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05.08.2006
SDA
Wer soll das noch verstehen?
Dossier zur Rechtschreibreform
Bern (sda) In praktisch jedem Text zur Rechtschreibreform sind falsche Beispiele zu finden. Der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, ist diesbezüglich der bekannteste Sünder (auseinandersetzen, Restorant, Urin-stinkt).
Legendär ist auch Marcel Reich-Ranickis Aufregung über das vermeintliche Verbot von "wohlverdient", womit Günter Grass' "wohl verdienter Nobelpreis" den Leser irreführe. Hohn und Spott der Reformer waren ihm sicher, denn ausgerechnet in diesem Fall war die Zusammenschreibung vorgeschrieben.
Reich-Ranicki hatte insofern recht, als der Bedeutungsunterschied nicht mehr ausgedrückt werden konnte, weil die Variante "wohl verdient" nicht mehr existierte oder, bei grosszügiger Auslegung des damaligen Regelwerks, zwar existierte, aber ohne Bedeutungsdifferenzierung.
Das zeigt: solche Fehler sind verzeihlich, denn wirklich verstehen können die Rechtschreibung nur noch wenige Spezialisten. Dabei war sie als Vereinfachung für Schüler gedacht.
Einige Beispiele (herkömmliche Rechtschreibung – Regelwerk 1996 – Regelwerk 2006):
grau; gräulich – grau; gräulich – grau; gräulich
Greuel; greulich – Gräuel; gräulich – Gräuel; gräulich
Aufwendungen – Aufwendungen – Aufwendungen
aufwendig – aufwendig/aufwändig – aufwendig/aufwändig
roh – roh – roh
rauh – rau – rau
Trip – Trip – Trip
Tip – Tipp – Tipp
Philosophie – Philosophie – Philosophie
Orthographie – Orthographie/Orthografie – Orthografie/Orthographie
Thuja – Thuja – Thuja
Thunfisch – Thunfisch/Tunfisch – Tunfisch/Thunfisch
preisgeben – preisgeben – preisgeben
achtgeben – Acht geben – achtgeben/Acht geben
kehrtmachen – kehrtmachen – kehrtmachen
haltmachen – Halt machen – haltmachen/Halt machen
zusammensetzen – zusammensetzen – zusammensetzen
aneinandersetzen – aneinander setzen – aneinandersetzen
kennenlernen – kennen lernen – kennen lernen/kennenlernen
liebenlernen – lieben lernen – lieben lernen
bluttriefend – bluttriefend – bluttriefend
blutsaugend – Blut saugend – Blut saugend/blutsaugend
freischaffend – freischaffend – frei schaffend/freischaffend
freilebend – frei lebend – frei lebend/freilebend
meistbietend – meistbietend – meistbietend
vielsagend – viel sagend – viel sagend/vielsagend
hochbetagt – hochbetagt – hochbetagt
hochbegabt – hochbegabt – hoch begabt/hochbegabt
Handvoll – Hand voll – Hand voll/Handvoll
zwei Handvoll/Hände voll – zwei Hand voll – zwei Handvoll/Hand voll
angst und bange sein – angst und bange sein – angst und bange sein
angst und bange machen – Angst und Bange machen – Angst und Bange machen
leid sein – leid sein – leid sein
leid tun – Leid tun – leidtun
es ist recht – es ist recht – es ist recht
er hat recht – er hat Recht – er hat recht/Recht
zuliebe – zuliebe – zuliebe
zuleide – zuleide/zu Leide – zuleide/zu Leide
heutzutage – heutzutage – heutzutage
hierzulande – hierzulande/hier zu Lande – hierzulande/hier zu Lande
die beiden – die beiden – die beiden
die einzigen – die Einzigen – die Einzigen
richtigstellen (eine Behauptung) – richtig stellen – richtigstellen
klarstellen – klarstellen – klarstellen
das Zustandebringen – das Zustandebringen – das Zustandebringen/Zu-Stande-Bringen
das Inkrafttreten – das In-Kraft-Treten – das Inkrafttreten
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Kommentare zu »Wer soll das noch verstehen?« |
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 18.10.2006 um 16.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=504#5082
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Diese vielleicht nicht vollständige Auflistung der "Regel"haftigkeit der Neuregelung der Orthographie, d.h. die Destruktion auch der letzten Sinnfälligkeiten, zeigt geradezu plakativ, wie hier in des (demokratischen natürlich) Staates Namen wissens- und gewissenlos in einem Maße gepfuscht wurde, das die Vorstellungskraft gestandener Autoren von Grotesken weit übersteigt.
Daß der Staat sich blamiert, ist nichts Neues, daß er es per Budget und auch direkt in solchem Umfang auf Kosten der Bürger tut, ist schon denkwürdig. Daß sich aber auf Staatsgeheiß eine ganze Sprachgemeinschaft vor der Welt blamieren soll, ist schlicht eine Unverschämtheit, zu der ein entmündigtes Volk sonst allein schlimme Diktatoren zwingen können.
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