Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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21.12.2005
Mehr als nur Detailprobleme
Eine Kritik der Ratsvorlagen
Der »Änderungsumfang« steht weitgehend fest, doch auch die Vorschläge zur Reform der Rechtschreibreform weisen viele Unstimmigkeiten auf.
Welche das im einzelnen sind, stellt Reinhard Markner im Feuilleton der Frankfurter Rundschau dar.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 21.12.2005 um 02.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2570
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Rat für deutsche Rechtschreibung: »Änderungsumfang steht weitgehend fest« – siehe hier.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 21.12.2005 um 07.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2571
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Der Blinde führt den Lahmen oder: Die Masse macht´s
Gegenüber der dahingegangen Rechtschreibkommission - wer hat die eigentlich aufgelöst? - stellt der Nachfolger Rat für deutsche Rechtschreibung einen bedeutenden Fortschritt dar. Zunächst einmal wird seine Arbeit dadurch sehr erleichtert, daß man ihn und seine Beschlüsse nicht kritisieren kann. Denn wie will man ernsthaft diskutieren, was ein Schulbuchverlegerverbandsvertreter oder ein Gewerkschaftsfunktionär über z.B. Groß- und Kleinschreibung oder Silbentrennung denkt und verbindlich mitbeschließt? In stillen Stunden, falls es bei solch wichtigen, vielbeschäftigten Persönlichkeiten überhaupt so etwas gibt, fragt sich das Ratsmitglied Verleger oder Verbandsvertreter vielleicht doch einmal: Wieso, aufgrund welcher Qualifikation bin ich eigentlich in den Rat berufen worden? Ja, was mache ich hier? Nun, die Antwort dürfte nicht schwerfallen. Der Rat soll das krumme Luder Rechtschreibeform ein wenig richten, zurechtbiegen und seinen Auftraggebern zu der so dringend erwünschten Legitimation verhelfen. Es geht nicht um die Bewahrung der Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung. Wie will man auch bewahren, was längst dahin ist? Es geht um das Schneidern eines Mäntelchens, das das grandiose Scheitern eines von Anfang an maroden Projektes notdürftig verdecken soll. Und welch schöner Zufall: Diese Aufgabe deckt sich wunderbar mit den Interessen der meisten Ratsmitglieder.Aber das alles ist ja wohlbekannt und vielfach benannt. Zur Inkompetenz kommt als zweites Plus die große Zahl der Mitglieder. Das Motto lautet: Wenn wir schon nicht zuständig sind, so beschließen wir jedenfalls lupenrein demokratisch.Man könne das, frei nach Odo Marquard, "Inkompetenzkompensationskompetenz" nennen. Und schon ist abermals eventuell zu erwartender Kritik der Boden entzogen. Wer wollte da noch von autoritär aufgezwungener Orthographie reden? - Und inzwischen gehen Sprache und Schrift still ihre eigenen Wege, wie sie es immer getan haben und immer tun werden.Treibe du einen Nagel in einen Brunnenstrahl!
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 21.12.2005 um 09.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2572
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Wie alles sich zum Ganzen fügt oder: Wer es fassen kann, der fasse es
Neben der buntgewürfelten Schar der Ratsmitglieder verdient die Figur des Vorsitzenden besondere Aufmerksamkeit. Ein unbefangenes Gemüt konnte sich von Anfang an fragen, wieso die Wahl ausgerechnet auf einen der Hauptverantwortlichen für das gegenwärtige Rechtschreibchaos fiel. Vom Saulus zum Paulus? Wie schwer fällt es nicht schon einem normalen Menschen, Fehler der Vergangenheit nicht nur zu erkennen, sondern auch öffentlich zuzugeben. Von einem (ehemaligen) Politiker solches zu verlangen, setzte bei diesem ein schon übermenschliches Maß an Selbstverleugnung voraus. Denn Politiker irren nicht. So ist die Wahl des Vorsitzenden durchaus folgerichtig. Er gehört nach wie vor zum Zirkel seiner ehemaligen Kollegen. Solchen Korpsgeist streift man nicht einfach ab, wenn man in den Ruhestand geht. Bewundernswert ist allerdings die wohldosierte, wohl dosierte Unabhängigkeit, die gelegentlich denn doch demonstriert werden muß. Gerade so viel, daß man glaubwürdig bleibt und nicht wegen Unzumutbarkeiten zurücktreten muß. Aber nicht so viel, daß man bei seinen Auftraggebern mißliebig wird. - Aber der Vorsitzende will ja erklärtermaßen "versöhnen", und wer wollte ihm, zumal in diesen vorweihnachtlichen Tagen, nicht alles Glück zum Gelingen wünschen?
