergangszeitraum bei der Fehlerkorrektur.“ Die KMK hat den Rat nicht gefragt, zu welchen Bereichen Änderungsvorschläge zu erwarten sind. Da der Rat sich nicht sofort und gleichzeitig mit allen Bereichen beschäftigen konnte, hat er sich aufgrund einer Agenda, die schon vor dem Zusammentreten des Rates vorgeschlagen, aber keineswegs verbindlich war (MPK 6.-8.10.2004), zunächst mit der Getrennt- und Zusammenschreibung, dann auch mit Zeichensetzung und Silbentrennung beschäftigt und die anderen Bereiche, darunter die Groß- und Kleinschreibung, auf spätere Sitzungen verschoben; das bedeutet aber nicht, daß der Rat der Meinung wäre, hier seien keine Änderungen erforderlich. Indem die KMK diese nur aus Gründen der Arbeitsökonomie aufgeschobenen Bereiche zum 1. August verbindlich zu machen gedenkt, entzieht sie sie de facto einer Prüfung durch den Rat. Was in den Schulen endgültig eingeführt ist, kann auf absehbare Zeit nicht mehr in Frage gestellt werden, ohne daß sofort auf die Unzumutbarkeit für die Schüler hingewiesen würde. Der Wille der KMK, die bisher nicht behandelten Bereiche nicht mehr in Frage stellen zu lassen, geht auch aus der Pressemitteilung der hessischen Kultusministerin Karin Wolff vom 12.4.2005 hervor. Darin heißt es u. a.: „Der überwiegende Teil der neuen Regeln bleibt von den Änderungen unberührt. Ab dem kommenden Schuljahr können alle Schulen auf einer verlässlichen Grundlage unterrichten.“ (Ministerin Wolff, vom Verband der Schulbuchverleger als „Meinungsführerin“ in Sachen Rechtschreibreform geschätzt, bestimmt weitgehend den Kurs der KMK; ihrem Mitarbeiter Christoph Stillemunkes hat die KMK alle Fragen der Rechtschreibreform anvertraut.) Noch deutlicher wurde die KMK-Vorsitzende Wanka: „Die Groß- und Kleinschreibung ist mit unserem Beschluss vom 23. Juni, die unstrittigen Teile der Reform jetzt verbindlich einzuführen, von Änderungen vorerst ausgeschlossen.“ (Tagesspiegel 22.7.2005) Der Vorsitzende hat dennoch mit Recht die Entschlossenheit des Rates unterstrichen, die Groß- und Kleinschreibung noch im laufenden Jahre zu behandeln (Der Spiegel 6.6.2005, Tagesspiegel 22.7.2005 u. ö.). Damit wehrt er sich gegen den Versuch der KMK, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Arbeit des Rates zu behindern, auf dessen Unabhängigkeit Zehetmair immer wieder ausdrücklich hingewiesen hat. Ministerin Wanka konterte, indem sie den Standpunkt der KMK ungerührt wiederholte: „Ausgenommen sind zunächst die Bereiche Getrennt- und Zusammenschreibung, die Worttrennung am Zeilenende sowie die Interpunktion. Hier wird die alte Schreibweise weiterhin nicht als Fehler gezählt, weil seitens des von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Rats für deutsche Rechtschreibung in diesen Bereichen Änderungen zu erwarten sind. (...) In Absprache mit der KMK werden vom Rat nun vorrangig mögliche Änderungswünsche bei Getrennt- und Zusammenschreibung, Worttrennung am Zeilenende sowie Interpunktion erwartet, um auf dieser Grundlage die Reform formal abzuschließen. (Pressemitteilung vom 1.8.2005). Dieselbe Vorentscheidung über den Kopf des Rates hinweg war im Vorfeld des 3. Juni als Unterscheidung von angeblich „unstrittigen“ und „umstrittenen“ Bereichen lanciert worden – worin sich ebenfalls ohne jede reale Grundlage lediglich die Absicht der KMK ausdrückte, solche Teile nicht mehr ändern zu wollen, deren Änderung den Wörterbuch- und Schulbuchbuchverlagen neue Kosten zu verursachen droht. Die jetzt beschlossene Konstruktion ist offensichtlich die einzige, die praktisch ohne Neudruck der entsprechenden Materialien eine weitere Durchsetzung der Rechtschreibreform ermöglicht. Darum ist auch der Geschäftsführer des Verbandes der Schulbuchverleger zufrieden: „Es sei nun eine Konsenslösung gefunden, mit der alle Beteiligten gut leben könnten. Die angemessenen Übergangsfristen setzten die Verlage nicht unter Druck.“ (Börsenblatt 9.6.2005) Auf die Frage Cui bono? antwortet auch der Bertelsmann-Konzern, indem er zusammen mit dem Schulbuchverlag Cornelsen für den 1. August 2005 ein neues Rechtschreibwörterbuch ankündigt. Es berücksichtigt „die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 3. Juni 2005“ und führt „in den unstrittigen Bereichen Laut-Buchstaben-Zuordnung, Groß- und Kleinschreibung sowie Bindestrich-Schreibung alle Schreibweisen des amtlichen Regelwerks in der Fassung von 2004 auf. In den strittigen Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung verzeichnet der WAHRIG darüber hinaus die alten Schreibweisen, die laut KMK weiterhin toleriert werden sollen.