10.02.2013 Theodor Ickler Kartoffeln stoppelnNachlese zwischen Recht und UnrechtNeulich bin ich auf den Ausdruck Kartoffeln stoppeln gestoßen, eine Zeitung unterrichtete ihre Leser über erlaubte und unerlaubte Nachlese auf den Feldern. Da wurden bei mir Erinnerungen wach, denn nach dem Krieg haben wir alles mögliche von den abgeernteten Feldern nach Hause gebracht, vor allem Kartoffeln und Zuckerrüben (woraus mit viel Mühe der Sirup gekocht wurde, den man heute für viel Geld als Delikatesse kaufen kann).Eigentlich hinterlassen Kartoffeln keine Stoppeln, der Ausdruck kommt natürlich vom Getreide, wie auch Nachlese. Ich erinnere mich, als zwar nicht frommer, aber in Geschichten verliebter Knabe die Ruth aus dem gleichnamigen Buch des AT besonders gemocht zu haben, denn was sie auf dem Feld des Boas tat, war mir sehr vertraut. Wie solche Geschichten wohl auf heutige Kinder wirken? Viele kennen Felder nur noch als vorbeirasende Flächen vom Auto aus gesehen. Der Rat jener Zeitung, vor dem "Stoppeln" den Bauern zu fragen, zeigt ebenfalls die Weltfremdheit der Journalisten. Wem die Felder gehören, weiß man doch im allgemeinen gar nicht. Es trifft übrigens zu, daß professioneller Diebstahl den Bauern zu schaffen macht. Andererseits stellen sie vertrauensvoll ihre Erzeugnisse zur Selbstbedienung vors Hoftor und eine Geldkassette daneben. Wie mir hiesige Landwirte versichern, wird die Ware praktisch immer pünktlich bezahlt. Man könnte die Kirschen, Erdbeeren usw. ganz leicht unbezahlt einsacken, wie ich den ganzen Sommer über jedesmal denke, aber natürlich nicht tue. Das gibt mir auf den nächsten Kilometern, mit wohlgefüllten Satteltaschen, immer noch ein wenig Stoff für moralphilosophische Überlegungen. Die Sachen kosten ungefähr die Hälfte der Preise auf dem auch nicht besonders teuren Wochenmarkt. Die Auslage hat auch was Rührendes. Es ist, als wenn einen in dieser durchkommerzialisierten Welt ein Kind vertrauensvoll anblickte. Es ist geradezu ein moralischer Zwang. Einmal hatte ich zu wenig Geld dabei, habe den Kürbis trotzdem mitgenommen und am nächsten Sonntag die 50 Cent noch nachgezahlt. Andernfalls hätte ich für den Rest meines Lebens eine unangenehme Erinnerung gehabt, etwa so wie an ein Plagiat ... Im letzten Herbst trafen wir einen Bauern, von dem wir auf diese Weise oft die schönsten Öbster mitgenommen hatten, tatsächlich mal im Gelände, auf der Leiter im Apfelbaum, und kamen ins Gespräch. Er nötigte uns gleich, ein paar Äpfel mitzunehmen, und erwies sich als Philosoph mit sehr vernünftigen Ansichten und verstand auch sehr gut, sich auszudrücken, wobei er von seinem fränkischen Dialekt ins Standarddeutsche umschaltete. (Die Kollegen vom Sprachatlas hören das nicht so gern. Sie sind immer auf der Suche nach alten, unverdorbenen Dialektsprechern ...)
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