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Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 21.12.2005 um 12.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2573
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Zehetmair hat ja z.B. das "Packet" verhindert, woraufhin die Stampfe in Gang gesetzt wurde ... Ich denke, er sah sich schon immer als Mäßiger, in alle Richtungen, auch gegenüber den radikalen Verfechter des Altschriebs, die Adverbien radikal klein schreiben wollen.
Und Politiker im Ruhestand sind oftmals vernünftiger als aktive, die ab und an zwischen Sachzwängen und Karrierewünschen nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht. Hätte etwa Wulff als Karriereziel Ministerpräsident, so hätte er sich in der Frage der RSR möglicherweise mit Stoiber und Rüttgers gegen Roko gestellt.
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Kommentar von borella, verfaßt am 21.12.2005 um 15.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2574
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"§ 38 und § 39 verbleiben nach Vorschlag des Rats für deutsche Rechtschreibung grundsätzlich in der Fassung von 2004."
Diese Aussage stammt von der Homepage des Rates. Nach meinem Sprachgefühl müßte nach diesem Satz z. B. ein "aber" kommen.
Andernfalls ist das Wort "grundsätzlich" nämlich überflüssig.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2005 um 17.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2575
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Die Paragraphen 38 und 39 wurden ausdrücklich nicht deshalb von der Revision ausgenommen, weil sie in Ordnung wären, sondern weil sie "zu wirr" sind. Das ist im Rat wörtlich gesagt worden. Jeder vernünftige Mensch würde schlußfolgern, daß solch wirre Regeln aufzugeben sind, aber die AG und der Rat haben gerade umgekehrt gefolgert, daß sie unverändert beibehalten werden müssen. Wer es fassen kann, der fasse es.
Die Zwischenstaatliche Kommission scheint formlos entlassen worden zu sein, nicht einmal den obligaten Lob- und Dankspruch gab es, den man sonst jeder abgehalfterten Größe von gestern hinterherwirft. Soweit ich von der KMK erfahren konnte, wurde den Mitgliedern rechtzeitig mitgeteilt, daß sie zu Hause bleiben können. Das hinderte bekanntlich sieben der zwölf nicht daran, im Rat aufs neue anzutreten. Dickfelligkeit ist gar kein Ausdruck. Bei den Österreichern und Schweizern, die vollzählig wiederantraten, war es allerdings noch etwas anderes: ein gezielter Affront gegen die deutsche KMK.
Für den Vorsitzenden möchte ich noch einmal ein gutes Wort einlegen. Übrigens wurde er erst gefragt, nachdem andere abgewinkt hatten; es war nicht leicht, überhaupt jemanden zu finden. Die Absicht, die Frau Wolff und Frau Schavan mit der Gründung eines solchen unmöglichen Gremiums verfolgten, war gar zu offensichtlich. Das Problem ist, daß die Aussichtslosigkeit des gegenwärtigen Unterfangens nicht jedem völlig klar ist. Die Blockierer und Durchsetzer wissen natürlich genau, was sie wollen, und da ihnen die Sprachrichtigkeit egal ist, können sie ihren Plan mit aller Skrupellosigkeit verfolgen. Daß der Rat mit der begrenzten Agenda bei der GKS, der Nichtbehandlung der Laut-Buchstaben-Entsprechungen und den mangelhaften anderen Teilen vor der Sprachgemeinschaft nicht bestehen kann, ist den Verbandsvertretern vielleicht gerade recht, denn dann bleibt es beim "Status quo", also der Reform von 2004 und ungestörten Geschäften.
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Kommentar von Merkur online, verfaßt am 21.12.2005 um 18.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2576
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»Rechtschreibrat: Crêpe bleibt Krepp
Forscher kritisieren Reformvorschläge
Berlin/München - Es bleibt dabei: Zum Krepp dürfen wir Deutschen auch weiterhin Tunfisch servieren, uns während einer Flussschifffahrt über Missstände beklagen. Die jüngsten Verbesserungsvorschläge des Rats für deutsche Rechtschreibung gehen der Berliner Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS) bislang nicht weit genug. Sie plädiert dafür, sich noch mehr der alten Rechtschreibung anzunähern.
Die "herkömmliche Orthographie" bleibe auch der "ein weiteres Mal reformierten Reformschreibung" klar überlegen, bemängelt die Forschungsgruppe. Für die Sprachrichtigkeit und Einheitlichkeit der Rechtschreibung sei wesentlich weniger erreicht als erforderlich.
