03.05.2013


Theodor Ickler

Haplologie

Allgegenwärtige Quelle für Fehler und Sprachwandel

Skinner beschreibt den Sachverhalt so:

"Jedes einzelne Glied in der Kette innersprachlicher Reaktionen steht nicht nur unter der Steuerung des vorhergehenden Gliedes. Wir erkennen das, wenn eine Kette (z. B. das Aufsagen des Alphabets oder das Rezitieren eines Gedichts) unterbrochen wird und nicht mit Hilfe des zuletzt hervorgebrachten Gliedes allein wiederhergestellt werden kann. Ein 'fliegender Start' greift weiter zurückliegende steuernde Reize auf und kann sich als hilfreich erweisen. Andererseits beweisen 'haplologische' Fehler gelegentlich die Wirksamkeit eines einzelnen Gliedes. Sie treten auf, wenn zwei Glieder identisch sind; der Sprecher gelangt bis zum ersten und fährt mit den Reaktionen fort, die auf das zweite folgen. (Haplographie – ein ähnlicher Fehler beim Abschreiben eines Textes – kommt erwartungsgemäß viel häufiger vor als die innersprachliche Art. Das komplexe Verhalten des Abschreibenden, der vom Originaltext auf seine Abschrift blickt und wieder zurück zum 'selben Wort', wird durch weiter entfernt liegende Reize verhältnismäßig wenig beeinflußt.)
Viele wichtige Eigenschaften von verketteten sprachlichen Reaktionen oder ganz allgemein von innersprachlichem Verhalten lassen sich aufhellen, wenn man sie mit musikalischem Verhalten vergleicht. Wenn man auswendig spielt, ergeben sich einige offensichtliche Parallelen: der haplologisch vorwegnehmende Sprung in eine Schlußphrase; die umgekehrte Haplologie, die darin besteht, daß man die Schlußphrase nicht finden kann, weil ein früheres Glied ständig wiederkehrt; und der 'fliegende Start', den man oft braucht, um mitten im Stück anfangen zu können. Die Musik liefert auch einen Beleg für die Wichtigkeit der Selbstreizung in 'innersprachlichen' Ketten. Ein Sänger, der Töne nicht in der richtigen Höhe hervorbringen kann, kann 'die Melodie auslösen', wenn er vom Blatt oder nach dem Gehör oder nach Noten singt." (Verbal Behavior 72f.)

Wir haben also die bereits üblich gewordenen Adaption (< Adaptation), Elend (< elilenti), Mineralogie (< Mineralologie); dann die berühmte Wanderin samt Wanderschaft (< Wandererschaft); ebenso: eine Herausforderin für Kurt Beck (Medienberichte 25.11.09); spezifisch (< spezifizisch) und den schon erwähnten Narzißmus.

Gelegentlich auch solche Sachen wie: doderesk (< dodereresk) (SZ 25.10.08)

Im weiteren Sinne könnte man auch syntaktische Einsparungen hierher stellen:

Doch sind inzwischen auch Bücher erschienen, mit denen zu befassen sich lohnt. (SZ 2.8.86)
Dieses Unternehmen der Autoren läßt sich allerdings nicht anders als Fiasko bezeichnen. (SZ 20.12.85)
Es wird nicht immer völlig deutlich, ob er nun Objektivität für linguistische Theorien im Prinzip erreichbar hält oder nicht. (Michael Schecker (Hg.): Methodologie der Sprachwissenschaft. Hamburg 1976:147)
Oder hielt er mich mit meinen zwanzig Jahren für solche Debatten noch nicht gerüstet? (FAZ 21.11.03)
Daher halte ich mich für das Amt geeignet. (Steinmeier über seine Kanzlerkandidatur April 2009)
Weder der Glaube an Gott noch an wissenschaftliche Rationalität bietet eine Garantie gegen schreckliche gedankliche Irrtümer. (Welt 18.11.07)
die Überzeugung, vor nichts Angst haben zu brauchen (Joachim Seyppel: Die Mauer. Bern, München 1981:17)


Den Beitrag und dazu vorhandene Kommentare finden Sie online unter
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1550