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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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11.12.2009
 

„Ein Irrtum wie die Rechtschreibreform“
Bologna und die Bachelorisierung

Hierin sind sich Süddeutsche und F.A.Z. einig: Nur die Analogie zur Rechtschreibreform beschreibt adäquat, was von den „Vereinfachungen“ durch die Studienreform zu halten ist.

Wir lesen dazu in der F.A.Z. (Rüdiger Görner):

»So geistvoll wie die Rechtschreibreform

Es rumort wieder in deutschen Hörsälen und Seminaren, und das zu Recht. Denn die Bachelorisierung erweist sich, kaum ist sie nach britischen Bologna-Maßgaben zwischen Rhein und Oder eingeführt, als verfehlt. Wenn es einen geistig-institutionellen Besitzstand in deutschen Landen gab, der verteidigenswert schien, dann war dies ihr anspruchsvolles, mehrstufiges und inhaltlich plurales Studiensystem. Eine Verkürzung der Studiendauer war sinnvoll, aber nicht um den Preis einer geistigen Selbstamputation.

Man wollte sich durch Bachelor-Studiengänge internationalisieren mit dem immer wahrscheinlicher werdenden Ergebnis, dadurch das Bildungsniveau zu provinzialisieren. Was sich da gegen alle kritischen und sachverständigen Einwände vor unser aller Augen vollzogen hat, die Selbstpreisgabe eines zugegeben kostenaufwendigen, aber inhaltlich gewichtigen, durch und durch demokratischen und qualitativ hochstehenden Studiensystems, um das man die Bundesrepublik Deutschland „draußen“ eher beneidet hatte, gehört zum Fahrlässigsten, was sich deutsche Kultur- und Wissenschaftspolitik leisten zu müssen geglaubt hat. Diese „Vereinfachungen“ in den Studienstrukturen waren so geistvoll wie sonst nur die Rechtschreibreform, die bekanntlich zu einer „Ortogravieh“ geführt hat.

Eine Reform der Reform bleibt in beiden Fällen die einzige Lösung, sofern sie nicht zu Verschlimmbesserungen führt. [...]«

Un in der Süddeutschen (Thomas Steinfeld):

»Ein Irrtum wie die Rechtschreibreform

Vor zehn Jahren wurde die Reform der akademischen Ausbildung beschlossen, die unter dem Namen "Bologna" figuriert, im vergangenen Jahr waren etwa drei Viertel der gut zwölftausend Studiengänge in Deutschland auf den "Bachelor" und den "Master" umgestellt. Widerstand gegen dieses Unternehmen, in seiner Gesamtheit wie in einzelnen Teilen, gibt es von Anfang an, auch in Gestalt studentischer Proteste.

Doch erst jetzt, reagiert die Bildungspolitik. Am Donnerstagabend beschlossen die Kultusminister und die Hochschulrektoren, einige der auffälligsten Zumutungen zurückzunehmen. Gemessen aber an dem, was von den Studenten und den Kritikern der Reform gefordert worden war, ist das Entgegenkommen bescheiden ausgefallen.

[...]

Für das Verhalten der Bildungspolitiker gibt es ein Muster: die Rechtschreibreform. Auch sie ging auf eine bürokratische Phantasie zurück, auch sie löste heftigen Widerstand aus, und als endlich überdeutlich wurde, dass sie ein Irrtum war, begann ein zähes Zurückweichen, das, in mehreren Etappen, zur weitgehenden Auflösung der Reform führte. In den meisten Veröffentlichungen deutscher Sprache wird heute, abgesehen vom "ss", wieder so geschrieben, wie das vor fünfzehn Jahren der Fall war.

Die Kosten dieses Scheiterns aber waren immens - weil die Politik über diese Reform immer nur politisch verhandeln wollte, also in den Kategorien von Interesse und Durchsetzung, nie aber sachlich, in Form einer Auseinandersetzung über Sprache und Schrift.

[...]«



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Kommentare zu »„Ein Irrtum wie die Rechtschreibreform“«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.12.2009 um 10.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=642#8033

Wäre die Studienreform eine deutsche Erfindung, würde garantiert wegen der Staatsräson daran festgehalten.


Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 12.12.2009 um 20.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=642#8042

Man muß Thomas Steinfeld für diesen Artikel in der SZ, in dem er sich ausdrücklich auf die RSR bezieht, dankbar sein. Hat er doch während seiner Zeit bei der FAZ vehement gegen die Katastrophe angekämpft.


Kommentar von F.A.Z., 23.12.2009, Nr. 298 / Seite 17 - Briefe an, verfaßt am 23.12.2009 um 14.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=642#8049


Bewährte Strukturen oder Einheitsidiom?