Dabei hatte die Reform der Reform sich doch genau das zum Ziel gesetzt. Nicht der Politik oder einem Zeitplan, sondern den Menschen mit ihrer Sprache fühle man sich verpflichtet, hatte der ehemalige bayerische Kultusminister und Vorsitzende des Rechtschreibrats Hans Zehetmaier im Oktober betont. Der Auftrag des Gremiums war allerdings von Anfang an beschränkt: Nur zu den Themen Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung sollen die Ratsmitglieder Änderungsvorschläge erarbeiten.
So heißt es nach den Empfehlungen des Rats künftig wieder "eislaufen" und "er läuft eis" oder "staubsaugen" und "er saugt Staub". Aus "leid tun" wird "leidtun", aber "leid sein". Auch das Nebeneinander beider Formen ("hier zu Lande" und "hierzulande") möchten Zehetmaier und die 18 Ratsmitglieder beibehalten. Die Abtrennung einzelner Vokalbuchstaben (a-ber) soll ebenso unmöglich sein wie irreführende Trennungen (Urin-stinkt).
Gegenwind bekommt die Rechtschreibreform, die seit dem 1. August dieses Jahres in allen Bundesländern außer Bayern und Nordrhein-Westfalen verbindlich gilt, auch aus Juristenkreisen. So schreibt Wolfgang Kopke in der "Neuen Juristischen Wochenzeitschrift", von politischer Seite gehe es "offensichtlich nur noch darum, aus falsch verstandener Staatsraison das Eingeständnis eines Fehlers zu vermeiden".
Erst im September hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg einer Schülerin erlaubt, die alte Rechtschreibung zu benutzen. Begründung: Es sei nicht akzeptabel, die Reformschreibweise für verbindlich zu erklären, wenn sie sich noch nicht allgemein durchgesetzt habe.
frey«
(Merkur online, 20.12.2005, 21:46 Uhr)
(OVB online, desgl.)
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Kommentar von Perlentaucher, verfaßt am 21.12.2005 um 18.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2577
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»Heute in den Feuilletons
Reinhard Markner informiert über den "weitgehend feststehenden Änderungsumfang" zur Reform der Rechtschreibreform, allein auch die Vorschläge wiesen "viele Unstimmigkeiten auf". Wir sind überrascht.«
(www.perlentaucher.de, 21. 12. 2005)
(Spiegel online, desgl.)
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Kommentar von kmk.org, verfaßt am 24.12.2005 um 14.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2587
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2./3. März 2006 in Berlin: 313. Kultusministerkonferenz
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2005 um 10.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2596
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Wenn die KMK für die Märzsitzung die Rechtschreibreform auf die Tagesordnung setzen sollte, geht das jedenfalls nicht von ihr selbst aus, sondern vom Rat. Es gibt nämlich keinen Terminplan, nach dem die KMK bis März 2006 irgendwelche Beschlüsse zu fassen hätte. Nur der Rat bildet sich ein und suggeriert unablässig, man werde bis März im wesentlichen fertig sein. Jeder Sachkundige weiß, daß dann der Streit aus zwingenden inhaltlichen Gründen wieder von vorn anfängt. Die Realitätsblindheit der Ratsmehrheit ist phänomenal. Ich kann sie mir nur mit der Festungsmentalität erklären, die ja auch immer wieder zu geringschätzigen Äußerungen über die feindliche Welt da draußen führt. Man hält zusammen, jetzt erst recht.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 26.12.2005 um 15.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2597
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Die 314. Kultusministerkonferenz ist erst für den 1./2. Juni 2006 angesetzt.
Ist dieser Brief des Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, vom 24. Juni 2005 an die Präsidentin der Kultusministerkonferenz schon bekannt?
»Die Ministerpräsidentenkonferenz hat das Thema Rechtschreibreform ohne erneute Beschlussfassung beraten. Damit bleibt es bei dem Inkrafttreten der Rechtschreibreform am 1. August 2005 entsprechend der bisherigen Beschlusslage (MPK-Beschluss vom 06./08. Oktober 2004 und KMK-Beschluss vom 2. Juni 2005).
