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25.06.2009
Eckhard Hoog
Wegen „Wiki“ neue Wörterbücher kaufen?
Die Abwrackprämie für ein verschlissenes Wörterbuch muss zwar noch erfunden werden, aber immerhin: Als Argument zur Herausgabe einer neuen Rechtschreiblexikon-Ausgabe taugt das seltsame Wortungetüm offensichtlich.
Im Juli erscheinen fast zeitgleich Neuausgaben von Wahrig und Duden (21. Juli). Hauptsächlich „Neologismen“ – neue Wortschöpfungen – wie eben die
„Abwrackprämie“ sollen aus Sicht der Verlage den Kauf als unerlässlich erscheinen lassen. Eine übereinstimmende
Zahl von 5000 davon wollen die jeweiligen Redaktionen entdeckt haben, Wahrig wirbt nun mit 130 000, Duden mit
135 000 Stichwörtern in seiner dann 25. Auflage. Zu den sprachlichen Wortgeburten gehört zum Beispiel auch so eine merkwürdige Entlehnung aus dem Hawaiischen wie „Wiki“ (auf den Hulahula-Inseln meint man damit „schnell“) – ein Hypertextsystem, das Benutzer nicht nur online lesen, sondern
auch ändern können. Muss man aber wirklich für „Wiki“ ein neues Wörterbuch besitzen?
Neben ganz erstaunlichen Übereinstimmungen – Format und Seitenzahl (1216) sind identisch – wird es allerdings nicht nur beim Preis gravierende Unterschiede geben (Wahrig 17,95; Duden 21,95 Euro). Die reformierte Rechtschreibung mit ihren zahlreichen Varianten führt wiederum dazu, dass beide Wörterbücher viele
voneinander abweichende Empfehlungen anbieten.
Unter einem Verlagsdach
Durchaus witzig dabei ist, dass die Konkurrenten jetzt quasi unter einem
Verlagsdach erscheinen, nachdem Cornelsen im Frühjahr die Mehrheit am Bibliographischen Institut (Duden) übernommen hat, während Wahrig ein gemeinsames Produkt von Bertelsmann und Cornelsen ist.
Wenn der Verlag auch erst am 7. Juli der Presse Einzelheiten über den neuen Duden verraten will – zwei Neuerungen sind bereits bekannt geworden: Die rote Schrift, die in der 24. Auflage Neuschreibungen kennzeichnet, fällt weg. Damit wird im Duden nicht mehr zu erkennen sein, was Alt- und Reformschreibung ist – die alte Orthografie wird getilgt. Und die gelb unterlegten Empfehlungen rücken bei Varianten grundsätzlich an die erste Stelle (Beispiel: zuerst „Layout“ (gelb), als zweites „Lay-out“).
Im neuen Wahrig verbirgt sich eine ziemlich kuriose „Rolle rückwärts“. Empfohlen werden in dem Band bei Varianten („asylsuchend“ – „Asyl suchend“) durchgängig die Schreibweisen der Agenturen, zum Beispiel der Deutschen Presse-Agentur dpa. Die hatten
sich 2006 auf eine Wortliste geeinigt, um in Zeitungen und Zeitschriften eine einheitliche Schreibweise zu gewährleisten – damit womöglich auf der einen Seite nicht Alptraum, auf der anderen Albtraum steht. Zustande gekommen ist die Liste durch einen Mix aus den Wahrig- und Duden-Empfehlungen von 2006, wobei überwiegend die Wahrig-Varianten zum Tragen gekommen sind – bewährte Schreibweisen vor der Reform von 1996, die der Rat für deutsche Rechtschreibung 2005 wieder zugelassen hat („alleinstehend“ statt „allein stehend“).
Der Duden bevorzugt bei seinen Empfehlungen dagegen vorwiegend die Reformvarianten („Beifall heischend“ statt „beifallheischend“). Wenn Wahrig aber nun in der neuen Ausgabe sämtliche
Agenturschreibweisen empfiehlt, dann auch jene, die 2006 vonseiten des Duden Eingang in die Agenturliste gefunden haben (zum Beispiel „gut gehen“ statt
„gutgehen“). Damit wirft Wahrig 2009 eigene Empfehlungen der Ausgabe von 2006 über den Haufen – wenn das kein schlagender Beweis für die orthogafische Beliebigkeit ist, die die ganze Refom mit sich gebracht hat . . .
Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (Berlin) hat in einer umfangreichen Liste bereits die Agentur-Schreibweisen und die davon abweichenden Duden-
Empfehlungen gegenübergestellt – und damit die beachtlichen Unterschiede
zwischen Duden und Wahrig in den neuen Ausgaben („bekanntmachen“ und „bekannt
machen“, „fallenlassen“ und „fallen lassen“ und so fort).
Wahrig indessen ist im Vorteil:
Bertelsmann-Cornelsen verschenkt
„Prüfexemplare“ des Bandes an 50 000 Deutschlehrer – um „klassenweise Bestellungen im örtlichen Buchhandel“ zu empfehlen. Davon träumt zumindest der Verlag . . .
