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Blüthen der Thorheit

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11.11.2004
 

Die armen Kinder

Texte in traditioneller Rechtschreibung sind ihnen nicht zuzumuten, denn sie werden dadurch so verwirrt, daß der Turm von PISA beim nächsten Mal noch schiefer dasteht für die Deutschen und womöglich gar einstürzt.

Was die »besten Bücher für junge Leser« im November 2004 sind, haben »28 Juroren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Auftrag des Deutschlandfunk« beschlossen. Die Beschreibungen dieser Bücher allerdings muß man wohl aus Gründen der schulischen Schadensbegrenzung ebenfalls von denjenigen, die sie lesen sollen, fernhalten, denn mit der Rechtschreibung geht es dabei drunter und drüber.

»Märchen von Hans Christian Andersen« aus dem Verlag Beltz & Gelberg: Die Schreibweisen »Man muß kein Prophet sein …« und »Das hässliche Entlein« finden sich friedlich innerhalb von zwei Sätzen vereint.

»Bartimäus. Das Amulett von Samarkand« aus dem C. Bertelsmann Verlag: Beim zweiten Amulet ist ein t verlorengegangen, und das Abenteuer ist zwar »auf der Höhe der neuesten Fantasy-Welle« aber dennoch ganz altmodisch »phantastisch«.

Kinder ab 3 können sowieso noch nicht lesen. Also ist es bei dem Buch »Anton und die Mädchen« (Hanser) egal, wenn Anton »selbstbewußt stolziert« und das Bürschchen »im weiteren« noch so allerlei anstellt.

»Die Katze des Bäckers« (Diogenes) »muß« nachts Brot backen. Auch für Kinder ab 3 völlig unschädlich.

Ab 14 geht’s zur Sache, wie wir wissen, und die Jugendsprache ist cool, d.h. Englisch. Das erspart dem Übersetzer die Mühe, sich für den Buchtitel etwas Treffendes einfallen zu lassen, das Buch heißt »Doing it« (Carlsen). Heute muß alles ganz schnell gehen, auch in der Pubertät, und »it« ist bekanntlich noch etwas kürzer als das deutsche »es«, also die kürzeste Form für das, worüber ratlose junge Leute in der Nachkriegszeit unter dem Begriff »Thema 1« umständlich herumgerätselt haben, und wovon damals keiner in diesem Alter eine einigermaßen konkrete Vorstellung, geschweige eigene Erfahrung besaß. Damals dachte man noch, es ginge dabei um etwas irgendwie Höheres. Da fehlten eben Bücher wie dieses, bei dessen Beschreibung die unauffällige Ortho- von einem vagen Versprechen auf einen Hauch von Pornographie überlagert wird. Die Halbwüchsigen sollen in diesem »kunterbunten, turbulenten und sehr komischen Jugendroman über erste Liebe, ersten Sex, ersten Frust« die Realität so geil und komisch nahegebracht bekommen, wie sie es an allen Ecken und Enden unseres Alltags ja ist:
»Deborah will mit Jonathon ins Bett, und Jonathon auch mit Deborah. Dino will Jackie rumkriegen, aber Jackie zögert noch. Bei Ben ist es ganz kompliziert. Er hat ein Verhältnis mit der eigenen Lehrerin. Ein kunterbunter und sehr komischer Jugendroman über erste Liebe, ersten Sex, ersten Frust.« Wen wundert’s, wenn bei solchem prickeligen-pickeligen Lektüre-Angebot auch die plattesten Versimpelungen von Goethes »Werther« bei Cornelsen hoffnungslose Ladenhüter sind?


Quelle: »Die besten Bücher für junge Leser«


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Kommentare zu »Die armen Kinder«
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 07.03.2010 um 00.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=26#787

In Dresden wird heute die »Türckische Cammer« eröffnet. Neckisch, diese antiquierte Schreibweise. Darf man heutige Schülerinnen und Schüler damit konfrontieren? Was sagt die moderne Museumspädagogik dazu?

 

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