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21.07.2005
 

Tobias Lobe
Sind Sie ein Umfaller, Herr Wulff?
Niedersachsens Ministerpräsident (CDU) im BILD-Interview

»BILD: Herr Ministerpräsident, ausgerechnet Sie, einst Vorkämpfer für die Beibehaltung der klassischen Rechtschreibung, führen jetzt doch die Murks-Reform ein. Sind Sie ein Umfaller?

Christian Wulff: „Nein, es schmerzt mich vielmehr, daß wir in Deutschland nicht wieder zu den bewährten Regeln zurückkehren. Aber wir bekommen die chaotischen Neuregelungen nur weg, wenn wir in der Kultusministerkonferenz und in der Ministerpräsidentenkonferenz Einigkeit erreichen, daß wir uns alle gemeinsam aus diesem Feld wieder zurückziehen – und dem Rat für Rechtschreibung den Vorrang einräumen.“

BILD: Sie haben ihre Kollegen Stoiber und Rüttgers im Stich gelassen! Haben Sie kein Rückgrat?

Wulff: „Natürlich! Aber mit dem Ausscheren einzelner Länder ist dem Problem nicht beizukommen. Auch kleine Schritte zählen, wenngleich ich bei dem Thema Rechtschreibung vorerst verloren habe. Aber: Mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, da gewinnt immer die Wand. Für den Stopp der neuen Regeln brauche ich alle 16 Ministerpräsidenten.“

BILD: Vor einem Jahr nahmen sie den BILD-Orden „Retter der deutschen Sprache“ an. Geben Sie ihn wenigstens freiwillig zurück?

Wulff: „Den BILD-Orden gebe ich auf gar keinen Fall her! Ich sehe mich als würdigen Vertreter dieser Auszeichnung. In den vergangenen zehn Jahren habe ich 69 Presseerklärungen gegen die Reform abgesetzt. Ich bin Kämpfer gegen die Reform – und bleibe das auch. Manchmal muß man Umwege gehen, um zum Ziel zu kommen. Jetzt kämpfe ich dafür, dem Rat für deutsche Rechtschreibung statt der Kultusministerkonferenz die Kompetenz für Rechtschreibung zu geben – so wie sie jahrzehntelang bei der Duden-Redaktion in den besten Händen war.“«


( BILD, 21. Juli 2005 )



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Kommentare zu »Sind Sie ein Umfaller, Herr Wulff?«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2012 um 07.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8976

Wie ich gerade sehe, ist mein Vorschlag von 1997 hier noch nicht dokumentiert. Ich hole es nach. (Weiteres dann in "Regelungsgewalt".)

Aus der FAZ vom 14.11.1997:

Die deutsche Orthographie ist geregelt. Täglich werden Hunderttausende von Texten gedruckt und geschrieben, die genau dieselben Schreibweisen befolgen, wie sie in Millionen von Büchern bereits vorliegen. Es gibt einen Usus, der in seinem Kernbestand fraglos gilt und bisher vom Duden schlecht und recht beschrieben war. Erfunden hat der Duden die übliche Rechtschreibung natürlich nicht. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer jahrhundertelangen Schreibpraxis von unzähligen Menschen, die sich sehr wohl etwas dabei gedacht haben, wenn sie groß und klein, getrennt und zusammenschrieben, Kommas und Anführungszeichen setzten. Die Zweite Orthographische Konferenz zu Beginn des Jahrhunderts hat keinerlei Neuerungen gebracht, sondern lediglich die regionalen Schulorthographien vereinheitlicht und gegen willkürliche Veränderungen unter Schutz gestellt. Deshalb benötigte sie nur drei Tage und nicht zwanzig Jahre.
Das Ärgerliche am Duden ist, daß er seiner Fehldeutung durch Normfetischisten nicht entgegengewirkt, ja sie im Gegenteil noch gefördert hat. Das wollen wir uns an einigen Beispielen klar machen. Klar machen? Nein, sagt der Duden, klarmachen! Denn getrennt geschrieben wird, „wenn klar im urspr. Sinne gebraucht wird“, zum Beispiel klar werden (auch vom Wetter). Dagegen gilt „Zusammenschreibung, wenn ein neuer Begriff entsteht“, z. B. klarwerden: ihm ist sein Irrtum klargeworden. Der Wein wird klar gemacht, das Schiff und der Irrtum werden klargemacht. Aber wenn ich nun die Klarheit der berühmten Kloßbrühe gar nicht als die ursprüngliche Klarheit betrachte, sondern gerade umgekehrt die Klarheit des Gedankens?
Um diesem Unsinn einen Reiz abzugewinnen, müßte man ein Ionesco sein. Das Rechtschreibwörterbuch aber hat den Usus zu beschreiben. Was es den beobachtbaren Tatsachen an Begründungen, Erklärungen, ja auch nur an Regeln, d. h. verallgemeinerten Beschreibungen hinzufügt, ist Theorie und kann falsch sein. Damit wird es unbeachtlich. Denn falsche Theorien kann nicht einmal eine Kultusministerkonferenz verbindlich machen. (Aus diesen Überlegungen geht nebenbei auch hervor, daß das Wörterverzeichnis und nicht das Regelwerk der Kern der Orthographie ist und daß es eine Zumutung war, der Öffentlichkeit jahrelang nur ein neues Regelwerk ohne Wörterbuch zu präsentieren.)
Ein Gedanke kann ebenso wie die Brühe klar sein und klar werden und selbstverständlich auch klar gemacht werden. Das alles ist grammatisch einwandfrei. Es gibt allerdings im Deutschen ein kleines Unterprogramm, wonach Resultativzusätze, wenn sie nicht zu umfangreich sind, mit Verben zusammengeschrieben werden können: kaputtschlagen, blaureiben, gesundrationalisieren, kaltmachen und natürlich auch klarmachen. Mit „urspr. Sinn“ und neuem Begriff hat das überhaupt nichts zu tun.
Wenn man den Duden liest, könnte man tatsächlich meinen, radfahren müsse im Gegensatz zu Auto fahren zusammengeschrieben werden. Die Theorie steht in R 207: „Man schreibt ein Substantiv mit einem Verb zusammen, wenn das Substantiv verblaßt ist und die Vorstellung der Tätigkeit überwiegt.“ Unsere modernen Linguisten haben sich über das „Verblassen“ der Substantive mokiert, wohl kaum mit Recht. (Als kürzlich der schöne Begriff „bleaching“ über den großen Teich zu uns kam, wurde er von denselben Linguisten freudig begrüßt ...) Bei radfahren also herrscht tatsächlich die Vorstellung der Tätigkeit vor, weshalb auch schon zu Beginn des Jahrhunderts das Verb radeln im Duden stand, während die Autofahrer es bis heute nicht zu einer ähnlich gemütvollen Bezeichnung ihrer Fortbewegungsart gebracht haben. Wie dem auch sei – ganz falsch wäre jedenfalls die Folgerung, man dürfe radfahren gar nicht getrennt schreiben. Man kann Auto fahren, Traktor fahren, Roller, Dreirad und Fahrrad fahren und selbstverständlich auch Rad fahren. Die Bezeichnung eines geeigneten Fahrzeugs zusammen mit fahren ergibt immer eine grammatisch zulässige Verbindung. Was die Grammatik erlaubt, kann die Orthographie nicht verbieten. Das ist der Kernsatz einer richtigen Dudenexegese. Nur als besondere Lizenz gibt es auch radfahren. Damit ist den Reformern, wie man sieht, schon ziemlich viel Wind aus den Segeln genommen.
Einmal aufmerksam geworden, entdeckt man, daß fast alle Dudenregeln Kann-Bestimmungen sind, Spielräume eröffnen. Sogar unsere Regel 207 läßt Rad fahren zu. Möge immerhin das „verblaßte“ Substantiv mit dem Verb zusammengeschrieben werden – das unverblaßte bleibt davon unberührt. Es braucht auch nicht eigens im Wörterbuch zu stehen. Traktor fahren steht ja auch nicht drin.
Die Reformer bilden sich ein, dem Bindestrich eine größere Anwendungsbreite verschafft zu haben. Joghurt-Becher, so sagen sie, sei bisher falsch gewesen und werde infolge der Neuregelung richtig sein. Weit gefehlt! R 33 sagt, daß zusammengesetzte Wörter „gewöhnlich“ ohne Bindestrich geschrieben werden. In den folgenden Regeln wird vorgeführt, wie der Bindestrich zur Erhöhung der Übersichtlichkeit oder zur Herausarbeitung eines eigentlichen Sinnes gesetzt werden kann: Druck-Erzeugnis, Hoch-Zeit, be-greifen sind die Originalbeispiele. Folglich ist auch Joghurt-Becher völlig in Ordnung.
Fast alle Bedenken, die man gegen Widersprüche und Haarspaltereien des Duden vorgebracht hat, lassen sich nach dem Prinzip der wohlwollenden Interpretation beseitigen.
Daraus ergibt sich von selbst, wie zu verfahren ist, wenn man die von den Kultusministern leichtfertig zerstörte Einheit der deutschen Orthographie wiederherstellen will: Die gewohnten Schreibweisen bleiben gültig, ihre Kodifikation wird – nach dem unwiderruflichen Ende des Dudenprivilegs – auf eine andere, weder kommerziell interessierte noch politisch gebundene Instanz übertragen, damit die Schulen und Verlage etwas haben, woran sie sich halten können. Da es nur um eine Rekonstruktion, das heißt um die Erfassung und Beschreibung des Usus geht und nicht um eine Neukonstruktion, hält die Arbeit sich sehr in Grenzen. Bei der Neufassung der Regeln sollten folgende Grundsätze gelten:

Alle Schreibweisen, die im Wörterverzeichnis des Rechtschreibdudens bis zur zwanzigsten Auflage (1991) verbucht sind, bleiben richtig.

Darüber hinaus sind alle Schreibweisen richtig, die sich bei sinngemäßer und grundsätzlich liberaler Auslegung aus den Regeln des genannten Werkes ableiten lassen.

Keine Schreibweise, die der deutschen Grammatik gerecht wird, kann orthographisch als falsch gelten.

Aus diesen Grundsätzen folgt, daß niemand, der korrekt schreiben will, ein anderes Werk als die bis zum Sommer 1996 vorliegenden dudenkonformen Regelwerke, Wörterbücher und didaktischen Materialien heranzuziehen braucht. Niemand wäre also gezwungen, neue Bücher zu kaufen.
Was bisher für die sogenannte Rechtschreibreform ausgegeben wurde, ist so oder so verlorenes Geld. Die Wiederherstellung normaler Zustände jedenfalls ist kostenlos zu haben. Man muß sie nur wollen.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2012 um 07.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8975

Herr Achenbach könnte unfreiwillig dazu beitragen, die Geschichte der Rechtschreibreform zu verfälschen. Die vorzeitige Einführung der Reform an den Schulen war zweifellos geplant, weil die Reformbetreiber (nicht die Kultusminister) wußten, daß es darauf ankam vollendete Tatsachen zu schaffen, auch wenn diese Tatsachen nur in der Propaganda existierten. Eine Erprobungszeit war übrigens nicht vorgesehen. Als Herr Munske, der dies auch angenommen hatte, erkannte, wie es wirklich geplant war, reagierte er mit großer Enttäuschung.
Die Elternvertreter spielten keine Rolle, ihre Vereinnahmung durch die Schulbuchlobby ist ja bekannt. Die Schulbuchverleger rühmen sich ja selbst, verschiedene Gruppen, die eigentlich hätten dagegen sein müssen (sogar die Schülervertreter!), auf ihre Seite gezogen zu haben. Überhaupt verweise ich u. a. auf Die Schulbuchverleger und die Rechtschreibreform. Die ganze Wahrheit werden wir wohl nie erfahren.
Jedenfalls war, als es hieß, ein Zurück käme um der Schüler willen nicht mehr in Frage, in Wirklichkeit noch gar nichts geschehen. In Bayern verkündete die Regierung im Herbst 1996, also unmittelbar nach dem Ende der Ferien, die Schüler schrieben bereits recht sicher nach der Reformorthographie – eine so unverschämte Lüge, daß man sich über die Presse wundern mußte, die das alles weiterverbreitete.

Nein, die Politiker waren um keinen Deut besser als die zynischsten Reformer. Zu den wenigen, die sich gegen die Reform äußerten, gehörten eben die "jungen Wilden", darunter Wulff, und auch er fiel um. Nur darum hat er uns hier weiterhin interessiert. Wer ihn (oder Schröder usw.) bearbeitet hat, wissen wir nicht. Hat irgendeiner dieser Politiker sich ernsthaft erkundigt, wie eine Rücknahme der Reform zu machen gewesen wäre? Mir ist nichts davon bekannt. Ich selbst habe damals in der FAZ einen Rückkehrplan veröffentlicht, der praktisch schmerz- und kostenlos gewesen wäre. Es gab keine Reaktion.
Heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen, und es ist sämtlichen Politikern schnurzegal. Ich habe mich nie in eine pauschale Politikerschelte verloren und bin auch nicht politikverdrossen, aber in diesem Fall kann ich nichts anderes als ein totales Versagen feststellen.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 13.03.2012 um 03.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8974

Herr Achenbach möchte einen Selbstwiderspruch in meinem Kommentar gefunden haben.

