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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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29.02.2008
 

Langenscheidt: Ein Mann der klaren Worte
Wie sich die Bilder gleichen …

Die geplante Rechtschreibreform war für Gustav Langenscheidt eine Katastrophe. 17 Jahre hatte der Berliner Unternehmer mit den Autoren Carl Sachs und Césaire Villatte an seinem ersten Französisch-Wörterbuch gearbeitet. 1880, als der 4000 Seiten dicke Nachschlagewälzer kurz vor seiner Vollendung stand, erließ Kultusminister Robert von Puttkamer für Preußen neue Rechtschreibregeln und bedrohte den Verlag: Eine Überarbeitung des Jahrhundertwerks hätte für Langenscheidt den finanziellen Ruin bedeutet.

Freundlich, aber bestimmt rechnete der Verleger dem Minister vor, dass er ohne staatliche Unterstützung satte 250 000 Mark in die Herstellung der Druckplatten investiert hatte und bat ihn, vorläufig auf die Einführung der neuen Orthografie zu verzichten.

So steht es in der Langenscheidt-Chronik. Und tatsächlich: Der "Sachs-Villatte" - Gesamtkosten 400 000 Mark - wurde kurz darauf veröffentlicht und Gustav Langenscheidt ein reicher Mann.

Das damalige Kleinunternehmen hat sich inzwischen zu einer Verlagsgruppe mit 1400 Mitarbeitern in elf Ländern und einem Gesamtumsatz in Höhe von 263 Millionen Euro (2006) entwickelt. Spezialgebiete: Sprachen, Wissen, Reise und Kartografie.

Die gelben Übersetzungsgenies mit dem blauen L auf dem Rücken haben in Schülerregalen, Lehrerzimmern sowie Reisetaschen einen ebenso festen Platz gefunden wie im Vatikan und im All: "Deutsch/Italienisch" liegt genauso selbstverständlich auf dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI. wie "Russisch/Englisch" in der Raumkapsel MIR mitfliegt, wie Fotos des Verlags zeigen.

Das hätte Gustav Langenscheidt nicht gedacht. Obwohl er 1850, als er 5500 Kilometer durch Europa wanderte, wohl genug Zeit zum Nachdenken hatte. "Wer fremde Sprachen spricht, dem öffnet sich die Welt", notierte sich der damals 17-Jährige in sein Tagebuch. Die Erfahrung, sich nicht verständigen zu können, brachte ihn vermutlich dazu, im Alter von 24 Jahren mit seinem Französischlehrer Charles Toussaint die erste Lautschrift zu entwickeln. Mit der Methode Toussaint-Langenscheidt revolutionierte er das Sprachenlernen, das von da an ohne Lehrer möglich sein sollte. Als Langenscheidt keinen Verlag für seine Selbstlernbriefe fand, gründete er 1856 seinen eigenen - in seiner Wohnung. Ehefrau Pauline, mit der er vier Kinder bekommen sollte, nahm's gelassen und beriet ihren Mann auch in finanziellen Angelegenheiten.

Auf die Unterrichtsbriefe folgten die ersten Übersetzungsriesen für Französisch und Englisch, auf die so genannten Notwörterbücher die heutigen Taschenbücher, und zwar unter dem 1882 eingetragenen Markenzeichen "L". Ihre Veröffentlichung 1903 hat Langenscheidt nicht mehr erlebt. Er hatte 1895, kurz vor seinem Tod, sein Unternehmen an Sohn Carl übergeben.

Dessen Ururenkel, Andreas Langenscheidt, 55, führt das Unternehmen heute in vierter Generation. Die Langenscheidt-Produkte reichen vom klassisch gedruckten Wörterbuch bis hin zu Lernsoftware für Computer, Handys und iPods. Langenscheidt spricht inzwischen mehr als 30 Sprachen von A wie Albanisch bis U wie Ungarisch und übersetzt sogar sprachliche Eigenarten von Männern, Frauen, Politikern und Fußballern. Ein Beispiel aus Deutsch-Frau / Frau-Deutsch: "Das ist aber günstig" übersetzt Mario Barth mit "Das wird gekauft."

Von Sarah Richter

(HNA.online, 28. Februar 2008)


Link: http://www.hna.de/kulturstart/00_20080228193557_Langenscheidt_Ein_Mann_der_klaren_Worte.html


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Kommentare zu »Langenscheidt: Ein Mann der klaren Worte«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2011 um 18.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=576#8647

„In meiner Politikerlaufbahn habe ich nichts erlebt, dass so konfliktbesetzt und umkämpft war wie die Rechtschreibreform – und die Verlegung der Schulferien.“ (Jürgen Zöllner laut Tagesspiegel 5.7.11)

Geschieht ihm recht.


Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 23.03.2008 um 13.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=576#6609

"Richtig" ist natürlich, daß in einer Demokratie das Volk der Souverän ist, und in einer parlamentarischen Demokratie der Gesetzgeber als dessen Repräsentant. Aber das sind Fiktionen, wenn weder das Volk noch die Parlamente von ihrer Souveränität Gebrauch machen. Die Frage lautet: Wer entscheidet? Im Fall der Reform haben alle in Betracht kommenden Institutionen ihre Souveränität an die KMK abgetreten, einschließlich des Bundesverfassungsgerichtes, und von diesem befördert.

Dessen Urteil geht noch über eine einmalige Lizenz für die Reform hinaus, wo es dem Staat die generelle Befugnis zur Korrektur sprachlicher "Fehlentwicklungen" zubilligt. Denn was eine Fehlentwicklung ist, kann unter dieser Voraussetzung wiederum nur der Staat feststellen. Das impliziert die Möglichkeit eines – im Fall der Reform orthographischen – Ausnahmezustandes in Permanenz. Mehr Souveränität kann es in einer ansonsten parlamentarisch und rechtsstaatlich eingehegten Demokratie gar nicht geben. Und solange der Staat die Rechtschreibung bei den Kultusministerien ressortieren läßt und die Kultusminister bundesweit nur handlungsfähig sind, wenn sie sich zur KMK versammeln, ist diese eben der Souverän.