Zu "Bologna war etwa so geistvoll wie die Rechtschreibreform" (F.A.Z. vom 10. Dezember): Wir gratulieren Rüdiger Görner zu seinen hellsichtigen Ausführungen über die misslungene "Bologna-Reform". Der Vergleich mit der Rechtschreibreform führt vor Augen, welches Desaster Eingriffe von Seiten der Politik anzurichten imstande sind. In der Tat handelt es sich um eine mutwillige Zertrümmerung jahrhundertelang gewachsener und bewährter Studienstrukturen, um die einst die Welt uns beneidete. Die Reform, wie sie in Deutschland umgesetzt wurde, entsprang einer grandiosen Fehlinterpretation des angloamerikanischen Systems und dem naiven Glauben, man könne dieses ungeachtet geistiger und institutioneller Traditionen auf unsere Hochschulen verpflanzen. Eine "Reform der Reform", die Herr Görner als einzigen Ausweg sieht, verdient ihren Namen nur dann, wenn sie uns die Rückkehr zu Diplom, Magister und Staatsexamen ermöglicht.

Der Aspekt der Wissenskommunikation, den Görner andeutet, bedarf der Ergänzung. Es ist völlig richtig, dass es Universitäten in Deutschland an "wissenskommunikativem Bewusstsein" fehlt. Dies ist ein weites Feld, das die Lehre ebenso umfasst wie den innerwissenschaftlichen inter- und transdisziplinären Austausch oder den Dialog mit der Öffentlichkeit. Dabei darf der Aspekt der Wissenschaftssprache nicht unbeachtet bleiben. Auch hier war es wieder der Anspruch der "Internationalisierung", aus dem das Missverständnis entstand, man müsse ganze Studiengänge auf die Lehrsprache Englisch umstellen. Wohlgemerkt: Gegen englischsprachige Lehrveranstaltungen ist nichts einzuwenden, zum Beispiel wenn sie von anglophonen Muttersprachlern gehalten werden. Doch die vollständige Verabschiedung der Landessprache aus dem Wissenschaftssystem wird langfristig dazu führen, dass diese für die Wissenskommunikation unbrauchbar wird. Wie soll Wissenskommunikation im weitesten Sinne funktionieren, wenn die Sprache der Wissenschaft mit der Alltagssprache nicht mehr kongruent ist? Sprachenpolitische Konzepte an deutschen Hochschulen sind derzeit nirgends zu erkennen. Die derzeitige Engführung auf das Englische kann sogar auf Kosten der Inhalte gehen, wie Untersuchungen aus anderen europäischen Ländern eindrucksvoll zeigen.

Auf Theorie aufbauende Wissenskonstruktion unter Einbeziehung der kulturell-historischen Bezüge gelingt nicht, wenn in der Lehre unsere Alltagssprache abgeschafft wird. Insofern besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Zerstörung bewährter Strukturen und der Hinwendung zu einem Einheitsidiom. Ein solches Einheitsidiom gab es bezeichnenderweise schon einmal in der Zeit der Scholastik, einer Zeit also, in der es nicht um Erkenntnis ging, sondern nur um Wissenskompilation.

Professor Dr. med. Ralph Mocikat, München
PD Dr. rer. nat. Hermann Dieter, Berlin


Kommentar von Pt, verfaßt am 23.12.2009 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=642#8050

War die Sprache der Wissenschaft jemals mit der ''Alltagssprache'' kongruent? Aus welchem Blickwinkel sehen ausländische Studenten das Problem?


Kommentar von FAZ-Online, verfaßt am 27.12.2009 um 17.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=642#8051

Denken macht gute Laune, die Rechtschreibung der FAZ leider nicht. Im Vorspann zu einem Artikel auf FAZ-Online zeigt sich mal wieder, daß selbst Feuilletonisten den Unterscheid zwischen "das" und "dass" nicht mehr beherrschen:

Denken macht gute Laune
Das Testament des Philosophen: Auf drei DVDs erklärt der einstige Theoriepopstar Gilles Deleuze die Welt in sechsundzwanzig Buchstaben – Einführung in ein linksaristokratisches Denken, dass aus der Entwurzelung seine Bewegung schöpft.

(Link)


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.01.2010 um 10.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=642#8052

Auch eine Schwächung der mittelständischen Wirtschaft kann dazu führen, das Tausende von Menschen ihren Job verlieren. (mobil 1/2010)

Dieses Magazin der Deutschen Bahn hat sich frühzeitig bemüht, der Reformschreibung zu folgen, mit anfangs mäßigem Erfolg. Inzwischen klappt es besser, aber die üblichen Fehler unterlaufen weiterhin.



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