Er hat in seinem dritten Absatz ausgeführt, daß es die Kultur der Gehässigkeit gibt: befördert von der Presse, mechanisch exerziert von den jeweils anderen Parteien, hämisch begleitet von einer "breiteren Öffentlichkeit". Genau.

Ich reagiere hingegen überhaupt nicht mit Verachtung, wenn jemand einen Fehler eingesteht, sondern mit Anerkennung und Solidarität. Umgekehrt verachte ich Leute, die bis zur Lächerlichkeit an ihren Fehlern festhalten. Privat können sie es ja so halten, wenn sie sich damit nur selbst schaden. Aber wenn hohe Güter betroffen sind, wenn es also um das Wohl der Gemeinschaft geht, hört die Lizenz zum privaten Blödsinn auf.

Widersprüchlich und in der Tat kritikwürdig ist es, von einem Politiker das Eingeständnis von Fehlern zu fordern, dann aber mit Hohn zu reagieren, wenn er der Forderung entspricht.

Um Fehler nicht erst unter überwältigendem Druck eingestehen zu können, muß man Charakter und innere Stärke haben. Charakter, weil so ein Verhalten daraus folgt, daß man höheren Werten den Vorzug vor dem eigenen Wohlergehen gibt. Innere Stärke, weil sich das nur jemand leisten kann, der unangenehme Situationen ertragen kann. Das ist keine Behauptung von mir, das sind schlichte Tatsachen. Mit Gehässigkeit haben solche Feststellungen nichts zu tun.

Im vorletzten Absatz von Herrn Achenbachs Beitrag stehen gleich eine Reihe von schiefen Behauptungen. Dieser Absatz läuft auf die Schlußfolgerung hinaus, daß "die Elternvertreter" für den "eigentlichen Sündenfall" der Rechtschreibreform verantwortlich seien. Ich halte es für überflüssig, diese steile These zu analysieren.


Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 12.03.2012 um 19.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8973

Das Wehklagen über die ach so schlimmen Politiker, die angeblich keinen Fehler eingestehen können, steht in einem pikanten Verhältnis zur Überschrift dieses Fadens: "Sind Sie ein Umfaller, Herr Wulff?"

Herr Wrase spricht sehr treffend von einer "Kultur der Gehässigkeit", kann es sich aber nicht verkneifen, den Politikern fehlende Charakterstärke zu bescheinigen.

Es ist nun einmal so, daß ein Großteil der Presse einer Regierung, die eigene Entscheidungen rückgängig macht, sofort Schwäche und Fehlentscheidungen ankreidet (die Opposition sowieso). Auch in einer breiteren Öffentlichkeit, jedenfalls unter denen, die grundsätzlich eine schlechte Meinung von Politikern haben, reagiert man mit Schadenfreude.

Jedem anderen wird zugebilligt, daß auch eine nach bestem Wissen und Gewissen getroffene Entscheidung sich nachträglich als falsch erweisen kann, nur eben den Politikern nicht.

Das Wort "Umfaller" wurde ja zuerst auf Erich Mende angewandt, der mit der Wahlparole "Mit der CDU, aber ohne Adenauer" einen großen Stimmengewinn erzielte. Als er sich mit diesem Ziel nicht durchsetzen konnte (weil Adenauers Einfluß in der CDU immer noch zu hoch war), stürzte er die FDP schon damals in eine Existenzkrise. Es dauerte Jahre, bis die FDP sich auch nur halbwegs von dem Ruf der "Umfallerpartei" lösen konnte.

Der eigentliche Sündenfall war ja 1996 die vorzeitige Einführung der RSR an den Schulen. Damit wurde schon damals die RSR so gut wie unumkehrbar gemacht. Die zweijährige Erprobungszeit wurde dadurch nur noch zur Farce. Dabei haben die Kultusminister diese vorzeitige Einführung ja nicht aus Jux und Tollerei beschlossen, sondern unter dem Druck der Elternvertreter, die verständlicherweise nicht wollten, daß die Schulkinder noch zwei Jahre lang eine "veraltete" Rechtschreibung lernen sollten.

Nach wie vor lehnen ja die meisten Deutschen die RSR ab. Stellte man den Bürgern aber die Frage "Wollen Sie die Abschaffung der RSR, auch wenn Ihre Kinder dann wieder umlernen müssen?", wer weiß, wie die Mehrheit sich dann entschiede.


Kommentar von B.Troffen, verfaßt am 12.03.2012 um 07.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8972

Eine bekannte Größtorganisation mit Sitz in Rom hat vor langem ausdrücklich verfügt, in fundamentalen Entscheidungen keine Irrtümer begehen zu können.
Eine andere regierende Organisation, in einem aufgrund fundamentaler Irrtümer gescheiterten Nachbarstaat, hatte ein entsprechendes Gesetz, das zwar ungeschrieben, aber allbekannt war: "Die Partei, die Partei, die hat immer recht".
Unsere Politik hat zwar weder ein geschriebenes noch ein ungeschriebenes solches Gesetz, handelt aber danach.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 12.03.2012 um 02.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8971

Für dieses Phänomen gibt es den Begriff der Pfadabhängigkeit. Gerade in der Politik sind viele Prozesse pfadabhängig. Die Nachteile der Rechtschreibreform sind erheblich, aber es sind nicht die Entscheider, die unter ihnen leiden. Die Entscheider (sprich: Politiker) fragen sich fast nur, was ihnen selbst mehr schadet: die Sache weiterlaufen lassen oder den Fehler zugeben. In einer Kultur der Gehässigkeit ist es tatsächlich nicht opportun, Fehler zuzugeben. Vor allem wenn man sich schon hundertmal ausdrücklich dafür entschieden hat, den Pfad nicht zu verlassen.

Das Eingeständnis eines Irrtums setzt Charakterstärke voraus, und die ist unter Politikern dünn gesät. Wulff ist ein typischer Politiker. Vielleicht nicht in seinem Hang zur Kumpelei mit Millionären, aber wenn es darum geht, reinen Tisch zu machen.


Kommentar von R. M., verfaßt am 12.03.2012 um 00.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8970

"If you want to change government decisions you have to do it before anybody knows they're being made." (Yes, Prime Minister – The Patron of the Arts)


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.03.2012 um 07.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8969

Mich interessiert an solchen Fragen besonders die Dynamik großer Organisationen, und nur deshalb hat das Thema hier auch einen Platz (abgesehen von der Weiterverfolgung der "Jungen Wilden", nun also Wulffs, bis zum Ende ihrer Karriere). Warum kann die Rechtschreibreform nicht zurückgenommen werden, obwohl sie praktisch keine Verteidiger mehr hat und im Grunde fast niemand sie damals gewollt hat? Gerade die offensichtlichsten Fehlentscheidungen scheinen irreversibel zu sein.

Heute morgen habe ich mich mit meiner jüngsten Tochter, die wegen FSJ zum Frühaufstehen gezwungen ist, über die Sommerzeit unterhalten. Auch hier gibt es kaum noch rationale Begründungen, dafür sehr viele Beschwerden, aber zurücknehmen kann man sie nicht. Die Entscheidungsmechanismen haben sich selbst gelähmt.
Früher habe ich, wie jeder Hochschullehrer, in vielen Gremien sitzen müssen und miterlebt, wie offensichtlich falsche Entscheidungen getroffen wurden. Das war jedem klar, aber keiner konnte es verhindern. So kann ich mir auch gut vorstellen, wie die Zustimmung zur Rechtschreibreform zustande kam.
Psychologen und Soziologen mögen dafür allgemeine Erklärungen haben, aber einzelne Fallstudien wären unschätzbar. Leider scheint es im Falle Rechtschreibreform keine Protokolle zu geben. Nicht einmal die "Mannheimer Anhörung", an der ich teilgenommen habe, ist protokolliert, und heute wird sie von den Reformern und vom IDS totgeschwiegen, sogar in offiziösen Dokumentationen.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 10.03.2012 um 15.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8968

Die stärkste Bundestagsfraktion stellt die Regierung und stimmt fast immer den Gesetzesvorlagen der Regierung zu. Kontrolle bleibt nur der Opposition übrig, die selten Gesetze verhindern kann. Nur bei ganz wenigen Abstimmungen wird der Koalitionszwang aufgehoben. Hier funktioniert die Gewaltenteilung nicht, und Artikel 38 GG ist nur Vortäuschung.
Wenn der Bundespräsident grundgesetzwidrige Gesetze durch Nichtunterzeichnung verhindern würde, könnte das viele Bundesverfassungsgerichtsverfahren vermeiden, die sich meist jahrelang hinziehen und fast nie rückwirkend gelten. Wenn der Bundespräsident nicht von der Regierung aufgestellt würde, bräuchte er in solchen Fällen nicht seine Nichtwiederaufstellung befürchten. Jetzt ist er deswegen von der Regierung abhängig, deren Gesetze er kontrollieren soll.
In Bayern sind Notare nicht als Anwälte tätig und deshalb ausdücklich unabhängig von den Vertragsparteien. In anderen Bundesländern kennt man das möglicherweise so nicht.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2012 um 13.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8967

Das sehe ich auch so, man könnte höchstens die Art der Rekrutierung kritisieren. Man konnte ja bisher immer deutlich erkennen, wer wen als Präsidenten wollte und dann auch bekommen hat. Bisher gab es kaum einen Bundespräsidenten, der sich durch eigene Qualitäten ganz besonders empfohlen hätte. Aber das ist in einer Parteiendemokratie wohl nicht wesentlich anders möglich. Am besten, man hängt das Amt wieder niedriger, dann muß man sich auch nicht so aufregen.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 10.03.2012 um 13.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8966

Was soll denn eine "gesetzgebende Regierung" sein? Die Gewaltenteilung ist in Deutschland nun wirklich noch intakt genug, daß die Bundesversammlung mit Recht als Organ der Legislative gilt.

Warum sollte ein vom Volk gewählter Bundespräsident Gesetze besser auf Rechtmäßigkeit überprüfen können als ein von der Bundesversammlung bestellter? Warum sollte ein populärer Kandidat, der der Mehrheit des Volkes gefällt, sich besser gegen professionelle Politiker der Regierung und der Gesetzgebung durchsetzen können bzw. ihnen gegenüber souveräner sein?

Der Bundespräsident wird indirekt gewählt, weil eine so machtlose Position keine stärkere demokratische Legitimation erhalten darf oder soll als die machtvolle Position des Bundeskanzlers. Das ist kein Zeichen einer Besitzstandswahrung oder eines Ständebewußtseins der Regierungskaste.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 10.03.2012 um 10.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8965

"Der Bundespräsident ist eine Art Notar". Ein Notar hat Verträge, in diesem Fall neue Gesetze, auf rechtliche Richtigkeit, in diesem Fall auf Entsprechung mit dem Grundgesetz, zu prüfen. Genau deshalb will die gesetzgebende Regierung ihn selber auswählen und nicht vom Volk auswählen lassen. Auf so einen "Notar" kann das Vok sehr gut verzichten.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2012 um 08.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8964

Mit Herrn Wulff könnte man angesichts der Demütigungen fast Mitleid haben. So schlimm ist er ja nun auch wieder nicht, vielmehr geradezu erschreckend normal, aber just das ist ihm zum Verhängnis geworden. Und daran ist er wiederum selbst schuld. Nun, es ist ja vorbei, und wir können allenfalls noch sprachliche Nachlese halten. (Ich stimme natürlich Herrn Achenbach zu: Den alten Hut mit dem "entschuldigen" kann man sich sparen, das ist bestenfalls Sick. Und auch daß wir keinen Bundesmoralprediger brauchen. Wer in die Kirchen gehen will, möge das tun, aber weder zu Neujahr noch zu hohen Kirchenfesten möchte ich demokratische Politiker Predigten halten sehen. Der Bundespräsident ist eine Art Notar der Bundesrepublik, und Notare sind keine "Würdenträger" und keine Heiligen.)

Dem militärischen Abschiedszeremoniell des Großen Zapfenstreichs, das hier in einer Stunde Christian Wulff zu Teil werden soll, scheint nichts im Wege zu stehen. (...)
Aber er halte es da mit Wilhelm Busch. "Erstens kommt es anders, als man zweitens glaubt."
(Zeit online 9.3.12)

zu Teil ist zwar immer noch falsch, aber im Sinne der Reform, wie wir wissen, nur konsequent. Und das Sprichwort lautet erstens anders und ist zweitens nicht von Wilhelm Busch. Der ist im Zweifel immer gut, wie "chinesisches Sprichwort", was auch keiner nachprüfen kann.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2012 um 15.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8942

Im Hause Wulff scheint man eine Abneigung gegen bargeldlosen Zahlungsverkehr gehabt zu haben. Freilich haben Girokonten die unangenehme Eigenschaft, daß manchmal weniger als nichts drauf ist. Das kann mit dem Sparschwein oder -strumpf im heimischen Wäscheschrank nicht passieren. So wundern sich nun die Ermittler, daß bei Wulff erkleckliche Überziehungsschulden aufgelaufen waren, während zugleich eine Menge Bares herumlag, mit dem man die Überziehungszinsen hätte reduzieren können. Geordnete Verhältnisse sehen anders aus.


Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 24.02.2012 um 17.13 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8938

Herr Wulff fällt besonders unangenehm auf, weil er besonders wortreich und (scheinbar) überzeugt wie überzeugend gegen die RSR auftrat und dann in Amt & Würden kleinlaut vorgab, er hätte gegen die Reformer-Front in der Kultusminister- (KMK) und Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) nichts ausrichten können. Daß die Kulturhoheit der Länder keine Einstimmigkeit vorsieht, wußte er natürlich, aber er war schon damals ein typischer Mitläufer, was ja für die Karriere in der politischen Klasse nicht schädlich ist.

Herr Wulff ist außerdem nicht der einzige wortbrüchige Politiker, der das Schicksal der Rechtschreibung in der Hand hatte: Weniger starke, aber doch klare Worte sind z. B. vom damals künftigen NRW-Ministerpräsidenten Rüttgers in Erinnerung. Weder gleich nach der NRW-Landtagswahl noch genau einen Monat später auf der MPK am 23.06.2005 läutete er aber den Rückzug von der RSR ein. Für ihn war das (Wahlkampf-) Thema nach der Wahl erledigt.

Der Druck der Peergroup etwa der MPK (die ja kein Verfassungsorgan ist) scheint für solche Politiker nicht aushaltbar zu sein; lieber ein mitlaufendes Schaf in der Herde als ein schwarzes? Oder muß man schlicht von Verlogenheit und Karrierekalkül ausgehen?

Wer nur von einem großen Harmoniebedürfnis bei Rüttgers, Stoiber, Wulff & Co ausgeht, müßte dieses eigentlich auch bei ihren Kollegen aus den anderen Ländern voraussetzen!? Um mal rückblickend etwas zu spekulieren: Was wäre wohl geschehen, wenn das bevölkerungsreichste (!) Bundesland das Experiment der RSR einfach beendet hätte – und ihm vielleicht sogar ein, zwei weitere Länder sofort gefolgt wären?


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2012 um 15.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8937

Gabriele Ahrens hat kürzlich noch einmal in der Nordwestzeitung an frühere Kämpfe erinnert (siehe hier):

"Vor einigen Jahren haben Carsten Ahrens und ich alles Erdenkliche unternommen, um die Einführung der Rechtschreibreform in Niedersachsen zu verhindern. In einem persönlichen Gespräch versicherte uns der damalige Oppositionsführer in Hannover, Christian Wulff, hoch und heilig, die Rechtschreibreform rückgängig zu machen, falls er Ministerpräsident werden sollte. Er bestätigte diese Absicht in der Folgezeit gleich mehrmals und klang dabei sehr überzeugend. Das hat ihm große Sympathien in der Bevölkerung eingebracht.

Als Wulff dann tatsächlich Ministerpräsident wurde, hatte er sein Versprechen allerdings schnell wieder vergessen. Mit seinen eigenen Aussagen konfrontiert, schrieb er uns sinngemäß, es tue ihm leid, aber die Zeiten änderten sich nun mal.

In der Tat ändern sich die Zeiten. Heute kann jemand, der lügt und falsche Versprechungen macht, das höchste Amt im Staate bekleiden. Das – und nicht die Arroganz seiner vermeintlichen Macht, die Wulff nun in die Bredouille gebracht hat – ist der eigentliche Skandal.

Gabriele Ahrens, Oldenburg"


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2012 um 06.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8933

Zu Wulffs Rücktritt gibt es eine hübsche Glosse:

www.welt.de/print/die_welt/politik/article13874840/Zippert-zappt.html

Angesichts der Fotos hatte ich mich auch schon gefragt, was die Gattin des Amtsinhabers eigentlich neben letzterem zu suchen habe. Die Konsumenten der Regenbogenpresse, also die Mehrheit der Wähler, scheinen es gern monarchisch zu haben, da müssen die Angetrauten mit ins Bild und, ja, auch ins Amt. Sehr schätzenswert dagegen die Dezenz des Ehepaares Merkel/Sauer. Allerdings ist Herr Sauer selbst jemand.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2012 um 10.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8931

Über mein Professorengehalt (C3) habe ich mich nie beklagt, aber wer jetzt den Professoren (von denen es ja insgesamt nicht viele gibt) ihr Einkommen neidet, sollte sich vielleicht mal folgende Mitteilung aus der heutigen Presse ansehen:

„In der Rheinischen Post spekuliert ein Experte, dass Wulff mit seinem Rechtsbeistand ein Tageshonorar von rund 4.000 Euro vereinbart haben könnte. (...) Der aktuelle Durchschnittswert der Stundensätze von Anwälten in Deutschland liege bei 181 Euro. Bei hochrangigen Kanzleien seien Stundensätze von 400 bis 700 Euro aber nicht ungewöhnlich.“


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2012 um 13.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8891

Aus einem Leserbrief in der FAZ erfahre ich erst, was Wulff am 24. Januar anläßlich eines Festaktes für Friedrich den Großen gesagt hat: daß der Alte Fritz die Hugenotten nach Preußen geholt und auch Muslime angesiedelt habe usw. Meine eigenen hugenottischen Vorfahren kamen schon etwas früher nach Hessen ...


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.01.2012 um 08.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8861

Aus der taz von gestern (online):

Medien stellten Fragen und decken Fehler auf. "Aber Sie entscheiden nicht." Mit diesem Satz tut Diekmann etwas sehr seltenes. (...) Er weiss jetzt also, womit er erpresst werden kann.

Das ist wohl so ziemlich der heutige Stand der Rechtschreibung, bevor ein professioneller Korrektor drübergeht.

Aus dem Tagesspiegel:

Christian Wulff sind die Lampen durchgebrannt, er muss sich wie ein angeschossenes Wildschwein gefühlt haben, getrieben durch die Medienjäger.

Dieses Wildschwein mit Scheinwerfern stellt man sich gern vor.

Der Bundespräsident hat in Deutschland sehr viel mit Sprache zu tun, auch mit Ghostwritern, obwohl alle so tun, als wüßten sie das nicht (besonders auffällig im Falle Weizsäckers und Herzogs). Schon diese Heuchelei geht mir auf die Nerven.

Alan Posener fordert heute (in der WELT) in geschliffenen Worten die Abschaffung des Amtes, ich kann nur zustimmen. Daß man die Aufgaben auf Bundesrats- und Bundestagspräsidenten verteilen könnte, habe ich mir auch schon überlegt. Auf feierliche Reden würde ich ganz verzichten, auch da spricht mir Posener aus der Seele. Viele können sich die Abschaffung nicht vorstellen, aber man denke noch einmal an den bayerischen Senat, der dann doch (durch ein von der ÖDP angestoßenes Volksbegehren) im Handumdrehen abgeschafft wurde und den niemand vermißt. Natürlich wollen die Parteien auf solche Pöstchen nicht verzichten, aber grundsätzlich geht es doch.


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 07.01.2012 um 18.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8860

Aber nein, Herr Achenbach, ich trivialisiere nichts. Das hat Wulff ganz allein gemacht. Genau wie Guttenberg letztes Jahr. Und nicht die Presse hat den alten Hut vom Sich-Entschuldigen hervorgekramt, sondern wieder Wulff selbst.

Wer, wenn nicht Wulff, weiß, was er wann gemacht hat? Und als Anwalt sollte er zudem wissen, was von diesen Handlungen juristisch problematisch ist. Als Erklärung dieser Handlungen wählte er wiederum selbst gewisse Formulierungen, bemühte die Bibel, reklamierte Menschenrechte für sich, wies auf die fehlende Einarbeitungszeit in das Amt des Bundespräsidenten hin, entschuldigte sich selbst, erklärte, daß er auch für den Rest seiner 5jährigen Amtszeit ein guter Bundespräsident sein wolle, wies auf das frühe Datum des Bankkredits hin usw. Aber nun trivialisiere ich doch nichts, wenn ich mir diese Formulierungen mal genauer ansehe. Die Presse (es muß ja nicht immer die FAZ sein!) trivialisert doch nichts, wenn sie Wulffs Daten der Kreditvergabe mit Angaben der Bank vergleicht.

Hat die Presse Guttenberg letztes Jahr zu der Formulierung der von ihm verfaßten Doktorarbeit genötigt?


Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 07.01.2012 um 17.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8859

Lieber Herr Höher,

gegen den amtierenden Bundespräsidenten werden schwere Vorwürfe erhoben – vom Rechtsbruch bis zum Verfassungsverstoß. Dem noch sprachlich-stilistische Vorwürfe hinzuzufügen, trivialisiert geradezu eine ernste Sache.

Das mit "sich entschuldigen" oder "um Entschuldigung bitten" ist ein uralter Hut, der in vergleichbaren Fällen unweigerlich aus der Mottenkiste hervorgekramt wird. Dadurch wird es aber nicht richtiger, selbst wenn es in der FAZ steht.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.01.2012 um 17.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8858

Völlig logisch ist die nächste Stufe: "Ich hab mich doch entschuldigt, also was wollt ihr noch?"


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 07.01.2012 um 14.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8857

Lieber Herr Achenbach (305#8854),

meiner Meinung nach geht es hier nicht darum, eine abschließende Meinung zu Wulff zu haben. Privat mag sich jeder hier eine Meinung oder gar ein Urteil zu oder über Wulff bilden, aber das würde hier nicht unbedingt in die Öffentlichkeit gehören. (Ein bißchen Schadenfreude sollten Sie mir aber zubilligen, wo es doch um den "Umfaller" Wulff geht.)

Was man hier jedoch unter die Lupe nehmen kann, das sind die sprachlichen Verrenkungen des Bewohners von Bellevue. Die weisen zudem gewisse Parallelen zu Guttenbergs Erklärungsversuchen aus dem vergangenen Jahr auf. (Zum Haargel, der Urlaubslektüre im altgriechischen Original, der schönen Gattin an seiner Seite hatte ich mich damals auch schon nicht geäußert.) Sprachlich war bei Guttenberg aber dafür der vielbemühte Kairos interessant, weil er den ja im Falle seines Rücktritts mehr als einmal verpaßt hatte.

Und auch bei Wulff interessiert mich – neben einem etwas schadenfrohen Interesse an der Chronologie der Ereignisse – vor allem die sprachliche Seite. Das fängt mit den Haarspaltereien an, daß der Kredit nicht von Herrn, sondern Frau Geerkens stammte, geht über den auffälligen Gebrauch des Wörtchens "man" (den ich hier ja auch schon erläutert habe), das seltsam entrückte Sprechen von sich in der dritten Person ganz allgemein ("das Staatsoberhaupt") und gipfelt (vorläufig) im sprachlich eigentümlichen Entschuldigen, zu dem Berthold Kohler in der Netzausgabe der FAz feststellt: »Früher bat derjenige, der meinte, Schuld auf sich geladen zu haben, einen anderen um Entschuldigung. In unseren schnellebigen Zeiten aber übernimmt er das gleich selbst: "Ich entschuldige mich." Das Autoentschuldigen stellt zweifelsohne einen Fortschritt im Umgang mit Schuld und Sühne dar. Mit der ehemals handelsüblichen Bitte um Entschuldigung war man vollständig der Gnade dessen ausgeliefert, den man gekränkt, beleidigt oder dessen Mailbox man zugemüllt hatte. Eine einzige Demütigung. Heutzutage, unter den Bedingungen der Emanzipation, gilt: Selbst ist der (Staats-)Mann. Sich selbst die Absolution zu erteilen, das zeugt von wahrer Macht und Größe.« (vgl. hier)

Ob man darin nun eine Verwechslung des Amtes des Bundespräsidenten mit politischer Karriere (vgl. hier) oder die Verhältnisse, aus denen Wulff kommt (vgl. hier), sehen will, bleibt dahingestellt. Kratzbaum wies im Diskussionsforum auf beides hin, und ich kommentiere nun zumindest dahingehend, daß ich – ganz garstig – darauf verweise.


Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 07.01.2012 um 12.30 Uhr  
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Regeln stoppen oder rückgängig machen kann ein Bundespräsident natürlich nicht. Aber was wäre denn, wenn er die Verlautbarungen des Bundespräsidialamtes in tradtioneller Rechtschreibung veröffentlichen ließe? Hätte er dann gegen ein Gesetz verstoßen? (Natürlich nicht.) Mit welchen Mitteln würde man dann versuchen, ihn unter Druck zu setzen? Fiele es überhaupt auf? Oder wäre es ein unentschuldbarer Fauxpas? Oder täte sich gar nichts, weil die Öffentlichkeit im Hinblick auf Sprache und speziell Rechtschreibung völlig abgestumpft ist?


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 07.01.2012 um 11.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8855

Auf SPIEGEL Online ("Schlechte Aussichten in Bellevue") schreibt Oliver Trenkamp in der Pose des Richters:

Es dürfte eine eher kleine Schaar werden ...

Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit dem umstrittenen TV-Interview, simulierte Wulff präsidialen Alltag und empfing die Sternsinger.

Doch der Strom aus Vorwürfen, Angriffen und Gerüchten reist nicht ab.

Demnach planen die Parteichefs von CDU, CSU und FDP bei bei einem Rücktritt Wulffs einen Nachfolger vorschlagen, den auch SPD und Grüne akzeptieren könnten.

Kein Absatz ohne Fehler. In dieser Form bekommt die Kritik an Wulff etwas Lächerliches.


Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 06.01.2012 um 19.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8854

Ich weiß nicht, was ich von Christian Wulff halten soll. Ich kenne ihn nicht näher und enthalte mich deshalb eines Urteils.

