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Blüthen der Thorheit

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14.08.2008
 

Alles nur Rechthaberei!
Dummer s-Laut

Sprachschützer klagen die Rechtschreibreform an. Doch die Belege sind schwach.

Derzeit sind die ehrenamtlichen Sprachschützer der Forschungsgruppe Deutsche Sprache e. V. (FDS) gewaltig am Trommeln. Vor ein paar Wochen hat der Verein seine Jahrestagung abgehalten, Höhepunkt war ein Vortrag des Germanisten Uwe Grund, demzufolge deutsche Schüler seit der umstrittenen Rechtschreibreform deutlich mehr Fehler machen. Seitdem schreiben sich die Orthografie-Aktivisten die Finger wund, schicken Pressemitteilungen, Briefe und Mails an die Zeitungsredaktionen der Republik. Ihre alarmierende Botschaft: Die Missgriffe bei der Groß- und Kleinschreibung hätten sich verdreifacht, »Verstöße gegen die korrekte Schreibung des s-Lautes« kämen doppelt so häufig vor wie vor der Umstellung.

Das triumphierende, obgleich unausgesprochene »Wir haben es doch gleich gewusst« spricht dabei aus jeder Zeile. Womöglich etwas voreilig. Zwar sind die Unzulänglichkeiten der Rechtschreibreform unübersehbar, doch die von der FDS vorgelegten Zahlen und deren Interpretation beweisen eigentlich nur eines: wie leicht wissenschaftliche Objektivität dem Wunsch, recht zu haben, zum Opfer fallen kann. Die Vergleichszahlen, die die von der FDS zitierte Studie heranzieht, stammen zum Teil aus Gymnasien der frühen siebziger Jahre. Von einer Zeit, in der nur 10 bis 20 Prozent der Schüler das Abitur anstrebten, kann man bessere Durchschnittsleistungen der Gymnasiasten erwarten als heute, wo – auch dank der in jenen Jahren begonnenen Bildungsexpansion – vielerorts an die 50 Prozent auf die Hochschulreife hinarbeiten. Vollkommen ins Spekulative gleitet die FDS dann ab, wenn sie für den unbestreitbaren Leistungsabfall ein singuläres Ereignis wie die Rechtschreibreform verantwortlich machen will. Mit dem gleichen Recht könnte man behaupten, die zunehmende Luftverschmutzung oder zu viele heiße Sommer hätten die Schülerhirne zur Erweichung gebracht.

Und was ist mit der Feststellung der Studie, gerade in den Bereichen, wo die Rechtschreibreform eingegriffen habe, sei die Fehlerhäufigkeit noch dramatischer angestiegen? Auch sie sagt nichts anderes aus, als dass es sich offenbar um besondere Stolpersteine handelt – die die Rechtschreibreformer ja gerade beseitigen wollten. Ob ihnen das gelungen ist oder nicht, ob heutige Schüler also ohne die Veränderungen besser oder womöglich noch mieser abschneiden würden, kann keiner mit Sicherheit sagen. Sicher aber ist: Die Auseinandersetzungen um die Reform waren lange und ermüdend, Leidtragende waren die Schüler, die Jahre mit der Ungewissheit leben mussten, ob sie nicht doch wieder umlernen müssen. Noch sind nicht alle Wunden verheilt. So hehr die Absichten der Sprachschützer sind, so vorsichtig sollten sie künftig mit ihren Schlussfolgerungen sein.


Quelle: Die Zeit Nr. 34, S. 65
Link: http://www.zeit.de/2008/34/C-Seitenhieb

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Kommentare zu »Dummer s-Laut«
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 14.08.2008 um 17.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#670

Manche Leute wissen offenbar nicht, was sie sagen mit dem, was sie schreiben.
"Von einer Zeit, in der nur 10 bis 20 Prozent der Schüler das Abitur anstrebten, kann man bessere Durchschnittsleistungen der Gymnasiasten erwarten als heute, wo – auch dank der in jenen Jahren begonnenen Bildungsexpansion – vielerorts an die 50 Prozent auf die Hochschulreife hinarbeiten."
Das heißt also, daß zuvor nur diejenigen Abitur gemacht haben, die vortreffliche schulische Leistungen vollbracht haben, und nun auch Schwachmatiker, denen die soziale Bildungspolitik das Abitur hinterherschmeißt.
Es war also nicht so, daß die Gymnasien in die Dörfer gebaut wurden, damit die Leute keine logistischen Probleme mehr hatten, dorthin zu kommen, es war also nicht so, daß kostenfreies Lernen breiteren Bevölkerungsschichten die höhere Schulausbildung erst möglich machte, sondern vielmehr wurden jetzt Krethi und Plethi auf die Schulbank genötigt, und nun zeigt sich eben, daß sie's nicht draufhaben?
Was ist das für ein Weltbild?

