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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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20.07.2005
 

Wolfgang Roth
Rechtschreiber, Rechthaber

Sieben Jahre, so dachten die meisten im Jahr 1998, sind eine lange Zeit. Auf sieben Jahre war die Übergangsfrist angesetzt, in der die alte – viele sagen: die bewährte – Rechtschreibung an den Schulen unbeanstandet bleiben sollte.
Aber irgendwann müsse mal Schluss sein, sagt die Brandenburger Kultusministerin Johanna Wanka resolut, und sie spricht für die meisten ihrer Kollegen. Sie wollen das leidige Thema endlich vom Tisch haben. Am 1. August soll nun der Deckel drauf, sollen die so genannten unstrittigen Teile der Reform in Kraft treten, müssen Schüler mit Konsequenzen rechnen, wenn sie die alten Schreibweisen anwenden. Daneben aber soll der just von diesen Kultusministern eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung weiter vor sich hin tagen und eine Reform der Reform ausbrüten.

Das verstehe, wer will. Die sieben Jahre waren nicht nur lang, sondern auch quälend, weil sich immer klarer herausstellte, dass diese Rechtschreib-Reform ein Fehler war, dass sie in hohem Maße korrekturbedürftig ist. Wenn Kultusminister das abstreiten, kommen sie in Erklärungsnot: Warum haben sie dann gegen Ende der Frist ein Gremium eingesetzt, das die Reform noch einmal auf den Prüfstand stellt, und zwar ohne einschränkende Vorgaben? Wenn das Ganze aber nur als Alibi-Veranstaltung gedacht war, als Manöver zur Ruhigstellung der Reformgegner, dann dürfen sich die Mitglieder des Rates mitsamt ihrem Vorsitzenden Hans Zehetmair verhöhnt fühlen.

Es gibt kein vernünftiges Argument dagegen, die Übergangsfrist um ein Jahr zu verlängern und dem Rat die Zeit zu geben, die er für seine Arbeit braucht. Bayern und Nordrhein-Westfalen gehen diesen Weg und sie richten damit mitnichten ein Chaos an. Was soll so schlimm daran sein, dass das Moratorium nun statt sieben acht Jahre dauert? Die Wahrheit ist, dass die "unstrittigen" Teile der Reform nur deshalb unstrittig sind, weil sich der Rat noch nicht mit ihnen befasst hat. Sollte das Gremium weitere Korrekturen anmahnen, müssten die Kultusminister, wenn sie den Ratschlag ernst nehmen, das zurücknehmen, was sie jetzt in Kraft setzen. Das ist dann das wirkliche Chaos.

Was einmal beschlossen wurde, müsse auch Bestand haben, sagen Frau Wanka und Co., sonst wirke die Politik wankelmütig und unglaubwürdig. Aber was ist von einer Politik zu halten, die zu keiner Einsicht fähig ist? Recht haben ist nicht immer recht getan. Rechthaber sind nicht automatisch Rechtschreiber. Drollig ist das Argument, die abweichenden Bundesländer setzten die Einheitlichkeit der Schreibung aufs Spiel. Die ist längst perdu. Die Schüler lernen mechanisch, was ihnen auferlegt wurde. Unter den Älteren schreiben die einen so, wie sie es immer getan haben. Andere nehmen sich von alter und neuer Variante, was sie für richtig halten. Daneben gedeihen Sumpfblüten aller Art, Schreibweisen, die weiß Gott nicht auf dem Humus der Reformer gewachsen sind, aber auf dem Boden der Verunsicherung, die diese Reform ausgelöst hat. Einheitliche Schreibung? Wer im Duden blättert, stößt allenthalben auf das Wörtchen auch, das unterschiedliche Schreibweisen zulässt. Man kann das für ein Zeichen der Befreiung von magisterhafter Gängelung halten. Jedenfalls sind die Kultusminister längst nicht mehr in der Lage, eine Schriftsprache aus einem Guss zu erhalten.

Das wird Zeit brauchen, so oder so. Die Verunsicherung wird vorerst bleiben, sie wäre auch nicht dadurch zu beseitigen, dass man sklavisch am einmal Beschlossenen festhält oder die Sache zur Gänze kippt. Es käme nun darauf an, noch einmal Atem zu holen und jene Teile der Reform zurückzunehmen, die ein Irrweg waren. Das betrifft vor allem die ausufernde Getrennt-Schreibung, die zu sinnentstellenden Konstruktionen führt und die Möglichkeit beschneidet, unterschiedliche Sachverhalte auch unterschiedlich auszudrücken. In diesem Bereich wiederum Zwischenlösungen und Varianten anzustreben, würde die Verwirrung nur noch steigern; da müsste es heißen: zurück zur alten Schreibweise ohne Wenn und Aber. Dagegen sollten die fachkundigen Gegner der Reform endlich damit aufhören, sich am Stängel und der Gämse und ähnlichen Petitessen festzubeißen und den Eindruck zu erwecken, der Sprache werde furchtbar Gewalt angetan, wenn man einen Vokal verändert, der nichts als Konvention und Gewohnheit ist.

