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04.02.2008
 

„Regeln, über die laut Befehl nicht einmal diskutiert werden darf“
Die Diskussion im St. Galler Tagblatt geht dennoch weiter

Wie weit sowohl vorhandene Kenntnisse als auch die Interessen auseinandergehen, zeigen die jüngst erschienenen Leserbriefe zur Rechtschreibung im Tagblatt. – Mit dem „Befehl vom bald abtretenden Erziehungschef“ wird auf den Weiterbildungskurs angespielt, den Herr Stöckling einst verboten hat.


23. Januar 2008
Gewohnheit statt einfach
«Eine weitere Variante?», 19.1.08

Auch ich als relativ unbedarfter Schreiber wundere mich über einige Punkte zur Rechtschreibung, wie sie in manchen Zeitungen gelten. Öfter scheint die Gewohnheit der Schreibenden über der Einfachheit zu stehen. Jedes Umgewöhnen ist aufwändig (dabei denke ich zuerst an Aufwand, weniger an aufwenden). Stange und Stängel oder Stengel gehören gemäss Herkunftswörterbuch zusammen; also warum nicht Stange und Stängel. Den Gamsbart kennen offenbar nur die Jäger, darum soll es wohl bei der Gemse bleiben. Wirklich interessant ist die angeblich so falsche Herleitung von Quäntchen statt Quentchen. Gemäss Wörterbuch ist «Quantum» eine Menge und «Quentchen» eine kleine Menge. Dass es einmal ein deutsches Mass namens «Quent» gab, dürfte kaum noch bekannt sein. Wenn ich etwas an seinen Platz tue oder pla(t)ziere, so spielt es eigentlich keine Rolle, dass das Verb aus dem Französischen entlehnt wurde. Mit dem «z» mitten im Wort ging die französische Form längst verloren. Ob der Text «ins Schwarze» oder «ins schwarze» trifft, entscheidet sich trotzdem am Inhalt und weniger an der Rechtschreibung. Wie schön wäre doch eine gemässigte Kleinschreibung.

Bernhard Vögeli, 9470 Buchs

(Link)


30. Januar 2008
Teilweise absurd
«Gewohnheit statt einfach», 23.1.08

In diesem Leserbrief zur Rechtschreibung wird eines der Beispiele erwähnt, die für mich deren teilweise Absurdität geradezu mustergültig aufzeigen, nämlich das unsägliche «aufwändig». Der Verfasser begründet dies mit der Ableitung von «Aufwand». «Aufwand» hat nun doch gar nichts mit «Wand» zu tun, sondern mit «aufwenden». Es käme keinem Menschen in den Sinn, dieses Wort nun auch mit «ä» zu schreiben, was doch die logische Konsequenz sein müsste. Die Rechtschreibreform und deren Reformen sind in keiner Weise fertig gedacht worden.

Hans Hug-Roth, 9100 Herisau

(Link)


2. Februar 2008
Unmögliches Ideal
Leserbriefe: «Eine weitere Variante?», 19.1.08

Ein Leserbriefschreiber hält es für «völlig paradox, Wörter anders zu schreiben, als man sie ausspricht». Ich empfehle ihm, schnell einen Club zu gründen, in dem nur noch phonematisch geschrieben wird: «Bällände hunnde und muuende küüe kännän käine noie ortografii.» Das Finnische hat's (es sieht dem obigen Satz auch irgendwie ähnlich) – es ist alles nur eine Frage der Gewöhnung. Die Logik, die er mit seinen Beispielen bemüht, ist leider kein geeignetes Instrument für die Entwicklung einer neuen Orthographie. Wenn sie es wäre, hätten wir keine Rechtschreibprobleme. Jedes Wort in einem Satz steht in so vielfältigen Beziehungen, dass unter «Logik» jeder etwas anderes versteht.

Und dann die leidige Gross- und Kleinschreibung! Wie viel Prozent der gross geschriebenen Wörter erleichtern das Lesen wirklich? Gegen den Übergang zu einer gemässigten Kleinschreibung haben sich seinerzeit die deutschen Kultusminister quer gestellt und ein Machtwort gesprochen: «Njet». Das Resultat sind nun Regeln, die zu noch mehr Grossschreibung führten: vor lauter Grossbuchstaben im Satz ist der Leser verwirrt. «Im Zweifel klein» wäre darum hilfreicher als jede vermeintliche «Logik».

