01.07.2010


Theodor Ickler

Aussensicht

Weitere Einzelheiten zur Rhetorik der Reform

Ein jüngerer Schweizer Verfechter und Vermarkter der Rechtschreibreform schrieb mir 2001 u. a. folgendes:

»Man kann doch nicht etwas, was eine Folge jeglicher Rechtschreibreform und zum Teil schon jeglicher Rechtschreibdebatte ist, als spezielle Folge dieser Neuregelung darstellen. Jede Rechtschreibneuregelung führt in den ersten Jahren zu mehr Varianten und zu einer gewissen Verunsicherung. Die Hauptfolge jeglicher Rechtschreibneuregelung ist, dass mehr Varianten auftauchen, weil alte und neue Schreibung nebeneinander stehen und teilweise auch durcheinander gehen. Zudem ist es ja so, dass jede öffentliche Thematisierung von Rechtschreibung zu einer Verunsicherung führt, weil routinisiertes Wissen thematisiert wird. Zudem wissen die Schreibenden, dass sich da bei der Rechtschreibung jetzt was geändert hat, was eine Weile zu viel mehr Varianten- und Fehlschreibungen führt, weil man meint, man müsse in vielen Fällen anders schreiben.

Was die Änderungen im Duden betrifft, so stellt sich die Frage, wann man etwas als grundsätzliche Änderung auffasst. Der entscheidende Punkt scheint mir zu sein, ob es Auslegungen geändert worden sind oder effektiv Regeln. Natürlich ist die Tatsache, dass es Auslegungsschwierigkeiten gibt oder die Auslegungspraxis geändert werden muss, ein Hinweis darauf, dass bestimmte Regeln nicht besonders gelungen sind oder nicht besonders formuliert worden sind. Aber es sind noch nicht grundsätzliche Änderungen. Eine grundsätzliche Änderung wäre etwa die Einführung der Kleinschreibung.

Was aus einer Aussensicht an der öffentlichen Diskussion um die Neuregelung in Deutschland teilweise auffällt ist, dass sich Züge finden, die man als "typisch deutsch" bezeichnen könnte. Es macht sich ein Hang zu Grundsatzdiskussionen und Ausschliesslichkeit bemerkbar, der doch dem Umgang mit Regelungen nicht angemessen ist. Bis die Regelungen einmal installiert sind, kann man sich öffentlich drüber streiten, wie man will.
Ob Rechtschreibreform, Steuerreform, Rentenreform oder eine neue Bauverordnung, wenn die Dinge einmal ein bestimmtes Stadium erreicht haben, dann macht mans halt, lässt die Sache mal laufen, wendet sie an, reagiert auf die auftretenden Probleme und bessert hier und da nach. Die Phasen der Umstellung sind besonders mit Schwierigkeiten verbunden, bis sich alles wieder eingependelt.

Damit wir uns richtig verstehen: Wenn man die alte Regelung hätte sein lassen, wäre das Abendland nicht untergegangen; genauso wenig wie es untergeht, wenn man die Neuregelung anwendet.«


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