Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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04.01.2006
Das zarte Pflänzchen Verantwortung
Frau Wankas Räsonieren über die Staatsräson
Durch Angela Merkels Neujahrsansprache fühlte sich Torsten Harmsen an das Rhetoriklametta der DDR erinnert.
Seine Kritik fand unter den Lesern der Berliner Zeitung ihrerseits viele Kritiker. Man solle doch nicht alles mies machen, wandten sie ein.
Harmsen antwortet ihnen in der heutigen Ausgabe: »Das ist richtig. Im Grunde sollte jeder Schritt in Richtung gemeinsame Verantwortung unterstützt werden. "Dieser Staat sind wir", hieß es früher, und es wäre auch wunderbar, wenn es so wäre.
Da erreicht uns eine Meldung am Rande, zu einem Thema, das immer wieder für große Aufregung sorgt. Johanna Wanka, die ehemalige Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), sagte diese Woche im Spiegel: "Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden."
Das bedeutet: Politiker haben bewusst einen zehnjährigen Rechtschreibkrieg in Kauf genommen, Konfusion in Schulen und Ämtern produziert, Millionen für den Druck immer neuer Wörterbücher in den Sand setzen lassen. Aus Staatsräson.
Vor zehn Jahren wurde die Reform von der Politik, bis hinauf zum Bundeskabinett, gebilligt. Die Staatsmacht brachte eine Reform in Gang, für die es keinen dringenden Bedarf gibt und für die sie nach der Meinung von Fachleuten auch gar nicht zuständig ist. Sechzig deutsche Juristen nannten es in einer Erklärung sogar "rechtlich äußerst problematisch", dass Lehrer, Schüler und Ämter gezwungen würden, falsche Schreibweisen zu nutzen. Der frühere Bundesverfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz kritisierte das ganze undemokratische Verfahren: "Man kann so etwas nicht machen ohne einen wirklich gründlichen öffentlichen Prozess", sagte er.
30 Gerichtsverfahren, Reform-Streik seitens bedeutender Zeitungen und Verlage, Bürgerinitiativen für Volksbegehren - all das hat die Politik ignoriert. Aus Staatsräson.
Denn man hatte die Sache nun mal beschlossen; nun musste sie auch durchgepeitscht werden, um sich nicht die Blöße zu geben. Nicht einmal zu einem vorläufigen Stopp konnte sich die KMK durchringen. Als eine Art Sprach-Feuerwehr versucht jetzt ein Rat für deutsche Rechtschreibung das Schlimmste wieder rückgängig zu machen.
Doch ein Teil davon ist schon seit dem 1. August 2005 in Kraft. Die Folge: Zwei Bundesländer verweigern sich; viele Behörden und Schulen ignorieren die Reform einfach. Die Rede ist bereits von "kollektivem Ungehorsam". War das mit der Wahrnehmung gemeinsamer Verantwortung gemeint?«
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Kommentare zu »Das zarte Pflänzchen Verantwortung« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2006 um 06.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2628
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Es war schon immer ein beliebter Taschenspielertrick der Politikerkaste, ihr Eigeninteresse für "Staatsräson" auszugeben. Der Wunsch der Kultusminister und Ministerpräsidenten, das Gesicht zu wahren, ist verständlich, aber mit dem Interesse am Fortbestehen des Staates hat er nichts zu tun. Wir Bürger hier "draußen im Lande" können auch ohne euch!
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Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 05.01.2006 um 15.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2631
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Der politische Stellenwert der Bildung, schreibt heute die FAZ in einem Kommentar, ist in diesem Land gering. Der ganze Schlamassel wäre sonst wohl nicht passiert oder längst überwunden. GANZ wunderbar wäre es, wenn eine Bewegung aus der Schülerschaft heraus entstünde, das Recht auf Bildung einzufordern. Als Slogan: "Schluß mit Schlechtschreib-Stuß!!", nachdem die sog. Reform sich als unnötiger, neu geschaffener Stolperstein erweist. Wie ständen sie dann alle da, die Politiker wie die mitgelaufenen Lehrer und noch viele andere... Nach dem Ahrens-Urteil wären die Chancen sogar dicht bei 100%.
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Kommentar von Chr. Schafer, verfaßt am 05.01.2006 um 22.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2638
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Neues aus deutschen Schulen:
Vielleicht noch eine kleine Nachbemerkung zum Thema "Orthographie an deutschen Schulen". Gestern hatte ich Gelegenheit, mit meiner Cousine, ihres Zeichens Lehrerin für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften an einer Oberstufenschule zu sprechen. Ich darf bemerken, daß sie sich für sprachliche Problemstellungen eher weniger interessiert und nur die Fassung verliert, wenn Schüler eines Mathematik-Leistungskurses trotz ausdrücklicher Hinweise "symetrisch" schreiben.
Da sie als Mathematikerin jedoch einerseits in der Lage ist, logisch zu denken, und andererseits als Pädagogin die Fallstricke der Logik kennt, hat sie, garantiert ohne Kenntnis der Publikationen von Frau Pfeiffer-Stolz und anderen, messerscharf die Ursache für die Häufung der Fehler in der ss/ß-Schreibung benannt: "Es funktioniert eben nur, wenn man die 'alte' Schreibweise gut beherrscht, und selbst dann geht's oft schief." Sie sagte von sich selbst, sie wäre inzwischen unsicher, weil sie nicht sprachbegabt und ihr die Vokallänge daher nicht immer klar sei. Ich muß gestehen, ich war einigermaßen verblüfft!