So lange wir die Grossbuchstaben nicht ganz abschaffen, wird es Grenzfälle geben und spezielle Regeln brauchen. Je mehr Wortarten aber von der Grossschreibung ausgenommen würden – denken wir an die substantivierten Adjektive, Verben, Partizipien, Pronomen und Zahlwörter –, desto weniger Regeln brauchte es. Es ist eine Illusion zu glauben, dass diese Grossschreibungen das Lesen erleichtern, also erschweren sie das Schreiben unnötig – zum Leidwesen von Millionen von Schülern und vieler hunderttausend Lehrer (wenn sie sich nicht einfach über den schwierigsten Teil dieser Regeln hinwegsetzen und sich wichtigeren Aufgaben zuwenden).

Ich glaube nicht daran, dass sich an diesem Zustand in naher Zukunft etwas ändert. Immerhin halte ich die Empfehlungen der SOK (Schweizer Orthographische Konferenz) für einen vernünftigen Zwischenschritt. Sie erlaubt in einigen Fällen bereits, klein statt gross zu schreiben. Zudem: Vom Ideal einer logischen Rechtschreibung sollten wir endlich Abschied nehmen – es kann sie nicht geben – und generell mehr Toleranz üben.

Dem Lehrer empfehle ich, die Schüler weiterhin anhand lebendiger, anregender Sprachbeispiele mit Grammatik und Orthographie lesend und schreibend vertraut zu machen, sicher auch mit dem Tagblatt – lieber als anhand in Stein gemeisselter Regeln, über die laut Befehl vom bald abtretenden Erziehungschef nicht einmal diskutiert werden darf.

Felix Sachs, 9016 St. Gallen

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Kommentare zu »„Regeln, über die laut Befehl nicht einmal diskutiert werden darf“«
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 04.02.2008 um 16.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6459

Ich habe auch hier den Eindruck, daß der Wunsch nach Einfachheit stärker ist als der nach Differenzierbarkeit oder Ausdrucksvielfalt.
"Schreiben können" wird wohl als "keine Fehler machen" definiert und nicht als "sich schriftlich ausdrücken können".
Daß die gemäßigte Kleinschreibung Probleme mit der Groß- und Kleinschreibung löst, liegt auf der Hand; sie um der Fehlervermeidung willen aufgeben kann aber nur derjenige wollen, der nicht erkennt, daß mit der Groß-und Kleinschreibung Bedeutungsunterschiede markiert werden. Kann so ein Sprachtölpel maßgeblich sein?

Hat nicht jemand hier einstmals darauf hingewiesen, daß auch englische Texte bei deutscher Groß- und Kleinschreibung leichter lesbar seien?

Im übrigen bin ich sicher, daß früher jeder "aufwendig" für von "aufwenden" abgeleitet gehalten hat. Heute aber liest man ja sogar "notwändig" und "auswändig".


Kommentar von Mitleser, verfaßt am 05.02.2008 um 04.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6460

Hat nicht jemand hier einstmals darauf hingewiesen, daß auch englische Texte bei deutscher Groß- und Kleinschreibung leichter lesbar seien?

Vermutlich dachten Sie an Herr Icklers Vortrag "Reform mit drei F" vom 1. Januar 2005, worin es heißt:
"Experimentell ist nachgewiesen, daß selbst Leser, die von ihrer Muttersprache her nur die Kleinschreibung kennen, nach kurzer Eingewöhnung einen Vorteil von der Großschreibung nach deutschem Muster genießen."


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.02.2008 um 06.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6461

Ein Quantum ist eine Menge und ein Quäntchen eine kleine Menge. Das ist genau so wie bei anderen Wörtern: Pensum - Penschen, Album - Älbchen usw. Zur Stange gehört das Stängel (auch Stänglein).

Übrigens: Warum sollten ausgerechnet die westdeutschen Kultusminister zur Kleinschreibung "Njet" gesagt haben? Das Russische war wenig geläufig und nicht sonderlich beliebt. Arbeitssprache der KMK war es nie.


Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 05.02.2008 um 07.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6463

Beispiel, in dem Kleinschreibung Doppeldeutigkeit bewirkt: "Zitieren sie immer exakt, auch die werke ihrer mitarbeiter. Prüfen sie, ob ihnen nicht sogar rechte an ihren veröffentlichungen zustehen."
(Aus DUZ-Beilage zum neuen Urheberrecht. Dort korrekt und unmißverständlich mit Großschreibungen.) In einer englischen Übersetzung dieses Satzes hätte man keine doppeldeutigen Wörter.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.02.2008 um 08.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6464

Zu den Experimenten mit Groß- und Kleinschreibung bei kleinschreibungsgewohnten Engländern und Niederländern s. BOCK, Michael / HAGENSCHNEIDER, Klaus / SCHWEER, Alfred (1989):
Zur Funktion der Groß- und Kleinschreibung beim Lesen deutscher, englischer und niederländischer Texte. In: EISENBERG, Peter / GÜNTHER, Hartmut (Hrsg.): Schriftsystem und Orthographie. Tübingen. (= Reihe Germanistische Linguistik 92) S. 23–55.


Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 05.02.2008 um 10.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6465

Rückverweis auf www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=469#3531
Die Kleinschreibung des Englischen kam nicht durch eine Reform zustande, sondern war eine Kapitulation der Drucker vor der Schwierigkeit der Großschreibungsregeln. Der Text der US-Verfassung ("We the People ...") wurde angeblich durch Ben Franklin vor dem Druck schnell noch richtiggestellt.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 05.02.2008 um 11.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6466

Die „Wiesbadener Empfehlungen“ von 1958 halten an der Unterscheidungsschreibung Sie/sie fest; Herrn Eversbergs Textbeispiel (#6463) wäre daher auch in „gemäßigter“ Kleinschreibung nicht mißverständlich.

Hier noch ein Zitat von Peter Eisenberg:
„Selbst holländische Muttersprachler lesen schneller, wenn das Niederländische, das normalerweise eine gemäßigte Kleinschreibung hat, nach den Regeln des Deutschen geschrieben wird (Bock u. a. 1989; Bock 1990)“ (Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. I: Das Wort. 3. Aufl. 2006, S. 344).
Der zweite Literaturhinweis bezieht sich auf:
BOCK, Michael (1990): Zur Funktion der deutschen Groß- und Kleinschreibung. In: STETTER, Christian (Hrsg.): Zu einer Theorie der Orthographie. Interdisziplinäre Aspekte gegenwärtiger Schrift- und Orthographieforschung. Tübingen. S. 1–33


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 05.02.2008 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6467

Eben erst wird mir klar, daß Felix Sachs nicht nur die „gemäßigte“ Kleinschreibung fordert, sondern Großbuchstaben wohl am liebsten ganz abgeschafft sähe. Er ist also ein Ultraorthodoxer, noch radikaler als Meister Augst.

„So lange wir die Grossbuchstaben nicht ganz abschaffen, wird es Grenzfälle geben und spezielle Regeln brauchen.“ – Solange es überhaupt irgendwelche Regeln gibt, besteht die Gefahr, daß jemand gegen sie verstößt.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.02.2008 um 17.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6468

In mittel- und frühneuenglischen Texten um 1500 bis 1700 (Milton, Bacon, Shakespeare und viele andere) findet man willkürliche Großschreibungen von Substantiven, die der Schreiber hervorheben wollte, z. B. Abstrakta. (Quellen: Bär, Einführung ins Mittelenglische, Görlach, Einführung ins Frühneuenglische)


Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 05.02.2008 um 20.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6469

Das sind Darstellungen, nicht Quellen. Bitte um Nachsicht für meine Begriffshuberei, lieber Germanist: Ihrer Darstellung will – und kann – ich gar nicht widersprechen.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.02.2008 um 22.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6470

Auch wenn es alle anderen langweilt, eine Liste von im "Görlach" abgedruckten Texten mit teilweiser Substantivgroßschreibung: Francis Bacon, The advancement of learning, 1605; Ben Johnson, Timber or discoveries, 1640; J. Dryden, Defence of the epilogue, 1672; T. Sprat, History of the royal society, 1667; G. Pettie, The ciuile conuersation of M. Stephen Guazzo, 1586; J. florio, Montaigne's essays, 1603; J. Dryden, Fables ancient and modern, 1700; F. Bacon, Essayes of studies 1597/1625; Shakespeare, The tragedie of Hamlet (I.4.1-194), The tragedie of Julius Caesar (III.2.171-232), Troilus and Cressida (I.3.75-138).


Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 16.03.2008 um 18.45 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=572#6606

Urs Bärlein (572#6469) weist auf die auch für die Zusammenstellung und Verifikation von Korpora sehr wichtige Unterscheidung zwischen Quellen und Darstellungen hin. So sollten z.B. in Korpora zur Ermittlung früherer Sprach(zu)stände Quellen (Akte(n), Verträge, Korrespondenz, Zeugnisse etc.) nicht mit im gleichen Zeitraum entstandenen Kommentaren oder Betrachtungen zu diesen vermischt werden. Zweifelsfrei sind das alles Texte, aber hinsichtlich ihrer Genese, ihres Bereichs usw. nicht gleichwertige.



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