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22.10.2005
Reinhard Markner
Amtlich zulässiges Deutsch
Auch der neue Wahrig wird nicht gegen den Duden ankommen
Der neue Wahrig, der vor wenigen Wochen erschienen ist und auf der Revision der Rechtschreibreform von 2004 beruht, wird als schultauglich in allen Bundesländern angepriesen.
Das dürfte er für die Dauer des laufenden Schuljahrs wohl auch bleiben, heißt es optimistisch in einer Rezension für das Neue Deutschland.
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Kommentar von Rheinischer Merkur, 8. 12. 2005, verfaßt am 09.12.2005 um 19.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=350#2473
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Der Sprachberater
Der „Wahrig“ ist mehr als ein Wörterbuch – er ist eine Institution
BIRGITTA MOGGE-STUBBE
Als der Mainzer Sprachwissenschaftler Gerhard Wahrig vor fast genau vierzig Jahren ein „Deutsches Wörterbuch“ herausbrachte, wollte er damit „einem Mangel“ abhelfen. Es gab, so erklärte er, kein „handliches und dabei umfassendes Nachschlagewerk, das in einer sinnvollen Auswahl über alle möglichen Aspekte des deutschen Wortschatzes informierte“. Duden, Kluge, Mackensen behandelten je ein Fachgebiet hervorragend, vermittelten aber keine Zusammenschau. Der „große Wahrig“, wie das großformatige einbändige Werk bald hieß, ging mit umfänglichen Worterklärungen samt populärwissenschaftlichem „Lexikon der deutschen Sprachlehre“ weit über ein herkömmliches Wörterbuch hinaus.
Auch der „kleine Wahrig“ oder korrekt: „Wahrig. Die deutsche Rechtschreibung“ leistet mehr, als den Wortschatz der heutigen Standard- und Umgangssprache möglichst vollständig in den geltenden Schreibweisen abzubilden. Die jüngste Neuauflage setzt das seit dem 1.August dieses Jahres geltende amtliche Regelwerk in allen unstrittigen Bereichen um, sodass die Laut-Buchstaben-Zuordnungen, die Groß- und Kleinschreibung sowie die Schreibung mit Bindestrich den neuesten Stand abbildet. Im strittigen Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung führt das Wörterbuch zusätzlich die alten Schreibweisen auf, die laut Kultusministerkonferenz ja weiterhin toleriert werden.
Tradition verpflichtet
Indes, so verfährt jeder kluge Rechtschreibbuch-Macher, sonst wäre sein Werk wenig schultauglich. Jeder erklärt auch die wichtigsten Regeln in einem eigenen Kapitel. Die Bearbeiter des neuen Wahrig haben jedoch ein Weiteres getan und eine (schüler-, also auch laienfreundliche) Kurzgrammatik integriert, die zentrale Fachbegriffe erläutert und Zweifelsfälle besonders berücksichtigt. Der alte Wahrig steht immer noch Pate.
Er hätte wohl nie erwogen, dass ein „handliches“ Wörterbuch mehr als 125000 Stichwörter und Schreibweisen enthalten sollte. Die Neuauflage der deutschen Rechtschreibung kommt mit so vielen Einträgen zwar gewichtig daher, ist aber dennoch nicht überfrachtet. Im Gegenteil. Der kritische Blick entdeckt beim schnellen Durchblättern sofort ein Dutzend und mehr Wörter, die er gern noch aufgenommen sähe. Beispielsweise fehlt „Leistungsdruck“, von dem heutzutage so viel die Rede ist, während „Leistungskontrolle“ (die den Druck oft erst erzeugt) aufgeführt ist. „Computerlinguistik“ sucht man vergebens, dagegen wurde „Computertomografie“ jetzt für wörterbuchtauglich befunden. „Infopoint“ ist drin, „Infokasten“ nicht. „Simsen“ und „SMS“, „updaten“ und „zippen“ standen schon in der Auflage 2002, „verlinken“ und „Verlinkung“ ebenfalls. Da erscheint es zumindest als unlogisch, dass in der Neuausgabe 2005 immer noch „uploaden“ fehlt, derweil „downloaden“ ein eigenes erläuterndes Stichwort hat.