Auch diese Souveränität ist eine Fiktion. Aber solange sich alle daran halten, ist sie zugleich real. Sie ist wirklich, weil wirksam.


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 23.03.2008 um 12.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=576#6608

Als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz befand sie sich in der Position des Souveräns.

Das ist nicht richtig. Die KMK ist ein eingetragener Verein und als solcher genauso relevant wie ein Taubenzüchterverein.


Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 22.03.2008 um 19.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=576#6607

Zu der von Herrn Wagner unten aufgeworfenen Frage nach der Staatsraison: Ich glaube nicht, daß ökonomische Erklärungen hier viel hergeben. Wo immer etwas im Gange ist, knüpfen sich wirtschaftliche Interessen daran (und seien es die des Inhabers einer mobilen Eisbude, der zu einer Attac-Kundgebung tingelt). Gerade weil wirtschaftliche Erklärungen sich fast immer anbieten, sind sie fast immer trivial.

Gewiß, da war Bertelsmann. Es gab aber mindestens ebenso massive ökonomische Interessen, die einer Reform entgegenstanden. Selbst also wenn man annimmt, daß Bertelsmann die treibende Kraft war, bliebe immer noch zu klären, warum ausgerechnet die wirtschaftlichen Interessen von Bertelsmann, und nicht andere wirtschaftliche Interessen, den Ausschlag gegeben haben sollten. Die Erklärung dafür kann keine ökonomische sein, oder sie ist zirkulär. Das gilt auch unter der Voraussetzung, Bertelsmann sei der Staat.

Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder hat Johanna Wanka einfach so dahergeredet. Das ist angesichts der üblichen Bildung unserer Bildungspolitiker eine zumindest nicht von vornherein von der Hand zu weisende Vermutung; allerdings erübrigt sich damit jede weitere Erörterung. Oder aber sie wußte, was sie sagte. In diesem Fall ist es ebenfalls sinnlos, in eine Diskussion über die Ratio ihrer Staatsraison einzutreten. Als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz befand sie sich in der Position des Souveräns. Dieser entscheidet per definitionem darüber, wann die Staatsraison greift, also der Ausnahmezustand eintritt, in dem die gewöhnlichen Verfahren der Konfliktregulierung und des Interessenausgleichs (und damit auch das der Diskussion) außer Geltung gesetzt werden. Die Feststellung des Souveräns ist nicht hintergehbar.

Sinnvoll ist allenfalls eine Diskussion darüber, wie es um einen Staat bestellt ist, für den die Schreibgewohnheiten seiner Untertanen zur Existenzfrage werden können. Es finden sich, und nicht nur im vorkolonialen Schwarzafrika, Gesellschaftsformationen, in denen der Souverän dafür sorgt, daß die Sonne morgens auf- und abends untergeht, daß die Kühe Milch geben und die Frauen fruchtbar sind. Demgegenüber nimmt sich die Erwartung der deutschen Gesellschaft an den Staat doch geradezu bescheiden und aufgeklärt aus: Er sorgt dafür, daß die Buchstaben alle an der richtigen Stelle stehen. Erweckt er jedoch den Eindruck, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein, gerät er in tödliche Gefahr, ähnlich dem König, der nach einer Mißernte geschlachtet und aufgegessen wird.

Nur so nimmt die Rede von der Staatsraison (wenn man sie denn ernst nehmen will) Sinn an. Übrigens fügen sich die Begründungen des Springer-Verlags und der FAZ für ihre Kapitulation nahtlos in diese Interpretation ein. Da die Kultusminister nicht nachgeben wollten, habe man nun selbst nachgeben müssen, hieß es sinngemäß bei Springer, und, noch deutlicher, bei der FAZ von seiten des Herausgebers D'Inka: Man fühle sich "der Öffentlichkeit verpflichtet".


Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 10.03.2008 um 15.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=576#6583

Die Frage "Weshalb haben Sie das denn gemacht?" könnte man der ZEIT genauso stellen.


Kommentar von DIE ZEIT, 07.02.2008 Nr. 07, verfaßt am 10.03.2008 um 15.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=576#6582

Jürgen Zöllner: Dem Ruf der Kultusministerkonferenz war sicher auch abträglich, dass wir uns ohne Not die Rechtschreibreform ans Bein gebunden haben.

ZEIT: Weshalb haben Sie das denn gemacht?

Zöllner: Wir haben, ich schließe mich da ein, vollkommen unterschätzt, wie die Öffentlichkeit auf dieses Thema reagiert. Es ist ja eigentlich kein politisches Thema. Wir wollten lediglich die Reformvorschläge der Fachleute absegnen und haben uns letztlich einen riesigen Streit eingehandelt.

(www.zeit.de/2008/07/C-Schavan-Zoellner?page=all)


Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 10.03.2008 um 11.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=576#6578

Zur Erinnerung (Der Spiegel 1/2006):

»Wanka sitzt in einer Ecke des Restaurants Borchardt in Berlin und stochert in ihrem Essen. Sie redet über die Pisa-Studie, über das Problem mit der Hochschulfinanzierung. Sie macht eine kleine Pause. "Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war", sagt sie. Sie sieht auf ihren Teller: "Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden."«

Leider hört das Interview an dieser Stelle auf (zumindest der überlieferte Teil). Welchen Reim kann man sich hier auf die "Staatsräson" machen? Zum Teil wohl auch "Wirtschaftsräson", möchte ich vermuten.



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