Immerhin mal ein selten zuvor genannter Ansatz, die mäßigen Rechtschreibleistungen heutzutage zu erklären...

 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 14.08.2008 um 18.35 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#671

»Und was ist mit der Feststellung der Studie, gerade in den Bereichen, wo die Rechtschreibreform eingegriffen habe, sei die Fehlerhäufigkeit noch dramatischer angestiegen? Auch sie sagt nichts anderes aus, als dass es sich offenbar um besondere Stolpersteine handelt [...].« (Hervorhebung von mir)

Falsch.
Wenn ein bestimmter Bereich der Rechtschreibung ein »besonder[er] Stolperstein[]« ist, dann bedeutet das nur, daß in diesem Bereich die Fehlerhäufigkeit besonders hoch ist. Es erklärt jedoch nicht, warum hier die Fehlerhäufigkeit stärker steigt als in anderen Bereichen.

Wenn dort, wo die Reformer herumgepfuscht haben, die Fehlerquote stärker gestiegen ist als anderswo, die RSR damit aber nichts zu tun hat, dann muß es ein von der Reform unabhängiges Ereignis geben, das die Fehlerquote zufällig genau in denjenigen Bereichen erhöht hat, die auch von der Reform betroffen sind. Das wäre ein geradezu gespenstisches Zusammentreffen.

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 14.08.2008 um 18.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#672

Naturwissenschaftler würden untersuchen, ob einer stetigen, linearen Fehlerzunahme, die nicht von der Reform verursacht worden sein kann, eine nichtlineare, nichtperiodische Funktion überlagert ist, die möglicherweise in Form einer Sprungfunktion durch die Reform verursacht wurde.

Ich bin in den fünfziger Jahren in Göttingen mit vielen Kindern von Universitätsprofessoren und anderen Akademikern und Besserverdienern aufs Gymnasium gegangen, als sich sehr viele Leute das wegen des monatlichen Schulgeldes, der Monatskarte und den selbst zu kaufenden Schulbüchern für ihre Kinder nicht leisten konnten und Bauern nicht wollten, daß ihre Kinder der Landwirtschaft entfremdet würden. Gerade von diesen Mitschülern waren etliche ungeeignet für das öffentliche Gymnasium und gingen dann auf eine Internatschule. Damals herrschte mehr eine finanzielle als eine Begabten-Auslese, und deshalb war der Prozentsatz von Gymnasiasten an der Gesamt-Schülerzahl viel geringer und gab es sehr gute Volksschüler, besonders unter den Mädchen.

 

Kommentar von j, verfaßt am 14.08.2008 um 19.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#673

Die ZEIT ist in Rechtschreibfragen parteiisch und deshalb irrelevant. Der Artikel hat etwas Wadenbeißerisches, als ob man das eigene schlechte Gewissen beruhigen möchte. Wahrscheinlich fühlt sich in der Redaktion oder im Umfeld der ZEIT irgendwer aus irgendwelchen Gründen von der FDS auf den Schlips getreten und hat deshalb diesen merkwürdigen Artikel initiiert. Er wirkt ziemlich pubertär und ahnungslos.

 

Kommentar von R. M., verfaßt am 14.08.2008 um 20.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#674

Jan-Martin Wiarda hat einen Kernpunkt von Uwe Grunds Vortrag überhaupt nicht verstanden. Die ss/ß-Schreibung war eben gerade kein „besonderer Stolperstein“. Selbst wenn es den Reformern gelungen wäre, hier etwas aus dem Weg zu räumen, hätte dies auf die Rechtschreibleistungen der Schüler nur eine geringfügig positive Auswirkung haben können.

Die FDS hat bekanntlich durchaus nicht ausschließlich die Rechtschreibreform für die Fehlervermehrung haftbar gemacht. Wir haben auch keinen einzigen Brief an eine Zeitungsredaktion geschickt. Die Belege für diese Behauptungen Wiardas sind nicht bloß schwach, sie können nicht einmal existieren.

