Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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02.08.2005
Politik soll sich aus Rechtschreibung raushalten
Der saarländische Kultusminister, der an Schulen des Saarlands Richtiges als falsch bewerten läßt, rät zum Rückzug der Politik.
Reichlich widersprüchlich klingen die Stimmen, die in der Welt ertönen. Dabei sind einige der schönsten Heuler nicht einmal schwarz auf weiß dokumentiert: So erläuterte KMK-Präsidentin Johanna Wanka den verdutzten Moderatoren der Fernsehsendung GIGA-REAL, daß das ß gänzlich abgeschafft sei. Götz Wiedenroth deutet in einer neuen Karikatur an, daß nur einem dämlichen Volk derlei zugemutet werden könne. Klar ist wieder einmal die Absage der kleinen Internet-Zeitung rbi-aktuell.
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Kommentare zu »Politik soll sich aus Rechtschreibung raushalten« |
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 16.08.2005 um 16.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1466
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Ja sind wir denn in Schilda? Weil Tische zuweilen wackeln, wenn ihre vier Beine nicht gleichlang sind, haben einige wenige, sich als besonders clever dünkende „Wissenschaftler“ vorgeschlagen, das jeweils vierte Bein bei allen Tischen zu entfernen. Auf drei Beinen, so die Erkenntnis, könne nichts mehr wackeln. Das erleichtere überdies den Tischlerlehrlingen die Konstruktion des Möbelstücks und spare Material.
Die Einwohner Schildas folgten dem Vorschlag, stellten jedoch fest, daß ihre Dreibeintische zwar nicht mehr wackelten, dafür aber leicht umkippten. „Macht nix“, meinten die Experten. „Wir müssen die Konstruktion behutsam korrigieren und dem gewünschten Ergebnis angleichen.“ Da hatten sie aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht: „Nix da!“ ließ der König von Schilda mitteilen. „Tische mit drei Beinen sind modern. Wir haben uns daran gewöhnt und wollen nicht zurück ins finstere Tischmittelalter!“
Seither kippen in Schilda ständig die Tische, geht Geschirr zu Bruch, fluchen und streiten die Bürger. In ihrer Not erfinden sie technische Sonderkonstruktionen. Es gibt auch einen neuen Beruf: den „Tischplattenhalter“.
Der „Rat für Tischbeine“, welcher die königliche „Tischbeinkommission“ abgelöst hatte, stellte fest, was allen längst klar war, nämlich daß Tische auf drei Beinen nicht praktisch sind, weil sie leicht kippen. Seither diskutiert man in Schilda, was zu tun sei. Es riecht nach Kompromiß: das abmontierte vierte Tischbein will man entzweisägen und eine Hälfte wieder anschrauben. Damit hätte man sowohl die Dreibein- als auch die Vierbeinfraktion mit der Reform versöhnt. Denkt man in Schilda.
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Kommentar von Berliner Morgenpost, 2. August 2005, verfaßt am 15.08.2005 um 18.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1461
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Neue Rechtschreibung verbindlich
Berlin - Nach Inkrafttreten der Rechtschreibreform in 14 der 16 Bundesländer hat die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Johanna Wanka (CDU), vor Nachteilen für die Schüler in Bayern und NRW gewarnt. Da diese zwei Länder das Regelwerk nicht verbindlich gemacht hätten, drohten den Schülern dort Probleme, etwa bei einem Umzug in ein anderes Bundesland, so die brandenburgischen Kultusministerin. Der Vorsitzende im Rat für Rechtschreibung, Hans Zehetmair, sagte, mit dem Inkrafttreten der neuen Regeln vor einer abschließenden Einigung würden auch Fehler eingeführt. Er hoffe deshalb, daß die Lehrer "behutsam damit umgehen, denn die eine oder andere Korrektur wird noch stattfinden". AFP
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Kommentar von R. M., verfaßt am 11.08.2005 um 16.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1442
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Unbegreiflich, aber erklärbar. Es handelt sich hier gewissermaßen um eine Desinformations-Rückkopplung, denn die von Kerstin Güthert zusammengestellte Chronik basiert ihrerseits zum Teil auf dpa-Texten.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 11.08.2005 um 15.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1441
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R. M.: Es ist unbegreiflich, daß dpa-Bildungskorrespondent Karl-Heinz Reith immer noch glaubt, daß dem Rat auch Elternvertreter angehören.