Ich muß allerdings zugeben, daß ich eine klammheimliche Schadenfreude empfände, wenn den professionellen Promijägern auch einmal eine Trophäe fürs Wohnzimmer entginge.

Der rituelle Ablauf solcher Jagden ist immer der gleiche. Ich schere mich deshalb nicht mehr darum.

Zweifellos taugt Wulff nicht mehr so recht als Sonntagsprediger der Republik. Um so besser! Ich habe ohnehin keinen Bedarf dafür. In unserem Lande gibt es mehr als genug Moralapostel, wie gerade diese Affäre wieder zeigt. Auf einen Bundesmoralapostel kann ich deshalb gut und gerne verzichten.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.01.2012 um 17.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8853

Na bitte. Der SPIEGEL berichtet heute kurz nach 17 Uhr, BILD habe Wulff eine Abschrift seiner Mailbox-Nachricht übermittelt. (Gute Idee! Das Manöver läßt BILD sportlich fair aussehen.) Weiter:

Eine Veröffentlichung des Anrufs ist derzeit nicht zu erwarten, trotzdem drängen immer mehr Medien mit Auszügen an die Öffentlichkeit. Laut Informationen des "Stern" soll Wulff länger als eine Minute auf die Mailbox von Diekmann gesprochen haben, dabei sei er eher ruhig geblieben. Im Laufe der Nachricht bittet Wulff demnach tatsächlich darum, eine Berichterstattung so lange zu verzögern, "bis das Staatsoberhaupt von der Auslandsreise" zurück sei. Damit wäre Wulffs Darstellung bestätigt. Allerdings habe Wulff die Botschaft dann fortgesetzt: Man solle sich zusammensetzen, "dann können wir entscheiden, wie wir Krieg führen wollen." Auch einen Strafantrag stellt Wulff laut "Stern" in den Raum. Kurz darauf folgt die Erwähnung des Rubikon, der überschritten sei. Ob die Darstellung des "Stern" tatsächlich der Original-Nachricht auf der Mailbox entspricht, kann aber nur eine Veröffentlichung des Mitschnitts oder des Manuskripts belegen.

Da fragt sich auch der Dümmste: Woher haben der "Stern" und immer mehr Medien diese Einblicke in Wulffs Formulierungen?

Daß BILD so schnell nachlegen läßt, hätte ich nicht gedacht. Aber vielleicht wurde ja nur einer von vielen Eingeweihten vom "Stern" zur Indiskretion verführt, und es handelt sich nicht um eine ausdrücklich vereinbarte Strategie bei BILD.


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 06.01.2012 um 13.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8852

Natürlich wird BILD die Nachricht nun erst recht nicht löschen, Herr Wrase. Da haben Sie völlig recht. Denn damit hat sie den Bewohner von Bellevue ja gewissermaßen in der Hand. Berthold Kohler kommentierte in der FAZ: »Trotz des Bekenntnisses des Bundespräsidenten, „lebensklüger“ geworden zu sein, findet er nicht aus der selbstverschuldeten Krise heraus, sondern immer noch tiefer in sie hinein. Diese ist an dem bisher nicht vorstellbaren Punkt angekommen, an dem sich die Deutschen fragen müssen, ob sie einem Boulevardblatt glauben oder dem Staatsoberhaupt.« (vgl. hier)

Bislang hatte sich das Boulevardblatt in dieser ganzen Sache sehr zurückgehalten, aber nun haben sie in der Redaktion durch den Text auf dem Anrufbeantworter einen Vorteil gegenüber den anderen Zeitungen. Wahrscheinlich warten sie nun ein paar Tage ab, bis Wulff sich in noch weiteren Blödsinn hineingeredet hat (heute kam ja schon eine Richtigstellung von der BW-Bank), um dann den kompletten Wortlaut zu präsentieren. Auffällig ist ja, daß sich in den letzten Tagen schon erstaunlich viele Juristen zum Thema der Veröffentlichung des Wortlautes geäußert haben. Außerdem kann BILD Wulff damit immer noch an seiner eigenen Transparenz aufhängen. Diesbezügliche Andeutungen gab es ja schon im Schreiben von Diekmann.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.01.2012 um 13.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8851

Ich tippe auf folgendes Szenario: BILD läßt Wulff zunächst schmoren und wartet ein paar Tage ab, wie sich andere Medien und die Oppositionsparteien am ihm abarbeiten. Zugleich werden einzelne andere Journalisten mit Informationen darüber gefüttert, wie Wulff seine Drohungen formuliert hat. So werden andauernde Nachfragen und Aufrufe zur vollständigen Aufklärung geschürt. BILD gibt sodann dem Interesse der Öffentlichkeit bzw. der Pflicht zur Berichterstattung nach und untermauert die selbstgestreuten Gerüchte mit eigenen Statements. Finale: BILD liefert das Quellenmaterial (oder wiederholt zumindest den Hinweis darauf, daß man den Mitschnitt bei Bedarf veröffentlichen könne).


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2012 um 07.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8850

Sprachlich ist wieder einmal interessant, wie man Umfragen manipulieren kann: jemanden fertig machen – das wollen wir natürlich nicht; eine zweite Chance geben – das wollen wir gern, denn darauf hat jeder ein Recht usw. So kommt es, daß am selben Tage mal 47 %, mal 92 % für den Rücktritt sind.
Diese ganze Umfragerei ist dumm und unverschämt. Das ist auch der stärkste Einwand gegen Volksabstimmungen. Wir haben es ja selbst erlebt, als der Landtag in SH den Text so manipulierte, daß es für die Reformgegner ziemlich schwierig wurde.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.01.2012 um 03.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8849

Wulff sprach am 12. Dezember auf Diekmanns Anrufbeantworter. Am 5. Januar hat Diekmann Wulff gebeten, den Wortlaut veröffentlichen zu dürfen. Wenn die Nachricht mehr als drei Wochen lang nicht gelöscht wurde, dann wird Diekmann sie jetzt, nachdem sie zur Affäre wurde, erst recht nicht löschen. Früher oder später werden wir lesen, was Wulff gesagt hat. Die Neugier der Medien und der Öffentlichkeit ist enorm. BILD wird einen Weg finden, sie zu befriedigen. Das ist schließlich die "Kernkompetenz" dieser Zeitung.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 05.01.2012 um 21.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8848

Natürlich hat Wulff gute Gründe zurückzutreten. Aber er hatte sie genauso vor dem Interview wie danach. Er ist bislang nicht zurückgetreten; warum sollte er es jetzt oder bald tun?

Für die Öffentlichkeit war das Interview ein Wendepunkt. Alle Fragen sind gestellt und beantwortet worden. Damit ist für die Masse das Thema durch. Daß Wulff nicht zufriedenstellend geantwortet hat, fällt weder auf noch in's Gewicht. Wenn jetzt Journalisten nachhaken, wird das als kleinkarierte Rechthaberei empfunden.

Es gibt auch sehr gute Gründe, die Rechtschreibreform rückgängig zu machen. Es gab auch Diskussionsbedarf darüber im Volk. Die Diskussion kam (halbherzig), die Reform ist in ihrem Unsinn bloßgestellt worden, aber die Konsequenz blieb aus, weil es Leute gibt, die an der Reform festhalten. Kümmert es den Boulevard?


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 05.01.2012 um 19.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8847

Aber die Ablehnung des genauen Wortlautes von dem Text auf Diekmanns Anrufbeantworter war doch zu erwarten. Und es ist eigentlich auch egal. Die BILD-Zeitung hat nun getan, was sie noch machen konnte: Sie hat den Briefwechsel zwischen Diekmann und dem Amtsinhaber in Bellevue (Bundespräsident mag ich nicht mehr schreiben, denn der Posten ist nun wieder vakant) veröffentlicht: vgl. hier.

Übrigens sehr geschickt gemacht, denn damit steht BILD nun auch nicht als Präsidentenmörder da.

Und diese beiden Schreiben genügen auch schon, um den Interimsmieter in Bellevue der Lüge zu überführen: Er hat nämlich bereits einen Aufschub erhalten. Warum hätte er also mit Anwalts-, Rubikonüberschreitungs- und Kriegsführungsdrohungen noch einen 'erbitten' sollen?

Zu seinem Mißverständnis das Post-, Brief- und sonstige Geheimnisse betreffend, hat Kratzbaum im Diskussionsforum schon das Nötige gesagt: vgl. hier.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 05.01.2012 um 16.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8846

Ich habe als Student im Callcenter gearbeitet, und da wurde uns beim Sprach- und Formulierungstraining eingeschärft, bloß nicht "Ich entschuldige mich" zu sagen, sondern stets um Entschuldigung zu bitten. Dem Demutsanschein, den Wulff offenkundig erwecken wollte, hätte eine Bitte um Entschuldigung gut getan.

Wenn ARD und ZDF zusammen ein Interview führen, sind Deppendorf und Schausten ein übliches Gespann. Sie sind gewiß nicht Wulff zuliebe ausgesucht worden. Ungünstig fand ich, daß Deppendorf mit dem schärfsten Vorwurf, dem Angriff auf die Pressefreiheit, angefangen hat; nachdem sich Wulff da herausgewunden hatte, war der Rest des Interviews blabla, und Wulff konnte sich ganz auf seine Reuiger-Sünder-Pose konzentrieren, die er mit trainiertem Hundeblick auch optisch deutlich machte.

Nicht zuletzt dadurch, daß er die christliche Losung "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein" für sich in Anspruch genommen hat, wird er in der Bevölkerung, die sich durch so etwas gerne einlullen läßt, wieder einige Punkte gutgemacht haben. Daß Wulff sich bei anderer Gelegenheit (Rau, Glogowski etc.) für sündenlos genug hielt, um den ersten Stein zu werfen, wissen eben nicht mehr alle.
Wulff wird nicht zurücktreten. Er sitzt die Sache aus; und Merkel und Co. helfen ihm dabei, damit es nicht auf sie abfärbt, daß zwei Unionskandidaten hintereinander als Präsident scheitern.

Zu Karasek: Ist "Osnabrück" jetzt eine Eigenschaft oder ein Zustand? Ich weiß, Osnabrück gilt vielen als Sinnbild der Provinzialität, und die Stadt bemüht sich durch den Umweltzonenwahnsinn und die "Weltstädtchen"-Kampagne auch redlich, den Ruf zu verfestigen, aber daß man "Osnabrück" sein kann, erscheint mir nicht nur grammatisch schief.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2012 um 16.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8845

Wulff hatte behauptet, er habe in jenem Anruf die Bildzeitung nicht um Unterlassung, sondern nur um Aufschub der Veröffentlichung gebeten. Diekmann bestritt dies. Heute mittag war dann zu hören, BILD wolle den Text des Anrufs veröffentlichen, aber nur mit Wulffs Zustimmung. Ich habe gleich zu meinen Leuten hier gesagt: Das ist aber eine ganz tückische Falle! Stimmt er zu, kommt die unangenehme Wahrheit heraus, stimmt er nicht zu, denkt jeder, er habe etwas zu verbergen. Letzteres ist eingetreten.
Da nur die BILD, nicht aber Wulff selbst den Wortlaut seines Anrufes besitzen dürfte, hätte er immer noch sagen können, er erinnere sich nicht mehr genau, was er eigentlich gesagt habe. Nun aber entsteht der Eindruck, er wisse es sehr genau und habe Grund, es nicht bekannt werden zu lassen. Wulff scheint sich überhaupt nicht beraten zu lassen, wie man mit solchen Sachen umgeht.


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 05.01.2012 um 14.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8844

Dieser Satz war mir auch schon aufgefallen. Inhaltlich ist zunächst festzustellen, daß ich mir natürlich jederzeit von Freunden Geld leihen kann und darf. Wer sollte das verbieten? Kratzbaum wies im Diskussionsforum (vgl. hier) jedoch darauf hin, daß durch das Zahlen von Zinsen aus einem Freundschaftsdienst schnell eine Geschäftsbeziehung werden kann. Verdienen denn wirkliche Freunde an einander? Geerkens selbst hat das "Darlehn" (wie "Der zerbrochne Krug"!) eine Investition seiner Frau in den Zeiten der Bankenkrise genannt. Eine Investition ist doch kein Freundschaftsdienst.

Aber auch sprachlich ist dieser Satz bemerkenswert. Er ist nämlich verkorkst, und das aus gutem Grund. Durch alles, was ich bislang von dem Interview Wulffs im Staatsfernsehen gelesen habe, zieht sich der krampfhafte Versuch, das Subjekt "ich" zu verschleiern. Nur so ist das häufige und alberne "man" zu verstehen. Aus dem gleichen Grund griff Guttenberg im letzten Jahr bekanntlich auch zu merkwürdigen Konstruktionen ("meine von mir verfaßte Dissertation") und oft zum Passiv ("diese Arbeit wurde von mir verfaßt").

„Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann.“

Inhaltlich eindeutiger (und stilistisch besser) wäre doch Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich niemand mehr Geld von Freunden leihen kann gewesen. Aber nun hätte man den niemand nicht mehr so ohne weiteres mit ihm in Verbindung gebracht, zumal er sich ja tatsächlich Geld von Freunden geliehen hatte. Also mußte die Konstruktion anders aussehen und durfte dabei auf keinen Fall so direkt werden wie in Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo ich mir von Freunden kein Geld mehr leihen kann. Dieser Satz fügt sich tatsächlich am besten in den Hauptsatz, er ist aber viel zu direkt und eindeutig. Erst die Ich-Vermeidung erzeugt die verkorkste endgültige Fassung.