Ohnehin hat es etwas Pharisäerhaftes, wenn so getan wird, als sei früher alles bestens gewesen und die Menschen hätten zum rechten Schreiben gefunden, dass es eine Freude war. Vieles war eben nicht stimmig, etliches verbesserungswürdig. Nur dass man eben auch zugeben muss, dass diese Reform mehr Schlechtes als Gutes bewirkt hat, weshalb sie besser unterblieben wäre. Die das immer schon wussten, dürfen sich im Recht fühlen. Die das erst später erkannten wie der ehemalige Kultusminister Zehetmair, zeigen Fähigkeit zur Einsicht.

Denn darüber sollte sich keiner täuschen: Es wird keine Ruhe geben im Rechtschreib-Streit, schon gar nicht, wenn die Kultusminister jetzt ihre Ruhe haben wollen mit einer Augen-zu-und-durch-Strategie.


( Süddeutsche Zeitung, 20.7.2005, Seite 4 )


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Link: http://www.sueddeutsche.de/sz/2005-07-20//meinungsseite/artikel/sz-2005-07-20-004-leit-a.leit/


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Kommentare zu »Rechtschreiber, Rechthaber«
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Kommentar von H. J., verfaßt am 19.07.2005 um 20.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=304#1240

Es wäre reizvoll, aus den sich überschlagenden Meldungen und Meinungsäußerungen der letzten Tage eine Stilblütensammlung zusammenzustellen. Den Vogel würde zweifellos Johanna Wanka abschießen: „Man muss in der Lage sein, eine Reform irgendwann auch einmal zu beenden." Wo sie recht hat, hat sie recht. Ganz übersehen worden sind bisher die Interviewäußerungen der Sprecherin der Bonner KMK-Zentrale, Andrea Schwermer, gegenüber der Kölnischen Rundschau (18.7.05):

Ja, im Vorfeld habe es durchaus das ein oder andere Gerücht gegeben. Trotzdem: „Wir hatten uns eigentlich sicher gefühlt". Andrea Schwermer, Sprecherin der Kultusministerkonferenz (KMK) in Bonn, ist ehrlich. Ehrlich „vor den Kopf gestoßen" vor allem. Ansonsten ist man zwei Tage nach den unerwarteten Alleingängen Bayerns und Nordrhein-Westfalens in Sachen Rechtschreibreform bei der KMK nur noch eines: ratlos. Ratlos, wie es weitergehen soll. Ratlos angesichts dessen, was da noch kommen könnte.

„Auf dem Spiel steht das ganze föderalistische Bildungskonzept", schimpft Schwermer. Und nichts kann großartig dagegen unternommen werden. Denn: Die Ankündigungen des bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und seines nordrhein-westfälischen Kollegen Jürgen Rüttgers (CDU), die unstrittigen Teile der Rechtschreibreform ab dem 1. August in ihren Ländern nicht uneingeschränkt gelten zu lassen, ist juristisch nicht anfechtbar. Sicherlich: Noch Ende Juni hatte die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) einstimmig die Einführung der Regelung beschlossen. „Das war aber nur eine Selbstverpflichtungserklärung der einzelnen Länder, kein Gesetz", erklärt Schwermer. Die Kulturhoheit liege letztlich bei jedem Bundesland selbst.

Juristisch ist der Fall also klar. Entsprechende Probleme könnte es aber von ganz anderer Seite geben. Schwermer: „Es ist vorstellbar, dass Eltern, die mit ihren Kindern von einem Bundesland in ein anderes ziehen, klagen, weil ihrem Kind in der Schule auf einmal Fehler angestrichen werden, die zuvor keine waren." Die diskutierten Regelungen würden zwar nur zwei Prozent aller Wörter betreffen. „Aber es ist schwierig, den Eltern die Uneinigkeit der Länder zu vermitteln." Da sei es kein Wunder, dass die Angelegenheit zum Politikum ausarte.

