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06.08.2004
 

SPIEGEL-Verlag und Axel Springer AG kehren zur klassischen Rechtschreibung zurück

Die Axel Springer AG und der SPIEGEL-Verlag kehren in ihren Print- und Online-Publikationen zur klassischen deutschen Rechtschreibung zurück. Gleichzeitig richten die Verlage einen Appell an andere Medienunternehmen sowie an die Nachrichtenagenturen, sich diesem Schritt anzuschließen.
Die zu beiden Verlagen gehörenden Titel, die rund 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland erreichen, werden ihre Schreibweise schnellstmöglich umstellen. SPIEGEL-Verlag und Axel Springer AG fordern andere Verlage auf, ebenfalls zur alten Rechtschreibung zurückzukehren und damit gemeinsam dem Beispiel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu folgen, die als einzige die Umstellung nach kurzer Zeit wieder rückgängig gemacht hatte. Ziel dieser Maßnahme ist die Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung.

Hintergrund der Initiative ist die mangelnde Akzeptanz und die zunehmende Verunsicherung bezüglich des vorgegebenen Regelwerks für die deutsche Schriftsprache. Nach fünf Jahren praktischer Erprobung in den Druckmedien und sechs Jahren in den Schulen hat die Reform weder für professionell Schreibende noch für Schüler Erleichterung oder Vereinfachung gebracht. Im Gegenteil: Die Verunsicherung wächst, Vermischungen von alter und neuer Rechtschreibung sind an der Tagesordnung. Wer vor der Reform sicher schreiben konnte, macht heute Fehler. Eltern benutzen eine andere Orthographie als Kinder. Lehrer sind zutiefst verunsichert.

Heutigen Schülern begegnet der ganz überwiegende Teil der deutschen Literatur und literarischen Überlieferung in der bisherigen Rechtschreibung. Da auch die Mehrheit der deutschsprachigen Schriftsteller - von Grass bis Enzensberger - es ablehnt, daß ihre Werke in neuer Schreibung erscheinen, tut sich eine verhängnisvolle, immer breitere Kluft zwischen gelerntem und gelesenem Deutsch auf. Bereits die erste Version der Reform war mit gravierenden Mängeln behaftet. Eine Vielzahl von Ergänzungen durch die Zwischenstaatliche Kommission und die Wörterbuchredaktionen hat die orthographischen Konventionen in einem Maße erschüttert, daß auf absehbare Zeit die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung verloren scheint. Zahlreiche Umfragen belegen, daß die Reform von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Der Grund hierfür liegt nicht in einer angeblichen Reformscheu, sondern in der von vielen Bürgern erkannten oder empfundenen Unausgegorenheit der Neuregelung.

Dr. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG und Stefan Aust, Chefredakteur des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL, betonen: "Wir befürworten sehr dringend notwendige und sinnvolle Reformen in unserer Gesellschaft. Doch die Rechtschreibreform ist keine Reform, sondern ein Rückschritt. Die deutsche Sprache braucht keine kultusbürokratische Überregulierung. Spätestens die neuerliche Reform einer ohnehin unausgegorenen Reform führt ins völlige Chaos. Wir wollen dazu beitragen, diese Fehlentwicklung zu korrigieren. Die geschichtliche Erfahrung über Jahrhunderte zeigt, daß Sprache sich evolutionär weiterentwickelt. Die Rechtschreibung sollte diese Änderungen nachvollziehen und nicht vorschreiben."

Aust und Döpfner stellen fest: "Sechs Jahre nach Einführung der neuen Rechtschreibung müssen wir alle ein erschreckendes Fazit ziehen. In der täglichen Erprobung ist die Reform gescheitert. Die Situation verschlimmert sich, die Konfusion wird größer. Uns kann es als Verlage nicht gleichgültig sein, wenn Schreib- und Lesefähigkeit und damit die Sprachfähigkeit in diesem Land abnehmen. Aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen empfehlen wir auch anderen die Beendigung der staatlich verordneten Legasthenie und die Rückkehr zur klassischen deutschen Rechtschreibung." Das schließt Neuerungen nicht aus. Auf der Basis der alten Rechtschreibung kann darüber nachgedacht werden, welche Vorschläge der Reformer schrittweise übernommen werden können. Die Axel Springer AG, der SPIEGEL-Verlag und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" werden sich sinnvollen Veränderungen nicht verschließen.

Die technische Umsetzung in den Print- und Online-Publikationen der Verlage soll schnellstmöglich erfolgen.


Quelle: Spiegel-online 6.8.2004
Link: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,311777,00.html


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Kommentare zu »SPIEGEL-Verlag und Axel Springer AG kehren zur klassischen Rechtschreibung zurück«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2012 um 14.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=54#9168

Ich weiß nicht, ob der äußerst reizbare Gerd Sowein bei der Süddeutschen Zeitung noch die Leserbriefe verwaltet (und auf Reformschreibung trimmt). Im August 2000 schrieb er einem Leser u. a.:

„Und mit welcher Bösartigkeit dieser Kampf geführt wird, haben Sie aus dem (eigens zu diesem Zweck abgedruckten) Leserbrief des Ober-Gurus Theo Ickler ersehen. Gegen ihn sei, schrieb mir heute ein Würzburger Professor als indirekt Angegriffener, das Heilige Offizium ein Menschenrechtsverein. Und er fragt: „Wer schützt uns vor Ickler?“ Ich könnte es ihm sagen: Professor Ickler ist, und das sei ihm gegönnt, für vier Wochen in Urlaub.“

(Der Würzburger ist wohl Norbert R. Wolf, später zusammen mit mir Mitglied im Rechtschreibrat. Die SZ hat ja dann noch ziemlich viel von mir gedruckt, natürlich an dem leidgeprüften Sowein vorbei.)


Kommentar von Peter W. Forster, verfaßt am 06.08.2004 um 13.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=54#2


Kommentar
Faktisches gegen Faktistisches

Wenn auch langsam:

Die Macht des Faktischen, d.h. in diesem Falle die Macht der Vernunft, der kulturellen Überlieferung, der Sprache und Bildung scheint doch noch den unnötigen Kampf gegen die Macht des Faktistischen, d.h. in diesem Falle die Macht der Reformitis, der Unvernunft, der bewußten Deformierung der Sprache, der antidemokratischen Diktatur und, was am schwerwiegendsten ist, gegen die Macht der Mitläufer, zu gewinnen.

Die Süddeutsche Zeitung wird, so die Macht des Herrn Sowein zum Faktischen hin zurechtgestutzt wird, bald dem Beispiel des Spiegel- und Axel Springer-Verlages folgen.





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