Alles (auch stilistisch) genau wie bei Guttenberg: Sprachliche Eiertänze, Verschleierung und wohleinstudierte Erklärungsschauspiele vor handverlesenen Medienvertretern.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.01.2012 um 13.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8843

Kann man sich überhaupt selbst entschuldigen? Genau genommen kann man doch nur um Entschuldigung bitten. Die deutsche Sprache ist bei den Worten "Entschuldigung!" und "Ich entschuldige mich" ungenau.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2012 um 12.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8842

„Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann.“ (Wulff)
Ist das Land tatsächlich so heruntergekommen?


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 05.01.2012 um 11.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8841

Prantl hat Probleme mit seiner Vergil-Lektüre, und Karasek ist offensichtlich bei Flaubert nicht (mehr) so ganz sattelfest. Meine Lektüre der "Madame Bovary" ist nun auch schon ein bißchen her, aber welche Frau hat denn da bitte ihren Mann zu Höchstleistungen angehalten? Emma verspricht sich nach der Hochzeit mit dem einfachen Landarzt Charles Bovary doch eigentlich ein interessantes und abwechslungsreiches Leben. Als alles am Ende nicht geklappt hat, bzw. sie hochverschuldet ist, nimmt sie Gift. Er bleibt aber Landarzt und wird von ihr nicht in eine Professur oder eine politische Karriere getrieben.

Wenn der Herr Literaturkritiker sich schon in der Weltliteratur auf die Suche nach einem schwachen Mann und einer starken Frau begibt, die ihn vorantreibt, dann läge doch "Macbeth" viel näher. Zumindest muß man bei diesem Vergleich nicht seine Gehirnwindungen so arg verrenken wie bei der Bovary, und auch die Rollenverteilung würde besser passen.

Aber so ist das eben, wenn vermeintliche Experten zu allen Themen etwas sagen müssen.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2012 um 16.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8840

Karasek: Ich habe ihn in Erinnerung, wie er noch ganz Osnabrück war. Ich habe ihn damals bei einem Orthographie-Wettbewerb begleitet. Er ist übrigens ein sehr umgänglicher Mensch. Aber auch Protagonist eines großen Romans, der in die Madame-Bovary-Kiste gehört.
SZ: Das müssen Sie erklären.
Karasek: Weil seine Frau ihn offenbar zu Höchstleistungen und damit zu Verfehlungen hingerissen hat. Er wollte eben über seine Verhältnisse hinaus.
SZ: Sie meinen also, der Orthographie-Wettbewerb stand Wulff besser?
Karasek: Ja, das muss man wohl sagen.
(SZ 4.1.12)


Kommentar von M. Schuchardt, verfaßt am 02.01.2012 um 22.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8839

Ihr Wort in Gottes Gehörgang, lieber Herr Ickler. Er hat wahrlich genug auf dem Kerbholz. Man stelle sich vor, der DFB-Präsident würde sich für die stärkere Förderung des Tennissports starkmachen. Nur die Bundeskanzlerin geriete in eine (Ansehens-)Krise. Das Volk würde aufatmen. Einen Herrn Gauck wollte die Pfarrerstochter nicht haben. Solange der glorreiche Oppositionsführer seine Unterstützung gewährt, besteht keine Gefahr. Armes Deutschland.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2012 um 17.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8837

Mit dem Datum habe ich mich zwar geirrt, aber Wulff wird bestimmt bald zurücktreten. Und warum sollte der Rücktritt eine "Staatskrise" auslösen, wo doch seine Beförderung in dieses Amt auch keine Staatskrise ausgelöst hat?

Aber was ich eigentlich sagen wollte: "Es ist korrekt, dass der Bundespräsident auch Mathias Döpfner in dieser Angelegenheit angerufen hat und es ist auch korrekt, dass Herr Döpfner auf die Unabhängigkeit der Redaktion hingewiesen hat", hieß es in einer Stellungnahme des Verlages. (SZ online 2.1.12)

Das scheint mir nun nicht die beste Wortwahl zu sein. Besser wäre: Es ist wahr ..., und es ist auch wahr ... Denn korrekt war es nun gerade nicht.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.12.2011 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8834

Manfred Bissinger: "Schließlich gehört auch die Korrektur von Fehlern zum Ethos der Wissenschaft."

Jetzt wissen wir, mit was für Leuten wir es bei den Verantwortlichen für die Rechtschreibreform zu tun haben.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.12.2011 um 06.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8833

Zahlen zur Beliebtheit:

Wulff als Person wird von den Bürgern [...] sehr gut bewertet. 82 Prozent halten ihn für sympathisch [...]
ARD-Deutschlandtrend, zitiert bei ZEIT Online, Juli 2010
www.zeit.de/politik/deutschland/2010-07/wulff-umfrage

83 Prozent der Deutschen [finden] Bundespräsidenten Christian Wulff sympathisch [...]
Emnid-Umfrage im Auftrag von „Bild am Sonntag“, Juni 2011
www.wortimnetz.de/emnid-praesident-wulff-sympathisch-aber-sehr-zurueckhaltend-873

Wen man mag, den wünscht man wegen eines Fettnäpfchens nicht gleich zum Teufel. Lieber bewertet man das Fehlverhalten des Sympathieträgers als Lappalie.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2011 um 12.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8832

Im Zusammenhang mit Wulffs Sturz taucht auch Manfred Bissinger wieder auf, jener geniale Vorkämpfer der Rechtschreibreform, der sich seinerzeit brüstete, mit seiner "Woche" allen anderen zuvorgekommen zu sein. Ich glaube, auf diesen Seiten ist noch nicht dokumentiert, was Bissinger seinerzeit "erinnerte":

Liebe Leserin, lieber Leser,
Dreieinhalb Jahre ist es jetzt her, ganze 187 Ausgaben der WOCHE, dass wir als erste Zeitung die neuen Regeln der Rechtschreibreform einführten. Und wir sind gut damit gefahren. Ich erinnere drei Abbestellungen, ganz am Anfang, Professoren von Pädagogischen Hochschulen, ansonsten waren Sie (das sind immerhin 390.000 Leserinnen und Leser) einverstanden. Die meisten hatten es, das muss ehrlicherweise hinzugefügt werden, erst gar nicht bemerkt. Wann berichten wir schon über Schifffahrt oder Teeeier, Wörter, die die neue Orthografie schon optisch wahrnehmbar machen.
Wir haben uns gefreut, als dann vor über einem Jahr erst die „Zeit“ und später die Agenturen und mit ihnen alle anderen Zeitungen und Zeitschriften unserem Schritt folgten. Jeder nutzte die Spielräume der Reform auf seine Weise. Wir zum Beispiel schrieben viele Fremdwörter weiter wie vorher. Wir wollten „Portemonnaie“ nicht eindeutschen. Die Regeln erlauben das, und weder der Sprache noch den Inhalten hat es geschadet, dass wir auch andere offensichtliche Ungereimtheiten von vornherein korrigiert haben.
Die deutsche Sprache entwickelte sich schon in der Vergangenheit äußerst lebendig, und sie wird es kontinuierlich weiter tun - wir sind sicher, dass die zuständige Kommission sowohl unsere als auch die Erfahrungen der anderen Anwender bei der angekündigten Überarbeitung des Regelwerkes nutzen wird. Schließlich gehört auch die Korrektur von Fehlern zum Ethos der Wissenschaft.
Die in dieser Woche erfolgte Rückkehr der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) zur Schreibweise des vergangenen Jahrhunderts wird daran nichts ändern können. Die klugen Köpfe sind allein: „Welt“ wie „Süddeutsche“, „Focus“ wie „Spiegel“, „Bild“ wie „Stern“ respektieren weiter die neuen Schreibweisen. Der Schritt der „FAZ“ wird in der Zukunft eher die abschrecken, die inzwischen nach den neuen Regeln ausgebildet worden sind.
Wir warten in Ruhe ab, was die gelehrten Herren der Rechtschreibkommission aus der Praxis für Lehren ziehen. Sollten sie vorhandene Absurditäten tilgen und der Reform damit zu noch mehr Klarheit verhelfen - uns sollte es nur recht sein. Ohnehin will keiner den jetzt der „FAZ“ zujubelnden Schriftstellern ihre Sprach-Kreativität rauben. Sie sollen so dichten, wie sie glauben uns Leser am besten überzeugen zu können. Man denke nur an Arno Schmidt, jenen genialen Autor, der schon die alten Regeln missachtete und einfach „1zigartig“ schrieb.
Solche Einfälle dürfen keinem Regelverdikt zum Opfer fallen - getreu dem Motto Georg Chistoph Lichtenbergs: „Der eine hat eine falsche Rechtschreibung und der andere eine rechte Falschschreibung.“
MANFRED BISSINGER
Chefredakteur
(Die Woche 4.8.2000)




Nachdem die "Woche" eingegangen war, schrieb der Tagesspiegel:

»Ihr Gründungschefredakteur Manfred Bissinger sagte am Freitag dem Tagesspiegel: Den Entschluss von damals, die „Woche“ zum Vorreiter für die neue Rechtschreibung zu machen, betrachte er im Nachhinein als verkehrt. Das Blatt sei einer gewollten Modernität hinterhergelaufen, die in Wahrheit nichts gebracht habe. Er selbst sei leidenschaftslos bei diesem Thema, hege aber privat „eine innere Sympathie“ zur alten Rechtschreibung: „Die ist in meiner Hand drin.“«


Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.12.2011 um 10.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8831

Duo cum faciunt idem, non est idem.
Oder als umgekehrter Spruch:
Quod non licet bovi, hoc licet Iovi.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.12.2011 um 18.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8829

Zuerst das Hamburger Abendblatt und nun auch die FAZ titeln oder untertiteln "Besser als die Wahrheit", offenbar ohne satirische Absicht. Verglichen mit dem Original ("Besser die Wahrheit") ist das gewissermaßen auch ein Fall von "Lectio facilior". Aber der Gedanke, Wulff könnte ein Buch mit dem Titel "Besser als die Wahrheit" geschrieben haben, ist auch ergötzlich.


Kommentar von verschoben, verfaßt am 20.12.2011 um 15.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8828

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 20.12.2011 um 07.55 Uhr

Der Bundespräsident, seine Reisen und das Darlehen, und der Müllmann

Meine Tochter wollte gestern, wie es teilweise üblich, dem Müllmann zu Weihnachten eine kleine Aufmerksamkeit schenken. Dieser nahm nur widerstrebend an mit der Bemerkung: das darf ich eigentlich gar nicht.
Beide Fälle sind verbürgt.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 20.12.2011 um 13.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8827

Ich glaube, daß es den meisten Deutschen nicht um das Wohl Deutschlands geht, wenn sie danach gefragt werden, ob Wulff im Amt bleiben soll. infratest dimap hätte zusätzlich fragen sollen, ob sie Wulff sympathisch finden. Dann hätte sich vermutlich ein hoher Wert gezeigt. Die Leute mögen Wulff. Sie denken vermutlich, daß der Privatkredit zwar nicht ganz koscher war, daß es sich aber nicht um ein schweres Vergehen handelt. Deshalb mögen sie den Medien nicht zustimmen , wenn diese sogleich schweres Geschütz gegen den freundlichen Präsidenten auffahren.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.12.2011 um 13.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8826

Es gab in der Nachkriegszeit eine Person, die von ihrer Persönlichkeit für das Amt des Bundespräsidenten hervorragend geignet gewesen wäre: Carl Friedrich von Weizsäcker, Physiker und Philosoph, der als Mitglied der "Göttinger Achtzehn" von Adenauer als Dummkopf beschimpft worden war. Ich habe ihn sehr verehrt und es bedauert, daß er 1979 den Ruf Willy Brandts, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, abgelehnt hat. Aber so hat er seine politische Unabhängigkeit bewahrt, das ist zu respektieren.


Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.12.2011 um 13.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8825

Daß so wenige für einen Rücktritt sind, liegt wohl daran, daß man nicht so recht weiß, was dem Amt des Bundespräsidenten und auch Deutschland international mehr schaden würde: wenn Wulff bleibt oder wenn schon wieder ein Bundespräsident nicht die volle Amtszeit übersteht.

Und so sehr ich auch bei der letzten Wahl lieber Gauck siegen gesehen hätte, so würde ich ihm und mir doch wünschen, daß er bei der nächsten regulären Wahl gewinnt statt daß er jetzt sozusagen als zweiter einspringen sollte.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 20.12.2011 um 11.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8824

Es heißt immer, der Bundespräsident brauche unbedingt moralische Glaubwürdigkeit und persönliche Integrität, und das Volk erwarte diese persönlichen Qualitäten auch von ihm. Eine telefonische Umfrage von infratest dimap unter 1005 Wahlberechtigten für den ARD-Deutschlandtrend Extra, gestern durchgeführt und heute bei SPIEGEL Online zitiert, ergibt nun folgendes:

Nur noch 51 Prozent der Befragten halten den Bundespräsidenten für glaubwürdig. [...] Dass Wulff ehrlich ist, denken nur 41 Prozent der Deutschen. 47 Prozent halten ihn nicht für ehrlich. [...] Weniger als die Hälfte (43 Prozent) ist [...] der Ansicht, Wulff sei "jemand, der in moralischen Fragen den richtigen Kompass hat".