Hört die Signale. Die Beendigung der Rechtschreibreform könnte diesmal wirklich das Werk der Gerichte sein.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.07.2005 um 04.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=304#1247

Viele Journalisten glauben ihre Überlegenheit dadurch bekunden zu müssen, daß sie doch immer auch noch einen kleinen Tritt für die Reformkritiker übrig haben. Welche fachkundigen Gegner der Reform hätten sich denn bisher an Stängel und Gämse festgebissen und darin einen furchbaren Gewaltakt gesehen? Ins selbe Horn tutet, wer uns die Vision vom Untergang des Abendlandes unterstellt.
Im Grunde können einem all diese Leute auch leid tun: Seit Jahren argumentieren sie gegen eine Rechtschreibreform an, die sie zugleich praktizieren müssen. Was sind Gämsen und Stängel gegen diesen pragmatischen Widerspruch! Sechs Jahre unfreie Presse - wäre das nicht mal einen Jubiläumsartikel wert, und dann immer wieder zum 1. August?


Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 20.07.2005 um 09.40 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=304#1249

Journalisten haben im Streit um die "Rechtschreibreform" in der Tat eine unrühmliche Rolle gespielt und spielen sie weiter – zum Beispiel gestern spät abend in einem Nachrichten-Kommentar:
Da trat ein junges strebsames und korrekt gekleidetes Mitglied dieser Zunft vor die Kamera und wetterte gegen das Verhalten Bayerns und Nordrhein-Westfalens: Nicht vermittelbar sei es, daß nun im einen Bundesland der "Mißstand" mit drei und im anderen nur mit zwei "s" geschrieben werde.

Zwei "s"? Einmal abgesehen davon, daß auch in Bayern und NRW die Schüler weiterhin die zwangsreformierte Schreibung lernen müssen: Wann wurde denn der Mißstand mit zwei "s" geschrieben? Hat hier jemand in peinlicher Weise seine Dummheit vor einem Millionenpublikum ausgebreitet, oder hat er schlichtweg gelogen? Er hat wohl schlicht das getan was viele Journalisten tun: Gehörtes ungeprüft und unwissend als Tatsache hinstellen …

Aber noch eine "zweites Argument" hatte der Journalist auf Lager: Die Politiker in Bayern und NRW "müssen wissen", daß Sprache "dynamisch" sei, sich verändere; die letzte Reform liege doch schon ein Jahrhundert zurück ... Auch hier hat er offenbar etwas mis(s)verstanden: Dynamik bedeutet, daß sich Sprache von selbst, d. h. durch den ungelenkten täglichen Gebrauch ihrer Sprecher und Schreiber verändert, nicht durch dirigistisches Eingreifen. Hätte der Journalist seine "Hausaufgaben" gemacht, hätte er zudem entdeckt, daß gerade diese "Reform" keiner Eigenentwicklung Rechnung trägt, sondern gewaltsam versucht, das Rad der Sprachentwicklung um Jahrhunderte zurückzudrehen und uralte, längst überholte Schreibweisen wiederauferstehen zu lassen.

Um saubere journalistische Recherche und Wahrheit ging es aber gestern abend auch gar nicht. Es ging um Stimmungsmache und Hetze – und vermutlich auch um Profilierung gegenüber einem Sender, der sich seit Jahren über die Mehrheitsmeinung seiner Beitragszahler hinwegsetzt.


Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 20.07.2005 um 11.11 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=304#1251

Solche Beispiele, deren es ja haufenweise gibt, sind in der Tat geeignet, den Nachrichtenkonsumenten gründlich zu desillusionieren.
Monatelang, es ist kaum faßbar, wird ungeprüft nachgeplappert, was die KMK verlautbart: "unstrittige Teile" stehen ja nur in wenigen Organen wenigstens in Anführungszeichen, auch bei ARD und ZDF geht das immer noch leicht von den Lippen. Sogar die taz läßt den blindwütigen Flickschustern alles durchgehen, das muß man sich mal vorstellen!
Prüfen die überhaupt noch irgendwas? Denken die noch selber?
Morgen wird auch wieder überall stehen, daß es nur noch um ein halbes Prozent des Wortschatzes geht, wie Wanka inzwischen hat wissen lassen.


Kommentar von Jürgen Sterzenbach, verfaßt am 20.07.2005 um 11.14 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=304#1252

Abgesehen von der tendenziösen Berichterstattung im Fernsehen ist zu bemerken, daß hier die gesprochene Sprache vorherrscht. Auch deshalb sind einige Journalisten in diesem Medium weniger sensibel (vielleicht würden sie kapieren, worum es geht, wenn es eine entsprechend vermurkste Rechtsprechreform gegeben hätte). Außerdem ist die Urlaubszeit spürbar; die Berichte und Kommentare stammen offensichtlich von Aushilfsjournalisten bzw. Journalisten aus den hinteren Reihen. Uli Wickert hatte über den "Rollladen" mit drei l kürzlich noch sehr deutlich gelästert.



Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 20.07.2005 um 12.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=304#1253

> Morgen wird auch wieder überall stehen, daß es nur noch um ein
> halbes Prozent des Wortschatzes geht, wie Wanka inzwischen
> hat wissen lassen.

Standardargument gegen die vielerorts beobachtete Bagatellisierung (Jens Jessen & Co.): wenn es sich um eine Bagatelle handelt, dann bringt die Reform ja auch nichts, und man kann sie ohne großes Aufhebens auch wieder bleibenlassen.


Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 22.07.2005 um 11.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=304#1281

Im "Forum" von SWR2 am 21.7.2005 zum Thema "Alle Klarheit beseitigt. Brauchen wir die neuen Rechtschreibregeln?" nahmen unter der Moderation von Ralf Caspary Herr Denk und Herr Zabel Stellung zu Höreranrufen. Erwartungsgemäß spielten die Arbeit des Rates für deutsche Rechtschreibung und seine Vorschläge zur Getrennt- und Zusammenschreibung eine besondere Rolle. Was Herr Zabel dazu im Laufe der Sendung kommentierend sagte, habe ich auszugsweise transkribiert.

In der Tat, die Getrennt- und Zusammenschreibung ist in dem Reformpaket von 1996 ein Bereich, der von allem Anfang an umstritten war [...] Meine These ist die, daß die Reform von 1996 im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung einen Vorschlag gemacht hat, der aus welchen Gründen auch immer von der Schreibgemeinschaft nicht angenommen worden ist. [...] Das, was hier gegenwärtig passiert, ist, daß der Rat für die deutsche Rechtschreibung seit Dezember 2004 den Versuch unternimmt, unter anderem diesen Bereich auf eine neue Schiene zu schieben. Die Mitglieder des Internationalen Arbeitskreises, die die alte Regelung sprich Reform zu verantworten haben, haben sich zu Beginn der Arbeit des Rates für die deutsche Rechtschreibung bewußt zurückgezogen und haben sinngemäß gesagt, wir sagen dazu nichts mehr, wir haben die Chance gehabt, jetzt sind die anderen dran. Mit der Veröffentlichung dieses Bereichs, so wie ihn der Rat präsentiert hat, ist in der Tat jetzt ein Gegenmodell da, dessen Tragfähigkeit man ebenso diskutieren müßte wie das andere, das von der Mehrheit der Mitglieder dieser Schreibgemeinschaft abgelehnt wird. [...] Mein Anliegen ist es, den Hörern, die in dieser Richtung fragen, einfach einige Hinweise zu geben, ohne die man diese Reform nicht verstehen kann. Konrad Duden, der Vater der deutschen Rechtschreibung, hat 1880 gesagt, über diesen Bereich kann man keine Regeln aufstellen. Noch 1902, in seiner 7. Auflage, hat er gesagt, hier gibt es keine einheitlichen Regelungen, und insofern ist das, was dann später passiert ist, eine Weiterführung des Gedankens, Regelungen, die sich aber nicht bewährt haben für die Mehrheit der Mitglieder dieser Schreibgemeinschaft.

Ich würde gern sagen, daß ich Herrn Kollegen Denk außerordentlich dankbar bin für die Offenheit seiner Worte. Jeder Hörer wird herausgehört haben, daß es Herrn Denk darum geht, die ganze Reform zu kippen und zu der angeblich bewährten Rechtschreibung zurückzukehren. Ich bin aber heute nicht der Meinung und würde mich auch dagegen wehren, das Zwischenergebnis, das der Rat für die deutsche Rechtschreibung erarbeitet hat im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, nun von unserer Seite aus zu kritisieren. Lieber Herr Denk, liebe Hörer, es ist Zeit, daß es endlich einen tragfähige Kompromiß gibt und daß alle Auseinandersetzungen, so berechtigt sie auch immer wären, um des Wohles der Schreiber und Schreiberinnen willen zurückgestellt werden müssen. Wir müssen auf Deubel komm raus zu einer Lösungen kommen, die die deutsche Rechtschreibung tragfähiger macht als dieses Desaster des Hin und Her seit zehn Jahren. Und aus diesem Grunde sage ich, ich kritisiere den Vorschlag des Rates zur Getrennt- und Zusammenschreibung nicht. Allerdings, und das wissen Sie, Herr Caspary, der Oberkritiker der Rechtschreibreform, Herr Theodor Ickler, hat in den Papieren, die Sie mir zugeschickt haben, schon wieder einen Totalverriß dieses Werkes vorgenommen, und er kommt am Ende seines Statements zu der außerordentlich überraschenden Erkenntnis, nach den Erfahrungen, die der Staat seit 100 Jahren mit dem Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung gemacht hat, sollte er diesen Bereich lieber nicht regeln. Das ist Oberkritiker Ickler.