In einem immerhin hat Wiarda recht: Wir haben immer schon gewußt, was er noch heute nicht wahrhaben will.

 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 14.08.2008 um 20.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#675

"Mit dem gleichen Recht könnte man behaupten, die zunehmende Luftverschmutzung oder zu viele heiße Sommer hätten die Schülerhirne zur Erweichung gebracht." (http://www.zeit.de/2008/34/C-Seitenhieb)

Offenbar hat die "Journaille" überhaupt kein Interesse, ihr ureigenstes Instrument – die Sprachschreibung – einer kritischen Beurteilung zu unterziehen. Tenor – soweit ich ihn verstehe – ist, es ist 'eh' alles in Ordnung, Zwischenrufe dieser Art sind alles andere als willkommen

Als 'einfacher Michel' frag ich mich, – okay ich sag's –, ich kapier's nicht, warum diese Journaille das so reformhörig kommentiert ...

 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 14.08.2008 um 22.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#676

„Die Vergleichszahlen, die die von der FDS zitierte Studie heranzieht, stammen zum Teil aus Gymnasien der frühen siebziger Jahre. Von einer Zeit, in der nur 10 bis 20 Prozent der Schüler das Abitur anstrebten, kann man bessere Durchschnittsleistungen der Gymnasiasten erwarten als heute, wo –- auch dank der in jenen Jahren begonnenen Bildungsexpansion –- vielerorts an die 50 Prozent auf die Hochschulreife hinarbeiten.“

Ich selbst hatte mein Abitur 1969/70. Von ca. 25 Schülern der Abiturklasse wurden nur 1–2 mit "Nachzipf" belegt – einer bestand, einer fiel durch. Die Meinung des Redakteurs ist also mehr als aus den "Fingern gesaugt".

Natürlich gibt es viele Einflußgrößen auf die Rechtschreibkenntnisse. Das bestreitet niemand (Niemand?), trotzdem kann man sich unvoreingenommen fragen, warum ausgerechnet in Bereichen, die aufgrund der Reform verändert wurden, auffällig viele Fehler gemacht werden.

Ich will solche Erkenntnisse jetzt auch nicht bestärken, es ist ja ohnehin geplant, eine große Studie zu diesem Thema anzugehen, Dr. Blüml hat sie schließlich angekündigt.

 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 16.08.2008 um 09.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#679

Besser ein ehrenamtlicher Sprachschützer als ein hauptamtlicher Sprachverhunzer.

 

Kommentar von jueboe, verfaßt am 16.08.2008 um 20.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#680

Auf die argumentativen und logischen Mängel des Artikels von Wiarda wurde bereits hinreichend eingegangen.
Es stellt sich die Frage, ob dieser Artikel wirklich das Ergebnis eigener Recherche und eigenen Nachdenkens ist. Für einen Seiteneinsteiger bzw. Außenstehenden der Reformthematik ist es sicher nicht einfach, sich ein solch verquastes Argumentationskonstrukt ohne fremde Hilfe auszudenken.

In dem Artikel wurde den Reformgegnern Pressemitteilungen unterstellt - vielleicht ein verräterischer Lapsus.
Pressemitteilungen kann ich mir sehr gut vorstellen, allerdings von einem bekannten Verlagshaus, das allen Grund hat, bei Uwe Grunds Studie unruhig zu werden.
Den Inhalt einer solchen Pressemitteilung kann man sich leicht ausmalen, ohne sie je gesehen zu haben. Sicher wird dort vor einer "unverantwortbaren Studie" gewarnt, die zu "Irritationen" führen kann und gegen die nur "Aufklärung" und eine "Rückkehr zur Sachlichkeit" hilft, zu der der besagte Verlag, vollkommen selbstlos natürlich, beitragen will.
Als Journalist, der es sich einfach machen will, braucht man nur diese Pressemitteilung zu nehmen, sie umzuformulieren, ein wenig Bosheit und Zynismus einzustreuen und schon hat man etwas wie den obenstehenden Artikel.

 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 16.08.2008 um 21.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#681

Liebe(r) Jueboe, Pressemitteilungen sind nichts wirklich Schlimmes. Ich kann mir gut vorstellen, daß auch Reformgegner manchmal welche verschicken. Denn, wie Sie ganz richtig vermuten: Woher sollten die Journalisten sonst auch wissen, was sie schreiben können?

