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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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06.08.2004
 

Theodor Ickler
Rechtschreib-Schadensbegrenzung
Mögliche Lösungswege – Zum fünften Jahrestag der Reform

»Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen dürfen.« Das sagte vor wenigen Wochen kein Geringerer als der frühere bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair.

Seine Äußerung traf zufällig mit einem dreifachen Jahrestag der Reform zusammen: Vor sieben Jahren wurde die Rechtschreibreform an den meisten Schulen eingeführt, vor fünf Jahren trat sie offiziell in Kraft, vor vier Jahren wurde sie in modifizierter Form von den Nachrichtenagenturen und den meisten Zeitungen übernommen. Das dreifache Jubiläum ist kein Anlaß zum Feiern; doch richten wir den Blick in die Zukunft: Welche Möglichkeiten gibt es, den Schaden möglichst glimpflich zu beheben?

Augen zu und durch?
Bisher haben die Kultusminister und einige Reformer versucht, die Neuregelung unverändert durchzusetzen und lediglich auf stärkere Vereinheitlichung ihrer Umsetzung in Wörterbüchern, Schulbüchern und Medien hinzuwirken. Für die Wörterbücher ist das weitgehend gelungen. Dadurch werden jedoch die objektiv vorhandenen Fehler der Reform nicht beseitigt.

Reparatur?
Der erste Versuch, die Neuregelung zu korrigieren, stammt von der zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission, die sich mehrheitlich aus den Urhebern des Reformwerkes zusammensetzt. Nach einer heftigen Diskussion (»Mannheimer Anhörung« am 23. Januar 1998) untersagten die Kultusminister und das Bundesinnenministerium sämtliche Änderungen, auch die von den Reformern selbst als »unumgänglich notwendig« bezeichneten. Damit erledigt sich wohl auch ein umfassender Reparaturversuch, den die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zuerst 1989 und dann in Buchform im Frühjahr 2003 vorgelegt hat.

Rückkehr zum alten Duden?
Der Duden hatte die tatsächlich praktizierte, historisch gewachsene Rechtschreibung leidlich korrekt dokumentiert, doch war er durch die vielen Anfragen der Benutzer dazu verleitet worden, Einzelfallschreibungen auch dort festzulegen, wo es sich in der Sprache selbst um objektive Übergangsphänomene handelt (getrennt oder zusammen?, klein oder groß?). In Verbindung mit dem »Dudenprivileg«, das die deutsche Rechtschreibung mit ihrer Darstellung im Duden identifizierte, kam es zu dem unersprießlichen Zustand, daß »genau genommen« praktisch niemand die deutsche Rechtschreibung vollkommen beherrschte. Die Dudenredaktion selbst kann sich eine andere Konstruktion, etwa wie in Großbritannien, durchaus vorstellen. Es ist daher nicht wünschenswert, die alten Zustände umstandslos wiederherzustellen.

Einheitsorthographie
Die tatsächlich im deutschen Sprachraum verwendete Rechtschreibung, die sich niemals mit der Dudennorm deckte, war und ist anerkannt leserfreundlich und bei richtiger Darstellung keineswegs besonders schwierig. So ist zu überlegen, wie man ihr zu tatsächlicher Anerkennung verhelfen kann, ohne den bereits angerichteten Schaden zu vergrößern. Die Deutsche Akademie bezeichnete ihren Reformvorschlag, der um die Beibehaltung der eigentlich abgelehnten reformierten s-Schreibung zentriert ist, als »zweitbeste Lösung«; ihr Plädoyer setzt voraus, daß die beste Lösung – nämlich ein »ausgekämmter Duden« im oben dargestellten Sinne – nicht mehr erreichbar sei. Wir bezweifeln dies. Folgende Schritte sind denkbar und ohne weiteres möglich:

1. Die bisherige Rechtschreibung bleibt ohne zeitliche Begrenzung gültig. Ihre identifikatorische Bindung an den Duden (»Dudenprivileg«) wird jedoch aufgehoben. Diese Rechtschreibung ist nicht nur in Millionen Druckwerken dokumentiert, sondern wird auch von Schriftstellern und anderen Autoren auf absehbare Zeit benutzt und keinesfalls durch die (ohnehin de facto bereits überholte) Neuregelung von 1996 ersetzt werden. Eine Schulorthographie, die namhafte zeitgenössische Autoren und seriöse Werke verschiedener Verlage als »falsch geschrieben« erscheinen läßt, erledigt sich von selbst.
2. Die bisherige Rechtschreibung wird von den einschlägigen Verlagen und Instituten empirisch erforscht und mit sinnvollen Spielräumen deskriptiv dargestellt. Im freien Wettbewerb um die beste Darstellung werden sich die besten orthographischen Hilfsmittel herausbilden, wie es zum Beispiel in England und Frankreich seit je üblich ist.
3. Für den Schulgebrauch werden Rechtschreibwörterbücher wie andere Schulbücher einem Zulassungsverfahren unterworfen.
4. Die Schreibweisen gemäß der Rechtschreibreform in ihren verschiedenen Auslegungen werden für einen Übergangszeitraum von zehn Jahren nicht als fehlerhaft gewertet, auch wenn sie grammatisch fehlerhaft sind (»so Leid es mir tut, sehr Aufsehen erregend«). Die orthographischen und grammatischen Tatsachen werden jedoch, soweit erforderlich, im Deutschunterricht thematisiert. So könnte aus dem Schaden letzten Endes sogar noch ein pädagogischer Nutzen erwachsen.

Der Autor
Theodor Ickler, geboren 1944, ist Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Erlangen-Nürnberg. Ickler gehört zu den bekanntesten Kritikern der Rechtschreibreform von 1996. Er wurde 1977 und 1978 mit dem Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet. 2001 erhielt er den Deutschen Sprachpreis.


Quelle: Münchner Merkur, Tegernseer Zeitung


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Kommentare zu »Rechtschreib-Schadensbegrenzung«
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Kommentar von Burkhart Kroeber, verfaßt am 06.08.2004 um 12.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=53#1

Danke. Bin voll und ganz einverstanden.


Kommentar von Günter Graß, verfaßt am 08.08.2004 um 00.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=53#4

Alles in allem ein gutes Konzept. Allerdings frage ich mich, wie die praktische Umsetzung von Punkt 3 aussähe. Da ist sie ja wieder, die Kontrolle durch eine Kommision. Ohne Kommission hätte ich aber auch ein Problem: Was sich durchsetzt, muß schließlich nicht gut sein (siehe Duden-Entwicklung vor 1991). Da bin ich unentschlossen.

Ich glaube auch gar nicht, daß es so weit kommen wird. Zu viele Politiker haben eine Heidenangst, ihnen würde ein Zacken aus der Krone brechen. Daß die FAZ um fünf vor zwölf noch Gesellschaft bekommen würde, habe ich andererseits auch nicht geglaubt. Also: Für Wunder bin ich immer zu haben...

Schöne Grüße



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