10.05.2009


Theodor Ickler

Schreiben lernen – kein Problem

Jedenfalls nicht für Kaspar Hauser

Nach 12 Jahren in einem Verlies, das so finster war, daß der Insasse keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht wahrnehmen konnte, lernte Kaspar Hauser blitzschnell schreiben. Hier seine eigene Schilderung:

"Als das erstemal der Mann zu mir hereinkam, stellte er einen ganz niedrigen Stuhl vor mich hin, legte ein Stück Papier und einen Bleistift darauf, dann nahm er meine Hand, gab mir den Bleistift in die Hand, drückte mir die Finger zusammen und schrieb mir etwas vor. Das tat er recht oft, bis ich's nachmachen konnte. Dieses zeigte er mir sieben bis achtmal; es gefiel mir sehr wohl, weil es schwarz und weiß aussah; er ließ meine Hand frei, ließ mich allein schreiben, ich schrieb fort und machte es gerade wie er's mir vorgezeigt hatte, und wiederholte dieses öfter. Wenn der Mann meine Hand losließ, machte ich mir gar nichts daraus und schrieb fort, mir kam kein Gedanke, warum meine Hand alle Festigkeit verlor. In dieser Zeit kann der Mann hinter mir gewesen sein und mir zugesehen haben, ob ich es nachmachen kann oder nicht; ich hörte ihn nicht kommen, auch nicht fortgehen. Ich schrieb eine Zeitlang so fort und bemerkte gleich, daß meine Buchstaben den vorgezeichneten nicht ähnlich sind; ich ließ aber nicht eher nach, bis ich die Ähnlichkeit erreichte."

Ein paar Tage später zog er dann in Nürnberg ein und schrieb schon ganz ordentlich ... Der betagte Eduard Engel kann in seinem letzten Buch "Kaspar Hauser" (1931, S. 123ff.) seine Wut darüber nicht unterdrücken, daß die gelehrten Narren (inklusive Anselm Feuerbach) damals solchen Unsinn glaubten.


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