Gefragt, wie sie es denn bei der Korrektur von Arbeiten im Fach Wirtschaftswissenschaften halte, bekam ich eine die Kultusministerien hoffentlich noch schockierendere Antwort: "Ich kann doch schlecht etwas als falsch anstreichen, wenn es ausgerechnet die F.A.Z. [als die Tageszeitung mit dem wichtigsten Wirtschaftsteil] so schreibt."
Im übrigen, meinte sie, sei sie das alberne Nachschlagen inzwischen leid, zumal in jedem Wörterbuch etwas anderes stünde und die Auskünfte der Deutsch-Kollegen auch höchst widersprüchlich seien. Man könne das einfach nicht ernstnehmen.
Noch interessanter war das heutige Gespräch mit einer langjährigen Freundin, die Deutsch und Geschichte in der Mittel- und Oberstufe unterrichtet. Sie war anfangs glühende Reformbefürworterin, ist aber inzwischen nur noch frustriert.. Dabei bereiten ihr bzw. ihren Schülern die reformierte ss/ß-Schreibung sowie die Getrennt- und Zusammenschreibung die meisten Kopfschmerzen. Die Fehlerquote sei trotz intensiven Übens seit der Reform erheblich gestiegen und habe sich seither nicht verbessert. Dabei kennt sie noch nicht einmal das ganze reformierte Regelwerk und war entsetzt, als ich ihr erzählt habe, "Zierat", "schneuzen" oder "belemmert" hätte sie seit August letzten Jahres als falsch anzustreichen. Dabei hat sie mich außerdem auf weitere Schreibweise hingewiesen, die offenbar aus den Wörterbüchern getilgt worden ist, nämlich "Portrait", das nur noch als "Porträt" aufgeführt ist.
Interessant schließlich auch ihr Umgang mit "Altschreibern": Diese bekommen zwar Abzüge bei der Rechtschreibung, doch werden diese durch bessere Stil- und notfalls auch Inhaltsbewertungen ausgeglichen, so daß sich an der Note nichts ändert. Umgekehrt erhalten Schüler, die durch das Weglassen von fakultativen Kommata schlecht lesbare Texte erzeugen, teilweise deutliche Abzüge beim Stil. Unter den Arbeiten steht dann als Kommentar: "Mehr Kommas setzen!"
War es das wirklich wert, Frau Wolff?
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Kommentar von R. M., verfaßt am 05.01.2006 um 23.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2639
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Hochinteressant! Portrait ist in der Tat durch die Reform als Variante abgeschafft worden, was jedoch nicht nur die Eidgenossen wacker ignorieren. Der Duden hatte in der Tradition seines Begründers, eines typischen wilhelminischen Chauvinisten, französische Schreibungen schon immer bekämpft. Vor allem mit Blick auf die Schweiz hatte man aber Formen wie Communiqué oder eben Portrait zähneknirschend weiterhin aufgeführt.
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Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 06.01.2006 um 00.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2641
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Darf ich meine Erfahrungen mit Lehrer-Orthographien beisteuern? Im Frühjahr 2005 schickte mir ein Gymnasiallehrer für Geschichte und Latein seine soeben erschienene Dissertation zu. Sie war in herkömmlicher Rechtschreibung verfaßt. Im Oktober schrieb mir ein noch junger Gymnasiallehrer einen sehr lieben Brief, in dem die ss-/ß-Schreibung ein heilloses Durcheinander bot. Anfang November schließlich legte unsere elfjährige Tochter uns die Mitteilung ihrer Klassenlehrerin über den bevorstehenden Elternsprechtag vor - in herkömmlicher Rechtschreibung. Im Deutschunterricht lehrt dieselbe Dame natürlich die reformierte ...
Doch verlassen wir die losen Zwänge der Schule: In den vergangenen Wochen liefen mehrere wissenschaftliche Neuerscheinungen aus meinem Fachgebiet über meinen Schreibtisch, darunter zwei Publikationen aus dem Heidelberger Mattes-Verlag sowie das im Verlag Harrassowitz erschienene 'Lexikon des Hellenismus' - allesamt in herkömmlicher Rechtschreibung. Und eine mir vor Weihnachten zugesandte Veröffentlichung über eine rheinische Heimatgröße wiederum wies die schon oben beschriebene Mischorthographie auf: dass, Anlass, Guß, Nachlaß.
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 06.01.2006 um 02.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2642
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Zum Portrait/Porträt:
Zwar tut auch das Institut für Deutsche Sprache in seiner „Wörterliste der geänderten Schreibungen“ so, als ob die Variante Portrait durch die Rechtschreibreform abgeschafft geworden wäre, aber warum eigentlich? Sie war auch schon im letzten Rechtschreibduden vor der Reform (20. Auflage, 1991) nicht mehr aufgeführt. Übrigens taucht sie, als „französische Schreibung von Porträt“, im Wahrig auf, während man sie im Ickler vergeblich sucht.