Doch nein, man soll nicht mäkeln, wenn immerhin mehr als 5000 Stichwörter neu aufgenommen wurden, darunter so nützliche Buchstabengebilde wie Telefonjoker, Dreiliterauto, Handylogo und Wissensgesellschaft. Wie gerade diese Wörter ins Buch kamen und nicht etwa auch „handelbar“ (auszusprechen mit langem „ä“), erklärt das Vorwort: Basis des Rechtschreibbuchs ist das „Wahrig Textkorpus“, eine rund 800 Millionen Wortbelege umfassende digitale Dokumentation der deutschen Sprache auf der Grundlage von Texten aus verschiedenen repräsentativen Zeitungen und Zeitschriften. (Kleiner Zwischendurchtest: „Textkorpus“ – kein eigener Eintrag; „Text“ und „Korpus“ – je mehrere Bedeutungen, aber das Kuppelwort versteht man damit nicht; „digital“ – gut erklärt.)
In diesen 800 Millionen Wortbelegen kommen, wohl weil sie aus angesehenen Printmedien stammen, „uploaden“ und „Infokasten“ seltener vor als im Alltagssprachgebrauch, weshalb sie durchs Zählraster fielen. Die Wortbelege werden automatisch für die Wörterbucharbeit aufbereitet, computerlinguistisch analysiert und schließlich mit dem Stichwortinventar des Lexikons abgeglichen. Dabei werden fehlende Wörter aufgespürt und veraltete gestrichen.
Ob ein neues Wort ins Lexikon wandert, hängt aber nicht nur davon ab, wie oft es im Textkorpus verwendet wurde, sondern auch, wann es dort zum ersten Mal auftauchte und ob es vielleicht schon wieder verschwunden ist. „Leitkultur“ war für die Wahrig-Ausgabe 2002 offenbar noch insgesamt zu selten geschrieben worden; ja, die Redaktion hatte das Wort sogar als „Eintagsfliege“ abgetan. Für die jetzige Neuauflage ging am Eintrag samt Erläuterung nichts mehr vorbei: „umstrittener Begriff für die vorherrschende Kultur in einer multikulturellen Gesellschaft“.
Die Mischung macht's
Um den alltäglichen Sprachgebrauch zu registrieren, reicht die Auswertung von Printmedien nicht aus. Eine weitere Quelle für die Wörterbuch-Arbeit ist die Sprachberatung der Wahrig-Redaktion. Per E-Mail und Telefon gehen jedes Jahr zirka 10000 Anfragen zum rechten Schreiben ein. Die Erfahrungen aus dieser Arbeit fließen etwa in Form von Suchhilfen für schwierige Wörter und in die mehr als 700 Infokästen zu sprachlichen Zweifelsfällen ein. Da ist im Einzelnen noch viel Menschenverstand und Handarbeit nötig. Das gilt noch auf lange Sicht, auch wenn es Fernziel der Wahrig-Redaktion ist, dass der Computer die lexikografische Auswahl ganz allein macht. Andere Wörterbuch-Macher sind da ohnedies skeptisch; sie sehen den größten Nutzen in einer Mischung aus menschlicher und digitaler Sprachbeobachtung.
Genau diese Mischung setzt das Wahrig-Rechtschreibbuch ein, um sich mit Aktualität und Benutzerfreundlichkeit zu profilieren. Alle Neuschreibungen sind blau hervorgehoben, Infokästen farbig unterlegt. Besonders such- und lesefreundlich: Jedes Stichwort hat einen eigenen Eintrag statt der üblichen unübersichtlichen „Wortnester“. Dies ist ein dickes Plus vor der Konkurrenz.
Wahrig: Deutsche Rechtschreibung. 125 000 Stichwörter und Schreibweisen. Wissen Media Verlag GmbH, Gütersloh/München 2005. 1200 Seiten, 12,95 EUR.
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