28.10.2012


Theodor Ickler

Feucht und schmutzig

Zu einem neuen Buch von Hans-Martin Gauger über vulgäre Sprache

In der Zeitung wurde kürzlich ein neues Buch von Hans Martin Gauger besprochen: Das Feuchte und das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache (Beck 2012).

Ich habe es noch nicht gelesen. Es handelt sprachvergleichend vom Schimpfen, Fluchen und Beleidigen und insbesondere von der vieldiskutierten Tatsache, daß im Deutschen eher fäkal (Arschloch, Scheißkerl), im Romanischen und Angelsächsischen sexuell (motherfucker, son of a bitch), ebenso anderswo (Ich habe deine Schwester gevögelt) beleidigt wird. Mir scheint das daran zu liegen, daß in gewissen Kulturen die Ehre hauptsächlich sexuell verstanden wird, während andere eher das Dienen und Herrschen, also die Machtposition, als Ordnung voraussetzen und daher die Erniedrigung (in den Staub fallen, am Arsch lecken) als das Unehrenhafte zumuten, vielleicht aber auch das Unerzogene, die Nichtüberwindung des kindlichen Windelstadiums. (Das bairische „hinterfotzig“ ist allerdings nicht sexuell motiviert, sondern wird nur von Ortsfremden so gedeutet. So ist denn auch „Fotzenhobel“ etwas ganz anderes, als sich die Nichtbayern darunter vorstellen.) Man hat ja schon den Nationalsozialismus auf den an Schimpfwörtern erkennbaren analen Zwangscharakter der Deutschen zurückführen wollen; Gauger scheint da nicht mitzumachen, obwohl er die Psychoanalyse weiterhin übermäßig schätzt.

Ich weiß nicht, ob Gauger auf einen Umstand eingeht, den ich wichtig finde: Die exkrementellen Schimpfwörter werden auch von Kindern gern benutzt, während das Sexuelle ihnen – jedenfalls früher – ziemlich unbekannt und unbegreiflich war und sexuelle Ehrbegriffe erst recht. Ich glaube, daß ich meinen ältern Bruder oft und gern als „Arschloch“ bezeichnet habe, als ich noch längst nichts Genaueres über Sex wußte und mich auch nicht dafür interessierte. Als ich dann Wörter wie „ficken“ und „Fotze“ kennenlernte, waren sie mir ausgesprochen unangenehm und sind es eigentlich bis heute geblieben; ich verwende sie praktisch nie. Dabei weiß ich natürlich, daß in der Sprache der Liebenden (vgl. Leisi: Paar und Sprache) das Grobe zum Zärtlichen umfunktioniert werden kann, ebenso wie die körperliche Distanz samt Ekelschranke eingerissen wird.

Wie sollte man sich unter Geschwistern sexuell beleidigen? Die Geschlechtsehre hat hier keinen rechten Ansatzpunkt. Man könnte sagen, sie gehört zu einem spezielleren sozialen Funktionskreis als die Reinlichkeitserziehung. Insofern besteht eine Asymmetrie zwischen den beiden Bereichen, aus denen die Beleidigungen usw. geschöpft werden.
In Amerika, zumindest in gewissen Milieus, scheint „son of a bitch“ so gebräuchlich zu sein, daß es nicht viel mehr als „Kerl“ bedeutet. Und „fucking“ ist kaum mehr als das Kennzeichen eines bestimmten (männlichen) Registers. Ob Gauger Wörter wie „Pimpf“ (kleiner Furz) berücksichtigt? Auf die Pimmel-Synonyme für Jungs wird er ja wohl eingehen.
Das Ganze erinnerte mich natürlich auch an die von Reinhold Aman (im Inhaltsverzeichnis von Gaugers Buch als „Arnan“ angeführt) herausgegebene Zeitschrift Maledicta, und als ich noch einmal bei Wiki unter Aman nachsah, stieß ich auf bemerkenswerte biographische Details, ferner auch auf den Begriff „Flaming“, den ich bisher nicht kannte. Bitte lesen Sie selbst nach! Es ist nicht nur kurios, sondern auch sprachlich von Interesse.

Gaugers Buch werde ich lesen, sobald ich das vorbestellte Exemplar ausleihen kann. Kaufen werde ich es nicht, da es in reformierter Rechtschreibung gedruckt ist.

(Der Titel des Buches scheint mehr auf einen gewissen Bestsellertrend zu schielen als das Buch selbst.)


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