Aber:
[Zugleich] plädieren 70 Prozent der Deutschen dafür, dass das Staatsoberhaupt trotz des umstrittenen Privatkredits und enger Beziehungen zu Unternehmern weiter im Amt bleiben soll. Nur 26 Prozent sind der Meinung, dass er zurücktreten solle.

Nur einer von vier Wahlberechtigten plädiert für Wulffs Rücktritt. Hätte man das gedacht? Die Parteien werden solche Umfrageergebnisse bei ihrer Strategiefindung zu beachten wissen.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.12.2011 um 10.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8823

Der Bundespräsident repräsentiert nicht das Volk, sondern die Regierung und ist ein Berufspolitiker wie die anderen auch, denen das Volk alles zutraut. Möglicherweise hat das Volk falsche Vorstellungen von diesem Amt. Unabhängige Persönlichkeiten (finanziell und parteipolitisch) wären beim Volk beliebt, aber der Regierung viel zu unbequem. Genau so einer ist in Tschechien gerade gestorben.


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 19.12.2011 um 23.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8822

Das, was Sie da über "Oma Windsor" schreiben, trifft es schon sehr gut, Herr Mahlmann. Und zugleich zeigt es die deutschen Sehnsüchte, daß es so etwas hier nämlich nicht mehr gibt. Das Gebäude in Berlin heißt zwar Schloß Bellevue, aber ein König residiert nicht mehr darin. Und genau diese Sehnsüchte nach Königs und Konsorten scheint bei Wulffs nun vor allem Gattin Bettina befriedigt zu haben. Dabei hat sie wohl zugleich über die Stränge geschlagen, bzw. die Verhältnismäßigkeiten nicht mehr gewahrt. Vgl. hier: www.welt.de.

(Vielleicht liegt es auch an Bettinens blonder Haarfarbe, daß Assoziationen an Diana Spencer oder Gracia Patricia hochkommen.)


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 19.12.2011 um 21.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8821

Der Bundespräsident ist einfach ein Staatsnotar und Repräsentant. Der Kanzler ist der Regierungschef. Falls der Bundespräsident durch eine Direktwahl stärker demokratisch legitimiert würde als der Regierungschef, wäre seine recht machtlose politische Stellung nicht erklärbar.
Wenn das Volk eine Vorschlagsliste für das Präsidentenamt vorlegen würde, käme neben Namen wie Uwe Seeler, Helene Fischer, Thomas Gottschalk und Elvis Presley auch die Beliebtheitsrangfolge auf; es wäre schwer, am Favoriten des Volkes vorbeizugehen.

Der Brite hat's besser. Oma Windsor unterhält mit ihrer seltsamen Verwandtschaft die Bürger und repräsentiert das Land doch ganz famos. Und bei Enkel Wilhelms Hochzeit mit Frl. Käthe fühlte sich jeder aus tiefster Seele mit dem Land verbunden.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.12.2011 um 18.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8820

Das Wort "hochgeschätzt" ist auch nicht, was es mal war, denn "hoch" kann auch erst das Ergebnis von "schätzen", auf welche Weise auch immer, sein; "hoch geschätzt" gilt dagegen auf Dauer.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.12.2011 um 14.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8819

Das Volk sollte wenigstens Vorschläge für einen Bundespräsidenten machen dürfen. Und es sollte eine Prüfliste geben.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.12.2011 um 09.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8818

Die Wulff-Affäre läßt auch die FAZ zu orthographischen Höchstleistungen auflaufen:

Das so ein Kredit nicht unbemerkt bleibt, davon musste er ausgehen. (...) Man hegt als Beobachter die Befürchtung, das mit dieser Legende noch viel mehr zum Einsturz kommen könnte. (...) Zur juristischen Seite der Sache hatte sich schon zu Beginn der Sendung der Verfassungsrechtler von Arnim präzise und nachvollziehbar geäussert.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.12.2011 um 04.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8817

Manche Posten scheinen hauptsächlich der Versorgung altgedienter Politiker zu dienen. Es wäre schön, dem durch parteilose Persönlichkeiten mit herausragender Qualifikation ein Ende zu bereiten. Auch eine Abschaffung der Posten käme in Betracht.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.12.2011 um 00.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8816

Ich kann mir nicht vorstellen, daß Herr Schäuble bezüglich seiner Einstellung als Bundes-Innenminister zu den bürgerlichen Rechten und Freiheiten allein durch die Wahl zum Bundespräsidenten vom Saulus zum Paulus wird, ohne ein vergleichbares Erweckungserlebnis zu haben. Aber vielleicht muß man bei Berufspolitikern mit allem rechnen. Trotzdem traue ich ihm nicht.


Kommentar von verschoben, verfaßt am 18.12.2011 um 20.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8815

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 18.12.2011 um 14.15 Uhr

Nun ist ein Minister kein Beamter im eigentlichen beamtenrechtlichen Sinn, aber vielleicht steht im Ministergesetz, daß auf Minister beamtenrechtliche Vorschriften im übrigen sinngemäß anzuwenden sind...
Ganz abgesehen davon geht es aber hier doch wohl um den anrüchigen Charakter der Handlung nicht irgendeines Menschen, sondern um das Staatsoberhaupt.
Verlagern wir mal die Sache auf die kommunale Ebene: Ein Gemeinderatsmitglied hat einen reichen Freund in der Gemeinde, in welcher er dem Gemeinderat angehört, und bekommt von dem (oder meinetwegen von dessen Frau) mal eben wegen eines finanziellen Engpasses eine halbe Million geliehen. Die Sache wird ruchbar. Wie lange der sich wohl noch hält?


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 18.12.2011 um 13.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8814

Gerade lese ich auf SPIEGEL Online:

Schließlich untersagen die Verwaltungsvorschriften, die das Ministergesetz ergänzen, niedersächsischen Beamten die "Annahme von besonderen Vergünstigungen bei Privatgeschäften (z. B. zinslose oder zinsgünstige Darlehen, Berechtigungsscheine, Rabatte)".

www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,804449,00.html

Privatkredite sind also doch relevant. Das Darlehen war zinsgünstig. Wulff hätte somit gegen die Verwaltungsvorschriften verstoßen. Ohne meine Anwälte sage ich erst mal nichts mehr zu dem Fall.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 18.12.2011 um 11.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8813

Irgendwie finde ich es gemein, wenn Wulff auf diese Weise zu Fall kommt, auch wenn es da noch die anderen Vorteilsnahmen gibt (Maschmeyer-Villa usw.). Eine Geschäftsbeziehung? Zum damaligen Ministerpräsidenten? Geerkens war in erster Linie ein guter Freund von Wulff. Wenn mir ein guter Freund für einen Hauskauf ein paar Jahre lang zum Beispiel 100.000 Euro leiht, weil ich sonst Bankschulden machen müßte und er das Geld locker erübrigen kann, unterhalte ich dann eine "Geschäftsbeziehung" zu ihm? Ich würde es so nicht nennen wollen, auch wenn wir das schriftlich festhalten und ein Zins vereinbart wird. Sonst müßten sich zum Beispiel Eheleute als Geschäftspartner bezeichnen, und jede Anschaffung für die Kinder wäre eine gemeinsame finanzielle Investition der Geschäftsleute. Wer denkt so? Wer spricht so? Politiker sind nicht nur Amtsträger, auch sie haben ein Privatleben. War ein Privatkredit an Wulff ein Kredit an den Ministerpräsidenten? So klar ist das alles nicht.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.12.2011 um 11.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8812

„Ich wollte nicht, dass irgendein Bank-Azubi sieht, dass so viel Geld von mir an Wulff fließt“, sagte Geerkens, mit dem Wulff laut eigener Aussage keine Geschäftsbeziehungen unterhält.

Wie soll man das nennen? Blattschuß?

Damit können wir wohl wieder einen von den "Jungen Wilden" abhaken, mit denen wir uns u.a. hier beschäftigt haben:

www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=606
www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=953


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 18.12.2011 um 11.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8811

Ach so, natürlich. (Der "erste" Satz war der zweite in jenem Beitrag, und der "zweite" war der dritte.) Diese Ironie hatte ich verstanden, aber nachdem Herr Höher ohne Ironie Einwände geltend machte, hatte ich es schon wieder vergessen und vertraute seinem Beitrag, zumal er schon bei Gertrud Höhler ins Schwarze getroffen hatte und auch sonst immer meine Zustimmung hat.

Also, dann sind wir uns ja weitgehend einig: Schäuble als Bundespräsident wäre [ironisch] "würdig" (Ickler) bzw. [nicht ironisch] unwürdig (Höher) bzw. möglicherweise immer noch würdiger als Wulff (Wrase), was aber noch allfällig zu diskutieren wäre.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.12.2011 um 10.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8810

Bei mir diente der zweite Satz offensichtlich zur Begründung des ersten, aber vielleicht sollte ich Ironie-Smileys verwenden?


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.12.2011 um 21.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8809

Wenn ich von mir ausgehe: Man hat das Gefühl, daß sich die unschönen Vorgänge der CDU-Parteispendenaffäre nur mühsam mit persönlichen Verfehlungen von Wolfgang Schäuble in Verbindung bringen lassen. Im Vergleich zu Wulff fällt mir ein: Schäuble hatte keinen persönlichen Vorteil. Er kannte den Spender kaum. Er war nur eine Marionette in dem Spendengeschiebe. Großspenden von Unternehmern waren üblich, nicht nur bei der CDU. Es ist nicht klar, inwiefern Schäuble bewußt an einem unrechtmäßigen Vorgang mitgewirkt hat. Im Gegensatz zu Wulff hat er auch keine anrüchige Nähe zu Millionären gepflegt, er hat nicht wie Wulff immer wieder Vorteile und Vergünstigungen aus solchen Bekanntschaften gezogen.

Gleichwohl ist auch Schäuble belastet, und sollte er als möglicher Nachfolger Wulffs auftreten, dann wird man ausgiebig darüber diskutieren, ob er sich hinreichend von ihm unterscheidet.


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 17.12.2011 um 18.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8808

Verzeihung, Herr Ickler!

Was soll denn bitte daran würdig sein, wenn Schäuble Bundespräsident würde? Es war zwar kein privater Kredit, sondern nur eine Parteispende, aber richtig in den Büchern aufgetaucht ist sie dann doch nicht. Gut, das war alles 1999 (und zog sich noch bis 2000 hin), aber einige werden sich noch daran erinnern (und die Medien könnten es wieder hervorkramen, wenn die Sache mit Wulff noch lange weitergeht). Eine integere Figur hat Schäuble damals in der Sache mit dem Aktenkoffer und dem Briefumschlag nicht gerade hingelegt. Sein Herr Geerkens hieß Schreiber und war zudem auch kein Juwelier und Schrotthändler, sondern Waffenhändler.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.12.2011 um 12.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8807

Ist Frau Geerkens jetzt ein Strohmann oder eine Strohmännin oder eine Strohfrau?


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.12.2011 um 10.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8806

Ja, Schäuble wird es wohl werden. Würdiger Ruhesitz für einen verdienten Politiker. Schäuble war ja ein Durchsetzer der Rechtschreibreform von Anfang an und so wenig zimperlich wie Müntefering. Er hat auch für eine der schönsten Episoden der ganzen Reformgeschichte gesorgt:
www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=678


Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 16.12.2011 um 14.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8802

An Gertrud Höhler glaube ich nicht so recht. Sie ist in der CDU nicht unumstritten, Frau von der Leyen würde sich übergangen fühlen, und – was angesichts der Kreditaffäre Wulffs noch schwerer wiegt – sie hat auch ein Problem mit der Wahrheit, der ganzen Wahrheit...

Mehr dazu hier: www.focus.de.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2011 um 18.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8801

Wulff hat vor allem wegen seiner Haltung in der Rechtschreibfrage (und gegenüber der KMK im allgemeinen) mehr als jeder andere Politiker die Redensart vom Tiger und Bettvorleger auf sich gezogen.
Als er zum Bundespräsidenten "gewählt" wurde, sah niemand ein, warum gerade er es werden sollte. Das ganze Verfahren war abstoßend.
Falls Joachim Gauck sich als Christenmensch erweichen ließe, noch einmal zu kandidieren, gäbe es wohl kaum einen Konkurrenten. Da er sich damals nicht übermäßig gedrängt hatte und seine "Niederlage" keineswegs als Demütigung empfunden wurde, hat er auch keinen Grund zu schmollen, und das hat er ja seither auch nicht getan.
Ich bin nicht gerade ein Fan von Theologen in der Politik, aber Gauck war doch der viel interessantere Mann.
Es kann natürlich auch sein, daß die Koalition diesmal wirklich eine Frau vorschiebt, vielleicht Gertrud Höhler ...


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2011 um 12.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8800

Die Süddeutsche Zeitung berichtet, die Kanzlerin habe sich vor den Bundespräsidenten gestellt; andererseits findet er bei ihr Rückhalt, was anatomisch und geometrisch nur schwer vorstellbar ist. Die FAZ hat dieses ganze Gestelle schon passend kommentiert: "Die Zahl derer, die sich vor und hinter den Bundespräsidenten stellen, wächst."


Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 14.12.2011 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8799

Wenn ich mich recht erinnere, sagte Wulff einmal, er wolle "Sauerstoffflasche" wieder mit zwei f schreiben dürfen. Auf dem Niveau bewegt sich nicht nur sein Kampf gegen den Rechtschreibputsch. Und Bundespräses wird er wohl bleiben, weil die Regierung noch einen Präsidentenwechsel überhaupt nicht brauchen kann.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2011 um 10.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#8798

Ob Wulff nächste Woche noch Buprä ist?

Es ist doch seltsam, worüber Politiker reihenweise zu Fall kommen, meistens Peanuts, verglichen mit der Höhe der Leiter, die sie erklommen haben bzw. hinaufgeschoben worden sind. (Ich bin der erste, der Erdnüsse mit Leitern vergleicht.)

Wir hatten leider in Sachen Rechtschreibreform unter den Politikern keinen zuverlässigen Unterstützer. Dafür besitzen wir nun viele Briefe und andere Verlautbarungen, mit denen das Umfallen rhetorisch bemäntelt wird. Man könnte ein Buch daraus machen.


Kommentar von F.A.Z. / Briefe an die Herausgeber, verfaßt am 29.07.2005 um 16.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1377

»Ausscheren aus dem Teufelskreis

Zu "Rechtschreibreform gilt auch in Niedersachsen" (F.A.Z. vom 20. Juli): Daß die Rechtschreibreform Ministerpräsidenten- und Kultusministerkonferenz inzwischen partiell zu wahren Tollhäusern hat verkommen lassen, ist nicht nur darauf zurückzuführen, daß deren Mitglieder Rechtschreibscharlatanen aufgesessen sind, die allein um der Veränderung willen eine Reform aus einem Gemisch von Regeln des 18. Jahrhunderts, Ansätzen der nationalsozialistischen Zeit, Vorstellungen von SED-nahen "Schriftexperten" und eines Schweizer Eigenbrötlers sowie infantilen Pseudoetymologien zusammengebraut, sich selbstherrlich über die Entwicklung der Sprache, ihre Grammatik, Semantik und Phonetik hinweggesetzt haben. Grund dafür ist vielmehr auch ein grober Webfehler im Verfahren beider Konferenzgremien, der zentrale demokratische Grundsätze auf den Kopf stellt.

Das dort herrschende Einstimmigkeitsprinzip war bereits den Blockparteien aus KPD, SPD, CDU und LDPD in der Sowjetischen Besatzungszone auferlegt worden. Anlaß dazu gab die Befürchtung der Kommunisten, im Block getroffene Entscheidungen könnten im nachhinein von den bürgerlichen Parteien wiederaufgehoben werden. So war es CDU und LDPD trotz der zunächst bestehenden stimmenmäßigen Unterlegenheit der KPD nicht einmal möglich, das schwere Verfolgungsunrecht von sogenannter Boden- und Industriereform auch nur abzumildern. Nicht anders sind die Stimmverhältnisse in der Ministerpräsidenten- und der Kultusministerkonferenz. Sobald sich diese Gremien auf einen Beschluß geeinigt haben, regiert die Minderheit. Eine späte Einsicht der Mehrheit bleibt dagegen Schall und Rauch.

Vor diesem Hintergrund ist das Ausscheren von Bayern und Nordrhein-Westfalen aus dem Teufelskreis der Einstimmigkeit in zweifacher Hinsicht ein Meilenstein: Schülern in diesen Ländern werden weiterhin keine rechtsstaatswidrigen Nachteile wegen Nichtbeachtung des Wirrwarrs der Rechtschreibreform zugefügt, und das zutiefst Undemokratische der Einstimmigkeit tritt offen zutage. Nicht Bayern und Nordrhein-Westfalen sind die Abtrünnigen. Allein sie handeln im Sinne der Mehrheit, zu der sich - gegen alle Vernunft - die übrigen unionsregierten Länder aufgrund des formalen Einstimmigkeitsprinzips nicht zu bekennen trauen. Nicht nur die Rechtschreibreform muß schonungslos von allen Mängeln gereinigt werden, soll irgendwann einmal wieder Rechtschreibfrieden herrschen. Auch das Einstimmigkeitsprinzip in den Konferenzen von Ministerpräsidenten und Kultusministern ist zumindest bei Beschlüssen zur Aufhebung oder Änderung getroffener Entscheidungen aufzugeben, wollen sich diese Gremien nicht weiterhin in einem undemokratischen Verfahren verheddern und ihre Glaubwürdigkeit nachdrücklich beschädigen. Dr. Johannes Wasmuth, München«


( F.A.Z., 29.07.2005, Nr. 174 / Seite 9 )


Kommentar von T.P., verfaßt am 22.07.2005 um 09.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1278

BILD: Haben Sie kein Rückgrat? - Wulff: Natürlich!

Hm...


Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 22.07.2005 um 09.27 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1277

Man sollte sich daran erinnern, daß Politiker aus eigener Sicht eigentlich nie Umfaller sind, irgendwo im bislang Verborgenen sind sie ihrer Linie doch treu geblieben - wir Bürger haben diese und ihren tieferen Sinn nur nicht gesehen. Das gilt auch für Herrn Wulff:

"Manchmal muß man Umwege gehen, um zum Ziel zu kommen", meint er. Das Ziel aber scheint er geändert zu haben: "Jetzt kämpfe ich dafür, dem Rat für deutsche Rechtschreibung statt der Kultusministerkonferenz die Kompetenz für Rechtschreibung zu geben."
Wulffs Ziel war also tatsächlich nie die Wiederherstellung der bewährten Rechtschreibung, sondern Regelungskompetenz für ein handverlesenes staatliches, aber dennoch vermeintlich unabhängiges Gremium - oder? Die Kompetenz der gesamten deutschen Schreibgemeinschaft, in deskriptiven Wörterbüchern dokumentiert, meinte er demnach nicht!?

Wulffs Problem bzw. Politikverständnis ist wohl ein anderes: Der Spruch: "Mit dem Kopf durch die Wand [der übrigen 13 Ministerpräsidenten] zu wollen, da gewinnt immer die Wand" resultiert aus seiner auf dem Weg zur Macht gesammelten Politiker-Erfahrung. Für den Stopp der neuen Regeln bräuchte Wulff ja mitnichten alle 16 Ministerpräsidenten, denn er alleine kann diesen Stopp in Niedersachsen durchsetzen, und wenn das bevölkerungsstärkste Bundesland (NRW) und vielleicht auch Bayern mit von der Partie wären, würden die Schulbuchverlage für diesen großen Markt schnell wieder in deutscher Rechtschreibung publizieren, und die "Reformer" müßten sich "warm anziehen".

Genau diese Konfrontation, die die Schreibweisen einer Konkurrenz und Auslese (mit absehbarem Ausgang) aussetzen würden, scheut Wulff, denn sie gefährdet sein eigenes Standing auch in den Reihen der Union. Diese Gefährdung zu vermeiden, ist letztlich die Linie, der ein Politiker wie Wulff immer treu bleibt. Das ist nicht neu.


Kommentar von Neue Osnabrücker Zeitung, 22. 7. 2005, verfaßt am 22.07.2005 um 02.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1276

Wulff: Ich bleibe ein Kämpfer gegen die Schreibreform

Osnabrück/Hannover (dpa/wam.-Eb.) Trotz Einführung der neuen Rechtschreibregeln zum 1. August auch in Niedersachsen will Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) sich weiter für die klassische Schreibweise einsetzen. "Ich bin Kämpfer gegen die Reform - und bleibe das auch", sagte Wulff.

Er habe beim Thema Rechtschreibung "vorerst verloren", räumte der CDU-Politiker ein. Es mache jedoch keinen Sinn, "mit dem Kopf durch die Wand" zu wollen. "Da gewinnt immer die Wand." In der "Bild"-Zeitung erläuterte er am Donnerstag: "Wir bekommen die chaotischen Neuregelungen nur weg, wenn wir in der Kultusministerkonferenz und in der Ministerpräsidentenkonferenz Einigkeit erreichen, dass wir uns alle aus diesem Feld wieder zurückziehen."

Schon zuvor hatte Wulff gefordert, dem neu gegründeten "Rat für Deutsche Rechtschreibung" künftig mehr Kompetenzen einzuräumen. Die Kultusministerkonferenz solle nicht länger über die Weiterentwicklung der deutschen Sprache entscheiden. Dass Bayern und Nordrhein-Westfalen einen Sonderweg gehen und die Einführung der neuen Regeln weiter verschieben wollen, könne das eigentliche Problem nicht lösen, meinte der CDU-Politiker. "Für den Stopp der neuen Regeln brauche ich alle 16 Ministerpräsidenten."

Der Schriftsprachforscher Prof. Harald Marx rechnet ab 1. August mit einem weiteren Anstieg der Fehlerhäufigkeit in der Rechtschreibung. "Die Reform ist ein Reinfall", betonte Marx in einem Gespräch mit unserer Zeitung.

Einen negativen Effekt der neuen Schreibung hat Marx, der an der Universität Leipzig lehrt, bereits in mehreren Vergleichsuntersuchungen mit Grundschülern nachgewiesen. Er werde jetzt noch dadurch verstärkt, dass zwei Bundesländer ausgeschert seien. "Damit bleibt weiter offen, wohin es eigentlich geht", sagte Marx. Das andauernde Nebeneinander von Schreibungen führe zu einer allgemeinen Verunsicherung der Bürger und damit zu vermehrten Falschschreibungen.

"Wenn uns permanent verschiedene Schreibweisen für ein und dasselbe Wort angeboten werden, sind wir nicht in der Lage, eine eindeutige Alternative im Gedächtnis abzuspeichern", erläuterte der Lernpsychologe. "Außerdem bewirkt dies eine Verunsicherung bei Wörtern, die gar nicht von der Reform betroffen sind."

Für die Zukunft riet Marx, "sich nicht noch einmal eine Kommission ans Bein zu binden, die eine dritte Rechtschreibreform anschiebt", sondern die Entwicklung der Schriftsprache einem "natürlichen Ausleseprozess" zu überlassen. Änderungsvorschläge sollten als Alternativen in den Duden eingearbeitet werden, um dann nach einigen Jahren empirisch zu überprüfen, welche Form sich durchgesetzt hat. "Dann kann man eine davon vielleicht streichen."

Als Beispiel führt Marx das Wort "Büro" an, das früher ganz französisch "Bureau" geschrieben worden sei. "Irgendwann wurde es eingedeutscht, und heute schreibt kaum einer noch die französische Form." Das Erlernen von Wortschreibungen vollziehe sich nicht nach den Regeln der Sprachwissenschaftler, sondern laufe beim Lesen auf der Ebene der Wahrnehmung von Buchstabenfolgen ab, resümierte der Wissenschaftler.


Kommentar von Bernhard Schühly, verfaßt am 21.07.2005 um 23.01 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1275

Ich glaube, hier war von Anfang an auch ein großes Problem mit der Vermittlung über Presse und Medien und deren Art sich auszudrücken.
Warum reden eigentlich alle von "Alleingang", wenn sich einer (hier sogar zwei), der sich verfassungsgemäß unabhängig entscheiden darf, nicht den Weg des anderen nimmt?
In den Medien jedenfalls werden solche Leute, Gruppen oder in diesem Fall Bundesländer bzw. ihre Politiker fast immer ausgeschlossen.
Warum wird immer - nicht nur angesichts der RSR - von "Ausscheren", "Abweichlern" o.ä. gesprochen, wenn jemand eine individuelle, nicht der Mehrheit entsprechende Meinung hat, sich also nicht unterbuttern lassen will?
Und: Wer bestimmt übrigens in unserem konkreten Fall, wer die sogenannte "Mehrheit" überhaupt ist? Das Häufchen von 16 Ministerpräsidenten mit seinen 16 Kultusministern? Zusammengezählt sogar weniger als der Rechtschreibrat...
Oder sollen diese Personen, die, vom Volk als seine Vertreter gewählt, alle auf die demokratische (!) Verfassung geschworen haben, nicht auch sich nach der Meinung (=Mehrheit) des Volkes richten?
Und wären auch wieder die Medien gefragt, nur sind die oft so sensationssüchtig, daß die sachliche information und die argumentative Diskussion dabei zu kurz kommen.
Bei Straßeninterviews werden z.B. nur Kinder befragt, weil sie als die meistbetroffenen Bürger gesehen werden. Stimmt ja auch, denn später können sie mit nichts mehr etwas anfangen und ihre sprachliche Bildung bleibt nach der Schule ganz auf der Strecke. Fremdsprachen lernt man übrigens auch umso leichter, je fester man in der eigenen ist.
Aber Kinder am Mikrophon denken natürlich jetzt nur ans akute Umlernenmüssen.
Übrigens: Immer öfter bringen Zeitungen zu aktuellen Themen und ihren Berichten auch Adressen von informativen oder weiterführenden Internetseiten. Warum stehen diese hier nicht auch mal dabei?


Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 21.07.2005 um 16.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1273

Der Widerstand war und bleibt auch deswegen wichtig, weil dadurch ganz klar wurde, daß Politik mit solchen Verfahrensweisen nicht durchkommt. Woanders als in der Kulturpolitik wären solche Versuche, etwas durchzupauken, ganz schnell gescheitert. Und wir lernen auch daraus, daß die Medien im Zweifel nicht unbedingt Kultureinrichtungen sind, und daß es da Unmengen Schlafmützen, Einäugige, Blauäugige und Mitläufer gibt. Erschreckend zwar, aber jetzt weiß man's immerhin.


Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 21.07.2005 um 13.02 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1270

»In unserem Lager« hat die Köpenickiade tatsächlich stattgefunden, glücklicherweise hat sie das, und zwar deshalb, weil es neben den zweifellos auch vorhandenen teilweise etwas schrägen Don-Quichotte-Gestalten auch den einen oder anderen listigen und dreisten Hauptmann von K. gegeben hat und noch gibt. Und deswegen sind die Jahre auf unserer Seite weiß Gott nicht vergeudet gewesen. Von »erfolglosem Widerstand« kann man doch so wenig sprechen wie von einer »geringfügigen Veränderung unserer Rechtschreibung«.

Dieser anhaltende und breite Widerstand insbesondere intelligenter, gebildeter Kreise gilt doch nicht einem vorübergehenden Zipperlein. Seien wir doch froh, daß es Kräfte gibt, die sich gegen die aufgezwungene Störung und den offenkundigen Unsinn wehren, auch wenn das zwischendurch immer wieder als vergebliche Liebesmühe erscheinen mag. Daß sich alles wieder in eine erträgliche Form zurückbilden wird, ist vielleicht eine realistische Erwartung, aber von alleine passiert das nicht. Und deswegen gibt es die hier und anderswo artikulierte Reformkritik auch weiterhin. Ob die »Gegenseite« aus Dummköpfen, Opportunisten oder Profiteuren besteht, muß unsere Sorge sicherlich nicht sein, und darauf kommt es auch gar nicht an, sondern darauf, daß man sich wehrt, wenn man etwas aus guten Gründen nicht hinnehmen mag. Da die Dummköpfe, Opportunisten und Profiteure auf unserer Seite wenig Weidegrund vorfinden, befinden wir uns im Großen und Ganzen in guter und sympathischer Gesellschaft, und das allein ist Motivation genug, in das mutmachende fromme Liedlein Gustav Adolfs »Verzage nicht, du Häuflein klein« so wenig einzustimmen wie in die jegliche Inspiration lähmende Weisheit des in allen Lebenslagen das Richtige wissenden Salomo, es sei alles eitel.


Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 21.07.2005 um 11.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1269

Nach neun Jahren erfolglosen Widerstands gegen die als Reform propagierte geringfügige Veränderung der deutschen Rechtschreibung beginnt man sich zu fragen, ob die Köpenickiade nicht auch in unserem Lager stattgefunden hat. Wenn man annimmt, daß die andere Seite nur aus Dummköpfen, Opportunisten und Profiteuren besteht, könnte der Realitätssinn in der zermürbenden Auseinandersetzung Schaden genommen haben.

Wo also stehen wir heute, und was haben wir zu erwarten? Das Bundesverfassungsgericht urteilte 1998, die Akzeptanzprognose des schleswig-holsteinischen Bildungsministeriums sei nicht zu beanstanden. Gleichzeitig stellte es fest, das Ausscheiden eines Landes (nämlich Schleswig-Holsteins nach dem damals zu erwartenden Ausgang des Volksentscheids) stelle die Neuregelung nicht grundsätzlich in Frage. Waren die Richter schizophren, oder rieten sie nicht vielmehr dazu, sich über eine solche Lappalie nicht unnötig aufzuregen? Daß letzteres zutrifft, ergibt sich aus der Karlsruher Prognose in der Urteilsbegründung, am Ende werde von dem Flickwerk so gut wie nichts übrigbleiben. Natürlich läßt sich einwenden, die Hinterhoflogik "schnäuzen von Schnauze" und "Tollpatsch von toll" könne man doch einem Kulturvolk nicht zumuten. Die Reformer haben vor sich selbst gewarnt, vorher schon mit "Keiser", "Apt" und "Bot", doch ihre 68er Gesinnungsfreunde auf den Chefsesseln und in den Ministerialratsbüros der deutschen Kultusministerien waren über dergleichen Friedeburg-Späße begeistert. Die Saat der banausenhaften Reform ist auf einen wohlvorbereiteten Boden gefallen - nicht zuletzt in der Germanistik und unter den Deutschlehrern.Man wird sich erinnern, wie verkommen es in den siebziger und achtziger Jahren in deutschen Universitäten und Hochschulen aussah. Augst und sein Kreis waren keineswegs die Parias ihres Faches.

Wie groß ist aber tatsächlich der Schaden für unsere Sprache? Niemand unter den Lesern hat je "belemmert" geschrieben und wird auch künftig nie "belämmert" schreiben. Wer ist also überhaupt von dem Augstschen Quatsch betroffen? Ansonsten ist uns die allgemeine Substantivkleinschreibung erspart geblieben, und nun bleibt als Ärgernis lediglich die im Gegenzug eingeführte vermehrte Großschreibung. Wird damit unsere Rechtschreibung ins Lächerliche gezogen? (Na, na, werden einige Leser jetzt sagen. Der Blick in einen alten Duden wird sie eines Besseren belehren.) Aber die vermehrte Getrenntschreibung. Bei den zusammengesetzten Verben und Partizipien war in diesem Punkte vor 1996 die Unsicherheit groß, die Steigerungs- und Erweiterungsproben der Neuregelung wurden schon 1997 von den Reformern selbst für nicht praktikabel erklärt, und der hochgestochenen Revision aus Herrn Zehetmairs Rat wird es nicht anders ergehen. Was bleibt dann eigentlich noch? Richtig, die Neuverteilung von "ss" und "ß" nach dem Vermächtnis des seligen Herrn Heyse aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts. In deutscher Schreib- und Druckschrift wäre daran kein Anstoß zu nehmen, und von 1876 bis 1902 ging das ja auch in Österreich ganz gut. Heute sehen besonders die häufigen "sss" im Wortinneren merkwürdig aus, aber daran geht die schriftliche Kommunikation hierzulande nicht zugrunde.

Allerdings: Logischer und vor allem einfacher ist die deutsche Rechtschreibung unter der Hand der offenbar außerordentlich inkompetenten Reformkommissionen nicht geworden. Mit ihr wird es nie gelingen, die relative Einheitlichkeit von vor 1996 wiederherzustellen. Die ist ohnehin vorläufig verloren, denn selbst der Zusammenbruch der Neuregelung würde nicht über Nacht die Rechtschreibnormalität zurückbringen. Jetzt wäre der Augenblick gekommen, in Ruhe Überlegungen anzustellen, wie die künftige deutsche Rechtschreibung aussehen soll. Wem wäre aber diese Aufgabe anzuvertrauen? Am besten wäre es, der Staat zöge sich aus der Rechtschreibregelung zurück und überließe die Herausbildung einer neuen Norm der kompetenten Schreibpraxis. Darauf wird es ohnehin hinauslaufen, aber ein Eingeständnis, daß die Jahre von 1996 bis 2005 vertane Zeit waren, würde den Prozeß vielleicht ein wenig beschleunigen.


Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 21.07.2005 um 11.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1267

69 Presseerklärungen und stolz darauf!

Schreibt sich "Maulheld" in Niedersachsen künftig mit "ä"?

Jedenfalls sortiert sich nun die politische Spreu vom Weizen.


Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 21.07.2005 um 10.12 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1266

Welch eine Kulturbanauserie, ohne Not die Werke unserer großen Schriftsteller ins Rotstrichmilieu abzudrängen!


Kommentar von Klaus Malorny, verfaßt am 21.07.2005 um 09.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1265

Was sind 69 Pressemitteilungen wert, wenn nicht eine einzige Möglichkeit zu handeln genutzt wird?


Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 21.07.2005 um 03.25 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1264

Gegen die „Eingrateritis“

Anstatt die "Umfaller" zu schmähen, sollte man besser die "Durchhalter" würdigen, denn es ist ganz offensichtlich besonders schwierig, heutzutage gegen den Strom zu schwimmen, weil die Flußbette (Flussbette) allesamt reguliert sind.


Kommentar von F.A.Z., 21. 7. 2005, verfaßt am 21.07.2005 um 00.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1262

Wulffs Wankelmut
Von Siegfried Thielbeer, Hannover

Erst auf der zweiten Seite der Presseerklärung des niedersächsischen Kultusministers Busemann zum Thema Rechtschreibreform kam der CDU-Politiker auf das Entscheidende des Kabinettsbeschlusses zu sprechen: Niedersachsen bleibe dabei, daß die neuen Rechtschreibregeln vom 1. August an verbindlich eingeführt würden.

Der Beschluß der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 2. Juni 2005 habe eine neue Situation geschaffen. „Eine weitere Verwirrung wollen wir den Menschen im Land und unseren Schülerinnen und Schülern, den Lehrkräften sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Behörden ersparen.”

Für Verschiebung stark gemacht

Dabei hatte nach der Ankündigung der Landesregierungen von Bayern und von Nordrhein-Westfalen, die verbindliche Einführung der neuen Regeln noch einmal aufzuschieben, die Chance bestanden, Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Am Ende hätte man wohl die Reform insgesamt in Frage stellen können. Ministerpräsident Wulff hatte schon 1996, als die Rechtschreibreformen beschlossen wurden, gesagt, diese seien falsch, und seitdem - auch im Wahlkampf - immer dafür geworben, die alte Rechtschreibung sei die bessere und die neue deshalb überflüssig.

Noch im Juni hatte er zusammen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber versucht, die Beschlüsse der KMK zu korrigieren. Aber da auch bei der Ministerpräsidentenkonferenz das Einstimmigkeitsprinzip gilt, war wegen des Widerstands der SPD-Ministerpräsidenten nichts zu machen. Am Wochenende und sogar noch am Montag machte er sich noch einmal für eine Verschiebung der Verbindlichkeit der Rechtschreibreform stark.

Busemann setzte sich durch

Und nur einen Tag später, am Dienstag, ließ Niedersachsen Bayern und Nordrhein-Westfalen im Stich: Kultusminister Busemann, der den Beschluß der KMK, den dann Wulff nicht mehr korrigieren konnte, mitgetragen hatte, setzte sich im Kabinett gegen Wulff durch, der einsah, daß man auch Niederlagen hinnehmen müsse.

Wulff berief sich dann darauf, daß er die Ressortverantwortung von Busemann stets respektiert habe. Busemann war freundlich genug, zu sagen, daß man nicht von Siegern und Besiegten sprechen könne. Dabei hätte Wulff sogar auf den Beschluß der CDU-Fraktion verweisen können, man solle zur alten Rechtschreibung zurückkehren.

Wulffs Zweifel

Daß Minister Busemann aber sagte, die Erfahrung der vergangenen zehn Jahre zeige, daß sich die Politik aus solchen Fragen besser heraushalten sollte, verblüffte doch einige. Hatte das Problem nicht daran gelegen, daß über Jahre hinweg Fachleute ihre zum Teil ideologischen Vorstellungen nahezu unkontrolliert äußern konnten, die Politiker den Fachvorgaben einfach folgten und als sie merkten, was sie anstellten, nichts mehr korrigieren konnten? War Busemanns Sentenz nicht eine Bankrotterklärung der Politik?

Das wollte der Minister nicht gelten lassen, aber er gestand ein, daß die Beschlüsse zur Rechtschreibreform nicht der richtige Weg gewesen seien. Jetzt gehe es um Praktikabilität. Wenn alle etwas beschlossen hätten, sei es nicht gut, wenn drei alles wieder ändern wollten. Am Ende hatte wohl auch Wulff Zweifel: Würde es eine Rebellion der Eltern geben, daß nun neue Unsicherheiten geschaffen würden? Würde nicht ein Außerkraftsetzen der Reform - angesichts gravierenderer politischer Probleme in Deutschland - auf Unverständnis stoßen? Warum also sollte Wulff sich Stoiber und Rüttgers anschließen? Um Ärger zu vermeiden, drehte Wulff bei. Seine Kritiker sagen, er sei „als Tiger gesprungen, aber als Bettvorleger gelandet”.


Kommentar von Braunschweiger Zeitung, verfaßt am 20.07.2005 um 23.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=305#1261

»Rechtschreibung: Leser unzufrieden
Von Ralf Blasig


BRAUNSCHWEIG. Die neuen Rechtschreibregeln werden auch in Niedersachsen zum 1. August dieses Jahres verbindlich. Das hat die Landesregierung entschieden. Bei einer Telefon-Umfrage unserer Zeitung lehnte die große Mehrheit der Anrufer die Rechtschreibreform gestern jedoch ab.

"Sind Sie mit der Rechtschreibreform zufrieden?" lautete die Frage, über die unsere Leser elf Stunden lang, von 6 bis 17 Uhr, abstimmten. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: 91 Prozent der Anrufer sind unzufrieden mit der Reform, nur 9 Prozent sind dies nicht.

Wie 13 andere Bundesländer hatte sich Niedersachsen entschieden, die neuen Rechtschreibregeln zum 1. August verbindlich einzuführen. Das bedeutet, dass einige alte Schreibweisen in den Schulen künftig als Fehler gewertet werden.

Einige Beispiele: Mit der Entscheidung der Landesregierung wird die Schreibweise Schlammmassen statt Schlammassen ebenso Pflicht wie Tipp statt Tip oder überschwänglich statt überschwenglich

Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung soll dagegen noch auf Vorschläge des Rates für deutsche Rechtschreibung gewartet werden – genauso wie bei der Zeichensetzung oder der Worttrennung am Zeilenende.«


( Braunschweiger Zeitung, 21.07.2005 )



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