 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 17.08.2008 um 01.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#682

"Und was ist mit der Feststellung der Studie, gerade in den Bereichen, wo die Rechtschreibreform eingegriffen habe, sei die Fehlerhäufigkeit noch dramatischer angestiegen? Auch sie sagt nichts anderes aus, als dass es sich offenbar um besondere Stolpersteine handelt – die die Rechtschreibreformer ja gerade beseitigen wollten. Ob ihnen das gelungen ist oder nicht, ob heutige Schüler also ohne die Veränderungen besser oder womöglich noch mieser abschneiden würden, kann keiner mit Sicherheit sagen."

Richtig, jedenfalls nicht mit der Sorte von Sicherheit, die Wiarda und seinesgleichen verlangen. Das gilt selbst dann, wenn man ihm seinen kleinen Denkfehler schenkt (nämlich daß die Willenserklärung der Reformer, besondere Stolpersteine zu beseitigen, hinreichend beweise, daß dies erstens wirklich ihr Wille war und sie zweitens sich tatsächlich ausschließlich solcher Stolpersteine annahmen. Nur dann ist die Folgerung schlüssig, ein besonders dramatischer Anstieg der Fehlerhäufigkeit in den Bereichen, wo die Rechtschreibreform eingegriffen hat, sage nichts anderes aus, als daß es sich da um besondere Stolpersteine handelt.)

Die Gewißheit, die Wiarda und andere Kritiker der Grundschen Studie fordern, setzt die Existenz eines Paralleluniversums voraus, in dem – ceteris paribus – keine Rechtschreibreform stattgefunden hat, dazu einen absoluten Beobachter, der beide Universen gleichzeitig im Blick hat und der obendrein noch die Fähigkeit besitzt, uns seine Beobachtungen in einer Weise mitzuteilen, die jeden Zweifel an ihrer Gültigkeit ausschließt. Die Position des absoluten Beobachters läßt sich jedoch nur fingieren, und der einzige Sinn, den diese Fiktion haben kann, ist es, ihre Absurdität zu zeigen (jedenfalls solange man in die Position des Beobachters nicht Gott einrücken lassen und Erkenntnis nicht durch Offenbarung ersetzen will).

Der Grund für die erkenntnistheoretischen Mißhelligkeiten liegt in dem gesellschaftlich-geschichtlichen Charakter des Vorgangs Rechtschreibreform. Soweit man das Unternehmen überhaupt als wissenschaftlich gelten lassen will, läßt es sich noch am ehesten als Experiment beschreiben, ins Werk gesetzt freilich von Dilettanten, die es versäumten, wenigstens die vor dem Experiment erhebbaren und die in seinem Verlauf anfallenden Daten zu sichern. Doch selbst einmal unterstellt, Augst und seine Freunde, unterstützt vielleicht noch von dem einen oder anderen methodisch versierten jungen Sprachwissenschaftler aus Bremen, hätten akribisch und auf breiter Basis die Entwicklung der Fehlerhäufigkeiten dokumentiert, und unterstellt weiter, das Ergebnis sähe ähnlich aus wie das der Grundschen Studie – selbst dann bliebe der Wiardasche Einwand unwiderlegbar. Denn von einem Experiment unterscheidet sich die Reform in einem wesentlichen Punkt: Sie ist nicht wiederholbar.

Wenn ein Experiment nicht reproduzierbar und damit per definitionem nicht valide ist, läßt sich das Ergebnis als zufällig deuten; oder umgekehrt, was auf dasselbe hinausläuft: weil das Ergebnis ein bloßer Zufall sein kann, gilt das Experiment nicht. Warum sollte nicht auch die überproportionale Steigerung der Fehlerhäufigkeit in den von der Reform betroffenen Bereichen der Orthographie zufällig sein? Mehr noch: Warum sollte nicht die Reform zufällig verhindert haben, daß es in diesen Bereichen heute "noch mieser" aussieht? Herr Wiarda hält es jedenfalls für möglich.

Damit folgt er der Logik, die in dem erkenntnistheoretischen Phantasma der Letztgewißheit als reiner, durch keinerlei Umstände verstellter Sicht angelegt ist – einer Gewißheit, wie sie zumindest in gesellschaftlich-geschichtlichen Zusammenhängen nicht zu haben ist. Allerdings folgt er ihr ex negativo. Die Denkfigur lautet in etwa: Wenn sich keine Aussage mit Letztgewißheit treffen läßt, dann sind beliebige Aussagen möglich. Der relativistische Trugschluß ist so alt wie die Sophistik.

