19.02.2014


Theodor Ickler

Grammatische Exerzitien 4

"Herausstellung"

Regelmäßige Unregelmäßigkeiten der Satzgliedstellung
Das folgende ist eine etwas ältere Kurzübersicht in Anlehnung an Hans Altmanns "Formen der Herausstellung". Ich werde das dann noch ausbauen und modifizieren.

Haupttypen der „Herausstellung“

Die feste Stellung des finiten Verbs erzeugt sogenannte „Felder“, im selbständigen Aussagesatz also zunächst das Vorfeld, das Mittelfeld und das Nachfeld, nach einigen Autoren auch noch das Vor-Vorfeld und das Nach-Nachfeld. Die Felder werden nach bestimmten Regeln gefüllt (oder bleiben leer). Eine große Gruppe von Abweichungen – die aber zum Teil schon wieder das Übliche sind – wird als „Herausstellungen“ bezeichnet. Mit (x) ist in den folgenden Beispielen die Stelle bezeichnet, an der das herausgestellte Element nach der Grundordnung stehen müßte.

1. Extraposition
Gliedsätze, Gliedteilsätze und satzwertige Infinitivkonstruktionen in der Rolle einer Ergänzung stehen anders als Nominalgruppen oft nicht im Mittelfeld, sondern werden ins (Nach)-Nachfeld extraponiert:
Die Regierung hat (x) beschlossen, daß die Universitäten zehn Prozent einsparen müssen.
Die Regierung hat (x) beschlossen, die Mittel um zehn Prozent zu kürzen.

In beiden Beispielsätzen ist beschlossen das schließende Element. Beim Attributsatz ist die Extraponierung eher stilistisch bedingt:
Die Kürzung der Mittel wurde von einer Regierung (x) beschlossen, deren Vertreter die Universität besuchte.
In den vergangenen Jahren haben sich die experimentellen Hinweise (x) gehäuft, daß die Welt tatsächlich verrückt ist.
(FAZ 10.1.96)
Gliedsätze werden oft durch ein Korrelat im Obersatz vorweggenommen:
Man kann sich nicht darauf verlassen, daß alle ehrlich sind.
Am häufigsten ist das Stützwort es (Korrelat-, Vorgreifer-es):
Macht es dir etwas aus, wenn ich mitkomme?
Das Ziel der Sprachwissenschaft ist es, wahre sprachwissenschaftliche Aussagen zu formulieren.
(Renate Bartsch/Theo Vennemann: Grundzüge der Sprachtheorie. Tübingen 1983:2)
Nicht extraponiert werden Infinitive mit zu bei Halbmodalverben wie scheinen, pflegen, drohen, versprechen:
daß er zu kommen scheint/pflegt/droht/verspricht
Bei versuchen und wünschen sind beide Stellungen möglich.

2. Linksversetzung
Zum Zwecke der Hervorhebung kann ein Satzglied vor das Vorfeld gestellt und im Vorfeld durch ein pronominales Element – wenn erforderlich, im gleichen Kasus – wiederaufgenommen werden:
Die Sterne, die begehrt man nicht. (Goethe)
Früher, da war der Mensch ein Dichter. (Natur 12, 1985)
Bei der Vorbereitung der Kinderfreizeit, da habe ich angefangen zu lesen. (Jugend '81, II:53)

3. Freies Thema
Wenn sich der Zusammenhang zwischen dem nach links herausgestellten Element und dem übrigen Satz lockert, geht die Linksversetzung in das Freie Thema über:
Kunst und Politik, viel haben sie sich nicht mehr zu sagen in diesen Tagen. (FAZ 17.1.87)
Die Werke Hölderlins aus dieser Zeit, was läßt sich aus ihnen über seine innere Verfassung erschließen? (Uwe H. Peters: Hölderlin. Reinbek 1982:212)
An dieser Stelle finden sich vor allem auch konditionale und insbesondere konzessive Nebensätze:
Wenn ich noch einmal zur Welt käme, eine Bäuerin würde ich nicht mehr werden. (Anna Wimschneider: Herbstmilch. München 1985:152)
Das Freie Thema steht nicht in Konstruktion mit dem folgenden Satz, es ist gewissermaßen ein Zwischensatz.

4. Ausklammerung
Satzglieder und -teilglieder können hinter das schließende Element gestellt werden, sei es zur besonderen Hervorhebung, sei es zur Verkürzung des Mittelfeldes:
Im Paradies und im Jenseits gibt es (x) keine Sexualität nach christlicher Auffassung. (FAZ 5.10.93)
Ich weiß nicht, ob Sie die schöne Geschichte (x) kennen von dem alten chinesischen Maler. (FAZ 18.1.86)

5. Rechtsversetzung
Weist ein pronominales Element auf den nach rechts herausgestellten Teil voraus, so spricht man auch von Rechtsversetzung:
Er frißt am Herzen, der fürchterliche Gedanke.
Die Rechtsversetzung ist eigentlich eine Apposition.

Anmerkungen
1. Selten, aber keineswegs unmöglich ist die Stellung von Ergänzungssätzen ohne Extraposition:
Erst wenn ich in der Folge auf diesen Fehler stoße, wird mir, daß ich ihn gemacht habe, bewußt. (Hb. d. Psychol. hg. von Wolfgang Metzger, I,1:98)
In der Tat hat Hegel, was Bildung ist, am schärfsten herausgearbeitet. (Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Tübingen 1990:17)
Ganz sicher, daß sich diese Hoffnung bestätigen wird, können wir allerdings nicht sein. (Th. Ballmer/W. Brennenstuhl: Deutsche Verben. Tübingen 1985:44)
Es ist also nicht richtig, solche Sätze für grammatisch falsch zu erklären:
Übrigens steht, daß der Staatsanwalt das nicht darf, in jedem Strafrechtskommentar.
2. Zur Linksversetzung: Nach einer anderen Auffassung, die zum Beispiel Friedrich Blatz vertritt, ist das linksversetzte Glied nicht herausgestellt, sondern es wird ein pleonastisches pronominales Element zusätzlich eingefügt. Dafür spricht auch die einheitliche, pausenfreie Intonation, die vom „linksversetzten“ Glied über den ganzen Satz reicht.
3. Zur Wiederaufnahme bei der Linksversetzung kann auch das Pronominaladverb da verwendet werden:
Aus Fischsuppe, nee, da machte er sich nichts. (Christa Wolf: Sommerstück. Darmstadt 1989:142)
4. Ebenfalls nicht genau kongruierend kann das Pronomen das in dieser Rolle auftreten:
Der Astronom, das war einst der Sterngucker, der zum Firmament aufschaute (...) (FAZ 1.3.86)
Man sieht hier den Übergang zum Freien Thema, vor allem bei geeigneter Intonation; entscheidend ist jedoch, daß der Satz auch ohne das pronominale Element bestehen könnte: Der Astronom war einst ...


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