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Kommentar von GL, verfaßt am 06.01.2006 um 06.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2643
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Unsere "classe politique" (offizieller Ausdruck in der Schweiz) lehnt sich bis heute nicht gegen "Communiqué und Portrait" auf. Wie kann diese Schreibweise falsch sein, wenn selbst die angesehene NZZ sich auch 2006 noch dieser bewährten Qualität verpflichtet fühlt?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2006 um 08.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2644
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Die Fremdwörter stellen einen immer wieder vor die Frage, wann die Integration als abgeschlossen betrachtet werden soll. So habe ich nicht nur bei Portrait geschwankt, sondern auch bei Bureau in der Bedeutung "Schreibtisch", die ja in den meisten neueren Wörterbüchern einfach weggelassen ist, obwohl sie im Antiquitätenhandel noch üblich ist. Manchmal finden - besonders in der Werbung und überhaupt im Handel - Desintegrationen statt, sogar bei Allerweltswörtern wie Zigarette, Schokolade usw. Weitere Recherchen könnten hier zur Revision meines Wörterbuchs führen, aber ich hatte mir die Sache schon überlegt. Die Schweiz und Österreich habe ich erst mal nicht berücksichtigt.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 06.01.2006 um 08.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2645
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Der Beitrag von Herrn Stiene gibt wieder einmal Anlaß zu der Frage: Wer benutzt die reformierte Schreibung, und warum tut er das? Damit sind natürlich in erster Linie die öffentlich Schreibenden gemeint. Öffentlich Geschriebenes ist das Untersuchungsfeld betr. die Reform, ihre Auswirkungen und Fehlsteuerungen.
Genauso interessant ist die Frage, warum jemand der reformierten Scheibung nicht folgt. - Man könnte zu beiden Themen spekulieren, wobei viel Psychologie ins Spiel käme. Die Schreibenden selbst äußern sich ja nur selten von sich aus zu ihrer Wahl. Also müßte eine repräsentative Befragung her, eine Aufgabe, deren Erledigung mindestens so wichtig wäre wie alle bisher vorgetragene Krtik aus welcher Sicht auch immer. Es wäre ein schönes Thema für eine Studentenarbeit.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 06.01.2006 um 09.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2647
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Im Falle der Schweiz liegt ja auf der Hand, warum man gewöhnlich an den unteutonisierten Schreibungen festhält. Auch andernorts gelten sie allemal als vornehmer. So läuft in der Hamburger Kunsthalle noch bis zum 29. Januar die Ausstellung Francis Bacon. Die Portraits. Selbst die normale kleindeutsche Rechtschreibung ist also Porträt, auch Portrait. Reformgemäß ist das nicht, denn Varianten sind nur dann amtlich erlaubt, wenn sie im Wörterverzeichnis ausdrücklich aufgeführt sind; neben Kommuniqué also nur das glücklicherweise ungebräuchliche Kommunikee. Der Rat für deutsche Rechtschreibung findet diese Seltsamkeiten nicht weiter erörterungswürdig.
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Kommentar von H. Upmeyer, verfaßt am 06.01.2006 um 12.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2649
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Weil alle Schweizer Schüler drei Sprachen lernen müssen (Hochdeutsch, Französisch, Italienisch), wäre es eine unnötige Erschwernis, Wörter dieser Sprachen auch noch zusätzlich in anderen Schreibweisen der beiden anderen Sprachen lernen zu müssen. Es genügt völlig, die Originalschreibweisen zu lernen und anzuwenden, denn innerhalb der Schweiz versteht sie jeder. Originalschreibweisen der einen Sprache dürfen daher in der Schweiz in den beiden anderen Sprachen nicht als Rechtschreibfehler gewertet werden.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 06.01.2006 um 15.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2650
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Die genannte Deutschlehrerin war auf das Wort gestoßen, weil sie wie jeder ihrer Kollegen bis zur Reform "Portrait" geschrieben hat. Auch ich persönlich erinnere mich nicht, das Wort jemals anders geschrieben zu haben, und im Bereich Kunst und Kultur dürfte diese Schreibweise ohnehin überwiegen oder zumindest ebenso oft vorkommen wie "Porträt". Für die französische Schreibung spricht auch die Aussprache (Betonung, Dehnungs-t). Den Umweg über die Schweiz muß man daher meines Erachtens nicht machen.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 06.01.2006 um 22.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2652
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Mein Duden von 1961 bezeichnet "Portrait" als "veralt. für: Porträt", dagegen "Raison" als "franz. Schreibung von: Räson usw.".
Diese Formulierung wirft abgesehen von ihrer Komik zwei Fragen auf:
Handelt es sich bei "Räson" etwa um ein deutsches Wort, das im Französischen entlehnt und dort "Raison" geschrieben wird?
Oder handelt es sich bei "Raison" um die ursprüngliche franz. Schreibung des Wortes, das im Deutschen als Lehnwort nur "Räson" geschrieben werden darf, oder ist "Raison" auch eine zulässige deutsche Schreibung?
Kurios ist auch, daß man lt. Duden 1961 "Portrait" nur [...trä], "Porträt" dagegen sowohl [...trä] als auch [...trät] aussprechen darf.
Immerhin ging der Duden nicht so weit, "Couch" als "engl. Schreibung von: Kautsch" zu bezeichnen. Tatsächlich führte er aber "Kautsch" als "eindeutschende Schreibung für: Couch" an einschließlich des Plurals "Kautschen" (neben "Kautschs").
Der Duden verzeichnete neben "Staatsräson" immerhin auch "Staatsraison". Dagegen kennt das Bertelsmann Wörterbuch heute zwar auch "Raison" (im Widerspruch zu den Amtlichen Regeln), aber nur noch "Staatsräson" (lt. website "www.wissen.de").
Dafür kennt der Duden 1961 erstaunlicherweise nur "Porträtmaler", "porträtieren" und "Porträtist".
Es stellt sich die weitere Frage, ob es nicht "räsonnieren" oder "raisonnieren" anstelle von "räsonieren" heißen müßte nach franz. "raisonner". Immerhin soll man ja auch "abandonnieren" und "abonnieren" schreiben.