Das eigentlich Unbegreifliche ist, daß der Rechtschreibrat solches von sich selbst behauptet. Auf seinen Seiten (Chronik der Ratssitzungen) heißt es zum konstituierenden Treffen (17.12.2004):
»Der Rat setzt sich zusammen aus Sprachwissenschaftlern, Vertretern von Verlagen, Schriftsteller- und Journalistenverbänden, Lehrerorganisationen sowie des Bundeselternrates und weiterer Institutionen.«
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Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 11.08.2005 um 14.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1440
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Recht schlampig, diese Erlasse. Man würde wenigstens die genauen Buchtitel bzw. Web-Adressen erwarten. Was diese Lehrer für ein dickes Fell haben müssen, daß sie das alles schlucken. Sie sind wohl einiges gewöhnt, über undurchführbare Erlasse regt sich keiner mehr auf...
Die Devise wird natürlich laissez-faire sein, schon um jedem Rechtsstreit auszuweichen. Verläßlich wird erneut der ohnehin grassierenden Gleichgültigkeit und Wurschtigkeit Vorschub geleistet.
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Kommentar von Gabriele Ahrens, verfaßt am 11.08.2005 um 12.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1439
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In Brandenburg mag ja ab jetzt, mit Schulbeginn, die sog. Rechtschreibreform verbindlich sein, doch auf der Homepage des zuständigen Ministeriums sucht man vergeblich nach einem entsprechenden Erlaß oder einem konkreten Hinweis, wie der Beschluß der KMK umgesetzt werden soll. Überhaupt hat man es im Osten anscheinend nicht so eilig, diese Erlasse zu veröffentlichen, so auch nicht in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Berlin, während die anderen Bundesländer (außer Schleswig-Holstein, wo die „Neuregelung“ nur in einer Pressemitteilung erwähnt wird) ausnahmslos ihre im Wortlaut fast identischen Erlasse ins Netz gestellt haben. In der Schreibweise ist man sich übrigens nicht unbedingt einig und macht von der Variantenschreibung Gebrauch („zugrunde“ - „zu Grunde“, „bis auf Weiteres“ - „bis auf weiteres“).
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Kommentar von Berliner Morgenpost, 8. August 2005, verfaßt am 10.08.2005 um 17.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1438
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Rechtschreibreform in Schulen ab heute verbindlich
Potsdam - Mit dem heutigen Beginn des neuen Schuljahres gelten nun auch für die Brandenburger Schüler die unstrittigen Teile der Rechtschreibreform als verbindlich. Die alten Schreibweisen werden jetzt als Fehler gewertet. Zugleich beginnt für 22 530 Schulanfänger der Ernst des Lebens. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) forderte deshalb Autofahrer zu besonderer Rücksicht auf. [. . .] dpa
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 10.08.2005 um 16.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1437
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Selbst mit der s-Schreibung hapert es noch: Mit dieser kleinen amtlichen Mitteilung wurde zugleich ein Verlags-Monopol begründet, dass gut 40 Jahre halten sollte ...
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Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 07.08.2005 um 15.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1432
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Dieser dpa-Artikel hat ohnehin einen sehr geringen Informationswert, denn er rekapituliert pures Hörensagen, vermischt mit eigenen Spekulationen des Autors inklusive seinen Irrtümern und Ungenauigkeiten. Journalismus eben. Was soll das denn heißen:
»Gesucht wird ein Mittelweg, der dem Rechtschreibrat zwar genügend Freiraum bei der Sprachgestaltung gibt, den Kultusministern aber auch weiterhin die Verantwortung für die Gestaltung des Schulunterrichts belässt.«
Als ob es um »Sprachgestaltung« ginge! Es geht darum, sie nicht von Amts wegen mißzugestalten, sondern sie in Ruhe zu lassen. Die Verantwortung für die Gestaltung des Schulunterrichts haben in erster Linie die Lehrer, die Kultusminister haben die Verantwortung für die Themen des Lernstoffs, nicht aber für die Lehrinhalte selbst. Diese zu definieren müssen sie, »so Leid es ihnen tun mag«, nun einmal Fachleuten überlassen. Und die sind im Rat für deutsche Rechtschreibung in der Minderheit.
Die erste Maßnahme für einen Ausweg aus dem Dilemma müßte sein, diesen Rat so auszustatten, daß er seine Aufgabe ohne politisches Herumschielen erfüllen kann.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 06.08.2005 um 12.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1429
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Es ist unbegreiflich, daß dpa-Bildungskorrespondent Karl-Heinz Reith immer noch glaubt, daß dem Rat auch Elternvertreter angehören.