Ich möchte an dieser Stelle einfach einmal für einen Kollegen etwas Werbung machen. Der Rat für die deutsche Rechtschreibung wäre gut beraten gewesen, wenn er für den Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung das Regelwerk sich angesehen hätte, welches der Sprachkritiker Zimmer in der ZEIT entwickelt hat. Dann würde nämlich gesehen werden, daß es hier in diesem Bereich bestimmte Grundregeln gibt, die entsprechend umgesetzt werden müssen. Man kann nicht dem Staat jetzt zumuten, das Chaos zu legitimieren und auf Dauer festzuschreiben, wie Kollege Ickler das offensichtlich vorhat. Es muß ein Grundgerüst dasein.



Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 23.07.2005 um 20.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=304#1306

So merkwürdig es klingen mag: Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, daß mir in früheren Jahren beim Zeitungs- oder Bücherkorrigieren der Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung, obwohl nicht exakt geregelt (wie entsetzlich!!), irgendwelches Kopfzerbrechen bereitet und mich zum ständigen Nachschlagen veranlaßt hätte. Ich habe mich einfach auf mein Sprachgefühl verlassen und die Intention des Schreibers nachvollzogen. Bedeutsame Entscheidungen mußte ich trotzdem nicht treffen, da das Sprachgefühl von Autoren, Lektoren und Redakteuren mit meinem fast immer übereinstimmte. Herr Zabel kann sich wahrscheinlich nicht vorstellen, daß es so etwas wie ein allgemeines Sprachgefühl überhaupt gibt. Ich "simpler Laie" wäre jedenfalls nie auf die Idee gekommen, Wörter wie "lahmlegen" (Liste wäre bald endlos fortzusetzen) auseinanderzureißen (hoppla, das darf ich wohl auch nicht so schreiben?).


Kommentar von Süddeutsche Zeitung / Leserbriefe, verfaßt am 25.07.2005 um 10.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=304#1331

»An die Leser denken
Rechtschreiber, Rechthaber / SZ vom 20. Juli


Im Gegensatz zu den auf die Dauer ermüdenden Rechthabern versucht Wolfgang Roth Ruhe und Vernunft in die Diskussion über die Rechtschreibreform zu bringen. Diese quält sich schon so lange unerfreulich dahin, dass es nun auf ein Jahr hin oder her wirklich nicht mehr ankommt, wenn damit endlich vernünftige Lösungen erreicht werden können. Dabei ist sehr zu wünschen, dass endlich auch die Lesbarkeit verbessert wird. Die Leser wurden bisher viel zu wenig berücksichtigt. Der Horizont der Kultusminister scheint in Fragen der Rechtschreibreform am Schultor zu enden. Außerhalb des Rotstiftbezirks der Korrekturen hat die geschriebene Sprache doch viel mehr Leser als Schreibende! Weil dies jeden Bürger betrifft, ist die Reform der Rechtschreibreform eine wichtige Aufgabe. Brigitte Baur, München

Der Beschluss der Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen, die verbindliche Einführung der neuen Rechtschreibung um ein Jahr zu verschieben, wirft ein grelles Licht auf die - mangelnde - Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit von Politikern. Da haben die Ministerpräsidenten gerade erst Anfang Juli zum wiederholten Mal einstimmig die verbindliche Einführung der Rechtschreibreform zum 1. August beschlossen, und nun scheren sich zwei Länder kaum drei Wochen später nicht mehr um diesen Beschluss. Was für einen verheerenden Eindruck muss so etwas bei der Bevölkerung und besonders bei den Lehrern und Schülern hinterlassen! Wie soll man Kinder zu Verlässlichkeit erziehen, wenn ihnen sogar Ministerpräsidenten ein schlechtes Vorbild geben? Dabei sind die Argumente für die Verschiebung recht schwach. Die bisher vom Rat für deutsche Rechtschreibung beschlossenen Änderungen an der Reform sind eher marginal und werden es in Zukunft wohl auch bleiben. Deswegen die verbindliche Einführung der neuen Rechtschreibung zu verschieben zeugt von Kleingeist, der Ministerpräsidenten eigentlich nicht zu Eigen sein sollte. Dr. Siegfried Wolff, Schenefeld«


( Süddeutsche Zeitung Nr.169, Montag, den 25. Juli 2005 , Seite 18 )



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