“ (Pressemitteilung vom 29. Juni 2005). Damit entspricht es bis in den irreführenden Wortlaut hinein dem Wunsch der Kultusminister, die verfehlte Groß- und Kleinschreibung sowie die teilweise skurrilen Laut-Buchstaben-Zuordnungen nicht mehr zur Diskussion zu stellen, da sie „unstrittig“ seien. Am 15. Juli 2005 schrieb die Wahrig-Herausgeberin Dr. Krome an einen Kunden: „Im WAHRIG sind die Beschlüsse des 'Rates für deutsche Rechtschreibung'“ nicht eingearbeitet, da sie juristisch noch nicht verbindlich sind und es auch nicht sicher ist, ob sie verbindlich werden. In zwei von der KMK benannten Bereichen (Zeichensetzung und Worttrennung) sind noch gar keine Beschlüsse gefasst worden, die Vorschläge in der Getrennt- und Zusammenschreibung sind noch nicht von den entsprechenden politischen Stellen gebilligt worden.“ Damit ist die Stategie klar: Der Rat wird ignoriert, andere Themen als die genannten stehen ohnehin nicht zur Debatte. Die Verlagslobby wird notfalls die „alte Verbändeallianz“ mobilisieren – so nennt der Verband der Schulbuchverleger seine jederzeit zu öffentlichen Erklärungen bereiten Hilfstruppen: den Bundeselternrat, den Deutschen Philologenverband, den Verband Bildung und Erziehung, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und einige andere, darunter sogar Schülervertretungen. „Für den Überschneidungsbereich von Getrennt- und Zusammenschreibung und Groß- und Kleinschreibung gilt diese Toleranzklausel ebenso.“ Hier ist offenbar an fragwürdige Großschreibungen wie Acht geben, Recht haben, vielleicht auch Pleite gehen gedacht. Falls hier im Sinne der sonderbaren Wüster-Maxime durchgängig Zusammenschreibung eingeführt würde, wäre auch die zum Teil ungrammatische Großschreibung vom Tisch. Nicht betroffen sind aber z. B. die archaisierenden Großschreibungen im Allgemeinen, des Öfteren, Letzterer, bei Weitem usw., ferner die Großschreibung in mehrteiligen Entlehnungen wie Primus inter Pares usw., die grammatisch falschen Großschreibungen jemandem Feind, Todfeind, Freund sein, die Großschreibung der Tageszeiten morgen Abend usw. sowie Diät leben, die Kleinschreibung fester Begriffe, die verordnete Kleinschreibung der Anredepronomina und einige Sonderfälle wie die künstlich altertümelnden Schreibweisen zu Eigen machen, in Sonderheit u. a. Sogar die Großschreibung am Satzanfang und nach Doppelpunkt muß neu formuliert werden, da sie bisher auf dem Begriff des „Ganzsatzes“ beruht, den Peter Gallmann, der Spezialist für reformierte Interpunktion, inzwischen aus zwingenden, von der Kritik schon lange formulierten Gründen aufgegeben hat. (In Gallmanns Schülerduden-Grammatik von 1998 ist er noch enthalten, in der von ihm verfaßten Satzlehre der Dudengrammatik von 2005 nicht mehr.) Insgesamt eine beträchtliche Stoffmenge, die von der KMK für „unstrittig“ erklärt wird, obwohl sie seit Beginn der Reform heftig umstritten ist. Die Groß- und Kleinschreibung war stets der wichtigste Diskussionsgegenstand schon im Internationalen Arbeitskreis, und die zur Zeit geltende Lösung wird von den Urhebern der Reform eigentlich nicht gutgeheißen. Sie von Amts wegen als unstrittig darzustellen ist eine außerordentliche Provokation, nicht nur für den Rat, sondern für die ganze Sprachgemeinschaft. Wie wenig „unstrittig“ die reformierte Groß- und Kleinschreibung tatsächlich ist, wird auch durch die ausführliche Diskussion im vierten und letzten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission bewiesen. Angeblich unstrittig sind laut KMK auch die neu verordneten Schreibweisen im ersten Bereich, der Laut-Buchstaben-Entsprechung: einbläuen, schnäuzen, Zierrat, Tollpatsch, nummerieren, deplatziert; Missstand;Fonetik, Spagetti, Tipp usw. - allbekannte Ansatzpunkte der Reformkritik von Anfang an. Unmittelbar vor der fünften Sitzung des Rates wurde bekannt, daß die Kultusminister der deutschsprachigen Länder am 17. Juni 2005, also genau ein halbes Jahr nach der konstituierenden Sitzung des Rates, eine veränderte „Vereinbarung“ über das Statut beschlossen hatten. Darin wird die Silbentrennung nicht mehr erwähnt. Bei durchaus möglicher restriktiver Interpretation des neuen Textes kann man folgern, daß der Rat sich ausschließlich mit Getrennt- und Zusammenschreibung, Interpunktion und „Fremdwörtern“ beschäftigen soll. „In Zweifelsfällen werden Wörterbücher zugrunde gelegt, die nach den Erklärungen des Verlages den aktuellen Stand der Regelung vollständig enthalten.“ Wie schon 1996 wird nicht die tatsächliche Übereinstimmung der Wörterbücher mit der amtlichen Regelung verlangt, sondern nur die Erklärung des Verlages, daß es mit der Umsetzung seine Richtigkeit habe. Auch dies ist eine unerhörte Begünstigung der Verlage. In anderen Bereichen der Schulbuchzulassung begnügen sich die Schulbehörden zu Recht nicht mit solchen Eigendeklarationen.
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