Mir kommen Schreibungen wie "Porträt" und "Räson" als außerordentlich makkaronisch vor, sogar noch mehr als "Spagetti" jedenfalls so lange, wie man "Porträt" ohne Schluß-t und "Räson" mit franz. Nasal ausspricht. Übrigens finde ich das Wort "makkaronisch" sehr treffend geradezu selbstreferentiell. Doppelt makkaronisch und deshalb völlig unakzeptabel finde ich aber die Schreibung "Räsoneur" für franz. "raisonneur".
Übrigens darf man offenbar nicht "Maccaroni" schreiben weder nach dem Duden 1961 noch nach dem heutigen Wahrig (dafür schreibt EDEKA "Maccharoni"). Dagegen durfte man lt. Duden 1961 "Stakkato" und "staccato" schreiben. Etymologisch soll "Stakkato" allerdings "german.-it.", "staccato" dagegen "lat.-it." sein man lese und staune.
Nach den Amtlichen Regeln wiederum gibt es nur "Stakkato", nicht etwa auch "stakkato", geschweige denn "staccato".
Im krassen Widerspruch dazu gibt es bei Wahrig einerseits nur "stakkato", andererseits aber "staccato" und "Staccato"!
Ich schließe daraus: Mam verlasse sich besser auf seine eigenen Fremdsprachenkenntnisse als auf deutsche Wörterbücher!
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.01.2006 um 05.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2653
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"Portrait" sollte wohl doch in die nächste Auflage, falls es eine gibt, aufgenommen werden. Zum Makkaronisieren darf ich vielleicht einen Abschnitt aus meinen "Schildbürgern" in Erinnerung bringen:
»Im Zusammenhang mit der Stammschreibung muß auch noch einmal auf die Fremdwörter eingegangen werden. Placieren und deplacieren sind bisher schon in einer halb eingedeutschten Form plazieren und deplazieren bekannt. Die Neuregelung deutscht weiter ein, indem sie das deutsche (Lehn-)Wort Platz zugrundelegt: platzieren, deplatzieren. Dadurch gewinnen diese Wörter, wegen der undeutschen Ableitung, allerdings einen "makkaronischen" Charakter, den sie zuvor, als ehrliche Fremdwörter, nicht hatten. In diesem Sinne mißfällt auch die Plattitüde (mit tt wegen platt). Denn Platitüde steht, wie der bedeutende französische Germanist und Reformkritiker Jean-Marie Zemb gezeigt hat, in einer Reihe mit Etüde, Attitüde usw., wo man eigentlich keinen deutschen Stamm erwartet. Der Stukkateur (über das Französische aus dem italienischen stuccatore) wird künftig Stuckateur geschrieben, wegen Stuck. Solche Wörter wirken nun - um im Jargon zu bleiben - wie rechte Dummitäten. Apropos "makkaronisch": Die Makkaroni bleiben uns erhalten, während die Spaghetti auch ohne h geschrieben werden sollen, gegen den Rest der Welt. "Tedeschi attenti, ora spaghetti si scrive senz´acca", spöttelte der Corriere della Sera am 21.7.96 in einer Titelzeile.«
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 07.01.2006 um 06.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2654
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Eindeutschungen fremdsprachlicher Schreibweisen sind grundsätzlich nicht aus einem Guß möglich. Zum einen ist das Empfinden, ob es sich eher noch um ein fremdes Wort handelt oder eher schon um einen selbstverständlichen Bestandteil des deutschen Wortschatzes, von Wort zu Wort verschieden, und davon hängt das Bedürfnis ab, eher originale oder eher integrierende Schreibweisen zu verwenden. Horst Haider Munske hat es in seinem Buch "Lob der Rechtschreibung" treffend dargestellt: Es verhält sich genauso wie bei der Integration oder Nichtintegriertheit von Ausländern. Von null bis hundert Prozent kommt alles vor - abhängig von vielen Faktoren, nicht nur von der Dauer der Präsenz im neuen Kulturkreis und von der Gebrauchshäufigkeit. Auch schwankt das Urteil, wieviel Integration vorliegt, naturgemäß im Auge der Betrachter. So werden etwa Menschen, die mit dem Französischen vertraut sind (zum Beispiel viele in der Schweiz), weniger dazu neigen, das Fremde einer Eindeutschungsprozedur zu unterwerfen.
Schließlich sind auch die verschiedenen fremden Buchstabenfolgen ganz unterschiedlich für Eindeutschungen zugänglich, sogar innherhalb desselben Wortes oder innerhalb einer Wortfamilie: Affäre ist zum Beispiel sehr naheliegend, sobald einmal die Möglichkeit erkannt ist, den ä-Laut auch in Wörtern aus dem Französischen mit dem deutschen Sonderzeichen wiederzugeben. Affäre drängt sich sogar mit Macht auf, nachdem die Aussprache der letzten Silbe deutsch gehandhabt wird, die im Französischen ja stumm ist ("affär"). Ähnlich bei porträtieren - die Schreibung mit ä ist genauso naheliegend und daher seit langem üblich. Was machen wir aber mit dem t aus dem Grundwort Portrait bzw. Porträt? Nicht überzeugen kann Porträ, weil es einen solchen Wortausgang bei Wörtern mit diesem Charakter sonst überhaupt nicht gibt, allenfalls bei irgendwelchen Interjektionen oder Kunstwörtern. Die Schreibung ist sozusagen gar nicht möglich; zumindest wäre diese Eindeutschung ein krasser Schritt im Vergleich zu Affäre. Es ist auch nicht einleuchtend, abwechselnd porträtieren und Portrait zu schreiben oder auf die Wiedergabe mit ä ganz zu verzichten (auch bei porträtieren), nur weil es da dieses Problem mit dem t beim Substantiv gibt. Ich halte den Kompromiß Porträt daher für die beste Lösung, außerdem für einen notwendigen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer eventuellen Endstation Porträ. Die Anwender, denen diese Lösung jedoch zumeist nie bewußt geworden ist, greifen jedoch in solcher Zahl spontan zu der Schreibung Portrait - nach dem Motto "Ich kann doch nicht Porträ schreiben, also muß es wohl Portrait sein -, daß ein konsequentes deskriptives Wörterbuch kaum darum herumkommt, diese verbreitete Schreibweise als Variante zu verzeichnen. Portrait gehört zu den Wörtern, die ich am häufigsten korrigiert habe.