Wobei der Redakteur, das muß man ihm zugute halten, den Trugschluß immerhin ins Defensive wendet. Er behauptet nicht etwas Beliebiges, sondern warnt davor, überhaupt etwas zu behaupten, weil es ja nur beliebig sein könnte. So etwas geht bei der "Zeit" vermutlich als Exempel für Augenmaß und Klugheit durch.

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.08.2008 um 10.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#683

Wenn die Rechtschreibfehler in den Jahren vor der Reform, zu der das IDS 1987 und 1991 den staatlichen Auftrag bekam, dramatisch zugenommen hätten und diese Zunahme durch die Reform gestoppt worden wäre, hätten die Reformer das längst als Begründung und Rechtfertigung angeführt. Also war dem nicht so.

 

Kommentar von Maria, verfaßt am 17.08.2008 um 13.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#684

Nett ist auch "ehrenamtlichen" - gibt es denn professionelle Sprachschützer in deutschen Landen?

 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 17.08.2008 um 23.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#686

Alle, die das Regelwerk in seiner jetzigen Form konservieren möchten und jede Diskussion über weitere Änderungen als kontraproduktiv ablehnen, können sich genaubesehen entspannt zurücklehnen. Ihnen müßte selbst vor einem lückenlosen Nachweis des Scheiterns ihres Projekts nicht bange sein, denn die Verwendbarkeit des Totschlagarguments, den Kindern sei ein neuerliches Umlernen nicht zuzumuten, würde dadurch nicht angetastet. Und wie leicht man mit diesem Argument die Öffentlichkeit (oder ihre maßgebenden Vertreter) auf seine Seite ziehen kann, haben wir gesehen.

 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 17.08.2008 um 23.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#687

"Wenn die Rechtschreibfehler in den Jahren vor der Reform, zu der das IDS 1987 und 1991 den staatlichen Auftrag bekam, dramatisch zugenommen hätten und diese Zunahme durch die Reform gestoppt worden wäre, hätten die Reformer das längst als Begründung und Rechtfertigung angeführt. Also war dem nicht so."

Lieber Germanist, Ihr Argument ist zwar plausibel, doch genügt es nicht den strengen Anforderungen der hanseatischen Schule. Woher wollen wir wissen, ob die Reformer nicht aus übergroßer Bescheidenheit mit der Begründung und Rechtfertigung hinter dem Berge halten, oder weil es sich da um ein Arkanum ihrer Gilde handelt, das nicht öffentlich ausgesprochen werden darf? – Evidenzen können noch so evident sein; solange irgend noch eine andere Erklärung konstruierbar ist, zählen sie nicht. Und der Gegenstandsbereich ist nun einmal so beschaffen, daß jederzeit auch andere Erklärungen möglich sind als die von uns als offenkundig gemutmaßten.

Wer hier nicht klarsehen will, kann dazu nicht gezwungen werden, schon gar nicht mit Argumenten zur Sache. Angreifbar ist allenfalls sein Diskussionsstil, der einen Gesprächsabbruch impliziert: Wer nicht nur jenseits des vernünftigen Zweifels auf dem methodischen Zweifel beharrt, sondern sich auf diesem Wege zugleich jeglicher Beweislast entledigt, sucht in der Rede nicht die Wahrheit, sondern die Gewalt. Auch darin ist er Sophist.

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.08.2008 um 09.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#688

Schülereltern sind nur an guten Noten für ihre Kinder interessiert. Die hatte man ihnen durch die Reform zugesichert. Das ist aber nicht eingetreten. Da ist ein gewisses Wutpotential mobilisierbar. Wenn ihre Kinder mit einer modernisierten früheren Rechtschreibung, wie sie Prof. Ickler vorschlägt, bessere Deutschnoten erzielten, wären die Eltern durchaus gegen die Kultusbürokratie mobilisierbar.