Ausgeträumt dürften auch all jene Reformgegner einen Traum haben, die hofften, dass der 2004 ins Leben gerufene Rat für deutsche
Rechtschreibung bei der Groß- und Kleinschreibung das fortsetzt, was er bei der Getrennt- und
Zusammenschreibung begonnen hat: die Reform in wesentlichen Teilen zurückzunehmen und die bewährten Schreibweisen wieder zuzulassen. Auf Anfrage unserer Zeitung erteilte der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair diesen
Hoffnungen eine klare Absage (siehe „Nachgefragt“).
+++
AZ: Was halten Sie von den vielen
unterschiedlichen Empfehlungen in Duden und Wahrig?
Zehetmair: Gibt es die? Beide Verlage haben differenzierte Intentionen, das halte ich nicht für gut. Aber dafür müssen sie selber geradestehen.
AZ: Was sagen Sie dazu, dass beide Verlage jetzt Neuauflagen ihrer Wörterbücher herausbringen?
Zehetmair: Für Wahrig habe ich das Vorwort geschrieben. Ich habe kein Problem mit Wahrig, der den jetzigen Stand der Orthografie wiedergibt. Das meint übrigens auch der ganze Rat. Ich
spüre aber auch insgesamt kein Unbehagen.
AZ: Was ist vom Rat für deutsche
Rechtschreibung in Zukunft zu erwarten?
Zehetmair: Er wird intensiv in der Stille arbeiten und die Sprache beobachten – ohne zeitliche und inhaltliche Aufgeregtheit. Er wird nicht durch Beschlüsse weitere
offizielle Empfehlungen abgeben.
Quelle: Aachener Zeitung
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Kommentare zu »Wegen „Wiki“ neue Wörterbücher kaufen?« |
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Kommentar von Zieher, verfaßt am 04.07.2009 um 13.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=619#7774
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Nun ja, sowas nennt man Volkserziehung. Wo kämen wir da hin, wenn das Volk bei jedem Schwachsinn, den die Obrigkeit verzapft, gleich rebellieren würde?
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Kommentar von Bernfried Janas, verfaßt am 03.07.2009 um 20.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=619#7773
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"Millionenfach verkauft" wäre akzeptabel, aber "millionenfach bewährt" ist eine unbeweisbare Aussage, ist Werbequatsch, der aber millionenfach hingenommen wird. Viel schlimmer und richtig verstörend finde ich aber noch, daß solcher Unfug die kritische Öffentlichkeit ungerührt läßt und daß niemand, absolut niemand von allen, die etwas bewegen könnten, das Thema noch öffentlich eines Wortes würdigt, das Problem lso scheinbar gar nicht mehr wahrnimmt, auch die Gegenbewegung in der Schweiz bleibt unbeachtet. Hätte sich jemand so einen Aberwitz ausdenken können? Allein schon das Komplott der Presse ist ja ein beachtliches Phänomen. Die Wirklichkeit ist wieder mal noch etwas anderes als die Realität (H. Kohl).
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Kommentar von Kurt Albert, verfaßt am 03.07.2009 um 16.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=619#7772
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Neuer Duden, 25. Auflage
(Einige spontane Bemerkungen, keine Rezension)
Schaut man in das Lese- oder Vorabexemplar, fällt zunächst nicht nur auf, daß der Rotdruck verschwunden ist, sondern, was m. E. schwerer wiegt, daß das amtliche Regelwerk jetzt fehlt.
Hinzugekommen sind außer dem Nachtrag des Schnickschnacks "Wörter des Jahres" und "Unwörter des Jahres" (bis 2008, hintere Buchdecke) ein Kapitel "Sprache in Zahlen", das einige sprachstatistische Angaben "auf der Grundlage eigener Datenbasen" macht, die Aufstellung "Heute nicht mehr der amtlichen Regelung entsprechende Schreibungen" (hier mit roten Markierungen), das Kapitel "Die Umsetzung der amtlichen Rechtschreibung in Pressetexten" und zwei marketingkonforme Abschnitte: "Die wichtigsten Regeländerungen seit 1996 im Überblick" sowie "Wichtige Stationen aus der Geschichte der deutschen Orthografie", mit – versteht sich – dem Zusatz (S. 149): "mit besonderer Berücksichtigung des Dudens"!
Das "Vorwort" preist diese Auflage als "Jubiläumsausgabe" an, es sei nun die 25. des "millionenfach bewährten Standardwerks". Sie sei "so umfassend und aktuell wie nie zuvor", 5000 neue Einträge, "Feinstaubplakette", "twittern" ...
Immerhin nicht ganz uninteressiert ist dies: Es wird jetzt auch die Auflagenhöhe des Standardwerks ab 1880 mitgeteilt, in jenem Kapitel "Sprache in Zahlen", dem man übrigens entnehmen kann, daß das längste Wort, nämlich "Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung" mit 67 Buchstaben länger ist als das allseits bekannte "Rindfleischetikettierungs..." ...