Die von Herrn Achenbach beobachteten Schwankungen sind daher unvermeidlich, bei fließenden Prozessen sind Kompromisse mit "makkaronischem" Charakter zwangsläufig und nicht etwa als "Widersprüche" anzusehen, sondern zumeist als angemessene Lösungen. Man muß von Fall zu Fall hinsehen. Zum Beispiel die Makkaroni: Im Italienischen sind es maccheroni. Nachdem wir im Deutschen eine veränderte Vokalisierung haben - "...aroni" -, wäre die Beibehaltung der übrigen Schreibweise mit h - also Maccharoni - widersinnig. Denn die Italiener selbst würden ja in diesem Fall selbst auf das h verzichten und Maccaroni schreiben. Wenn wir aber dies schreiben, nur um optisch auf einer Ebene mit Spaghetti zu landen, tun wir so oder täte das Wörterbuch so, als sei maccaroni das originale italienische Wort. Das ist nicht so, also ist die weitergehende Eindeutschung auch des k-Lauts mit Makkaroni eine feine Sache. Übrigens wäre hier die Eindeutschung erst vollständig, wenn wir unser ck anwenden würden: Mackaroni. Das muß nicht sein. Bevor es so weit ist, würden erst einmal die Spaghetti im Deutschen ihr h tatsächlich verlieren.
Diese Erwägungen mögen den Fall hinreichend erklären, sind aber bei weitem nicht erschöpfend. Es spielt zum Beispiel eine Rolle: Wir essen hundertmal Spaghetti und einmal Makkaroni. Entsprechend oft lesen wir die Aufschrift auf den Verpackungen. Spaghetti lesen wir demnach oft genug, um es so schreiben zu wollen, aber wie oft sehen wir die Schreibweise Maccheroni auf einer Packung oder in einem Lokal? Wie vertraut ist uns die Folge cch aus anderen Wörtern? Also, das hatte schon alles seine Richtigkeit, wie wir geschrieben haben, bevor die Reformer ihre Grislibären und so weiter krampfhaft in den alpenländischen Raum platzieren wollten.
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Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 07.01.2006 um 18.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2656
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Ich neigte und neige weiter zum "Portrait", und zwar wegen des erwähnten nicht gesprochenen "t". Nicht klar ist mir, was gegen die Schreibweise "portraitieren" des Verbs sprechen soll.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 07.01.2006 um 21.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2659
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An Herrn Martin:
Nicht klar ist mir, was gegen die Schreibweise "portraitieren" des Verbs sprechen soll.
Meiner Ansicht nach nichts, wenn es gebräuchlich ist. Im Falle von "portraitieren" habe ich da allerdings gewisse Zweifel. Indes kann einen niemand daran hindern, mit einer solchen Schreibweise Akzente zu setzen. Ich mache das auch und schreibe seit einiger Zeit "placieren" statt "plazieren", obwohl ich das früher nie getan habe. In diesem Fall ist dies eine für manche dechiffrierbare Stellungnahme gegen die Reformschreibung.
An Herrn Wrase:
Ich stimme Ihnen darin zu, daß man wirklich Wort für Wort herausfinden muß, welche Schreibweisen üblich sind. Gerade die aus dem Französischen stammenden Wörter entziehen sich sowohl hinsichtlich ihrer Schreibung als auch ihrer Aussprache jeder Systematik. Denken Sie etwa an Gouache, das sowohl guasch als auch guasche gesprochen wird oder Maquette (makett/makette). Eine differenzierte Integration hat bei étiquette stattgefunden: das Etikett, die Etikette, und das Original findet als Netiquette über die Hintertüren der Netzkultur und des Englischen wieder seinen Weg ins Deutsche.
Die Wörterbücher haben dies zur Kenntnis zu nehmen und aufzuzeichnen, denn wohin jeder Versuch einer Systematisierung unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten führt, haben Augst und Komplizen (noch so ein interessantes Wort) gezeigt. Übrigens erscheint mir Porträ doch gewisse Augstsche Züge zu haben (bitte nicht übelnehmen). Wenn schon, dann doch eher Porträh, doch auch dies erscheint eher unwahrscheinlich. Aber das Schöne an der Sprache ist doch, daß man nie vorhersagen kann, wohin die Reise gehen wird. Wer hätte vor zwanzig Jahren gedacht, daß man heute entscheiden kann, ob man zum Friseur, Frisör, Coiffeur, Koiffeur, Koifför oder Koifur (türkisch) gehen möchte?
