29.11.2009


Theodor Ickler

Bingo

Zum Tod Erich Böhmes

Hier interessiert natürlich nur, was er zur Rechtschreibreform zu sagen wußte. Es war nicht so, daß man es in einem Nachruf rühmen möchte:

»Quatsch wider Quatsch

Indigniert setzte die alte Tante ihre Kaffeetasse ab. Die "Frankfurter Allgemeine" ist am 1. August wieder zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt. "Schiffahrt" statt "Schifffahrt", "sitzenbleiben" statt "sitzen bleiben". Bingo. Ihre Ankündigung klang so, als breche sie mit dem Rest der Welt, ihren Lesern und den deutschen Literaten zuwillen (oder zu Willen?). Dreispaltig auf der Seite eins verkündigte sie ihre Kriegserklärung an die deutschen Kultusminister, von denen nur noch einige in jenem Amt sind, das sie zur so genannten "gemäßigten Rechtschreibreform" des Jahres 1998 befähigt hatte. Gleichen Jahres gab das Bundesverfassungsgericht nach zahlreichen Beschwerden, Klagen, unterschiedlichen Urteilen der Vorinstanzen dem Machwerk seinen Segen. Auch die FAZ druckte das Johannes-Rau-Wort von Deutschland, dem "Gast freien" Land, statt dem "gastfreien". Peinlich, ja. Nicht ganz so blamabel, wenn die deutschen Parlamentarier, wie die FAZ heute moniert, in ihrer Zeitung lesen mussten "Heiliger Stuhl", dagegen aber "hohes Haus".

Die deutschen Kultusminister, sonst eher unterbeschäftigt, hatten der deutschen Schriftsprache einen preußischen Kürassierpanzer aus einheitlichen Getrennt- und Zusammenschreibungen verpasst, aus neuer, zum Teil sinnentstellender Silbentrennung, neuer Groß- und Kleinschreibung, neuer Interpunktion und lautmalerischer Vokale übergestülpt. Trotz aller scheinheiligen Zusicherungen war die Bevölkerung nicht gefragt, das Parlament schon gar nicht erst beteiligt worden. Klammheimlich auf dem Verordnungsweg war das neue Regelwerk in Kraft gesetzt worden. "Schluß damit" fordert die Frankfurter Allgemeine, wobei offen bleibt, ob sie nicht doch lieber "Schluss" mit "Doppel-S" meint.

Spaltenlang gratulieren ihr Deutschlands Schriftsteller "herzlich" zu dem mutigen Schritt, so als handele es sich darum, Helmut Kohl aufzufordern, doch endlich die Namen der illegalen Parteispender zu nennen oder aus dem Bundestag mit Schimpf auszuscheiden. Literaten unterschiedlicher Couleur: Hans Magnus Enzensberger, der den Ministern wenigstens nicht das "Recht auf Dummheit" absprechen möchte, Elfriede Jelinek, obwohl Österreicherin, Walter Kempowski, der alte Zwergschullehrer, Günter Kunert, Siegfried Lenz, Monika Maron, Martin Walser und und und. Selbst der Grantler Günter Grass legt sich der FAZ zu Füßen, nicht ohne ihr das Recht einzuräumen, "weiter den größten Unsinn über mich (zu) publizieren". Unisono ihrer Klasse bewusst, formulierten Peter Hacks, Stefan Heym und Hermann Kant ihr FAZ-Lob – in einem Telegramm an die Chefredaktion des "Neuen Deutschland". So ist es denn der alten Tante gelungen, die unterschiedlichsten Farbnuancen an ihrer Kaffeetafel zu vereinigen.

Wie oft gehen wir über die Straße, wenn die Ampel Rot zeigt, aber kein Auto weit und breit zu sehen ist. In Frankreich gab es mal eine strenge Verordnung, dass öffentliche Lokale in einen "Nonfumeur" - und in einen "Fumeur"-Teil zu unterteilen seien. Und wie oft kringeln sich Rauchwölkchen um die "Nonfumeur"-Schilder. Nicht alles was Minister anordnen ist sacrosankt - schon gar nicht das, was Kultusminister beschließen.

Aber es muss ja auch noch Querulanten geben, mich nämlich. Ich bin für diesen Quatsch so wenig zu haben wie für den Quatsch, den uns die Kultusminister – gegen unseren Protest versteht sich – eingebrockt haben. Wer, außer den Schülern, war denn verpflichtet, "es tut mir Leid" zu schreiben statt "es tut mir leid", wenn ihnen denn irgendetwas Leid tat? Der Sprachverhunzer Adolf Hitler hat uns gezwungen, statt Sütterlinbuchstaben nur noch lateinisch zu schreiben – offenbar, damit die Welt lesen lerne, was ihr die Herrenrasse mitzuteilen hat. Unsere Kinder mussten "Mengenlehre" bimsen statt des großen Einmaleins. Unsere Enkelkinder lesen die Computer-Sprache eher als Hermann und Dorothea.

Wer aber hat die Damen und Herren Laureaten gezwungen, sich den neuen Sprachregeln zu unterwerfen, wer die FAZ, den Unfug mitzumachen. Nur, weil er amtlich und verordnet war? Ich jedenfalls habe die neuen Rechtschreibregeln nicht gelernt und nicht befolgt. Die Regeln waren offenbar so einfältig wie der Aufstand der Frankfurter Allgemeinen dagegen.«

(Berliner Zeitung, 5.8.2000)


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