Ach ja, einigermaßen verwundert liest man (im Impressum und auf S. 6), daß für beratende Mitarbeit der Gesellschaft für deutsche Sprache zu danken sei. Gewöhnlich gut unterrichtete Quellen besagen aber, daß von irgendeiner Kooperation in den letzten Jahren nicht die Rede sein kann und daß man Wiesbaden erst wenige Wochen vor Erscheinen des bewährten Standardwerks, mit der Bitte um Verschwiegenheit, informiert habe.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.06.2009 um 04.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=619#7756
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Möglicherweise hegt Zehetmair immer noch einen Groll auf die Dudenleute, weil sie ihn nach seiner anstrengenden Werbetour durch die Zeitungsverlage mit ihren Dudenempfehlungen düpiert hatten. Vgl. das Interview in der WELT vom 27.8.2006. Die von den Reformern seit je geplante Zerschlagung des Dudenverlags dürfte ihm daher nicht ungelegen kommen. Zehetmair ist ein Bertelsmann. Damit steht er allerdings unter Politikern nicht allein.
(2006 hat er gesagt, er hätte auch zum Duden ein Vorwort beigesteuert, wenn er denn darum gebeten worden wäre. Zugleich ließ er erkennen, daß er solche Vorworte schreibt, ohne das Buch zu kennen, dem der Text gilt. Das ist ein Kapitel für sich, s. meine Zehetmair-Dokumentation. Aber wie verträgt es sich überhaupt mit seiner Rolle als Vorsitzender des Rechtschreibrates, daß er solche empfehlenden Vorworte für einzelne Mitglieder verfaßt? Selbst wenn er dafür kein Honorar bekommen haben sollte, wäre es geschmacklos, um nicht zu sagen sittenwidrig.)
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 25.06.2009 um 23.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=619#7755
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Das Ganze erinnert mich an eine Reportage über verschobene Fußballspiele in der zweiten italienischen Liga, die ich vor einigen Jahren gelesen habe. Ein frisch Eingeweihter wettete gemäß der Bestechung auf den torlosen Ausgang einer Partie und war dann im Stadion irritiert, als die Mannschaften gefährliche Angriffe vortrugen. "Keine Sorge", wurde er von den alten Hasen beruhigt, "es muß nur gut aussehen. Die Spieler wissen, was sie zu tun haben. Der Schiedsrichter muß da gar nichts manipulieren." Das Spiel endete torlos.
Ich nehme an, in so einer Konstellation ist es auch egal, wenn ein paar Spieler nicht Bescheid wissen. Hauptsache, die Mehrheit kennt den Auftrag und kann es am Ende hinbiegen.
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Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 25.06.2009 um 20.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=619#7754
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"Er wird in der Stille arbeiten".
Die Stille scheint so umfassend zu sein, daß im Rat noch nicht einmal still gedacht wird. Es wird auch nicht still gelesen. Wie sonst kann Herrn Z. entgehen, was in den Wörterbüchern steht? Und wie begründet die KMK angesichts ständig neu erscheinender Wörterbücher, daß einander und außerdem den Vorgaben des Rates widersprechende Schreibungen notenrelevant sein sollen?
Rechtschreiblotterie in Schilda.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.06.2009 um 18.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=619#7753
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Gibt es noch mehr von der Politik zur Volksberuhigung eingesetzte Gremien, auf die die Verantwortung abgeschoben wird, aber mit dem Geheimauftrag, keine Änderungsvorschläge zu machen?
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 25.06.2009 um 18.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=619#7752
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Mal ganz ehrlich: Wie wahrscheinlich ist es denn, daß Eisenberg noch an die Groß- und Kleinschreibung herangeht? Hier sind schließlich noch viele nachweisbar grammatisch falsche Schreibungen im Umlauf (wie etwa "heute Abend", "seit Langem", "im Folgenden").
Das Delirium, in dem Zehetmair sich seit mehreren Jahren befindet, kann man wohl getrost ignorieren. Zumal er ja eh nicht weiß, wovon er spricht. Er spricht einfach nur irgendetwas, sobald ihm jemand ein Mikrophon unter die Nase hält, was komischerweise immer noch viel zu viele Reporter machen. Solange dieser Zustand ihm keine Beschwerden bereitet, sollte es uns egal sein. Nur behelligen sollte er die Menschheit nicht mehr damit, sondern sich ebenfalls "ohne zeitliche und inhaltliche Aufgeregtheit" in die Stille zurückziehen. Am besten für immer!
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.06.2009 um 17.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=619#7751
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Im Gespräch mit Eckhard Hoog macht Zehetmair weiterhin Werbung für den Wahrig, zu dem er auch das Vorwort geschrieben hat (ob es immer noch der unsägliche Text von 2006 ist? Daß Duden und Wahrig unterschiedliche Empfehlungen geben, scheint er bisher nicht gewußt zu haben – das wäre bei jedem anderen kaum zu glauben). Offenbar gibt er auf die Zukunft des Duden keinen Pfifferling. Möglich wäre, daß der Name Duden zwar aus Werbegründen erhalten bleibt, unter dieser Decke aber künftig Bertelsmann zu kaufen sein wird. Ein Politiker tut natürlich gut daran, sich an die Sieger zu halten und nicht an die Untergeher.
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