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 07.01.2006 um 21.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2660
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Dagegen spricht im Einzelfall nichts, wenn es jemand so schreiben will. (Meistens entsteht das aus der bewußten Überlegung: "Ich will nicht Porträt schreiben, also schreibe ich Portrait, also muß ich auch portraitieren schreiben.") Die Mehrheit sieht es allerdings anders. Und zwar deshalb, weil die meisten vergleichbaren Wörter, das heißt Wörter aus dem Französischen, die als ähnlich stark integriert empfunden werden, ebenfalls überwiegend mit ä geschrieben werden. Dagegen spricht nämlich erst recht nichts: Die Aussprache ist noch besser sichergestellt, vgl. die leicht verschlechterte Lesbarkeit von raisonieren vs. räsonieren. Bei Portrait entsteht unter Umständen ansatzweise die Versuchung, den Begriff englisch auszusprechen, denn im Englischen sieht er ganz genauso aus, und wir rechnen immer zuerst mit einem englischen Fremdwort, erst in zweiter Linie mit einem französischen oder anderen Fremdwort.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 07.01.2006 um 21.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2661
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Bei Portrait entsteht unter Umständen ansatzweise die Versuchung, den Begriff englisch auszusprechen, denn im Englischen sieht er ganz genauso aus, und wir rechnen immer zuerst mit einem englischen Fremdwort, erst in zweiter Linie mit einem französischen oder anderen Fremdwort.
Im Falle von Portrait bezweifle ich die Versuchung, hier die englische Aussprache anzuwenden, denn die französische ist hierzulande so gebräuchlich, daß das englische pohtr'tt ebenso gelernt werden muß wie das niederländische portret (gesprochen: portrett). Im übrigen bin ich keineswegs gegen "Porträt" und "räsonierien", nur gegen die Unterschlagung der Alternativen in den Wörterbüchern und damit die Sanktionierung dieser Schreibweisen in der Schule. Die deutsche Sprache ist flexibel genug, solche Varianten auszuhalten. Sie muß es ohnehin, weil der deutsche Sprachraum zahlreiche Sprachgrenzen hat und damit auch verschiedenen Einflüssen unterliegt. Man sollte das meiner Ansicht nach als Bereicherung, nicht als Problem betrachten.
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Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 07.01.2006 um 22.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2662
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Im Falle von Portrait stimme ich Herrn Schaefer zu. Da kämen vermutlich nur wenige auf den Einfall, die Aussprache über den englischen Leisten zu schlagen. Bislang jedenfalls. Im übrigen ist Herrn Wrases Beobachtung nur allzu richtig, daß irgend ein nicht ganz alltägliches Wort sicherheitshalber einfach mal englisch ausgesprochen wird. „Waterloo“ scheinen viele Zeitgenossen für einen, wenn denn überhaupt, Ort in Amerika zu halten oder zumindest in England. So legt es ihre Aussprache „Woterlu“ nahe. Daß Waterloo in Flandern liegt, vor den Toren Brüssels, und deshalb im Deutschen so auszusprechen ist, „wie es aussieht“, ist nicht mehr überall bekannt.
Wie recht Herr Wrase grundsätzlich hat, bezeugt des weiteren die groteske Entwicklung von „ausgepowert“. Das Partizip hatte in deutschen Wörterbüchern längst seinen festen Platz, bevor das englische „power“ in Mode kam. Die Aussprache war „ausgepovert“; zugrunde lag nämlich französisches „pauvre“, das bloß in eindeutschender Schreibung wiedergegeben wurde. Mit dem Siegeszug des englischen „power“ dürfte „ausgepowert“ auch in älteren Texten nur noch von einer sehr gebildeten Leserschaft richtig gedeutet werden. Ein Grund, hier die orthographisch eindeutige Variante „ausgepovert“ zuzulassen oder einzuführen? Doch ich bin kein Bastler und halte mich lieber an die Weisheit der alten Römer: Sapienti sat.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 07.01.2006 um 23.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2663
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Sehr geehrter Herr Stiene,
Sapienti sat, soviel Weisheit darin auch stecken möge, hilft den Wörterbuchmachern leider nicht viel weiter.
Waterloo mag ein Beispiel für die unangemessene Anwendung der englischen Ausspracheregeln sein, doch gilt es hier einige Faktoren zu bedenken, welche diesem Fehler zugrunde liegen:
1. Die wenigsten Deutschsprachigen beherrschen das Niederländische/Flämische und damit auch nicht dessen Aussprachregeln.
2. Bei Waterloo handelt es sich um ein Wort, dessen Schriftgestalt auf ein englisches Wort hinzuweisen scheint "water" gibt es nun einmal sowohl im Niederländischen als auch im Englischen.
3. Waterloo ist ein Ortsname, und diese unterliegen doch häufig eigenen Gesetzen, in Deutschland wie auch andernorts. Wenn Sie nach den heutigen Laut-Buchstaben-Beziehungen Soest aussprechen, liegen Sie falsch, ebenso wenn Sie "Edinburgh" oder "Worcester" nach den englischen Regeln sprechen.
4. Es ist nur eine Vermutung, aber könnte die Anwendung der englischen Aussprache auf den flämischen Ortsnamen nicht auch mit dem Superhit "Waterloo" von ABBA zu tun haben, der nach wie vor häufig im Radio zu hören ist? Man mag es ja bedauern, aber mit Popmusik kann man die Massen doch vermutlich eher begeistern als mit Napoleon.
Was Ihr Beispiel "ausgepowert" angeht, so ist dies zunächst einmal sprachgeschichtlich interessant. Letztendlich hat sich hier gleichsam natürlich etwas vollzogen, was die Reformer mit Gewalt zuwegebringen wollten, nämlich mit "platzieren", also die Veränderung der Ableitung. Im Falle von "ausgepowert" hat sich sogar noch die Aussprache verändert. Ich persönlich schwanke immer zwischen beiden, alleine deshalb weil ich mich frage, ob ich mit "ausgepovert" überhaupt verstanden oder vielleicht sogar für des Englischen nicht mächtig gehalten werde. Meine Eltern hingegen sprechen es selbstverständlich "ausgepovert" aus.