 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 18.08.2008 um 18.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#689

Um ein Scheitern der Reform fundiert behaupten zu können, sollte doch bereits der Nachweis genügen (ohne auf die näheren Gründe dafür einzugehen), daß die versprochene Fehlerreduzierung nicht eingetreten ist – verbunden mit dem Hinweis darauf, daß die bereits vor der Reform zu beobachtende Tendenz der Fehlerzunahme als den Reformern/Politikern bekannt und also als bei den Fehlerreduktionsversprechen bereits berücksichtigt angesehen werden kann. (Ob sich jemand die Blöße gäbe, das in Abrede zu stellen?) Dann hätten die Verfechter der Reform nachzuweisen, daß die Reform nicht gescheitert ist, etwa weil sie Schlimmeres verhindert hat.

 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 19.08.2008 um 22.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#691

Behaupten, Hr. Wagner, können Sie alles mögliche.

So lange es allerdings Leute gibt, die die an sich nicht bestrittenen Tatsachen der "zunehmenden Luftverschmutzung oder zu vielen heißen Sommern" zuschreiben (vermutlich nicht wirklich ernst gemeint), oder auch "die Ölkrise 1973, den Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980, den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1990 oder Roman Herzogs 'Ruck'-Rede 1997" als Begründung anführen (vermutlich auch nicht wirklich ernst gemeint), solange sind Ihre Behauptungen nichts anderes als aus der Luft gegriffene Kann-Behauptungen, beweisen tun die tatsächlich gar nichts, bedenken Sie das! Es könnte ja sein, daß durch die Reform eine noch viel größere Verschlechterung der Schreibergebnisse souverän vermieden werden konnte.

 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 19.08.2008 um 23.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#692

Mit Verlaub, Herr Strasser, gerade letzteres habe ich doch behauptet (haben Sie vielleicht meinen Kommentar nicht ganz gelesen oder nicht ganz verstanden?), jedoch war es meine Absicht, die Beweislast der Gegenseite zu übertragen.

 

Kommentar von Günther, verfaßt am 11.09.2008 um 12.55 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#697

Die Schlechtschreibreform war hauptsächlich eine Verschlimmbesserung.
Typisch die hier angesprochene s-Schreibung.
DER "Lieblingsfehler" war die Verwechslung von "das" und "daß".
Jetzt wird halt "das" und "dass" verwechselt....
Wozu frißt man die Krot.

 

Kommentar von Michael Jürgens, verfaßt am 19.11.2008 um 12.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#708

Achtung! Klassische Rechtschreibung auf ZEIT-ONLINE:

Tschüß, Andrea Ypsilanti
Sie ist die tragische Heldin des Jahres. Über kaum einen Politiker wurde so viel geschrieben und gespottet. Heute endet ihre Legislaturperiode - im Fiasko. Ein Rückblick VON MICHAEL SCHLIEBEN

Habe ebendort folgenden Kommentar dazu geschrieben:
Gute Überschrift!
Und das nicht nur inhaltlich. "Tschüß" – eine Wohltat, auch hier mal wieder ein Wort in anständiger Rechtschreibung zu lesen. Es wäre interessant zu erfahren, ob der Autor bewußt oder unbewußt gegen die Staatsorthographie verstoßen hat. Man darf gespannt sein, ob der Zensor – pardon: Korrektor – zuschlägt und diesen Lichtblick der orthographischen Vernunft so stehen läßt.

 

Kommentar von Inge Müncher, verfaßt am 16.06.2009 um 15.08 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=149#747

Robert Sedlaczek erwähnt in seinem Artikel „Spaß statt Spass – so viel Zeit muss sein“ vom 10. Juni 2009 in der Wiener Zeitung Jakob Ebner, den Bearbeiter des „Österreichischen Wörterbuchs“, der ihm geschrieben habe: „Die Aussprache dieses Wortes ist im Deutschen regional und individuell sehr unterschiedlich. Als Standardform in Deutschland und Österreich ist Spaß festgelegt worden – in der Schweiz gilt die Schreibung Spass, dort gibt es ja kein scharfes s.“ Will Jakob Ebner Spass vielleicht stimmhaft aussprechen? Eine dritte s-Aussprache gibt es nicht. Bei der neuen deutschen s-Schreibung werden jedoch ss stimmlos (scharf) wie das ß ausgesprochen.

Weiterhin schreibt Robert Sedlaczek folgendes: Das „Österreichische Wörterbuch“ verzeichnet beide Schreibungen: Spaß und Spass, und zwar in dieser Reihenfolge. In einem Kasten wird erklärt, warum es zwei Schreibungen gibt: „Spaß – das a wird lang ausgesprochen.“ Hingegen: „Spass – das a wird kurz ausgesprochen.“

 

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