Ein Teil der Länder hatte vorgeschlagen, das Inkrafttreten der Reform auf den 1. August 2006 zu verschieben und die Verlängerung der Übergangsfrist dazu zu nutzen, in Zusammenarbeit mit dem Rat für deutsche Rechtschreibung das vorliegende Regelwerk so zu überarbeiten, dass es zum 1. August 2006 ohne Ausnahme für die schulische Korrekturpraxis in Kraft treten kann. Dem ist die Ministerpräsidentenkonferenz nicht gefolgt, weil der Rat für deutsche Rechtschreibung bereits die bisherige Erwartung der MPK (vgl. MPK-Beschluss vom 06./08. Oktober 2004, Ziff. 1, zweiter Anstrich), Änderungen so rechtzeitig vorzuschlagen, dass sie ebenfalls am 1. August 2005 in Kraft treten können, nicht erfüllt hat und keine Gewähr dafür besteht, dass dies bis zum 1. August 2006 gelingt und nicht eine erneute Verschiebungsdiskussion entsteht.
Aus meiner Sicht muss erwartet werden, dass eventuelle Änderungen des Regelwerks vor allem so erfolgen, dass sich daraus keine Nachteile für die Schülerinnen und Schüler ergeben und die Kultusministerkonferenz dafür - wie bereits mit ihrem Beschluss vom 2. Juni 2005 - weiter in geeigneter Weise Sorge trägt.
Ich bitte, die Ministerpräsidentenkonferenz zu gegebener Zeit über eventuelle Ergebnisse des Rats für deutsche Rechtschreibung zu unterrichten.«
In diesem Zusammenhang auch interessant:
»Die MPK hat im Zuge der Beratungen zur Föderalismusreform mit Blick auf das Ziel, die Handlungsfähigkeit der Ländergesamtheit zu stärken, Ende 2004 das bis dahin geltende Einstimmigkeitsprinzip insoweit gelockert, dass Entscheidungen jetzt nur noch die Zustimmung von mindestens 13 Ländern voraussetzen.«
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 26.12.2005 um 16.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2598
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Das ist ja ganz prima, daß das Einstimmigkeitsprinzip aufgehoben wurde. So können diejenigen Länder, die gegen eine Vorlage gestimmt haben, noch leichter und unbekümmerter als bisher die MPK-Beschlüsse, die ja keinerlei Rechtsverbindlichkeit haben, ignorieren. Vielleicht bewegt die neue Lage auch Zögerer à la Wulff in Zukunft zu beherzterem Vorgehen. Der Vorwurf der Unkollegialität entfällt jedenfalls.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2005 um 17.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2599
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Wowereit ist nicht der einzige, der einen Nachteil für die Schülerinnen und Schüler darin sieht, daß diese, nachdem sie jahrelang etwas Falsches gelernt haben, nun das Richtige lernen sollen. Lieber auf dem falschen Weg weitermarschieren als den beschwerlichen Kurswechsel vornehmen! Diese Argumentationsfigur kennen wir jetzt seit neun Jahren. Daß es die Kultusminister und Ministerpräsidenten selbst waren, die ihre Schutzbefohlenen erst auf den falschen Weg geschickt haben, scheint auch ganz vergessen zu sein.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.12.2005 um 05.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2600
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Auf Wowereits Schreiben bezog sich KMK-Präsidentin Wanka in einer Pressemitteilung vom 16.6.2005:
„KMK erstaunt über neue Erklärungen zur Rechtschreibreform
Die Ankündigung der Ministerpräsidenten Bayerns und Nordrhein-Westfalens, das Inkrafttreten der Rechtschreibreform in ihren Ländern auf den 1. August 2006 zu verschieben, hat bei der Kultusministerkonferenz völliges Unverständnis hervorgerufen. Dieses Vorgehen ist kaum nachvollziehbar. Die Kultusministerkonferenz hat jeden Schritt bezüglich der Rechtschreibreform mit der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) abgestimmt. Die KMK-Präsidentin, Brandenburgs Kulturministerin Prof. Dr. Johanna Wanka, verwies in diesem Zusammenhang auf einen einstimmig gefällten Beschluss der Ministerpräsidenten aller Bundesländer, die Reform am 1. August 2005 einzuführen. Dem war auch die KMK einstimmig gefolgt. Die MPK hatte erst am 23. Juni über das Thema beraten und Überlegungen einiger Länder, das Inkrafttreten der Reform um ein Jahr zu verschieben, abgelehnt.
»Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz und Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, hat mir erst vor drei Wochen in einem Begleitschreiben zu der Entscheidung der MPK versichert, dass die Ministerpräsidenten am Inkrafttreten der Reform am 1. August 2005 festhalten«, betonte Wanka. »Dies wurde auch vom Vorsitzenden des Rates für deutsche Rechtschreibung empfohlen«, unterstrich die Präsidentin.