Aber hier handelt es sich um Entwicklungen, die sich vollziehen, ob man nun will oder nicht. Mein Interesse ist ja lediglich, daß die Wörterbücher alle Varianten aufzeichnen, die tatsächlich in einem signifikanten Ausmaß gebraucht werden, nicht mehr und nicht weniger. Im Falle von "ausgepovert" trifft dies wahrscheinlich nicht mehr zu, bei "Portrait" vermutlich schon. In zehn Jahren kann es freilich schon wieder anders aussehen.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 08.01.2006 um 00.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2664
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Noch eine Bemerkung zu "ausgepowert":
Ist dies nicht ein echter Fall von "Volksetymologie", und zwar einer mit weitreichenden Konsequenzen?
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 08.01.2006 um 10.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2665
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Bei Portrait entsteht unter Umständen ansatzweise die Versuchung, den Begriff englisch auszusprechen ...
Ich habe das sehr vorsichtig formuliert: unter Umständen, ansatzweise, Versuchung. Insbesondere bedeutet "Versuchung" nicht, daß am Ende der Begriff tatsächlich (in Gedanken) englisch ausgesprochen wird, sondern daß man beim ersten Anblick des Wortes einen Impuls in diese Richtung bekommt, man korrigiert aber blitzschnell und kriegt die deutsche Aussprache am Ende doch noch richtig hin.
Ich habe mich hier selbst beschrieben und nehme an, daß ich nicht der einzige im weiten Rund des Vaterlandes bin, dem es so ergeht. Den Hergang erkläre ich mir so: Ich lese ziemlich viel Englisch und fast kein Französisch. Weiter ist für mich im Deutschen die Schreibweise Porträt in Fleisch und Blut übergegangen, weil ich Portrait in der Regel für eine Notlösung aus Unwissenheit halte, die oft daher rührt, daß den Schreibern die Möglichkeit, Porträt zu schreiben, gar nicht bewußt geworden ist, auch wenn sie dies als Leser überwiegend so gesehen haben. Somit bin ich selbst als Leser und Schreiber auf die folgende Verteilung geprägt: Porträt = deutsch, Portrait = englisch. Nicht immer, aber ab und zu meldet sich bei mir diese Zuordnung auch als Leser eines deutschen Textes, so daß beim ersten Anblick ... unter Umständen ... ansatzweise ... Versuchung ...
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 10.01.2006 um 17.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2670
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Für die Schreibweise "porträtieren" könnte sprechen, daß das Wort in jedem Fall makkaronisch ist, weil es im Französischen kein "portraiter" gibt, sondern allenfalls, aber selten, "portraiturer" (so der Petit Robert) gibt. Auch "Porträtmaler" ist und bleibt ein Mischmasch-Wort, egal wie man es schreibt. Für "Porträtist/Portraitist" gibt es zwar im Französischen "portraitiste", das aber wiederum etwas anders geschrieben wird.
Ob man eher zur originalen oder eher zur eingedeutschten Schreibung eines Fremdwortes neigt, hängt davon ab, wie weit man das Wort als integriert empfindet. Das hängt wiederum auch davon ab, wie man selbst und wie andere das Wort aussprechen. Letztlich ist es eine sehr persönliche Geschmacks- und Stilfrage. Völlig verfehlt erschiene es mir daher, dabei von "richtiger" und falscher" Schreibung zu sprechen. Zumindest bei Fremdwörtern aus den gängigen Kultursprachen sollte die originale Schreibung niemals als "falsch" gelten dürfen. Deshalb sollte "Affaire" nicht als "falsch" gelten, auch wenn ich persönlich "Affäre" vorziehe.
Erschwerend komt hinzu, daß diese Frage ideologisch stark befrachtet ist, wie sich an der RSR wieder einmal gezeigt hat. Daher kann man sich nie ganz sicher sein, ob der tatsächliche Usus wirklich korrekt in den Wörterbüchern wiedergegeben wird. Das Beispiel "Kautsch" – eine Schreibung, die mir in freier Wildbahn noch nie begegnet ist – scheint doch zu zeigen, daß der Duden nicht ganz der Versuchung widerstanden hat, sich sprachlenkend zu betätigen.
Mit der zunehmenden Verbreitung von Fremdsprachenkenntnissen dürfte die vollständige Integrierung von Fremdwörtern gängiger Sprachen in die deutsche Sprache immer schwerer fallen. Vielmehr dürften, worauf Prof. Ickler ja hingewiesen hat, zunehmend auch Rückentwicklungen zur originalen Schreibweise stattfinden. Deshalb wirken ja auch die Bemühungen der Rechtschreibreformer um eine stärkere Eindeutschung so völlig unzeitgemäß.
Wie man "Raison" schreibt, hängt sicher auch davon ab, ob man es mit franz. Nasal oder "Räsong" ausspricht. Hauptsächlich dürfte das Wort in der Redewendung "jmdn. zur Räson bringen" vorkommen. Dies empfinde ich als so integriert, daß ich die Aussprache "Räsong" vorziehe (sollte man aber dann nicht gleich "Resong" schreiben?). Dagegen empfinde ich "Raisonnement" als überhaupt nicht integriert, weshalb "Räsonnement" für mich nicht in Frage kommt. Völlig unakzeptabel finde ich "Räsoneur". Da fände ich "Räsonör" noch akzeptabler, wenn auch häßlich. Daher kommt für mich nur "Raisonneur" in Frage, ebenso "Raisonnieren".