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Kommentar von dpa, verfaßt am 06.08.2005 um 11.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=319#1428
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»Rechtschreibreform: Absteigen - bevor das Pferd ganz tot ist
Von Karl-Heinz Reith, dpa
Berlin. Der Pulverdampf in dem jetzt seit mehr als zwei Jahrzehnten währendem Ringen um die neue deutsche Rechtschreibung ist noch längst nicht verraucht. Nach der verbindlichen Teil-Einführung des neuen Regelwerkes zum 1. August 2005 in 14 von 16 Bundesländern droht jetzt erneut heftiger Streit: Wer soll künftig über Neuerungen der Rechtschreibung entscheiden, wenn sich nach offizieller Einführung der Reform in allen Bundesländern der allgemeine deutsche Sprachgebrauch wie so oft in der Vergangenheit weiterentwickelt?
Dabei soll künftig nicht mehr die Kultusministerkonferenz (KMK) das letzte Sagen haben. Vielmehr soll der von ihr eingesetzte Rat für die deutsche Rechtschreibung das Recht erhalten, verbindliche Änderungen zu beschließen oder selbst eine vollständige Reform der Reform einzuleiten wie sich das immer noch viele Reformgegner wünschen. Das Expertengremium, geleitet vom früheren bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) und inzwischen bestückt mit Gegnern wie Befürwortern der Reform, könnte dabei die Rolle eines neuen deutschen amtlichen Sprachwächters einnehmen wie einst der privat-wirtschaftliche organisierte Duden-Verlag.
Hinter den Kulissen forcieren nicht nur Niedersachsen Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und dessen bayerischer Amtskollege Edmund Stoiber (CSU) solche Überlegungen. Die Kultusminister selbst möchten angesichts des jahrelangen Theaters um ihre missglückte Reform weiteren Gesichtsverlust vermeiden und suchen nach einem glücklichen Ausstieg aus dem Desaster. Keiner von ihnen würde heute noch einmal eine solche Mammut-Reform starten.
Mit der alten Indianer-Weisheit "Steige ab, bevor das Pferd tot ist" begründete Wulff unlängst seine Weigerung, sich dem Vorgehen Bayerns und Nordrhein-Westfalens anzuschließen und die endgültige Einführung der Rechtschreibreform auch in seinem Bundesland noch einmal um ein weiteres Jahr zu verschieben. Wulff gibt unumwunden zu, die erste Schlacht zur Total-Verhinderung der Reform verloren zu haben. Doch unverdrossen strebt er jetzt nach dem Langziel, die KMK bei der Rechtschreibreform künftig gänzlich auszuhebeln und dabei zugleich den Reformgegnern im Rechtschreibrat die Türen ganz weit zu öffnen.
Doch mit ihrem forschem Vorgehen verschrecken Wulff und Stoiber jetzt nicht nur die Kultusminister der SPD sondern auch die eigenen Mannen. Gesucht wird ein Mittelweg, der dem Rechtschreibrat zwar genügend Freiraum bei der Sprachgestaltung gibt, den Kultusministern aber auch weiterhin die Verantwortung für die Gestaltung des Schulunterrichts belässt.
Vor 50 Jahren hatte sich dies die "Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder" noch sehr leicht gemacht: Unter der Rubrik "Sonstiges" im Bundesanzeiger vom 15. Dezember 1955 teilte die KMK damals lapidar mit, dass fortan in Zweifelsfällen der Sprache "die im Duden gebrauchten Schreibweisen und Regeln verbindlich sind." Mit dieser kleinen amtlichen Mitteilung wurde zugleich ein Verlags-Monopol begründet, dass gut 40 Jahre halten sollte nämlich bis zur Verabschiedung der Zwischenstaatlichen Vereinbarung über die Rechtschreibreform von Deutschland, Österreich und der Schweiz vom Juli 1996.
Dabei funktionierte das Duden-Verfahren in der Praxis recht simpel: Tauchten in Medien oder im öffentlichen Sprachgebrauch extrem oft abweichende Schreibweisen auf, würde dies im wissenschaftlichen Beirat des Verlages eingehend geprüft. In vielen Fällen tauchten dann die abweichende Schreibweisen in der nächsten oder übernächsten Duden-Ausgabe als neue, zulässige Variante auf und wurden so peu à peu auch in den regulären Sprachgebrauch eingeführt. Gerade mit dieser Praxis wollte die Rechtschreibreform brechen.
Im Rat für die deutsche Rechtschreibung sind Praktiker wie Sprachwissenschaftlern vertreten: Germanisten, Schriftsteller, Journalisten, Lehrer und Eltern. Gesucht wird jetzt nach einem Verfahren, eine im Konsens im Rat entwickelte neue Schreibweise oder Rechtschreibregel politisch so zu legitimieren, dass sie für den gesamten deutschen Sprachgebrauch akzeptabel und auch verbindlich wird: Angesichts der politischen Zuspitzung um die Rechtschreibraum wahrlich kein leichtes Unterfangen.«
(Mannheimer Morgen, 29.07.05)
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