»Die Menschen in Deutschland aber auch in Österreich und der Schweiz wollen endlich Klarheit. Ein Ausscheren einzelner Bundesländer aus der Vereinbarung führt nicht nur bei Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern zu neuer Verunsicherung«, so Wanka weiter.
Nach bisheriger Beschlusslage werden ab dem 1. August 2005 Fehler im Zusammenhang mit der Neuregelung der Rechtschreibung nicht nur markiert, sondern auch bewertet. Davon ausgenommen sind vorerst die Bereiche, in denen der von der KMK eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung für die nächste Zukunft Vorschläge angekündigt hat, nämlich die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Worttrennung am Zeilenende und die Interpunktion. Den entsprechenden Vorschlägen will die KMK folgen. Auch bisher hat sie ihr Vorgehen mit dem Vorsitzenden des Rates, Herrn Staatsminister a.D. Dr. Zehetmair, abgestimmt.“
Soweit die Pressemitteilung der KMK.
Daß auch der Ratsvorsitzende Zehetmair ein Inkrafttreten (gemeint ist: Verbindlichwerden) der Reform zum 1.8.2005 empfohlen habe, kann nicht zutreffen. Zehetmair wußte, daß ein solcher Termin nicht einzuhalten sein würde, und betrieb selbst die Behandlung auch der für »unstrittig« erklärten Bereiche, wobei er immer wieder die Unabhängigkeit des Rates bei der Wahl seiner Themen betonte. Entweder hat Wanka hier etwas mißverstanden, oder sie sagt nicht die Wahrheit.
Der Tonfall von Herrn Wowereit bezeugt, daß die Politiker den Rat als Handlanger ansehen, der gefälligst in kürzester Zeit die reibungslose Durchsetzung der Reform zu gewährleisten habe. Diese Auffassung beherrscht auch die KMK-Zentrale. Ich selbst hatte zwar an mehreren Stellen behauptet, die Zwischenstaatliche Kommission sei wegen Unfähigkeit entlassen worden. Das stimmt aber nicht ganz, der entscheidende Grund dürfte ihre Aufmüpfigkeit gewesen sein, und zwar in bezug auf den wunderschönen Kompromißvorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, in dem die Politiker die goldene Brücke entdeckt zu haben glaubten, die ihnen eine Lösung ohne Gesichtsverlust versprach. Die harsche (und berechtigte) Ablehnung durch die Kommission erregte den Unmut der Kultusminister und brachte Wolff, Schavan und Reiche auf die Idee, einfach einen neuen Rat zu gründen und entsprechend zu besetzen.
Der Rat spurt ja auch im allgemeinen ganz erwartungsgemäß, nur bei den »unstrittigen« Bereichen hat er sich mit Ach und Krach zu einer kleinen Unbotmäßigkeit aufraffen können, aber die begrenzte Agenda zur GKS und das gehorsamste Aussparen der Laut-Buchstaben-Zuordnungen signalisieren ein solches Maß an Unterwürfigkeit, daß die Politiker ganz zufrieden sein können. Bis März 2006 wird ein hübsches Paket harmloser Vorschläge auf dem Tisch liegen, und »mehr war nicht möglich« (mit Rücksicht auf die Schülerinnen und Schüler, auf die berechtigten Interessen der Verlage usw.).
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 27.12.2005 um 17.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=374#2602
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A propos Frau Wolff: Auf http://www.kmk.org/aktuell/pm051215.htm (Ergebnisse der 312. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz) findet sich als letztes folgender Punkt; man beachte den letzten Satz:
6. Wahl der Präsidentin und des Präsidiums für das Jahr 2006
Mit Beginn des Jahres 2006 übernimmt die Ministerin für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein, Ute Erdsiek-Rave, die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz. Anlässlich der Präsidentschaftsübergabe findet am 20. Januar 2006 ein Empfang im Gebäude des Bundesrates in Berlin statt.
Zu Vizepräsidenten der Kultusministerkonferenz für das Jahr 2006 mit Sprecherfunktionen wurden gewählt:
1. Vizepräsident Senator Klaus Böger, Berlin, Sprecher für Schule,
2. Vizepräsident Minister Jürgen Schreier, Saarland, Sprecher für Hochschule,
3. Vizepräsidentin Ministerin Prof. Dr. Johanna Wanka, Brandenburg, Sprecherin für Kultur.
Staatsministerin Karin Wolff (Hessen) sowie Staatsminister Prof. Dr. Jürgen Zöllner (Rheinland-Pfalz) gehören dem Präsidium der Kultusministerkonferenz im Jahr 2006 als kooptierte Mitglieder an.
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