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Kommentar von Romanist, verfaßt am 10.01.2006 um 18.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2671
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Die deutsche "Affäre" bedeutet etwas ganz anderes als die französische "affaire", denn letztere hat überhaupt keinen negativen Beigeschmack: Le ministère des affaires étrangères ist kein Ministerium für auswärtige Affären, sondern für auswärtige Angelegenheiten.
Auch die deutsche Akkordarbeit und der Akkordarbeiter haben keine Entsprechung im Französischen, wo sie travail aux pièces und ouvrier aux pièces heißen (im Englischen piece-work und piece-worker).
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Kommentar von R. M., verfaßt am 10.01.2006 um 19.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2672
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Solche semantischen Verschiebungen müssen aber keine Folgen für die Schreibung haben. Man schreibt auch nicht deshalb Frisör, weil die Franzosen sowieso coiffeur sagen.
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Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 10.01.2006 um 20.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2673
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Nicht alles paßt durchs Nadelöhr
Für Roma- und Germanisten müßte es ja hoch interessant sein, herauszufinden, warum der Duden zwischen 1902 und 1910 die gebräuchliche Schreibung „accord“ ersatzlos in „Akkord“ umänderte, während er die gleichfalls angedachte Änderung „-eur“ wird zu „-ör“ (siehe: Friseur/Frisör usw.) nicht so rigoros durchführte.
PS: Danke in diesem Zusammenhang an die Herren Brünner und Metz, die im Diskussionsfaden "Schifffahrt auf Seen" Fakten lieferten.
Erkennbar wird anläßlich dieser Fakten die Tatsache, daß eine übergeordnete Stelle bald so, bald so urteilt bzw. vollstreckt, und es erhebt sich die geschichtlich interessante Frage: "warum, wer, wann, mit welchen Mitteln und mit welcher Absicht, was gemacht oder unterlassen hat"?
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Kommentar von GL, verfaßt am 10.01.2006 um 21.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2674
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unakzeptabel oder inakzeptabel?
Warum erscheint das Wort "unakzeptabel" weder in den Wörterbücher von Duden bzw. im Wörterbuch der Synonyme und Antonyme, jedoch regelmässig in diesem Forum wie auch in den Tageszeitungen?
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Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 10.01.2006 um 21.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2675
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Miss Verantwortung
Vielleicht suchen wir die Verantwortung in Büchern, bei Politiker/Innen und Gelehrten?
Wahrscheinlich ein Miss-Verständnis!
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Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 10.01.2006 um 22.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2676
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> Wie man "Raison" schreibt, hängt sicher auch davon ab,
> ob man es mit franz. Nasal oder "Räsong" ausspricht.
... oder "Räsohn" oder "Räsonk".
> Hauptsächlich dürfte das Wort in der Redewendung
> "jmdn. zur Räson bringen" vorkommen. Dies empfinde
> ich als so integriert, daß ich die Aussprache
> "Räsong" vorziehe (sollte man aber dann
> nicht gleich "Resong" schreiben?).
Man sollte es nicht, solange vier verschiedene Ausspracheweisen in der Bevölkerung gebräuchlich sind, nämlich die mit -~o, mit -ohn, die mit -ong und die mit -onk.
(Sinngemäß gleich werden gesprochen beispielsweise: Beton, Balkon, Bonbon, Saison)
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 10.01.2006 um 22.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2677
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Obwohl nicht Romanist, erlaube ich mir folgende Bemerkungen:
Das Wort "affaire" hat im Französischen viele Bedeutungen, darunter eine, die (lt. Petit Robert) dem Begriff "scandale" und damit der Bedeutung des deutschen (Fremd-)Worts "Affäre" sehr nahe kommt. Daß es bei der Übernahme von Wörtern aus fremden Sprachen zu Bedeutungsverschiebungen, -einengungen oder -erweiterungen kommt, ist fast immer der Fall und hat für die Schreibung keine unmittelbare Bedeutung, wie R.M. vollkommen richtig bemerkt.
Das französische Wort "accord" bedeutet, grob gesagt, "Entsprechung". "Akkordarbeit" bedeutete im Deutschen, daß der Lohn der Arbeitsleistung entspricht. Daher entspricht das deutsche Fremdwort durchaus der ursprünglichen französischen Bedeutung. Daß das Französische und andere Sprachen in diesem besondern Zusammenhang andere Formulierungen gebrauchen, ist unerheblich.
Die eindeutschende Schreibung "Akkord" ist dann motiviert, wenn das d - im Gegensatz zum Französischen - ausgesprochen wird. Ob die Änderung der Duden-Schreibung auf eine veränderte Aussprache oder auf die Orthographische Konferenz vonn 1901 zurückzuführen ist, das mögen weniger die Ro- als die Germanisten beantworten.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 11.01.2006 um 01.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2678
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Die Form unakzeptabel ist eine Übernahme aus dem Englischen. Im Deutschen heißt es eigentlich unannehmbar, aber inakzeptabel.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.01.2006 um 05.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=377#2679
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In diesem Zusammenhang darf man auch an die ausführliche Berücksichtigung des "Berlin-Französischen" in Eduard Engels Deutscher Stilkunst erinnern, also die "Nüangckse" usw., die er ja aus jahrzehntelanger Anschauung bzw. Anhörung so gut kannte wie Tucholsky, der sie auch gern parodierte. Was wir hier diskutieren, ist der letzte Bodensatz dieses beinahe verschwundenen Hauptstadtphänomens.
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